Brüssel, den 28.9.2022

SWD(2022) 317 final

ARBEITSUNTERLAGE DER KOMMISSIONSDIENSTSTELLEN

BERICHT ÜBER DIE FOLGENABSCHÄTZUNG (ZUSAMMENFASSUNG)

Begleitunterlage zum

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates

über die Haftung für fehlerhafte Produkte


{COM(2022) 495 final} - {SEC(2022) 343 final} - {SWD(2022) 315 final} - {SWD(2022) 316 final}


Zusammenfassung

Folgenabschätzung zur Überarbeitung der Richtlinie 85/374/EWG über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsrichtlinie)

A. Handlungsbedarf

Worin besteht das Problem und warum muss ihm auf EU-Ebene begegnet werden?

Die Richtlinie enthält gemeinsame EU-Vorschriften für die verschuldensunabhängige Haftung (d. h. Haftung unabhängig von Verschulden oder Fahrlässigkeit) der Hersteller für Schäden, die durch fehlerhafte Produkte verursacht wurden. Sie ermöglicht es jeder durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigten Person, unabhängig davon, ob sie der Eigentümer oder eine zufällig betroffene Person ist, finanzielle Entschädigung für Tod, Körperverletzung oder Schäden an Verbrauchereigentum zu verlangen.

Auf der Grundlage der Ergebnisse der Bewertung 1 werden in der Folgenabschätzung zwei Probleme ermittelt.

1.Für bestimmte Produkte, Wirtschaftsakteure und Schäden in der digitalen Wirtschaft und der Kreislaufwirtschaft gilt keine verschuldensunabhängige Haftung. Die Richtlinie wurde lange vor der digitalen Revolution konzipiert, und es ist unklar, inwieweit ihre Vorschriften auf Produkte des digitalen Zeitalters anwendbar sind, insbesondere auf Software und Produkte, die Software oder digitale Dienstleistungen benötigen, um funktionieren zu können, z. B. intelligente Geräte und autonome Fahrzeuge. Unklar ist auch, wer haftet, wenn ein Produkt, das von einem Wiederaufarbeiter oder Wiederverwerter verändert wurde, fehlerhaft ist und Schäden verursacht. Darüber hinaus kaufen Verbraucher immer häufiger Produkte aus Nicht-EU-Ländern ohne dass es einen Hersteller oder Einführer mit Sitz in der EU gibt. Dies hat zur Folge, dass nach der Richtlinie von niemandem Schadenersatz verlang werden kann, wenn ein Produkt fehlerhaft ist und einen Schaden verursacht.

2.Verbraucher haben Schwierigkeiten, eine Entschädigung zu erhalten. Der Nachweis, dass ein Produkt fehlerhaft ist und der Schaden dadurch verursacht wurde, kann für die Geschädigten in komplexen Fällen sehr schwierig sein, z. B. wenn es sich um auf künstlicher Intelligenz basierende Produkte, intelligente Produkte oder Arzneimittel handelt. Die Richtlinie räumt den Geschädigten weder ein Recht auf technische Informationen ein, die sie möglicherweise benötigen, um Haftung nachzuweisen, noch gibt es ausdrücklich die Möglichkeit, die Beweislast zu verringern, wenn Geschädigte mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Die Richtlinie enthält auch Beschränkungen für die Geltendmachung von Ansprüchen: Bei Sachschäden im Wert von weniger als 500 EUR besteht kein Anspruch auf Entschädigung, und die Herstellerhaftung endet nach zehn Jahren.

Was soll erreicht werden?

Mit der Überarbeitung der Richtlinie werden zwei allgemeine Ziele verfolgt, um die festgestellten Probleme zu beheben, die beide auf denen der geltenden Richtlinie aufbauen:

1)Sie soll auch künftig für das Funktionieren des Binnenmarkts, den freien Warenverkehr und einen unverfälschten Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern sorgen.

2)Sie soll auch künftig ein hohes Maß an Schutz der Gesundheit und des Eigentums der Verbraucher gewährleisten.

Mit der Initiative werden fünf spezifische Ziele verfolgt. Sie soll: i) gewährleisten, dass die Haftungsvorschriften der Beschaffenheit von Produkten im digitalen Zeitalter und den damit zusammenhängenden Risiken Rechnung tragen, ii) gewährleisten, dass die Haftungsvorschriften der Beschaffenheit von Produkten in der Kreislaufwirtschaft Rechnung tragen, iii) gewährleisten, dass es stets eine in der EU ansässige haftbare Person für fehlerhafte Produkte gibt, die bei Herstellern außerhalb der EU gekauft werden, iv) die Beweislast bei komplexen Produkten reduzieren und die Frage der Haftung für nicht auffindbare Fehler klären, wobei ein gerechtes Gleichgewicht zwischen Herstellern und Verbrauchern gewahrt werden soll. v) Einschränkungen bei der Geltendmachung von Ansprüchen lockern, wobei ein gerechtes Gleichgewicht zwischen Herstellern und Verbrauchern gewahrt werden soll.

Worin besteht der Mehrwert des Tätigwerdens auf EU-Ebene (Subsidiarität)?

Durch Regulierungsmaßnahmen auf EU-Ebene würde eine einheitliche Umsetzung der Produkthaftungsvorschriften gewährleistet. Da mit der Richtlinie die von ihr abgedeckten Fragen vollständig harmonisiert werden, müssen etwaige Änderungen auf EU-Ebene vorgenommen werden. Es würde Rechtssicherheit in Bezug auf Folgendes schaffen: i) die Kategorien von Produkten, Wirtschaftsakteuren und Schadensarten, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen und ii) eine angemessene Interessenabwägung zwischen Herstellern und Verbrauchern in der gesamten EU. Da es keine einheitlichen Vorschriften für die Entschädigung von durch fehlerhafte Produkte geschädigten Personen gibt, wären die Hersteller mit 27 unterschiedlichen Regelwerken konfrontiert, was zu unterschiedlichen Schutzniveaus für die Verbraucher und zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten führen würde.

B. Lösungen

Worin bestehen die Optionen zur Verwirklichung der Ziele? Wird eine dieser Optionen bevorzugt? Falls nicht, warum nicht?

Neben dem Basisszenario, nach dem keine Maßnahmen ergriffen werden, wurden in der Folgenabschätzung drei Optionen zur Lösung des ersten Problems im Zusammenhang mit dem digitalen Zeitalter und der Kreislaufwirtschaft und zwei Optionen zur Lösung des zweiten Problems in Bezug auf Hindernisse für die Erlangung von Entschädigungen ermittelt.

Option 1a würde sicherstellen, dass Hersteller von Produkten, für deren Funktionieren Software oder digitale Dienstleistungen nötig sind, im Rahmen der Richtlinie haften würden. Ebenso wie bei den materiellen Komponenten haften die Anbieter dieser immateriellen digitalen Elemente gesamtschuldnerisch mit dem Hersteller. Unternehmen, die ein Produkt wesentlich verändern und es wieder in Verkehr bringen, z. B. Wiederverwerter, wären nach der Richtlinie ebenfalls haftbar. Der Bevollmächtigte eines Nicht-EU-Herstellers würde auch haften, wenn es keinen Einführer in der EU gibt.

Option 1b baut auf Option 1a auf und würde darüber hinaus sämtliche sicherheitsrelevante Software als eigenständiges Produkt umfassen. Dies umfasst Software Dritter, die einem Produkt hinzugefügt wird, oder eigenständige Software, die selbst Schäden verursachen kann (z. B. Software für Medizinprodukte). Bei dieser Option wäre es auch möglich, einen Fulfillment-Dienstleister gemäß der Richtlinie haftbar zu machen, wenn es keinen Einführer in der EU gibt und kein Bevollmächtigter von einem Nicht-EU-Hersteller benannt wurde.

Option 1c würde die Maßnahmen der Option 1b und darüber hinaus jede Software mit Auswirkungen auf Grundrechte umfassen. Schäden aufgrund von Grundrechtsverletzungen, wie Datenschutzverletzungen, Verletzungen der Privatsphäre oder Diskriminierung (z. B. durch Rekrutierungssoftware auf Basis künstlicher Intelligenz), wären demnach ersatzfähig.

Option 2a würde die Beweislast für die Geschädigten verringern, indem folgende Aspekte harmonisiert würden: i) Vorschriften im Hinblick darauf, wann die Erzeuger verpflichtet sind, dem Geschädigten die erforderlichen technischen Informationen vor Gericht offenzulegen und ii) Bedingungen, unter denen die nationalen Gerichte davon ausgehen können, dass ein Produkt tatsächlich fehlerhaft war oder dass der Fehler tatsächlich den Schaden verursacht hat, insbesondere in komplexen Fällen, in denen der Nachweis der Haftung übermäßig schwierig ist. Option 2a würde die Beschränkungen für die Geltendmachung von Ansprüchen verringern (durch die Abschaffung des Schwellenwerts für Sachschäden und die Verlängerung des Haftungszeitraums).

Option 2b würde die Beweislast umkehren, sodass, wenn ein Produkt einen Schaden verursacht, der Hersteller nachweisen müsste, dass das Produkt nicht schadhaft war und den Schaden nicht verursacht hat. Der Schutz gegen Entwicklungsrisiken, der Hersteller von der Haftung entbindet, wenn die Fehlerhaftigkeit eines Produkts nach dem damaligen Stand der Technik nicht feststellbar war, würde gestrichen. Option 2b würde die Beschränkungen für die Geltendmachung von Ansprüchen (Schwellenwerte und Fristen) weiter verringern.

In der Folgenabschätzung werden die Optionen 1b und 2a als bevorzugte Kombination von Optionen ermittelt.

Welche Standpunkte vertreten die verschiedenen Interessenträger? Wer unterstützt welche Option?

Was die Optionen zur Lösung von Problem 1 betrifft, so sprachen sich 56 % der Teilnehmer an der öffentlichen Konsultation (ohne Einzelpersonen der Bevölkerung) für eine Änderung der Rechtsvorschriften zur Anpassung der Haftungsvorschriften an die digitale Wirtschaft und die Kreislaufwirtschaft aus. Bei der Öffentlichkeit betrug der Wert 75 %. Verbraucherorganisationen, Behörden und NRO befürworteten ein weitergehendes Eingreifen (Option 1b oder 1c) stärker als Unternehmen und Unternehmensverbände. Diese Interessenträger aus der Wirtschaft äußerten sich besonders skeptisch gegenüber Option 1c, da sie der Ansicht waren, dass Verstöße gegen die Grundrechte im Rahmen anderer Gesetze (beispielsweise der Datenschutz-Grundverordnung) entschädigt werden könnten und dass eine verschuldensunabhängige Haftung der Hersteller unverhältnismäßig wäre. Die Interessenträger, die größere Unternehmen und die Softwareindustrie vertreten, erkannten zwar an, dass es derzeit an Rechtssicherheit mangelt, sprachen sich jedoch eher dafür aus, dieses Problem durch Leitlinien anzugehen als durch eine Änderung der Rechtsvorschriften. Interessenträger aus traditionelleren Sektoren (Maschinenbau, Zulieferer, Haushaltsgeräte) befürworteten eine vorsichtige Änderung (Option 1a oder 1b).

In Bezug auf die Optionen zur Lösung von Problem 2 sprachen sich Verbraucherorganisationen und NRO eher für Option 2b aus. Sie vertraten die Auffassung, dass Option 2a nicht weit genug gehe, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Verbrauchern und Erzeugern zu erreichen. Die Interessenträger, die Unternehmen vertraten, sprachen sich eher für Option 2a aus, waren aber insgesamt skeptisch gegenüber etwaigen Änderungen des bestehenden Gleichgewichts zwischen Verbrauchern und Erzeugern.

C. Auswirkungen der bevorzugten Option

Worin bestehen die Vorteile der bevorzugten Option bzw. der wesentlichen Optionen?

Option 1b würde Rechtssicherheit darüber schaffen, welche Produkte und Hersteller einer verschuldensunabhängigen Haftung unterliegen, und alle Hersteller, einschließlich Nicht-EU-Hersteller, dazu anhalten, nur sichere Produkte auf dem EU-Markt in Verkehr zu bringen, um eine Haftbarmachung zu vermeiden. Dies erhöht die Produktsicherheit. Darüber hinaus würde sichergestellt, dass die Verbraucher denselben Schutz genießen, wenn sie durch fehlerhafte Produkte geschädigt werden (unabhängig davon, ob der Fehler die digitalen oder materiellen Komponenten des Produkts betraf) und wenn sie durch eine fehlerhafte eigenständige Software selbst geschädigt werden. Durch die ausdrückliche Einbeziehung von Softwareanbietern, Unternehmen, die Produkte wesentlich verändern, Bevollmächtigten und Fulfillment-Dienstleistern in den Anwendungsbereich der Richtlinie werden Geschädigte bessere Chancen auf Entschädigung haben, da sie das Verschulden des Herstellers nicht nachweisen müssen (aufgrund des in der Richtlinie verankerten Grundsatzes der verschuldensunabhängigen Haftung). Es wird davon ausgegangen, dass die jährliche Entschädigung für Geschädigte im Vergleich zum Basisszenario um einen Betrag zwischen 0,15 Mio. EUR und 22,13 Mio. EUR steigen wird.

Durch Option 2a würde mehr Rechtssicherheit geschaffen und ein einheitlicheres Verbraucherschutzniveau in der gesamten EU erreicht. Die Beweislast würde in komplexeren Fällen gerechter zwischen den Geschädigten und den Herstellern aufgeteilt. Dies würde die Chancen erhöhen, einen Schadensersatzanspruch in solchen Fällen erfolgreich durchzusetzen. Unverhältnismäßige Hindernisse für die Geltendmachung von Ansprüchen würden abgebaut. Es wird davon ausgegangen, dass die jährliche Entschädigung für Geschädigte im Vergleich zum Basisszenario um einen Betrag zwischen 0,20 Mio. EUR und 43,54 Mio. EUR steigen wird.

Durch die Ausweitung der verschuldensunabhängigen Haftung würden die politischen Optionen zu kürzeren Gerichtsverfahren führen, da sich die Gerichte nicht mit Fragen des Verschuldens oder der Fahrlässigkeit befassen müssten.

Welche Kosten entstehen bei der bevorzugten Option bzw. den wesentlichen Optionen? 

Die Vorteile einer höheren Entschädigung für die Verbraucher führen zu Kosten für die Hersteller. Für die 80 % der Hersteller, die eine Haftpflichtversicherung haben, würde dies zu einer geringfügigen Erhöhung der jährlichen Versicherungsprämie führen. Bei Option 1b wird dies im Vergleich zum Basisszenario auf 4,35 Mio. EUR bis 8,69 Mio. EUR geschätzt. Bei Option 2a wird dies im Vergleich zum Basisszenario auf 14,35 Mio. EUR bis 28,71 Mio. EUR geschätzt. Die Minderheit der Hersteller, die nicht über eine Haftpflichtversicherung verfügen, wäre mit Entschädigungszahlungen für Geschädigte konfrontiert. Um eine Doppelzählung zu vermeiden, wird dies jedoch bei den Vorteilen einer erhöhten Entschädigung für die Verbraucher berücksichtigt.

Auch wenn die Gerichtsverfahren kürzer wären (siehe „Vorteile“), würde sich die Zahl der Verfahren aufgrund des erweiterten Anwendungsbereichs der Richtlinie ebenfalls erhöhen. Bei Option 1b wird davon ausgegangen, dass die gesamten jährlichen Gerichtskosten im Vergleich zum Basisszenario leicht um 1,12 Mio. EUR bis 2,75 Mio. EUR steigen. Auch bei Option 2a wird ein leichter Anstieg der jährlichen Gerichtskosten um 0,41 Mio. EUR bis 1,02 Mio. EUR gegenüber dem Basisszenario erwartet.

Bevollmächtigte und Fulfillment-Dienstleister, die haftbar gemacht werden könnten, wenn es keinen Einführer mit Sitz in der EU gibt, würden höhere Kosten an Nicht-EU-Hersteller weitergeben. Dies könnte zu einem geringen, aber nicht quantifizierbaren Preisanstieg bei Erzeugnissen aus Nicht-EU-Ländern führen. Jede etwaige Preiserhöhung wird durch eine Erhöhung der Produktsicherheit und des Verbraucherschutzes im Schadensfall aufgewogen.

Welche Auswirkungen hat die Initiative auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und die Wettbewerbsfähigkeit?

In den Rückmeldungen der Interessenträger wurden keine spezifischen Auswirkungen der politischen Optionen auf KMU hervorgehoben. KMU würden jedoch in hohem Maße von klareren Haftungsvorschriften profitieren, da sie über weniger Ressourcen für die Rechtsberatung verfügen. Eine Erhöhung der Produkthaftpflichtversicherung – auch wenn sie voraussichtlich gering ausfällt – könnte KMU stärker treffen als größere Unternehmen, da sie weniger gut in der Lage sind, Kosten zu absorbieren.

Wird es nennenswerte Auswirkungen auf die nationalen Haushalte und Behörden geben?

Die Richtlinie verursacht keine Verwaltungskosten. Es wurden keine Auswirkungen auf die nationalen Haushalte festgestellt.

Wird es andere nennenswerte Auswirkungen geben?

Es wurden keine weiteren spürbaren Auswirkungen festgestellt.

Wie steht es um die Verhältnismäßigkeit?

Die vorgeschlagene Maßnahme dient dem Ziel der Initiative und geht nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um die Haftungsvorschriften mit den Entwicklungen in der digitalen Wirtschaft und der Kreislaufwirtschaft in Einklang zu bringen und Hindernisse für eine Entschädigung abzubauen.

D. Folgemaßnahmen

Wann wird die Maßnahme überprüft?

Die Kommission wird die Richtlinie sechs Jahre nach ihrem Inkrafttreten überprüfen.

(1)

Bewertung der Produkthaftungsrichtlinie (englische Fassung),  SWD(2018)157 .