Schlußanträge des Generalanwalts,

HERRN MAURICE LAGRANGE,

vom 12. Juni 1956

Aus dem Französischen übersetzt

GLIEDERUNG

Seite
 

Einführung

 

I — Die Gesetzestexte

 

II — Die Entscheidungen

 

III — Die Klageanträge

 

IV — Die Klagegründe

 

V— Die Zulässigkeit der Klagen im Hinblick auf Artikel 33

 

— Entscheidungscharakter des Schreibens vom 28. Mai 1955 insoweit, als es den Entzug der Ausgleichszahlungen vorsieht

 

— die angefochtenen Entscheidungen als „individuell“ die Klägerinnen „betreffende Entscheidungen“

 

— die angefochtenen Entscheidungen als „Entscheidungen, die einen Ermessensmißbrauch ihnen gegenüber darstellen“

 

— allgemeine Erwägungen

 

— Anwendung auf den vorliegenden Fall

 

VI — Zur Hauptsache

 

— die Preisfestsetzung von Amts wegen

 

— die Festsetzung niedrigerer Preise

 

— die Auflösung des Zusammenhangs zwischen Ausgleichszahlungen und Preistafel und die Selektivität

 

— die Drohung mit dem Entzug der Ausgleichszahlungen

 

— die Bestimmung der Preise des Gemeinsamen Marktes, Zweck der Annäherung

 

— die Bestimmung der voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit, Grenzen der Annäherung

 

— der Ermessensmißbrauch

 

VII — Schlußänträge

Herr Präsident, meine Herren Richter,

Es sei mir erlaubt, an der Schwelle zu diesen Ausführungen den Anwälten, die in dieser Sache das Wort ergriffen haben, meine ehrliche Anerkennung auszusprechen, nicht nur wegen des Ernstes, der Gewissenhaftigkeit und der Begabung, die sie gezeigt haben — was zu erwarten stand —, sondern deswegen, weil es ihnen in wirklich außergewöhnlichem Maße gelungen ist, einen so trockenen wie umfangreichen und trotz der Qualität der Schriftsätze mitunter schwer verständlichen Stoff vorzutragen und auf diese Weise klärend zu wirken und die Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Punkte zu lenken, die Anzahl der Streitpunkte durch besseres Herausstreichen derselben zu verringern und schließlich, was meines Erachtens das Beachtenswerteste darstellt, weil ihnen eine dauernde enge Gegenüberstellung zwischen selbst höchst gelehrten juristischen Theorien und den Problemen der Praxis gelungen ist, indem sie deren Eignung für die Praxis zum Wertmesser für diese Theorien gemacht haben. Gerade das ist übrigens die Aufgabe des Richters, der, wie wir alle wissen, nicht dazu da ist, Theorien aufzustellen, sondern Recht zu sprechen. Selten ist wohl die Bezeichnung mit dem leicht abgenützten Ausdruck „Diener des Rechts“ (auxiliaires de la justice) verdienter gewesen als bei den Beiständen beider Parteien in diesem schwierigen Rechtsstreit.

Diese „Tatsachen“, auf deren „Feststellung“ ich mich beschränke — was mich nicht daran bindert, deren wahren Wert zu „erkennen“ —, werden mir meine Aufgabe wesentlich vereinfachen und mich zunächst der Notwendigkeit entheben, eine Gesamtdarstellung der Frage der Eingliederung der belgischen Kohlengruben in den Gemeinsamen Markt zu geben.

I — DIE GESETZESTEXTE

Ich werde mich darauf beschränken, an Stelle einer Einleitung schematisch an die hauptsächlichen Bestimmungen des Abkommens über die Übergangsbestimmungen, die diese Frage behandeln, darunter auch an den § 26, 2a, dessen Auslegung zu dem gegenwärtigen Rechtsstreit Veranlassung gegeben hat, zu erinnern.

Es sind dies:

1.

die in § 23 enthaltenen Bestimmungen von allgemeiner Tragweite, die sich auf die Anpassung beziehen und wonach einerseits die Finanzierung der Programme für die Umstellung oder die Schaffung neuer Arbeitsplätze erleichtert wird und die Gewährung nicht rückzahlungspflichtiger Beihilfen für die Wiederbeschäftigung und Umschulung von Arbeitskräften unter großzügigeren Bedingungen als im Vertrag vorgesehen ist und wonach andererseits unter bestimmten Voraussetzungen die Bewilligung nicht rückzahlungspflichtiger Beihilfen an die Unternehmen selbst vorgesehen ist, falls diese infolge der Errichtung des gemeinsamen Marktes sich veranlaßt sehen sollten, ihre Tätigkeit einzustellen;

2.

die besonderen Vorschriften für Kohle des § 24, die einerseits das Feld der Bestimmungen über die Art der Preisbildung erweitern und in Fällen, die im Vertrag nicht vorgesehen sind, die Anwendung von Zonenpreisen gestatten und andererseits die Beibehaltung und Schaffung von staatlichen Kassen oder Einrichtungen für Ausgleichszahlungen genehmigen, die durch eine Umlage auf die inländische Erzeugung finanziert werden;

3.

schließlich die besonderen Vorschriften, gleichfalls für Kohle, die darüber hinaus auf Belgien und Italien beschränkt sind, nämlich diejenigen der § § 25, 26 und 27. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a)

die an Belgien gegebene Versicherung, daß dessen Netto-Kohlenerzeugung jährlich im Verhältnis zum vorhergehenden Jahr nicht um mehr als 3 v. H. vermindert zu werden braucht (außer daß ein konjunkturell bedingter Rückgang der Gesamtkohlenerzeugung der Gemeinschaft eventuell eine Änderung notwendig machen sollte);

b)

das Recht (aber nicht die Pflicht) der belgischen Regierung, den Kohlenmarkt in ihrem Lande vermittels Einrichtungen, die der Kontrolle der Hohen Behörde unterliegen, getrennt zu halten, wodurch die belgische Regierung dann verpflichtet wird, im Einverständnis mit der Hohen Behörde die von dieser für möglich gehaltenen Produktionsverlagerungen in dem garantierten Umfang von 3 v. H. wirksam zu gestalten;

c)

schließlich die Schaffung einer Ausgleichseinrichtung auf gemeinschaftlicher Basis, die durch eine Umlage auf die Kohlenproduktion der Länder, in denen die durchschnittlichen Gestehungskosten unter dem gewogenen Mittel der Gemeinschaft liegen, finanziert wird, d. h. der deutschen und holländischen Kohlenbergbau-Unternehmen. Die Art und Weise der Veranlagung der Umlage ist in § 25 festgelegt, die Art und Weise der Verteilung ist nirgends bestimmt; nur deren Zweck ist ziemlich genau festgelegt, in § 26, 2 für Belgien und in § 27, 1 für Italien. Wir weisen darauf hin, daß in mittelbarer, aber bestimmter Weise das Übergangsabkommen auch hier die Ingangsetzung der Ausgleichsregelung von einer Übereinstimmung mit der betreffenden Regierung abhängig macht, weil einerseits „die von außen eingehende“ Beihilfe, d. h. diejenige, die aus der Ausgleichsumlage stammt, den Betrag der Regierungssubvention, die dazu kommen muß, nicht übersteigen darf und weil andererseits „die Bewilligung dieser Subventionen .. ein Recht, aber keine Pflicht der Regierungen darstellt“: ohne Leistungen der Regierung also keine Ausgleichszahlungen.

Sie wissen, daß die belgische Regierung bis heute tatsächlich noch nicht zu einer Isolierung ihres Kohlenmarktes hat schreiten wollen, daß sie dagegen jedoch durch die Leistung der Subventionszahlungen die Ingangsetzung der Ausgleichsregelung zugunsten von Belgien ermöglicht hat, die damit für die Hohe Behörde zur Pflicht wurde.

Sie wissen gleichfalls, daß von den beiden in § 26, 2 vorgesehenen Arten des „zusätzlichen Ausgleichs“ (die als „Ausgleichszahlungen nach b) und c)“ bezeichnet werden) die „Ausgleichszahlungen nach b)“, die für die belgische Eisenindustrie bestimmt sind, um es dieser zu ermöglichen, auf dem Gemeinsamen Markt aufzutreten, ohne von den besonderen Verhältnissen bei der belgischen Kohle in Mitleidenschaft gezogen zu werden, nicht gewährt worden sind; nur die zugunsten der Ausfuhr belgischer Kohle auf den Gemeinsamen Markt vorgesehenen „Ausgleichszahlungen nach c)“ sind zugestanden worden, jedoch unter Voraussetzungen, die im gegenwärtigen Rechtsstreit nicht von Interesse sind. Es verbleiben somit die „Ausgleichszahlungen nach a)“, die „vom Anfang der Übergangszeit an dazu bestimmt … sind: a) für die Gesamtheit der Verbraucher belgischer Kohle auf dem Gemeinsamen Markt eine Annäherung der belgischen Kohlenpreise an die Preise des Gemeinsamen Marktes in einem Maße zu er- möglichen, daß sie ungefähr auf die voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit gesenkt werden. Die auf dieser Grundlage auf gestellte Preistafel“ , so setzt der Text hinzu, „darf nicht ohne Einverständnis der Hohen Behörde verändert rverden.

Soweit zu den Gesetzestexten.

II — DIE ENTSCHEIDUNGEN

Was die Entscheidungen angeht, so möchte ich auch hier nur das Wesentliche hervorheben.

A. —

Mit Entscheidung Nr. 1/53 vom 7. Februar 1953 (veröffentlicht im Amtsblatt der Gemeinschaft vom 10. Februar) setzt die Hohe Behörde die Bedingungen für die Veranlagung und Erhebung der in § 25 des Übergangsabkommens vorgesehenen Ausgleichsumlage fest. Mit Schreiben vom gleichen Tage, veröffentlicht in der gleichen Nummer des Amtsblattes, teilt die Hohe Behörde den Regierungen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft die Einsetzung der Einrichtung für die Ausgleichszahlungen mit: eine sehr wichtige Formalität, weil gemäß § 8 des Übergangsabkommens diese Mitteilung den Zeitpunkt der Eröffnung des Gemeinsamen Marktes für Kohle bezeichnet und damit gemäß § 1 Ziffer 4 des Abkommens den Beginn der Übergangszeit einleitet.

B. —

Im Amtsblatt der Gemeinschaft vom 13. März 1953 ist eine ganze Reihe von Entscheidungen über Kohlenpreise innerhalb der Gemeinschaft erschienen, in denen Höchstpreise und in bestimmten Fällen Zonenpreise festgesetzt sind. Zwei von diesen beziehen sich auf die belgische Kohle:

a)

die Entscheidung Nr. 24/53 vom 8. März 1953„über die Aufstellung der Preistafeln der Unternehmen in den belgischen Revieren“. Es handelt sich um eine Entscheidung, die gleichzeitig auf § 26 des Übergangsabkommens und auf Artikel 61 des Vertrages fußt. In ihr werden in einer Tabelle Höchstpreise nach Kohlenarten festgesetzt, und zwar aus zweierlei Gründen, die in den der Entscheidung vorangestellten „Erwägungen“ Ausdruck gefunden haben: „daß für die Berechnung der Ausgleichszahlung eine Preistafel aufzustellen ist, auf Grund welcher eine Annäherung der belgischen Kohlenpreise an die Preise des Gemeinsamen Marktes in einem Maße ermöglicht wird, daß die belgischen Kohlenpreise ungefähr auf die für das Ende der Übergangszeit voraussichtlichen Produktionskosten gesenkt werden“ und daß „der Zweck der Ausgleichszahlungen und der damit verbundenen Subventionen nur erreicht werden kann, wenn die Unternehmen das in der Preistafel enthaltene Preisniveau nicht überschreiten“;

b)

ein Schreiben vom 8. März 1953 an die belgische Regierung, in welchem die Hohe Behörde gemäß den zwischen den Dienststellen der Hohen Behörde, den Vertretern der Produzenten und den belgischen Verwaltungsstellen stattgefundenen „Besprechungen“ die Modalitäten der Beihilfen, die an die belgischen Zechen geleistet werden sollen, mitteilt. Diese Beihilfen „setzen sich zusammen einerseits aus den schon jetzt von der belgischen Regierung an gewisse Zechen geleisteten Subventionen in Höhe von 200 Millionen frs.“ (das sind die sogenannten„konventionellen“ Subventionen), dann „aus einem Betrag von 29 frs. je geförderte Tonne, der den Unterschied wiedergibt zwischen den Preisen einer Rechnungstafel, nach der die gegenwärtigen Einnahmen der Unternehmen aufrechterhalten würden, und den Preisen der Verkaufstafel, nach der die Zechen ihre Produktion absetzen werden“ (die nichts anderes ist als die in der ersten Entscheidung festgesetzte Preistafel). In der Anlage befindet sich eine Tabelle, die für jede Kategorie und jede Sorte zwei Kolonnen enthält und diese Regelung veranschaulicht, die, was ich hier festhalten möchte, je nach der Sorte verschieden große Abweichungen erkennen läßt: für die „Schlamms gras“ beträgt die Abweichung 43 frs. (Rechnungstafel: 378 frs., Verkaufstafel: 335 frs.); während für eine ganze Reihe von Halbfett- und Magerkohlensorten die Abweichung gleich Null ist, d. h. für diese Sorten gibt es keine Ausgleichszahlungen, obwohl ein Höchstpreis besteht; der Betrag von 29 frs. stellt daher nur einen Durchschnitt dar. Darüber hinaus — was ich ebenfalls festhalten möchte — bedeutet dieser Betrag von 29 frs. für den Verbraucher in Wirklichkeit nur eine Herabsetzung um 19 frs., da diese mit der Abschaffung eines mit dem Vertrage unvereinbaren Doppelpreises verbunden ist.

Dies war bis auf einige geringfügige Abweichungen die Regelung der Ausgleichseinrichtung bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Entscheidungen vom 28. Mai 1955, die dieselbe weitgehend abgeändert haben.

C. —

Diese Entscheidungen, die im Amtsblatt der Gemeinschaft vom 31. März 1955 veröffentlicht wurden, sind, wie die vorhergehenden, gleichfalls zwei an der Zahl:

a)

Eine Entscheidung Nr. 22/55 über die Aufstellung der Preistafeln der Unternehmen des belgischen Kohlenbergbaues, in welcher jetzt keine Höchstpreise, sondern Festpreise festgesetzt werden, die unverändert oder im Verhältnis zu den vorherigen Preisen niedriger sind (wenn man von einer allgemeinen Erhöhung um 3 frs. absieht, die dazu bestimmt ist, einer kürzlich erfolgten Erhöhung der Löhne Rechnung zu tragen) und die — ein weiterer Unterschied — sich nicht mehr auf Artikel 61 des Vertrages stützt, sondern einzig auf § 26, 2a des Übergangsabkommens; die Preise für gewisse Sorten schließlich (Hausbrandkohlensorten), von denen für viele keine Ausgleichszahlungen geleistet wurden, sind ganz einfach freigegeben worden.

b)

Ein an die belgische Regierung gerichtetes Schreiben „über die Umgestaltung des Ausgleichsmechanismus“.

Im ersten Absatz erinnert dieses Schreiben an die im Einvernehmen mit der belgischen Regierung erfolgte Einsetzung eines „Gemischten Ausschusses“, der den Auftrag hatte, den gesamten Fragenkomplex der Eingliederung des belgischen Kohlenbergbaus in den Gemeinsamen Markt am Ende der Übergangszeit zu prüfen, an die Stellungnahme der belgischen Regierung zu dem Bericht dieses Ausschusses und an die zwischen der Regierung und der Hohen Behörde erzielte Übereinstimmung über den Inhalt der Maßnahmen, die geeignet sind, die Eingliederung unter den in dem Abkommen über die Übergangsbestimmungen festgesetzten Bedingungen und Fristen zu ermöglichen.

Im zweiten Absatz erklärt die Hohe Behörde: „Es ist daher festzustellen, daß die dem belgischen Kohlenbergbau auf Grund der Ausgleichszahlungen gewährte Unterstützung durch einen Gesamtkomplex von Maßnahmen seitens der belgischen Regierung ergänzt werden muß. Die Hohe Behörde ist insbesondere der Ansicht, daß eine Revision der Ausgleichsmaßnahmen einer Aktion Ihrer Regierung in nachstehendem Sinne untergeordnet werden muß.“ Es folgt die Aufzählung von vier Maßnahmen, von denen die beiden ersten finanzieller Natur sind, die dritte die Errichtung oder den Ausbau von Zechenkraftwerken betrifft und die vierte (ich zitiere, weil es sich um einen der umstrittenen Punkte handelt) den

„Entzug der Ausgleichszahlungen im Einvernehmen mit der Hohen Behörde von Unternehmen, welche die für möglich und erforderlich gehaltenen Neuausrüstungsmaßnahmen nicht durchführen, sowie von Unternehmen, die sich weigern, die Abtretung oder den Tausch von Lagerstätten vorzunehmen, die zur besseren Einteilung der Abbaufelder für notwendig gehalten werden“.

Der dritte Absatz betrifft die Umgestaltung der Ausgleichsregelung. In einer ständigen Mischung von Kommentar und Bestimmungen, welche die Natur von Entscheidungen haben, einer Mischung, die diesen „Entscheidungen“ eigen ist, die in der Form von Schreiben ergingen und lediglich unter der Rubrik „Informationen“ veröffentlicht wurden, was bei der Hohen Behörde üblich ist, legt diese die Ziele ihrer neuen Politik dar: eine stärkere Annäherung der Preise der belgischen Kohle an die Preise des Gemeinsamen Marktes und Gewährleistung einer besseren Verwendung der aus der Ausgleichsumlage stammenden Beträge, die infolge der in § 25 des Übergangsabkommens niedergelegten fortschreitenden Verringerung jedes Jahr abnehmen werden. Sie erklärt, aus welchem Grunde sie die Preistafel ändert, was mit der Entscheidung Nr. 22/55 erfolgte, ferner, aus welchem Grund und auf welche Art und Weise sie zu einem allmählichen Wegfall der Ausgleichszahlungen gelangen will, und zwar einerseits bei bestimmten Sorten (Hausbrandkohle), bei denen die Nachfrage „ständig weit über dem Angebot auf dem Gemeinsamen Markt liegt und ihr Absatz daher auf die Dauer ohne irgendeine Ausgleichszahlung gesichert ist“, und andererseits bei bestimmten Unternehmen, d. h. den Gruben des Kempenlandes, bei denen „der günstige Standort und die auf mehrere Jahre hinaus abbauwürdigen Reserven es ermöglichen …, die gesamte Förderung in einer einzigen Sohle und einem einzigen Schacht zu konzentrieren“, wobei diese Gruben namentlich bezeichnet werden; „nach den von Ihrer Regierung gemachten Angaben“ wie die Hohe Behörde sagt: es sind dies die drei in der Rechtssache Nr. 9/55 klagenden Unternehmen.

Nach einigen anderen Bestimmungen, von denen eine das Ende der besonderen Bereitstellung der 200 Millionen aus konventionellen Subventionen anordnet, bezieht sich die Hohe Behörde schließlich (in Absatz 4 des Schreibens) auf die Entscheidung Nr. 22/55, in der die Verkaufspreise festgelegt werden, und kündigt eine Tabelle der Ausgleichssätze an, die in einer Anlage zum Schreiben veröffentlicht ist. Diese Tabelle macht die Preisgabe der bisherigen Regelung ersichtlich, nach welcher die Ausgleichszahlungen dem Unterschied zwischen V erkaufs- und Rechnungstafel entsprachen: die neue Tabelle beschränkt sich darauf, für jede Sorte und Art den Ausgleichssatz je Tonne festzusetzen. Für die freigegebenen Sorten und bei den Unternehmen, denen die Ausgleichszahlungen entzogen wurden, sinkt diese Zahl auf Null.

Dies sind die beiden Entscheidungen, die auf der einen Seite die Fédération Charbonnière de Belgique oder FÉDÉCHAR (Rechtssache Nr. 8/55) und auf der anderen Seite die drei in Absatz 3 b des Schreibens vom 28. Mai bezeichneten Unternehmen: Société des Charbonnages de Beeringen, Société des Charbonnages de Houthalen und Société des Charbonnages de Helchteren et Zolder (Rechtssache Nr. 9/55) Ihnen auf dem Wege einer auf Artikel 33 des Vertrages gestützten Nichtigkeitsklage unterbreiten.

III — DIE KLAGEANTRÄGE

A. —

Mit der Klage Nr. 8/55 der Fédération Charbonnière de Belgique wird beantragt:

1.

Nichtigerklärung der Entscheidung Nr. 22/55 (und der dieser beigefügten Preistafel) „insoweit als sie für einige Kohlensorten herabgesetzte Preise festsetzt“;

2.

Nichtigerklärung der in dem Schreiben vom 28. Mai 1955 (und in der diesem Schreiben beigefügten Tabelle der Ausgleichssätze) enthaltenen Entscheidung insoweit:

a)

als sie eine Diskriminierung zwischen Erzeugern gleicher Kohlensorten herbeiführt;

b)

als sie bestimmt, daß die Ausgleichszahlungen einigen Unternehmen deshalb entzogen werden oder entzogen werden können, weil diese die für möglich und erforderlich gehaltenen Neuausrüstungsmaßnahmen nicht durchführen oder sich weigern, die Abtretung oder den Tausch von Lagerstätten vorzunehmen, die zur besseren Einteilung der Abbaufelder für notwendig gehalten werden;

c)

als sie Ausgleichssätze festsetzt, die auf die neue Preisliste abgestimmt sind.

B. —

Was die Klage Nr. 9/55 der drei Gesellschaften angeht, so haben deren Anträge, obwohl der Form nach insofern geringfügig voneinander abweichend, als die Betonung auf den Teil der in dem Schreiben enthaltenen Entscheidung gelegt wird, der direkt auf die Klägerinnen Anwendung findet, in Wirklichkeit den gleichen Inhalt wie diejenigen, die in der Rechtssache Nr. 8/55 gestellt werden.

IV — DIE KLAGEGRÜNDE

Ich halte es für überflüssig, die in den Klagen enthaltenen Gründe ins einzelne gehend aufzuzählen, um so mehr, als ich auf diese noch zurückkommen muß. Ich will nur festhalten, daß einer von ihnen sich seinem Wesen nach besonders deutlich von allen anderen abhebt: es ist dies der Vorwurf des Ermessensmißbrauchs, der daraus hergeleitet wird, daß die angefochtene Entscheidung (die Entscheidung Nr. 22/55) auf „Veranlassung der belgischen Regierung erlassen“ wurde, „zur Erreichung von Zielen, die in den Rahmen der Wirtschaftspolitik dieser Regierung fallen“. Alle anderen Klagegründe beziehen sich auf die Verletzung von Bestimmungen des Vertrages oder des Übergangsabkommens, insbesondere der § § 24, 25 und 26 des Übergangsabkommens, die, wie wir gesehen haben, die sedes materiae darstellen, der Artikel 5 und 57 des Vertrages, wonach die Hohe Behörde ihre Aufgabe durch begrenzte Eingriffe erfüllt und sich vorzugsweise der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten indirekter Maßnahmen bedient, und des Artikels 4b des Vertrages, der die Diskriminierungen verbietet. Zu diesen anderen Klagegründen gesellt sich übrigens gleichfalls der Vorwurf eines Ermessensmißbrauchs, der direkt aus der Tatsache der Verkennung der angeführten Vertragsbestimmungen hergeleitet wird.

Es wird jedoch noch zu zeigen sein, daß unter den geltend gemachten Klagegründen zwei, die in der Klage Nr. 8/55 enthalten sind, in der Klage Nr. 9/55 nicht wiederkehren, nämlich:

1.

der Klagegrund, der daraus hergeleitet wird, daß die angefochtene Entscheidung (es handelt sich um die Entscheidung Nr. 22/55) Preise festgesetzt habe, ohne den voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit Rechnung zu tragen, was dem § 26, 2a des Übergangsabkommens widerspreche (Klage Nr. 8/55, I — 3);

2.

der Vorwurf des Ermessensmißbrauchs.

Erst in der Erwiderung gleichen die klagenden Unternehmen ihr Vorbringen völlig demjenigen der FÉDÉCHAR an und nehmen ihrerseits diese beiden Klagegründe auf. Wie Sie wissen, müssen jedoch, wenn auch nur in kurzer Darstellung, die Klagegründe, wie auch die Anträge, bereits in der innerhalb einer Ausschlußfrist einzureichenden Klageschrift enthalten sein (Artikel 22 der Satzung des Gerichtshofes).

Was den ersten der beiden Klagegründe angeht, so kann ohne weiteres behauptet werden, daß die Gesellschaften insoweit, als sie eine Verletzung der Bestimmungen des § 26, 2a geltend machen, wenn sie sich auch auf andere Punkte beziehen, den Formerfordernissen des Artikels 22 Genüge getan haben (obwohl man darüber sehr wohl streiten könnte). Dies jedoch auch bei dem Klagegrund des Ermessensmißbrauchs zu behaupten, ist offensichtlich unmöglich. Ich schlage Ihnen daher vor, diesen letzteren Klagegrund, insoweit als es sich um die Klage Nr. 9/55 handelt, als unzulässig zurückzuweisen. Was übrigens ohne praktische Bedeutung ist. Sie werden nämlich aus Anlaß der Klage Nr. 8/55 über den gleichen Klagegrund zu befinden haben.

Um mit der Frage der Klagegründe zu einem Ende zu kommen, ist noch ein Wort zu einer von der Hohen Behörde in deren Klagebeantwortung auf die Klage Nr. 9/55 aufgeworfenen Frage zu sagen (Abs. 9, S. 10, Or. 12). „Der Gerichtshof wird feststellen“, sagt die Hohe Behörde, „daß sich die Klägerinnen in bezug auf die Entscheidung Nr. 22/55 damit begnügen, entweder die Gesetzwidrigkeit' der Entscheidung — ohne daß man daraus entnehmen kann, um welche der in Artikel 33 genannten Gründe es sich handelt — geltend zu machen oder auf die durch einen Dritten, die Federation Charbonnière de Belgique, eingereichte Klageschrift gegen die gleiche Entscheidung zu verweisen. Die Zulässigkeit dieses Teiles der Klage ist also im Hinblick auf Artikel 29 der Verfahrensordnung zweifelhaft. Die Hohe Behörde überläßt die Entscheidung über diesen Punkt dem gerechten Urteil des Gerichtshofes.“

Meine Herren, was die Verweisung auf die Klage Nr. 8/55 angeht, so glaube ich, daß sie im vorliegenden Fall zulässig ist. Die beiden Klagen sind tatsächlich eng miteinander verbunden; sie wurden am gleichen Tage eingereicht, sie beziehen sich auf den gleichen Gegenstand und stützen sich, vorbehaltlich des soeben Gesagten, auf die gleichen Gründe; die Klägerinnen in der Rechtssache Nr. 9/55 gehören der Fédération Charbonnière de Belgique — Klägerin in der Rechtssache Nr. 8/55 — an. Sie haben selbst die gemeinsame mündliche Verhandlung beider Sachen beschlossen, und es ist nicht ausgeschlossen, daß die Verbindung sich sogar auf das Urteil erstrecken werde: es handelt sich auf jeden Fall um eine einfache Frage der Zweckmäßigkeit, und es besteht ganz offensichtlich kein rechtlicher Hinderungsgrund. Unter diesen Umständen wird man zulassen können, daß die Darstellung eines Klagegrundes durch eine ausdrückliche Verweisung von einer Klage auf die andere ersetzt werde, wenn nur die Ankündigung dieses Klagegrundes in der Klageschrift enthalten ist. Wenn dagegen eine solche Ankündigung in der Klageschrift fehlt, wenn diese sich hierüber völlig ausschweigt, ist die Verletzung des Artikels 22 der Satzung des Gerichtshofes (auch des Artikels 29 der Verfahrensordnung, der diesen insofern nur wiedergibt) offensichtlich. Dies ist übrigens, wie bereits ausgeführt, meines Erachtens nur bei dem Klagegrund des Ermessensmißbrauchs der Fall und vielleicht (und insoweit bin ich im Zweifel) bei dem daraus hergeleiteten Klagegrund, daß die Entscheidung Nr. 22/55 den voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit nicht Rechnung getragen habe.

V — DIE ZULÄSSIGKEIT DER KLAGEN IM HINBLICK AUF ARTIKEL 33

Ich komme jetzt zu den wichtigeren Fragen nach der Zulässigkeit der Klagen, die sich im Hinblick auf Artikel 33 Absatz 2 des Vertrages stellen.

Ich zitiere: „Die Unternehmen oder die in Artikel 48 genannten Verbände können unter denselben Bedingungen“ (d. h. unter den in Absatz 1 festgelegten Bedingungen) „Klage gegen die sie individuell betreffenden Entscheidungen und Empfehlungen oder gegen die allgemeinen Entscheidungen und Empfehlungen erheben, die nach ihrer Ansicht einen Ermessensmißbrauch ihnen gegenüber darstellen.“

Die drei in der Rechtssache Nr. 9/55 klagenden Gesellschaften sind Unternehmen im Sinne von Artikel 80 des Vertrages; die Fédération Charbonnière de Belgique ist ein Unternehmensverband im Sinne von Artikel 48 des Vertrages. Die Parteifähigkeit der Klägerinnen ist daher gegeben. Drei Fragen jedoch, die zum mindesten teilweise die Frage der Zulässigkeit der Klagen berühren, müssen geprüft werden. Es sind dies die folgenden:

1.

Ist das Schreiben vom 28. Mai in dem Punkt, der den Entzug der Ausgleichszahlungen androht, als „Entscheidung“ oder zum mindesten als „Empfehlung“ aufzufassen?

2.

Sind die zwei angefochtenen Entscheidungen ganz oder teilweise als die Klägerinnen „individuell betreffende Entscheidungen“ aufzufassen?

3.

„Stellen“ sie, insofern als sie nicht als solche aufzufassen sein sollten, „einen Ermessensmißbrauch ihnen gegenüber dar“?

Die erste Frage bezieht sich zwar lediglich auf den vorliegenden Rechtsstreit, bei den zwei übrigen ist dies aber nicht der Fall. Diese machen eine Auslegung des Artikels 33 zu Punkten erforderlich, die in Ihrer Rechtsprechung bisher erst zum Teil entschieden worden sind.

Ist der die Drohung mit dem Entzug der Ausgleichszahlung betreffende Passus des Schreibens vom 28. Mai 1955 als Entscheidung (oder als Empfehlung) aufzufassen oder nicht?

Es könnte verwunderlich scheinen, daß die Hohe Behörde, die diese Frage übrigens erst in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen hat, selbst nicht genau wissen sollte, ob sie zu diesem Punkt eine Entscheidung erlassen wollte oder nicht. Es ist jedoch weniger verwunderlich, daß die Juristen, die sie vor Ihnen vertreten, in dieser Hinsicht gewisse Bedenken gehabt und Ihnen diese mitgeteilt haben, da man zugeben muß, daß die Frage recht zweifelhaft ist.

Ich glaube zunächst, daß es sich auf jeden Fall nicht um eine „Empfehlung“ im Sinne von Artikel 14 des Vertrages handelt, d. h. um eine Entscheidung hinsichtlich der zu erreichenden Ziele, die jedoch zu der Wahl der zur Erreichung dieser Ziele geeigneten Mittel nicht Stellung nimmt. Hier sind in Wirklichkeit die Mittel sehr wohl bestimmt. Handelt es sich jedoch um eine Entscheidung?

Die Form, in der das Schreiben zu diesem Punkte abgefaßt ist, könnte zu einer verneinenden Antwort verleiten. Der Satz beginnt, wie Sie sich erinnern werden, mit den Worten: „Die Hohe Behörde ist insbesondere der Ansicht, daß eine Revision der Ausgleichsmaßnahmen einer Aktion Ihrer Regierung in nachstehendem Sinne untergeordnet werden muß …“ Es handelt sich daher einerseits um eine Meinungsäußerung; andererseits geht es um eine Aktion der belgischen Regierung.

Ich glaube nichtsdestoweniger, daß es sich in Wirklichkeit sehr wohl um eine Entscheidung handelt, d. h. um eine Handlung, die Rechtsfolgen zeitigt oder zeitigen kann, um einen „beschwerenden“ (faisant grief) Akt oder um einen, der ein solcher werden kann, um einen laufend gebrauchten Ausdruck aus dem Gebiet des Verwaltungsstreitverfahrens zu verwenden.

Wenn es sich tatsächlich um eine Meinungsäußerung handelt, so ist diese, wie Sie bemerkt haben, von dem Wort „muß“ (untergeordnet werden muß …) begleitet. Was andererseits die vierte in dem Schreiben bezeichnete Modalität angeht, diejenige, um die es hier geht, so hängt diese, nicht wie die anderen, nur von der belgischen Regierung ab, sondern von einer Maßnahme, deren Ausführung dieser Regierung „im Einvernehmen mit der Hohen Behörde“ obliegt. Schließlich wird etwas weiter unten gesagt: „Die Hohe Behörde behält sich das Recht vor, bei der belgischen Regierung vorstellig zu werden, um die Durchführung der laufenden Neuausrüstungsprogramme sowie die Durchführung sämtlicher Maßnahmen zu verfolgen, mit denen die Rationalisierung und Sanierung des belgischen Kohlenbergbaus angestrebt wird“; dies zeigt zur Genüge den von der Hohen Behörde bekundeten Willen, an der Kontrolle der von den Unternehmen zu treffenden Maßnahmen teilzunehmen, deren korrekte Durchführung, nach Ansicht der Hohen Behörde, die Bedingung für die Ausgleichszahlungen zugunsten dieser Unternehmen darstellt. Sollte es die Hohe Behörde somit eines Tages, im Verfolg einer solchen Kontrolle, für richtig halten, mit der Zahlung der Ausgleichsleistungen einzuhalten, und sollte sie hierzu die Einwilligung der belgischen Regierung erhalten, so besteht kein Zweifel darüber, daß sie den Rechtsgrund für eine solche Maßnahme in dem in Frage stehenden Passus des Schreibens finden könnte. Es handelt sich daher sehr wohl, wenn man sich, wie ich es für richtig halte, an materielle und nicht an formelle Merkmale hält, um eine „Entscheidung“ im Sinne von Artikel 14 des Vertrages, die auf Grund von Artikel 33 angefochten werden kann.

Sind die beiden angefochtenen „Entscheidungen“ als die Klägerinnen „individuell betreffende Entscheidungen“ anzusehen?

Sie wissen, daß die Parteien sich über zwei Punkte einig sind: die Hohe Behörde stimmt zunächst den Klägerinnen darin bei, daß die in dem Schreiben vom 28. Mai 1955 enthaltene Entscheidung, insoweit als sie den drei in dem besagten Schreiben namentlich bezeichneten Zechen des Kempenlandes die Ausgleichszahlungen entzieht oder ihnen nur verminderte Ausgleichszahlungen gewährt, individueller Natur sei. Dann haben die Klägerinnen, zum mindesten in ihren Plädoyers, erklärt, mit der Hohen Behörde darin übereinzustimmen, der Entscheidung (wenn es eine Entscheidung ist, was ich glaube), in welcher der Entzug der Ausgleichszahlungen angedroht wird, eine allgemeine Natur zuzuerkennen.

Es verstellt sich allerdings von selbst, daß die Übereinstimmung der Parteien hierüber den Gerichtshof nicht bindet, dem es allein zusteht, die wirkliche Rechtsnatur der ihm unterbreiteten Entscheidungen zu bestimmen, und daß die Frage in ihrem gesamten Zusammenhang zu prüfen ist.

In dieser Hinsicht, meine Herren, finden sich bereits einige interessante Hinweise in Ihrem kürzlich unter dem 23. April 1956 erlassenen Urteil „Groupement des Industries Sidérurgiques Luxembourgeoises“ und in den Schlußanträgen, die unser Kollege Roemer zu dieser Sache vorgetragen hat.

Das Urteil ist zum Teil ohne grundsätzliche Bedeutung. In einem wichtigen Punkt jedoch stellt es eine grundsätzliche Entscheidung dar, wenn es ausspricht, „daß es unter diesen Umständen für die Klagebefugnis eines Unternehmens oder Verbandes gegen eine Entscheidung oder Empfehlung genügt, daß diese Entscheidung oder Empfehlung nicht allgemein ist, sondern individuellen Charakter hat, ohne daß sie diesen Charakter im Verhältnis zum Kläger aufweisen müßte“. Es handelt sich im Ergebnis um eine weite Auslegung des Ausdrucks „die sie betrifft“ (les concernant), der nicht gleichbedeutend ist mit „die an sie gerichtet ist“ (dont ils sont destinataires). Wie Herr Roemer in seinen Schlußanträgen gezeigt hat, würde die enge Auffassung, insoweit als sie den materiellen Inhalt der Entscheidung außer acht läßt, zu unbefriedigenden Ergebnissen führen: die Aufhebung einer Sonderlast z. B. wendet sich formell an den bisher mit ihr Belasteten, sie betrifft aber in Wirklichkeit den bisher Begünstigten. In dem damaligen Fall lagen die Dinge entgegengesetzt: in der angefochtenen, aus dem Stillschweigen zu entnehmenden Entscheidung wurde die Abschaffung einer Last abgelehnt, die nach Ansicht des Klägers eine gesetzwidrige Sonderlast darstellte, für die er einer der wichtigsten Abgabepflichtigen war: es liegt klar auf der Hand, daß diejenigen die wirklich Betroffenen waren, die die Last zu tragen hatten, und nicht derjenige, dem sie zugute kam. Aus diesem Grunde haben Sie ausgesprochen, daß die Entscheidung, die ihrem Wesen nach individuell war, den Kläger „betraf“, obwohl sie nicht an ihn gerichtet war.

Auf diese Weise, meine Herren, ist von der engen, starren Auslegung des Textes abgesehen worden, und ich glaube nicht, daß die Klägerinnen sich jetzt darüber beklagen werden. Es ist von dieser abgesehen worden zugunsten einer Auslegung, die dem Begriff des Interesses Rechnung zu tragen wünscht, der, wie ich in meinen Schlußanträgen zu den Rechtssachen Nr. 3/54 und Nr. 4/54 (Sammlung, Bd. I, Seite 185) hingewiesen habe, zum Wesen der Nichtigkeitsklage gehört. Es handelt sich zweifellos nicht um irgendein beliebiges Interesse, und, wie ich gleichfalls ausführte, hat man es im Vertrag vorgezogen, es nicht dem Gerichtshof zu überlassen, auf dem Wege der Rechtsprechung diesen Begriff näher zu bestimmen, die Frage ist vielmehr aus eigener Machtvollkommenheit geregelt worden. Es ist dies, wie es auch Herr Roemer in seinen bereits angeführten Schlußanträgen in einer tiefgreifenden Untersuchung gezeigt hat, getan worden, indem man den Kreis der Klageberechtigten ausdrücklich aufgezählt (es ist Artikel 33 Absatz I., der den Mitgliedstaaten und dem Rat das Recht der unbegrenzten Klageerhebung einräumt), oder dadurch, daß man das Interesse durch nähere Bestimmung konkretisiert hat (was bei den Unternehmen und Verbänden, von denen Absatz 2 des gleichen Artikels handelt, der Fall ist, denen nur insoweit ein Interesse zuerkannt wird, als es sich um „sie individuell betreffende Entscheidungen“ handelt); unser Kollege hat dann darauf hingewiesen, daß das letztere Verfahren sich in gewissen nationalen Rechtsordnungen, insbesondere im deutschen Recht findet (wo man selbst so weit geht, die Verletzung eines Rechtes zu verlangen).

Wenn der Vertrag auch auf dem Wege der Aufzählung oder der Definition vorgeht, in einem Wortlaut, an den der Richter gebunden ist, so hat letzterer jedoch nicht minder das Recht, ich würde sogar sagen, die Pflicht, sich bei der Auslegung des Gesetzestextes im vollen Umfang der etwa verbleibenden Ungewißheit von dem diesem Text zugrunde liegenden Grundgedanken, dem Begriff des Interesses, leiten zu lassen. Ich glaube, auf diese Weise im Rahmen einer gesunden Auffassung über die Auslegung — selbst internationaler Gesetzestexte — sowie auf der in Ihrem Urteil vom 23. April 1956 aufgezeigten Linie zu verbleiben.

Das Problem besteht somit darin, in Erfahrung zu bringen, was eine individuelle und was eine allgemeine Entscheidung ist. Wie mein Kollege Roemer — dessen Meinung ich auch hier wieder völlig teile — in seinen Schlußanträgen zu den luxemburgischen Rechtssachen gezeigt hat, darf man hier nur mit großen Vorbehalten auf die nationalen Rechtsordnungen zurückgreifen, aus dem zweifachen Grunde, weil diese im allgemeinen anderen Erwägungen Rechnung tragen als der Vertrag und weil in den gleichen Rechtsordnungen die Unterscheidungsmerkmale häufig unklar sind.

Was verhältnismäßig klar ist, das ist die Unterscheidung einerseits zwischen der Rechtsverordnung (règlement), d.h. der zur Regelung einer allgemeinen und unpersönlichen Lage vermittels normativer Bestimmungen bestimmte Akt, der, zum mindesten vom materiellen Standpunkt aus gesehen, etwas von dem Gesetz an sich hat, das er in den meisten Fällen ergänzen soll — und andererseits, im Gegensatz dazu, dem Verrvaltungsakt (acte individuel), der die Anwendung der Regel auf eine bestimmte Person zum Gegenstand hat (z. B. Verhängung einer Strafe, eine Genehmigung oder die Versagung einer Genehmigung). Die Schwierigkeit rührt jedoch daher, daß zwischen den beiden Extremen eine ganze Reihe von dazwischenliegenden Fällen möglich ist. Bei Bestimmten ist die Wahl leicht: so sind die Allgemeinverfügungen (décisions collectives) in Wirklichkeit nur aneinandergereihte einzelne Verwaltungsakte (so z. B. eine Tabelle, die für Beamte das Aufrücken nach Gehaltsstufen aufzeigt). In anderen Fällen jedoch ist die Schwierigkeit größer. So gibt es Fälle, in denen der Verwaltungsakt sich auf eine konkrete Situation bezieht, die er direkt regelt, ohne daß die betroffenen Personen jedoch namentlich bezeichnet wären oder ohne daß es anders als nach besonderer Prüfung des einzelnen Falles möglich wäre zu erfahren, auf welche Personen er sich bezieht.

Zur Stützung einer engen Auslegung des Begriffes der individuellen Entscheidung könnte man versucht sein, sich auf Artikel 15 des Vertrages zu berufen, wo es heißt: „Betreffen Entscheidungen und Empfehlungen einen Einzelfall, so werden sie für den Beteiligten durch die Zustellung verbindlich“, während „In den übrigen Fällen … die Veröffentlichung für die Anwendbarkeit“ genügt. Ich bin jedoch in Übereinstimmung mit Herrn Roemer, der diese Frage gleichfalls geprüft hat, der Auffassung, daß diese Bestimmung hauptsächlich zum Zweck hat zu klären, wann die Veröffentlichung für den Beginn der verpflichtenden Wirkung der Entscheidung genügt: dies ist vor allem bei den Fristen zur Klageerhebung von Interesse.

Ich glaube, meine Herren, daß es zur Lösung der Schwierigkeiten bei den von uns als „dazwischenliegend“ bezeichneten Fällen zum mindesten hilfsweise erforderlich ist, auf ein subjektives Bezugsmerkmal zurückzugreifen. Ich will damit sagen, daß eine Entscheidung, die z. B. keinen normativen Charakter hat und die dazu bestimmt ist, eine konkrete Situation direkt zu regeln, in bezug auf diejenigen Personen (Unternehmen oder Verbände), die von dieser Entscheidung, als Ganzes gesehen, unmittelbar und direkt betroffen werden, als eine individuelle Entscheidung angesehen werden kann. Dagegen müßte der gleichen Entscheidung der individuelle Charakter in bezug auf diejenigen Personen versagt werden, die von dieser nicht betroffen oder nur teilweise betroffen werden. Der Idee nach soll ein wechselseitiger Zusammenhang, natürlich nicht mathematischer Natur, jedoch sehr enger Art zwischen dem Anwendungsbereich der Entscheidung und dem Interessenbereich derjenigen Person, die sich gegen diese Entscheidung wendet, hergestellt werden.

Dieses Vorgehen, meine Herren, erscheint doppelt gerechtfertigt. Es gestattet zunächst, den Artikel 33 im wesentlichen unter Verwendung des Begriffs des Interesses auszulegen, der, wie ausgeführt wurde, dem ganzen Artikel zugrunde liegt und der allem Anschein nach auch Ihr Urteil vom 23. April 1956 beeinflußt hat. Der Begriff des Interesses ist übrigens seinem Wesen nach natürlich relativ.

Das gleiche Vorgehen führt andererseits dazu, die Schranken Ihres Gerichts für die Unternehmensverbände des Artikels 48 weit zu öffnen, was mir ebenfalls notwendig zu sein scheint. Die Verbände vertreten in der Tat gemeinsame Interessen, und eine zu große Einengung des Begriffs der individuellen Entscheidung würde es diesen in den meisten Fällen unmöglich machen, sich des Klagerechts, das ihnen Artikel 33 gewährt, zu bedienen: sie könnten nur beim Vorliegen eines „Ermessensmißbrauchs ihnen gegenüber“ gegen allgemeine Entscheidungen vorgehen und die individuellen Entscheidungen im engeren Sinne (z. B. eine Strafe, eine Genehmigung) nicht angreifen, weil, wie ich glaube, der allgemeine Grundsatz herrscht, daß eine juristische Person, wie ein Verband oder ein Syndikat, eine Klage, die einem ihrer Mitglieder als solchem offensteht, nicht an dessen Stelle erheben kann: sie hat höchstens ein Interventionsrecht zur Unterstützung einer solchen Klage. Ich kann mich zu dieser Frage z. B. auf die ständige Rechtsprechung des französischen Conseil d'État berufen (angeführt bei Odent, Contentieux administratif, 1953 — 1954, III, Seite 542/543).

Die in Artikel 48 vorgesehenen Unternehmensverbände spielen übrigens nach dem Vertrag eine wichtige Rolle, die in Artikel 48 selbst festgelegt ist. Ich halte es für unerläßlich, daß diese Rolle sich auch auf die Verteidigung der gemeinsamen Interessen, deren Wahrnehmung ihnen übertragen ist, vor Gericht erstrecke, und zwar um so mehr, als — wie die Erfahrung zeigt — bestimmte Entscheidungen der Hohen Behörde diese Interessen verletzen können, ohne daß es irgendein Mitgliedsstaat für erforderlich halten sollte, hiergegen vorzugehen. Man kann sogar sagen, daß dies auf dem Gebiet der Kohle sogar den Normalfall darstellt, weil gewöhnlich und besonders, wenn es sich um Preise handelt, die Interessen der kohlenerzeugenden Unternehmen im Gegensatz stehen gleichzeitig zu denjenigen der Hohen Behörde, welche die Aufgabe hat, „auf die Bildung niedrigster Preise zu achten“ (Artikel 3 c), und zu denjenigen aller Verbraucher und besonders der Eisenerzeuger und zu denjenigen der Regierungen, die in ihrer allgemeinen Wirtschafts.-politik fast stets versuchen, die Preise für diesen Grundstoff niedrig zu halten.

Ich will jetzt versuchen, diese Gedanken auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

Ich bin zunächst der Auffassung, daß die Entscheidung Nr. 22/55 und das Schreiben, selbst in rechtlicher Hinsicht, ein unzertrennliches Ganzes bilden, wobei das eine ohne das andere nicht denkbar wäre: sie haben alle beide ein und dasselbe Ziel: die Anwendung des § 26, 2 a betreffend die Ausgleichszahlungen zu gewährleisten: auch wäre die Festsetzung der Verkaufspreise, die den Gegenstand der Entscheidung Nr. 22/55 bildet, sinnlos, wäre sie nicht von der Festsetzung der Ausgleichssätze begleitet, die aus der dem Schreiben beigefügten Tabelle hervorgehen.

Andererseits handelt es sich nicht um eine Entscheidung mit normativem Charakter. Ein hervorragendes Beispiel einer Entscheidung, die keine Rechtsverordnung ist, trotzdem jedoch allgemeinen Charakter hat, weil sie die Grundsätze festlegt, auf welche sich anschließend alle die Anwendung regelnden Entscheidungen stützen müssen, findet sich, glaube ich, in der Entscheidung Nr. 6/55 vom 5. März 1953 über die Grundsätze für die Festsetzung von Höchstpreisen für Kohle innerhalb des Gemeinsamen Marktes: Eine solche Entscheidung ist keine Rechtsverordnung, weil sie vornehmlich über die Festsetzung der Höchstpreise für Kohle „unter den gegenwärtigen Umständen“ entscheidet, sie ist jedoch eine allgemeine Entscheidung normativer Art, die allgemein und unpersönlich die Modalitäten des eingeführten Verfahrens der Höchstpreisfestsetzung festlegt und die als Grundlage dient für eine ganze Reihe von Ausführungsentscheidungen für die verschiedenen Reviere und selbst für bestimmte Unternehmen innerhalb eines gleichen Reviers. Sie könnte aus diesem Grund von keinem einzigen Verband, selbst wenn es einen alle Zechen der Gemeinschaft umfassenden Verband geben sollte, angegriffen werden.

Hier ist die Lage ganz anders. Die anzuwendenden Vorschriften befinden sich in dem Übergangsabkommen, wie im übrigen auch der Grundsatz der zu erfüllenden Aufgabe selbst. Es handelt sich einzig und allein darum, diese Vorschriften räumlich und zeitlich auf eine konkrete und genau umrissene Situation anzuwenden. Die Entscheidung, die diesen Zweck verfolgt (ich verwende absichtlich die Einzahl, da es für mich in Wirklichkeit nur eine einzige Entscheidung gibt), hat der Gesamtheit der belgischen Zechen gegenüber sehr wohl individuellen Charakter, und als solche betrifft sie auch den Verband, der ja alle Unternehmen umfaßt, die diese Gruben ausbeuten, und deren Interessenwahrnehmung ihm obliegt. Ich schlage Ihnen daher vor, die beiden Entscheidungen als die Fédération Charbonnière de Belgique „individuell betreffende Entscheidungen“ anzusehen.

Hinsichtlich der drei in der Rechtssache Nr. 9/55 klagenden Unternehmen verhält es sich anders; hier ist es notwendig zu unterscheiden. Der individuelle Charakter den Unternehmen gegenüber dürfte, was den Wegfall oder die Herabsetzung der Ausgleichssätze angeht, die ihnen durch die in dem Schreiben vom 28. Mai und der diesem anliegenden Tabelle namentlich auferlegt werden, nicht bestritten werden können; was die Hohe Behörde im übrigen zugibt. Es ist nicht minder sicher, daß den Bestimmungen über die Drohung mit dem Entzug der Ausgleichszahlungen der gleiche individuelle Charakter in bezug auf diese Unternehmen nicht zuerkannt werden kann: lediglich eine spätere Entscheidung, in der die Drohung für eines von ihnen wahrgemacht werden sollte, wäre diesem gegenüber von solcher Art.

Größere Zweifel könnte man bei der aus der Entscheidung Nr. 22/55 herrührenden Festsetzung der Preise hegen. Ich bin jedoch der Ansicht, daß diese Entscheidung, die darauf abzielt, Preise nach Sorten und Kategorien festzusetzen, die ohne Unterschied auf alle belgischen Zechen Anwendung linden, einem bestimmten Unternehmen gegenüber keinen individuellen Charakter haben kann.

Ich komme jetzt zu der dritten und letzten Frage nach der Zulässigkeit:

Sind die angefochtenen Entscheidungen insoweit, als ihnen ein individueller Charakter nicht zuerkannt werden sollte, mit einem „Ermessensmißbrauch“ den Klägerinnen „gegenüber“ behaftet?

Es handelt sich in Wahrheit eher um eine Frage nach der Begründetheit, die sich jedoch teilweise auf die Zulässigkeit auswirkt, zum mindesten dann, wenn man meiner Ansicht folgt, die ich in den Schlußanträgen zu den Rechtssachen Nr. 3/54 und Nr. 4/54 vorgetragen habe und die sich die Parteien zu meiner Genugtuung zu eigen gemacht haben.

(i) Allgemeine Erwägungen

Meine Herren, zu der Frage, was unter „Ermessensmißbrauch“ (detournement de pouvoir) im Sinne von Artikel 33 und unter „Ermessensmißbrauch ihnen gegenüber“ (detournement de pouvoir à leur égard) im Sinne des zweiten Absatzes des gleichen Artikels zu verstehen ist, erlaube ich mir, auf die Schlußanträge in den Rechtssachen Nr. 3/54 und Nr. 4/54, ASSIDER und ISA (Sammlung, Bd. I, Seite 157 ff.) Bezug zu nehmen. Ich gebe einerseits mit großer Offenheit zu, daß sich tatsächlich trotz ernsten Nachdenkens über diese Frage, und zwar nicht erst seit dem Beginn dieses Prozesses, trotz der sehr interessanten Ausführungen, die ich in den vorliegenden Rechtssachen gelesen und gehört habe, mein Standpunkt, zu welchem ich in den Schlußanträgen zu den Klagen Nr. 3/54 und Nr. 4/54 gelangt bin, in keinem einzigen Punkt geändert hat. Ich stelle nur fest, daß die Parteien, je nach den Umständen, diesen oder jenen Teil der Schlußanträge zitieren, den sie offenbar zur Stützung ihrer Darlegungen als geeignet betrachten, daß diese bisher jedoch meines Wissens von niemandem einer systematischen Kritik unterzogen worden sind. Was jedenfalls die ernsthafte Selbstkritik angeht, so hat diese, wie bereits gesagt, tatsächlich nichts ergeben.

Ich will mich daher auf einige zusätzliche Bemerkungen beschränken:

1.

Ich kann zunächst die von einem der hervorragenden Anwälte der Klägerinnen zu dem Passus in der Begründung des luxemburgischen Ratifikationsgesetzes gemachten Bemerkungen nicht unbeantwortet lassen. Es ist völlig richtig, daß die Begründung eines Gesetzes oder genauer gesagt eines Gesetzentwurfs, wie auch die übrigen Unterlagen, die man gewöhnlich unter der Bezeichnung „vorbereitende Arbeiten“ (travaux préparatoires) zusammenfaßt, für die Auslegung eines Gesetzestextes in keiner Weise verbindlich sind, sie können dem Text insbesondere niemals entgegengehalten werden, wenn dieser klar und unzweideutig ist. Es wird jedoch allgemein als zulässig angesehen, daß Richter zu ihrer Unterrichtung darauf zurückgreifen, um aus ihnen zu entnehmen, was im besonderen Falle geeignet ist, die Gedanken des Gesetzgebers ersichtlich zu machen. Die Richter sind insoweit in der Würdigung tatsächlich auch völlig frei. Wenn es sich um einen Vertrag handelt, so können sich die internen, das Ratifizierungsverfahren betreffenden Urkunden zweifellos nur auf die Absichten oder Gedanken einer der unterzeichnenden Regierungen beziehen. Es ist jedoch immerhin unzulässig anzunehmen, daß eine Regierung, die ihrem Parlament einen Vertrag zur Ratifizierung vorlegt, sich erlauben würde, eine Meinung zu äußern, von der sie wüßte, daß sie von den anderen Unterzeichnerstaaten nicht geteilt wird, und die, zum mindesten nach ihrer Ansicht, die gemeinsame Übereinstimmung nicht zum Ausdruck bringen würde. Was den Vertrag vom 18. April 1951 angeht, so sind vorbereitende Arbeiten praktisch nicht vorhanden — oder sie sind geheim (was auf das gleiche hinausläuft); den Begründungen der einzelnen Nationen kommt aus diesem Grunde eine große Bedeutung zu, und dies um so mehr, als die Begründungen in gewisser Weise aufeinander abgestimmt worden sind, um — was sehr peinlich gewesen wäre — Widersprüche zu vermeiden.

Ich hatte mich meinerseits auf dieses Argument lediglich zur Stützung einer im wesentlichen auf den Text des Artikels 33 selbst gegründeten Ansicht berufen; der betreffende Kommentar zeigte jedoch mit solcher Klarheit die ganz bestimmte Absicht der Verfasser des Vertrages zu der umstrittenen Frage, daß es mir unmöglich schien, ihm nicht einen gewissen Wert zuzusprechen.

2.

Im Gegensatz zu dem, was die Hohe Behörde behauptet, glaube ich, daß man dem Ausdruck „Ermessensmißbrauch“ (détournement de pouvoir) im ersten und im zweiten Absatz des Artikels 33 keinen unterschiedlichen Sinn beimessen kann. Im zweiten Absatz kommt lediglich ein zusätzliches Erfordernis hinzu: der angebliche Ermessensmißbrauch muß dem Kläger gegenüber begangen worden sein.

Diese Auffassung führt im Ergebnis ohne Zweifel zu einer Erweiterung des Anwendungsgebiets des zweiten Absatzes über den Fall eines Ermessensmißbrauchs hinaus, der darin besteht, eine individuelle Entscheidung in die Erscheinungsform einer allgemeinen Entscheidung zu kleiden und so zu „tarnen“; wie ich jedoch in meinen vorhergegangenen Schlußanträgen gezeigt habe (Sammlung, Bd. I, Seite 183), kann diese Erklärung der getarnten individuellen Entscheidung, obwohl sie meines Erachtens die einzig plausible ist, einer Anwendung des Textes, so wie er sich darstellt, nicht im Wege stehen, da die enge Auslegung dazu führen würde, die von den Verbänden gegen allgemeine Entscheidungen erhobenen Klagen jeglicher Tragweite zu entkleiden. Sollten Sie meinen Anregungen über die Rechtsnatur der die Verbände betreffenden individuellen Entscheidungen folgen, so würde diese Schwierigkeit tatsächlich praktisch verschwinden, allein schon durch die Tatsache, daß die Anzahl der Entscheidungen, die den Verbänden gegenüber allgemeiner Natur wären, verringert würde; der Einwand bleibt jedoch nichtsdestoweniger beachtlich.

3.

Einige Bemerkungen, die ich Ihnen gerne noch unterbreiten würde, beschäftigen sich mit dem Begriff des Ermessensmißbrauchs in Artikel 33.

a)

Meine Herren, ich habe mit Genugtuung festgestellt, daß sich die Parteien über die Definition des Ermessensmißbrauchs im folgenden Sinne geeinigt haben: dieser ist gegeben, menn eine Behörde von ihren Befugnissen zu einem anderen Zweck Gebrauch macht als demjenigen, zu dem diese Befugnisse verliehen wurden (l'usage fait par une autorité publique de ses pouvoirs dans un but autre que celui en vue duquel ils lui ont été conférés); höchstens neigen die Beistände der Klägerinnen dazu, den Ausdruck „objet“ (Ziel) oder „objectif“ (Zielsetzung), dem Ausdruck „but“ (Zweck) vorzuziehen.

Wie ist es dann aber zu erklären, daß die Meinungsverschiedenheit wieder so vollständig auftritt, wenn es darum geht, von der Definition zur Anwendung überzugehen? Wie ist es erklärlich, daß die Klägerinnen in jedem, einzelnen Falle dazu kommen, die Vorwürfe des Ermessensmißbrauchs und der Gesetzwidrigkeit nebeneinander einhergehen zu lassen?

An dieser Stelle, meine Herren, setzt eine mir unverständliche Theorie ein, in die ich, wie ich in aller Ergebenheit zugebe, trotz anhaltender Anstrengungen bisher unfähig war einzudringen, die sogenannte Theorie des „objektiven Ermessensmißbrauchs“ (détournement de pouvoir objectif), welche derjenigen Theorie, die einzig auf die Willensrichtung abstellen soll, gegenübergestellt wird.

Wenn ich sage, mir sei die sogenannte „objektive“ Theorie unverständlich, so möchte ich nicht mißverstanden werden; ich will sagen, ich verstehe sie dann nicht, wenn ich von der klassischen Definition ausgehe, die ich vor einem Augenblick zitiert habe.

Meine Herren, lassen Sie mich auf diese Definition zurückkommen: eine Behörde macht von ihren Befugnissen zu einem anderen Zwecke Gebrauch (oder wenn man es vorzieht: in bezug auf ein anderes Ziel [objet] oder im Verfolg einer anderen Zielsetzung [objectif]) als demjenigen, zu dem diese Befugnisse verliehen wurden.

Dies setzt zunächst voraus, daß der betreffenden Behörde Befugnisse zustehen, Befugnisse, deren Ausübung in ihr Ermessen gestellt sind, zum mindesten innerhalb gewisser Grenzen. Stehen ihr einerseits diese Befugnisse nicht zu, dann kann sie sie auch nicht mißbrauchen; und wenn ihr andererseits Befugnisse zustehen, jedoch unter der Voraussetzung, daß sie von Gesetzes wegen gehalten ist, diese in einem bestimmten und keinem anderen Sinne zu gebrauchen, so stellt sich die Frage nach dem Ermessensmißbrauch gleichfalls nicht: es handelt sich hier um das sogenannte „gebundene Ermessen“ (compétence liée).

Was das Unterscheidungsmerkmal der Willensrichtung angeht, so will ich, meine Herren, daran nicht unbedingt festhalten, falls dieser Ausdruck auf gewisse Gemüter schockierend oder erschrekkend wirken sollte. Es handelt sich natürlich nicht darum, „auf Herz und Nieren zu prüfen“ (sonder les reins et les cœurs) und die Gedanken oder geheimen Hintergedanken aufzuspüren, die derjenige, der den Verwaltungsakt erlassen hat, im Zeitpunkt des Erlasses gehabt haben mag; diese Untersuchung psychologischer Natur wäre um so lächerlicher, als die Entscheidung, wie es hier der Fall ist, von einer kollegialen Behörde ausgegangen sein könnte; es kommt jedoch darauf an, zu erfahren, welchen Zweck (welche Zielsetzung oder welches Ziel) derjenige, der die Entscheidung erlassen hat, im Zeitpunkt des Erlasses wirklich verfolgt hat, um Vergleiche ziehen zu können zu demjenigen Zweck, den er wirklich hätte verfolgen müssen und von dem bis zum Beweise des Gegenteils vermutet wird, daß er ihn wirklich verfolgt habe; weder die Ergebnisse der Entscheidung, noch auch insbesondere deren Gesetzwidrigkeit und noch weniger eine Kompetenzüberschreitung können insofern als Beweise dienen — sonst hätten die Worte keinen Sinn mehr.

Wie soll dann jedoch der Nachweis über den wirklich verfolgten Zweck erbracht werden? Dieser Nachweis kann sich aus einem oder mehreren Umständen tatsächlicher Natur (so z. B. aus einem Briefwechsel, Erklärungen usw.) ergeben, die demzufolge streng objektiver Natur wären und die ersichtlich machen würden, daß derjenige, der den Verwaltungsakt erlassen hat, tatsächlich nicht den gesetzlichen Zweck (Ziel oder Zielsetzung) im Auge hatte, sondern einen anderen, der es nicht ist.

b)

Ich würde gerne noch zwei Bemerkungen machen:

I. —

Ich gebe ohne weiteres zu (und ich habe nie das Gegenteil behauptet), daß ein Ermessensmißbrauch selbst dann vorliegen kann, wenn der von der Behörde zu verfolgende Zweck oder das zu verfolgende Ziel im Gesetz selbst festgelegt ist: dieser Fall kommt im Vertrag häufig vor, und zwar gerade im § 26, 2 a des Übergangsabkommens, der uns angeht. Nichts wäre natürlich willkürlicher, als das Vorliegen eines Ermessensmißbrauchs nur aus dem Grunde auszuschließen, weil der Zweck im Gesetz festgelegt ist. Nur insoweit jedoch, als die Machtbefugnis gegeben und deren Ausübung in das freie Ermessen gestellt ist, ist ein Mißbrauch dieses Ermessens denkbar: liegt eine Überschreitung der Grenzen vor, so handelt es sich um eine Eimessensüberschreitung (excès de pouvoir) und nicht um einen Ermessensmißbrauch (eccesso di potere, nicht sviamento di potere), was sich bei einer Übertragung auf das gesamte Vertragswerk als Unzuständigkeit (incompétence) oder als Gesetzesverletzung (violation de la loi) (oder als beides zusammen, da die Regelung der Zuständigkeit im allgemeinen durch das Gesetz erfolgt) darstellt.

II. —

Man hat sich oft zur Stützung der Forderung auf weite Auslegung des klassischen Begriffs des Ermessensmißbrauchs bei der Anwendung des Artikels 33 darauf berufen, daß dieser Begriff, in Anbetracht von Natur und Wesen der zur Ausführung des Vertrages berufenen Behörde praktisch nie zur Anwendung käme. Wie wäre es denkbar, so fragt man sich, daß die Hohe Behörde sich soweit erniedrigen könnte, um das zu begehen, was man einen „verwerflichen“ (sordide) Ermessensmißbrauch nennt? Das hieße, sie mit einem Dorfbürgermeister auf eine Stufe stellen.

Meine Herren, dieser Einwand ist, meines Erachtens, völlig irrig.

Es hieße zunächst vergessen, daß die Größten oft die größten Schwächen haben …

Es hieße jedoch vor allem zweierlei vergessen: zunächst, daß die klassische Auffassung vom Ermessensmißbrauch in keiner Weise auf die „verwerflichen“ Fälle oder, sagen wir eher, um diesen zweifellos übertriebenen Ausdruck zu vermeiden, auf diejenigen Fälle beschränkt ist, in denen ein persönliches oder ein Einzelinteresse die Stelle des allgemeinen Interesses eingenommen hat. In seiner überlieferten Form findet man den Ermessensmißbrauch auch in Fällen, in denen das verfolgte Ziel völlig rechtschaffen ist, d. h. vollauf dem Gesetz entspricht, ohne jedoch dasjenige zu sein, das es sein sollte: das klassische Beispiel hierfür ist der Einsatz polizeilicher Machtmittel zur Durchsetzung fiskalischer Interessen. Es gibt ferner den sogenannten „Verfahrensmißbrauch“ (détournement de procédure), der in der Beobachtung eines einfacheren Verfahrens besteht, um den Weg über die als lästiger empfundenen Förmlichkeiten des in Wirklichkeit einzuhaltenden Verfahrens zu vermeiden.

Betrachtet man dagegen, und dies ist die zweite Bemerkung, den Ermessensmißbrauch unter diesem Gesichtswinkel, dann kann man sich vorstellen, daß die Hohe Behörde diesem ganz besonders ausgesetzt ist. Ist sie diesem nicht z. B. dann ausgesetzt, wenn sie ihre Machtbefugnisse unter Vernachlässigung der ihr anvertrauten Interessen zum Vorteil der allgemeinen Wirtschaftspolitik eines Mitgliedstaates einsetzt (oder ablehnt, diese einzusetzen)? Ist dies nicht genau das, was ihr in der vorliegenden Sache vorgeworfen wird, und haben wir nicht gesehen, daß der Hohen Behörde in einer anderen, Fragen der Kohle betreffenden Rechtssache genau der gleiche Vorwurf gemacht worden ist? Es ist auf diese Parallele bereits hingewiesen worden, weshalb ich mir diesen Hinweis gleichfalls erlaube. Von ihrer Machtbefugnis den Interessen der Kohlenerzeuger zuwider Gebrauch zu machen, um diese einer, nehmen wir an im Interesse der Allgemeinheit völlig aufrichtigen und von den lautersten Absichten getragenen Politik eines dynamischen deutschen oder belgischen Wirtschaftsministers zu opfern, läge darin nicht, wenn mir ein solcher Ausdruck gestattet ist, ein auf die Hohe Behörde „zugeschnittener“ (à la taille) Ermessensmißbrauch?

Ob er nachgewiesen ist oder nicht, das ist eine andere Frage. Was ich jedoch zeigen wollte, ist, daß die Behauptung, ein Ermessensmißbrauch im klassischen Sinne sei nach dem Vertrag undenkbar, nicht richtig ist: das Gegenteil scheint mir wahr zu sein.

(ii) Anwendung auf den vorliegenden Fall

Es bleibt jetzt noch die Aufgabe, nach einer Untersuchung über die wahre Natur von jedem einzelnen der geltend gemachten Klagegründe diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

Ich beziehe mich zu diesem Zweck auf die Aufzählung der Klagegründe, wie sie aus der Erwiderung der drei Gesellschaften des Kempenlandes (S. 13/14) hervorgeht, weil sie dort am vollständigsten ist und weil die Frage hauptsächlich die Gesellschaften angeht (und sogar einzig diese, wenn Sie meinen Anregungen über den individuellen Charakter der Entscheidungen der FÉDÉCHAR gegenüber folgen sollten).

Erster Klagegrund. —„Die Hohe Behörde hat einen Ermessensmißbrauch begangen, andernfalls eine Maßnahme erlassen, die über ihre Zuständigkeit hinausgeht, und/oder den Vertrag verletzt, weil sie von Amts wegen eine Preisliste aufstellte.“

Meine Herren, der ganze diesbezügliche Streit geht einzig darum, in Erfahrung zu bringen, ob maßgebliche Gesetzestexte und insbesondere der § 26 des Übergangsabkommens es der Hohen Behörde gestatten, ohne Zustimmung der Erzeuger „von Amts wegen“ (d'autorité) Preislisten aufzustellen. Es handelt sich um eine reine Frage der Gesetzmäßigkeit, die dem Begriff des Ermessensmißbrauchs völlig fremd ist. Es geht andererseits um die Entscheidung Nr. 22/55, der meines Erachtens den drei Unternehmen gegenüber nicht der Charakter einer individuellen Entscheidung zukommt. Dieser Klagegrund kann insoweit, als er in der Rechtssache Nr. 9/55 vorgetragen wird, nicht geltend gemacht werden.

Zweiter Klagegrund. — „Die Hohe Behörde hat einen Ermessensmißbrauch begangen, andernfalls eine Maßnahme erlassen, die über ihre Zuständigkeit hinausgeht, und/oder den Vertrag verletzt, da sie niedrigere Preise vorschrieb.“

Hierzu behaupten die Klägerinnen zunächst, daß eine Strukturänderung nicht auf dem Wege über eine künstliche Herabsetzung der Verkaufspreise verwirklicht werden könne, diese Herabsetzung müsse ein Ergebnis der Senkung der Gestehungskosten durch Investitionen, Rationalisierung und Modernisierung des Produktions-apparates sein, was wiederum dazu führen müsse, den Unternehmen zu gestatten, für den Fall, daß sich eine günstige Konjunkturlage bieten sollte — was gegenwärtig der Fall sei —, aus dieser Vorteile zu ziehen.

Meine Herren, es handelt sich daher darum, festzustellen, ob der Hohen Behörde das Recht zusteht oder nicht, niedrigere Preise festzusetzen, ohne der Konjunkturlage Rechnung zu tragen: dies ist eine Frage, die dem Zweck des maßgeblichen Textes, wonach eine Annäherung der Preise erzielt werden soll, fremd ist; es wird nicht bestritten, daß die Hohe Behörde diese Angleichung vor Augen gehabt habe; um einen Ermessensmißbrauch kann es sich daher nicht handeln.

Aus Anlaß der Geltendmachung des gleichen Klagegrundes behaupten die Klägerinnen, die Hohe Behörde habe zu Unrecht die Preise des Gemeinsamen Marktes an diejenigen des Ruhrgebietes angeglichen.

Meine Herren, es wird hier das Vorliegen eines Tatsachenirrtums über die Frage behauptet, was unter „Preisen des Gemeinsamen Marktes“ im Sinne von Artikel 26, 2 a zu verstehen sei, und nicht etwa das Vorliegen eines Ermessensmißbrauchs.

Auch dieser Klagegrund kann in seinem gesamten Umfang von den klagenden Unternehmen nicht geltend gemacht werden.

Dritter Klagegrund. — „Die Hohe Behörde hat einen Ermessensmißbrauch begangen, andernfalls eine Maßnahme erlassen, die über ihre Zuständigkeit hinausgeht, und/oder den Vertrag verletzt, da sie niedrigere Preise festsetzte, ohne die voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit zu berücksichtigen.“

Meine Herren, ich habe bereits meine ernsten Zweifel über die Zulässigkeit dieses Klagegrundes, der Form nach, zum Ausdruck gebracht, da dieser von den drei Gesellschaften des Kempenlandes, zum mindesten ausdrücklich, erst in deren Erwiderung vorgetragen worden ist.

Auf jeden Fall müßte diesem Klagegrund die gleiche Antwort zuteil werden wie den zwei ersteren: in der Tatsache, den voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit nicht Rechnung getragen zu haben, liegt kein Ermessensmißbrauch, sondern eine Verletzung des § 26, 2 a, der ausdrücklich die Verpflichtung enthält, diesen Rechnung zu tragen.

Vierter Klagegrund. — „Die Hohe Behörde hat einen Ermessensmißbrauch begangen, da sie unter dem Druck der belgischen Regierung, zum mindesten jedoch zur Erreichung von Zielen gehandelt hat, die zur Politik der belgischen Regierung gehören, dem Vertrag jedoch fremd sind.“

Dieser Klagegrund ist ein typischer Klagegrund, mit dem ein Ermessensmißbrauch geltend gemacht wird. Sollten Sie meine Ansicht zu der Auslegung des zweiten Absatzes des Artikels 33 teilen, dann würden Sie ohne Zweifel annehmen, daß dieser Ermessensmißbrauch., wenn man ihn als erwiesen unterstellt, sehr wohl den drei klagenden Gesellschaften „gegenüber“ begangen worden ist, die die wahren Opfer der Selektivität sind. Dies scheint mir auf beide Entscheidungen zuzutreffen, weil diese in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht untrennbar sind, was zur Folge hätte, daß alle die Gesetzmäßigkeit betreffenden Klagegründe von den drei Gesellschaften zusätzlich zu dem Klagegrund des Ermessensmißbrauchs geltend gemacht werden könnten, zum mindesten dann, wenn man meine in den Schlußanträgen zu den Rechtssachen Nr. 3/54 und Nr. 4/54 vertretene Auffassung gelten läßt (Sammlung, Bd. I, S. 156), mit der sich die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits einverstanden erklären. Dieser Vorteil braucht nicht nur rein akademischer Natur zu sein, zum mindesten was die Rechtsfolgen des Urteils angeht, wenn nicht sogar auch dessen Tenor, der offensichtlich nur auf Nichtigerklärung lauten kann. Ich erinnere Sie jedoch daran, daß dieser von den anderen klar unterschiedene Klagegrund in der Klage Nr. 9/55 nicht, auch nicht andeutungsweise, geltend gemacht worden ist. Er kann daher nur auf die Klage Nr. 8/55 hin geprüft werden.

Fünfter Klagegrund. — „Die Hohe Behörde hat einen Ermessensmißbrauch begangen, andernfalls eine Maßnahme erlassen, die über ihre Zuständigkeit hinausgeht, und/oder den Vertrag verletzt, da sie angedroht hat, denjenigen Unternehmen die Ausgleichszahlungen zu entziehen, die sich weigern, die für erforderlich gehaltenen Investitionen oder den Tausch von Lagerstätten vorzunehmen.“

In diesem Punkt ist das Schreiben vom 28. Mai, wie bereits gesagt, den drei Gesellschaften gegenüber nicht individueller Natur, was diese im übrigen auch selbst anerkennen. Es stellt sich dann aber die Frage, ob der Hohen Behörde die Befugnis zusteht, eine solche Maßnahme zu erlassen oder nicht, und nicht etwa, ob sie, als sie dies tat, einen anderen Zweck verfolgt hat als die Angleichung der Preise, was wohl nicht bestritten werden kann; um einen Ermessensmißbrauch handelt es sich jedoch nicht.

Sechster Klagegrund. — „Die Hohe Behörde hat einen Ermessensmißbrauch begangen, andernfalls eine Maßnahme erlassen, die über ihre Zuständigkeit hinausgeht, und/oder den Vertrag verletzt, da sie den Zusammenhang zwischen Ausgleichszahlungen und Festsetzung einer Preisliste getrennt und eine Preisliste festgesetzt, die Ausgleichszahlungen jedoch verweigert hat.“

Mir scheint, daß dieser Klagegrund von dem siebenten und letzten Klagegrund nicht geschieden werden kann, mit dem er eine Einheit bildet und der wie folgt lautet:

Siebenter Klagegrund. — „Die Hohe Behörde hat einen Ermessensmißbrauch begangen, andernfalls eine Maßnahme erlassen, die über ihre Zuständigkeit hinausgeht, und/oder den Vertrag verletzt, da sie den drei Klägerinnen die Ausgleichszahlungen verweigerte oder geringere Ausgleichszahlungen bewilligte, ihnen aber für die gleichen Kohlensorten die gleiche Preisliste wie den übrigen Erzeugern vorschrieb.“

Meine Herren, es handelt sich hier um denjenigen Passus des Schreibens vom 28. Mai, dem nach übereinstimmender Auffassung die Rechtsnatur einer individuellen Entscheidung den Klägerinnen gegenüber zukommt. Die Zulässigkeit der Klage zu diesem Punkt steht außer Zweifel, und alle in Artikel 33 vorgesehenen Klagegründe können geltend gemacht werden.

Ich bin, zusammenfassend, der Ansicht, daß die Klage Nr. 9/55 nur insoweit zulässig ist, als sie auf die Entscheidung abstellt, in der den drei klagenden Gesellschaften die Ausgleichszahlungen entzogen oder ihnen nur ermäßigte Ausgleichszahlungen zugestanden werden, während ihnen gleichzeitig die Einhaltung einer Preisliste auferlegt wird. Dieser Punkt interessiert diese im übrigen, wie sie selbst zugeben, am meisten. Was die Klage Nr. 8/55 angeht, so scheint sie mir in allen Punkten und hinsichtlich aller unter Berufung auf Artikel 33 vorgetragenen Klagegründe zulässig zu sein.

Bevor ich mit diesen Verfahrensfragen zu einem Abschluß komme, würde ich gerne noch eine letzte Bemerkung machen.

Die Prüfung der mit der Klage Nr. 9/55 geltend gemachten Klagegründe, der ich mich gerade unterzogen habe, zeigt ganz deutlich folgendes: entscheidet man sich für den zu weitgehenden Begriff des Ermessensmißbrauchs, dann fällt dieser praktisch mit der Gesetzesverletzung oder der Unzuständigkeit zusammen, so daß den Unternehmen und deren Verbänden auf diesem Umweg in Wirklichkeit die gleichen Rechte zuerkannt würden, wie sie den Staaten und dem Rat gegen allgemeine Entscheidungen zustehen. Ein solches Ergebnis, das dem Artikel 33 so offensichtlich und direkt entgegengesetzt ist, genügt meines Erachtens, um die weite Auslegungsweise zu verurteilen.

Dagegen glaube ich, daß die Auslegung, die ich Ihnen vorschlage, insoweit als sie gleichermaßen von einer weiten wie von einer durch Bezogenheit geprägten Auffassung der individuellen Entscheidung ausgeht, dem Artikel 33 nicht zuwiderläuft, sondern dem Geist dieser Bestimmung entspricht, wenn sie auf den im wesentlichen relativen Begriff des Interesses abstellt, der der Nichtigkeitsklage zugrunde liegt. In dieser Richtung sollten sich die voll und ganz dem Gesetz entsprechenden Bemühungen bewegen, den unserer Gerichtsbarkeit Unterworfenen so weitgehend wie möglich entgegenzukommen, und nicht etwa auf dem Wege über eine, wie ich sie nenne, „Auflösung“ (désintégration) des Begriffs des Ermessensmißbrauchs, dessen Handhabung schon an sich heikel ist und der, welche Bedeutung ihm auch immer zukommen sollte, in der Praxis der Nichtigkeitsklagen stets nur eine mehr oder weniger nebensächliche Rolle gespielt hat.

VI — ZUR HAUPTSACHE

Ich komme jetzt endlich zur Hauptsache. Ich habe vor, nacheinander die Klagegründe des Verstoßes gegen das Gesetz und den Klagegrund des Ermessensmißbrauchs zu untersuchen, wobei ich die ersteren etwas anders anordnen werde, als es die Parteien, sei es in ihren Klageschriften, sei es in ihren Erwiderungen (auf die ich mich soeben bezogen habe), getan haben. Man sollte eher von „Vorwürfen“ (griefs) als von Klagegründen sprechen.

Hier die Reihenfolge:

1.

Preisfestsetzung von Amts wegen: dies ist der Vorwurf Nr. 1 der Erwiderungen, der sich im wesentlichen auf die Verletzung des § 26, 2 a des Übergangsabkommens stützt;

2.

Festsetzung niedrigerer Preise, ohne der Konjunkturlage Rechnung zu tragen. Dies ist der erste Teil des zweiten Vorwurfs der Erwiderungen;

3.

Auflösung des Zusammenhangs zwischen Ausgleichszahlungen und Preistafel. Es könne nicht gleichzeitig die Einhaltung einer Preistafel auferlegt und die Leistung der Ausgleichszahlungen verweigert werden, noch könne gewissen Unternehmen für die gleichen Sorten die Einhaltung der gleichen Preistafel auferlegt werden wie den anderen Unternehmen, während ihnen die Ausgleichszahlungen vorenthalten oder ihnen nur verringerte Ausgleichszahlungen gewährt würden. Es sind dies die Vorwürfe Nr. 6 und Nr. 7 der Erwiderungen;

4.

Die Drohung mit dem Entzug der Ausgleichszahlungen. Es ist dies der Vorwurf Nr. 5 der Erwiderungen;

5.

Irrtum der Hohen Behörde bei der Festsetzung der Preise des Gemeinsamen Marktes, die nicht diejenigen des Ruhrgebietes seien. Es ist dies der zweite Teil des Vorwurfs Nr. 2 der Erwiderungen;

6.

Irrtum der Hohen Behörde bei der Festsetzung der voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit. Dies ist der Vorwurf Nr. 3 der Erwiderungen;

7.

Der Klagegrund des Ermessensmißbrauchs. Dies ist der Vorwurf Nr. 4 der Erwiderungen.

Erster Vorwurf. — Preisfestsetzung von Amts wegen.

Es wird behauptet, weder auf Grund des § 26, 2 a noch auch auf Grund irgendeiner anderen Bestimmung des Vertrages oder des Übergangsabkommens sei es der Hohen Behörde gestattet, selbständig ohne die Einwilligung der Erzeuger die Preise der belgischen Kohle für die Anwendung der Ausgleichsregelung von Amts wegen festzusetzen.

Zur Begründung wird auf den Text, insbesondere auf die Fassung des letzten Satzes des Absatzes a) verwiesen: „Die auf dieser Grundlage aufgestellte Preistafel darf nicht ohne Einverständnis der Hohen Behörde verändert werden“: diese Bestimmung könne nur dann einen Sinn haben, wenn die Preistafel nicht von der Hohen Behörde aufgestellt werde. Wer sollte sie dann aufstellen? In Ermangelung gegenteiliger Hinweise die Erzeuger selbst.

Tatsächlich sei — und hier begibt man sich an eine Exegese des Vertrages — die von diesem errichtete Ordnung eine Marktordnung mit marktwirtschaftlichem Charakter, in der die Preise grundsätzlich von den Erzeugern frei festgesetzt würden, während die öffentliche Gewalt sich darauf zu beschränken habe, darüber zu wachen, daß der Konkurrenzkampf in normalen Bahnen und insbesondere ohne Diskriminierungen verlaufe. Die Ziele, deren Erreichung der Vertrag der Gemeinschaft übertragen habe, müßten natürlich durch dieses freie Spiel der Kräfte verwirklicht werden, das Recht einzugreifen sei nur in Notfällen gegeben, und zwar in der Art und Weise, wie es ausdrücklich festgelegt worden sei. Da der § 26 keine Abänderungen dieser Grundsätze vorsehe, könne man solche auch nicht unterstellen; man könne dies auch um so weniger, als § 1 Nr. 5 des Übergangsabkommens ausdrücklich die Bestimmungen des Vertrages von dessen Inkrafttreten ab für anwendbar erkläre „vorbehaltlich der Änderungen und unbeschadet der ergänzenden Bestimmungen, die … in diesem Abkommen vorgesehen sind …“ Dem Abkommen sei somit eine ganz ausgesprochen enge Auslegung eigen und in dem Maße, als es der Hohen Behörde nicht ausdrücklich besondere Machtbefugnisse verleihe, besitze diese während der Übergangszeit nur diejenigen, die ihr der Vertrag zuerkenne. Auf dem Gebiet der Preise seien diese Befugnisse in Artikel 61 geregelt und sonst nirgends: es wird nur das Recht gewährt, Höchstpreise oder Mindestpreise, nicht jedoch Festpreise festzusetzen, und zwar erst nach Erfüllung gewisser Formalitäten.

Die so dargelegte strenge Auslegungsmethode sei schließlich diejenige, die immer dann vorherrschen müsse, wenn es sich um internationale Verträge handele, dem Brauch internationaler Rechtsprechung gemäß, wie z. B. des Haager Gerichtshofes.

Meine Herren, zu diesem letzten Punkt werde ich mich nicht lange auslassen. Es ließe sich zweifellos darauf hinweisen, daß unser Gerichtshof in keiner Weise ein internationaler Gerichtshof ist, sondern daß ihm die Rechtsprechung innerhalb einer von sechs Staaten geschaffenen Gemeinschaft obliegt, die weit eher einer bundesstaatlichen als einer internationalen Einrichtung gleicht, und daß der Vertrag, dessen Anwendung sicherzustellen Aufgabe des Gerichtshofes ist, wenn er auch in der Form internationaler Verträge abgeschlossen wurde und wenn er auch zweifelsohne ein solcher ist, von einem materiellen Gesichtspunkt aus betrachet, darum nicht minder die Charta der Gemeinschaft darstellt, so daß die rechtlichen Bestimmungen, die sich aus ihm herleiten lassen, als das interne Recht dieser Gemeinschaft anzusehen sind. Was die Quellen dieses Rechts anbelangt, so steht dem offensichtlich nichts im Wege, daß man sie gegebenenfalls im internationalen Recht suche, normalerweise jedoch und am häufigsten wird man sie eher im innerstaatlichen Recht der verschiedenen Mitgliedstaaten finden. Sind die klagenden Parteien in diesem Rechtsstreit nicht selbst diesen Weg gegangen, so z. B. im Hinblick auf den Begriff des Ermessensmißbrauchs, wo es sich herausgestellt hat, daß die nationalen Rechtsordnungen eine weitaus reichere Quelle darstellen als die wahrhaft etwas summarische Theorie des „abuse of power“?

Es erscheint mir jedoch, meine Herren, überflüssig, zu diesem Punkt in eine doktrinäre Auseinandersetzung einzutreten, weil es, ob es sich nun um internationale Verträge oder innerstaatliche Gesetze handelt, einen allgemein anerkannten Grundsatz darstellt, auf den ich mich bereits bezogen habe, daß eine. Auslegung oder ein Aufsuchen des vermutlichen Willens derjenigen, die den Vertragstext verfaßt haben, nur dann statthaft ist, wenn Unklarheiten oder Doppeldeutigkeiten vorliegen, und weil dem ausdrücklichen Buchstaben des Gesetzes stets der Vorzug gebührt. Obwohl ich in keiner Weise ein Fachmann auf dem Gebiete des internationalen Rechts bin — ich begebe mich daher nur mit Zurückhaltung und unter allen Vorbehalten auf dieses Gebiet —, habe ich den Eindruck, daß es in Wirklichkeit für die Frage der Auslegung innerstaatlicher Gesetzestexte und internationaler Gesetzestexte nicht zwei unterschiedliche Lehrmeinungen gibt, daß jedoch in der internationalen Rechtsprechung tatsächlich die Tendenz obwaltet, bei Abweichungen von der wörtlichen Anwendung vorsichtiger zu sein als die staatlichen Gerichte, was leicht erklärlich ist. Einerseits kann die genaue Feststellung des gemeinsamen Willens (die übereinstimmende Absicht der Parteien), die der Auslegung einer vertraglichen Vereinbarung zugrunde gelegt werden muß, bei solchen Vereinbarungen wie den internationalen Abkommen, die gewöhnlich das Ergebnis mehr oder weniger mühseliger Kompromisse darstellen und wo die Unklarheit oder die ungenaue Abfassung häufig nur dazu dienen soll, den Mangel grundsätzlicher Übereinstimmung zu verbergen, fast immer schwer mit Bestimmtheit erfolgen. Andererseits sind die sogenannten allgemeinen Rechtsgrundsätze notwendigerweise viel verschwommener, wenn man gezwungen ist, sie in weltweitem Rahmen zu suchen, als wenn man auf die in einem einzigen Staat geltende Überlieferung zurückgreifen kann.

Ich bin daher, was die Auslegungsmethode angeht, völlig gleicher Auffassung.

Die Kernfrage ist jedoch gerade die, ob der Vertragstext unklar ist und eine Auslegung erfordert. In dieser Hinsicht nun beweisen allein die Existenz des gegenwärtigen Rechtsstreits und die gemachten Ausführungen, daß dies tatsächlich der Fall ist.

„Die auf dieser Grundlage aufgestellte Preistafel darf nicht ohne Einverständnis der Hohen Behörde verändert werden.“ Der Text enthält ein Formerfordernis, an das eine eventuelle Änderung der Preistafel geknüpft ist, er sagt jedoch nicht, mer die Preistafel aufstellt und wer die Grundlagen bestimmt, von denen ausgegangen werden soll. Man muß ihn daher sehr wohl einer Auslegung unterziehen, um diese Lücke auszufüllen. Obgleich der Code Napoleon hier nicht anwendbar ist, kann ich nicht umhin, auf dessen Artikel 4 hinzuweisen, wonach „der Richter, der sich unter dem Vorwande des Schweigens, der Dunkelheit oder der Unzulänglichkeit des Gesetzes weigert, Recht zu sprechen, … wegen Justizverweigerung verfolgt werden“ kann.

Sie kennen die vorgetragenen Thesen. Ich habe diejenigen der Klägerinnen dargelegt. Was die Hohe Behörde angeht, so behauptet diese, sie sei, da die Verantwortung für den reibungslosen Ablauf der Ausgleichsregelung, die eine durch das Abkommen eingeführte Art hoheitlicher Eingriffsmöglichkeiten darstellt, um am Ende der Übergangszeit die Eingliederung des belgischen Kohlenmarktes in den Gemeinsamen Markt zu erreichen, bei ihr liege, allein befugt, insoweit als es zur Verwirklichung der im Text fest- gelegten Ziele erforderlich sei, die Preise festzusetzen. Eine solche Maßnahme könne nur die Aufgabe einer Behörde sein, und es sei nicht möglich, die Verantwortung hierfür allein den Erzeugern zu überlassen.

Der Vollständigkeit halber muß noch auf eine dritte These hingewiesen werden: diese geht aus der Begründung des niederländischen Ratifikationsgesetzes hervor, in der zu § 26 wie folgt Stellung genommen wird: „Die Ausgleichszahlungen, die Belgien aus dem Ausgleichsfonds erhalten wird, sind zur Erreichung von drei genau festgelegten Zielen bestimmt: der erste Punkt bezieht sich auf die vorher erwähnte Sanierung. Er besteht darin, schon mit dem Beginn der Übergangszeit die Angleichung der belgischen Kohlenpreise für die Verbraucher an das voraussichtliche Preisniveau am Ende dieses Zeitabschnittes zu erlauben. Dieses Niveau, das infolge des Zwanges der Umstände ermittelt werden muß, wird von der belgischen Regierung festgesetzt in der Form einer Preistafel, die für die gesamte Übergangszeit gültig ist, es sei denn, die Hohe Behörde würde eine Abänderung genehmigen.“

Meine Herren, wir werden beim zweiten Vorwurf sehen, ob die These der Hohen Behörde begründet ist. Augenblicklich stehen wir jedoch lediglich vor der Frage: wem steht die Festsetzung der Preistafel zu, für den Fall, daß eine Übereinstimmung zwischen den Erzeugern und der Hohen Behörde nicht zustande kommt?

Lassen Sie mich zunächst feststellen, daß die Parteien darin übereinstimmen, daß Artikel 61 keine Anwendung findet. Die Hohe Behörde gibt zu, daß sie sich in ihrer ersten Entscheidung Nr. 24/53 zu Unrecht auf diese Bestimmung berufen hat. Ich teile diese Ansicht: es handelt sich bei dem § 26, 2 a darum, Festpreise und nicht Höchstpreise festzusetzen. Dies ist zutreffend, welche Meinung man auch immer über das Wesen der Ausgleichsregelung haben sollte und über die Art, in der sie ihren Zweck erreichen soll, ob durch das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte oder durch den dirigistischen Eingriff einer Behörde.

Selbst wenn man die erste Meinung vertritt, könnte es abweichende Auffassungen geben über die Schätzung der Ausgleichssätze, nach denen die Verkaufspreise festgesetzt werden müssen, und es wäre nicht denkbar, daß diese Ausgleichssätze, die notwendigerweise zu der Höhe, wenn nicht zur Verteilung der abgeführten Ausgleichsbeiträge im Verhältnis stehen, von den Erzeugern frei festgesetzt würden, da ja die Hohe Behörde auf Grund des § 25 „unter Berücksichtigung des von ihr … anerkannten Bedarfs“ die tatsächliche Gesamthöhe der Ausgleichsumlagen festsetzt. Übrigens behaupten dies die Klägerinnen auch gar nicht. Sie behaupten (Erwiderung S. 21, Or. 19), „daß die Festsetzung eines Preises das Ergebnis einer gemeinsamen Untersuchung sein müsse, auf Grund welcher die Hohe Behörde ihre Zustimmung erteile“.

Dann taucht aber gleich die Frage auf: was geschieht, wenn ein Übereinkommen nicht erzielt wird? Im schriftlichen Verfahren ist diese Frage unbeantwortet geblieben. Dagegen hat sie uns einer der Beistände der FÉDÉCHAR in der mündlichen Verhandlung beantwortet. Wenn kein Übereinkommen erzielt wird, dann liegen die Dinge ganz einfach: es gibt dann keine Ausgleichszahlungen, zum mindesten nicht zugunsten desjenigen Unternehmens, an dem das Übereinkommen gescheitert ist, woraus folgt, daß überhaupt keine Ausgleichszahlungen geleistet würden, wenn mit allen Unternehmen ein Übereinkommen nicht zu erzielen ist.

Dieses Ergebnis allein, meine Herren, genügt, um diese These zu verurteilen, weil es nicht statthaft ist, daß der bloße Wille der Erzeuger allein das Funktionieren einer Regelung lahmlegt, deren Errichtung im Vertrag zwingend vorgeschrieben ist und die dieser selbst als zur Erreichung der Eingliederung der belgischen Kohle in den Gemeinsamen Markt unumgänglich ansieht. Wie wir gesehen haben, hat allein die belgische Regierung, und zwar auf Grund ausdrücklicher Bestimmungen des Übergangsabkommens, das Recht, sich dem zu widersetzen, was verständlich ist, weil eine Entscheidung von solcher Tragweite offensichtlich nur von den verantwortlichen politischen Organen des Landes getroffen werden kann.

Die Entscheidungsbefugnis kann somit nur einer Behörde zustehen. Ist es die Hohe Behörde oder, entsprechend der in der Begründung zum niederländischen Ratifikationsgesetz vertretenen Auffassung, die belgische Regierung? Ich bin nicht der Meinung, daß es in Ermangelung von Bestimmungen, die ihr ausdrücklich ein solches Recht übertragen würden, die belgische Regierung sein könnte. Meines Erachtens kann es nur die Hohe Behörde sein, die nach Artikel 8 des Vertrages „die Aufgabe“ hat, „für die Erreichung der in diesem Vertrag festgelegten Zwecke … zu sorgen“, wobei der Ausdruck ‚Vertrag‛ kraft Artikel 84 auch das Abkommen über die Übergangsbestimmungen umfaßt. Artikel 8 fügt allerdings hinzu: „nach Maßgabe des Vertrages“, was sich ebenso auf die formellen Voraussetzungen wie auf die materiellen Voraussetzungen bezieht. Hier sind materielle Voraussetzungen vorhanden, die den Zweck der Ausgleichszahlungen bestimmen; aus der Tatsache jedoch, daß keine besonderen formellen Voraussetzungen gegeben sind, kann selbstverständlich nicht darauf geschlossen werden, daß diese Machtbefugnis der Hohen Behörde nicht zustehe.

Es verbleibt somit nur noch der Einwand, der aus der Fassung des letzten Satzes des § 26, 2 a hergeleitet wird: wenn die Preistafel „nicht ohne Einverständnis der Hohen Behörde verändert werden“ darf, so bedeute das, daß sie nicht von dieser festgesetzt werde, jedenfalls nicht von dieser allein.

Meine Herren, die einzig vernünftige Erwiderung auf diesen Einwand scheint mir die folgende zu sein: es muß zwischen „der Preistafel“ und „der Grundlage“ unterschieden werden. Die Preistafel ist die übliche Preistafel, welche die Unternehmen in Anwendung des Artikels 60 zu veröffentlichen gehalten sind: ich bestehe nicht auf dem Begriff der Preistafel, den Sie aus Anlaß eines anderen Rechtsstreits nach Belieben zu vertiefen Gelegenheit gehabt haben. Nach der Überschrift der Entscheidung Nr. 22/55 selbst betrifft diese „die Aufstellung der Preistafeln der Unternehmen des belgischen Kohlenreviers“, was natürlich auf Artikel 60 bezogen ist. Es gibt tatsächlich nur eine einzige Preistafel für alle Unternehmen des belgischen Kohlenbergbaues, nämlich die von dem „Comptoir beige des charbons“ aufgestellte, von der ein Exemplar bei den Akten liegt. Dieser Umstand erklärt ohne Zweifel die Verwendung der Einzahl im § 26, 2 a: „die auf dieser Grundlage aufgestellte Preistafel…“. Was die Grundlage angeht, so wird diese von der Hohen Behörde bestimmt aus den von mir aufgezeigten Gründen, und zwar gestützt auf Artikel 8 des Vertrages; sie bestimmt diese, indem sie eine Tabelle der Preise aufstellt. Jetzt wird der Text klar: in die Preistafel der Unternehmen müssen selbstverständlich alle Preise mit aufgenommen werden, die in der von der Hohen Behörde aufgestellten Tabelle enthalten sind, allein, wie eine Gegenüberstellung der beiden Unterlagen aufzeigt, ist die Preistafel der Unternehmen viel detaillierter, weil darin erstens die „Verkaufsbedingungen“, die sich an die Angabe der Preise anschließen, enthalten sind, und weil zweitens zusätzlich die Preise der freigegebenen Sorten direkt festgesetzt werden. In dem vorgelegten Exemplar kommt dies sogar wörtlich zum Ausdruck: „Diese Preistafel (d. h. die vorliegende Preistafel) enthält die in dem Amtsblatt der Gemeinschaft Nr. 12, in dem die Entscheidung Nr. 22/55 der Hohen Behörde veröffentlicht ist, festgesetzten Preise. Die Preise der in diese Entscheidung nicht mitaufgenommenen Sorten sind von den betreffenden Erzeugern festgesetzt worden.“ Es ist diese von den Erzeugern aufgestellte Preistafel, die nicht ohne die Zustimmung der Hohen Behörde verändert werden darf, zum mindesten (was sich von allein zu verstehen scheint) insoweit, als die Abänderung der Preistafel die „Grundlage“ beeinträchtigen würde, die in der von der Hohen Behörde aufgestellten Preistabelle konkretisiert worden ist. Es handelt sich hierbei letzten Endes um eine Abänderung der Bestimmungen des Artikels 60, mit welcher der Zweck erreicht werden soll, daß die Preistafel der Unternehmen mit den Entscheidungen der Hohen Behörde in Übereinstimmung bleibt.

Der zweite Vorwurf, der im Verhältnis zum vorhergehenden von untergeordneter Natur ist, lautet: selbst wenn man zugebe, die Hohe Behörde habe die Befugnis, die Preise von Amts wegen festzusetzen, so habe sie jedoch nicht diejenige, niedrigere Preise festzusetzen, ohne die Konjunkturlage zu berücksichtigen.

Hier zeigen sich die grundsätzlich verschiedenen Auffassungen nationalökonomischer Art, die die Parteien trennen.

Die Klägerinnen erkennen wohl an, daß die Ausgleichszahlungen wie die anderen Hilfsmaßnahmen, zu denen sie sich gesellen (Marshall-Plan-Anleihen, Zinsermäßigungen usw.), zum Ziel haben, die unumgänglichen strukturellen Reformen zu verwirklichen. Allein „man erreicht“, so sagen sie (Erwiderung S. 24 — — Or. 22), „einen Strukturwandel nicht dadurch, daß man die Verkaufspreise künstlich senkt; man erreicht einen Strukturwandel dadurch, daß man durch Investitionen, Rationalisierung und Modernisierung des Produktionsapparates eine Herabsetzung der Gestehungskosten möglich macht; dies muß normalerweise zu einer Herabsetzung der Verkaufspreise führen, d. b. zu einer Verstärkung der Konkurrenzfähigkeit. Die Hohe Behörde bestreite“, so wird übrigens hinzugefügt, „nicht, daß die belgischen Kohlen zur Zeit (d. h. am 17. November 1955) zu den Preisen der alten Preisliste, ja selbst zu viel höheren Preisen abgesetzt werden könnten. Mehr noch, zur Zeit, als die Entscheidung erlassen wurde, wurden diese Kohlen auf dem Gemeinsamen Markt zu den Preisen der alten Preisliste abgesetzt, ohne daß die Produzenten die Ausgleichszahlungen nach c) in Anspruch nehmen mußten“ (diejenigen, die dem Export vorbehalten sind). Wenn also die Konjunkturlage günstig sei, bestünde keine Veranlassung, niedrigere Preise festzusetzen; es müsse den Erzeugern gestattet sein, die Gunst der Umstände auszunutzen, was ihnen Gelegenheit geben würde, ihre Einkünfte zu erhöhen oder zum mindesten gleich zu erhalten, um dann unter günstigeren Bedingungen ihre Anstrengungen zur Modernisierung fortzuführen, woraufhin sich dann die erstrebte Senkung der Gestehungskosten von allein einstellen würde.

Dieser Auffassung steht diejenige der Beklagten gegenüber: man dürfe rein konjunkturelle Schwankungen nicht berücksichtigen. Es gehöre zu den Aufgaben der Hohen Behörde, von Amts wegen eine Angleichung der Preise zu verwirklichen, um fortschreitend die Voraussetzungen zur Eingliederung des belgischen Kohlenmarktes in den Gemeinsamen Markt am Ende der Übergangszeit zu verwirklichen. Man könne sich, um dieses Ziel zu erreichen, weder auf den guten Willen der Erzeuger noch auf die zufälligen Gegebenheiten der Konjunktur verlassen.

Meine Herren, ich glaube, Sie werden sich für eine dieser beiden Auffassungen entscheiden müssen.

Der Text des § 26, 2 a schweigt sich tatsächlich über die Frage nach dem Ausmaß der Befugnisse der Hohen Behörde völlig aus. Er läßt sich nur über den Zweck dessen aus, was er „Ausgleichsregelung“ (péréquation) nennt, d.h. in Wirklichkeit über die Ausgleichs-zahlungen (versements de péréquation). Die Grenzen der Befugnisse der Hohen Behörde lassen sich daher nur aus den Erfordernissen des dieserart bestimmten Zwecks herleiten: diese Erfordernisse sind die Bedingungen für die Gesetzmäßigkeit der getroffenen Entscheidungen, was den Gerichtshof zwingt, um den Schutz der Rechte der seiner Gerichtsbarkeit Unterworfenen zu gewährleisten, die sonst der äußersten Willkür ausgesetzt wären, über diese Frage zu entscheiden, vorbehaltlich — wohlgemerkt — der Einschränkungen des Artikels 33.

Ich bin übrigens der Auffassung, daß die so gestellte Frage sich „nicht auf die Würdigung der aus den wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständen sich ergebenden Gesamtlage“ erstreckt, welche die Grundlage für die beiden angefochtenen Entscheidungen abgegeben haben: es handelt sich um eine grundsätzliche Frage und um eine solche nach der Gesetzmäßigkeit.

Was mich angeht, meine Herren, so stimme ich mit der von der Hohen Behörde vertretenen Auffassung überein. Ich bin der Ansicht, daß die Vorschriften über das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, so wie sie in Artikel 3 und 4 des Vertrages niedergelegt worden sind, und in deren Sinn die Bestimmungen des Vertrages selbst (wie z. B. Artikel 60) ausgelegt werden müssen, dann nicht mehr anwendbar sind, wenn es sich gerade darum handelt, die Eingliederung eines Industriezweiges zu verwirklichen, der nicht in der Lage ist, dem Gemeinsamen Markt standzuhalten: in einem solchen Fall werden dirigistische Maßnahmen — lassen Sie uns vor dem Ausdruck nicht zurückschrecken — unbedingt erforderlich. Der Zweck des Übergangsabkommens liegt darin, diese zu erlauben: § 1 sagt das sehr deutlich: „Dieses… Abkommen hat den Zweck, die Maßnahmen vorzusehen, die für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes und zur fortschreitenden Anpassung der Produktion an die neu geschaffenen Verhältnisse erforderlich sind, und gleichzeitig die Möglichkeit zur Beseitigung von Störungen des Gleichgewichts zu geben, die sich aus früheren Verhältnissen ergeben.“ Kurz, die Regeln einer Marktwirtschaft gelten nur insoweit, als der Markt vorhanden ist; sie reichen nicht aus, um ihn zu schaffen, wenn er nicht besteht, oder es gäbe andernfalls schwere Verwirrungen. Der Zweck der Übergangsbestimmungen besteht ja gerade darin, diese Verwirrungen durch geeignete Schutzmaßnahmen zu vermeiden, indem sie gleichzeitig gestatten, innerhalb einer gewissen Frist die Eingliederung zu verwirklichen. Es ist sicher, daß ein so heikles Vorgehen nur das Werk einer Behörde sein kann. Darüber hinaus läßt sich dieser Sinn selbst aus dem Wortlaut des § 26, 2 a entnehmen, wenn es dort heißt, die Ausgleichszahlungen seien von dem Beginn der Übergangszeit ab dazu bestimmt, eine Angleichung der belgischen Kohlenpreise an die Preise des Gemeinsamen Marktes zu ermöglichen. Eine andere Frage ist die, ob die festgesetzten Preise nicht tatsächlich niedriger sind als diejenigen des Gemeinsamen Marktes (ich werde gleich auf diesen Punkt zu sprechen kommen); was mir jedoch festzustehen scheint, ist, daß der Hohen Behörde auferlegt worden ist, die Angleichung zu erreichen, ohne daß sie dabei die rein konjunkturellen Schwankungen zu berücksichtigen hätte.

Dritter Vorwurf. — Es handelt sich um die Frage nach der Auflösung des Zusammenhangs zwischen Ausgleichszahlungen und Preistafel und um das Problem der Selektivität.

Die Klägerinnen behaupten, es bestehe ein notwendiger Zusammenhang zwischen der Festsetzung der Preise und der Höhe der Ausgleichszahlungen, mit denen der Zweck verfolgt werden solle, die Einnahmen der Unternehmen nicht absinken zu lassen, damit diese in die Lage versetzt würden, ihre Neuausrüstungs- und Modernisierungsanstrengungen fortzusetzen. Die Preisfestsetzung finde ihre Rechtfertigung nur im Zusammenhang mit den Ausgleichszahlungen. Wie die FÉDÉCHAR in ihrer Erwiderung ausführt (Seite 39 — Or. 35), sei „der Anspruch auf die Ausgleichszahlungen … also der ausschlaggebende Rechtsgrund für die Verpflichtung der Unternehmen, ihre Preisliste ohne Einverständnis der Hohen Behörde nicht zu ändern“. Dieser Standpunkt erhält natürlich um so größeres Gewicht, wenn man annimmt, die Preise könnten von der Hohen Behörde ohne die Zustimmung der Erzeuger festgesetzt werden.

Hieraus, so sagen die Klägerinnen, folge, daß man einem Unternehmen nicht gleichzeitig einen Preis vorschreiben könne, ohne ihm irgendwelche Ausgleichszahlungen zukommen zu lassen, und man könne noch viel weniger für eine gleiche Sorte unter Aufrechterhaltung eines Festpreises die Ausgleichszahlungen herabsetzen oder abschaffen. Das Verfahren, das mit „Selektivität“ bezeichnet worden ist, sei sonach gesetzwidrig.

Diese Auffassung entspringt unmittelbar den nationalökonomischen Vorstellungen der Klägerinnen über die Ausgleichszahlungen, die wir bereits untersucht haben: „Der Zweck der Ausgleichszahlungen“, sagen sie (Erwiderung FÉDÉCHAR Seite 41 — Or. 37), „besteht also hauptsächlich darin, die Einnahmen sämtlicher belgischen Zechen trotz der herabgesetzten Preise, denen sie sofort zustimmen müssen, aufrechtzuerhalten und diesen Zechen somit die zur Durchführung ihrer Neuausrüstungsprogramme für erforderlich gehaltenen finanziellen Mittel zu sichern. Dies gilt selbstverständlich vorbehaltlich der vom Übergangsabkommen vorgesehenen fortschreitenden Abnahme der Ausgleichszahlungen.“ Von dem Augenblick ab sonach, in welchem freie Preise von sich aus dazu führen würden, die Aufrechterhaltung der Einkünfte zu gewährleisten, könnten die Ausgleichszahlungen abgeschafft werden, und es bestünde von diesem Zeitpunkt ab kein gesetzlicher Grund mehr, künstlich niedrigere Preise aufrechtzuerhalten. Das habe die Hohe Behörde übrigens auch selbst anerkannt, indem sie die Hausbrandkohlensorten liberalisiert und von jeglichen Ausgleichszahlungen ausgenommen habe. Aus welchem rechtlichen Grunde solle nun für die von den drei klagenden Unternehmen geförderten nichtklassierten Fettkohlen B anders vorgegangen werden?

Aus allen diesen Gründen stünde die Selektivität, zum mindesten insoweit, als daneben nicht eine entsprechende Liberalisierung der Preise einherginge, zu den Bestimmungen des § 26, 2 a im Widerspruch. Darüber hinaus würde sie den in Artikel 4 niedergelegten fundamentalen Grundsatz der Nichtdiskriminierung verletzen.

Es wird ferner behauptet, daß eine Ausgleichsregelung an sich schon eine willkürliche oder „selektive“ Verteilung ausschließen würde, wie dies auch bei den im Übergangsabkommen vorgesehenen staatlichen Einrichtungen für Ausgleichszahlungen der Fall sei (§ 24 des Übergangsabkommens). Es wird schließlich darauf hingewiesen, daß die beiden anderen Modalitäten der belgischen Ausgleichszahlungen, die sogenannten Ausgleichszahlungen nach b) und c) global zugeteilt würden, woraus der notwendigerweise globale Charakter dieser Ausgleichszahlungen, einschließlich derjenigen nach a) hervorginge.

Meine Herren, ich werde mich bei diesen letzten Argumenten nicht aufhalten, die von der Hohen Behörde im schriftlichen wie auch im mündlichen Verfahren schlüssig widerlegt worden sind. Ich begnüge mich mit dem Hinweis darauf, daß das, was man „Ausgleichsregelung“ nennt, stets nur eine finanzielle Einrichtung darstellt, deren gesetzliche Grundlage sich in Artikel 53 des Vertrages befindet.

Auf Grund dieses Artikels ist es der Hohen Behörde nämlich gestattet, „unter Bedingungen, die sie bestimmt, und unter ihrer Kontrolle die Schaffung jeder Art von gemeinsamen finanziellen Einrichtungen für mehrere Unternehmen“ zu „genehmigen, die sie zur Durchführung der Aufgaben nach Artikel 3 für erforderlich… hält“ oder „selbst jede Art finanzieller Einrichtungen“ zu „schaffen“. Im ersten Fall hat sie den Beratenden Ausschuß und den Rat anzuhören; im zweiten Fall hat sie die einstimmige Zustimmung des Rates einzuholen.

Man braucht sich darüber nicht zu verwundern, daß das Ubergangsabkommen keinerlei Formerfordernisse für die zugunsten der belgischen und italienischen Zechen eingeführte Ausgleichsregelung vorgesehen hat. Jede Anhörung oder vorherige Mitteilung war offenbar überflüssig, da in diesem speziellen Fall die finanzielle Einrichtung von den Verfassern des Übergangsabkommens selbst errichtet worden ist. Der Text des Abkommens enthält in der Tat selbst die Vorschriften, denen diese Einrichtung unterworfen ist, was die Erlöse (§ 25) wie auch was die Ausgaben (§ § 26 und 27) angeht. Es bleibt jedoch die der Hohen Behörde zuerkannte Befugnis, die Voraussetzungen dieser Einrichtung zu bestimmen und diese zu beaufsichtigen; mit anderen Worten, es ist Aufgabe der Hohen Behörde, die Modalitäten für die praktische Anwendung der vom Übergangsabkommen festgesetzten Normen im gesamten erforderlichen Ausmaß zu bestimmen, damit im konkreten Fall das mit diesen Vorschriften gesetzte Ziel erreicht werden kann.

Wir sind also wieder einmal bei den Erfordernissen des zu erreichenden Zieles angelangt, die als Voraussetzungen für die Gesetzmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen betrachtet werden.

Meine Herren, was den Grundsatz der Selektivität angeht, so habe ich wirklich keine Zweifel. Auf Grund des § 25 bestimmt die Hohe Behörde in regelmäßigen Zeitabständen die Höhe der Ausgleichsumlage. Sie hat dies, so sagt der Text, „unter Berücksichtigung des von ihr gemäß den nachstehenden § § 26 und 27 anerkannten Bedarfs“ zu tun.

Schließt man sich der Theorie an, die ich als die „dirigistische“ bezeichnet habe, so scheint es mir klar zu sein, daß es sich bei diesem Bedarf, den die Hohe Behörde zu berücksichtigen hat, um den Bedarf handelt, der durch die Modernisierungs- und Neüausrüstungsanstrengungen der Unternehmen hervorgerufen wird, die auf Grund ihrer Förderbedingungen noch nicht imstande sind, der Konkurrenz auf dem Gemeinsamen Markt standzuhalten; ohne daß ihnen jedoch die Aussicht verschlossen wäre, eines Tages dahin zu gelangen. Es ist daher völlig in Ordnung, daß sowohl diejenigen Unternehmen, die, um ihre Anstrengungen zu verfolgen, einer Hilfe nicht oder nicht mehr „bedürfen“, als auch im Gegensatz dazu diejenigen, die keinerlei Aussicht haben, eingegliedert zu werden, von der Ausgleichsregelung ausgenommen werden. Dies stellt keine Diskriminierung, sondern die Verwirklichung der austeilenden Gerechtigkeit dar. Ich würde sogar sagen, daß man sich mit Recht fragen könnte, warum die Hohe Behörde einen guten Teil der Übergangszeit, die gleichwohl recht kurz ist, verstreichen ließ, bevor sie diesen Weg beschritt?

Es bleibt jedoch noch die Frage zu lösen, ob es statthaft ist, einem Unternehmen gleichzeitig jegliche Ausgleichszahlungen für gewisse Sorten zu entziehen, während es für die gleichen Sorten dem Zwang zur Einhaltung von Festpreisen unterworfen bleiben soll. Liegt hierin nicht gleichzeitig eine Verkennung des § 26, 2 a, der die Festsetzung zwingender Verkaufspreise an die Tatsache knüpft, daß Ausgleichszahlungen erfolgen, und ein offenbarer Widerspruch, weil die Feststellung dessen, daß ein Unternehmen keiner Ausgleichszahlungen mehr bedarf, wie es scheint, von selbst die Feststellung enthält, daß es imstande sei, der Konkurrenz des Gemeinsamen Marktes standzuhalten, mit anderen Worten, daß es konkurrenzfähig geworden sei?

Diese Frage ist heikel, meine Herren, und ich gestehe, bei deren Lösung lange gezögert zu haben. Ich bin jedoch entschieden der Ansicht, daß die Auffassung der Hohen Behörde begründet ist.

Zunächst — und dies ist die Antwort auf den ersten Teil der Behauptungen — darf nicht vergessen werden, daß mit dem § 26, 2 a ein doppeltes Ziel verfolgt wird: das erste, und zwar das vordringliche Ziel, besteht in der Festsetzung von Preisen, die schon mit dem Beginn der Übergangszeit denjenigen des Gemeinsamen Marktes angenähert werden sollen, um auf diese Weise die Verbraucher belgischer Kohle sofort in den Genuß der Preise dieses Marktes oder diese annähernd erreichender Preise zu setzen. Kurz, für die belgischen und die anderen Verbraucher ist das Problem vermutlich gelöst. Allein, und hierin liegt das zweite Ziel, neben dieser Maßnahme geht eine Schutzvorschrift zugunsten der Erzeuger einher, um von diesen nicht nur die Gefahr eines Zusammenbruchs abzuwenden, sondern um ihnen die Fortsetzung ihrer Anpassungsanstrengungen zu ermöglichen, damit auf diese Weise, gemeinsam mit den Auswirkungen der anderen vorgesehenen Maßnahmen die Eingliederung des belgischen Marktes am Ende der Übergangszeit, wenn die Hilfsmaßnahmen aufhören, verwirklicht werde.

Das erste und vordringlichste Ziel ist aber dann nicht erreicht, wenn alle Verbraucher auf dem belgischen Markt und für die gleichen Sorten nicht den Preis erhalten können, der dem des Gemeinsamen Marktes am nächsten kommt und auf den sie Anspruch haben.

Der Preis des Gemeinsamen Marktes sei ja aber gerade erreicht, so wird uns gesagt — und dies ist der zweite Teil der Einwendung —, allein schon infolge der Tatsache, daß gewisse Sorten von gewissen Unternehmen, ohne daß diese irgendwelche Ausgleichszahlungen erhielten, frei verkauft werden könnten. Er sei zum mindesten bei diesen Sorten und insoweit erreicht, als diese von jenen Unternehmen gefördert würden. Warum sollten in dieser Hinsicht andere Erwägungen Platz greifen als bezüglich der Hausbrandkohlensorten, deren Preise zu gleicher Zeit, als die Ausgleichszahlungen eingestellt wurden, völlig liberalisiert worden seien?

Man könnte hierauf erwidern, es sei unmöglich, für die gleichen Sorten innerhalb des belgischen Marktes einen zweifachen Preis zuzulassen, wenn jeglicher Verkauf über ein einziges Verkaufsbüro vonstatten gehe, das, wie wir gesehen haben, nur eine einzige Preistafel veröffentlicht: es sei das Ergebnis der Einheit des belgischen Kohlenmarktes während der Übergangszeit. Diese Antwort scheint mir jedoch nicht ausschlaggebend zu sein.

Die wahre Antwort meines Erachtens und diejenige, die sich meiner Überzeugung bemächtigt hat, ist die, daß diejenigen Sorten, für die die Festpreise beibehalten worden sind, obgleich gewissen Unternehmen, die sie fördern, die Ausgleichszahlungen entzogen wurden, noch nicht konkurrenzfähig sind und daß lediglich die Konjunkturlage zu der Zeit, als die angefochtene Entscheidung erging, es erlaubt hat, diese von den Unternehmen frei verkaufen zu lassen.

Die Hausbrandkohlensorten können dagegen seit eh und je als in den Gemeinsamen Markt eingegliedert angesehen werden. Warum? Weil die belgischen Erzeuger für diese Sorten auf dem Gemeinsamen Markt diejenigen sind, die, zu gewöhnlichen Zeiten und von Konjunkturschwankungen abgesehen, über den größten-exportfähigen Überschuß an Hausbrandkohlensorten auf dem Gemeinsamen Markt verfügen. Daher kann man jedenfalls annehmen, daß die belgischen Preise für Hausbrandkohle für diese Sorten den Marktpreis darstellen. Eine „Annäherung“ kann somit für diese Preise nicht in Frage kommen.

Die gleiche Feststellung wirtschaftlicher Tatsachen gestattet dagegen, was die Industriekohle anbelangt, den Schluß, daß die Erzeuger des Ruhrgebietes diejenigen sind, die den „Marktpreis“ ausrichten und bestimmen, da sie in normalen Zeiten über den größten exportfähigen Überschuß auf dem Gemeinsamen Markt verfügen. Die Verwirklichung einer strukturellen Konkurrenzfähigkeit (und nicht einer nur vorübergehend konjunkturbedingten) der belgischen Industriekohle im Verhältnis zu den Preisen des Gemeinsamen Marktes macht es daher erforderlich, jene auf ein Preisniveau herabzudrücken, das es ihnen gestattet, die Konkurrenz mit der Industriekohle des Ruhrreviers aufzunehmen. Der Unterschied in den Gestehungskosten, der zwischen diesen beiden Kategorien besteht, macht selbst bei der Annahme angeglichener Löhne und Soziallasten die Notwendigkeit ersichtlich, für die belgische Industriekohle eine „Annäherung“ herbeizuführen, von der deren endgültige Eingliederung in den Gemeinsamen Markt abhängen wird.

Man kann also sagen, daß die belgischen Hausbrandkohlensorten zu Recht liberalisiert worden sind, weil deren Preise bereits den dem § 26, 2 a als Idealziel vorschwebenden Marktpreis darstellen, während die Preise für die belgische Industriekohle zu Recht weiterhin festgesetzt bleiben und herabgesetzt werden mußten, unabhängig von jeglichen Erwägungen über Gewährung oder Nichtgewährung von Ausgleichszahlungen an den einen oder anderen Erzeuger dieser Sorten, weil deren Preise noch immer beträchtlich höher liegen als der Marktpreis, der auf jeden Fall durch die Preise der im Ruhrrevier geförderten Industriekohle dargestellt wird.

Anerkennen, daß der Wegfall der. Ausgleichszahlungen zum Nachteil der Zechen des Kempenlandes für diese Unternehmen die Liberalisierung der Preise hätte zur Folgeerscheinung haben müssen, hieße, den genauen Inhalt des Ziels einer „Annäherung der belgischen Kohlenpreise an die Preise des Gemeinsamen Marktes“ verkennen, dessen Erreichung in § 26, 2 a zwingend vorgeschrieben ist.

Dies ist der Grund, aus welchem mir nicht nur der Grundsatz der Selektivität, sondern auch die Beibehaltung von Festpreisen für die Industriekohle selbst denjenigen Unternehmen gegenüber gerechtfertigt zu sein scheint, denen durch die Verwirklichung des Grundsatzes der Selektivität die Vorteile der Ausgleichszahlungen entzogen wurden.

Es bleibt natürlich noch die Frage zu prüfen, ob die angenäherten Preise tatsächlich richtig errechnet worden sind: ich werde dies aus Anlaß der Prüfung des fünften und sechsten Vorwurfs tun.

Was die Anwendung des Grundsatzes der Selektivität selbst angeht, so drängen sich zwei Fragen auf:

1.

Sind die Kriterien, die berücksichtigt worden sind, richtig? Ich erinnere daran, daß, im Gegensatz zu den Vorschlägen des Gemischten Ausschusses, die zu diesem Punkt nicht befolgt wurden, die Finanzlage der Unternehmen nicht berücksichtigt worden ist. Es sind rein objektive Maßstäbe angelegt worden, wie z. B. die Förderdichte in einer einzigen Sohle und auf einem einzigen Schacht. Vielleicht hätten andere Kriterien gefunden werden können, um zu einer weitergehenden Selektivität zu gelangen. Vielleicht hätten die Ausgleichszahlungen eher an die Unternehmen unter Berücksichtigung der Dringlichkeit des entsprechenden Bedarfs verteilt werden können, als diese weiterhin pro rata der Tonnen nach Kategorien und Sorten zu gewähren, mit einer einzigen, drei Unternehmen betreffenden Ausnahme: ein solches Vorgehen hätte logisch auf der Linie des auf der Selektivität gründenden neuen Verfahrens gelegen. Es handelt sich hierbei jedoch um Ermessensfragen, die, meines Erachtens, der richterlichen Nachprüfung entzogen sind.

2.

Damit die Regelung im Rahmen des Gesetzes bleibt, darf die Abschaffung der Ausgleichszahlungen oder deren Herabsetzung gewissen Unternehmen gegenüber, ohne daß daneben eine entsprechende Liberalisierung der Preise einherginge, natürlich nicht zu einer Lahmlegung der von diesen Unternehmen verfolgten Neu-ausrüstungs- und Modernisierungsanstrengungen führen: wäre das der Fall, so wäre tatsächlich der Nachweis erbracht, daß die getroffene Entscheidung, was die Unternehmen angeht, auf einem tatsächlichen Irrtum beruht. In Wirklichkeit ist aber ein solcher Irrtum nicht nachgewiesen und, um die Wahrheit zu sagen, nicht einmal ausdrücklich behauptet worden.

Vierter Vorwurf. — Drohung mit dem Entzug der Ausgleichszahlungen.

Zu diesem Punkt werde ich mich kurz fassen.

Bejaht man tatsächlich die Gesetzmäßigkeit des Grundsatzes der Selektivität und nimmt man an, die Leistung der Ausgleichszahlungen sei eine Funktion des Bedarfs — nicht des Bedarfs aller Kohlenbergwerke zusammengenommen, sondern von jedem einzelnen von ihnen in dem Maße, in welchem diese Hilfe es ihm ermöglichen soll, die erforderlichen Neuausrüstungs- und Modernisierungsanstrengungen zu verwirklichen — dann wäre es demgegenüber völlig zulässig, Kontroll- und Sanktionsbestimmungen vorzusehen, zwar keine strafrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen (letztere könnten mit einer gewöhnlichen Entscheidung gar nicht erlassen werden), sondern Sanktionen, die darin bestehen, demjenigen die Beihilfen zu entziehen, der den Zweck zu verwirklichen unterläßt, zu dessen Erreichung diese Beihilfen ihm bewilligt worden sind. Es handelt sich um eine jeder Regelung über Subventionsleistungen normalerweise durchaus eigene Vorschrift.

Ich komme jetzt zu den beiden letzten Vorwürfen mangelnder Übereinstimmung mit dem Gesetz, die daraus hergeleitet werden, daß die beiden in § 26, 2 a vorgesehenen unteren Grenzen für die Festsetzung der Preise — nämlich die Preise des Gemeinsamen Marktes und die voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit — tatsächlich unterschritten worden seien.

Fünfter Vorwurf. — Irrtum der Hohen Behörde bei der Bestimmung der Preise des Gemeinsamen Marktes.

A. — Die Ausführungen der Klägerinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a)

Die Hohe Behörde begehe einen offensichtlichen Fehler, wenn sie — als Endziel der Preisannäherung — die Preise des Ruhrgebietes denjenigen des Gemeinsamen Marktes gleichsetze. Die Preise des Ruhrgebiets seien nur einer der Preise für Industriekohle auf dem Markt, darüber hinaus handele es sich auch nicht einmal um einen durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage zustande gekommenen Preis. Die Preise des Ruhrgebietes seien bis zum 1. April 1956 auf Grund einer Entscheidung der Hohen Behörde künstlich niedrig gehalten worden, selbst niedriger als die tatsächlichen Produktionskosten. Wenn sie dann von diesem Zeitpunkt ab freigegeben worden seien, so sei deren Ansteigen durch einen Eingriff der deutschen Regierung bei 2, — DM aufgehalten und begrenzt worden, während sie normalerweise um durchschnittlich 6, — DM gestiegen wären, hätten sie frei den Druck eines echten Wettbewerbsmarktes wiedergeben können.

Die Preise der in den Revieren Nord, Pas-de-Calais sowie im Aachener Revier geförderten Industriekohle stünden den belgischen Preisen nahe und würden für eine Förderung von gleicher Bedeutung gelten. Es sei nicht einzusehen, aus welchem Grunde die belgischen Preise als einzige an diejenigen des Ruhrgebietes angenähert werden sollten.

b)

In Wirklichkeit handele es sich um ein Stillhalteniveau, auf welchem die belgischen Preise 1953 festgesetzt worden seien, das gleichzeitig die voraussichtlichen Produktionskosten der belgischen Kohle am Ende der Übergangszeit und die damaligen Preise des Gemeinsamen Marktes widerspiegele, weil das freie Spiel der Kräfte auf dem Wettbewerbsmarkt und insbesondere der Lohndruck in Deutschland notwendigerweise dazu führen müßten, die Preise des Ruhrgebietes auf dieses Niveau zu bringen und auf diese Weise die Annäherung zu verwirklichen, die das Ziel des § 26, 2 a darstelle: die Annäherung dürfe nicht einseitig erfolgen.

c)

Die Preisstatistik der Industriekohle bestätige, was deren Entwicklung von 1952 bis 1956 im Ruhrgebiet wie auch in Belgien angehe, immer noch nach Ansicht der Klägerinnen, die Begründetheit ihrer Auffassung. Die Tabelle, die vergleichend die Berechnung der Preise für Koksfeinkohle seit 1952 innerhalb der Gemeinschaft wiedergebe und die in der mündlichen Verhandlung vorgelegt worden sei (Sie werden gebeten, diese an die Stelle der von der Hohen Behörde vorgelegten Tabelle zu setzen), zeige klar, daß die Preise der gewaschenen Feinkohle des Ruhrgebietes seit 1952 erheblich gestiegen seien (565 frs. 1952, 627 frs. 1956, vom Index 100 auf den Index 111 steigend), während die gleichen in den belgischen Revieren geförderten Sorten von 716 frs. auf 691 frs. gefallen seien (und sogar auf 671 frs. für die gewaschene Fettkohle B), so daß der Index von 100 für 1952 auf 96 bzw. 94 gefallen sei. Wenn darüber hinaus den Preisen des Ruhrgebietes der Betrag von 2, — DM hinzugerechnet werde, der seitens der Bundesrepublik als Steuerrückvergütung getragen werde, sowie die Transportkosten (2, — DM pro Tonne), so werde offenbar, daß die Industriekohle des Ruhrgebietes in Belgien zu einem Preise verkauft würde, der von den belgischen Preisen sehr wenig entfernt sei, und daß demzufolge die Befürchtungen der Hohen Behörde grundlos seien.

B. — Was entgegnet die Hohe Behörde?

a)

Was die Wahl des Ruhrgebietes angehe, so behauptet die Hohe Behörde, sie habe niemals ohne weiteres eine Gleichsetzung der Preise des Ruhrgebietes mit denjenigen des Gemeinsamen Marktes vollzogen, worüber gegen sie Beschwerde geführt werde, und sie weist darauf hin, daß in den angefochtenen Entscheidungen in keiner Weise eine solche Gleichsetzung erwähnt sei. Was jedenfalls die Industriekohle angehe, so habe es sehr wohl den Anschein, als ob es die Erzeuger des Ruhrgebietes seien, welche die Preise bestimmten, weil sie diejenigen seien, die in Zeiten normaler Konjunktur oder wirtschaftlichen Rückgangs über den größten exportfähigen Überschuß verfügten, der geeignet sei, der ausländischen Erzeugung auf deren eigenem Markt, besonders auf dem belgischen Markt, Konkurrenz zu machen, auf welchem sie „der“ gefährlichste Konkurrent seien.

Der französische Markt sei von alters her bei jeder Konjunkturlage auf Einfuhren angewiesen gewesen (12 Millionen Tonnen pro Jahr); dessen zusätzlicher Bedarf müsse entweder durch Ruhrkohle oder durch belgische Kohle gedeckt werden. Solle daher die belgische Kohle auf dem französischen Markt in normalen Zeiten der Konkurrenz der Ruhrkohle standhalten können, dann seien es die Preise des Ruhrgebietes, an welche deren Preise angenähert, werden müßten.

Von allen Erzeugern des Gemeinsamen Marktes seien es endlich (was von den belgischen Erzeugern selbst zugegeben werde) diejenigen aus dem Ruhrgebiet, deren Konkurrenz sich auf dem belgischen Markt am stärksten bemerkbar mache und bemerkbar machen werde. Die Preise des Ruhrgebietes müßten daher als Anhaltspunkt betrachtet werden, dem auf dem Wege zur Annäherung Rechnung zu tragen sei, insbesondere im Hinblick auf Industriekohle, für die sie eine ernste Konkurrenz darstellten, sowohl auf dem belgischen Markt, als auch auf den auswärtigen Märkten, insbesondere in Frankreich.

b)

Was das zweite Argument angeht, so erklärt die Hohe Behörde, den Optimismus der Klägerinnen nicht teilen zu könnend Angenommen, so sagt sie, die deutschen Preise würden steigen, dann sei ein Steigen der belgischen Preise keineswegs ausgeschlossen, zum mindesten, wenn man den Mitteilungen der Presseagenturen Glauben schenke.

So, wie die Dinge jedenfalls liegen würden, glaube die Hohe Behörde, sich nicht einzig und allein auf das Steigen der deutschen Löhne verlassen zu können, damit die Annäherung verwirklicht werde. Es sei errechnet worden, daß, falls im Jahre 1952 die Löhne und Soziallasten im Ruhrrevier auf das belgische Niveau gebracht worden wären, die Lohnkosten pro geförderte Tonne im Ruhrrevier immer noch erst 66 % der gleichen Kosten in Belgien erreicht hätten. Die Erhöhung der deutschen Löhne sei daher, was die Annäherung der Preise angehe, ein Faktor von nur begrenzter Tragweite, and die vollkommene Gleichsetzung von Löhnen und .Soziallasten genüge, für sich allein genommen, noch nicht, um die Annäherung zu verwirklichen. Im übrigen habe die Hohe Behörde durch Erfahrung festgestellt, daß bei einem Ansteigen der Löhne im Ruhrrevier die Lohnkosten in Belgien nicht statisch blieben; sie weist z. B. auf die durch die Einführung der Fünf-Tage-Woche in den belgischen Gruben zu erwartenden Auswirkungen hin.

c)

Was die Zahlen angehe, so führt die Hohe Behörde aus, daß zu dem Zeitpunkt, an dem die angefochtenen Entscheidungen ergangen seien und unter Zugrundelegung der von den Klägerinnen selbst vorgelegten Tabelle ersichtlich sei, daß im Jahre 1955 die Preise der Koksfeinkohle für das Ruhrrevier in absoluten Zahlen 605 frs. und für Belgien jeweils 691 frs. für die Fettkohle A und 671 frs. für die Fettkohle B betragen hätten, „Zahlen, die“, so fügt die Hohe Behörde hinzu, „jeden Kommentar überflüssig machen“ würden.

C. — Was ist von diesen gegensätzlichen Auffassungen zu halten?

Was zunächst die Frage angeht, was unter „Preisen des Gemeinsamen Marktes“ zu verstehen ist, so bin ich, wie bereits dargelegt, der Ansicht, daß das für eine bestimmte Sorte aus „dem größten exportfähigen Überschuß“ hergeleitete Unterscheidungsmerkmal zulässig ist.

Was dessen Anlegung angeht, diejenige zum Zweck der Bestimmung des Niveaus, auf das sich die Marktpreise für Industriekohle einspielen, so erfordert diese offensichtlich eine Würdigung der aus den wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständen sich ergebenden Gesamtlage. Sie können also diese Würdigung nicht nachprüfen, es sei denn, in dem Umfang, in welchem sich darin das Vorliegen eines Ermessensmißbrauchs (worauf ich sogleich zu sprechen komme) oder eine „offensichtliche Verkennung“ von rechtlichen Bestimmungen offenbaren würde.

„Der Begriff, offensichtlich' setzt voraus“, haben Sie in Ihrem Urteil Nr. 6/54 vom 21. März 1955, Regierung der Niederlande, Sammlung, Bd. I, Seite 237, gesagt, „daß die Verkennung der Bestimmungen des Vertrages einen gewissen Grad erreicht; sie muß nämlich in einer Beurteilung der der Entscheidung zugrunde gelegten wirtschaftlichen Lage bestehen, die, an den Bestimmungen des Vertrages gemessen, offensichtlich irrig ist.“

Dies ist im vorliegenden Rechtsstreit bestimmt nicht der Fall.

Einerseits geben die belgischen Erzeuger tatsächlich selbst zu (Zitat der Hohen Behörde aus deren Gegenerwiderung, Seite 44 — Or. 65, das unbestritten geblieben ist), daß das Ruhrrevier in normalen Zeiten von jeher der gefährlichste Konkurrent gewesen sei, und zwar gleichermaßen auf dem belgischen Markt wie auf den Exportmärkten, da es dort den Preis „mache“. Die strukturelle Eingliederung der belgischen Kohle in den Gemeinsamen Markt mache es daher erforderlich, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die belgische Industriekohle derjenigen des Ruhrreviers gegenüber konkurrenzfähig zu machen.

Andererseits zeigen die von der Hohen Behörde gemachten Zahlenangaben — die von den Beiständen der Klägerinnen nicht bestritten worden sind — über die entsprechenden Lohnkosten bei gleichbleibenden Löhnen innerhalb der Gestehungskosten für die Ruhrkohle und für die belgische Kohle deutlich, daß eine Angleichung der Löhne nicht ausreicht, um eine „dauerhafte“ Annäherung, die eine Eingliederung der belgischen Kohle in den Gemeinsamen Markt ermöglichen soll, zu verwirklichen.

Was den Preisunterschied zwischen der belgischen Feinkohle und derjenigen aus dem Ruhrrevier im Jahre 1955 angeht, so wie er aus der von den Klägerinnen vorgelegten Tabelle hervorgeht, so kann von diesem nicht abgesehen werden, ohne sich auf gewagte Vermutungen über den Einfluß einzulassen, den das freie Spiel von Angebot und Nachfrage unter Mithilfe der Konjunktur auf einem idealen Wettbewerbsmarkt hinsichtlich der Preise des Ruhrreviers für Koksfeinkohle haben könnte, in Anbetracht dessen, daß diese Schätzungen bei der leisesten Konjunkturschwankung hinfällig werden könnten.

Der Vorwurf ist daher weder insoweit, als er sich auf die dem Ruhrrevier zugeteilte Rolle als Grundlage für die Festsetzung der „Marktpreise“ für Industriekohle, noch auch insoweit, als er sich auf die Errechnung des Niveaus dieser Preise bezieht, begründet.

Sechster Vorwurf. — Irrtum der Hohen Behörde bei der Bestimmung der voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit.

A. —

Die Klägerinnen behaupten, die Hohe Behörde habe bei der Anordnung einer neuen Herabsetzung der Preise für belgische Kohle in ihrer Entscheidung Nr. 22/55 die durch die Höhe der voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit gesetzte Grenze überschritten und somit die Bestimmungen des § 26, 2a verletzt. Die Begründung läßt sich wie folgt zusammenfassen:

a)

Die 1953 erfolgten Schätzungen über die voraussichtlichen Produktionskosten belgischer Kohle am Ende der Übergangszeit hätten die Möglichkeit einer Verringerung um 29 frs. pro Tonne im Verhältnis zu 1952 ausgewiesen. Eine Herabsetzung der Preise in gleicher Höhe sei mit der 1953 erfolgten Inkraftsetzung der Regelung Preise — Ausgleichszahlungen sofort erfolgt. Die Preistafeln seien so auf einem „Stillhalteniveau“ festgesetzt worden; dieses hätte bis zum Ende der Übergangszeit unverändert bleiben müssen, weil die Herabsetzung tatsächlich in einem Male bis an die erlaubte Grenze hin erfolgt sei.

b)

Die Klägerinnen geben allerdings zu, daß das 1952 und 1955 festgestellte tatsächliche Ansteigen der Förderleistung in der Tat die anfänglichen Voraussagen übertroffen habe; sie behaupten jedoch, es sei darum nicht weniger zutreffend, daß die Kostensenkung, die normalerweise daraus hervorgehen sollte, infolge des gleichzeitig erfolgten Ansteigens der Löhne und Warenpreise zunichte gemacht worden sei. Schließlich wären die tatsächlichen Gestehungskosten im Jahre 1955 höher gewesen als anfänglich vorausgesagt; dieser Umstand verbiete jede neue Herabsetzung der Preise, ja, es ließe sich sogar eine Erhöhung der 1953 festgesetzten Preise rechtfertigen.

Die Klägerinnen halten es für durchaus in Ordnung, daß die Vorausschauen über die Kosten im Jahre 1953 auf der Grundlage fünf Jahre lang gleichbleibender Löhne, Soziallasten und Preise für solche Erzeugnisse, die in den Gruben benötigt werden, erfolgt seien: hinsichtlich dieser Voraussetzungen sei damals eine Voraussage tatsächlich nicht möglich gewesen. Es sei nach ihrer Ansicht jedoch unbegreiflich, daß 1955 aus Anlaß der Überprüfung der Kostenschätzungen dem in der Zwischenzeit erfolgten Ansteigen der Löhne, Waren- und Grundstoff preise nicht Rechnung getragen worden sei, weil es sich da nicht mehr um unvorhersehbare Umstände gehandelt habe, sondern um konkrete Gegebenheiten, denen man bei der Schätzung der Gestehungskosten hätte Rechnung tragen müssen.

B. — Was entgegnet die Hohe Behörde?

a)

Zu dem ersten Punkt, so sagt sie, hätten die belgischen Erzeuger im Jahre 1952 selbst ausgerechnet, daß das im Jahre 1956 zu erwartende Ansteigen der Förderleistung infolge der Verwirklichung der Neuausrüstungsvorhaben eine Einsparung um 90 frs. pro geförderte Tonne erlauben würde. Die Hohe Behörde habe es im Einvernehmen mit den belgischen Behörden jedoch vorgezogen, sich provisorisch an eine auf 29 frs. beschränkte Preisherabsetzung zu halten, wobei sie sich vorbehalten habe, nachträglich die Herabsetzung in dem Maße zu verschärfen, in welchem sich ihre anfänglichen Schätzungen infolge fortschreitender Verwirklichung der Vorhaben bestätigt finden sollten. Es sei daher unzulässig anzunehmen, die 1953 erlassene Herabsetzung habe die belgischen Preise auf ein unveränderliches Stillhalteniveau gebracht, das zu unterschreiten nicht zulässig gewesen sein solle.

b)

Zu dem zweiten Punkt bestreitet die Hohe Behörde nicht, daß zwischen 1953 und 1955 Lohnerhöhungen erfolgt seien; sie habe dem übrigens Rechnung getragen, als sie 1955 eine allgemeine Erhöhung der Preise der belgischen Kohle um 3 frs. genehmigt habe. Dieses Ansteigen der Löhne und Preise jedoch, seinem Wesen nach nicht voraussehbar, brauche bei der in § 26, 2a vorgeschriebenen Schätzung nicht mitberücksichtigt zu werden. Eine vorausschauende Berechnung im Sinne dieser Bestimmungen könne ausschließlich auf ein berechenbares Ansteigen der Förderleistung während der Übergangszeit gegründet werden bei gleichbleibenden sonstigen Voraussetzungen (im wesentlichen der Löhne, Soziallasten und der Preise der Rohstoffe, die zur Ausbeutung der Gruben benötigt werden). Von Anfang an den möglichen Veränderungen der aus eventuellen Lohnerhöhungen entstehenden Lohnkosten Rechnung zu tragen würde in jeder Hinsicht der Aufstellung einer wirtschaftlichen Prognose im Wege stehen, die mit dem Beginn der Übergangszeit vorgenommen werden müsse.

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, würden die zwischen 1953 und 1955 erfolgten Lohnerhöhungen, wenn sie gegebenenfalls der Hohen Behörde auch Veranlassung gegeben hätten, deren teilweise Abwälzung auf die Verkaufspreise zu genehmigen, keine Überprüfung der voraussichtlichen Gestehungskosten für das Jahr 1958 erforderlich machen, deren Erreichung 1953 im Zuge der Verwirklichung der Neuausrüstungsvorhaben zu erwarten war, coeteris paribus. Hiervon ausgehend, zeigten die von den Klägerinnen vorgetragenen Zahlenangaben, Kolonne G der Tabelle, daß die auf der Grundlage gleichbleibender Löhne berechneten Produktionskosten zwischen 1952 und dem 1. Trimester 1955 von 452 frs. auf 409 frs. pro Tonne gesunken seien, was eine tatsächliche Verringerung um 43 frs. darstelle. Die gesamten Auswirkungen der 1953 und 1955 erlassenen Preisherabsetzungen (29 frs. + 10 frs.), zusammen 39 frs., blieben somit innerhalb der Senkung der Gestehungskosten, die zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidungen ermittelt worden sei. Die so errechnete Senkung der Gestehungskosten unter Zugrundelegung gleichbleibender Löhne trage darüber hinaus lediglich der verwirklichten Neuausrüstung Rechnung (wodurch die Förderleistung von 753 kg im Jahre 1952 auf 826 kg im Jahre 1955 gestiegen sei), ohne die zu erwartenden vorteilhaften Auswirkungen der sogenannten „negativen Rationalisierungsmaßnahmen“ und der Sanierung der Grenzzechen zu berücksichtigen. Die Verwirklichung dieser Maßnahmen und das neue Ansteigen der Förderleistung, die bis zum Ende der Übergangszeit noch erfolgen würden, erlaubten die Behauptung — argumentum a fortiori —, daß die 1955 verordnete Preisherabsetzung die durch die Höhe der voraussichtlichen Produktionskosten am Ende dieses Zeitraumes gesetzte Grenze nicht überschreite.

C. — Dies sind die beiden vorgetragenen Thesen.

Es hat den Anschein, meine Herren, als ob dieser Vorwurf zwei Fragen enthalte, die eine rechtlicher, die andere tatsächlicher Natur.

a)

Die rechtliche Frage ist die, was im Sinne von § 26, 2a unter dem Ausdruck „voraussichtliche Produktionskosten“ zu verstehen ist und insbesondere, ob bei der Feststellung dieser Kosten andere Faktoren als diejenigen, die sich auf die Förderleistung beziehen und die in direkter Auswirkung der Erhöhung der Förderleistung infolge der Verwirklichung der Neuausrüstungs- und Modernisierungsvorhaben demzufolge abnehmen dürften, berücksichtigt werden müssen oder nicht.

Ich teile in dieser Frage den Standpunkt der Hohen Behörde. Zweifellos umfaßt der Begriff „Produktionskosten“ als solcher alle Faktoren, die für die Bildung der Gestehungskosten maßgebend sind, worunter auch die Löhne, die Soziallasten und die Grundstoffpreise fallen. Die Klägerinnen hätten sich in dieser Hinsicht auf den Präsidenten der Hohen Behörde selbst berufen können, der kürzlich im Verlauf eines Berichtes vor der Gemeinsamen Versammlung in Straßburg von der durch „die Erhöhung der Produktionskosten und besonders durch die Lohnerhöhungen notwendig gewordenen Erhöhung der Kohlenpreise …“ gesprochen hat.

Es liegt jedoch klar zutage — und die Parteien stimmen in der Anerkennung dessen überein —, daß diese Faktoren bei einer Errechnung der Produktionskosten nur so, wie sie sich im Augenblick selbst, in dem die Errechnung stattfindet, darstellen, berücksichtigt werden können: was die Errechnung dieser voraussichtlichen Kosten in der Zukunft anbelangt, so können nicht voraussehbare Faktoren oder zum mindesten deren mögliche Schwankungen nicht berücksichtigt werden. Nur insoweit, als es möglich ist, einen auf konkrete Gegebenheiten gegründeten Plan aufzustellen, darf die Errechnung der Höhe der Kostensenkungen erfolgen: denjenigen Faktoren, bei denen die Schwankungen nicht voraussehbar sind, muß Rechnung getragen werden, allein nur dann übrigens, wenn alles andere gleich bleibt.

Meine Herren, diese Auslegung scheint mir die einzige zu sein, die mit dem § 26, 2a verträglich ist, und das aus zweierlei Gründen: der erste liegt im Gebrauch des Wortes „voraussichtliche“ (prévisibles) im Gesetz: eine „Vorausschau“ (prévision) kann sich nur auf „voraussehbare“ (prévisibles) Faktoren beziehen (die Nationalökonomie ist bestimmt keine exakte Wissenschaft; sie ist aber auch keine Geheim Wissenschaft). Der zweite liegt darin, daß der Zweck der Ausgleichszahlungen in einer Senkung der Gestehungspreise, und zwar in dem Ausmaße besteht, in welchem diese Senkung durch die Erhöhung der Förderleistung ermöglicht werden soll: es handelt sich daher sehr wohl um die Produktionskosten, und zwar insoweit, als sie infolge dieser voraussichtlichen Erhöhung der Förderleistung einer Senkung fähig sind, die der Aufstellung dieser Vorausschau zugrunde gelegt werden müssen.

Was muß dann aber geschehen — und dies scheint letztlich der einzige Punkt zu bleiben, über den sich die Parteien nicht einig werden können —, wenn sich einer der „nicht voraussehbaren Faktoren“ ändert (wenn z. B. die Löhne ansteigen) ? Muß die Vorausschau unter Berücksichtigung der erfolgten Änderungen neu aufgestellt werden, oder kann man sich, wie die Hohe Behörde behauptet, darauf beschränken, die gestiegenen Kosten, sei es durch Preiserhöhungen oder durch Subventionszahlungen oder durch Verbindung beider Verfahren, auszugleichen, ohne dabei jedoch die bereits beschlossenen Pläne zu ändern?

Meine Herren, in Anbetracht dessen, was ich zu dem Begriff der „voraussichtlichen Produktionskosten“ im Sinne von § 26 gesagt habe, der mit dem Beginn der Übergangszeit ab für die Aufstellung einer einzig auf die aus einer Erhöhung der Förderleistung zu erwartenden Senkung der Gestehungskosten gegründeten Vorausschau zur Grundlage dienen muß, glaube ich, daß es sehr wohl der Logik der Dinge entspricht, diese Vorausschau nicht immer wieder umzuwerfen, wenn je nach den Umständen Veränderungen eintreten, die sich auf Faktoren beziehen, die nicht zu der Erhöhung der Förderleistung beitragen, d. h. auf nicht voraussehbare Faktoren. Man liefe auf diese Weise Gefahr, Preise zu erhalten, die sich nicht nur von denjenigen des Gemeinsamen Marktes entfernen würden, sondern die dadurch, daß sie auf rein belgische Vorgänge bezogen wären (wie Lohnschwankungen), zu diesen Preisen in keinerlei Verhältnis mehr stehen würden: dies würde zu § 26, 2a in direktem Widerspruch stehen, dessen erstes Ziel, wie ich bereits ausgeführt habe, darin besteht, die Verbraucher sofort in den Genuß der Preise kommen zu lassen, die den Preisen des Gemeinsamen Marktes angenähert sind.

Es ist wohlgemerkt nicht ungewöhnlich, daß die Verkaufspreise erhöht werden, wenn eine Änderung der „nicht voraussehbaren Faktoren“ eintritt; an dem Ziel der auf eine Erhöhung der Förderleistung aller belgischen Zechen gegründeten Annäherung der Preise als solchem darf jedoch auf keinen Fall etwas geändert werden: nur dann, wenn bei der Bewertung der voraussehbaren Faktoren Fehler bemerkt würden, könnten diese zu Recht berichtigt werden; dies könnte auch jederzeit und völlig unabhängig von den Veränderungen erfolgen, die bei den nicht voraussehbaren Faktoren eintreten könnten.

b)

Was die tatsächliche Frage angeht, so besteht diese darin, unter Berücksichtigung der Befugnisse, die der Hohen Behörde zustanden und deren Grenzen zu umreißen ich soeben versucht habe, festzustellen, ob dieser bei der Berechnung der voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit Fehler unterlaufen sind.

Zu diesem Punkt, meine Herren, zeigen die Antworten der Parteien auf die ihnen von dem Herrn Berichterstatter gestellten Fragen, daß, entsprechend der von mir vertretenen Auslegung, die im Mai 1955 festgesetzten Preise auf jeden Fall höher liegen als die voraussichtlichen Produktionskosten im Jahre 1958.

Selbst dann jedoch, wenn man sich im Gegensatz zu dieser Auffassung zu der von den Klägerinnen vorgeschlagenen Methode zur Aufstellung der Vorausschau bekennen sollte, glaube ich nicht, daß gesagt werden könnte, der Nachweis einer Überschreitung sei erbracht worden. Tatsächlich haben die Klägerinnen im Verlaufe des Prozesses geringfügig voneinander abweichende Schätzungen vorgelegt. So belaufen sich die tatsächlichen Gestehungskosten der Fettkohle und der Dreiviertelfettkohle für das erste Trimester 1955 z. B. auf 669 frs., während die der Klageschrift als Anlage beigefügte Aufstellung für den gleichen Zeitraum die Zahl von 699 frs. ausweist, was einen Unterschied von 30 frs. zwischen Schätzung und Wirklichkeit darstellt, und zwar bei einer Schätzung, die sich auf nicht ganz ein Jahr bezieht! Kann man sagen, die Überschreitung um 10 frs., auf welche die Klägerinnen im günstigsten Falle kommen, wenn sie die gegenwärtigen Preise mit den voraussichtlichen Produktionskosten im Jahr 1958, also nach drei Jahren, vergleichen, bliebe nicht im Rahmen desjenigen Bereichs von Ungewißheit, der solchen Schätzungen eigen ist?

Meine Herren, ich glaube es nicht.

Ich bin daher der Auffassung, daß die Klägerinnen den Nachweis einer Verletzung des § 26, 2a, was die in dieser Bestimmung vorgesehene Grenze für die Herabsetzung der Preise angeht, nicht erbracht haben.

Ich schlage Ihnen daher vor, den sechsten Vorwurf als unbegründet abzuweisen.

Siebenter und letzter Vorwurf. — Es handelt sich hier um den Vorwurf über das Vorliegen eines Ermessensmißbrauchs.

Die Hohe Behörde habe die angefochtenen Entscheidungen erlassen „zum Zwecke der Verwirklichung von Zielen, die der Wirtschaftspolitik der belgischen Regierung eigen seien“.

Um welche der Wirtschaftspolitik der belgischen Regierung eigene Ziele handelt es sich? Zunächst um das Ziel, zugunsten einer Neugestaltung der Ausgleichsregelung eine neue Herabsetzung der Preise für Industriekohle zu erreichen. Bei der Neugestaltung der Ausgleichsregelung habe es sich daher nur um einen Vorwand gehandelt: das wirklich verfolgte Ziel habe darin bestanden, die Wirtschaftspolitik eines Mitgliedstaates zu unterstützen. Man beruft sich hierzu insbesondere auf eine ganze Reihe von Erklärungen, die der belgische Wirtschaftsminister im Parlament abgegeben hat und die Ihnen bekannt sind.

Meine Herren, man könnte versucht sein, sich zum Zwecke einer Erledigung dieses Vorwurfs auf die Feststellung zu beschränken, daß das Endziel der Ausgleichsregelung die Eingliederung des belgischen Kohlenmarktes in den Gemeinsamen Markt, und zwar so bald als möglich, darstellt und daß die Hohe Behörde nie ein anderes Ziel verfolgt hat: sollte sie gefehlt haben, so durch Übereifer und nicht durch Ungenügen; die Tatsache jedoch, daß in dieser Hinsicht ihre Ziele weitgehend mit denen der belgischen Regierung zusammenfallen, weit entfernt davon, den Nachweis für das Vorliegen eines Ermessensmißbrauchs zu erbringen, zeigt im Gegenteil, daß sehr wohl das gesetzliche Ziel verfolgt worden ist; die Hohe Behörde teilt nämlich mit der belgischen Regierung die Verantwortung für die Eingliederung, die deren gemeinsames Ziel darstellt.

Diese Antwort, meine Herren, wäre jedoch ungenügend, die Frage ist meines Erachtens heikler.

Wenn man sich tatsächlich der Auffassung vom Ermessensmißbrauch anschließt, die ich die „klassische“ genannt habe (worüber sich die Parteien übrigens einig sind), und dieser dabei aber ihren vollen Sinn beilegt, darf der Ermessensmißbrauch nicht nur im Zusammenhang mit dem Endzweck, im vorliegenden Fall mit der Eingliederung des belgischen Kohlenmarktes in den Gemeinsamen Markt gesehen werden, sondern auch im Zusammenhang mit dem eigentlichen Ziel der Ausgleichszahlungen, wie es in § 26, 2a niedergelegt ist, weil die Ausgleichszahlungen nur eine unter anderen im Übergangsabkommen vorgesehenen Maßnahmen zur Verwirklichung der Eingliederung darstellt. Im übrigen stellen sich die Klägerinnen genau auf diesen Standpunkt. Sie werfen der Hohen Behörde nämlich vor, von den ihr in § 26, 2a übertragenen Machtbefugnissen zu anderen Zwecken Gebrauch gemacht zu haben als zu denjenigen, die sie nach den Bestimmungen dieser Vorschrift hätte vor Augen haben müssen, d. h. eine bestimmte Politik der belgischen Regierung unterstützt zu haben. Diese Regierung, wird gesagt, habe bei der Hohen Behörde durch die Ausgleichsregelung eine zu weit gehende und künstlich niedrige Festsetzung der Preise für die belgische Kohle zu erreichen versucht, um den Forderungen der Verbraucher nachzugeben und um gleichzeitig die in den Ländern, die die Ausgleichsabgaben zu leisten haben, aufkommende Kritik zu beschwichtigen; diesem Druck habe die Hohe Behörde nachgegeben und dabei den eigentlichen Zweck der Ausgleichszahlungen aus den Augen verloren.

Wie ich bereits gesagt habe, meine Herren, ist ein Ermessensmißbrauch nur insoweit denkbar, als dem Träger hoheitlicher Gewalt ein Ermessensspielraum zur Verfügung steht, und nur im Rahmen der Grenzen, innerhalb derer er berufen ist, hiervon Gebrauch zu machen.

Dies erlaubt mir, die Erörterung aller Punkte zu übergehen, bei denen ich davon ausgegangen bin, es handle sich bei den streitigen Fragen um Rechtsfragen, die von dem Gerichtshof als solche behandelt werden müßten: ich brauche daher auf diese nicht mehr zurückzukommen.

Welches sind nun bei den streitigen Punkten diejenigen, bei denen die Hohe Behörde von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht' hat?

a)

Ich zögere nicht, hierunter in erster Linie den Grundsatz der Selektivität selbst einzureihen, auf dem die angefochtenen Entscheidungen beruhen. Ich frage mich in der Tat, ob die Hohe Behörde nicht gehalten war, darauf zurückzugreifen, und ob die erste Regelung (die der ausschließlichen Aufteilung pro rata der Tonnen, ohne jegliche Berücksichtigung des „Bedarfs“) dem Gesetz entsprach; — anders gesagt, ob diese Änderung, was den Grundsatz angeht, überhaupt eine Ermessensentscheidung darstellt.

Ich glaube jedoch, meine Herren, daß es hierauf kaum ankommt. Selbst wenn man die Frage im bejahenden Sinne beantworten sollte, so glaube ich, daß der Ermessensmißbrauch in diesem Punkt, so wie er behauptet worden ist, tatsächlich in keiner Weise erwiesen ist. Es genügt, um sich hiervon zu überzeugen, festzuhalten, daß die Errichtung des Gemischten Ausschusses, der beauftragt war, das gesamte Problem und insbesondere die Möglichkeit einer Neugestaltung der Ausgleichsregelung zu untersuchen, am 18. Februar 1954 erfolgte, während die Wahlen für das belgische Parlament erst am 11. April 1954 stattfanden, und die Bildung der neuen Regierung im darauffolgenden Mai. Diese Daten machen meines Erachtens jeden Kommentar überflüssig.

b)

Was die Errechnung der voraussichtlichen Produktionskosten am Ende der Übergangszeit angeht, haben wir gesehen, daß der Rechtsstreit sich im wesentlichen um die Auslegung des Begriffs „voraussichtliche Produktionskosten“ — im Sinne von § 26, 2a — dreht und, bis zu einem gewissen Grade, um die tatsächlichen Feststellungen, die sich daraus ergeben. Für einen Ermessensmißbrauch ist im vorliegenden Fall kein Raum.

c)

Es verbleibt die Festsetzung der Preise selbst im Zusammenhang mit der vom Gesetz vorgeschriebenen Annäherung der Preise an die Preise des Gemeinsamen Marktes.

Hier stand der Hohen Behörde offensichtlich ein weitgehender Ermessensspielraum zu im Rahmen der Grenzen, die ich versucht habe, aufzuzeigen. Einerseits war sie nur gehalten, auf eine „Annäherung“ hinzuwirken; andererseits war sie keineswegs verpflichtet, diese Annäherung auf einmal am Anfang der Übergangszeit vorzunehmen. Sie war vollauf berechtigt, zumal am Anfang, mit einer gewissen Vorsicht zu handeln in Anbetracht des notwendigerweise annähernden Charakters der Schätzung der verschiedenen zu berücksichtigenden Faktoren. Indem sie sich eine gewisse Sicherheitsspanne vorbehielt, um auf diese Weise im Rahmen des Möglichen zu vermeiden, die vorher niedriger festgesetzten Preise erhöhen oder zu oft die Preistafel ändern zu müssen, hat sie, wie es scheint, klug gehandelt. Hat sie nichtsdestoweniger, als sie dies tat, versucht, die berechtigten Interessen der Erzeuger der Politik der belgischen Regierung zu opfern? Keiner der aus den Akten ersichtlichen „objektiven Umstände“ rechtfertigt die Behauptung, ich wollte sagen, daß sie eine derartige Absicht gehabt habe, aber ich sage, daß dies das tatsächlich von ihr verfolgte Ziel gewesen sei. Die Tatsache, daß zwischen der belgischen Regierung und der Hohen Behörde lange Besprechungen stattgefunden haben, stellt offensichtlich keinen Beweis in dieser Hinsicht dar, um so weniger als es, wie in der Erwiderung (S. 27 — Or. 38) festgestellt wird: „… übrigens allgemein bekannt“ ist, „daß die Hohe Behörde den Standpunkt der belgischen Regierung nicht ohne weiteres teilte und mit einer Umgestaltung der Ausgleichsregelung nur einverstanden war, wenn sie eine geringere Preissenkung zur Folge hätte, als die belgische Regierung vorgeschlagen hatte“; diese Behauptung ist unbestritten geblieben.

Ich bin daher der Ansicht, daß das Vorliegen des angeblichen Ermessensmißbrauchs nicht erwiesen ist.

Ich beantrage daher, die Klagen abzuweisen und die Kosten insoweit, als sie diese jeweils betreffen, den Klägerinnen aufzuerlegen.