Schlußanträge des Generalanwalts

HERRN MAURICE LAGRANGE

20. November 1962

Aus dem Französischen übersetzt

Herr Präsident, meine Herren Richter!

Ich erlaube mir, die zwei in derselben Sitzung verhandelten Gruppen von verbundenen Rechtssachen, einerseits die Rechtssachen 16 und 17/62, andererseits die Rechtssachen 19 bis 22/62, gemeinsam zu behandeln, weil sie die gleiche Grundsatzfrage zum ersten Male vor unserem Gerichtshof zur Entscheidung stellen, nämlich die nach der Auslegung der in Artikel 173 Absatz 2 des EWG-Vertrages enthaltenen Vorschriften über die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklagen, die von anderen natürlichen oder juristischen Personen als einem Mitgliedstaat, dem Rat oder der Kommission erhoben werden.

In allen diesen Rechtssachen sind die Klagen von Verbänden erhoben, die juristische Personen privaten Rechts sind, nämlich:

1.

von Erzeugerverbänden (Obst und Gemüse, Tafeltrauben), welche die Verordnung des Rates Nr. 23 über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Obst und Gemüse angreifen,

2.

von Großhandels verbänden (Fleisch waren, landwirtschaftliche Erzeugnisse), welche die Verordnung des Rates Nr. 26 zur Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen anfechten.

In beiden Fällen wird mit den Klagen nur eine teilweise Aufhebung angestrebt: Aufhebung von Artikel 9 der Verordnung Nr. 23 (die Begründungen der Klagen befassen sich übrigens nur mit dem letzten Absatz dieses Artikels, der den Verzicht der Mitgliedstaaten auf die Anwendung der nach Artikel 44 des Vertrages während der Übergangszeit zulässigen Mindestpreise betrifft), und was die Verordnung Nr. 26 angeht, Aufhebung des letzten Satzes von Artikel 2 Nr. 1 dieser Verordnung, einer Bestimmung, die nach Ansicht der Kläger eine diskriminierende Regelung enthält, welche die landwirtschaftlichen Erzeuger begünstigt und diejenigen Händler landwirtschaftlicher Erzeugnisse benachteiligt, die nicht zugleich Erzeuger sind.

Mit Beschluß vom 24. Oktober 1962 hat der Gerichtshof die Assemblée permanente des présidents de chambres d'agriculture zu den Rechtssachen 16 und 17/62 als Streithelferin der Kläger zugelassen. Da sich die Streithelferin darauf beschränkt, sich das Vorbringen der Kläger zu eigen zu machen, erwähne ich die Streithilfe im folgenden nicht mehr.

In allen Rechtssachen hat der Rat prozeßhindernde Einreden erhoben, die zu dem Verfahren nach Artikel 91 der Verfahrensordnung geführt haben. Nach § 4 dieses Artikels werden Sie unter den drei folgenden Entscheidungsmöglichkeiten zu wählen haben: den Einreden stattzugeben, sie zu verwerfen oder die Entscheidung über sie dem Endurteil vorzubehalten. Die Kläger treten den Einreden selbstverständlich entgegen, bestehen aber darauf, daß zunächst die Entscheidung dem End- urteil vorbehalten wird.

Das ist die erste Frage, über die Sie zu befinden haben. Sehr oft mag es zweckmäßig erscheinen, über die Zulässigkeit und über die Begründetheit gemeinsam zu entscheiden; das kann darauf beruhen, daß die Prüfung der Prozeßvoraussetzungen, die auf die prozeßhindernden Einreden des Beklagten hin oder von Amts wegen vorzunehmen ist, schon prima facie entweder die Zulässigkeit der Klage nur wenig zweifelhaft erscheinen läßt oder für ein besonderes Urteil zu wenig Bedeutung zu haben scheint; es kann auch darauf zurückzuführen sein, daß die Prüfung der Prozeßvoraussetzungen mit der der Begründetheit mehr oder weniger eng verflochten oder doch nach der vollständigeren Sachaufklärung, zu der diese letztere führt, besser möglich ist.

Aber, meine Herren, das ist vorliegend nicht der Fall. Es handelt sich hier um eine die Auslegung des Vertrages auf rein abstrakter und ganz allgemeiner Ebene betreffende Grundsatzfrage, die zudem für die gerichtliche Überwachung der Exekutivorgane, Rat und Kommission, von solcher Bedeutung ist, daß das größte Interesse daran besteht, daß sie ein für allemal unabhängig vom Einzelfall klar entschieden wird.

Wie der EGKS-Vertrag will auch der EWG-Vertrag die Zulässigkeitsvoraussetzungen der vor dem Gerichtshof zu erhebenden Anfechtungsklagen, die er zur Überwachung der Rechtmäßigkeit des Handelns der Exekutivorgane vorsieht, selbst regeln; das gilt vor allem, was die klageberechtigten Personen und die der Anfechtung unterliegenden Maßnahmen angeht. Wie der EGKS-Vertrag unterscheidet der EWG-Vertrag auch zwischen gewissen privilegierten Personen, im wesentlichen den Mitgliedstaaten, die vor allem hinsichtlich des Interesses an der Erhebung der Klage keinerlei besondere Voraussetzungen zu erfüllen brauchen, und anderen Personen, für die er im Gegenteil zwingende Voraussetzungen aufstellt, die je nach der Art der anzufechtenden Maßnahme verschieden sind.

Hier endet die Entsprechung aber auch schon, denn in der Ausgestaltung des Systems weisen die beiden Verträge tiefgehende Unterschiede auf, die von den Verfassern des Vertrages von Rom ganz offensichtlich gewollt sind. Nur mit größter Vorsicht können daher die Vorschriften des Vertrages von Paris, vor allem Artikel 33, und die zu ihnen ergangene Rechtsprechung zur Auslegung der Bestimmungen von Artikel 173 des EWG-Vertrages herangezogen werden. Es läßt sich nur ganz allgemein sagen, daß der EWG-Vertrag hinsichtlich der nichtprivilegierten Personen, denen die Klageberechtigung zuerkannt wird, weiter gefaßt ist als der EGKS-Vertrag (Unternehmen und ihre Verbände in der EGKS, „jede natürliche oder juristische Person“ in der EWG); das gleiche gilt hinsichtlich der Gründe, auf die die Klagen gestützt werden können. Dafür ist er aber enger gefaßt, was die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtung gewisser Maßnahmen angeht. Endlich sind im Vertrag von Rom wie in dem von Paris die verschiedenen Arten von Maßnahmen der Exekutive oder Exekutiven definiert (Artikel 14 des letzteren, Artikel 189 des ersteren). Die Definitionen decken sich aber nicht. Selbstverständlich sind zur Anwendung des Vertrages von Rom die in Artikel 189 dieses Vertrages gegebenen Definitionen heranzuziehen, wenn eine andere Vorschrift, etwa der uns hier interessierende Artikel 173, einen der dort definierten Begriffe wie „Verordnung“ oder „Entscheidung“ verwendet.

Von diesen Bemerkungen ausgehend will ich mich nun der Untersuchung der vom Rat erhobenen prozeßhindernden Einreden zuwenden.

Eine erste, vom Rat und von den Klägern der Rechtssachen 16 und 17/62 aufgeworfene Frage betrifft die Zulässigkeit von Klagen, die wie vorliegend von Verbänden erhoben werden.

Der Rat räumt zwar ein, daß diese Frage für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht wesentlich sei, erklärt aber, „[er bezweifle] … zunächst, daß die Verbände die Klage unabhängig von der Art des angefochtenen Aktes erheben können“. Er fügt hinzu, „dieser Akt … [könne] nämlich auf keinen Fall als eine Maßnahme angesehen werden, welche die Lage der Klägerinnen als Verbände berührt; er [berühre] … lediglich die Lage der Mitglieder dieser Verbände“, sei daher „nicht geeignet…, die besagten Verbände unmittelbar zu betreffen“.

Diese Bemerkung führt uns, wie Sie sehen, „unmittelbar“ zur Auslegung des Wortlautes von Art. 173 Absatz 2 und damit zur entscheidenden Frage dieses Rechtsstreits. Diese Auslegung ist aber nicht davon abhängig und kann es auch nicht sein, welcher Art die Personen sind, von denen die Klage erhoben ist: „Jede natürliche oder juristische Person“, sagt der Vertrag, kann die Klage erheben; ein nach der ihnbeherrschenden innerstaatlichen Rechtsordnung ordnungsmäßig konstituierter Verband ist aber selbstverständlich eine „juristische Person“, wenn jene Rechtsordnung ihm diese Eigenschaft zuerkennt, mit der normalerweise die Prozeßfähigkeit verbunden ist. Daß eine enge Auslegung von Artikel 173 Absatz 2 dazu führen würde, diese Verbände praktisch in allen Fällen von der Klageberechtigung nach dieser Vorschrift auszuschließen, ist sicher; denn es ist kaum vorstellbar, daß ein Verband als solcher Empfänger einer Entscheidung wird oder daß eine Verordnung oder eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ihn als Verband „unmittelbar und individuell betrifft“. Hieraus kann man, wie es der Prozeßbevollmächtigte der Kläger in den Rechtssachen 16 und 17/62 tut, ein Argument zugunsten einer weniger engen Auslegung ableiten; die Entscheidung für die enge Auslegung führt für sich allein aber nicht von Rechts wegen zum Ausschluß der Verbände vom Anwendungsbereich von Artikel 173 Absatz 2; sie sind juristische Personen und erfüllen insofern die in dieser Vorschrift aufgestellte Voraussetzung für die Klageberechtigung.

Halten wir uns den Wortlaut vor Augen: „Jede natürliche oder juristische Person kann unter den gleichen Voraussetzungen (das heißt unter den in Absatz 1 aufgestellten Voraussetzungen der Überwachung der Rechtmäßigkeit des Handelns des Rates und der Kommission, soweit es sich nicht um Empfehlungen oder Stellungnahmen handelt) gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen.“

Der erste Fall, der einer Klage gegen eine „an … [die Kläger] ergangene Entscheidung“ liegt hier nicht vor. Das räumen die Kläger ein.

Was den zweiten Fall angeht, so enthält er zwei Alternativen: die einer „als Verordnung ergangenen“ und die einer „an eine andere Person gerichteten“ Entscheidung. Hier geht es um die erste Alternative; alles, was die zweite — die zu untersuchen Sie bald in anderen Verfahren Gelegenheit haben werden — betrifft, ist sorgfältig von der Erörterung auszuschließen.

Nach dem Wortlaut des Vertrages müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine Klage gemäß der ersten Alternative zulässig ist:

1.

Die angefochtene Maßnahme muß eine Entscheidung sein,

2.

sie muß „als Verordnung ergangen“ sein,

3.

sie muß den Kläger „unmittelbar betreffen“,

4.

sie muß ihn auch „individuell“ betreffen.

Mit Ihrer Erlaubnis will ich mit der zweiten Voraussetzung beginnen, deren Vorliegen am leichtesten festzustellen ist: eine als Verordnung ergangene Maßnahme. Sie ist in den Ihnen vorliegenden Fällen offensichtlich gegeben, mag es sich nun um die Verordnung Nr. 23 oder um die Verordnung Nr. 26 handeln.

Erste Voraussetzung: Die Maßnahme muß eine Entscheidung sein. Hier liegt meines Erachtens der Kern des Problems und der Schlüssel für seine Lösung.

Artikel 189 definiert, wie wir festgestellt haben, die verschiedenen Maßnahmen, die der Rat und die Kommission erlassen können, insbesondere die Verordnung und die Entscheidung:

„Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“

„Die Entscheidung ist in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet.“

Die erste Definition, die der Verordnung, deckt sich mit der allgemein üblichen Begriffsbestimmung dieser besonderen, in allen sechs Ländern der Gemeinschaft bekannten Art von Verwaltungsmaßnahmen: Verwaltungsmaßnahme nämlich im formellen Sinne, weil von einer von der Exekutive abhängigen Behörde oder von der Exekutive selbst erlassen; im materiellen Sinne dagegen Vorschrift normativen Charakters, echte sekundäre Gesetzgebung, die objektive, aus sich selbst heraus unabhängig von der Person, vom einzelnen, auf alle von ihr erfaßten Fälle anwendbare Normen aufstellt.

Die zweite Definition, die der Entscheidung, war ohne, Zweifel nützlicher, denn der Ausdruck „Entscheidung“ kann mehrere Bedeutungen haben. Er wird insbesondere häufig in dem weiten Sinne verstanden, daß er alle Verwaltungsmaßnahmen umfaßt, die eine Rechtslage schaffen oder verändern oder Verpflichtungen begründen: die Verordnung ist sodann nur eine Unterart der Entscheidung, ebenso wie der „Beschluß“ (délibération) eines Kollegialorgans, ein speziell dem französischen Recht entlehnter Begriff, der im EGKS-Vertrag zu Schwierigkeiten Anlaß gegeben hat. Ferner sind die „generellen“ Entscheidungen, die nicht notwendigerweise Verordnungen sein müssen (z. B. die Entscheidung, durch die eine Mangellage in der Gemeinschaft festgestellt wird, Artikel 59 des EGKS-Vertrages), und die „individuellen“ Entscheidungen auseinanderzuhalten.

Der Vertrag von Rom hat die Terminologie festlegen wollen. Die von ihm gegebene Definition der Entscheidung („die Entscheidung ist in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet“) scheint mir sehr genau dem Begriff der individuellen Entscheidung zu entsprechen. Selbstverständlich kann eine und dieselbe Entscheidung mehrere Adressaten haben (der Plural „diejenigen“ schließt dies ein): es handelt sich dann um eine kollektive Entscheidung, die in Wahrheit die Bedeutung einer Reihe von individuellen Entscheidungen hat.

Die „Entscheidung“ in diesem Sinne umfaßt nicht die Verordnung, sondern ist ihr im Gegenteil entgegengesetzt. Nach dem Vertrag von Rom kann eine und dieselbe Maßnahme nicht gleichzeitig eine Verordnung und eine Entscheidung sein. Wenn also Artikel 173 von „Entscheidungen, die … als Verordnung ergangen sind“ spricht, so meint er damit solche Anordnungen, die nur dem „Anschein“ nach Verordnungen sind, in Wirklichkeit aber, weil sie ihrem Inhalt nach Entscheidungen sind, keinen Verordnungscharakter haben. Das ist auch der Grund dafür, daß der Vertrag für sie die Anwendung der für die Entscheidungen geltenden Normen vorsieht, vor allem hinsichtlich der Klagen, deren Gegenstand sie sein können.

Dem könnte nur anders sein, wenn der Ausdruck „Entscheidung“ in Artikel 173 Absatz 2 in einem allgemeinen Sinn zu verstehen wäre, so daß er etwa mit „Maßnahme“ synonym wäre, nicht aber die präzise Bedeutung hätte, die ihm die Definition von Artikel 189 gibt. Für eine solche Auslegung scheinen die Kläger der Rechtssachen 16 und 17/62 eintreten zu wollen, indem sie vortragen, der Ausdruck „individuelle Entscheidungen“ komme in Artikel 173 nicht vor. Aber, meine Herren, diese These läßt sich schwerlich aufrechterhalten, wenn man sich die Mühe macht, die in Rede stehende Vorschrift ganz zu lesen.

Das Klagerecht wird den „natürlichen oder juristischen Personen“ außer den Mitgliedstaaten, dem Rat und der Kommission zunächst gegen „die an sie ergangenen Entscheidungen“ eingeräumt: das entspricht genau der in Artikel 189 gegebenen Definition der Entscheidung. Die beiden anderen Fälle des Klagerechts setzen einer wie der andere voraus, daß die Entscheidung die natürliche oder juristische Person „unmittelbar und individuell betreffen“ muß. Kann man wirklich annehmen, daß eine jemanden „individuell betreffende“ Entscheidung keine individuelle Entscheidung zu sein braucht? Spielt man da nicht mit Worten? Gerade dieser individuelle Charakter, den die Maßnahme im Hinblick auf eine natürliche oder juristische Person hat, rechtfertigt es im Gegenteil, diese Person, die damit dem Adressaten gleichgestellt wird, das Klagerecht einzuräumen.

Ich glaube daher, daß Entscheidung im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 nur eine individuelle Entscheidung sein kann, die als Verordnung ergangen ist.

Einige Kläger behaupten allerdings gerade, daß die angefochtenen Maßnahmen zumindest in ihren klagegegenständlichen Bestimmungen in Wahrheit individuelle Entscheidungen und keine Verordnungen seien (das ist die Hauptthese der Klagen 19 bis 21/62, auch in der Rechtssache 22/62 wird es in erster Linie vorgetragen). Denn nach Artikel 189 müsse die Verordnung „allgemeine Geltung“ haben, was bei der Verordnung Nr. 26 nicht der Fall sei, weil Maßnahmen, die nur bestimmte Personenkategorien oder -gruppen beträfen, keinen solchen allgemeinen Charakter hätten.

Meine Herren, diese Auffassung des Verordnungsbegriffs ist irrig. Für die Verordnung ist nicht die größere oder geringere Ausdehnung ihres Geltungsbereiches in sachlicher oder räumlicher Hinsicht kennzeichnend, sondern ihre unpersönliche Anwendbarkeit auf objektiv bezeichnete Sachverhalte, so eng und präzis diese auch umrissen sein mögen. Die Verordnung steht also, wie ausgeführt, der individuellen Entscheidung gegenüber, die ein oder mehrere Rechtssubjekte, ein oder mehrere Individuen betrifft. Diese Begriffe sind so elementar, daß mir weitere Ausführungen hierzu unnötig erscheinen.

Im vorliegenden Fall haben aber die angefochtenen Verordnungen weder als Ganzes noch in ihren von den Klagen angegriffenen Teilen auch nur im geringsten den Charakter von individuellen Entscheidungen, von „Entscheidungen“ im Sinne der Artikel 173 und 189 des Vertrages.

Daher halte ich es für zwecklos zu untersuchen, ob die angefochtenen Bestimmungen die Kläger „unmittelbar und individuell betreffen“.

Ich will mich auf die, an sich überflüssige, Bemerkung beschränken, daß es unnötig ist, den klagenden Verbänden in ihren Bemühungen zu folgen, die von ihnen wahrgenommenen Interessen oder Interessensphären und die Bestimmungen der Verordnungen, durch die jene Interessen beeinträchtigt werden, einander gegenüberzustellen. Diese Bemühungen könnten nur in einem anderen Rechtssystem als dem vom Vertrag errichteten zum Erfolg führen, vor allem dann, wenn der Vertrag sich — wie die Rechtsordnungen derjenigen Mitgliedstaaten, die die Anfechungsklage gegen Verordnungen zulasse — darauf beschränkt hätte, gemäß dem allgemeinen, die Anfechtungsklage beherrschenden Grundsatz den Nachweis eines Interesses oder sogar eines unmittelbaren Interesses an der Klageerhebung zu verlangen. Bekanntlich hat der Gerichtshof den Begriff des Interesses bei der Anwendung des EGKS-Ver-trages mehrmals herangezogen, obwohl das Wort nicht im Vertragstext vorkommt. Er hat dies im allgemeinen stillschweigend, einige Male sogar ausdrücklich getan; ferner haben sich die Generalanwälte ausdrücklich auf diesen Begriff gestützt, um gewisse Ergebnisse zu rechtfertigén; auch die Lehre hat oft die Gelegenheit ergriffen, auf diesen Aspekt der Anfechtungsklage hinzuweisen. Dabei handelte es sich aber um die Auslegung gewisser auslegungsbedürftiger Bestimmungen des EGKS-Vertrages. Der Gerichtshof hat andererseits niemals angenommen, daß dieser Interessenbegriff als solcher irgendeinen Einfluß auf den rechtlichen Charakter der angefochtenen Maßnahme haben könne; aus diesem Grunde ist er nicht auf meinen Versuch eingegangen, in den Begriff der individuellen Entscheidung ein. relatives Merkmal aufzunehmen, und hat sich an eine orthodoxe Fassung des Verordnungsbegriffs gehalten, dem er den Begriff der allgemeinen Entscheidung angeglichen zu haben scheint (Urteil Fédéchar, 8/55, vom 16. Juli 1956, RsprGH II 223 f.; Schlußanträge S. 246 ff.). Ein solcher Versuch ist im Rahmen des EWG-Vertrages a fortiori ausgeschlossen.

Denn dieser Vertrag gestattet es nicht, eine Rechtsprechung über das Interesse an der Klageerhebung zu erarbeiten, weil seine Verfasser ganz offensichtlich die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klagen derjenigen Personen, die ich „nicht privilegiert“ genannt habe, selbst bestimmen wollten und dies mit so klaren Worten getan haben, daß für eine Auslegung schwerlich Raum bleibt. Was die Verbände angeht, so ist es richtig, daß sie kaum die Möglichkeit haben, als Kläger aufzutreten, sie können dafür aber auf dem Gebiet der Streithilfe eine wichtige Rolle spielen, wenn der Rechtsstreit auf einem der hierfür eröffneten Wege anhängig gemacht ist. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes ist in diesem Punkte großzügig genug; die Streithilfe stellt auch ein Verfahren dar, das den Verbänden besonders angemessen ist, welche die Wahrnehmung der allgemeinen Interessen der Berufsstände, deren Mitglieder ihnen angehören, zur Aufgabe haben.

Das ist das System, das der Jurist unbefriedigend finden mag, der Richter aber anzuwenden gehalten ist. Es ist hier nicht meine Aufgabe, dieses System zu verteidigen. Es sei nur bemerkt, daß es in sich geschlossen ist und daß gewichtige Argumente für es sprechen.

Es ist in sich geschlossen, denn wenn es grundsätzlich den Privaten das Recht vorenthält, Verordnungen der Gemeinschaft unmittelbar anzufechten, so sieht es doch ausdrücklich die Einrede der Unanwendbarkeit (Artikel 184) und die Vorlage von Vorfragen, die vornehmlich auch die Gültigkeit von Verordnungen betreffen können, an den Gerichtshof (Artikel 177) vor; dadurch hilft es den Nachteilen, die sich aus dem Fehlen einer unmittelbaren Klage ergeben, teilweise ab. In diesem Punkt ist die Rechtslage in der Gemeinschaft ohne Zweifel weniger günstig als die seit kürzerer oder längerer Zeit in einigen Mitgliedstaaten bestehende, sie entspricht aber der in anderen Mitgliedstaaten gegebenen.

Die für das System sprechenden Gründe betreffen im wesentlichen den Charakter einer Quasi-Gesetzgebung, der diesen Verordnungen, die zur Ausführung eines Vertrages erlassen werden, der zu einem großen Teil ein „Rahmengesetz“ ist, gewöhnlich zukommt, und die außerordentlich ernsten Folgen, die in manchen Fällen mit der auch nur teilweisen Aufhebung von Vorschriften verbunden wären, die, wie jeder weiß — und das gilt insbesondere für die Verordnungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft —, nur mit Mühe und nicht ohne manchmal schwer zu erreichende Kompromisse im Rat, der noch an das Erfordernis der Einstimmigkeit gebunden ist, geschaffen werden konnten. Man kann sich die Frage stellen — und Sie wissen, daß manche das heute tun —, ob auf diesem, wie gesagt der Gesetzgebung so nahekommenden Gebiet das wirkliche Gegengewicht zur Tätigkeit der im Rat vertretenen Regierungen nicht in einer wirksameren Einschaltung des parlamentarischen Organs der Gemeinschaft zu suchen sei.

Ich bitte um Nachsicht für diesen Streifzug auf das Gebiet der Politik. Ich habe ihn nur unternommen, um zu zeigen, daß wir es hier mit einer bewußten Entscheidung der Verfasser des Vertrages zu tun haben, die zu korrigieren nicht Sache des Richters sein kann.

Abschließend will ich noch auf die Argumentation eingehen, die in der Klage 22/62 auf die deutschen Verfassungsgrundsätze gestützt wird, von denen der Rechtsschutz beherrscht wird, den die deutsche Rechtsordnung gewährt. Die Antwort ist in einem Ihrer Urteile zu finden (Ruhrkohlen-verkaufsgesellschaften und Nold, 36 bis 38 und 40/59 vom 15. Juli 1960, RsprGH VI 920):

„Der Gerichtshof ist jedoch bei der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Hohen Behörde und somit auch von den im vorliegenden Fall nach Artikel 65 des Vertrages erlassenen Entscheidungen nicht befugt, für die Beachtung solcher innerstaatlichen Vorschriften Sorge zu tragen, die in dem einen oder anderen Mitgliedstaat gelten, mag es sich hierbei auch um Verfassungsgrundsätze handeln.“

Im Ergebnis bin ich der Ansicht, daß die in allen Rechtssachen vom Rat erhobenen prozeßhindernden Einreden zum Erfolg führen müssen und beantrage daher,

die Klagen abzuweisen

und zu erkennen, daß die klagenden Verbände die Kosten des Verfahrens zu tragen haben, die Auslagen der Streithelferin aber zu deren Lasten verbleiben.