18.3.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/12


MITTEILUNG DER KOMMISSION

Leitlinien für die Anwendung der Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union

(2022/C 123/02)

1.   Einleitung

1.

Die Europäische Union beruht auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (1). Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit ist, wie in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und in den Präambeln des EUV und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt, einer der Werte, auf die sich die Union gründet und die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind.

2.

Der Haushaltsplan der Union ist eines der wichtigsten Instrumente, mit dem dem Grundsatz der Solidarität (Artikel 2 EUV), einem der Grundprinzipien des Unionsrechts, Ausdruck verliehen wird, und beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass die gemeinsamen Mittel aus dem Unionshaushalt verantwortungsvoll eingesetzt werden. Dieses gegenseitige Vertrauen wiederum beruht jedoch darauf, dass sich jeder einzelne Mitgliedstaat verpflichtet, die ihm nach Unionsrecht obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen und die in Artikel 2 EUV verankerten Werte, zu denen auch der Wert der Rechtsstaatlichkeit zählt, ständig zu achten. Die Achtung der in Artikel 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat ist Voraussetzung für die Wahrnehmung aller Rechte, die sich aus der Anwendung der Verträge auf diesen Mitgliedstaat ergeben (2).

3.

Mit der Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union (3) (im Folgenden „Konditionalitätsverordnung“) soll der Haushalt der Union vor Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit geschützt werden, die die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen. Die Konditionalitätsverordnung ist ein ständiges Instrument, das über die Grenzen eines bestimmten mehrjährigen Finanzrahmens hinaus anwendbar ist (4).

4.

In diesen Leitlinien sollen fünf Aspekte der Konditionalitätsverordnung erläutert werden: i) die Voraussetzungen für die Annahme von Maßnahmen; ii) das Verhältnis zwischen der Konditionalitätsverordnung und anderen Instrumenten; iii) die Verhältnismäßigkeit der dem Rat vorzuschlagenden Maßnahmen; iv) das Verfahren und das Bewertungsverfahren und v) der Schutz der Rechte von Endempfängern oder Begünstigten.

5.

Diese Leitlinien sind nicht rechtsverbindlich, sie begründen keine Rechte oder Pflichten und ändern nichts an den in dem EUV und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der Haushaltsordnung (5), der Konditionalitätsverordnung, der OLAF-Verordnung (6), der EUStA-Verordnung (7) oder anderen einschlägigen Rechtsakten der Union festgelegten Rechten oder Pflichten in der Auslegung durch den Gerichtshof und das Gericht der Europäischen Union (im Folgenden „Gerichtshof der Europäischen Union“ (8)).

2.   Voraussetzungen für die Annahme von Maßnahmen

6.

Das Ziel der Konditionalitätsverordnung ist der Schutz des Unionshaushalts im Falle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat. In der Konditionalitätsverordnung ist eine Reihe von Voraussetzungen festgelegt, die erfüllt sein müssen, damit das in der Verordnung festgelegte Verfahren eingeleitet werden kann.

7.

Gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Konditionalitätsverordnung sind „geeignete Maßnahmen ... zu ergreifen, wenn gemäß Artikel 6 festgestellt wird, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen“. Gemäß Artikel 4 Absatz 2 betreffen Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einen oder mehrere der in diesem Artikel genannten Umstände. Sind diese Umstände gegeben, so fallen diese Verstöße in den Anwendungsbereich der Konditionalitätsverordnung.

8.

Die Kommission leitet das in Artikel 6 der Konditionalitätsverordnung festgelegte Verfahren ein, wenn sie der Auffassung ist, dass die Voraussetzungen gemäß Artikel 4 erfüllt sind. Der Gerichtshof hat entschieden, dass diese Voraussetzungen nur erfüllt sind, wenn nach Auffassung der Kommission hinreichende Gründe für die Feststellung vorliegen, dass i) gegen mindestens einen der in Artikel 2 Buchstabe a der Konditionalitätsverordnung festgelegten Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat verstoßen wurde, ii) dieser Verstoß mindestens einen der in Artikel 4 Absatz 2 dieser Verordnung genannten, einer Behörde eines Mitgliedstaats zuzurechnenden Umstände oder eine der dort genannten Verhaltensweisen einer solchen Behörde betrifft, sofern diese Umstände oder diese Verhaltensweisen für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union relevant sind, iii) dieser Verstoß diese wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder diese finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht und ein echter (9) oder tatsächlicher Zusammenhang zwischen diesen Verstößen und dieser Auswirkung oder der ernsthaften Gefahr einer Auswirkung besteht (10). Sind die Voraussetzungen des Artikels 4 gegeben, leitet die Kommission das Verfahren ein, es sei denn, sie ist der Auffassung, dass andere in den Rechtsvorschriften der Union festgelegte Verfahren es ihr ermöglichen würden, den Haushalt der Union wirksamer zu schützen. Dieses Verfahren gewährleistet den Schutz der Verfahrensrechte des betreffenden Mitgliedstaats.

9.

Bei der Bewertung von Fällen im Rahmen der Konditionalitätsverordnung verfolgt die Kommission einen umfassenden, proaktiven, risikobasierten und gezielten Ansatz, der auf die wirksame Anwendung der Verordnung und somit auf den Schutz des Haushalts der Union sowie der finanziellen Interessen der Union abzielt.

2.1.   Einschlägige Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit

10.

Wie der Gerichtshof klargestellt hat, sieht Artikel 2 Buchstabe a der Konditionalitätsverordnung vor, dass der Begriff der „Rechtsstaatlichkeit“ im Sinne der Definition für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung so zu verstehen sei, dass auch die anderen in Artikel 2 EUV verankerten Werte und Grundsätze der Union berücksichtigt werden. Daraus folgt, dass die Achtung dieser Werte und Grundsätze — sofern sie unabdingbarer Bestandteil der Definition des Wertes „Rechtsstaatlichkeit“ gemäß Artikel 2 EUV oder, wie aus Satz 2 dieses Artikels hervorgeht, eng mit einer Gesellschaft, die die Rechtsstaatlichkeit achtet, verknüpft sind, — im Kontext eines Mechanismus der horizontalen Konditionalität, wie dem von der angefochtenen Verordnung geschaffenen, erforderlich sein kann (11).

11.

In Artikel 2 Buchstabe a der Konditionalitätsverordnung werden lediglich für die alleinigen Zwecke dieser Verordnung einige der Grundsätze aufgezählt, die von der Verordnung abgedeckt werden und denen im Hinblick auf das Ziel der Verordnung, nämlich den Schutz des Unionshaushalts zu gewährleisten, die größte Bedeutung zukommt (12). Diese Bestimmung erhebt nicht den Anspruch, den Begriff der Rechtsstaatlichkeit abschließend zu definieren.

12.

Was die Grundrechte anbelangt, hat der Gerichtshof klargestellt, dass mit diesbezüglichen Bezugnahmen nur der Zweck verfolgt werde, die Erfordernisse des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu veranschaulichen. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung ist dagegen eigenständiger Bestandteil der Definition von Rechtsstaatlichkeit: Klarerweise könne ein Mitgliedstaat, dessen Gesellschaft durch Diskriminierung gekennzeichnet ist, nicht als Wahrer des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieses gemeinsamen Wertes gelten (13).

13.

In Erwägungsgrund 15 der Konditionalitätsverordnung ist die Rede von „einzelnen Verstößen“ und von „Verstößen, die weit verbreitet sind oder auf wiederholte Handlungen oder Unterlassungen von Behörden oder auf allgemeine Maßnahmen, die diese Behörden ergriffen haben, zurückzuführen sind“. Die Konditionalitätsverordnung deckt sowohl einzelne als auch systemische Verstöße ab, sofern sie für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union maßgeblich sind. Somit kann die Kommission sowohl Handlungen als auch Unterlassungen von Behörden bewerten.

14.

Artikel 3 der Konditionalitätsverordnung soll anhand einer Liste von Umständen, die auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit hindeuten können, die Anwendung der Konditionalitätsverordnung erleichtern (14). Da diese Liste lediglich Hinweischarakter hat, können andere Handlungen, Praktiken oder Unterlassungen von Behörden oder andere unter Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung fallende rechtliche Situationen für die Zwecke der Konditionalitätsverordnung relevant sein.

15.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass zwischen der Achtung des Wertes der Rechtsstaatlichkeit und der wirksamen Ausführung des Haushaltsplans der Union nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und dem Schutz der finanziellen Interessen der Union ein eindeutiger Zusammenhang bestehe (15). Wie der Gerichtshof ergänzte, können diese Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und diese finanziellen Interessen durch in einem Mitgliedstaat begangene Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ernsthaft beeinträchtigt werden ..., da diese Verstöße u. a. dazu führen können, dass nicht gewährleistet sei, dass die aus dem Haushalt der Union gedeckten Ausgaben alle im Unionsrecht vorgesehenen Finanzierungsbedingungen erfüllen (16)...

16.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Einhaltung dieser Finanzierungsbedingungen und die Wahrung der von der Union bei der Finanzierung von Ausgaben verfolgten Ziele nicht in vollem Umfang gewährleistet werden können, wenn es an einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle fehle, durch die die Einhaltung des Unionsrechts gewährleistet werde; das Vorhandensein einer solchen Kontrolle sowohl in den Mitgliedstaaten als auch auf Unionsebene durch unabhängige Gerichte sei unabdingbare Voraussetzung für die Rechtsstaatlichkeit (17). Dies gilt unbeschadet des Erfordernisses eines hinreichend unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Unionshaushalt.

17.

Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit betreffen einen oder mehrere den einschlägigen Behörden zuzurechnende Umstände oder Verhaltensweisen, sofern diese für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen von Bedeutung sind (18).

18.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass von einer solchen Bedeutung in Bezug auf die Tätigkeiten der in Artikel 4 Absatz 2 Buchstaben a und b der Konditionalitätsverordnung genannten Behörden ausgegangen werden könne, wenn die Behörden den Haushaltsplan der Union ausführen und die Finanzkontrolle, die Überwachung und die Rechnungsprüfung durchführen (19).

19.

Das ordnungsgemäße Arbeiten von Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen nach Maßgabe von Buchstabe c dieser Bestimmung sei nur von Relevanz, sofern es Verstöße gegen das Unionsrecht im Zusammenhang mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union oder dem Schutz ihrer finanziellen Interessen betreffe. Gleiches gelte für die unter Buchstabe e genannte Verhütung und Ahndung von Verstößen gegen das Unionsrecht durch nationale Gerichte oder Verwaltungsbehörden. Die unter Buchstabe d genannte gerichtliche Kontrolle sei nur von Relevanz, sofern sie sich auf das in Buchstabe a bis c genannte Verhalten der Behörden beziehe. Die Wiedereinziehung rechtsgrundlos gezahlter Beträge gemäß Buchstabe f betreffe nur Mittel aus dem Unionshaushalt, dies gelte auch für die Zusammenarbeit mit dem OLAF und der EUStA gemäß Buchstabe g. Schließlich beziehe sich Buchstabe h ausdrücklich auf alle sonstigen den Behörden zuzurechnenden Umstände oder Verhaltensweisen, die für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung seien (20).

20.

Als Folge dieser Auslegung gilt für nationale Behörden, deren Tätigkeiten allgemeiner Natur und nicht auf die Ausführung des Haushaltsplans oder den Schutz des Haushalts der Union beschränkt sind, dass ihnen zuzurechnende Umstände oder Verhaltensweisen, die einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit darstellen, nur dann in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, wenn sie für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Belang sind.

21.

Die Kommission stellt fest, dass unter diesen besonderen, den Behörden zuzurechnenden Umständen oder Verhaltensweisen die unwirksame oder nicht rechtzeitige Zusammenarbeit mit der EUStA und dem OLAF einen Grund für Maßnahmen im Rahmen der Konditionalitätsverordnung darstellt (21). In Bezug auf die EUStA (22) umfasst der Umfang dieser Zusammenarbeit die Verpflichtung der zuständigen nationalen Behörden der an der EUStA beteiligten Mitgliedstaaten, die strafrechtlichen Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen der EUStA aktiv zu fördern und zu unterstützen (23). In Bezug auf das OLAF umfasst der Umfang dieser Zusammenarbeit das Recht des OLAF (24), Kontrollen und Überprüfungen vor Ort mit der für ihre wirksame Durchführung erforderlichen Unterstützung vorzunehmen und Zugang zu den einschlägigen Informationen, Daten und Schriftstücken zu erhalten, um entweder zu entscheiden, ob eine Untersuchung eingeleitet wird oder nicht, oder um wirksam und unverzüglich Untersuchungen durchzuführen. Sie umfasst auch die damit verbundenen Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats, unter anderem (25) in Bezug auf Folgendes: i) Information des OLAF (26), ii) Leistung der erforderlichen Unterstützung für das OLAF, um ihm die wirksame Wahrnehmung seiner Aufgaben bei der Durchführung einer solchen Untersuchung zu ermöglichen (27), iii) Ergreifung geeigneter Sicherungsmaßnahmen, insbesondere Maßnahmen zur Sicherung einschlägiger Beweise (28), iv) Einleitung der erforderlichen Maßnahmen auf der Grundlage der vom OLAF übermittelten Informationen, bevor das OLAF entscheidet, ob eine Untersuchung eingeleitet wird oder nicht (29), und v) Gewährleistung angemessener und rechtzeitiger Weiterverfolgung der Berichte und Empfehlungen des OLAF nach Abschluss der Untersuchungen sowie Berichterstattung über die ergriffenen Maßnahmen an das OLAF (30).

22.

Die Einhaltung dieser Verpflichtungen durch den betreffenden Mitgliedstaat ist in der Tat von wesentlicher Bedeutung für den wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Union. Die Kommission wird daher die wirksame und rechtzeitige Zusammenarbeit mit dem OLAF im Hinblick auf die in Artikel 3 der Konditionalitätsverordnung festgelegten Grundsätze überwachen. Besonders wichtig ist dies in Mitgliedstaaten, die nicht an der verstärkten Zusammenarbeit in Bezug auf die EUStA teilnehmen, da das OLAF in diesen Mitgliedstaaten für die Untersuchung mutmaßlicher Betrugs-, Korruptions- oder sonstiger rechtswidriger Handlungen zuständig ist, die die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigen. Darüber hinaus kann eine systematische Nichtbefolgung der Empfehlungen des OLAF auf eine Verhaltensweise von Behörden hinauslaufen, die von einem Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nach der Konditionalitätsverordnung betroffen sein könnten.

23.

Überdies deckt Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe h jegliche anderen, Behörden zuzurechnenden Umstände oder Verhaltensweisen ab, die für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind. Der Gerichtshof hat entschieden, dass Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe h in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 1 auszulegen ist, der der zentrale Bestandteil des mit dieser Verordnung geschaffenen Mechanismus der horizontalen Konditionalität sei (31). Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass Artikel 4 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung, insbesondere Buchstabe h, weder die Unvollständigkeit der Umstände begründe, in denen der durch die angefochtene Verordnung geschaffene Konditionalitätsmechanismus greife, noch zu unpräzise sei, als dass er zu dieser Aufzählung gehören könne (32).

24.

Als mögliches Beispiel für Verhaltensweisen (oder Unterlassungen) von Behörden im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe h der Konditionalitätsverordnung können das ordnungsgemäße Funktionieren der für die Grundbuchämter und die damit verbundenen Kontrollen der Verpachtung und/oder des Eigentums an landwirtschaftlichen Flächen (einschließlich gegebenenfalls Strafverfolgungsmaßnahmen) zuständigen Behörden oder solchen Behörden zuzurechnende Umstände genannt werden, sofern diese Verpachtung und/oder das Eigentum für den Erhalt von Subventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Union relevant ist.

25.

Es sei daran erinnert, dass die Konditionalitätsverordnung für alle EU-Mittel Gültigkeit hat. In diesem Zusammenhang haben die gesetzgebenden Organe überdies klargestellt, dass die Konditionalitätsverordnung greifen kann, wenn das ordnungsgemäße Arbeiten der Behörden, die den nationalen Aufbau- und Resilienzplan durchführen (Artikel 8 der Verordnung (EU) 2021/241 über die Aufbau- und Resilienzfazilität), nicht gewährleistet ist (33). Der Gerichtshof stellte ferner klar, dass sich die Konditionalitätsverordnung auch auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit beziehen kann, die die Erhebung der Eigenmittel der Union beeinträchtigen (34).

2.2.   Auswirkungen auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union

26.

Damit bestimmte Verhaltensweisen oder bestimmte Umstände in den Anwendungsbereich der Konditionalitätsverordnung fallen, muss die Kommission nach Artikel 4 Absatz 1 der Konditionalitätsverordnung einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit feststellen und beurteilen, ob ein solcher Verstoß i) die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht und ob dies ii) hinreichend unmittelbar der Fall ist. Diese Entscheidung sollte auf Einzelfallbasis getroffen werden.

27.

Damit die erste unter Nummer 24 i) genannte Bedingung („die wirtschaftliche Führung ... zu beeinträchtigen droht“) erfüllt ist, muss sich der festgestellte Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union auswirken.

28.

Diese Auswirkung kann zum einen darin bestehen, dass der Haushaltsplan der Union in einer Weise ausgeführt wird, die nicht mit dem in Artikel 317 AEUV und in den für die Ausführung des Haushaltsplans der Union erlassenen Vorschriften verankerten Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung vereinbar ist. Insbesondere ist in Artikel 2 Nummer 59 der Haushaltsordnung der Begriff „Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung“ definiert als der „Vollzug des Haushaltsplans im Einklang mit den Grundsätzen der Sparsamkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Wirksamkeit“. In den Artikeln 33 bis 36 der Haushaltsordnung werden die Bedeutung, der Anwendungsbereich und die Folgen dieser Grundsätze näher erläutert.

29.

Zum anderen kann diese Auswirkung auch in Bezug auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festgestellt werden, die sich gemäß Artikel 325 AEUV und den einschlägigen Vorschriften des Sekundärrechts nachteilig auf den Schutz der finanziellen Interessen der Union auswirken. Gemäß Artikel 63 Absatz 2 der Haushaltsordnung umfasst dies insbesondere alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die unter anderem darauf abzielen, Unregelmäßigkeiten und Betrug bei der Ausführung des Haushaltsplans zu verhindern und aufzudecken sowie einschlägige Korrekturmaßnahmen zu ergreifen. Die „finanziellen Interessen der Union“ sind laut Definition in Artikel 2 Nummer 1 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 „Einnahmen, Ausgaben und Vermögensgegenstände, die im Haushaltsplan der Europäischen Union oder in den Haushaltsplänen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen und den von diesen verwalteten und überwachten Haushaltsplänen erfasst sind“. Darüber hinaus umfasst der Begriff „finanzielle Interessen der Union“ im Sinne des Artikels 325 Absatz 1 AEUV nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sowohl Einnahmen, die dem Unionshaushalt zur Verfügung gestellt werden, als auch Ausgaben, die aus diesem Haushalt gedeckt werden (35).

30.

Ferner wird die Kommission bei der Bestimmung des Ausmaßes der Auswirkungen auf den Unionshaushalt oder die finanziellen Interessen der Union Kriterien wie Art, Dauer, Schwere und Umfang der festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die je nach den Merkmalen dieser Verstöße variieren können, gebührend berücksichtigen (36). Zudem kann die Absicht des betreffenden Mitgliedstaats, den Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu beheben, sowie der Grad seiner Zusammenarbeit mit der Kommission im Rahmen der Konditionalitätsverordnung unter anderem für den Zweck der Messung der Auswirkungen, der Dauer und des Umfangs des betreffenden Verstoßes auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sein (37).

31.

In Bezug auf den Fall, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu einer „ernsthaften Gefahr“ führen, die die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union beeinträchtigt, ist der Gerichtshof zu der Überzeugung gelangt, dass es mit den Erfordernissen der wirtschaftlichen Führung des Haushalts der Union und des Schutzes der finanziellen Interessen der Union unvereinbar wäre, geeignete Maßnahmen nur in Fällen zu ergreifen, in denen die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union nachweislich beeinträchtigt wären. Eine solche Beschränkung könne dem Zweck der Verordnung zuwiderlaufen (38). Die Verhütung der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung genannten Auswirkungen sei eine ständige horizontale Anforderung der EU-Finanzvorschriften (39). Von einer „ernsthaften Gefahr“ kann in Fällen gesprochen werden, in denen die Auswirkungen des einschlägigen Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zwar noch nicht nachgewiesen, jedoch nach vernünftigem Ermessen vorhersehbar sind, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten werden (40). Es ist daher nachzuweisen, dass die Gefahr aufgrund von Umständen oder Verhaltensweisen, die den in Artikel 4 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung genannten Behörden zuzurechnen sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit eintritt. Wenn beispielsweise bestimmte Handlungen nationaler Behörden, die Unionsmittel im Wege der Vergabe öffentlicher Aufträge ausführen oder Eigenmittel der Union einziehen oder die Finanzkontrolle, die Überwachung und die Rechnungsprüfung von Unionsmitteln durchführen oder mutmaßliche Betrugs-, Korruptions- oder sonstige Verstöße gegen das Unionsrecht bei der Ausführung von Mitteln oder Einnahmen der Union untersuchen, nicht von vollkommen unabhängigen Gerichten wirksam überprüft werden können, kann dies eine ernsthafte Gefahr darstellen, sofern Unionsmittel und die finanziellen Interessen der Union betroffen sind.

32.

Schließlich reicht es nicht aus, dass ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht. Nach Artikel 4 Absatz 1 der Konditionalitätsverordnung muss dies durch den Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit „hinreichend unmittelbar“ erfolgen (zweite Bedingung unter 24 ii)).

33.

Gemäß diesem Erfordernis sollte feststehen, dass ein hinreichend unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und seinen Auswirkungen oder der ernsthaften Gefahr solcher Auswirkungen auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union besteht. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass der Begriff „hinreichend unmittelbar“ voraussetzt, dass ein „echter“ oder „tatsächlicher“ Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und den Auswirkungen oder den Risiken für den Unionshaushalt besteht (41). Dies bedeutet, dass das in der Verordnung niedergelegte Verfahren nicht in Bezug auf Umstände ausgelöst werden sollte, in denen dieser Zusammenhang rein hypothetisch, zu ungewiss oder zu vage ist.

3.   Verhältnis zwischen der Konditionalitätsverordnung und anderen in den Rechtsvorschriften der Union festgelegten Verfahren

34.

Liegen nach Auffassung der Kommission hinreichende Gründe für die Annahme vor, dass die Voraussetzungen für die Ergreifung von Maßnahmen nach der Konditionalitätsverordnung erfüllt sind, so prüft die Kommission vor Einleitung des Verfahrens, ob geeignete Maßnahmen notwendig sind, d. h. ob andere in den Rechtsvorschriften der Union festgelegte Verfahren zum Schutz des Unionshaushalts es ihr nicht ermöglichen würden, den Haushalt der Union wirksamer zu schützen, wie in Artikel 6 Absatz 1 der Konditionalitätsverordnung festgelegt.

35.

Die Finanzgesetzgebung der Union und die anwendbaren sektorspezifischen Vorschriften sehen bereits andere Verfahren zum Schutz des Haushalts der Union vor.

36.

So ist in der Haushaltsordnung beispielsweise ein Früherkennungs- und Ausschlusssystem (42) vorgesehen, anhand dessen die Kommission Personen oder Stellen, die eine Gefahr für den Schutz der finanziellen Interessen der Union darstellen, frühzeitig erkennen und vom Empfang von Mitteln aus dem Unionshaushalt ausschließen kann, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

37.

Darüber hinaus kann die Kommission Zahlungen aussetzen und verhängt Finanzkorrekturen gegen die Mitgliedstaaten (43), wenn sie geltende Rechtsvorschriften missachten und bei der Ausführung des Haushaltsplans der Union in geteilter Mittelverwaltung die finanziellen Interessen der Union nicht schützen (44).

38.

Gemäß der Verordnung über die Aufbau- und Resilienzfazilität und den auf dieser Verordnung beruhenden Darlehens- und Finanzierungsvereinbarungen hat die Kommission das Recht, im Falle von Betrug, Korruption und Interessenkonflikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, die von dem Mitgliedstaat nicht behoben wurden, die Unterstützung aus der Fazilität anteilig zu kürzen und alle dem Haushalt der Union geschuldeten Beträge einzuziehen. Außerdem umfassen einige nationale Aufbau- und Resilienzpläne Auflagen, die unmittelbar mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit in Verbindung stehen und zufriedenstellend erfüllt sein müssen, damit Zahlungen im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität freigegeben werden.

39.

Allerdings ist es eventuell nicht immer möglich, diese Verfahren in Fällen von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einzuleiten, wie in jenen, die in Artikel 3 und Artikel 4 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung aufgeführt sind. Es kann auch Fälle geben, in denen die Maßnahmen im Rahmen der Konditionalitätsverordnung den Haushalt der Union wirksamer schützen können als die Verfahren der Verordnung (EU) 2021/1060 (im Folgenden „Dachverordnung“) oder der Verordnung (EU) 1306/2013 und – ab dem 1. Januar 2023 – der Verordnung (EU) 2021/2116, da Letztere nur aus bestimmten, in diesen Verordnungen angeführten Gründen eingeleitet werden (45) und sich nur auf Ausgaben beziehen dürfen, die der Mitgliedstaat der Kommission bereits gemeldet hat. So ist beispielsweise die wirksame Anwendung und Umsetzung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eine zielübergreifende grundlegende Voraussetzung im Sinne des Artikels 15 der Dachverordnung. Diese grundlegende Voraussetzung ist eine Vorbedingung für die wirksame und effiziente Durchführung der spezifischen Ziele eines Programms. Erfüllt ein Mitgliedstaat eine grundlegende Voraussetzung nicht, erstattet die Kommission gemäß der Dachverordnung keine Ausgaben im Zusammenhang mit Vorhaben, die mit dem betreffenden spezifischen Ziel bzw. den betreffenden spezifischen Zielen verbunden sind, mit Ausnahme jener Ausgaben, die zur Erfüllung der entsprechenden grundlegenden Voraussetzung beitragen. Diese Maßnahme gilt erst nach Genehmigung des betreffenden Programms oder dessen Änderung durch die Kommission. Bei Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Zusammenhang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die sich auf die Durchführung eines Unionsprogramms auswirken, kann die Konditionalitätsverordnung insofern wirksamer sein, als in ihr auch die Möglichkeit vorgesehen ist, die Genehmigung oder Änderung eines Programms auszusetzen und – in der Folge – den Schutz des Haushalts der Union dank ihrer präventiven Wirkung weiter zu stärken.

40.

Bei der Prüfung der Frage, ob das mit der Konditionalitätsverordnung eingeführte Verfahren den Haushalt der Union wirksamer schützt als andere Verfahren, berücksichtigt die Kommission auf der Grundlage der Durchsetzung sektorspezifischer Rechtsvorschriften und unbeschadet ihrer darin festgelegten Befugnisse und Pflichten eine offene Reihe von Kriterien, die vor dem Hintergrund der besonderen Umstände der jeweiligen Situation anzuwenden sind. In einigen Fällen könnte die Kommission die Konditionalitätsverordnung parallel zur oder nach der Annahme sektorspezifischer oder finanzieller Maßnahmen anwenden, die sie gegebenenfalls zu ergreifen hat, wenn die Konditionalitätsverordnung den Haushalt der Union und die finanziellen Interessen der Union wirksamer schützen und damit ihren Mehrwert unter Beweis stellen würde. Andernfalls wäre mit dem Mehrwert und der Wirksamkeit der Verordnung als allgemeines und horizontales Instrument zum Schutz des Haushalts der Union und der finanziellen Interessen der Union keinerlei praktische Wirksamkeit mehr verbunden.

41.

Die Kommission ist der Auffassung, dass die folgenden indikativen Kriterien zur Bestimmung der Wirksamkeit des durch die Konditionalitätsverordnung gewährten Schutzes im Vergleich zu anderen bestehenden Instrumenten für den Schutz der finanziellen Interessen der Union herangezogen werden können.

42.

Ein erstes Kriterium betrifft den Umfang der Auswirkungen auf den Haushalt der Union und/oder das Ausmaß des Risikos, das ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit für die Effizienz der wirtschaftlichen Führung des Haushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union mit sich bringen kann. Insbesondere gelten Verfahren im Rahmen anderer Finanzvorschriften der Union möglicherweise nur für spezifische Ausgabenprogramme und könnten daher in Bezug auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die „weit verbreitet sind oder auf wiederholte Handlungen oder Unterlassungen von Behörden oder auf allgemeine Maßnahmen, die diese Behörden ergriffen haben, zurückzuführen sind“ (46), in einigen Fällen unzureichend sein. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit das ernsthafte Risiko bergen, dass die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder der Schutz der finanziellen Interessen der Union beeinträchtigt werden, während andere Finanzvorschriften der Union stattdessen mit Auswirkungen auf den Haushalt der Union, die bereits eingetreten sind, im Zusammenhang stehen könnten. Beispielsweise könnten, wenn nationale Gesetze die strafrechtliche Haftung für Betrug oder Korruption beschränken oder den Rechtsrahmen für die Bekämpfung von Betrug und Korruption schwächen oder die Vermeidung von Interessenkonflikten erschweren, Fälle von Betrug, Korruption oder Interessenkonflikten nicht wirksam untersucht und strafrechtlich verfolgt werden, was zu ernsthaften Risiken für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union führen könnte. Demselben Überlegungsansatz folgend können allgemeine Rechtsvorschriften, die eine wirksame gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen nationaler Behörden, welche zur Gänze oder zum Teil Unionsmittel verwalten, durch unabhängige Gerichte verhindern, auch ernsthafte Risiken für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union mit sich bringen. In solchen Fällen kann die Kommission zu dem Schluss kommen, dass die Anwendung der Konditionalitätsverordnung wirksamer als andere Instrumente der Union sein könnte.

43.

Ein weiteres relevantes Kriterium bezieht sich auf die Art der verfügbaren Rechtsbehelfe und ihre Eignung für unterschiedliche Situationen. Die Konditionalitätsverordnung bietet eine Vielzahl von kumulativ anwendbaren Möglichkeiten, um den Besonderheiten des jeweiligen Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit Rechnung zu tragen (47). Sollten die nach anderen Rechtsvorschriften der Union verfügbaren Rechtsbehelfe weniger geeignet sein, um dem betreffenden Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu begegnen, könnte die Konditionalitätsverordnung als wirksamer angesehen werden. Solche Situationen könnten eintreten, wenn der Haushalt der Union stark beeinträchtigt wird oder eine starke Beeinträchtigung droht, weil beispielsweise nationale Rechtsvorschriften einer wirksamen gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen zur Ausführung des Haushaltsplans der Union entgegenstehen oder die Verweisung einschlägiger Rechtssachen an den Gerichtshof der Europäischen Union behindern oder weil die nationalen Gerichte nicht unabhängig sind. In solchen Fällen könnten Aussetzungs- oder Verbotsmaßnahmen im Rahmen der Konditionalitätsverordnung, die kumulativ verhängt werden, bis der betreffende Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit eingestellt ist, den Haushalt der Union wirksamer schützen, da sie nachteilige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union und die finanziellen Interessen der Union möglicherweise verhindern. Dies könnte sich auf Situationen erstrecken, in denen die finanziellen Gesamtrisiken für den Haushalt der Union und die finanziellen Interessen der Union die Risiken übersteigen, die mit den Maßnahmen, die sich auf ein spezifisches Programm beziehen und im Rahmen eines sektoralen Instruments zur Verfügung stehen, angegangen werden können.

4.   Massnahmen, die von der Kommission vorgeschlagen werden könnten – Verhältnismäßigkeit

44.

Im Einklang mit Artikel 5 Absatz 3 der Konditionalitätsverordnung schlägt die Kommission, sobald sie festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Konditionalitätsverordnung erfüllt sind, dem Rat Maßnahmen vor, die verhältnismäßig sind (48), d. h. die Maßnahmen müssen geeignet und erforderlich sein, um die festgestellten Probleme anzugehen und den Haushalt der Union oder die finanziellen Interessen der Union zu schützen, ohne über das zur Erreichung ihres Ziels erforderliche Maß hinauszugehen.

45.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Maßnahmen gemäß Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung unbedingt verhältnismäßig sein sollten, d. h. auf das Maß beschränkt sein sollten, das angesichts der tatsächlichen oder möglichen Auswirkungen von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union unbedingt erforderlich ist (49).

46.

In diesem Zusammenhang wird die Kommission der Art, der Dauer, der Schwere und dem Umfang der in Rede stehenden Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gebührend Rechnung tragen (50). Da diese Kriterien zur Bestimmung des Ausmaßes der Auswirkungen beitragen, welche abhängig von den Merkmalen der festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit variieren können, hat ihre Berücksichtigung Einfluss auf die Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen (51). Obschon es nicht möglich ist, im Voraus alle möglichen Arten von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit sowie ihre genauen Auswirkungen auf den Haushalt der Union oder die finanziellen Interessen der Union zu definieren und abzuwägen, wird die Kommission in diesem Stadium und mangels Erfahrung mit der Anwendung der Konditionalitätsverordnung die nachstehend aufgeführten Elemente in Bezug auf jedes dieser Merkmale prüfen.

47.

Was die Art eines Verstoßes anbelangt, so sind alle Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit für die Anwendung der Konditionalitätsverordnung insofern relevant, als sie die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen. Den in Artikel 3 der Konditionalitätsverordnung genannten Umständen kommt jedoch eine besondere Bedeutung zu, da sie darin ausdrücklich erwähnt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass andere Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ähnlicher Art als weniger bedeutsam angesehen werden. Im Zuge ihrer Bewertung wird die Kommission auch andere Aspekte des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gebührend berücksichtigen, etwa ob dieser untrennbar oder eng mit dem Verfahren verbunden ist, in dessen Rahmen die Unionsmittel von dem betreffenden Mitgliedstaat verwendet werden (beispielsweise im Falle nicht ordnungsgemäßen Arbeitens der Behörden, die über die Vergabe von Finanzhilfen oder Aufträgen entscheiden, die aus dem Haushalt der Union finanziert werden); in diesem Fall können die Auswirkungen auf den Haushalt der Union oder die finanziellen Interessen der Union besonders erheblich sein.

48.

Was die Dauer betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, je länger er anhält oder je häufiger er eintritt, umso stärker die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union im Allgemeinen beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht. Diese Schlussfolgerung wird sich daher auch darauf auswirken, wie die Bewertung der Verhältnismäßigkeit der möglicherweise vorgeschlagenen Maßnahmen durch die Kommission ausfällt.

49.

In Bezug auf die Schwere eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ist die Kommission der Auffassung, dass, wenn ein oder mehrere Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit wichtige Teile des öffentlichen Sektors eines Mitgliedstaats betreffen, wie etwa die Legislative und/oder die Judikative, was negative Auswirkungen auf die Verwaltung des Unionshaushalts durch die nationalen Behörden haben kann, oder wenn die Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit systemisch oder weitverbreitet sind, diese Faktoren im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen berücksichtigt werden sollten. Bezüglich des Umfangs des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ist die Kommission der Auffassung, dass, wenn ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit mehrere Programme oder Fonds der Union beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht, mit erheblichen Auswirkungen auf den Haushalt der Union oder die finanziellen Interessen der Union zu rechnen ist. Im Allgemeinen wird die Schwere des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Rahmen der Konditionalitätsverordnung tendenziell daran ablesbar sein, wie schwer seine tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union sind.

50.

Die Kommission ist der Auffassung, dass das kumulative Vorliegen oder Nichtvorliegen der oben genannten Elemente, die angesichts der tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen des betreffenden Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf den Haushalt der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union berücksichtigt wurden, als Richtschnur für die Bewertung der Verhältnismäßigkeit der im Rahmen der Verordnung vorzuschlagenden Maßnahmen dienen kann. Daher kann es aufgrund eines systemischen Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der sich auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union auf kumulative Weise und/oder über einen signifikanten Zeitraum hinweg auswirkt, gerechtfertigt sein, dass Maßnahmen vorgeschlagen werden, die erhebliche finanzielle Folgen für den betreffenden Mitgliedstaat mit sich bringen.

51.

Zusätzlich zu diesen Elementen kann die Kommission auch andere Faktoren berücksichtigen, insbesondere die Absicht des Mitgliedstaats, den Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit abzustellen, das Ausmaß der Mitarbeit des betreffenden Mitgliedstaats (52) oder dessen Weigerung, im Rahmen der Verfahren nach der Konditionalitätsverordnung loyal mit der Kommission zusammenzuarbeiten, oder eine mögliche Fortdauer oder Wiederholung ähnlicher Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit trotz früherer Empfehlungen oder Maßnahmenvorschläge der Kommission. Die Absicht und das Ausmaß der Mitarbeit des Mitgliedstaats sind auch für die Bestimmung der Dauer und des Umfangs eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit relevant (53). Die Kommission wird bei der Erwägung dieser Faktoren eine objektive und unparteiische Bewertung vornehmen.

52.

Gemäß der Konditionalitätsverordnung müssen die Maßnahmen – soweit möglich – auf die „durch die Verstöße beeinträchtigten Handlungen der Union“ (54) ausgerichtet sein. In ihrem Vorschlag wird die Kommission spezifische Programme oder Fonds angeben, die von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit betroffen sind oder betroffen sein könnten, und – soweit möglich – Maßnahmen darlegen, die auf diese Programme oder Fonds ausgerichtet sind. In Fällen, in denen dies nicht möglich ist, unter anderem in Fällen, in denen der Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit Auswirkungen auf die Erhebung der Eigenmittel der Union hat, erlaubt es die Konditionalitätsverordnung jedoch, Maßnahmen in Bezug auf andere als die von dem Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit betroffenen Maßnahmen der Union zu erlassen. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, könnte sich dies auf Situationen beziehen, in denen die letztgenannten Maßnahmen nicht (55), nicht mehr oder nur unzureichend darauf ausgerichtet sein können, das Ziel der Konditionalitätsverordnung zu erreichen, das darin besteht, den Schutz des Haushalts der Union als Ganzes zu gewährleisten, weswegen diese Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sind (56). Andernfalls wäre es mit der Konditionalitätsverordnung nicht möglich, das mit ihr angestrebte Ziel zu erreichen. Darüber hinaus wird die Kommission in Fällen, in denen die Konditionalitätsverordnung zusätzlich oder später auf andere Rechtsvorschriften der Union angewandt wird, die Gesamtauswirkungen der Maßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen.

53.

Bei ihrer Bewertung der Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen muss die Kommission gemäß Artikel 6 Absatz 8 der Konditionalitätsverordnung auch dieselben Quellen berücksichtigen, die zur Feststellung von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit herangezogen wurden (siehe Abschnitt 5.2 dieser Leitlinien).

5.   Verfahren und Methodik des Bewertungsverfahrens

5.1.   Vorläufige Bewertung der Kommission

54.

Um Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Rahmen der Konditionalitätsverordnung zu ermitteln und zu bewerten, wird die Kommission eine gründliche qualitative und fallbasierte Bewertung vornehmen, wobei sie die besonderen Umstände und Kontexte gebührend berücksichtigt, die sich auf die Grundsätze und Merkmale der in den folgenden Absätzen dieser Leitlinien dargelegten Methodik stützen.

55.

Die Kommission wird ihre Bewertung auf objektive, unparteiische und faire (57) Weise durchführen.

56.

Objektivität setzt voraus, dass sich die Bewertung auf tatsächliche Fakten oder Beweise stützt, von denen die Kommission Kenntnis hat. Neben den verschiedenen Kontakten zwischen der Kommission, anderen Stellen und den Mitgliedstaaten wird in Artikel 6 Absatz 4 der Konditionalitätsverordnung auch klargestellt, dass die Kommission zusätzliche Informationen anfordern kann, die sie für ihre Bewertung benötigt, und dies auch tun wird, wenn sie dies für angebracht hält. Sie kann beispielsweise zusätzliche Informationen anfordern, um die Erfüllung der Voraussetzungen für die Anwendung der Konditionalitätsverordnung zu bestätigen, das Ausmaß der Auswirkungen auf den Haushalt der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union (oder das Risiko dafür) zu bewerten oder etwaige Abhilfemaßnahmen, die der Mitgliedstaat ergriffen hat oder zu ergreifen beabsichtigt, eingehender zu bewerten. Da eines der Hauptziele der Konditionalitätsverordnung darin besteht, die Konditionalitätsverordnung als präventives Instrument zum Schutz des Haushalts der Union und der finanziellen Interessen der Union einzusetzen, ist die Kommission bestrebt, einen aufrichtigen Dialog und eine loyale Zusammenarbeit mit dem betreffenden Mitgliedstaat sicherzustellen und gleichzeitig das Verfahren in angemessenem Tempo in Gang zu halten.

57.

Die Unparteilichkeit bei der Bewertung von Fällen im Rahmen der Konditionalitätsverordnung beinhaltet die Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten. Nach Artikel 4 Absatz 2 EUV ist die Union zudem verpflichtet, die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen zu achten. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedeutet dies in erster Linie, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, eine solche Behandlung ist aufgrund der besonderen Umstände, die den jeweiligen konkreten Sachverhalt kennzeichnen, objektiv gerechtfertigt (58). Obschon die Kommission ihre Bewertung unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats und des Ermessensspielraums vornehmen muss, über den dieser bei der Umsetzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verfügt, bedeutet dies nicht, dass die sich daraus ergebenden Verpflichtungen im Hinblick auf das zu erzielende Ergebnis von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein können. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit auf der Grundlage einheitlicher Kriterien zu beurteilen ist und dass der Inhalt der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit klar ist, klare und eindeutige verbindliche Erfolgspflichten umfasst und den Mitgliedstaaten bekannt ist (59). Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten in der Lage sind, den wesentlichen Inhalt und die Anforderungen, die sich aus jedem der in Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung aufgeführten Grundsätze ergeben, hinreichend genau zu bestimmen (60).

58.

Was die Fairness der Bewertung im Rahmen der Konditionalitätsverordnung betrifft, so bedeutet dies nach Auffassung der Kommission, dass eine umfassende Berücksichtigung aller in Betracht gezogenen Umstände erforderlich ist, um Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festzustellen, die im Rahmen der Konditionalitätsverordnung relevant sind.

59.

Die Kommissionsdienststellen prüfen zunächst, ob sich die einschlägigen Quellen auf einen bereits festgestellten Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit beziehen oder, falls bislang kein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festgestellt wurde, ob hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein solcher Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit stattgefunden hat. Diesbezüglich ist die Kommission der Auffassung, dass rechtskräftige Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union endgültig sind. Anschließend prüft sie, ob dieser Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einen Behörden zuzurechnenden Umstand oder eine Behörden zuzurechnende Verhaltensweise betrifft, die für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union gemäß Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung relevant sind.

60.

Da zweitens die bloße Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nicht dafür ausreicht, dass die Konditionalitätsverordnung zur Anwendung kommt, werden die Kommissionsdienststellen unter Berücksichtigung der in Abschnitt 2.2 dieser Leitlinien analysierten Kriterien prüfen, ob der Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht. Die Kommission wird Korrekturmaßnahmen oder anderen Rechtsbehelfen, die sie bereits in ähnlichen Fällen im Rahmen der in Abschnitt 3 genannten Verfahren oder anderer Verfahren in Bezug auf das Unionsrecht ergriffen hat, besondere Bedeutung beimessen, sofern diese mit Situationen im Zusammenhang standen, die auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gemäß der Konditionalitätsverordnung schließen lassen.

61.

Die Kommissionsdienststellen werden abschließend prüfen, ob der festgestellte Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einen hinreichend direkten Zusammenhang mit den Auswirkungen auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder die finanziellen Interessen der Union aufweist. Diesbezüglich ist die Kommission der Auffassung, dass rechtskräftige Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union und frühere Korrekturmaßnahmen oder andere Rechtsbehelfe, die sie bereits in ähnlichen Fällen im Rahmen der in Abschnitt 3 genannten Verfahren ergriffen hat, von besonderer Bedeutung sind.

5.2.   Informationsquellen

62.

Die Kommission ist bestrebt, Fragen, die für die Anwendung der Konditionalitätsverordnung relevant sind, sorgfältig und umfassend auf der Grundlage eines breiten Spektrums an Nachweisen zu bewerten, soweit dies für die Erfüllung der Voraussetzungen für die Anwendung der Konditionalitätsverordnung relevant ist. Umfang und Rahmen der Nachweise werden auf der Grundlage des jeweiligen Sachverhalts unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände beachtet. Die Kommission wird sicherstellen, dass die von ihr verwendeten Informationen relevant sind und dass die Quellen dieser Informationen zuverlässig sind.

5.2.1.   Allgemeine Informationsquellen

63.

Die Kommission wird sich bemühen, verschiedene Quellen für die Ermittlung, den Abgleich und die Bewertung relevanter Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu nutzen, um ihre eigenen Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, ob die Bedingungen der Verordnung erfüllt sind. In Erwägungsgrund 16 der Konditionalitätsverordnung sind spezifische Quellen wie „Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union, Berichte des Rechnungshofs, der Jahresbericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit und das jährliche EU-Justizbarometer der Kommission, Berichte des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) und gegebenenfalls Informationen der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), sowie Schlussfolgerungen und Empfehlungen einschlägiger internationaler Organisationen und Netze, einschließlich der Einrichtungen des Europarats wie der Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) und der Venedig-Kommission, insbesondere deren Verzeichnis der Kriterien zur Bewertung der Rechtsstaatlichkeit (‚Rule of Law Checklist‘) und der Europäischen Netze der obersten Gerichtshöfe und der Räte für das Justizwesen“ angeführt.

64.

Zusätzlich zu diesen Quellen, die weder spezifische noch absolute Beweiskraft haben, wird die Kommission gegebenenfalls auch andere relevante Informationen berücksichtigen. Diese können beispielsweise die jährlichen Berichte der Kommission über den „Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union und die Betrugsbekämpfung“ („Berichte über den Schutz der finanziellen Interessen“) und die damit verbundenen jährlichen Entschließungen des Europäischen Parlaments, die Informationen, auf denen die einschlägigen Berichte der Kommission, des OLAF und der EUStA beruhen, die in den Prüfberichten der Kommissionsdienststellen enthaltenen Informationen und Informationen, die von nationalen Behörden und Interessenträgern übermittelt wurden, sowie andere öffentlich zugängliche Informationen wie Urteile nationaler Gerichte oder Entscheidungen nationaler Behörden umfassen.

65.

Die Kommission hat außerdem die Möglichkeit, sich direkt an andere Stellen und anerkannte Einrichtungen wie die nationale Koordinierungsstelle für Betrugsbekämpfung (AFCOS) zu wenden. Zwar heißt es in Erwägungsgrund 16 der Konditionalitätsverordnung, dass die Kommission „die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und die Venedig-Kommission konsultieren [könnte], falls dies für eine gründliche qualitative Bewertung erforderlich ist“, doch ist die Möglichkeit solcher Konsultationen nicht auf diese beiden Stellen beschränkt, und die Kommission wird sich, wenn sie es für erforderlich hält, mit allen Einrichtungen oder Stellen in Verbindung setzen, um Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festzustellen und die Bewertung von Fällen im Rahmen der Konditionalitätsverordnung zu verbessern.

5.2.2.   Beschwerden

66.

Eine weitere wertvolle Informationsquelle sind begründete Beschwerden durch Dritte, denen einschlägige Informationen und Nachweise über Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit bekannt sein können, welche die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen.

67.

Als haushaltspolitisches Instrument sieht die Konditionalitätsverordnung keine Rechtsbehelfe oder Widerspruchsrechte vor, die ein Beschwerdeführer in Anspruch nehmen kann (61). Beschwerdeführer, die auf sie ausgerichtete Abhilfemaßnahmen, einschließlich Schadensersatz, beantragen, können diese nicht von der Kommission erhalten, sondern können das Einreichen von Beschwerden bei nationalen Behörden oder das Einreichen von Klagen vor nationalen Gerichten in Erwägung ziehen. Die Europäische Union bietet Möglichkeiten dafür, Beschwerden auf EU-Ebene einzureichen. Bei Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht können im Besonderen Bürger, Unternehmen oder andere Interessenträger der Kommission einen solchen Verstoß melden (62).

68.

Nach Eingang einer Beschwerde im Zusammenhang mit der Konditionalitätsverordnung prüfen die Kommissionsdienststellen, ob diese stichhaltige Informationen und Beweise enthält, die die Kommission für ihre Bewertung nach der Konditionalitätsverordnung heranziehen kann. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Beschwerden, die sich auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit beziehen, ohne Angaben zu ihren möglichen Auswirkungen oder Risiken, die sie für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union haben können, nicht ausreichen werden, um davon auszugehen, dass die in der Verordnung festgelegten Bedingungen erfüllt sind, es sei denn, die Kommission weist diese Auswirkungen oder Risiken basierend auf zusätzlichen Gründen nach. Je nach den Umständen des jeweiligen Falls können die Kommissionsdienststellen den Beschwerdeführer ersuchen, innerhalb einer bestimmten Frist zusätzliche Informationen zur Untermauerung der Beschwerde vorzulegen. Werden innerhalb der gesetzten Frist keine zusätzlichen Informationen übermittelt, so zeichnet die Kommission die übermittelten Informationen zwar auf, verfolgt die Beschwerde jedoch möglicherweise nicht weiter.

69.

Sind die übermittelten Informationen hinreichend begründet und für die Zwecke der Bewertung durch die Kommission relevant, so können die Kommissionsdienststellen erforderlichenfalls weitere Informationen oder Beweismittel anfordern. Wenn sie dies für angemessen halten, können die Kommissionsdienststellen auch mit dem Beschwerdeführer oder dessen Vertretern zusammentreffen, um die erhobenen Vorwürfe zu klären und spezifische Fragen im Zusammenhang mit der Beschwerde zu erörtern. Im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Konditionalitätsverordnung können die Kommissionsdienststellen im Zusammenhang mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Informationen auch andere Stellen oder Einrichtungen kontaktieren, um die vom Beschwerdeführer vorgelegten Informationen und Beweismittel zu untermauern oder zu ergänzen.

70.

Die Kommission wird sich bemühen, die Beschwerdeführer innerhalb einer Frist von voraussichtlich [acht Monaten] nach Eingang der Beschwerde über die von ihr geplanten Maßnahmen im Hinblick auf die Beschwerde zu unterrichten. Dies hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob die Kommission vom Beschwerdeführer ausreichende Informationen erhalten hat. Sollte die Kommission beschließen, das Verfahren nach Artikel 6 der Konditionalitätsverordnung einzuleiten, und dem Rat geeignete Maßnahmen vorschlagen, so unterrichtet sie grundsätzlich den Beschwerdeführer (1) nach Übermittlung des Notifizierungsschreibens an den Mitgliedstaat und (2) nach Übermittlung ihres Vorschlags an den Rat.

71.

Um das Einreichen von Beschwerden im Rahmen der Konditionalitätsverordnung zu erleichtern, hat die Kommission innerhalb des zentralen Finanzdiensts ihrer Generaldirektion Haushalt eigens die Mailbox BUDG-CONDITIONALITY-REGIME-COMPLAINTS@ec.europa.eu eingerichtet, über die Dritte der Kommission mutmaßliche Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die für die Konditionalitätsverordnung relevant sind, melden können. Anhang II der Leitlinien enthält die Informationen, die im Rahmen der Kontaktaufnahme mit der Kommission übermittelt werden können, sowie ein Musterformular, das für das Einreichen solcher Beschwerden verwendet werden kann. Sofern nicht anders vereinbart, wird die Identität des Beschwerdeführers streng vertraulich behandelt, und die Kommission wird sicherstellen, dass die Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2019/1937 (63) eingehalten werden.

5.2.3.   Erste Kontakte mit dem betreffenden Mitgliedstaat

72.

Die Kommission kann sich vor Übermittlung der schriftlichen Mitteilung gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Konditionalitätsverordnung an den betreffenden Mitgliedstaat wenden, wenn dies für ihre vorläufige Bewertung erforderlich ist. Ist die Kommission aufgrund einer Beschwerde oder auf der Grundlage anderer eingeholter Informationen noch nicht in der Lage, festzustellen, ob sie hinreichende Gründe für die Annahme hat, dass die in Artikel 4 der Verordnung genannten Bedingungen erfüllt sind, so sollte sie sich an den betreffenden Mitgliedstaat wenden können, um innerhalb einer vernünftigen und angemessenen Frist die Informationen oder Erklärungen einzuholen, die sie gegebenenfalls benötigt. Innerhalb derselben Frist kann der Mitgliedstaat die Gelegenheit ergreifen, Abhilfe zu schaffen.

73.

In solchen Fällen wird sich die Kommission um einen offenen Dialog mit dem betreffenden Mitgliedstaat bemühen, um eine verstärkte Zusammenarbeit zu ermöglichen und um möglicherweise frühzeitig auf Bedenken einzugehen. Dieser Ansatz spiegelt zudem den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, wie er in Artikel 4 Absatz 3 EUV verankert ist, wider und zeigt auf, dass eines der Hauptziele der Konditionalitätsverordnung die Prävention ist. Ersucht die Kommission einen Mitgliedstaat um erste schriftliche Klarstellungen, so legt sie Fristen fest, die dem Umfang und der Komplexität der erbetenen Klarstellungen Rechnung tragen.

74.

Reagiert der betreffende Mitgliedstaat nicht innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist oder arbeitet er innerhalb der gesetzten Frist nicht mit, so schließt die Kommission ihre vorläufige Bewertung unverzüglich auf der Grundlage der ihr vorliegenden Informationen ab.

75.

Die Kommission wendet bei allen ersten Kontakten mit den Mitgliedstaaten – und während des gesamten Verfahrens und der gesamten Bewertung – dieselben Grundsätze der Objektivität, Unparteilichkeit und Fairness an, wenn diese ersten Kontakte für notwendig erachtet worden sind.

5.3.   Förmliches Verfahren nach Artikel 6 der Konditionalitätsverordnung

76.

Liegen nach Auffassung der Kommission hinreichende Gründe für die Feststellung vor, dass die Voraussetzungen für den Erlass von Maßnahmen nach der Konditionalitätsverordnung erfüllt sind, und ist sie der Auffassung, dass andere im Unionsrecht festgelegte Verfahren es ihr nicht ermöglichen würden, den Unionshaushalt wirksamer zu schützen, übermittelt sie dem betreffenden Mitgliedstaat eine schriftliche Mitteilung, legt darin die Tatsachen und die spezifischen Gründe dar, auf denen ihre Feststellungen beruhen, und leitet das Verfahren nach Artikel 6 der Konditionalitätsverordnung (im Folgenden „Verfahren“) ein.

77.

Der betreffende Mitgliedstaat sollte die erforderlichen Informationen vorlegen und kann Abhilfemaßnahmen vorschlagen oder ergreifen, um auf die in der schriftlichen Mitteilung dargelegten Feststellungen der Kommission oder auf die Aufforderung zur Stellungnahme gemäß Artikel 6 Absatz 7 der Konditionalitätsverordnung zu reagieren, und zwar binnen einer von der Kommission festgesetzten Frist, die mindestens einen Monat und nicht mehr als drei Monate nach dem Tag der Mitteilung oder der Aufforderung zur Stellungnahme beträgt (64). Im Anschluss an den Austausch gemäß Artikel 6 Absätze 1 bis 7 der Konditionalitätsverordnung schlägt die Kommission dem Rat vor, Maßnahmen zum Schutz des Haushalts der Union oder der finanziellen Interessen der Union zu erlassen, wenn sie feststellt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Konditionalitätsverordnung erfüllt sind, und zu der Auffassung gelangt, dass die gegebenenfalls angebotenen Abhilfemaßnahmen nicht angemessen sind.

78.

Bei der Entscheidung darüber, ob sie Maßnahmen vorschlägt, wird die Kommission die von dem betreffenden Mitgliedstaat im Verlauf des Verfahrens erhaltenen Informationen und etwaigen Stellungnahmen (65) sowie die Angemessenheit der im Laufe des Verfahrens vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen gebührend prüfen. Bei der Prüfung der gegebenenfalls vorgeschlagenen Maßnahmen stützt sich die Kommission auch auf alle Informationen, die im Rahmen etwaiger vorläufiger Kontakte mit dem betreffenden Mitgliedstaat gesammelt wurden, gegebenenfalls auch vor Einleitung des Verfahrens, sowie auf alle sachdienlichen Informationen aus verfügbaren Quellen, einschließlich Entscheidungen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Organe und Einrichtungen der Union, anderer einschlägiger internationaler Organisationen und anderer anerkannter Einrichtungen.

79.

Über die Gewährleistung der Verfahrensrechte des betreffenden Mitgliedstaats hinaus wird das Verfahren auch im Einklang mit den Grundsätzen der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung bezüglich des betreffenden Mitgliedstaats und auf der Grundlage eines unparteilichen und evidenzbasierten Ansatzes durchgeführt (66). Gemäß Erwägungsgrund 23 der Konditionalitätsverordnung ist die Kommission aufgerufen, ihre Rechte gemäß Artikel 237 AEUV und der Geschäftsordnung des Rates (67) bestmöglich zu nutzen, um sicherzustellen, dass der Rat einen fristgerechten Beschluss über den Vorschlag für Maßnahmen fasst (68).

5.4.   Verfahren für die Aufhebung von Maßnahmen

80.

Nachdem der Rat die Maßnahmen erlassen hat, wird die Kommission die Lage in dem betreffenden Mitgliedstaat regelmäßig überwachen. Nach Artikel 7 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung führt die Kommission auf Ersuchen des betreffenden Mitgliedstaats oder auf eigene Initiative und spätestens ein Jahr nach der Annahme der Maßnahmen durch den Rat eine Neubewertung der Umstände in dem betreffenden Mitgliedstaat durch, wobei sie alle von dem betreffenden Mitgliedstaat eingereichten Beweismittel sowie die Angemessenheit etwaiger von dem betreffenden Mitgliedstaat angenommener Abhilfemaßnahmen berücksichtigt.

81.

Der betreffende Mitgliedstaat kann jederzeit neue Abhilfemaßnahmen annehmen und der Kommission eine schriftliche Mitteilung einschließlich Beweismittel vorlegen, um darzulegen, dass die Voraussetzungen für den Erlass der Maßnahmen nicht länger erfüllt sind.

82.

Bei der Prüfung der schriftlichen Mitteilung des betreffenden Mitgliedstaats oder anderer Informationen, die die Kommission nach der Annahme der Maßnahmen durch den Rat zusammengetragen hat, wird die Kommission im Einklang mit der in Abschnitt 5.1 dieser Leitlinien dargelegten Methodik und den Grundsätzen der Objektivität, Unparteilichkeit und Fairness vorgehen. Für ihre Bewertung stützt sich die Kommission auf alle in Abschnitt 5.2 dieser Leitlinien genannten Informationsquellen (69), die nach der Annahme der Maßnahmen durch den Rat zusammengetragen wurden.

83.

Kann die Kommission nach Prüfung der schriftlichen Mitteilung des Mitgliedstaats oder anderer Informationen, die die Kommission nach dem Erlass der Maßnahmen durch den Rat zusammengetragen hat, nicht in angemessener Weise feststellen, dass die Situation, die zum Erlass der Maßnahmen geführt hat, behoben wurde, so kann sie im Einklang mit Artikel 7 Absatz 2 letzter Unterabsatz und Artikel 6 Absatz 4 der Konditionalitätsverordnung von dem betreffenden Mitgliedstaat oder einem Dritten, der über relevante Informationen verfügen könnte, zusätzliche Informationen anfordern.

84.

Der betreffende Mitgliedstaat sollte die erforderlichen Informationen vorlegen und kann die ursprünglich vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen vorschlagen oder anpassen, um auf die Anliegen der Kommission zu reagieren, und zwar binnen einer von der Kommission festgesetzten Frist, die mindestens einen Monat und nicht mehr als drei Monate nach dem Tag der Mitteilung oder der Aufforderung zur Stellungnahme beträgt (70). Wenn die Kommission der Auffassung ist, dass die Umstände, die zum Erlass der Maßnahmen geführt haben, behoben wurden, wird sie nach diesem Schriftwechsel und im Anschluss an ihre abschließende Bewertung dem Rat gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung einen Durchführungsbeschluss zur Aufhebung der erlassenen Maßnahmen vorschlagen. Gelangt die Kommission zu der Feststellung, dass die Umstände, die zur Annahme der Maßnahmen geführt haben, teilweise behoben wurden, legt sie dem Rat einen Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss zur Anpassung der angenommenen Maßnahmen vor.

85.

Maßnahmen können aufgehoben oder angepasst werden, wenn die Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zwar anhalten, aber keine Auswirkungen auf den Haushalt der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union mehr haben (71). Gelangt die Kommission zu der Feststellung, dass die Umstände, die zur Annahme der Maßnahmen geführt haben, nicht behoben wurden, richtet sie einen begründeten Beschluss an den betreffenden Mitgliedstaat und unterrichtet den Rat hiervon.

86.

Über die Gewährleistung der Verfahrensrechte des betreffenden Mitgliedstaats hinaus wird das Verfahren auch im Einklang mit den Grundsätzen der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung bezüglich des betreffenden Mitgliedstaats und auf der Grundlage eines unparteiischen und evidenzbasierten Ansatzes durchgeführt (72). Gemäß Erwägungsgrund 23 der Konditionalitätsverordnung ist die Kommission aufgerufen, ihre Rechte gemäß Artikel 237 AEUV und der Geschäftsordnung des Rates (73) bestmöglich zu nutzen, um sicherzustellen, dass der Rat einen fristgerechten Beschluss über den Vorschlag zur Aufhebung oder Anpassung der Maßnahmen fasst (74).

6.   Schutz der legitimen Rechte von Endempfängern und begünstigten von Unionsmitteln im Rahmen der Konditionalitätsverordnung

87.

Die im Rahmen der Konditionalitätsverordnung erlassenen Maßnahmen werden finanzielle oder wirtschaftliche Auswirkungen haben. Diese Auswirkungen sollten sich jedoch auf den betreffenden Mitgliedstaat oder in konkreten Fällen auf bestimmte nationale Stellen beschränken, die die Mittel verwalten. Sofern in dem Beschluss zur Annahme der Maßnahmen nicht in hinreichend begründeten Fällen im Einklang mit den geltenden Unionsvorschriften etwas anderes vorgesehen ist, sollte die Verhängung dieser Maßnahmen die bereits bestehenden Verpflichtungen von Regierungsstellen oder Mitgliedstaaten, Zahlungen an die Endempfänger oder Begünstigten zu leisten, die Anspruch auf solche Zahlungen im Rahmen des entsprechenden Programms oder Fonds der Union haben, nicht berühren.

88.

Die Maßnahmen können Unionsfonds oder Unionsprogramme im Rahmen aller Arten der Mittelverwaltung des Unionshaushalts betreffen, ob diese Fonds oder Programme nun direkt (von den Kommissionsdienststellen oder von Exekutivagenturen verwaltet (75)), indirekt (von einer der in Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe c der Haushaltsordnung genannten Stellen) oder gemeinsam mit den Mitgliedstaaten (geteilte Mittelverwaltung (76)) ausgeführt werden.

89.

Die Verhängung von Maßnahmen berührt nicht die bereits bestehenden Verpflichtungen von Regierungsstellen oder Mitgliedstaaten, das Programm oder den Fonds (im Rahmen gleich welcher Art der Mittelverwaltung) auszuführen, insbesondere nicht die rechtlichen Verpflichtungen zur Leistung von Zahlungen an Endempfänger oder Begünstigte, wie sie in den geltenden Unionsinstrumenten und den spezifischen Rechtsakten, durch die solche Verpflichtungen begründet wurden, vorgesehen sind, es sei denn, der Beschluss zur Verhängung der Maßnahmen sieht etwas anderes vor.

90.

Mit anderen Worten: Die staatlichen Stellen oder die Mitgliedstaaten können die vom Rat erlassenen geeigneten Maßnahmen nicht als Rechtfertigung dafür nutzen, sich von ihren bereits bestehenden Verpflichtungen gegenüber den Endempfängern oder Begünstigten im Zusammenhang mit Zahlungen nach den einschlägigen geltenden Vorschriften zu befreien.

91.

In Artikel 5 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung ist festgelegt, dass die Verpflichtungen der staatlichen Stellen oder der Mitgliedstaaten zur Ausführung des Programms oder des Fonds durch die Verhängung geeigneter Maßnahmen nicht berührt werden, insbesondere nicht die von den staatlichen Stellen oder den Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Endempfängern oder Begünstigten, es sei denn, der Beschluss zur Annahme der Maßnahmen sieht etwas anderes vor. Nach Auffassung der Kommission erfordert die Feststellung, ob die Rechte von Begünstigten oder Endempfängern durch die geeigneten Maßnahmen legitimerweise beeinträchtigt werden können, eine Analyse im Einzelfall; die Kommission wird in diesem Zusammenhang alle relevanten Informationen bewerten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist sie der Auffassung, dass sich die im Rahmen der Konditionalitätsverordnung zu erlassenden Maßnahmen grundsätzlich auch auf Begünstigte oder Empfänger auswirken können, wenn der jeweilige Begünstigte oder Endempfänger an dem Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit beteiligt war, beispielsweise in Fällen von Korruption, systemischem Betrug und Interessenkonflikten. Sollte die Kommission Kenntnis von solchen Fällen haben, wird sie in ihren Vorschlag an den Rat (i) ihre Schlussfolgerung, ob bestimmte Endbegünstigte oder Endempfänger von den vorgeschlagenen Maßnahmen berührt werden sollten, (ii) die Gründe für diese Schlussfolgerung und (iii) ihren spezifischen Vorschlag in Bezug auf diese Begünstigten oder Empfänger aufnehmen.

Informationsinstrumente und Berichterstattung

92.

Begünstigte oder Endempfänger von Programmen oder Fonds der Union sollten auf ihre Rechte im Rahmen der Konditionalitätsverordnung hingewiesen werden. Zu diesem Zweck hat die Kommission die spezielle Website https://ec.europa.eu/info/strategy/eu-budget/protection-eu-budget/rule-law-conditionality-regulation_de eingerichtet, auf der Bürgerinnen und Bürger, einschließlich Begünstigten oder Endempfängern, um informelle Beratung ersuchen können. Sie können der Kommission auch Informationen zu Fragen übermitteln, die für die Anwendung der Konditionalitätsverordnung von Belang sind, indem sie das auf dieser Website verfügbare Beschwerdeformular ausfüllen und bei der speziellen Mailbox BUDG-CONDITIONALITY-REGIME-COMPLAINTS@ec.europa.eu einreichen. Die Kommission wird auf ihrer Website Informationen über die Maßnahmen veröffentlichen, die der Rat auf der Grundlage des Vorschlags der Kommission angenommen hat, damit die Begünstigten und Endempfänger über die den einzelnen Mitgliedstaaten auferlegten Maßnahmen informiert sind.

93.

Weigert sich der betreffende Mitgliedstaat, nach der Verhängung geeigneter Maßnahmen durch den Rat im Rahmen der Konditionalitätsverordnung Zahlungen an Begünstigte oder Endempfänger der von den Maßnahmen betroffenen Programme oder Fonds der Union zu leisten, so sollten die betreffenden Begünstigten oder Endempfänger zunächst die zuständigen nationalen Behörden mit der Angelegenheit befassen, indem sie alle ihnen nach den geltenden nationalen Vorschriften zur Verfügung stehenden Schritte unternehmen, einschließlich Beschwerden bei der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats. Falls derartige Schritte nicht zur Verfügung stehen oder sich als nicht wirksam erweisen (77), sollten die Begünstigten die Kommission davon in Kenntnis setzen und, soweit möglich, einschlägige Nachweise vorlegen. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass rechtliche Schritte im Einklang mit dem geltenden Rechtsrahmen angemessen weiterverfolgt werden.

94.

Begünstigte oder Endempfänger könnten die Kommission über mögliche Verstöße gegen Artikel 5 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung unterrichten, falls sie unmittelbar betroffen sind. In ihren Beiträgen sollten die Begünstigten oder Endempfänger Folgendes klar angeben: i) die Rechtsgrundlage ihres Anspruchs auf Zahlung durch den Mitgliedstaat, ii) die Nichteinhaltung der Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Zahlung gemäß den Vorschriften des betreffenden Unionsprogramms oder -fonds, iii) die bereits eingeleiteten rechtlichen Schritte und gegebenenfalls die damit verbundenen Ergebnisse sowie alle erforderlichen Nachweise und Belege, aus denen die Einleitung der einschlägigen rechtlichen Schritte und (sofern verfügbar) die Nichteinhaltung der Verpflichtungen des Mitgliedstaats aus Artikel 5 der Konditionalitätsverordnung hervorgehen. Die Beiträge sollten alle in Anhang III dieser Leitlinien erbetenen Informationen enthalten.

95.

Nach Artikel 339 AEUV und Artikel 17 des Statuts dürfen die Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Union keine Auskünfte preisgeben, die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen. Die Kommission wird auch dafür sorgen, dass die Vorschriften der Richtlinie (EU) 2019/1937 eingehalten werden (78).

96.

Bei der Ausführung von Unionsmitteln im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung sind Mitgliedstaaten, die von gemäß der Konditionalitätsverordnung erlassenen Maßnahmen betroffen sind, verpflichtet, der Kommission über die konkreten Schritte Bericht zu erstatten, die sie unternommen haben, um ihren Verpflichtungen zu Zahlungen an Endempfänger oder Begünstigte im Rahmen des beeinträchtigten Fonds oder Programms der Union nachzukommen. Diese Berichterstattung sollte Informationen und Nachweise für die Einhaltung der Vorschriften enthalten (z. B. einschlägige Buchführungsunterlagen und Belege) und alle drei Monate ab Erlass der Maßnahmen erfolgen (79).

97.

Auf der Grundlage der Berichterstattung gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung und anderer von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgelegter Nachweise oder anderer Informationen, die unter anderem anhand der von Endempfängern oder Begünstigten eingegangenen Informationen gesammelt wurden, überprüft die Kommission, ob die Zahlungsverpflichtungen gegenüber Endempfängern oder Begünstigten gemäß der Konditionalitätsverordnung und anderen anwendbaren Rechtsvorschriften der Union in Bezug auf die Ausführung von Finanzierungen im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung eingehalten wurden. Erforderlichenfalls wird die Kommission alles in ihrer Macht Stehende tun, um zu gewährleisten, dass alle von staatlichen Stellen oder Mitgliedstaaten geschuldeten Beträge im Einklang mit den einschlägigen sektorspezifischen Vorschriften tatsächlich an die Endempfänger oder Begünstigten ausgezahlt werden. Dies kann beispielsweise die Vornahme von Finanzkorrekturen im Einklang mit dem geltenden Unionsrecht nach sich ziehen (80). Die Kommission kann außerdem beschließen, Vertragsverletzungsverfahren gegen den betreffenden Mitgliedstaat einzuleiten, um sicherzustellen, dass dieser seine Verpflichtung gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung einhält. Bevor die Kommission Maßnahmen ergreift, um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung zur Zahlung an die Endempfänger oder Begünstigten nachkommen, stellt sie sicher, dass die Verfahrensrechte des betreffenden Mitgliedstaats gewahrt werden.

7.   Überprüfung dieser Leitlinien

98.

Die Kommission kann diese Leitlinien zu gegebener Zeit überarbeiten, um Entwicklungen in deren Umsetzung, relevanten Änderungen des Unionsrechts oder der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Rechnung zu tragen; sie wird dabei für Rechtssicherheit sorgen. Bei der Überarbeitung der Leitlinien wird die Kommission die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament konsultieren.

(1)  Siehe Urteil vom 23. April 1986, „Les Verts“/Parlament, C-294/83, ECLI:EU:C:1986:166, Rn. 23. Siehe auch Urteil vom 20. April 2021, Repubblika/Il-Prim Ministru, C-896/19, ECLI:EU:C:2021:311, Rn. 61 bis 65.

(2)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 126 und 129.

(3)  Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union (ABl. L 433I vom 22.12.2020, S. 1).

(4)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 188.

(5)  Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union (ABl. L 193 vom 30.7.2018, S. 1).

(6)  Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (ABl. L 248 vom 18.9.2013, S. 1).

(7)  Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) (ABl. L 283 vom 31.10.2017, S. 1).

(8)  Siehe Artikel 19 Absatz 1 EUV.

(9)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 165.

(10)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 288.

(11)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 154.

(12)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 227.

(13)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 229, und Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 324.

(14)  Anhang I der Leitlinien enthält ebenfalls eine Liste von Umständen, die auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit hindeuten können.

(15)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 130, und Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 148.

(16)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 131, und Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 149.

(17)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 132, und Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 150.

(18)  Anhang I der Leitlinien enthält ebenfalls eine Liste dieser spezifischen Umstände, die auf Verstöße hindeuten können.

(19)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 143.

(20)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/-21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 143.

(21)  Siehe Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe g der Konditionalitätsverordnung.

(22)  Siehe die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates oben.

(23)  Die Verpflichtungen nicht teilnehmender Mitgliedstaaten, gemäß anwendbarer Unionsvorschriften mit der EUStA zusammenzuarbeiten, wenn diese in teilnehmenden Mitgliedstaaten ihre Befugnisse ausübt und einer solchen Zusammenarbeit bedarf, bleiben hiervon unberührt.

(24)  Im Einklang mit den Bestimmungen der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 (siehe oben).

(25)  Diese Verpflichtungen sind in der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 vorgesehen. Die Liste in diesen Leitlinien ist nicht erschöpfend.

(26)  Artikel 8 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013.

(27)  Artikel 3 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013.

(28)  Artikel 7 Absatz 7 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013.

(29)  Artikel 5 Absatz 5 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013.

(30)  Artikel 11 Absätze 3 und 5 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013.

(31)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 294.

(32)  Siehe Urteile vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 301, und Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 173.

(33)  Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Februar 2021 zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität (ABl. L 57 vom 18.2.2021, S. 17).

(34)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 186.

(35)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 265, und Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 297.

(36)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 331, und Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 361.

(37)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 332.

(38)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 262.

(39)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 266, und Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 298.

(40)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 262.

(41)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 288.

(42)  Siehe Haushaltsordnung, Artikel 135.

(43)  Siehe Haushaltsordnung, Artikel 101 Absatz 8; siehe beispielsweise auch die Artikel 96, 97 und 104 der Verordnung (EU) 2021/1060 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Juni 2021 mit gemeinsamen Bestimmungen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus, den Kohäsionsfonds, den Fonds für einen gerechten Übergang und den Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds sowie mit Haushaltsvorschriften für diese Fonds und für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, den Fonds für die innere Sicherheit und das Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik (ABl. L 231 vom 30.6.2021, S. 159), und Artikel 52 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 352/78, (EG) Nr. 165/94, (EG) Nr. 2799/98, (EG) Nr. 814/2000, (EG) Nr. 1290/2005 und (EG) Nr. 485/2008 des Rates (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 549).

(44)  Siehe Haushaltsordnung, Artikel 63 Absatz 2; siehe z. B. auch Artikel 69 Absatz 3 und Artikel 103 der Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen sowie Artikel 58 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 und ab dem 1. Januar 2023 Artikel 57 der Verordnung (EU) 2021/2116 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2. Dezember 2021 über die Finanzierung, Verwaltung und Überwachung der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 (ABl. L 435 vom 6.12.2021, S. 187).

(45)  Zahlungen können unterbrochen werden, wenn a) Nachweise vorliegen, die auf einen gravierenden Mangel hindeuten, für den keine Korrekturmaßnahmen ergriffen wurden, b) die Kommission zusätzliche Überprüfungen durchführen muss, nachdem sie Information darüber erhalten hat, dass Ausgaben in einem Zahlungsantrag mit einer Unregelmäßigkeit in Verbindung stehen könnten. Zahlungen können ausgesetzt werden, wenn a) der Mitgliedstaat es versäumt hat, die erforderlichen Maßnahmen zur Bereinigung einer Situation zu ergreifen, die zu einer Unterbrechung gemäß Artikel 96 der Dachverordnung geführt hat, b) ein gravierender Mangel vorliegt, c) die in Zahlungsanträgen angegebenen Ausgaben mit einer Unregelmäßigkeit in Verbindung stehen, die nicht korrigiert wurde, d) eine mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission zu einem Verfahren über eine Vertragsverletzung nach Artikel 258 AEUV bezüglich eines Sachverhalts vorliegt, der ein Risiko für die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Ausgaben begründet. Finanzkorrekturen werden vorgenommen, wenn a) ein gravierender Mangel vorliegt, der die bereits an das Programm gezahlte Unterstützung aus den Fonds gefährdet, b) die in der akzeptierten Rechnungslegung enthaltenen Ausgaben unregelmäßig sind, ohne dass der Mitgliedstaat dies festgestellt und gemeldet hat, c) der Mitgliedstaat vor Einleitung des Finanzkorrekturverfahrens durch die Kommission seinen Verpflichtungen gemäß Artikel 97 nicht nachgekommen ist.

(46)  Siehe Erwägungsgrund 15 der Konditionalitätsverordnung.

(47)  Siehe Artikel 5 der Konditionalitätsverordnung.

(48)  Siehe Artikel 5 Absatz 3 der Konditionalitätsverordnung.

(49)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 112.

(50)  Siehe Artikel 5 Absatz 3 der Konditionalitätsverordnung.

(51)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 331, und Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 361.

(52)  Siehe Erwägungsgrund 18 der Konditionalitätsverordnung.

(53)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 332.

(54)  Siehe Artikel 5 Absatz 3 der Konditionalitätsverordnung.

(55)  Beispielsweise in Fällen, in denen die Auswirkungen des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die Einnahmen des Haushalts der Union festgestellt werden.

(56)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 275.

(57)  Siehe Erwägungsgrund 16 der Konditionalitätsverordnung.

(58)  Siehe unter anderem Urteil vom 20. September 1988, Königreich Spanien/Rat der Europäischen Gemeinschaften, 203/86, ECLI:EU:C:1988:420, Rn. 25. Für einen Fall aus jüngerer Zeit wird auf das Urteil vom 8. Oktober 2020, Universitatea „Lucian Blaga“ Sibiu u. a., C-644/19, ECLI:EU:C:2020:810, Rn. 44, verwiesen.

(59)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 233 und 235, sowie Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 265 und 283.

(60)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 240.

(61)  Dies gilt unbeschadet des Schutzes der legitimen Rechte von Endempfängern und Begünstigten von Unionsmitteln im Rahmen der Konditionalitätsverordnung (siehe Abschnitt 6).

(62)  Eine Liste dieser anderen Ressourcen, einschließlich des Beschwerdeformulars wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht, ist abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/about-european-commission/contact/problems-and-complaints/complaints-about-breaches-eu-law/how-make-complaint-eu-level_de.

(63)  Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (ABl. L 305 vom 26.11.2019, S. 17).

(64)  Siehe Artikel 6 Absatz 5 der Konditionalitätsverordnung.

(65)  Siehe Artikel 6 Absatz 7 der Konditionalitätsverordnung.

(66)  Siehe Erwägungsgrund 26 der Konditionalitätsverordnung.

(67)  Beschluss 2009/937/EU des Rates vom 1. Dezember 2009 zur Annahme seiner Geschäftsordnung (ABl. L 325 vom 11.12.2009, S. 35).

(68)  Siehe Artikel 6 Absatz 10 der Konditionalitätsverordnung.

(69)  Im Einklang mit Artikel 7 Absatz 2 letzter Unterabsatz und Artikel 6 Absatz 3 der Konditionalitätsverordnung.

(70)  Siehe Artikel 7 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 5 der Konditionalitätsverordnung.

(71)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 178, und Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 217.

(72)  Siehe Erwägungsgrund 26 der Konditionalitätsverordnung.

(73)  Beschluss 2009/937/EU des Rates vom 1. Dezember 2009 zur Annahme seiner Geschäftsordnung (ABl. L 325 vom 11.12.2009, S. 35).

(74)  Siehe Artikel 6 Absatz 10 der Konditionalitätsverordnung.

(75)  Siehe Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe a der Haushaltsordnung.

(76)  Siehe Artikel 63 der Haushaltsordnung.

(77)  Beispielsweise in Fällen, in denen die nationalen Behörden ihre Antwort/Entscheidung auf die Schritte des Empfängers unangemessen verzögern.

(78)  Weitere Informationen über die Bearbeitung von Beschwerden durch die Kommission finden Sie unter: https://ec.europa.eu/info/about-european-commission/contact/problems-and-complaints/complaints-about-breaches-eu-law/how-make-complaint-eu-level_de

(79)  Siehe Artikel 5 Absatz 2 und Erwägungsgrund 19 der Konditionalitätsverordnung.

(80)  Siehe Erwägungsgrund 19 der Konditionalitätsverordnung.


ANHANG I

Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit

Beispiele, die ein Hinweis auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit (Artikel 3 der Konditionalitätsverordnung) sein können

a)

die Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz. Hierzu heißt es im Erwägungsgrund 10 der Konditionalitätsverordnung: „Die Unabhängigkeit der Justiz setzt insbesondere voraus, dass das betreffende Justizorgan sowohl nach den einschlägigen Vorschriften als auch in der Praxis seine richterlichen Funktionen in völliger Autonomie ausüben kann, ohne hierarchischen Zwängen ausgesetzt zu sein oder irgendeiner Stelle untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, und dass es auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils seiner Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten. Die Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung des Justizorgans und die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Ablehnung und Abberufung seiner Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieses Organs für äußere Faktoren und an seiner Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen.“

Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt der „Begriff der Unabhängigkeit … u. a. voraus, dass die betreffende Einrichtung ihre richterlichen Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, und dass sie auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten“  (1);

b)

das Versäumnis, willkürliche oder rechtswidrige Entscheidungen von Behörden zu verhüten, zu korrigieren oder zu ahnden; dies bezieht sich auch auf

Strafverfolgungsbehörden,

die die ordnungsgemäße Arbeit dieser Behörden beeinträchtigende Einbehaltung finanzieller und personeller Ressourcen,

das Versäumnis, sicherzustellen, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können diese Situationen dazu führen, dass der Grundsatz des Verbots der willkürlichen Ausübung von Befugnissen durch die Exekutive oder der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nicht beachtet werden  (2);

c)

die Einschränkung der Zugänglichkeit und Wirksamkeit von Rechtsbehelfen, auch mittels

restriktiver Verfahrensvorschriften,

der Nichtumsetzung von Gerichtsentscheidungen,

der Einschränkung der wirksamen Untersuchung, Verfolgung oder Ahndung von Rechtsverstößen.

Im Zusammenhang mit dem Vorstehenden heißt es in den Erwägungsgründen 8 und 9 der Konditionalitätsverordnung:

(8)

Eine wirtschaftliche Haushaltsführung kann von den Mitgliedstaaten nur gewährleistet werden, wenn die Behörden im Einklang mit dem Gesetz handeln, wenn Betrugsfälle, einschließlich Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Korruption, Interessenkonflikte und andere Gesetzesverstöße, wirksam von Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen verfolgt werden und wenn willkürliche oder unrechtmäßige Entscheidungen von Behörden, einschließlich Strafverfolgungsbehörden, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle durch unabhängige Gerichte und durch den Gerichtshof der Europäischen Union unterworfen werden können.

(9)

Die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Justiz sollten jederzeit garantiert sein, und die Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen sollten in der Lage sein, ihre Aufgaben ordnungsgemäß wahrzunehmen. Die Justiz sowie die Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen sollten mit ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet sein und über angemessene Verfahren verfügen, um wirksam und unter uneingeschränkter Wahrung des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren, einschließlich der Wahrung der Verteidigungsrechte, handeln zu können. Rechtskräftige Urteile sollten wirksam umgesetzt werden. Diese Voraussetzungen stellen eine unabdingbare Mindestgarantie gegen unrechtmäßige und willkürliche Entscheidungen von Behörden dar, die den finanziellen Interessen der Union schaden könnten.“

Beispiele für spezifische Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden (3) , die von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit betroffen sein können (Artikel 4 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung)

a)

das ordnungsgemäße Arbeiten der Behörden, die den Haushaltsplan der Union ausführen, einschließlich Darlehen und anderer aus dem Haushalt der Union garantierter Instrumente, insbesondere im Zusammenhang mit Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge oder mit Finanzhilfeverfahren;

b)

das ordnungsgemäße Arbeiten der Dienststellen, die die Finanzkontrolle, die Überwachung und die Rechnungsprüfung durchführen, sowie das ordnungsgemäße Funktionieren wirksamer und transparenter Finanzverwaltungs- und Rechenschaftssysteme – zu diesem Punkt stellte der Gerichtshof klar, dass sich der Ausdruck „wirksame und transparente Finanzverwaltungs- und Rechenschaftssysteme“ auf den Begriff „Haushaltsführung“ beziehe und unter den Begriff der „Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung“ falle, der in den Verträgen selbst vorkommt, insbesondere in Artikel 310 Absatz 5 und Artikel 317 Absatz 1 AEUV, und in Artikel 2 Nummer 59 der Haushaltsordnung als Vollzug des Haushaltsplans im Einklang mit den Grundsätzen der Sparsamkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Wirksamkeit definiert ist. Der Ausdruck „finanzielle Rechenschaft“ andererseits, so der Gerichtshof, spiegele insbesondere die in ... Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b [der Konditionalitätsverordnung] genannten Verpflichtungen in Bezug auf Finanzkontrolle, Überwachung und Rechnungsprüfung wider, während der Ausdruck „wirksame und transparente ...- systeme“ die Aufstellung eines geordneten Regelwerks impliziere, mit dem die genannte Finanzverwaltung und Rechenschaft wirksam und transparent gewährleistet werden.  (4).

Der Gerichtshof stellte auch klar, dass „finanzielle Rechenschaft“ insbesondere die im genannten Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b angeführten Verpflichtungen in Bezug auf Finanzkontrolle, Überwachung und Rechnungsprüfung widerspiegele, während die „wirksame(n) und transparente(n) ... -systeme“ die Aufstellung eines geordneten Regelwerks implizierten, mit dem die besagte Finanzverwaltung und Rechenschaft wirksam und transparent gewährleistet werden;  (5)

c)

das ordnungsgemäße Arbeiten von Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen bei der Untersuchung und Verfolgung von:

Betrug, einschließlich Steuerbetrug, insbesondere dann, wenn ein solcher Betrug dazu führen kann, dass Steuern wie Mehrwertsteuer und Zölle nicht erhoben werden, was sich unmittelbar auf die Ressourcen auswirkt, die die Union benötigt, um ihre Ziele zu erreichen und ihre Politik umzusetzen;

Korruption und anderen Verstößen gegen das Unionsrecht im Zusammenhang mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union oder dem Schutz ihrer finanziellen Interessen;

d)

die wirksame gerichtliche Kontrolle behördlicher Handlungen oder Unterlassungen im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 Buchstaben a, b und c der Konditionalitätsverordnung durch unabhängige Gerichte.

Insbesondere heißt es in Erwägungsgrund 9 der Konditionalitätsverordnung: „Die Justiz sowie die Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen sollten mit ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet sein und über angemessene Verfahren verfügen, um wirksam und unter uneingeschränkter Wahrung des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren, einschließlich der Wahrung der Verteidigungsrechte, handeln zu können. Rechtskräftige Urteile sollten wirksam umgesetzt werden. Diese Voraussetzungen stellen eine unabdingbare Mindestgarantie gegen unrechtmäßige und willkürliche Entscheidungen von Behörden dar, die den finanziellen Interessen der Union schaden könnten“;

e)

die Verhütung und Ahndung von Betrug, einschließlich Steuerbetrug, Korruption und anderer Verstöße gegen das Unionsrecht im Zusammenhang mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union oder dem Schutz ihrer finanziellen Interessen sowie die Verhängung wirksamer und abschreckender Sanktionen gegen Empfänger durch nationale Gerichte oder Verwaltungsbehörden;

f)

die Wiedereinziehung rechtsgrundlos gezahlter Beträge;

g)

die wirksame und rechtzeitige Zusammenarbeit mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) und, vorbehaltlich der Beteiligung des betroffenen Mitgliedstaats, mit der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) bei ihren Ermittlungs- und Strafverfolgungstätigkeiten gemäß den anwendbaren Unionsrechtsakten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.


(1)  Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses/Tribunal de Contas, C-64/16, ECLI:EU:C:2018:117, Rn. 44. Siehe auch u. a. Urteile vom 24. Juni 2019, Kommission/Republik Polen, C-619/18, ECLI:EU:C:2019:531, und vom 20. April 2021, Repubblika/Il-Prim Ministru, C-896/19, ECLI:EU:C:2021:311.

(2)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C-156/21, ECLI:EU:C:2022:97, Rn. 245 und darin zitierte Rechtsprechung.

(3)  Diese Beispiele dienen lediglich als Hinweis; andere Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden, die für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen von Bedeutung sind, können ebenfalls in den Anwendungsbereich der Konditionalitätsverordnung fallen (vgl. Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe h).

(4)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 333.

(5)  Siehe Urteil vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C-157/21, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 333.


ANHANG II

Bestandteile, die eine Beschwerde über mutmaßliche Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nach der Konditionalitätsverordnung aufweisen sollte

Beschwerdeführer sollten die folgenden Angaben machen, wenn sie sich wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nach der Konditionalitätsverordnung an die Kommission wenden:

Name und Kontaktdaten (1);

Informationen darüber, wie mutmaßlich gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen wurde (einschließlich welche Handlungen oder Unterlassungen von Behörden mutmaßlich gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen) und sachdienliche Beweismittel;

Informationen darüber, wie der mutmaßliche Verstoß im Rahmen der Konditionalitätsverordnung relevant ist (Beschreibung, wie er den Unionshaushalt oder die finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht) und sachdienliche Beweismittel;

Liste der Belege, die der Kommission auf Anfrage übermittelt werden könnten.

Um die Übermittlung von Informationen zu erleichtern, die für die Anwendung der Konditionalitätsverordnung relevant sind, und um sicherzustellen, dass die Kommission sachdienliche und strukturierte Informationen erhält, kann das nachstehende Muster verwendet werden, das auf der Website https://ec.europa.eu/info/strategy/eu-budget/protection-eu-budget/rule-law-conditionality-regulation_en verfügbar ist.

EUROPÄISCHE KOMMISSION

Beschwerde – Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der den Unionshaushalt oder die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigt

Verordnung 2020/2092 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union (im Folgenden „Konditionalitätsverordnung“)

Mit diesem Beschwerdeformular können der Europäischen Kommission Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat, die die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen, mitgeteilt werden.

Zur Mitteilung anderer Beschwerden im Zusammenhang mit der Rechtsstaatlichkeit an die Europäische Kommission verwenden Sie bitte das Beschwerdeformular unter https://ec.europa.eu/assets/sg/report-a-breach/complaints_de/index.html.

Alle mit (*) gekennzeichneten Felder sind Pflichtfelder. Bitte fassen Sie sich kurz und setzen Sie erforderlichenfalls auf einer getrennten Seite fort.

1.   Name und Kontaktdaten

 

Beschwerdeführer/-in*

Ggf. Vertreter/-in

Anrede Herr/Frau*

 

 

Vorname*

 

 

Nachname*

 

 

Einrichtung:

 

 

Anschrift*

 

 

Ort*

 

 

Postleitzahl*

 

 

Land*

 

 

Telefonnummer

 

 

E-Mail-Adresse

 

 

Sprache*

 

 

Sollen wir den Schriftverkehr an Sie oder an Ihren Vertreter/Ihre Vertreterin schicken?*

2.   Auf welchen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit bezieht sich Ihre Beschwerde?*

Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz

Versäumnis, willkürliche oder rechtswidrige Entscheidungen von Behörden einschließlich Strafverfolgungsbehörden zu verhüten, zu korrigieren oder zu ahnden einschließlich die ihre ordnungsgemäße Arbeit beeinträchtigende Einbehaltung finanzieller und personeller Ressourcen

Versäumnis, sicherzustellen, dass keine Interessenkonflikte bestehen

Einschränkung der Zugänglichkeit und Wirksamkeit von Rechtsbehelfen, auch mittels restriktiver Verfahrensvorschriften und der Nichtumsetzung von Gerichtsentscheidungen

Einschränkung der wirksamen Untersuchung, Verfolgung oder Ahndung von Rechtsverstößen

Anderer

Bitte machen Sie nähere Angaben.

3.   Worauf wirkt sich der mutmaßliche Verstoß gegen die unter Frage 2 genannten Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit Ihrer Ansicht nach aus?*

(Mehrere Antworten sind möglich)

das ordnungsgemäße Arbeiten der Behörden, die den Haushaltsplan der Union ausführen, einschließlich Darlehen und anderer aus dem Haushalt der Union garantierter Instrumente, insbesondere im Zusammenhang mit Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge oder mit Finanzhilfeverfahren

das ordnungsgemäße Arbeiten der Dienststellen, die die Finanzkontrolle, die Überwachung und die Rechnungsprüfung durchführen, sowie das ordnungsgemäße Funktionieren wirksamer und transparenter Finanzverwaltungs- und Rechenschaftssysteme

das ordnungsgemäße Arbeiten von Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen bei der Untersuchung und Verfolgung von Betrug, einschließlich Steuerbetrug, Korruption und anderen Verstößen gegen das Unionsrecht im Zusammenhang mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union oder dem Schutz ihrer finanziellen Interessen

die wirksame gerichtliche Kontrolle der oben genannten behördlichen Handlungen oder Unterlassungen durch unabhängige Gerichte

die Verhütung und Ahndung von Betrug, einschließlich Steuerbetrug, Korruption und anderen Verstößen gegen das Unionsrecht im Zusammenhang mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union oder dem Schutz ihrer finanziellen Interessen sowie die Verhängung wirksamer und abschreckender Sanktionen gegen Empfänger durch nationale Gerichte oder Verwaltungsbehörden

die Wiedereinziehung rechtsgrundlos gezahlter Beträge

die wirksame und rechtzeitige Zusammenarbeit mit OLAF bei ihren Ermittlungs- und Strafverfolgungstätigkeiten gemäß den anwendbaren Unionsrechtsakten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

[vorbehaltlich der Beteiligung des betroffenen Mitgliedstaats] die wirksame und rechtzeitige Zusammenarbeit mit der EUStA bei ihren Ermittlungs- und Strafverfolgungstätigkeiten gemäß den anwendbaren Unionsrechtsakten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

andere Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden, die für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen von Bedeutung sind

4.   Welche nationale(n) Maßnahme(n) oder Praxis/Praktiken stellt/stellen Ihrer Meinung nach einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nach der Konditionalitätsverordnung dar und warum?*

 

5.   Beschreiben Sie das Problem unter Angabe von Fakten und Gründen für Ihre Beschwerde* (höchstens 10 000 Zeichen):

 

6.   Angaben dazu, wie der mutmaßliche Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht

6.1.

Geben Sie an, wie der Verstoß die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht

6.2.

Handelt es sich bei dem Verstoß um einen Einzelfall oder um einen systemischen Verstoß? Bitte machen Sie nähere Angaben.

6.3.

Sind die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder auf den Schutz der finanziellen Interessen der Union bereits eingetreten?

Falls ja, bitten wir um entsprechende Erläuterungen:

Falls nein, erläutern Sie bitte, wie der Verstoß die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union ernsthaft zu beeinträchtigen droht:

Geben Sie bitte einen hinreichend direkten Zusammenhang zwischen dem/den mutmaßlichen Verstoß/Verstößen und den Auswirkungen auf oder den Risiken für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union an.

7.   Frühere Schritte zur Lösung des Problems*

Haben Sie in dem betreffenden Land bereits Schritte zur Lösung dieses Problems unternommen?

FALLS JA, welcher Art? o verwaltungsrechtlich o rechtlich/gerichtlich?

7.1

Bitte beschreiben Sie: (a) die beteiligte Stelle/Behörde bzw. das beteiligte Gericht und die Art der getroffenen Entscheidung; (b) andere, Ihnen bekannte Maßnahme(n)

 

7.2

Wurde Ihre Beschwerde durch die Stelle/die Behörde/das Gericht geregelt oder ist sie noch anhängig? Wann kann im letzteren Fall mit einer Entscheidung gerechnet werden?*

 

FALLS NEIN, bitte unten näher ausführen

o

Ein weiterer Fall zu derselben Vertragsverletzung ist bei einem nationalen oder EU-Gericht anhängig

o

Kein Rechtsbehelf verfügbar

o

Rechtsbehelf verfügbar, aber zu teuer oder zu langwierig

o

Frist abgelaufen

o

Keine Befugnis (keine rechtliche Befugnis für die Einleitung eines Gerichtsverfahrens), bitte begründen:

 

o

Keine Rechtshilfe/kein Rechtsberater

o

Weiß nicht, welche Rechtsmittel verfügbar sind

o

Sonstiges (bitte angeben)

 

8.   Wenn Sie bereits EU-Institutionen oder andere Dienststellen kontaktiert und mit derartigen Problemen befasst haben, geben Sie bitte das Aktenzeichen Ihres Dossiers/Ihres Schriftverkehrs an:

o

Petition an das Europäische Parlament – AZ:….

o

Europäische Kommission – AZ:….

o

Europäischer Bürgerbeauftragter – AZ:….

o

Andere – Name der Institution oder Einrichtung, die Sie kontaktiert haben, und Aktenzeichen Ihrer Beschwerde (z. B. SOLVIT, FIN-Net, Europäische Verbraucherzentren)

 

9.   Liste zusätzlicher Belege/Beweismittel, die der Kommission auf Anfrage übermittelt werden könnten.

Image 1
Bitte übermitteln Sie vorerst noch keine Dokumente.

 

10.   Angaben zu Ihrer Person*

Ermächtigen Sie die Kommission, bei ihren Kontakten mit den Behörden des Mitgliedstaates, gegen die Sie eine Beschwerde einlegen, Ihre Identität zu offenbaren?

o Ja o Nein

Image 2
Ihre Antwort hat keinen Einfluss auf die Art und Weise, wie Ihre Beschwerde bearbeitet wird. Mitunter ist es jedoch für die Kommission leichter; Ihre Beschwerde zu bearbeiten, wenn Sie Ihre Identität offenlegen.


(1)  Die Offenlegung der Identität der Beschwerdeführer und der Informationen, die sie dem betreffenden Mitgliedstaat übermittelt haben, unterliegt der vorherigen Zustimmung des Beschwerdeführers und muss unter anderem im Einklang stehen mit der Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG.


ANHANG III

Bestandteile, die die Informationen von Begünstigten/Endempfängern von EU-Mitteln aufweisen sollten

Die Informationen, die Begünstigte oder Endempfänger der Kommission über mögliche Verstöße gegen Artikel 5 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung übermitteln, sollten grundsätzlich folgende Bestandteile aufweisen:

Name und Kontaktdaten (1);

Angaben zu dem betreffenden Programm/Fonds;

Informationen über den mutmaßlichen Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 2 der Konditionalitätsverordnung;

Belege (einschließlich des Nachweises, dass der betreffende Endempfänger oder Begünstigte eine offizielle Beschwerde bei der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats eingereicht hat, sowie Informationen und Unterlagen über das Ergebnis dieser Beschwerde, sofern verfügbar).


(1)  Die Offenlegung der Identität der Beschwerdeführer und der Informationen, die sie dem betreffenden Mitgliedstaat übermittelt haben, unterliegt der vorherigen Zustimmung des Beschwerdeführers und muss unter anderem im Einklang stehen mit der Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG.