Schlußanträge des Generalanwalts

HERRN MAURICE LAGRANGE

1. März 1962

Aus dem Französischen übersetzt

GLIEDERUNG

Seite
 

I — Sachverhalt und Klageanträge

 

II — Zulässigkeit

 

III — Vorliegen eines Schadens und Verjährung

 

IV — Vorliegen eines Amtsfehlers

 

A — Fehler bei der normalen, präventiven Kontrolle

 

B — Fehler bei der Einleitung der Untersuchungen

 

V — Schlußbetrachtungen

Herr Präsident, meine Herren Richter!

I — Sachverhalt und Klageanträge

Die Gesellschaft Chasse und die beiden Gesellschaften Meroni erscheinen wieder einmal vor Ihnen. Sie verlangen diesmal auf Grund des Artikels 40 des Vertrages die Verurteilung der Hohen Behörde zur Wiedergutmachung des Schadens, der ihnen nach ihrer Behauptung dadurch entstanden ist, daß infolge von Betrügereien Schrott zu Unrecht in den Ausgleich einbezogen wurde und sich infolgedessen die den Klägerinnen abverlangten Beiträge entsprechend erhöhten.

Im Laufe des Prozesses ist Ihr Urteil 23/59 vom 17. Dezember 1959 ergangen, mit dem Sie die von der Gesellschaft Feram wegen eines gleichartigen Anspruchs erhobene Klage abgewiesen haben. Die Rechtskraftwirkung dieses Urteils erstreckt sich zwar, wie die Hohe Behörde anerkennt, nicht auf die vorliegenden Rechtssachen, weil die Parteien nicht identisch sind. Soweit sich die Klägerinnen aber auf den gleichen Sachverhalt stützen, ist selbstverständlich eine solche Vorentscheidung ein schwer zu überwindendes Hindernis für ihre Ansprüche. Deshalb ist es auch wichtig zu wissen, und diese Frage muß zunächst geklärt werden, inwieweit sich ihre Anträge von denen unterscheiden, welche die Gesellschaft Feram gestellt hatte.

Chasse (Rechtssache 33/59) stellt folgende Anträge:

„Die Haftung der Hohen Behörde der EGKS dafür festzustellen, daß sie nicht verhindert hat, daß in den Jahren 1954 bis 1957 bedeutende Mengen Schrott verkauft wurden, für die als Berechtigungsnachweise betrügerische Abwrackbescheinigungen des Leiters der Abteilung Eisen und Stahl des niederländischen Wirtschaftsministeriums vorgelegt wurden.

Einen geeigneten Sachverständigen damit zu beauftragen, den genauen Betrag des der Klägerin im Lauf der Jahre 1954 bis 1957 durch den Amtsfehler der Ausgleichseinrichtungen entstandenen Schadens zu ermitteln.

Die Hohe Behörde zur Wiedergutmachung des verursachten Schadens und zur Zahlung von Verzugszinsen zu verurteilen.“

Diese Anträge stimmen mit denen von Feram fast Wort für Wort überein.

Die Anträge von Meroni (Erba) Rechtssache 46/59) dekken sich im ersten Teil praktisch mit denen von Feram und Chasse, es kommt aber noch folgendes hinzu:

„Die Haftung der Hohen Behörde auch für alle anderen sich etwa im Lauf des Rechtsstreits ergebenden Tatsachen festzustellen“

und ferner

„… erforderlichenfalls einen von Amts wegen zu bestellenden Sachverständigen damit zu beauftragen, die Schrottmengen genau zu ermitteln …, die zum Schaden der dem obligatorischen Ausgleichsverfahren unterworfenen Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie der Gemeinschaft mittels falscher Bescheinigungen oder anderer betrügerischer Machenschaften betrügerisch verkauft wurden, in der Absicht, mißbräuchlich die Ausgleichsvergütung für Importschrott zu erlangen“.

Die Anträge von Meroni (Settimo Torinese) (Rechtssache 47/59) sind etwa die gleichen wie die von Meroni (Erba).

Es wird also nicht abgestellt auf die mit den falschen Bescheinigungen des Beamten des niederländischen Wirtschaftsministeriums begangenen Betrügereien, sondern auf alle Betrügereien, die von 1954 bis 1957 zu unrechtmäßigen Ausgleichszahlungen für Schrott geführt haben.

Diese Unterschiede in den Anträgen erklären sich leicht durch die verschiedenen Zeitpunkte der Klageerhebung (April und Juli 1959): Das Ausmaß der Betrügereien, die nicht nur in den Machenschaften des niederländischen Beamten bestanden, ist erst nach und nach entdeckt worden. Erst nach Abschluß des schriftlichen Verfahrens und vor allem mit Hilfe der Veröffentlichung des Berichts der Hohen Behörde vom 8. April 1961 war es möglich, sich eine genaue Vorstellung davon zu machen, wie die Betrügereien begangen wurden, und ihr Ausmaß ungefähr abzuschätzen. Aus diesem Grunde hat der Gerichtshof in seinem Beschluß vom 2. Juni 1960 zwar die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluß der in Gang befindlichen Untersuchung abgelehnt, aber die Vorlegung des endgültigen Berichts der Hohen Behörde nach seiner Fertigstellung angeordnet und die mündliche Verhandlung erst eröffnet, nachdem mehrere Monate seit seiner Vorlegung vergangen waren, und auch die Parteien die Unterlagen beigebracht hatten, deren Vorlegung ihnen gestattet worden war. Wir lesen übrigens im Bericht des Herrn Berichterstatters (auf Seite 4):

„Die vorstehend dargelegte Chronologie der Ereignisse macht deutlich, daß die Parteien im schriftlichen Verfahren nur zu Teilaspekten der erwähnten Unregelmäßigkeiten Stellung nehmen konnten. Entsprechend ist daher die Wiedergabe des Vorbringens der Parteien (unten III) zu verstehen.“

II — Zulässigkeit

Diese wenigen Bemerkungen erlauben mir schon, zu der vom Vertreter der Hohen Behörde in der mündlichen Verhandlung wegen angeblicher Klageänderung erhobenen Einrede der Unzulässigkeit Stellung zu nehmen, zumindest soweit sie die zwei Rechtssachen Meroni betrifft. Es liegt keine Änderung des Streitgegenstandes vor, die im französischen Recht „demande nouvelle“ genannt wird, weil die Klageanträge, wie wir gesehen haben, ausdrücklich auf alle Betrügereien gestützt sind, die zu unrechtmäßigen Ausgleichszahlungen geführt haben. Es ist zwar richtig, daß die Klageanträge zur Beurteilung ihrer Tragweite weder zu sehr nach dem Buchstaben noch zu extensiv ausgelegt werden dürfen. Sie müssen vielmehr aus dem Zusammenhang der sie begleitenden Ausführungen verstanden werden. Die Hohe Behörde meint daher, der einzige wirkliche Streitgegenstand zur Zeit der Klageerhebung sei ebenso wie in der Rechtssache Feram in den Betrügereien mit den durch den niederländischen Beamten ausgestellten falschen Bescheinigungen zu erblicken gewesen.

Meine Herren, ich bin anderer Ansicht. Ziel der Klageanträge ist es, Ersatz für den Schaden zu erlangen, der durch einen Amtsfehler der Hohen Behörde und der Brüsseler Organe bei der Erfüllung ihrer Pflicht zur Kontrolle der Herkunft des in den Ausgleich einbezogenen Schrotts entstanden ist. Klagegrund ist also der Amtsfehler, der sich daraus ergibt, daß infolge fehlender oder unzulänglicher Kontrolle unrechtmäßige Ausgleichszahlungen möglich waren. Die betrügerischen Manipulationen des niederländischen Beamten stellen wohl eine Erscheinungsform der Betrügereien dar, „einen der Aspekte der Unregelmäßigkeiten“, wie es der Berichterstatter ausgedrückt hat; sie bilden aber nicht den rechtlichen Grund der Klage: im Gegenteil, die Hohe Behörde hat — übrigens mit Erfolg — diese Manipulationen als entlastende Umstände angeführt, da das persönliche Verschulden des Beamten einer innerstaatlichen Verwaltung die Haftung der Gemeinschaft nicht begründen konnte. Es wird also kein neuer Klagegrund geltend gemacht, wenn noch andere Betrugsfälle angeführt werden, die das gleiche Ergebnis gehabt haben: Klagegrund ist immer der Fehler, der bei der Kontrolle der Herkunft des Schrotts begangen worden ist.

Ich habe deshalb keinen Zweifel daran, daß die Anträge der zwei Gesellschaften Meroni in ihrer Gesamtheit zulässig sind.

Dagegen halte ich es angesichts ihrer eindeutigen Fassung nicht für möglich, den in der Rechtssache Chasse gestellten Anträgen die gleiche Tragweite beizumessen. Der Klagegrund ist wohl der gleiche wie in den Klagen Meroni. Schadensersatz wird aber nur für die Folgen der Ausstellung falscher Bescheinigungen durch den Beamten des niederländischen Wirtschaftsministeriums verlangt. Dieses Ergebnis ist bei der Ähnlichkeit der drei Klagen gewiß unbefriedigend. Aber das Verfahrensrecht hat seine Regeln, die eben nicht immer mit der Billigkeit in Einklang zu bringen sind. Das ist um so bedauerlicher, als auf diesem Gebiet, sieht man von der sogleich zu erörternden Verjährung ab, anders als bei den Anfechtungsklagen keinerlei Fristen zu beachten sind. Es ist keine vorausgegangene Entscheidung vorhanden; vorbehaltlich der Verjährung hätte also die Gesellschaft Chasse jederzeit ihre Anträge ergänzen oder, wenn die Strenge unseres Verfahrensrechts ihr das nicht erlaubt hätte, eine neue Klage einreichen können.

Wie dem auch sei, diese Beschränkung betrifft nur die Art und die Höhe des Schadens, nicht die Tatsachen und Argumente, mit deren Hilfe die Klägerin die Verantwortlichkeit der Hohen Behörde bei der Erfüllung ihrer Kontrollaufgabe nachzuweisen sucht. In dieser Hinsicht ist die Lage völlig die gleiche wie in den beiden anderen Prozessen. Ich halte die Klägerin daher für berechtigt, sich auf alle neu hervorgetretenen Umstände zu berufen, die geeignet sind, die Haftung der Hohen Behörde aus der Gesamtheit der Betrügereien — einschließlich derer, für die die Gesellschaft Chasse Schadensersatz verlangt — herzuleiten, da diese Betrügereien nur infolge der Fahrlässigkeit der Hohen Behörde ein solches Ausmaß haben annehmen können. Kurz, die Klage von Chasse wird ebenso zu beurteilen sein wie die beiden anderen, nur ist darauf zu achten, daß im Tenor des Urteils nicht ultra petita entschieden wird.

III — Vorliegen eines Schadens und Verjährung

Ich habe mich jetzt mit einem zweiten Einwand der Hohen Behörde auseinanderzusetzen, der besagt, daß mindestens zur Zeit kein Schaden vorhanden ist, ich möchte sagen, kein „entstandener und noch bestehender“ Schaden. Hieraus würde auch folgen, daß die Verjährungsfrist noch nicht zu laufen begonnen hätte und daß alle diese Klagen zumindest verfrüht wären. Wie die Hohe Behörde anführt, bemüht sie sich um den Wiedereinzug der zu Unrecht geleisteten Ausgleichszahlungen; ein Teil der Forderungen sei übrigens bereits beigetrieben. Erst nach Abschluß dieser Maßnahmen könne genau festgestellt werden, ob und in welchem Maße der endgültige Betrag der Beiträge zur Ausgleichskasse höher sein wird, als er ohne die Betrügereien gewesen wäre.

Diesen Einwand halte ich nicht für stichhaltig. Man muß zwischen dem Bestehen des Schadens und der Feststellung seiner Höhe unterscheiden. Es ist aber ganz unwahrscheinlich, daß der Wiedereinzug vollständig gelingen wird. Der Gerichts hof hat im Urteil Mannesmann und andere — 4 bis 13/59 — vom 4. April 1960 entschieden, daß die Hohe Behörde nicht berechtigt ist, die unrechtmäßigen Zahlungen von den Unternehmen zurückzufordern, die den Schrott verbraucht haben. Die Hohe Behörde (oder das Büro) muß also die Beitreibung bei denen versuchen, die die Betrügereien begangen haben, was selbst bei größter Sorgfalt kaum die vollständige Beitreibung erhoffen läßt. Der Bericht der Hohen Behörde, Seiten 43 ff., ist in dieser Hinsicht aufschlußreich. Übrigens umfaßt der Schaden, worauf der Prozeßbevollmächtigte der Klägerinnen hingewiesen hat, auch die bedeutenden Kosten, die durch die Kontrollmaßnahmen veranlaßt worden sind. Man müßte jedoch andererseits die Ausgaben schadenmindernd berücksichtigen, die durch die Errichtung eines zufriedenstellenden präventiven Kontrollsystems veranlaßt worden wären. Die Klägerinnen werfen der Hohen Behörde ja gerade vor, kein solches System geschaffen zu haben, solange die Ausgleichseinrichtung in Tätigkeit war.

Ein konkreter Schaden scheint mir daher gegeben zu sein, wenn auch sein Umfang noch nicht feststeht. Das ist keineswegs eine außergewöhnliche Situation. Sie erinnert beispielsweise an den Fall, daß ein Unfall mit Körperschaden eine Beschränkung der Erwerbsfähigkeit zur Folge hat, deren Dauer und Grad noch unbekannt sind. Der Richter wird trotzdem entscheiden.

Aus analogen Gründen bin ich der Ansicht, daß die Verjährungsfrist seit langem zu laufen begonnen hat und daß die Klägerinnen gut daran getan haben, sie durch ihre Klagen zu unterbrechen. Artikel 40 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofes schreibt vor:

„Die in Artikel 40 Absatz 1 und 2 des Vertrages vorgesehenen Klagen verjähren innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt des Umstands, der zu ihrer Erhebung Anlaß gibt.

Der „Umstand, der zu ihrer Erhebung Anlaß gibt“, ist bei den vorliegenden Klagen in den unrechtmäßigen Ausgleichs Zahlungen für Schrott zu erblicken, d. h. in den Zahlungen, die nach Ihrem Urteil 4 bis 13/59 nicht von den Unternehmen zurückverlangt werden können, die den Schrott verbraucht haben. Diese Zahlungen sind die Ursache des Schadens, der in der entsprechenden Erhöhung der Beiträge besteht. Man kann sich natürlich Fälle vorstellen, in denen sich ein Schaden erst mehr als fünf Jahre nach seiner Entstehung zeigt. Das ist aber die unabänderliche Konsequenz des Instituts der Verjährung, dessen Zweck nicht darin besteht, der Nachlässigkeit der Gläubiger eine Grenze zu setzen, sondern darin, eine gewisse Sicherheit in den Rechtsbeziehungen zu schaffen.

Bevor ich mich zur Hauptsache äußere, ist noch eine Klarstellung der Bedeutung des Urteils Feram notwendig. Wie schon gesagt, werden die vorliegenden Rechtssachen zweifellos von seiner Rechtskraftwirkung nicht erfaßt. Ich will aber dennoch die in diesem Urteil gefällten Entscheidungen, jedenfalls in den wesentlichen Punkten, nicht erneut zur Erörterung stellen. Das gilt zunächst für den Teil, in dem die These von der „objektiven Haftung“ verworfen wird, auf die sich Feram hauptsächlich gestützt hatte und die auch in den gegenwärtigen Klagen wieder erscheint: Die Haftung nach Artikel 40 beruht auf dem „Amtsfehler“; es handelt sich um eine subjektive Haftung, und ein Verschulden muß nachgewiesen sein. Ferner braucht der Gerichtshof meines Erachtens auch den Teil des Urteils nicht zu verleugnen, in dem die Hohe Behörde von der Haftung für die Machenschaften des Beamten einer innerstaatlichen Verwaltung freigestellt wird, der nicht als für Rechnung oder im Namen der Gemeinschaft handelnd angesehen werden kann. Dasselbe gilt, so glaube ich, schließlich für den Teil des Urteils, demzufolge ein Amtsfehler nicht darin zu erblicken ist, daß die Ausstellung der Bescheinigungen den zuständigen nationalen Behörden anvertraut wurde, da diese Bescheinigungen zugleich die rechtliche Grundlage für die Wiederausfuhr des Schrotts bildeten.

Das alles ist an sich unbedingt zutreffend. Die gegenwärtige Rechtssache bewegt sich aber auf einer viel allgemeineren Ebene. Es geht um die Haftung der Hohen Behörde für die mangelhafte Organisation der Herkunftskontrolle des in den Ausgleich einbezogenen Schrotts. Die beträchtliche Ausdehnung der verschiedenartigsten Betrügereien, die durch die nachträglichen Kontrollen der Treuhandgesellschaften aufgedeckt wurden, gibt Anlaß zu der Frage, ob darin nicht ein Indiz für einen Fehler in der Organisation und in der Arbeitsweise der Verwaltungs- und Aufsichtsorgane zu erblicken ist, für einen Fehler also, den die pflichtwidrigen Machenschaften eines Beamten auf einem Teilgebiet für sich allein noch nicht vermuten lassen konnten. Übrigens ist durch die Untersuchung kein weiterer Betrugsfall in der Art des von dem niederländischen Beamten begangenen (schon gesunkene und auf dem Meeresgrund ruhende Schiffe) zutage getreten. (Poher-Bericht Nr. 44).

Was die Art der entdeckten Betrügereien und ihre verschiedenen Formen angeht, so kann ich nur auf den Bericht der Hohen Behörde, Nr. 41 bis 73, verweisen, der sehr aufschlußreich ist. Nehmen wir aufs Geratewohl Beispiele: Bei Einfuhrschrott: Erschleichung von Ausfuhrgenehmigungen (10601 Tonnen), Vorlegung von Zollquittungen, die durch Photomontage gefälscht waren (4092 Tonnen), Ausgleichszahlung für eine größere Menge als auf den Zollerklärungen vermerkt war (433 Tonnen), doppelte Verwendung von Konnossementen (8500 Tonnen). Bei Abwrackschrott, der bekanntlich dem Einfuhrschrott gleichgestellt war, wird von einem in Prozenten geschätzten Schrottertrag ausgegangen, beispielsweise 60 % der Tonnage des Schiffes. Sind größere Mengen geliefert worden, so ist ein Betrug zu vermuten, was in einigen Fällen die Anrufung der Gerichte ermöglicht hat. Es gibt schließlich noch eine Sonderkategorie, den Heeresschrott. Hierbei handelt es sich um Schrott, der den amerikanischen Streitkräften in Deutschland abgekauft wurde und zollrechtlich als noch nicht in die Bundesrepublik eingeführt galt. Nach dem Bericht der Hohen Behörde (Nr. 48 am Ende) haben

„die Kontrollen … ergeben, daß man sich durch Deklaration einer zu großen Menge und Zahlung des entsprechenden Zolls ein Dokument beschaffen konnte, auf Grund dessen ein der deklarierten Menge entsprechender Ausgleichsbetrag beansprucht werden konnte“.

Unter anderen werden hier folgende Unregelmäßigkeiten hervorgehoben: gefälschte Zollquittungen (10133 Tonnen), erschlichene Zollquittungen (54034 Tonnen) usw… Von einer Gesamtmenge von 181000 Tonnen Heeresschrott sind 87050 Tonnen zu Unrecht in den Ausgleich einbezogen worden; das ist fast die Hälfte!

Die Gesamtmenge des zu Unrecht in den Ausgleich einbezogenen Schrotts macht nach der Antwort der Hohen Behörde auf eine Frage des Herrn Richters Hammes 229889 Tonnen von insgesamt 13018270 Tonnen aus.

IV — Vorliegen eines Amtsfehlers

Es muß nunmehr versucht werden, die Frage zu beantworten, ob nach der Gesamtheit der heute bekannten Tatsachen das Vorliegen eines „Amtsfehlers“ im Sinne des Artikels 40 des Vertrages zu erkennen ist.

Hierzu sind mehrere Bemerkungen notwendig.

Erste Bemerkung: Man muß zunächst das Wesen des behaupteten Fehlers genau definieren, um zu wissen, welche Verantwortlichkeit er nach sich ziehen kann. Wie ich ausgeführt habe, handelt es sich um einen Fehler bei der Kontrolle der Herkunft des Schrotts. Das Wort Kontrolle ist aber zweideutig. Sein Sinn verändert sich, je nachdem welche Verantwortlichkeit man ins Auge faßt, die des GBSV und der Kasse oder die der Hohen Behörde. Die Herkunftskontrolle des Schrotts durch die Brüsseler Organe und die Regionalbüros stellt einen Teil der Funktionen der Ausgleichseinrichtung selbst dar: Es handelt sich hier um eine Verantwortlichkeit in der Verwaltungsführung. Die Kontrolle durch die Hohe Behörde gehört zum Bereich ihrer allgemeinen Verantwortlichkeit, wie sie sich aus Artikel 53 ergibt: Es handelt sich also um eine Verantwortlichkeit in der Wahrnehmung der Aufsicht.

Es ist richtig, daß die Hohe Behörde, wenigstens lange Zeit hindurch, erklärt hat, sie übernehme die volle Verantwortung für die Amtsfehler der Brüsseler Organe. Sie hat dies noch in der Rechtssache Feram getan; erst später scheint sie versucht zu haben, diese Verantwortlichkeit von sich zu weisen. Zu denken ist etwa an ihre Haltung gegenüber der Klage Fives Lille und andere (ich erinnere vor allem an das Plädoyer von Herrn de Laubadère). Sie haben es aber in Ihrer Rechtsprechung immer abgelehnt, einen Unterschied zu machen. Sie rechnen nicht nur die Tätigkeit der Brüsseler Organe zum öffentlichrechtlichen Bereich, obwohl diese Organe juristische Personen des Privatrechts sind, sondern Sie stellen auch deren Handlungen den Entscheidungen der Hohen Behörde gleich. In einem Ihrer Urteile sind Sie sogar so weit gegangen, das Gemeinsame Büro als ein Organ der Hohen Behörde zu bezeichnen (Mannesmann und andere, bereits zit., RsprGH VI d 291). Auf dem Gebiet des Amtsfehlers hat das Urteil Fives Lille ebenfalls die These bestätigt, daß die Hohe Behörde für die Fehler der Ausgleichsorgane verantwortlich ist.

Das ist sehr wichtig, weil die Verantwortlichkeit eines mit der eigentlichen Verwaltung befaßten Organs offensichtlich viel weiter geht als die eines Aufsichtsorgans. Während im allgemeinen bei letzterem eine grobe Fahrlässigkeit zur Auslösung der Haftung für erforderlich gehalten wird, genügt bei ersterem, dem „unmittelbar“ verantwortlichen Organ, schon eine leichte Fahrlässigkeit.

Zweite Bemerkung: Der Bericht des Europäischen Parlaments (den ich von nun an „Poher-Bericht“ nennen will) behandelt die politische Verantwortlichkeit der Hohen Behörde — und konnte auch keinen anderen Gegenstand haben. Aus diesem Grunde befaßt er sich nur mit der unzulänglichen Erfüllung der Aufsichtspflicht, die ihr den Brüsseler Organen gegenüber oblag, nicht dagegen mit der zivilrechtlichen Haftung der Hohen Behörde, vor allem nicht mit der Haftung, die sie nach Ihrer Rechtsprechung ipso iure für das schlechte Funktionieren jener Organe trägt.

Letzte Bemerkung: Mehrmals hebt der Poher-Bericht die Tatsache hervor, daß die einstimmige Zustimmung des Rates, die notwendig war, um die Ausgleichseinrichtung obligatorisch zu machen, nur durch die Zusicherung erlangt werden konnte, daß die Hohe Behörde sich jeder Einmischung in das innere Funktionieren der Einrichtung und vor allem jeder Kontrolle über ihre Verwaltung enthalten werde. Der Poher-Bericht sieht darin verständlicherweise eine erhebliche Milderung der Verantwortlichkeit der Exekutive. Dieser Umstand kann aber wiederum nur auf dem Gebiet der politischen Verantwortlichkeit in Betracht gezogen werden. Rechtlich kann er aus zwei Gründen nicht berücksichtigt werden: einmal weil die „Bedingung“, die der Rat seiner Zustimmung demnach beigefügt hätte, angenommen sie sei bewiesen, die Hohe Behörde rechtlich nicht von ihrer Verantwortlichkeit nach Artikel 53 entbinden konnte, was sie übrigens inzwischen selbst anerkannt hat; ferner deswegen, weil Artikel 40 Amtsfehler der Gemeinschaft betrifft und nicht Amtsfehler dieser oder jener Institution. Der Rat ist aber eine Institution der Gemeinschaft. Für die Geschädigten ist es daher ohne Belang, ob die Verantwortung geteilt ist, wie es den Anschein hat, oder ob sie der Hohen Behörde allein aufzuerlegen ist. Es handelt sich immer um die Haftung der Gemeinschaft, die nach dem EGKS-Vertrag allein mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist. Die Gemeinschaft wird aber im vorliegenden Fall Dritten gegenüber durch die Hohe Behörde allein vertreten. Folglich kann für die rechtliche Betrachtung in der Haltung des Rates keine Haftungsmilderung erblickt werden.

Gestützt auf diese Bemerkungen will ich nun untersuchen, ob das Verhalten der Brüsseler Organe und der Hohen Behörde als amtsfehlerhaft im Sinne des Artikels 40 des Vertrages zu betrachten ist.

Zwei vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen zu Beginn seiner mündlichen Ausführungen vorgebrachte Argumente müssen meines Erachtens verworfen werden. Nach dem ersten soll es regelwidrig gewesen sein, der Hohen Behörde die Untersuchung ihres eigenen Verhaltens zu übertragen: sie habe Gegenstand der Untersuchung sein müssen, nicht Untersuchender.

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß die Untersuchung im wesentlichen das Funktionieren der Ausgleichseinrichtung betreffen sollte, für das die Brüsseler Organe zu sorgen hatten. Bei der Hohen Behörde selbst geht es nicht um ein Versagen ihrer Dienststellen, sondern um die grundsätzliche Haltung, die sie durch die Weigerung eingenommen hat, sich mit der Verwaltung der Ausgleichseinrichtung zu befassen. Die eigenen Dienststellen der Hohen Behörde waren nicht besonders im Spiele. Überdies ist es in der öffentlichen Verwaltung normal, daß eine Untersuchung der Arbeitsweise der Dienststellen dieser Verwaltung Staatsbeamten, ja sogar Beamten des Amtes selbst übertragen wird, um dessen Handlungen es geht. Genau das ist die Aufgabe der Kontroll- und Aufsichtsorgane.

Mit dem zweiten Argument, das wir schon oft gehört haben, wird die Nützlichkeit der Ausgleichseinrichtung selbst bestritten, die durchaus nicht zur Einsparung von drei Milliarden Dollar durch die Eisen- und Stahlindustrie geführt habe, und deren unnatürlicher Charakter sich immer mehr verstärkt habe, wie der Überfluß an Schrott und dessen niedriger Preis seit ihrer Abschaffung bewiesen.

Hierauf antworte ich — ohne mich auf diese Streitfrage einzulassen —, daß es sich hier um wirtschaftspolitische Entscheidungen handelt, welche die Hohe Behörde nur gegenüber dem Parlament zu verantworten hat. Wenn die Staaten ihren Bürgern für die in ihrer Wirtschaftspolitik begangenen Fehler auf Schadensersatz haften müßten, wären die meisten von ihnen zweifellos längst ruiniert.

Meines Erachtens muß man unterscheiden zwischen dem, was über eine normale, präventive Kontrolle, und dem, was zur Einleitung der Untersuchungen nach Bekanntwerden der ersten Betrügereien zu sagen ist.

A —

Fehler bei der normalen, präventiven Kontrolle. Die Kontrolle der Herkunft des Schrotts gehörte, wie gesagt, zu den Funktionen der Organe, denen die eigentliche Verwaltung oblag. Es war offensichtlich eine der wesentlichen Aufgaben der mit der Verwaltung der Ausgleichseinrichtung betrauten Organe, die ordnungsgemäße Herkunft des Schrotts festzustellen, bevor sie diesen in den Ausgleich einbezogen.

Diese Nachprüfung bedurfte aus den folgenden Gründen a priori besonderer Sorgfalt:

1.

Der erste hängt mit dem großen Preisunterschied zwischen eingeführtem oder gleichgestelltem Schrott und Binnenschrott zusammen. Allein schon deswegen war die Versuchung sehr groß, dem Binnenschrott nach Möglichkeit die Vorteile des Preisausgleichs zu verschaffen, indem man ihn als Importoder Abwrackschrott ausgab. Übrigens mußte auch der in vieler Hinsicht besondere Charakter des Schrotthandels zu größter Vorsicht Anlaß geben, der weder der Hohen Behörde noch erst recht den Eisen- und Stahlfachleuten, die die Einrichtung verwalteten, unbekannt sein konnte.

Das galt ganz besonders auf drei Gebieten: 1. Für den Abwrackschrott, bei dem es wegen der Unsicherheitsfaktoren seiner Gewinnung und der Ungenauigkeit der Tonnageverhältnisse der abzuwrackenden Schiffe, die gewöhnlich der Kontrolle zugrunde gelegt werden, praktisch unmöglich ist, die Herkunft auf die Tonne genau nachzuprüfen. Unter diesen Umständen ist es unerläßlich, die damit verbundenen Vorgänge so genau wie möglich zu überwachen.

2.

Für den sogenannten „Umtauschschrott“

Mein Kollege Roemer hat in seinen Schlußanträgen zur Sache Mannesmann und andere (RsprGH VI d 323) hierüber folgendes ausgeführt:

„Es hat sich offenbar — nach dem, was wir hier gehört haben — im Schrotthandel eingebürgert, an Stelle von Schrott, der aus der Abwrackung von Schiffen gewonnen werden sollte, Gemeinschaftsschrott zu liefern und wie Abwrackschrott am Ausgleich teilnehmen zu lassen, wenn dafür der erst noch zu gewinnende Abwrackschrott später zu Inlandspreisen auf den Markt gebracht wurde. Dieses Verfahren wurde geduldet im Hinblick darauf, daß die Abwrackung sich häufig über einen längeren Zeitraum erstreckt.

Man mag gegen diese Praxis Bedenken äußern wegen der Schwierigkeit, die mit einer zuverlässigen Kontrolle bei der Abwicklung solcher Geschäfte verbunden sind. Es erscheint aber nicht unmöglich, eine ordnungsmäßige Abwicklung derartiger Ersatzgeschäfte zu gewährleisten und damit ihre Zulässigkeit zu bejahen.“

Es ist klar, daß diese Praxis ihrem Wesen nach zu zahlreichen Mißbräuchen geradezu anreizen mußte. Die Brüsseler Organe haben dies übrigens erkannt und in den Sitzungen vom 22. und 24. April 1958 beschlossen:

„Der sogenannte Umtauschschrott wird nicht mehr zum Ausgleich zugelassen, da die Erfahrung gezeigt hat, daß die Überprüfung der Herkunft dieser Art Schrott Unsicherheitsfaktoren aufweist.“ (Anlage III zum Poher-Bericht).

3.

Für den „Heeresschrott“, über den ich bereits das Notwendige gesagt habe.

Was kann man nun angesichts dieser allgemeinen und besonderen Erfordernisse der Kasse und dem Büro einerseits, der Hohen Behörde andererseits vorwerfen?

1.

Bei den Brüsseler Organen handelt es sich, wie gesagt, um die Verantwortlichkeit für die Verwaltungsführung. Über diesen Punkt lesen wir im Poher-Bericht (Nr. 31) folgendes:

„Die Geschäftsführung der Brüsseler Organisationen scheint in mehr als einer Hinsicht Anlaß zu Kritik zu geben. Die Leiter der Brüsseler Organisationen waren sich nicht genügend der Tatsache bewußt, daß sie ein öffentliches Amt ausübten. Bei den Zahlungen und bei der Sichtung der Belege und Dokumente hätten sie strenger verfahren müssen.“

Eines der schlagendsten Beispiele für diesen Mangel an Strenge bei der Prüfung der Belege und Dokumente bietet die Arbeitsweise des Regionalbüros in Mailand (Campsider), über die der Absatz 71 des Berichts der Hohen Behörde folgendes enthält:

„Die von der Hohen Behörde durchgeführte Kontrolle hat erwiesen, daß die vom Regionalbüro Mailand vorgelegten Akten kein einziges Dokument enthielten, mit dem Ursprung und Herkunft des in den Ausgleich einbezogenen Schrotts vollgültig bewiesen werden konnte.“

Den Brüsseler Organen ist auch die Unzulänglichkeit ihrer Aufsicht über die Regionalbüros zur Last zu legen.

2.

Die Hohe Behörde muß sich vornehmlich den Vorwurf machen lassen, und dieser Vorwurf kennzeichnet die ganze Angelegenheit, daß sie es lange Zeit abgelehnt hat, ihre Verantwortlichkeit für die Aufsicht über die Verwaltung der Ausgleichseinrichtung anzuerkennen. Bei der Errichtung der obligatorischen Ausgleichseinrichtung war aber in der Entscheidung Nr. 22/54 ausdrücklich angeordnet worden, daß

„mit der Verwaltung dieser Einrichtung … unter der Verantwortlichkeit der Hohen Behörde das Gemeinsame Büro der Schrott-verbraucher … und die Ausgleichskasse für eingeführten Schrott… beauftragt“

werden. Zu diesem Punkt ist unter der gleichen Nr. 31 des Poher-Berichts zu lesen:

„Andererseits konnte die Hohe Behörde den Standpunkt vertreten, daß die Industriellen und Beteiligten selbst für Ordnung sorgen könnten. Es ist jedoch immer zwischen Geschäftsgepflogenheiten und der Verwaltung von Mitteln einer Einrichtung zu unterscheiden, die unter der Verantwortung einer öffentlichen Behörde tätig ist. Leider scheint dieser Unterschied nicht immer gemacht worden zu sein.“

Man kann sicherlich nicht behaupten, daß die Hohe Behörde die Betrügereien durch eine organisierte Kontrolle der Verwaltung der Ausgleichseinrichtung vollständig hätte verhindern können. Es ist aber doch anzunehmen, daß eine solche Aufsicht für die ausführenden Organe ein Ansporn gewesen wäre und dazu geführt hätte, daß die Betrügereien früher entdeckt worden wären und nicht ein solches Ausmaß hätten annehmen können.

Andererseits kann man der Hohen Behörde nicht den Vorwurf machen, daß sie den öffentlichrechtlichen Charakter, den der Gerichtshof unter den oben wiedergegebenen Bedingungen den mit der Verwaltung der Ausgleichseinrichtung betrauten Organen in der Folge zugesprochen hat, nicht von sich aus erkannt hat: So hatte der Vertreter der Hohen Behörde beim Rat der Kasse diesen am 24. März 1955 aufgefordert, die Société Fiduciaire de Belgique mit der Überprüfung vor allem der Abrechnungen über den Ausgleich zu beauftragen; er hatte sich also in diese Überprüfung, die übrigens keine großen Ergebnisse gehabt zu haben scheint, in keiner Weise selbst einmischen wollen. Es bleibt meines Erachtens trotzdem dabei, daß die grundsätzliche Weigerung der Hohen Behörde, die Verwaltung einer solchen ihrer Verantwortung unterstehenden Einrichtung zu beaufsichtigen, für sich allein einen spezifischen Amtsfehler darstellt.

B —

Fehler bei der Einleitung der Untersuchungen. Es versteht sich von selbst, daß sich nach Entdeckung der ersten Betrügereien besondere Maßnahmen aufdrängten, damit weitere Betrügereien (für deren Vorhandensein nach Bekanntwerden der ersten eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestand) aufgedeckt und für die Zukunft ähnliche Praktiken verhindert werden konnten.

Auch hier will ich zwischen den Fehlern der Brüsseler Organe und denen der Hohen Behörde unterscheiden.

1.

Die Brüsseler Organe scheinen schon lange vor der Anzeige des Herrn Worms vom November 1957 über gewisse Unregelmäßigkeiten oder wenigstens deren Möglichkeit informiert gewesen zu sein (Poher-Bericht Nr. 40). Erst am 15. März 1958 hat aber die Kasse auf Intervention der Hohen Behörde die Schweizerische Treuhandgesellschaft mit Nachforschungen über die Herkunft des Schrotts beauftragt. Dieser Auftrag war streng begrenzt (Poher-Bericht Nr. 36). Offensichtlich wollte man damals in Brüssel die Ermittlungen nicht weiter ausdehnen, was erst im August 1958 geschehen ist. In der Zwischenzeit konnten die Betrügereien ungehindert fortgesetzt werden.

2.

Die Hohe Behörde steht sicherlich nicht im Verdacht, sie habe die Bedeutung der Sache verkleinern wollen. Immerhin hat sie zu jener Zeit, das läßt sich zumindest sagen, keinen übermäßigen Eifer gezeigt. Das wird durch die Daten bewiesen: Die Anzeige Worms ist im November 1957 erstattet. Erst am 29. September 1958 nimmt aber die Hohe Behörde die Überwachung der Untersuchung selbst in die Hand und erteilt der Schweizerischen Treuhandgesellschaft einen unbegrenzten Auftrag. Die Zeit zwischen diesen Daten ist mit Studien, Sitzungen und Schriftwechsel mit der Kasse erfüllt. Der Poher-Bericht (Nr. 30) gibt das alles wieder.

Für diese Zeit kann man der Hohen Behörde, abgesehen von der übertriebenen Umsicht (um nicht zu sagen Langsamkeit), die sie gezeigt hat, hauptsächlich den Vorwurf machen, daß sie sich bis Ende August 1958 der Begrenztheit des vom GBSV der Schweizerischen Treuhandgesellschaft am 15. März des gleichen Jahres erteilten Auftrags nicht bewußt geworden ist! (Poher-Bericht Nr. 38 vorletzter Absatz).

Von September an hat die Hohe Behörde dagegen alles in die Hand genommen und, zugleich mit der durch das Urteil Meroni veranlaßten Umorganisation der Ausgleichseinrichtung, die größten Anstrengungen unternommen, um die Betrügereien aufzudecken und die Täter im Zusammenwirken mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gerichtlich zu verfolgen. Es scheint, daß gegenwärtig die Fortsetzung dieser Bemühungen vor allem vom guten Willen der genannten Behörden und ihrer Bereitschaft zur Zusammenarbeit abhängt.

Welche Schlüsse sind aus alledem zu ziehen?

Meines Erachtens steht fest, daß den Brüsseler Organen ein Fehler vorzuwerfen ist: den Leitern und Mitgliedern dieser Organe konnte die mit dem System selbst verbundene beträchtliche Gefahr von Betrügereien und infolgedessen die Notwendigkeit einer angemessenen Organisation der Verwaltung und Rechnungsführung nicht unbekannt sein. Die errichtete Organisation entsprach diesen Erfordernissen aber nicht, es wurden auch Nachlässigkeiten in der Geschäftsführung selbst, vor allem auf der Stufe der Regionalbüros, festgestellt. Ihre Haltung hat sich auch nicht geändert, als die ersten Betrügereien entdeckt wurden, und sie haben die notwendigen Verbesserungen est verspätet und unter dem — anfangs ebenfalls zögernden und behutsamen — Druck der Hohen Behörde vorgenommen.

Was die Hohe Behörde betrifft, so wäre mir ihre Langsamkeit in den Monaten nach der Entdeckung der ersten Betrügereien, mag sie auch bedauerlich sein, allein noch nicht als ausreichender Grund für die Feststellung eines Amtsfehlers im Sinne des Artikels 40 erschienen. Einen unbestreitbaren Amtsfehler hat sie aber begangen, indem sie aus eigenem Entschluß auf jede Kontrolle über die Verwaltung der Ausgleichseinrichtung verzichtet hat, für die sie die Verantwortung übernommen hatte.

Nur um sie in ihrem unterschiedlichen Wesen besser zu charakterisieren, habe ich die den Brüsseler Organen zur Last zu legenden Fehler getrennt von denen der Hohen Behörde behandelt. Nach Ihrer Rechtsprechung begründen aber diese wie jene die Haftung der Gemeinschaft.

Ein Einwand könnte allerdings noch erhoben werden: Kann man annehmen, daß diese Haftung gegenüber den schrottverbrauchenden Unternehmen besteht, die der Ausgleichseinrichtung angeschlossen waren und denen die Verwaltung dieser Einrichtung anvertraut war? Haben sie das Recht, sich auf eine deliktische Haftung der Körperschaft zu berufen, der sie selbst angehörten? Sind sie berechtigt, demjenigen ungenügende Aufsicht vorzuwerfen, dem es oblag, sie zu kontrollieren? Die Haftung von Gesellschaften folgt verschiedenen Regeln, je nachdem ob ein Mitglied oder ein Dritter geschädigt ist. Vergessen wir übrigens auch nicht, daß es offensichtlich nur dem Druck der führenden Unternehmen der Ausgleichseinrichtung zu danken ist, wenn der Rat, wie erwähnt, seine einstimmige Zustimmung anscheinend nur unter der Bedingung gegeben hat, daß den Ausgleichsorganen eine große Freiheit in der Geschäftsführung gelassen werde.

Meine Herren, in dieser Frage muß man meines Erachtens sorgfältig danach unterscheiden, ob es sich um Mitglieder und vor allem um leitende Mitglieder der fraglichen Gesellschaften, des Büros und der Kasse, oder um Unternehmen handelt, die zwar der Ausgleichseinrichtung angeschlossen waren, weil sie obligatorisch war, aber nicht Mitglieder der Gesellschaften waren und infolgedessen auf deren Handlungen auch keinen Einfluß ausüben konnten. Bei den ersteren ist die Frage berechtigt, kann aber hier offengelassen werden. Bei den letzteren (zu denen die drei Klägerinnen gehören) halte ich den Einwand für unbegründet: sie sind in derselben rein passiven Lage wie der Bürger gegenüber den öffentlichen Einrichtungen, der ihre Vorteile genießt und ihre Nachteile hinnimmt, ohne irgendeine Verantwortung für ihre Amtsführung zu haben, der dafür aber Anspruch auf Ersatz des durch ihre Amtsfehler verursachten Schadens hat.

V — Schlußbetrachtungen

Ich bin also schließlich dahin gelangt, das Vorliegen eines die Haftung der Gemeinschaft gegenüber den drei Klägerinnen begründenden Amtsfehlers der Hohen Behörde zu bejahen. Auf der anderen Seite habe ich schon dargelegt, daß aus diesem Fehler ein konkreter Schaden entstanden ist, der noch besteht, daß aber der Gerichtshof noch nicht über ausreichende Tatsachen verfügt, um seinen Umfang zu bestimmen. Wie ist bei dieser Sachlage zu entscheiden?

Ich glaube, die beste Lösung ist die Rückverweisung der Sache an die Hohe Behörde zur Festsetzung und Bezahlung der geschuldeten Entschädigung.

Sie wissen, daß die Hohe Behörde gegenwärtig mit der Abrechnung des Ausgleichs beschäftigt ist. Es ist selbstverständlich, daß diese Abrechnung abgeschlossen werden muß, sobald die zur Zeit laufenden Maßnahmen beendet sind, und daß nicht etwa das Ende der letzten in Gang befindlichen oder noch einzuleitenden Verfolgungsmaßnahmen abgewartet werden darf. Ich glaube zu wissen, daß dies die Hohe Behörde auch beabsichtigt. Wenn dem so ist, so muß die geschuldete Entschädigung für jede Gesellschaft der Differenz zwischen dem Betrag, den der Beitrag ausgemacht hätte, wenn kein Schrott widerrechtlich in den Ausgleich einbezogen worden wäre, und dem Betrag des Beitrags entsprechen, der bei Beendigung der Maßnahmen tatsächlich festgestellt wird.

Es bedarf keiner Frage, daß von Beträgen, die noch später beigetrieben werden, die Hohe Behörde den an sich auf die drei bereits entschädigten Gesellschaften entfallenden Anteil einbehalten können muß, während der Rest auf die übrigen Gesellschaften als frühere Mitglieder der ehemaligen Ausgleichseinrichtung zu verteilen ist. Ich brauche nicht auszuführen, ob die Hohe Behörde zu dieser Beitreibung zum Vorteil ihres eigenen Haushalts auf Grund eines gesetzlichen Forderungsübergangs, einer Abtretung oder eines anderen rechtlichen Vorgangs berechtigt ist.

Andererseits muß die Hohe Behörde, wie schon erwähnt, bei der Feststellung der Höhe des Schadens auch die Kosten der durch die Aufdeckung der Betrügereien notwendig gewordenen Untersuchungen und Verfolgungsmaßnahmen in Anschlag bringen und die zusätzlichen Verwaltungskosten als schadenmindernd abziehen, die durch die Einrichtung eines normalen präventiven Kontrollsystems berechtigterweise entstanden wären. Diese letzten Punkte lassen offensichtlich der Schätzung einen gewissen Ermessensspielraum. Die Hohe Behörde hat diese Schätzung nach den Regeln der Billigkeit und, wie ich zuversichtlich hoffe, im Einverständnis mit den Klägerinnen vorzunehmen, um einen neuen Rechtsstreit zu vermeiden.

Auf Grund dieser Ausführungen beantrage ich:

festzustellen, daß die Hohe Behörde den Klägerinnen für den Schaden haftet, der ihnen in den Jahren 1954-1957 durch Ausgleichszahlungen für zu Unrecht in den Preisausgleich einbezogenen Schrott entstanden ist;

die Sache zur Begleichung der aus diesem Grunde geschuldeten Entschädigungen an die Hohe Behörde zu verweisen, wobei aber die Gesellschaft Chasse nur Ersatz des Schadens beanspruchen kann, der ihr durch die unberechtigte Einbeziehung des Schrotts in den Ausgleich entstanden ist, für den betrügerische Abwrackbescheinigungen des Leiters der Abteilung Eisen und Stahl im niederländischen Wirtschaftsministerium vorgelegt worden waren;

und die Hohe Behörde zur Tragung der Kosten zu verurteilen.