Schlussanträge des Generalanwalts,

HERRN KARL ROEMER

GLIEDERUNG

Seite
 

Einleitende Bemerkungen

 

A. Sachverhalt

 

B. Rechtliche Beurteilung

 

I. Vertragsverletzung

 

1. Tatsachenfeststellung

 

2. Bildung des Werturteils über die Notwendigkeit einer Höchstpreisfestsetzung

 

3. Offensichtliche Verkennung des Vertrages

 

4. Art der Höchstpreisfestsetzung

 

II. Ermessensmißbrauch

 

1. Ruhrrevier

 

2. Revier Nord et Pas-de-Calais

 

III. Verletzung wesentlicher Formvorschriften

 

C. Zusammenfassung und Antrag

Herr Präsident, meine Herren Richter!

Im Rechtsstreit der Königlich-Niederländischen Regierung, gegen die Hohe Behörde ist die Verfahrenssprache Niederländisch. Ich beherrsche sie zu meinem Bedauern nicht hinreichend. Ich werde deshalb meine Ausführungen in meiner Muttersprache, in Deutsch, vortragen, jedoch erfolgt gleichzeitig die Übersetzung in die anderen Amtssprachen der Gemeinschaft.

Meine Herren, mir obliegt die Aufgabe, „in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit mündliche und begründete Schlußanträge“ zu dieser dem Gerichtshof unterbreiteten Streitsache öffentlich zu stellen. Gestatten Sie mir, der Darlegung der Tatsachen, die den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bilden, einige allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung mehrfach vom internationalen Recht, vom Völkerrecht, gesprochen, nach dessen Prinzipien der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl auszulegen sei. Sie hat meines Erachtens Ausnahmen des Völkerrechtes herausgestellt, in denen auch Einzelpersonen — und nicht nur den klassischen Subjekten des Völkerrechtes, den Staaten — Rechte und Pflichten nach Völkerrecht zustehen; sie hat ebenso in unserem Vertrag die Ausnahmen mehr internationalen Charakters, wie die Fälle, wo die einstimmige Beteiligung des Ministerrates erforderlich ist, hervorgehoben. Meine Herren, ich glaube nicht, daß ich auf diesen Punkt näher eingehen muß. Einmal scheint er mir für Ihr Urteil in dieser Rechtssache nicht entscheidend zu sein. Zweitens hat die Hohe Behörde in ihrer Entgegnung den Stand der Dinge zutreffend klargestellt. Es bedarf vielleicht einer ergänzenden Erinnerung an die Stellung unseres Gerichtshofes, der keine ad-hoc-Richter, keine Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit, keine abweichenden Meinungen kennt, sondern nur Richter unserer europäischen Gemeinschaft, dessen Urteile ohne materielle Nachprüfung unmittelbar vollstreckbar sind und der so die Wahrung des Gemeinschaftsrechtes durchsetzt. Schließlich spricht die Klägerin selbst von „droit communautaire“ und hat bei ihren Ausführungen über den Begriff des „détournement de pouvoir“ das Recht der einzelnen Mitgliedstaaten herangezogen, das bei der Auslegung unseres Gemeinschaftsrechtes entscheidend berücksichtigt werden muß.

In der hier zur Entscheidung gestellten Frage nun handelt es sich ohne Zweifel darum, das im Vertrag niedergelegte Wirtschaftsrecht anzuwenden. Die Normierung wirtschaftlicher Tatbestände ist eine schwierige Aufgabe. Es kann dabei nicht auf die Verwendung von Begriffen verzichtet werden, die ein Wěrturteil voraussetzen und sich nur durch Kenntnis und Würdigung der wirtschaftlichen Zusammenhänge erfassen lassen. Der Vertrag ist in der rechtlichen Fixierung wirtschaftlicher Tatbestände besonders weit gegangen; er hat insbesondere auch für allgemeine Entscheidungen der Hohen Behörde, die teilweise den Rechtsverordnungen nationalen Rechtes vergleichbar sind, rechtliche Voraussetzungen aufgestellt. Die damit ermöglichte Rechtskontrolle soll jedoch in der Regel nicht dazu führen, daß der Gerichtshof sein eigenes wirtschaftliches Werturteil an die Stelle der Würdigung der Hohen Behörde setzt. Daraus ergibt sich, daß es bei Anwendung und Auslegung des Vertrages gefährlich wäre, nur seinen Wortlaut zugrunde zu legen. Um die wirtschaftlichen Ziele von Einzelbestimmungen zu erkennen, müssen die allgemeinen Ziele und Grundsätze des Vertrages herangezogen werden. Die Bedeutung dieser allgemeinen Ziele hat der Gerichtshof bereits in seinen ersten Urteilen hervorgehoben. Mein verehrter Kollege Lagrange hat in seinen Konklusionen betont, daß die Hohe Behörde bei Ausübung einer Einzelbefugnis alle Ziele des Vertrages im Auge behalten muß, daß sie bei Erreichung des durch eine Einzelbestimmung erstrebten Zieles keinem höherwertigen allgemeinen Ziele zuwiderhandeln darf und daß dieselben Grundsätze für die Auslegung durch den Gerichtshof gelten müssen.

Auch diese allgemeinen Ziele gewinnen reale Bedeutung nur, wenn ihnen die tatsächlichen Gegebenheiten gegenübergestellt werden. Jeder Entschluß, im allgemeinen und ebenso im Wirtschaftsleben, beruht letzten Endes darauf, daß eine tatsächlich gegebene Lage zur Erreichung eines zukünftigen Zieles in der dafür geeignetsten Weise verändert oder beeinflußt wird. Ohne ein eingehendes Expose hier zu entwickeln, halte ich es deshalb für erforderlich, als Ausgangspunkt an einige wichtige Gegebenheiten des Kohlemarktes zu erinnern, die für den vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung sein können. Ihnen sind die Ziele des Vertrages gegenüberzustellen; daraufhin wird kurz darzulegen sein, wie die Hohe Behörde angesichts der vorgefundenen Situation durch ihre Entscheidungen bei Eröffnung des gemeinsamen Marktes versucht hat, diesen Zielen entsprechend zu handeln, und schließlich, wie sie auf Grund einer veränderten Lage zu Beginn des zweiten Kohlenwirtschaftsjahres ihr Preissystem für den Kohlemarkt geändert und insbesondere die angefochtenen und hier zur Beurteilung stehenden Entscheidungen erlassen hat. Erst wenn die in Rede stehenden Entscheidungen auf diese Weise in den dynamischen Ablauf und die Entwicklung hineingestellt werden, erst wenn sie auf dieser Grundlage und in diesen Zusammenhängen betrachtet werden, kann man sie einer sachgemäßen rechtlichen Würdigung und einer Überprüfung auf ihre Übereinstimmung mit dem Vertrage unterziehen.

A. — DER SACHVERHALT

Ich komme damit zur Darlegung der Tatsachen, die Ihnen bekannt sind und die ich deshalb nur kurz zu skizzieren brauche. Die nationalen Märkte für Kohle waren mehr oder weniger straff organisiert. Die Preise waren seit Jahrzehnten behördlich gebunden. Soweit Wettbewerb möglich war, fand er nicht zwischen den einzelnen Gruben statt, sondern zwischen ihren Zusammenschlüssen nach Revieren zum gemeinsamen Verkauf. Schließlich wiesen die Gestehungskosten in den Kohle erzeugenden Ländern der Gemeinschaft ganz erhebliche Unterschiede auf.

Diesen im Zeitpunkt der Eröffnung des gemeinsamen Marktes bestehenden Verhältnissen mußte Rechnung getragen werden; das Übergangsabkommen betont das mehrfach ausdrücklich und hatte der Hohen Behörde als Hauptaufgabe für die Anlaufzeit die Einholung von Auskünften zugewiesen, um sich eine konkrete Kenntnis der Gesamtlage und der besonderen Verhältnisse innerhalb der Gemeinschaft zu verschaffen. Für die Schaffung des gemeinsamen Marktes und normaler Wettbewerbsbedingungen ist eine Übergangszeit von fünf Jahren vorgesehen, von denen bei Erlaß der angefochtenen Entscheidungen ein Jahr vergangen war.

Auf dieser Grundlage sind die Entscheidungen der Hohen Behörde bei Beginn der Übergangszeit zu sehen. Zugunsten der belgischen und italienischen Reviere wurde eine Ausgleichsumlage erhoben. Der im Vertrag vorgesehene Eintritt in die Preise von Mitbewerbern innerhalb der Gemeinschaft (Art. 60 Abs. 2 lit. b) wurde zunächst nicht gestattet ( 1 ) dafür wurden für gewisse Reviere Zonenpreise genehmigt. Das vorgefundene Preisniveau wurde durch Festsetzung von Höchstpreisen nach Revieren im allgemeinen aufrechterhalten mit einer ersten Auflockerung: nur die wichtigsten Reviere wurden einbezogen, und den Unternehmen wurde in der Preisgestaltung dadurch ein gewisser Spielraum eingeräumt, daß nicht alle Sorten gebunden waren und für die nicht direkt gebundenen Sorten nur zwei Grenzen zu beachten waren: die absolute Höchstgrenze für die gesamte Kohlenart und eine Höchstgrenze für den Durchschnitt aller Sorten einer Art.

Zu Beginn des zweiten Kohlenwirtschaftsjahres wurden die Maßnahmen „zur allmählichen Eingliederung der belgischen Steinkohlengruben in den gemeinsamen Markt“, wie die Hohe Behörde in ihrem Gesamtbericht sagt, fortgeführt; ebenso wie Maßnahmen, „die es den Gruben in Sulcis ermöglichen sollen, nach Ablauf von zwei Jahren dem Wettbewerb des gemeinsamen Marktes standzuhalten“. Die Entscheidung, welche den Preiseintritt untersagt, ist unbefristet verlängert. Das System der Zonenpreise ist insofern verändert, als jetzt durchweg — je nach Lage des Absatzmarktes — eine Anpassung an die Einstandspreise für vergleichbare Brennstoffsorten des Ruhrreviers oder des Reviers Nord et Pas-de-Calais gestattet wird, während vorher nur für die Verkäufe der Saar und Lothringens nach der Bundesrepublik auf die Preise der Ruhr verwiesen, im übrigen aber eine selbständige zahlenmäßige Festlegung vorgenommen worden war. Für Belgien schließlich sind Festpreise bestimmt.

In diesem Zusammenhang sind die angefochtenen Entscheidungen getroffen worden. Sie erhalten Höchstpreise aufrecht, aber unter Wegfall einer der drei bisherigen Grenzen, nämlich des Durchschnittshöchstpreises für alle Sorten einer Art, und unter Beschränkung auf die zwei größten Reviere der Gemeinschaft, das Ruhrrevier und das Revier Nord et Pas-de-Calais. Beim Ruhrrevier ist die Preisgrenze für eine Art, bei dem nordfranzösischen Revier diejenige für vier Arten in Wegfall gekommen. Dafür ist die Preisbegrenzung für gewisse Sorten verändert und zum Teil erweitert worden. Zwar ist die Begrenzung für drei bzw. zwei Sorten weggefallen, dafür sind aber drei bzw. vier früher nicht gebundene Sorten nunmehr begrenzt.

Für die Festsetzung von Höchstpreisen bei Eröffnung des gemeinsamen Marktes war es nach der Grundsatzentscheidung 6/53 bestimmend, daß „zur Vermeidung von Störungen in der Wirtschaft der Mitgliedstaaten“ das Niveau zugrunde gelegt werden mußte, das sich aus den in allen Mitgliedstaaten festgesetzten Höchstpreisen ergab; die Festsetzung besonderer Höchstpreise für bestimmte Kohlensorten wurde mit gewissen Versorgungsschwierigkeiten begründet. Die Hohe Behörde hatte allgemein darauf hingewiesen, „daß entsprechend den allgemeinen Zielen des Vertrages Höchstpreise in der Gemeinschaft nur dann und insoweit festgesetzt werden dürfen, als die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Preisniveaus nicht schon durch den Wettbewerb zwischen den Revieren sichergestellt ist, und daß die Festsetzung von Höchstpreisen nach einer Methode erfolgen muß, die eine fortschreitende Entwicklung des freien Spiels der Kräfte auf dem gemeinsamen Markt gestattet“.

Zu Beginn des zweiten Kohlenwirtschaftsjahres war die Hohe Behörde der Ansicht, „daß angesichts der Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Kohle eine weitere Aufrechterhaltung von Höchstpreisen für die Unternehmen aller Reviere der Gemeinschaft nicht mehr notwendig sei; da jedoch bei der derzeitigen Struktur des gemeinsamen Marktes ohne eine Festsetzung von Höchstpreisen durch die Hohe Behörde die Preise für Kohle durch die Verkaufsorganisation des Ruhrreviers und durch die Houillières du Nord et du Pas-de-Calais bestimmt würden, sei es zur Erreichung der Ziele des Artikels 3 erforderlich, für die Unternehmen dieser beiden Reviere vorübergehend Höchstpreise aufrechtzuerhalten“.

Das ist die Entwicklung, die zu den angefochtenen Entscheidungen geführt hat, auf deren Inhalt im einzelnen ich bei der Prüfung der von der Klägerin geltend gemachten Klaggründe zurückkommen werde, zu der ich nunmehr übergehe.

B. — RECHTLICHE BEURTEILUNG

Zuvor noch einige Bemerkungen prozessualer Art:

Entscheidungen Nr. 19 und 20/54

Mit der Klage wird die Nichtigerklärung von drei Entscheidungen beantragt. Der Gerichtshof hat bereits in den Urteilen 1 und 2/54 ausgesprochen, daß dies bei offensichtlichem Sachzusammenhang zulässig ist. Ein solcher Zusammenhang ist auch hier gegeben: die Entscheidung 18/54 verlängert mit den genannten Änderungen die Grundsatzentscheidung 6/53 für ein weiteres Jahr, und auf Grund dieser Entscheidung setzen die Entscheidungen 19/54 und 20/54 die Preisgrenzen für die Unternehmen der beiden Reviere fest.

Die Entscheidungen 19 und 20/54 werden von der Klägerin nicht selbständig angegriffen. Die Klägerin führt zwar aus, die neuen Höchstpreise seien nicht wesentlich niedriger als die bisherigen Höchstpreise; mit dieser Behauptung will sie aber lediglich ihre Auffassung stützen, daß die Entscheidung 18/54 nicht das Ziel einer Preissenkung verfolgt haben könnte. Mit anderen Worten: die Klägerin verneint überhaupt die Zulässigkeit einer Festsetzung von Höchstpreisen, sie beantragt nicht außerdem für den Fall ihrer Zulässigkeit noch eine Überprüfung des damit geschaffenen Preisniveaus.

Unter diesen Umständen könnten die Entscheidungen 19/54 und 20/54 nur als Folge einer Nichtigerklärung der Entscheidung 18/54 ihrerseits für nichtig erklärt werden.

Die Prüfung der von der Klägerin geltend gemachten Klaggründe kann sich deshalb auf die Entscheidung 18/54 beschränken.

Entscheidung Nr. 18/54

Die Klägerin stützt ihre Klage auf Verletzung des Vertrages und offensichtliche Verkennung seiner Bestimmungen, auf Ermessensmißbrauch und auf Verletzung wesentlicher Formvorschriften.

Zu Recht gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, daß die offensichtliche Verkennung von Vertragsnormen kein besonderer Klaggrund ist.

Sie ist vielmehr der Grad einer Vertragsverletzung, der allein bei einer Gesamtwürdigung der in Artikel 33 Abs. 1 Satz 2 genannten Art festgestellt werden kann. Bei einer solchen Gesamtwürdigung erstreckt sich die Kontrolle des Gerichtshofes wegen Vertragsverletzung nur darauf, ob diese eine offensichtliche Verkennung der Bestimmungen des Vertrages darstellt. Die Prüfung auf offensichtliche Verkennung ist die durch Artikel 33 Abs. 1 Satz 2 in den dort genannten Fällen beschränkte Prüfung auf Vertragsverletzung und daher in deren Rahmen vorzunehmen. Der Hohen Behörde kann nicht in der Auffassung gefolgt werden, daß der Beweis einer offensichtlichen Vertragsverkennung eine Vorbedingung dafür sei, daß der Gerichtshof in eine Prüfung der Gesamtwürdigung eintritt. Wäre der Beweis erbracht, so müßte — wie die Klägerin zu Recht ausführt — die Entscheidung aufgehoben werden, ohne daß eine weitere Prüfung noch erforderlich wäre. Der Satzteil: „es sei denn, daß der Hohen Behörde der Vorwurf gemacht wird …“ hat einfach die Bedeutung, daß die offensichtliche Verkennung — ebenso wie jeder andere Klaggrund — vom Kläger geltend gemacht (invoqué) und rechtlich begründet sein muß. Alsdann findet die insoweit beschränkte — und immer beschränkte — Nachprüfung statt.

Es sind demnach drei Klaggründe geltend gemacht, die nunmehr der Reihe nach zu prüfen sind.

I. Vertragsverletzung

Die Klägerin rügt Verletzung des Artikels 61 lit. a) des Vertrages und vertritt die Auffassung, daß unter den gegebenen Umständen die Festsetzung von Höchstpreisen nicht zulässig gewesen sei, daß die Preise vielmehr völlig hätten freigegeben werden müssen.

Artikel 61 verlangt, daß die Hohe Behörde auf Grund von Untersuchungen und nach Anhörung von Beratendem Ausschuß und Ministerrat zu der Feststellung gelangt, daß Höchstpreise zur Erreichung der in Artikel 3, insbesondere in dessen Absatz c), genannten Ziele erforderlich sind; alsdann kann sie für eines oder mehrere der ihrer Zuständigkeit unterliegenden Erzeugnisse Höchstpreise innerhalb des gemeinsamen Marktes festsetzen. Der Tatbestand, der diese Rechtsfolge rechtfertigt, ist also sozusagen zweistufig: es müssen Untersuchungen über die vorhandenen wirtschaftlichen Tatsachen und Umstände angestellt werden, auf Grund deren die Hohe Behörde dann eine Gesamtwürdigung, ein Werturteil, abgibt. Demnach können die Argumente der Klägerin danach unterschieden werden, ob sie die Feststellung der zugrunde liegenden wirtschaftlichen Tatsachen und Umstände betreffen oder die Bildung des darüber gefällten Werturteils.

1. Tatsachenfeststellung

Zu dem ersten Punkt besteht nur in einer Beziehung Streit unter den Parteien. Die Hohe Behörde stützt sich darauf, daß bei Freigabe der Preise diese nicht entscheidend gesunken wären, während nach Ansicht der Klägerin die Preise nach einiger Zeit auch ohne behördliches Eingreifen gesunken wären.

Zu dieser Frage liegen Berichte der Hauptabteilung Markt der Hohen Behörde vom 3. Februar 1954 (Dok. Nr. 728) und vom 15. Februar 1954 (Dok. Nr. 6523) vor, die wir als Beweis anerkennen müssen. Danach haben bei den deutschen und französischen Revieren keine Absichten einer Preissenkung bestanden. Die Vertreter der Charbonnages de France haben erklärt, der Markt erlaube keine höheren Preise als die gegenwärtigen, woraus eher auf Bestrebungen der Unternehmen nach einer Erhöhung geschlossen werden könnte. Die Vertreter des Ruhrreviers erklärten sich zwar zunächst zur Gewährung gewisser Rabatte bereit, sie forderten jedoch später eine Prüfung ihrer Gestehungspreise unter Zurückziehung der bisherigen Vorschläge.

Demgegenüber ist die Auffassung der Klägerin durch keinerlei Tatsachen belegt und stellt, wie die Hohe Behörde zu Recht bemerkt, lediglich eine wirtschaftstheoretische Prognose dar. Zudem hat die Klägerin selbst nicht behauptet, daß eine sofortige Preissenkung eingetreten wäre. In der mündlichen Verhandlung hat sie nur behauptet, daß die Preise nach einiger Zeit von selbst gesunken wären, menn die Konjunktur sich weiter abgeschwächt hätte und die Einfuhr billigerer Kohle aus dritten Ländern weiter angehalten hätte. Es ist bekannt, daß sich in beiden Beziehungen die Lage geändert hat und gegenwärtig bereits eine Preiserhöhung diskutiert wird. Die gewünschte Aufklärung, wie die Unternehmen sich zu dem Ausmaß der Senkung gestellt hätten, welches die Hohe Behörde schließlich festgesetzt hat, hat diese in der mündlichen Verhandlung gegeben und mitgeteilt, daß für Koks eine Senkung von DM — ,50 vorgenommen worden wäre.

Eine unrichtige Tatsachenfeststellung, welche eine Vertragsverletzung begründen würde, liegt daher nicht vor.

2. Bildung des Werturteils über die Notwendigkeit einer Höchstpreisfestsetzung

In zweifacher Hinsicht beanstandet die Klägerin die Bildung des Werturteils der Hohen Behörde über die Notwendigkeit einer Höchstpreisfestsetzung.

a)

Zunächst erblickt sie darin eine Verletzung des Artikels 61 i. V. mit Artikel 5 des Vertrages, daß die Hohe Behörde sich mit der Möglichkeit begnügt habe, daß eines der Ziele des Artikels 3 nicht erreicht werden könne, anstatt im einzelnen festzustellen, welche Auswirkungen sich bei einer Freigabe der Preise tatsächlich ergeben hätten und welche Ziele dadurch nicht erreicht worden wären. Indessen hat die Hohe Behörde diese Auswirkungen bereits im 2. Absatz ihrer Begründung zu der Entscheidung 18/54 genannt, wenn sie sagt, daß ohne eine Festsetzung von Höchstpreisen durch die Hohe Behörde die Preise für Kohle durch die Verkaufsorganisation des Ruhrreviers und die Houillières du Nord et du Pas-de-Calais bestimmt würden. Das kann nur so ausgelegt werden, daß in diesem Falle die Preise entgegen der Marktlage künstlich hochgehalten oder sogar erhöht worden wären. Die Hohe Behörde hat also unmittelbar Auswirkungen auf die Preise entgegen dem Artikel 3 c zugrunde gelegt. Sie teilt den Standpunkt der Klägerin insoweit, als auch sie eine unklare und zweifelhafte Möglichkeit, daß schädliche Wirkungen eintreten könnten, nicht für genügend hält. Dies kann aber nach dem Gesagten auch nicht daraus geschlossen werden, daß die Begründung der Entscheidung im 4. Absatz eine vorsichtigere und weitere Formulierung verwendet.

b)

Das zweite in diesen Zusammenhang gehörige Argument geht dahin, die Hohe Behörde habe bei ihrem Urteil über die Notwendigkeit von Höchstpreisen eine vertragswidrige Marktstruktur berücksichtigt und damit anerkannt. Dies sei schon deshalb nicht zulässig, weil der Vertrag für eine solche Lage Maßnahmen in den Artikeln 65 und 66 vorsehe; die Unterlassung solcher Maßnahmen dürfe nicht den Grund für die Ausübung einer Befugnis darstellen, die unmittelbar auf andere Ziele gerichtet sei und für eine durch unerlaubte Kartelle und Zusammenschlüsse unverfälschte Marktlage gelte.

Die vertragswidrige Marktstruktur, soweit sie das Ruhrrevier betrifft, sieht die Klägerin in dem Bestehen der Gemeinschafts-organisation Ruhrkohle und ihrer sechs Verkaufsgesellschaften, die nach ihrer Ansicht gegen Artikel 65 des Vertrages verstoßen. Hierzu ist festzustellen, daß es noch keineswegs feststeht, ob und inwieweit diese Organisationen gegen Artikel 65 des Vertrages verstoßen, und daß jedenfalls zur Zeit die Verbotsbestimmungen des Artikels 65 auf diese Organisationen noch nicht anwendbar sind. Das ergibt sich eindeutig aus § 12 Absatz 2 des Abkommens über die Übergangs-bestimmungen und aus der darauf beruhenden Entscheidung Nr. 37/55 vom 11. Juli 1953. Nach § 1 des Übergangsabkommens beginnt die Anwendung des Vertrages in zwei Zeitabschnitten, der Anlaufzeit und der Übergangszeit. Während dieser Übergangszeit, in der wir uns noch befinden — sie endet am 9. Februar 1958 —, ist der Vertrag nur vorbehaltlich der Änderungen anwendbar, die sich aus dem Übergangsabkommen ergeben. Eine solche Änderung für die Anwendung des Artikels 65 stellt § 12 des Übergangs-abkommens dar. Er bestimmt, daß bei Verweigerung der in Artikel 65 § 2 vorgesehenen Genehmigung — die demnach von den bestehenden Kartellen beantragt werden kann — angemessene Fristen festgesetzt werden, nach deren Ablauf die in Artikel 65 vorgesehenen Verbote wirksam werden. Die Hohe Behörde hat mit der Entscheidung Nr. 37/53 bestimmt, daß die in Artikel 65 des Vertrages vorgesehenen Verbote grundsätzlich mit dem 31. August 1953 in Kraft treten (Artikel 2). Nach Artikel 3 der Entscheidung gilt dies jedoch nicht für Vereinbarungen, für die vor diesem Zeitpunkt ein schriftlicher begründeter Antrag auf Genehmigung gestellt ist. In diesem Falle wird vielmehr erst bei negativem Abschluß des Genehmigungsverfahrens in der ablehnenden Entscheidung der Zeitpunkt festgesetzt, zu dem die Verbote des Artikels 65 wirksam werden. Die Gemeinschaftsorganisation Ruhrkohle und ihre sechs Verkaufsgesellschaften haben einen solchen Antrag fristgerecht gestellt, das Genehmigungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Sein Stand ist im Expose über die Lage der Gemeinschaft vom November 1954 unter Nr. 75 dargestellt. Und wenn in der mündlichen Verhandlung davon gesprochen wurde, daß die Behandlung dieser für ein Land der Gemeinschaft lebenswichtigen Frage mit Auswirkungen wirtschaftlicher und sozialer Natur, für die ein gleichwertiges Beispiel in der Gemeinschaft nicht gegeben ist, schuldhaft verzögert worden sei, so scheint mir dies nicht ein ernster Vorwurf zu sein, der rechtliche Wirkungen auslösen könnte.

Es kann nicht gut angenommen werden, daß die Klägerin auch die Entscheidung 37/53 noch inzidenter anfechten will. Es ist durchaus zuzugeben, daß die Festsetzung von Preisen durch die GEORG — die einzige hier in Frage stehende Tätigkeit von mehreren dieser Organisation — nicht genehmigt werden kann. Soll deshalb die gesamte Organisation zerschlagen werden müssen? Die Klägerin sagt selbst, daß im Falle der Liquidierung die Liquidatoren auf Weisung der Hohen Behörde die Preise bestimmen müßten und daß dieser Liquidierungszustand jahrelang andauern könnte. Was hat die Hohe Behörde hier getan? Sie hat Preise bestimmt, also dasselbe, was nach Ansicht der Klägerin auch im Falle der Liquidierung hätte geschehen müssen.

Die Liquidierung betrifft „verbotene“ Organisationen; das Verbot auszusprechen, ist nach Artikel 65 allein die Hohe Behörde zuständig, vorbehaltlich einer Entscheidung des Gerichtshofes.

Die Klägerin greift daher der Entscheidung der Hohen Behörde, gegen die noch der Gerichtshof angerufen werden könnte, vor und, wie mir scheint, in unzulässiger Weise vor. Von einer illegitimen oder illegalen Existenz dieser marktregelnden Einrichtungen zu sprechen, erscheint mir im gegenwärtigen Stadium und in diesem Verfahren abwegig.

Es muß hier an die Entstehung der GEORG erinnert werden, weil vielleicht diese Tatsachen das Verständnis dieses bedeutsamen Problems erleichtern. Den Syndikaten, die für Kohle oder Braunkohle in großen Bezirken, etwa Oberschlesien oder Rhein-Ruhr, umfassend Ruhr, Niederrhein, Aachen, Saar, insgesamt den Verkauf regelten, folgten nach dem Sommer 1945 Verkaufsorganisationen der alliierten Besatzungs- und Verwaltungsbehörden. Diese wurden 1947 abgelöst auf Grund eines Beschlusses der Alliierten im Kontrollrat zu Berlin durch den Deutschen Kohlenverkauf, eine Unterabteilung der Deutschen Kohlenbergbauleitung. Alsdann erfolgte eine Dekartellisierung dieser von den Alliierten geschaffenen Einrichtung; sie beruht — ebenso wie die Schaffung der sechs Verkaufsgesellschaften — auf einer ausdrücklichen Anordnung der Alliierten Hochkommission, welche mit dem Gesetz Nr. 27 die Auflösung des vorher bestehenden Deutschen Kohlenverkaufs verfügt und die Bildung der an ihre Stelle tretenden Organisationen — eben der GEORG und der sechs Verkaufsgesellschaften — in der DfVO 17/20 im einzelnen geregelt hat. In dieser DfVO ist bereits die Zuständigkeit der Hohen Behörde vorgesehen, die an die Stelle der alliierten Behörden zu treten bestimmt war, sobald sie, die Hohe Behörde, ihre Tätigkeit aufgenommen und den gemeinsamen Markt für Kohle eröffnet hätte. Die damit zusammenhängenden Probleme haben bei den Verhandlungen über unseren Vertrag zur Schaffung der Europäischen Gemeinschaft eine große Rolle gespielt und den unmittelbaren Anlaß zur Schaffung des Absatzes 5 des mehrfach erwähnten § 12 gegeben. Während grundsätzlich die Regelungen der Übergangszeit mit ihrem Ablauf außer Kraft treten — so bestimmt es § 1 Ziffer 5 Absatz 2 des Übergangsabkommens —, ist hier — und gerade im Hinblick auf die Verkaufsorganisationen des Ruhrreviers — die Umgestaltung und Schaffung dauernder Organisationen vorgesehen mit den Worten: „… ohne daß deren Bestand auf die Übergangszeit beschränkt wäre“. Das vorläufige Bestehen dieser Organisationen muß daher als tatsächliche Gegebenheit betrachtet werden, welche die Hohe Behörde bei ihrer Entscheidung über die Kohlepreise nicht nur berücksichtigen durfte, sondern deren Beachtung geboten war. Damit ist keinesfalls eine Anerkennung der Tatsachen als vertragsgemäß verbunden. Die Hohe Behörde hat im Gegenteil deutlich gesagt, daß eine Bestimmung der Preise durch diese Organisationen nicht geduldet werden könne, und gerade aus diesem Grunde hat sie selbst Höchstpreise festgesetzt.

Im Revier Nord et Pas-de-Calais wird die vertragswidrige Struktur darin gesehen, daß dieses Revier einen bestimmenden Einfluß auf den französischen Markt ausübt, der seinerseits dem Wettbewerb des gemeinsamen Marktes noch nicht voll ausgesetzt ist, weil die gegenwärtigen Vertricbsmodalitäten beim Kohlenaustausch zwischen den Ländern der Gemeinschaft und die vorläufig noch in Kraft befindlichen internationalen Transporttarife einen wirksamen Wettbewerb verhindern. Die Untersuchungen und Arbeiten der Hohen Behörde auf diesem Gebiet sind bekannt; es handelt sich hier um Hindernisse des gemeinsamen Marktes, zu deren fortschreitendem Abbau in der Übergangszeit § 10 des Übergangsabkommens Bestimmungen trifft. Solange eine derartige Lage noch besteht, muß sie wie jede andere tatsächliche Gegebenheit von der Hohen Behörde berücksichtigt werden.

Es ist deshalb verständlich, wenn Artikel 61 die Festsetzung von Höchstpreisen nur an die Voraussetzung knüpft, daß sie zur Erreichung der im Artikel 3, besonders dessen Absatz c), genannten Ziele erforderlich sein müssen, ohne eine bestimmte Konjunkturoder Wettbewerbslage zu verlangen. Bei Eröffnung des gemeinsamen Marktes ist die Höchstpreisfestsetzung auch damit begründet worden, daß „zur Vermeidung von Störungen in der Wirtschaft der Mitgliedstaaten das Niveau der Kohlenpreise in der Gemeinschaft dem Niveau angeglichen werden muß, das sich gegenwärtig … aus den in allen Mitgliedstaaten festgesetzten Höchstpreisen ergibt“. Ebenso kann und muß jede andere tatsächliche Lage, auch wenn sie der Forderung nach einem idealen gemeinsamen Markt noch nicht entspricht, herangezogen werden. Eine Vertragsverletzung kann darin so lange nicht gefunden werden, als die in Artikel 61 aufgestellten Voraussetzungen eingehalten und die allgemeinen Ziele des Vertrages beachtet sind. Die Berücksichtigung der vorhandenen Wettbewerbs- und Absatzlage ergibt nicht das Gegenteil, sie war vielmehr geboten.

3. Offensichtliche Verkennung des Vertrages

Mit den beiden soeben geprüften und widerlegten Argumenten hatte die Klägerin die Bildung des Urteils der Hohen Behörde über die Notwendigkeit einer Höchstpreisfestsetzung beanstandet; sie hatte ihr die Berücksichtigung von Erwägungen vorgeworfen, die dabei rechtlich unzulässig seien und deshalb den Vertrag verletzten. Diese Prüfung konnte ohne Beschränkung erfolgen.

Die Klägerin bestreitet aber auch die Richtigkeit der Entscheidung selbst, indem sie tatsächliche Erwägungen anstellt, die von denen der Hohen Behörde abweichen. Die Klägerin hält es nämlich für abwegig, daß bei einer Marktlage, die ein Ansteigen der Preise nicht erwarten ließ, Höchstpreise festgesetzt worden sind: dies sei sogar schädlich, da es zu einer Erstarrung des Preisniveaus führe. Mit anderen Worten: die Klägerin meint, daß es bei Überangebot und großen Haldenbeständen offensichtlich nicht notwendig, vielmehr sogar schädlich sei, nach oben und nicht nach unten begrenzte Preise festzusetzen. Die Hohe Behörde ist der gegenteiligen Auffassung und erwidert, daß die Festsetzung von Höchstpreisen trotz der Tatsache, daß keine Erhöhung der geltenden Preise zu befürchten war, zu dem Zweck erforderlich war, den Unternehmen eine für angemessen gehaltene Preissenkung aufzuzwingen, die sie von sich aus nicht vorgenommen hätten.

Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit von Preisfestsetzungen müssen eine Vielzahl von wirtschaftlichen Tatsachen und Umständen berücksichtigt und die daraus sich ergebende Lage im ganzen gewürdigt werden. Diese Gesamtwürdigung ist — wie sich bei Artikel 61 schon aus den Worten „wenn sie feststellt“ ergibt — grundsätzlich der Hohen Behörde vorbehalten. Aus den Worten „si elle reconnaît“ sind in der mündlichen Verhandlung widersprechende Folgerungen gezogen worden: die Hohe Behörde nimmt daraus ein Ermessen für sich in Anspruch, während die Klägerin den subjektiven Charakter bestreitet und eine objektive Übereinstimmung von Wirklichkeit und Urteil verlangt. Dieser Gegensatz in der Auffassung ist wohl nur scheinbar. Denn wenn festgestellt werden soll, ob Wirklichkeit und Urteil übereinstimmen, so muß dazu ein zweites Urteil über die Wirklichkeit abgegeben werden, wie es die Klägerin denn auch tut und dem Urteil der Hohen Behörde entgegensetzt. Das Urteil ist nun nichts als der Abschluß, das Ergebnis einer Würdigung und Abwägung aller Umstände, die notwendig subjektiv gefärbt ist und einen gewissen Spielraum, eine Sphäre der freien Würdigung, einbegrenzt — sie ist nicht einfach die Feststellung einer Tatsache, die man lediglich zur Kenntnis nehmen muß und in der es keine verschiedenen Auffassungen geben kann. Ob eine wirtschaftliche Maßnahme notwendig ist, stellt nun sicher in besonders großem Umfang eine Frage dar, die weder durch einfache Wahrnehmung noch durch logische Schlüsse beantwortet werden kann. Das Wort „reconnait“ kennzeichnet demnach das Ergebnis einer Abwägung zahlreicher Umstände, Faktoren und Tendenzen.

Der Gerichtshof kann nach Artikel 33 Absatz 1 Satz 2 eine solche Gesamtwürdigung nicht schlechthin auf eine Vertragsverletzung, sondern nur auf eine „offensichtliche Verkennung“ der Bestimmungen des Vertrages nachprüfen. Stellt die Gesamtwürdigung der Hohen Behörde eine solche „offensichtliche Verkennung“ dar, so hat der Gerichtshof die auf ihr beruhende Entscheidung der Hohen Behörde für nichtig zu erklären. Kann eine solche „offensichtliche Verkennung“ nicht festgestellt werden, so muß der Gerichtshof die Gesamtwürdigung der Hohen Behörde ohne weitere Stellungnahme und vorbehaltlich einer Prüfung auf Ermessensmißbrauch als maßgebend betrachten.

Der Begriff der „offensichtlichen Verkennung“ ist zunächst noch soweit zu klären, als es für die Entscheidung der Frage erforderlich ist, ob die Argumente der Klägerin eine solche offensichtliche Verkennung ergeben.

a)

Maßgebend für die Auslegung dieses Begriffes muß der Sinn sein, welcher der Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle zugrunde liegt.

Die deutsche amtliche Begründung sagt hierzu:

„Bezüglich des Umfanges der verwaltungsrichterlichen Nachprüfung erhob sich das Problem, inwieweit der Gerichtshof befugt sein sollte, die in den Vertragsbestimmungen zahlreich vorhandenen wirtschaftlichen Tatbestandsmerkmale in seine richterliche Würdigung einzube-ziehen. Die den institutionellen Teil beherrschende Gewaltenteilung verlangte, daß die richterliche Kontrolle des Gerichtshofes ihn nicht an Stelle der Hohen Behörde zum höchsten Willensorgan der Gemeinschaft in wirtschaftlichen Fragen machen dürfte. Der Gerichtshof kann daher im allgemeinen seine Würdigung auf die aus den wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständen sich ergebende Gesamtsituation nur soweit erstrecken, wie der Hohen Behörde ein Ermessensmißbrauch vorgeworfen wird oder sie die Bestimmungen des Vertrages offensichtlich verletzt hat; hingegen ist die Nachprüfung der wirtschaftlichen Tatsachen oder Umstände unbeschränkt zulässig.“

Ich darf auch den Bericht der französischen Delegation zitieren:

„… il y avait lieu de considérer que la plupart des décisions de la Haute Autorité étant subordonnées par les dispositions mêmes du Traité à la réalisation de conditions de fond où à l'existence de situations de nature économique, l'examen par la Cour de la ‚légalité‘ des décisions prises par la Haute Autorité l'eût conduite à se faire juge, en réalite du bien fondé de ces décisions. De ce fait, l'action de la Haute Autorité pouvait se trouver paralysée par un contrôle total de la Cour, qui eût abouti à une complète confusion des pouvoirs.“

Es folgt dann die Fassung des Artikels 33 Absatz 1 Satz 2, die in diesem Bericht als Ergebnis einer gründlichen Prüfung des Problems bezeichnet und mit folgenden Worten gewürdigt wird:

„Ainsi a pu être réalisée la conciliation indispensable entre le souci de maintenir dans les limites du droit l'action de la Haute Autorité et la nécessité, non moins impérieuse, de ne pas entraver cette action dans un domaine où les considérations économiques, politiques ou sociales exigent une constante appréciation de circonstances de fait ou d'opportunité échappant normalement à la compétence d'un juge.“

Der Gerichtshof wird nach meiner Meinung die den Parlamenten der anderen Länder vorgelegten Begründungen zu prüfen haben. Sie ergeben nach meiner Auffassung keine abweichenden Meinungen.

Diese Gründe werden auch in der Literatur durchweg anerkannt. Beispielsweise gibt Ule in seiner Abhandlung „Verwaltungs-gerichte überstaatlicher und internationaler Organisationen“ ( 2 ) trotz gewisser Bedenken zu, daß wohl keine andere Lösung in Betracht komme; denn die Wirtschaftspolitik müsse sich den Veränderungen der Verhältnisse anpassen und entziehe sich deshalb einer auf die Dauer angelegten festen gesetzlichen Regelung, auch könne dem Richter nicht die Bestimmung der Wirtschaftspolitik eingeräumt werden.

Aus der „ratio legis“ läßt sich für den Begriff der „offensichtlichen Verkennung“ soviel entnehmen, daß der Richter in der Lage sein muß, sie festzustellen, ohne seine eigene Wirtschaftspolitik an die Stelle der von der Hohen Behörde verfolgten Wirtschaftspolitik zu setzen; denn das soll gerade durch die Beschränkung seiner Nachprüfungsbefugnis vermieden werden. Auch für die Wirtschaftspolitik der Hohen Behörde ist nach dem Vertrag eine Kontrolle vorgesehen: Es handelt sich um Artikel 24 des Vertrages, welcher die Hohe Behörde verpflichtet, der Gemeinsamen Versammlung jährlich einen Gesamtbericht über ihre Tätigkeit vorzulegen. Wird gegen diesen Gesamtbericht ein Mißtrauensantrag mit der vorgeschriebenen Mehrheit angenommen — ein Antrag, der die allgemeine Wirtschaftspolitik der Hohen Behörde mißbilligt —, so muß die Hohe Behörde geschlossen zurücktreten. Diese Kontrolle politischer Natur, die sich mit juristischen Mitteln nicht durchführen läßt, ist, wie mir scheint, bewußt dem Gerichtshof entzogen.

Die Beschränkung der richterlichen Kontrolle muß besonders für die Frage der Notwendigkeit und Eignung einer wirtschaftlichen Maßnahme gelten, die — wie Steindorff, der mehrfach im Laufe der Verhandlung zitiert wurde, in seiner Darstellung der Nichtigkeitsklage ausführt ( 3 ) — im allgemeinen nicht auf Grund eines zwingenden Schlusses beantwortet werden kann. Obwohl Steindorff dem Wort „patent“ eine schwächere Bedeutung beimessen möchte als dem Wort „manifeste“, ein Wort, das zunächst für die Fassung des Artikels 33 Absatz 1 Satz 2 gewählt worden war, obwohl er deshalb im allgemeinen keine unstreitige und zutage liegende Rechtswidrigkeit fordert, sondern schon eine grobe Abweichung der Verwaltungsentscheidung von der Auffassung des Gerichtshofes als „méconnaissance patente“ ansieht, so glaubt er, daß dieser Begriff bei der Frage, ob eine Maßnahme erforderlich oder geeignet war, nur unter strengen Voraussetzungen angenommen werden könne, daß hierbei die Auffassung des Gerichtshofes in besonders großem Maße von der Ansicht der Hohen Behörde abweichen müsse.

Es scheint mir müßig, über diese Anhaltspunkte hinaus nach einer erschöpfenden Definition zu suchen. Die allmähliche Herausbildung und Klärung muß der weiteren Praxis überlassen bleiben; die Anwendung auf den hier vorliegenden Fall muß zeigen, ob er dazu Veranlassung gibt, die Grenzen genauer abzustecken.

b)

Ob die Festsetzung von Höchstpreisen bei sinkender Konjunktur schädlich ist, indem sie zu einer Erstarrung des Preisgefüges führt, ist eine abstrakte wirtschaftstheoretische Frage. Die Klägerin begründet ihre Auffassung mit psychologischen Erwägungen und sagt selbst, daß sie nie bewiesen werden könne. Sie läßt außer acht, daß die festgesetzten Preise einer weiter sinkenden Konjunktur angepaßt werden können, wenn nicht die Unternehmen dies schon von sich aus tun, woran sie durch die Höchstpreise ja nicht gehindert sind. Das ganze von der Hohen Behörde im März 1954 aufgestellte Preissystem ist gegenüber den früheren Regelungen nochmals weiter gelockert, so daß die allgemeine Tendenz sich keinesfalls auf eine „Erstarrung des Preisgefüges“ hin bewegt. Schließlich spricht die tatsächliche Entwicklung gegen die These der Klägerin: das Ruhrrevier hat teilweise beträchtliche Nachlässe gewährt, und auch das Revier Nord et Pas-de-Calais ist zu Preissenkungen übergegangen.

Wirtschaftliche Entscheidungen wie die angegriffenen, erlassen für einen bestimmten in der Zukunft liegenden Zeitraum, müssen ihrer Natur nach nicht nur in der Gegenwart sich rechtfertigen, sondern ihre Bewährung im Vergleich mit der nach ihrem Erlaß eintretenden wirtschaftlichen Entwicklung und im Verhältnis zu den Zielen des Vertrages beweisen. Es liegt somit beim Erlaß einer Entscheidung die Würdigung antizipierter Tatsachen vor. Rückblickend vom Zeitpunkt der richterlichen Beurteilung der Gesamtwürdigung im Augenblick des Erlasses der Entscheidung kann so viel gesagt werden, daß diese Entscheidung unter dem Gesichtspunkt des Vertrages, insbesondere der niedrigsten Preise und der kontinuierlichen Beschäftigung, sich bewährt hat. Es darf als gerichtsbekannt kurz erwähnt werden, daß die Bestände der Halden zurückgingen, daß für gewisse Kohlensorten Versorgungsschwierigkeiten behauptet werden, daß die Importkohle, unter anderem der Erhöhung der Seefrachten wegen, teurer geworden ist, Elemente des Marktes, die zur Bildung anderer als der ermäßigten oder aufrechterhaltenen Kohlepreise geführt hätten. Nach Jahrzehnten der behördlichen Preisfestsetzung kann nicht übersehen werden, daß schon mit der zweiten Entscheidung der Hohen Behörde, nach dem ersten Jahr der fünfjährigen Übergangszeit, die Freigabe der Preise weitgehend verwirklicht worden ist. In dem Maße, wie der, gemeinsame Markt vervollkommnet und die normalen Wettbewerbsbedingungen hergestellt werden, kann die völlige Freigabe die Regel werden und die Festsetzung von Preisgrenzen auf Ausnahmen beschränkt bleiben.

Diese Erwägungen genügen nach meiner Überzeugung zu der Feststellung, daß die These der Klägerin in jedem Falle eine offenkundige Verkennung der allgemeinen Ziele des Vertrages und der Voraussetzungen des Artikels 61 im besonderen nicht darzutun vermag.

c)

Es bleibt die Ansicht der Klägerin zu würdigen, daß bei Überangebot ein Ansteigen der Preise nicht zu erwarten stand und deshalb Höchstpreise nicht notwendig waren.

Die erste Folgerung wird von der Hohen Behörde geteilt: auch die Hohe Behörde hat für die reichlich zur Verfügung stehenden Sorten keine Preiserhöhungen erwartet. Sie war aber der Ansicht, daß dies angesichts der Marktlage nicht genüge, sondern daß eine Preissenkung zu fordern sei. Diese Preissenkung — so entnahm sie den Befragungen der Unternehmen — wollten diese von sich aus nicht vornehmen. Daß diese tatsächliche Grundlage von der Klägerin nicht widerlegt worden ist, habe ich bereits ausgeführt. ( 4 )

Die Klägerin scheint denn auch einzuräumen, daß insoweit Höchstpreise erforderlich sein können — sie hat dies ja nur damit bestritten, daß die Preissenkung nach einiger Zeit von selbst erfolge. Die Klägerin glaubt aber nicht, daß die Hohe Behörde die Höchstpreise zu diesem Zweck angeordnet habe; das schließt sie daraus, daß diese Höchstpreise nicht wesentlich niedriger seien als die vorher tatsächlich angewandten Preise. Mit anderen Worten: die Klägerin hält Höchstpreise insomeit nicht für notwendig, als sie trotz reichlich vorhandenen Angebots auf der Höhe der bisher angewandten Preise festgesetzt worden sind. Ist diese Lage tatsächlich gegeben, so besteht in der Tat Anlaß zu der Prüfung, ob die Hohe Behörde nicht die Voraussetzungen der „Notwendigkeit“ offen-kundig verkannt hat. Es ist deshalb zunächst in tatsächlicher Hinsicht ein Preisvergleich vorzunehmen. Bei diesem Preisvergleich ist zu beachten, daß die Höchstpreise für Arten lediglich absolute Grenzen darstellen, unter denen die Preise der Sorten liegen müssen. Entscheidend kommt es daher auf die Einzelgrenzen für Sorten an. Da ferner jetzt, wie bereits ausgeführt, Sorten gebunden sind, für die vorher keine Höchstpreise festgesetzt waren, so lassen sich im allgemeinen nur die Listenpreise vergleichen. In der Antwort, welche die Hohe Behörde auf die zweite, ihr durch den Gerichtshof gestellte Frage vorgelegt hat, ist zutreffend darauf hingewiesen, daß das Preisniveau eines Reviers im ganzen betrachtet werden muß. Es ist weiter ein Gesichtspunkt erwähnt, der bisher vernachlässigt worden ist: nämlich die Gestehungskosten. Artikel 3 c schreibt nicht schlechthin die niedrigsten Preise vor, sondern stellt zwei Bedingungen auf: die festgesetzten Preise dürfen nicht so niedrig sein, daß sie „eine Erhöhung der von den gleichen Unternehmen bei anderen Geschäften angewandten Preise oder der Gesamtheit der Preise während eines anderen Zeitabschnitts zur Folge haben“; die festgesetzten Preise müssen ferner „die erforderlichen Abschreibungen ermöglichen und den hereingenommenen Kapitalien normale Verzinsungskosten bieten“. In diesem Zusammenhang ist auch auf Artikel 3 d hinzuweisen, der die Einhaltung der Voraussetzungen verlangt, „die einen Anreiz für die Unternehmen bieten, ihr Produktionspotential auszubauen und zu verbessern“.

d)

Für das Ruhrrevier zeigt der Vergleich, daß die Listenpreise sämtlicher fünf Sorten, für die Preisgrenzen festgesetzt sind, um 2, — DM gesunken sind. Dies bedeutet eine Senkung von etwa 4 %, o/o, für Hochofenkoks eine solche von etwa 3 %. Diese Spanne kann unter Berücksichtigung der Gestehungskosten, die nach Ansicht der Unternehmen nur eine Senkung von 0,50 DM zuließen, keinesfalls als unbedeutend bezeichnet werden. Die Hohe Behörde hat in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen ausgeführt, daß der beabsichtigte Impuls für die Stahlindustrie tatsächlich als Folge dieser Senkung eingetreten ist.

Die Gegenprobe liefern die bis zum 31. März 1954 gebundenen und jetzt freigegebenen Sorten: der Listenpreis ist hier für zwei Sorten unverändert, für eine Sorte um 2, — DM erhöht.

Diese Entwicklung scheint die Erwartung der Hohen Behörde, daß ohne ihr Eingreifen eine Preissenkung nicht eingetreten wäre, und ihre Absicht, diese herbeizuführen, zu bestätigen. Jedenfalls kann daraus nicht abgeleitet werden, daß für das Ruhrrevier Höchstpreise offenbar nicht notwendig gewesen seien.

e)

Für das Revier Nord et Pas-de-Calais ergibt der entsprechende Vergleich folgendes Bild:

Der Listenpreis von drei Sorten ist gesunken, und zwar um 2 bis 4 %. Drei weitere Sorten sind im Preis unverändert, eine Sorte ist um etwa 2 % gestiegen.

Das Gegenbeispiel lautet hier dahin, daß von den zwei freigegebenen Sorten eine im Preis unverändert, die andere um 220, — Ffrs. gestiegen ist.

Bei dem Revier Nord et Pas-de-Calais könnte man daher fragen, ob für die drei unveränderten Sorten eine Höchstpreisfestsetzung notwendig war. Prüft man zunächst die vierte Sorte, deren Preis sogar gestiegen ist — es handelt sich um die „Braisettes 10/20“ der Art „demi-gras“ —, so stellt man fest, daß der Höchstpreis von 6540, — Ffrs. auf 6000, — Ffrs. herabgesetzt ist. Während früher der Höchstpreis von 6540, — Ffrs. nur bis zu 5880, — Ffrs. ausgenutzt worden ist, geht der Listenpreis von 6000, — Ffrs. nunmehr voll bis zur Höchstgrenze. Daraus kann bei dieser Sorte auf eine steigende Tendenz geschlossen werden, die abgefangen werden sollte; dann war die Festsetzung des Höchstpreises aber ebenfalls notwendig.

Das Beispiel zeigt zugleich, daß die Preistendenzen bei einzelnen Sorten der allgemeinen Tendenz entgegengesetzt sein können. Entsprechend ist es mit der Verfügbarkeit: auch bei allgemein großen Beständen können einzelne Sorten knapp sein. Diese Erwägungen sind bei den verbleibenden drei Sorten zu berücksichtigen. Ferner ist an die soeben gemachten Ausführungen über die Gestehungskosten und die Notwendigkeit zu erinnern, es durch Fixierung des bestehenden Preisniveaus zu verhindern, daß die Unternehmen zum Ausgleich einer vorgeschriebenen Senkung andere Sorten erhöhen.

Bei einer Sorte, den „fines brutes“ der Magerkohle, war bisher keine Preisgrenze festgesetzt. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß das erreichte Preisniveau gehalten und ein zu erwartendes Ansteigen verhindert werden sollte, so daß auch hier trotz identischer Listenpreise die Höchstpreisfestsetzung gerechtfertigt wäre.

Gestatten Sie mir noch, meine Herren, an die erwähnte Stellungnahme der Charbonnages de France zu erinnern, der Markt erlaube keine höheren Preise als die gegenwärtigen; sowie auf den Zweiten Gesamtbericht der Hohen Behörde (S. 75 Nr. 54) hinzuweisen, wonach eine Senkung der Preise für Ruhrkohle sowie die Beibehaltung des Preisniveaus für das Revier Nord et Pas-de-Calais nach ihrer Ansicht der Marktlage am besten entsprochen hatte und deshalb den Entscheidungen, die angefochten sind, zugrunde gelegt worden ist.

f)

Ich fasse diesen Teil meiner Untersuchung in folgender Weise zusammen:

Selbst wenn man den Begriff der offensichtlichen Verkennung weit auslegt, läßt sich im vorliegenden Fall nicht feststellen, daß die Hohe Behörde Höchstpreise festgesetzt hat, die offensichtlich nicht notwendig waren. Es wäre sonst auch kaum verständlich, daß im Ministerrat 3 Vertreter, im Beratenden Ausschuß, und zwar im Hinblick auf das noch unvollkommene Funktionieren des gemeinsamen Marktes und besonders des Wettbewerbes, 15 Vertreter die Notwendigkeit einer weiteren Aufrechterhaltung von Höchstpreisen für einen begrenzten Zeitraum bejaht haben. Die Hohe Behörde steht demnach mit ihrem Urteil über die Notwendigkeit der Entscheidung keineswegs allein, sondern sie hat wertvolle Sachverständige neben sich, die ihre Ansicht teilen.

Unter diesen Umständen scheint mir eine offensichtliche Verkennung von Vertragsbestimmungen nicht gegeben zu sein.

4. Art der Höchstpreisfestsetzung

Im Rahmen der Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Vertragsverletzung möchte ich auf die Rechtsfolge eingehen, die Artikel 61 vorsieht: Die Hohe Behörde kann für eines oder mehrere der ihrer Zuständigkeit unterliegenden Erzeugnisse Höchstpreise innerhalb des gemeinsamen Marktes festsetzen.

In dieser Beziehung hat die Klägerin im schriftlichen Verfahren eine Vertragsverletzung nicht geltend gemacht, aber in der mündlichen Verhandlung diese Frage angedeutet und zur Erörterung gestellt, ob es zulässig sei, nur für einzelne Unternehmen Preise festzusetzen. Die Frage ist, wie der Vertreter der Klägerin bemerkt hat, von Amts wegen zu prüfen, da eine Verletzung des Artikels 61 a unter Umständen gegeben sein könnte.

Artikel 61 sieht die Preisfestsetzung für eines oder mehrere der Zuständigkeit der Hohen Behörde unterliegende Erzeugnisse innerhalb des gemeinsamen Marktes vor. Daraus könnte man schließen, daß es sich um eine generelle Festsetzung, eine allgemeine Entscheidung, handeln muß, die zum Ziele hat, das Preisniveau des gesamten gemeinsamen Marktes festzulegen. Dementsprechend sind vorausgehende Untersuchungen unter Beteiligung der Unternehmen und ihrer Verbände sowie die Anhörung des Beratenden Ausschusses und des Rates, in denen alle Mitgliedstaaten und alle maßgebenden Erzeuger- und Arbeitnehmerorganisationen der Gemeinschaft vertreten sind, vorgeschrieben. — Im Gegensatz dazu steht eine Bestimmung wie Artikel 66 § 7, die eine Preisfestsetzung für ein einzelnes Unternehmen vorsieht. Dort werden unmittelbar an das Unternehmen Empfehlungen gerichtet; werden sie nicht ausgeführt, so kann die Hohe Behörde für das betreffende Unternehmen unter anderem Preise und Verkaufsbedingungen festsetzen, und hierfür ist lediglich die Anhörung der beteiligten Regierung vorgeschrieben.

Damit stellt sich die Frage, ob die Hohe Behörde mit den angefochtenen Entscheidungen tatsächlich eine generelle Höchstpreisfestsetzung vorgenommen und das Preisniveau des gemeinsamen Marktes für Kohle festgelegt hat. Eine solche Festlegung des Preisniveaus des gemeinsamen Marktes braucht — ebensowenig wie alle Erzeugnisse — auch nicht alle Unternehmen bis zu den Kleinsterzeugern zu erfassen. Dies folgt aus dem Grundsatz des Artikels 5, der begrenzte Eingriffe vorschreibt und direkte Eingriffe in den Markt nochmals ausdrücklich darauf beschränkt, daß die Umstände solche Maßnahmen erfordern müssen. Zu Recht hat deshalb die Hohe Behörde in der eingangs schon erwähnten Begründung zu ihrer Entscheidung 6/53 darauf hingewiesen, „daß entsprechend den allgemeinen Zielen des Vertrages Höchstpreise in der Gemeinschaft nur dann und insoweit festgesetzt werden dürfen, als die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Preisniveaus“ — und, wie man hier ergänzen muß, die Herbeiführung eines marktgerechten Preisniveaus — „nicht schon durch den Wettbewerb zwischen den Revieren sichergestellt ist; daß die Festsetzung von Höchstpreisen nach einer Methode erfolgen muß, die eine fortschreitende Entwicklung des freien Spiels der Kräfte auf dem gemeinsamen Markt gestattet“.

Bei der Beurteilung der Methode, nach der vorliegendenfalls die Preisfestsetzung vorgenommen worden ist, müssen die tatsächlichen Gegebenheiten und das Gesamtsystem berücksichtigt werden. Ich darf sie kurz wiederholen: Die belgischen und italienischen Steinkohleunternehmen sind noch nicht vollkommen in den Wettbewerb des gemeinsamen Marktes eingegliedert, für die belgischen Unternehmen sind besondere Festpreise bestimmt. Es bleiben die deutschen Reviere Ruhr, Aachen und Niedersachsen, die französischen Reviere Nord et Pas-de-Calais, Lorraine und Centre-Midi, das Saarrevier und das niederländische Revier Limburg. Für die Reviere Niedersachsen und Centre-Midi waren schon bei Beginn der Übergangszeit keine Höchstpreise festgesetzt worden. Für die Reviere Aachen ( 5 ) und Niedersachsen ( 6 ), ebenso bei Verkäufen nach der Bundesrepublik für Saar ( 7 ) und Lorraine ( 8 ) bestehen Zonenpreise, die eine Angleichung an die Preise für vergleichbare Brennstoffsorten der Ruhr gestatten. Für die Reviere Saar ( 9 ) und Lorraine ( 10 ) ist bei Verkäufen nach bestimmten Gebieten Frankreichs eine Angleichung an die entsprechenden Preise des Reviers Nord et Pas-de-Calais vorgesehen. Praktisch müssen diese Reviere von den Zonenpreisen Gebrauch machen, um Absatz zu finden.

Daraus läßt sich feststellen: Soweit die Hohe Behörde eine obere Preisgrenze für gewisse Kohlenarten und -Sorten innerhalb des gemeinsamen Marktes für notwendig gehalten hat, hat sie dies angesichts der Wettbewerbs- und Absatzlage auf die einfachste und am wenigsten tief eingreifende Art getan, indem sie die entsprechenden Preise für die beiden größten Reviere der Gemeinschaft nach oben begrenzt hat. Diese beiden Reviere umfassen bereits etwa 60 % der Steinkohleproduktion der Gemeinschaft; Belgien, für das Festpreise bestimmt sind, produziert weitere 13 %. In Verbindung mit den Zonenpreisen ist damit eine generelle Maßnahme getroffen, welche im Ergebnis das Preisniveau des gesamten gemeinsamen Marktes in dem erforderlichen Umfang bestimmt.

Unter den bei Erlaß der angefochtenen Entscheidungen gegebenen Verhältnissen verletzt daher die Entscheidung 18/54 durch die Art der Höchstpreisfestsetzung nicht den Artikel 61 des Vertrages. Allerdings wird die Hohe Behörde zu prüfen haben, ob sie bei Veränderung der Verhältnisse und mit fortschreitender Entwicklung des gemeinsamen Marktes für eine etwa erforderliche Preisfestsetzung nicht zu einer anderen Methode übergehen muß.

Ermessensmißbrauch

Es verbleibt mir nun, meine Herren, zu prüfen, inwiefern ein Ermessensmißbrauch festgestellt werden kann oder nicht. Die Begründung, welche die Klägerin für diesen zweiten geltend gemachten Klaggrund vorgebracht hat, vor allen Dingen in den tiefschürfenden Vorträgen der Herren Professoren und Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, kann etwa wie folgt zusammengefaßt werden:

Die Hohe Behörde hätte gegen die Verkaufsorganisationen des Ruhrreviers und die Houillières du Nord et du Pas-de-Calais bereits nach den Artikeln 65 und 66 des Vertrages vorgehen können und müssen. Um dieses Vorgehen unterlassen zu können, habe die Hohe Behörde Artikel 61 angewandt. Sie habe mit den Kartellen verhandelt, sie habe vor ihnen kapituliert; die schädlichen Auswirkungen dieser pflichtwidrigen Unterlassung habe sie mit dem dazu nicht bestimmten Mittel einer Höchstpreisfestsetzung nach Artikel 61 bekämpft. Ich darf mir erlauben, einen Passus aus dem uns übergebenen französischen Text der Plädoirie des Herrn Professor Verzijl in der französischen Sprache zu zitieren:

„La Haute Autorité s'est avisée de faire intervenir les cartels interdits par le Traité comme conseillers pour les ‚études (à faire) en liaison avec les entreprises et les associations d'entreprises‘ visées au debut de l'art. 61, et elle est même entrée en négociations avec eux sur le niveau de leurs prix …“

Herr Präsident, meine Herren, die Klägerin hat weiter ausgeführt, es sei ein Indiz dafür gegeben, daß die vorgebliche Absicht, eine Preissenkung herbeizuführen, nicht der wahre der Entscheidung zugrunde liegende Beweggrund gewesen sei. Dies ergebe sich daraus, daß die nunmehr festgesetzten Höchstpreise nur teilweise, nur unwesentlich, unter den bisher angewandten Listenpreisen lägen.

Angesichts der vorangegangenen Untersuchungen glaube ich, daß kaum noch ausgeführt zu werden braucht, daß dieser Vorwurf unbegründet ist.

1. Ruhrrevier

Was das Ruhrrevier betrifft, so ist bereits dargelegt worden, daß die Verbotsbestimmungen des Artikels 65 auf seine Verkaufs-organisationen zur Zeit noch nicht anwendbar sind. Die Frage, ob die Hohe Behörde das Genehmigungsverfahren bereits vor März 1954 — dem Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidungen — hätte abschließen können, ist nicht Gegenstand des vor-liegenden Rechtsstreites. In diesem Verfahren kann nur geprüft werden, ob die Hohe Behörde die Befugnisse, die ihr Artikel 61 lit. a des Vertrages zuerkennt, zur Erreichung eines Zweckes ausgeübt hat, den sie damit nicht verfolgen darf, so daß ihrer im Ergebnis nicht zu beanstandenden Entschließung sachfremde und gesetzwidrige Erwägungen vorangegangen sind. Daß die Berücksichtigung der vorhandenen Marktstruktur eine solche fehlerhafte Erwägung nicht darstellt und sogar geboten war, ist bereits ausgeführt worden. Mit Ablauf des ersten Kohlenwirtschaftsjahres und der auf diese Zeit begrenzten Preisentscheidungen war es die Pflicht der Hohen Behörde, sich erneut ein Urteil über die Notwendigkeit von Höchstpreisen zu bilden. Zur Gewährleistung eines sachgerechten Urteils ist die Beteiligung und Anhörung verschiedener Gremien vorgeschrieben, in denen — wie aus den vorgelegten Dokumenten hervorgeht — die Meinungen in dieser Frage geteilt waren. Wenn die Hohe Behörde nun die Frage zwar bejaht, aber das Höchstpreissystem im Vergleich zu der früheren Regelung weiter gelockert und wesentlich beschränkt hat, so ist daraus deutlich der der Entscheidung zugrunde liegende Beweggrund zu erkennen, allen vorgebrachten Erwägungen so weit wie möglich Rechnung zu tragen.

Was den mit der Entscheidung verfolgten Zweck betrifft, so ist ebenfalls bereits dargelegt worden, daß die Entscheidung im Zusammenhang mit den übrigen Preisentscheidungen und besonders den Zonenpreisen, die der neuen Art der Preisfestsetzung angepaßt worden sind, das Preisniveau des gemeinsamen Marktes in dem für notwendig gehaltenen Umfang nach oben begrenzt; das ist aber der Zweck, zu dem der Vertrag die Befugnis der Hohen Behörde nach Artikel 61 a vorgesehen hat. Schließlich hat der Vergleich der festgesetzten Höchstpreise mit den bis dahin angewandten Listenpreisen ergeben, daß diese durchweg um 4 bis 3 % niedriger liegen. Daraus ist daher auch kein Indiz für eine andere Absicht zu entnehmen.

Der Gerichtshof hat bereits in seinen beiden ersten Urteilen ausgesprochen, daß das Hinzukommen eines an sich zu beanstandenden Beweggrundes dann keinen Ermessensmißbrauch begründet, wenn die Entscheidung sich in erster Linie auf rechtmäßige Gründe stützt und das wesentliche Ziel nicht preisgibt. Hier kann man nicht einmal sagen, daß der etwa mitspielende Beweggrund, Zeit für eine gründliche Prüfung der Kartellfrage zu gewinnen, zu beanstanden wäre. Nach Ansicht der Klägerin hätte die Hohe Behörde das ganze Kartell verbieten und durch die Liquidatoren Preise festsetzen lassen sollen — zweifellos eine der eingreifendsten Maßnahmen, welche der Vertrag vorsieht. Durch die Anwendung des viel weniger eingreifenden Artikels 61 hat die Hohe Behörde praktisch das gleiche Ergebnis erreicht, und sie hat es vermieden, Tätigkeiten dieser Organisationen ersatzlos wegfallen zu lassen, die genehmigt werden können. Ich darf auf die Verordnungen, die diese Organisationen geschaffen haben, den dort definierten Geschäftszweck und ihre Tätigkeitsverpflichtungen hinweisen. Die Klägerin, die mehrfach und mit vollem Recht den nichtdirigistischen Charakter der Gemeinschaft betont, verlangt hier im Gegenteil ein drastisches Vorgehen ohne Kompromiß. Darf ich sagen, daß in ihrer Argumentation die Sorge fehlt um die wirtschaftlichen Folgen und die anderen Ziele des Artikels 3 des Vertrages. Die Verantwortung dafür aber trifft die Hohe Behörde, die ihre Wirtschaftspolitik vor der Gemeinsamen Versammlung rechtfertigen muß. Ich glaube, daß die Unternehmer, wie Artikel 46 und 48 des Vertrages vorsehen, sich in Unternehmensverbänden zusammenschließen und mit der Hohen Behörde verhandeln können. Aus den von der Klägerin vorgelegten Dokumenten können wir feststellen, es ist der Unternehmensverband Ruhr, mit dem die Hohe Behörde verhandelt hat, wie auch Herr Professor Verrijn Stuart in seinem Plädoyer nach dem mir vorliegenden französischen Text gesagt hat:

„… Ainsi qu'il est permis de le conclure des pièces du procès, elle s'est davantage livrée à des négociations avec les producteurs de la Ruhr …“

Ich glaube daher, es ist abwegig, von einer Kapitulation vor den Kartellen zu sprechen.

2. Revier Nord et Pas-de-Calais

Ich darf nun, meine Herren, zu dem Revier Nord et Pas-de-Calais übergehen. Hier gelten dieselben Gesichtspunkte, jedoch sind einige Besonderheiten zu beachten.

Geht man mit den Parteien davon aus, daß in diesem Revier ein marktbeherrschendes Unternehmen im Sinne des Artikels 66 § 7 besteht, weil es infolge der noch bestehenden Vertriebsmodalitäten zwischen den Ländern der Gemeinschaft, besonders den internationalen Transporttarifen, dem Wettbewerb noch nicht voll ausgesetzt ist, so ist zunächst der Klägerin darin zuzustimmen, daß diese tatsächliche und dem Unternehmen nicht vorwerfbare Lage die Anwendung des Artikels 66 § 7 nicht ausschließt. Diese Bestimmung hätte vielmehr bei einem Mißbrauch der marktbeherrschenden Stellung, etwa der Forderung ungerechtfertigt hoher Preise, angewandt werden können. Daß die Hohe Behörde diesen Mißbrauch nicht abgewartet hat, kann indessen für die getroffene Entscheidung einen Ermessensmißbrauch nicht begründen. Die ihr zugrunde liegenden Erwägungen und der mit ihr verfolgte Zweck sind bereits dargelegt worden. Wenn die Hohe Behörde dieses Revier in die allgemeine Höchstpreisfestsetzung einbezogen hat, weil sie es wegen des dort noch unvollkommenen Wettbewerbs für notwendig hielt, so liegt das im Rahmen der für eine derartige Entscheidung zulässigen Beweggründe. Die Preisveränderungen sind in diesem Revier zwar uneinheitlich. Es ist aber bereits festgestellt worden, daß auch die Höchstpreise, die auf dem bisherigen Niveau, in einem Fall sogar darüber, festgesetzt worden sind, gerechtfertigt werden können, so daß ein Hinweis auf einen Ermessensmißbrauch auch daraus nicht zu entnehmen ist.

Der Vorwurf des Ermessensmißbrauchs ist demnach unbegründet.

Verletzung wesentlicher Formvorschriften

1.

Den letzten geltend gemachten Vorwurf, die Verletzung wesentlicher Formvorschriften, begründet die Klägerin damit, daß die Hohe Behörde die wahren Gründe für ihre Entscheidung nicht genannt habe, so daß diese nicht oder zumindest ungenügend begründet sei. Sie beanstandet den 4. Absatz der Begründung, nämlich die Erwägung, daß sich aus der dargelegten Marktstruktur „in der Gemeinschaft für die Produktion, die Preise oder die Beschäftigungslage Wirkungen ergeben könnten, die den nach Artikel 3 von der Hohen Behörde zu beachtenden Zielen widersprechen“.

Der Klägerin ist darin zuzustimmen, daß diese Fassung ungenau ist. In der Entscheidung 6/53 hatte die Hohe Behörde den Artikel 3 c noch besonders aufgeführt; ebenso wie sie übrigens jene Entscheidung ausdrücklich auf Artikel 61 Absatz 1 lit. a gestützt hat, während die Entscheidung 18/54 den Artikel 61 schlechthin als Grundlage anführt. Es ist aber zu beachten, daß es sich bei dem wiedergegebenen Teil der Begründung um den Hinweis auf den abstrakten Tatbestand des Vertrages handelt, der im Hinblick auf den konkreten Sachverhalt ausgelegt werden kann. Wenn die Hohe Behörde im 2. Absatz ihrer Begründung ausführt, daß ohne eine Höchstpreisfestsetzung die Preise für Kohle durch die Verkaufs-organisation des Ruhrreviers und die Houillières du Nord et du Pas-de-Calais bestimmt werden würden, so ist daraus — wie bereits im Rahmen der Prüfung auf Vertragsverletzung ausgeführt — zu ersehen, daß die Hohe Behörde die Bildung oder Beibehaltung ungerechtfertigt hoher Preise als bevorstehend angenommen hat und durch ihre Entscheidung verhindern wollte. Wenn die Hohe Behörde diese Gründe nun in ihren Schriftsätzen ausführt, so ist darin eine Präzisierung der formellen, ihrer Entscheidung beigegebenen Begründung zu sehen, die schon durch deren Auslegung ermittelt werden konnte und darum kein verspätetes und unzulässiges Vorbringen darstellt. Aus den konkret angegebenen Tatsachen ist auch zu erkennen, daß die Hohe Behörde sich nicht mit einer unbestimmten Möglichkeit des Eintritts zu bekämpfender Wirkungen begnügt hat — ein Fall, in dem die Hohe Behörde von unzutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen wäre.

Eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften ist daher in dieser Beziehung nicht festzustellen.

2.

Es besteht aber Anlaß, diesen Klaggrund von Amts wegen noch in anderer Beziehung zu prüfen. Die Hohe Behörde hat im Falle des Artikels 61 die Feststellung zu treffen, daß Höchstpreise notwendig sind; in dieser Frage der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftspolitik hat sie einen erheblichen Spielraum der Würdigung, der vom Gerichtshof nur beschränkt nachgeprüft werden kann. Dem entspricht als Ausgleich eine besonders weitgehende Untersuchungsund Anhörungspflicht der Hohen Behörde, welche die Bildung eines sachgemäßen Urteils in dieser Frage gewährleisten soll. An die Erfüllung dieser Pflicht sind daher entsprechend strenge Anforderungen zu stellen.

Anlaß zu einer solchen Prüfung besteht deshalb, weil in der Sitzung des Ministerrates vom 13. März 1954 ein Vertreter die Auffassung vorgetragen hat, daß die stattgefundenen Verhandlungen lediglich eine Wiederholung des Meinungsaustausches vom 27. Februar 1954 und keine formelle Anhörung darstellten, da die Hohe Behörde keine konkreten Vorschläge gemacht habe; infolgedessen könne eine Aufrechterhaltung von Höchstpreisen nicht rechtsgültig angeordnet werden (Dok. 347/5 des Ministerrates, S. 37/38 und S. 55). Es ist zutreffend, daß die Hohe Behörde in der Sitzung vom 13. März 1954 nicht ausdrücklich zu erkennen gegeben hat, welche Haltung sie in den vorgelegten Fragen einzunehmen gedachte. Im vorliegenden Fall war es jedoch so, daß die Hohe Behörde bei einer Freigabe der Preise keine neue Entscheidung zu treffen brauchte, da die bestehenden Entscheidungen bis zum 31. März 1954 befristet waren und in diesem Zeitpunkt automatisch außer Kraft traten. Die beantragten Konsultationen wiesen daher auf die Möglichkeit einer Aufrechterhaltung des Höchstpreissystems hin. Die Gründe, welche die Hohe Behörde für eine solche Entscheidung heranzuziehen gedachte, sind aus den Einzelfragen zu erkennen, welche die Hohe Behörde sowohl dem Ministerrat wie dem Beratenden Ausschuß vorgelegt hat. Wie mein verehrter Kollege in seinen Schlußanträgen zu der Rechtssache 2/54 bezüglich des Beratenden Ausschusses ausgeführt hat, handelt es sich bei diesem Gremium nicht um ein Organ, das eine Stellungnahme zu einem Text abzugeben hat, sondern um sachverständige Beteiligte, welche die Hohe Behörde in wirtschaftlichen Problemen aufklären und beraten sollen, so daß sie alle Elemente des in Rede stehenden Problems in Händen haben müssen. Und der Gerichtshof hat in seinem Urteil zu dieser Rechtssache ausgesprochen, daß die Hohe Behörde ein Sitzungsprotokoll, das eine Gesamtheit von Meinungsäußerungen wiedergab, im Einvernehmen mit dem Beratenden Ausschuß mit Recht als Anhörung betrachten konnte. Diese Erwägungen gelten entsprechend für den Ministerrat, dessen Hauptaufgabe es nach dem Vertrag ist, „die Tätigkeit der Hohen Behörde und der für die allgemeine Wirtschaftspolitik ihrer Länder verantwortlichen Regierungen aufeinander abzustimmen“. Wenn es auch im allgemeinen notwendig oder wenigstens zweckmäßig sein wird, daß die Hohe Behörde eine begründete Stellungnahme zur Beratung stellt, so erscheint doch im vorliegenden Fall der Ministerrat mit allen Fragen und in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten dieses komplexen Problems so eingehend befaßt, daß darin eine ausreichende Anhörung gesehen werden kann. Der Ministerrat selbst hat diese Meinung — unter Widerspruch eines Vertreters — zum Ausdruck gebracht. In der Frage des Preisniveaus, das übrigens mit der Klage nicht beanstandet wird, hat er sich ausdrücklich auf eine allgemeine Stellungnahme beschränkt und es abgelehnt, in Einzelheiten, wie die Preise der verschiedenen Sorten, einzutreten, da dies Sache der Hohen Behörde sei. Zur Frage der Zweckmäßigkeit einer weiteren Festsetzung von Höchstpreisen hätte aber die Anhörung auch dann nicht weitgehender sein können, wenn die Hohe Behörde eindeutig erklärt hätte, daß sie aus den aus ihren Einzelfragen zu erkennenden Gründen das Höchstpreissystem aufrechtzuerhalten beabsichtige.

Auch unter diesem Gesichtspunkt ist daher eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften nicht gegeben.

C — ZUSAMMENFASSUNG UND ANTRAG

Ich fasse meine Auffassung zusammen:

1.

Die Entscheidung 18/54 verletzt nicht den Vertrag. Die Hohe Behörde hat ihrer Entscheidung weder unrichtige Tatsachen noch rechtlich unzulässige Erwägungen zugrunde gelegt. Bei ihrem Urteil über die Notwendigkeit einer Höchstpreisfestsetzung ist eine offenkundige Verkennung von Bestimmungen des Vertrages nicht festzustellen. Schließlich ist die Art der vorgenommenen Höchstpreisfestsetzung unter den bei Erlaß der Entscheidung bestehenden tatsächlichen Gegebenheiten und unter Berücksichtigung des gesamten Preissystems nicht zu beanstanden.

2.

Bei der Ausübung der ihr durch Artikel 61 zuerkannten Befugnisse hat die Hohe Behörde sich weder von sachfremden und gesetzeswidrigen Erwägungen leiten lassen, noch war für sie ein Zweck entscheidend, den zu verfolgen Artikel 61 nicht gestattet.

3.

Auch wesentliche Formvorschriften sind nicht verletzt worden, da die Begründung der Entscheidung und der Umfang der vorangegangenen Anhörung ausreichend sind.

Aus diesen Gründen beantrage ich:

die Klage mit der Kostenfolge des Artikels 60 § 1 der Verfahrensordnung abzuweisen.


( 1 ) Entscheidung 3/53, ABl. S. 21.

( 2 ) Deutsches Verwaltungsblatt 1953, S. 491 — 497.

( 3 ) Seite 257.

( 4 ) Seite 251 f. unter 1.

( 5 ) 9/54;

( 6 ) 7/54;

( 7 ) 11/54;

( 8 ) 10/54;

( 9 ) 13/54;

( 10 ) 12/54.