16.3.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 100/132


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Analyse der Defizite bei den Verteidigungsinvestitionen und die nächsten Schritte“

(JOIN(2022) 24 final)

(2023/C 100/20)

Berichterstatter:

Panagiotis GKOFAS

Ko-Berichterstatter:

Jan PIE

Befassung

Europäische Kommission, 28.6.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständiges Arbeitsorgan

Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI)

Annahme in der CCMI

11.11.2022

Verabschiedung im Plenum

14.12.2022

Plenartagung Nr.

574

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

202/6/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet die in der Gemeinsamen Mitteilung über die Analyse der Defizite bei den Verteidigungsinvestitionen und die nächsten Schritte vorgeschlagenen Initiativen. Die Gemeinsame Mitteilung ist ein wichtiger Schritt zur Förderung der Verteidigungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, die notwendig ist, um kostspielige Überschneidungen militärischer Fähigkeiten zu verringern und eine Fragmentierung des EU-Verteidigungsmarkts zu vermeiden. Der EWSA hebt die folgenden wesentlichen Punkte der Stellungnahme hervor:

1.1.1.

Eine Strategie der EU für die Verteidigungsindustrie sollte sich aus einer starken europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ergeben.

1.1.2.

Geringe Investitionsvolumina und eine mangelnde Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Produktion und Beschaffung führen zu Fähigkeitslücken sowie zu einer Fragmentierung der technologischen und industriellen Basis der europäischen Verteidigung (EDTIB).

1.1.3.

Der EWSA unterstützt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen konkreten Maßnahmen — die Einrichtung des Instruments zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (EDIRPA) sowie des Programms für europäische Verteidigungsinvestitionen (EDIP) — und fordert bei der Verteidigungspolitik und der Beschaffung auf EU-Ebene eine stärkere Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten.

1.1.4.

Die nationalen Verteidigungshaushalte sollten überprüft werden, um jährlich die Summe an Mitteln vorherzusehen, die für die Konsolidierung der gemeinsamen europäischen Verteidigungsinvestitionen zugewiesen wird. Auf diese Weise würden sie zur Bewertung der finanziellen Grundlage für konkrete koordinierte Maßnahmen der EU beitragen, die der Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten dienen.

1.1.5.

Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf modernen Formen der Kriegsführung wie Cyberangriffe, digitale Kriege und Propaganda durch Falschmeldungen liegen.

1.1.6.

Das Europäische Parlament muss einen Überwachungsmechanismus für die Umsetzung der europäischen Verteidigungspolitik (Verträge, Beschaffung, Investitionen) entwickeln und hierfür geeignete technische und institutionelle Instrumente schaffen.

1.1.7.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, einen ehrgeizigen Vorschlag vorzulegen, der über eine mögliche Mehrwertsteuerbefreiung hinausgeht und starke Maßnahmen enthält, um die Industrie bei der Anpassung an neue strategische Herausforderungen zu unterstützen.

1.2.

Der EWSA teilt die in der Gemeinsamen Mitteilung dargelegte Bewertung der Defizite im Hinblick auf die Verteidigungsinvestitionen in der Europäischen Union. Diese Investitionsdefizite haben die Sicherheit Europas geschwächt, die NATO untergraben und die Position der Union gegenüber anderen Weltmächten geschwächt. Gleichzeitig bestehen in der EU nach wie vor Lücken bei den Verteidigungsinvestitionen. Dies widerspricht dem Grundsatz der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und stärkt zentrifugale politische Kräfte, die die Bemühungen um die Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheitskultur und Verteidigungspolitik in Europa torpedieren.

1.3.

Der EWSA begrüßt, dass mehrere Mitgliedstaaten angekündigt haben, ihren Verteidigungshaushalt aufzustocken, und fordert sie auf, an ihrer Zusage festzuhalten, nicht nur mehr, sondern auch besser zu investieren und so der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, die Solidarität zwischen den Unionsbürgerinnen und -bürgern und die Kultur der Krisenvorsorge zu stärken. Es ist von größter Bedeutung, die nationalen Verteidigungsanstrengungen auf europäischer Ebene so zu koordinieren, dass dadurch keine Kollateralschäden für die jüngsten EU-Initiativen verursacht bzw. laufende oder geplante europäische Entwicklungsprojekte beeinträchtigt werden. Eine solche verstärkte europäische Koordinierung sollte als Möglichkeit gesehen werden, auch die Gesamtfähigkeiten der NATO zu stärken. Der EWSA befürwortet die Idee, den Rahmen für die europäische Verteidigungszusammenarbeit insbesondere durch eine gemeinsame Auftragsvergabe zu verbessern. In diesem Zusammenhang unterstützt der EWSA uneingeschränkt die unverzügliche Einrichtung der Task Force für die gemeinsame Beschaffung im Verteidigungsbereich, die die Reaktionen der Mitgliedstaaten auf sehr kurzfristigen dringenden Bedarf — insbesondere im Hinblick auf die Wiederauffüllung von Beständen — auf EU-Ebene koordinieren soll.

1.4.

Der EWSA fordert, die technischen Aspekte der Schaffung einer europäischen Schnittstelle zur Optimierung der Nutzung der nationalen Verteidigungsausgaben auf EU-Ebene weiter auszuloten.

1.5.

Der EWSA begrüßt das vorgeschlagene kurzfristige Instrument mit einer Mittelausstattung von 500 Mio. EUR über einen Zeitraum von zwei Jahren (2022-2024), mit dem Anreize für eine gemeinsame Auftragsvergabe geschaffen werden sollen. Auf der Grundlage der Arbeit der Task Force für die gemeinsame Beschaffung im Verteidigungsbereich kann mit dem Instrument dazu beigetragen werden, die derzeitige Nachfrage nach dringend benötigten Verteidigungsgütern zu strukturieren und zu koordinieren sowie Verdrängungseffekte zu verhindern.

1.6.

Ferner begrüßt der EWSA die Ankündigung eines Programms für europäische Verteidigungsinvestitionen (EDIP) für gemeinsam entwickelte Verteidigungsprojekte und bestärkt die Kommission darin, zeitnah einen ambitionierten Vorschlag vorzulegen, mit dem über eine mögliche Mehrwertsteuerbefreiung hinausgegangen wird und der starke Maßnahmen zur Unterstützung der Industrie bei der Anpassung an neue strategische Herausforderungen umfasst. Die Europäische Union muss Investitionsinitiativen entwickeln, die mithilfe von Start-up-Unternehmen und KMU (gemäß dem „Small Business Act“ für Europa) eine industrielle Zusammenarbeit ermöglichen und die hochqualifizierten Arbeitskräfte des Verteidigungssektors in vollem Umfang nutzen. Gleichzeitig müssen durch spezifische FuE-Programme und europäische Projekte, durch die eine Zusammenarbeit zwischen nationalen Industriezweigen ermöglicht wird, vorhandene Kompetenzen ausgebaut und neue geschaffen werden.

1.7.

Der EWSA begrüßt die Ankündigung der Kommission, eine Initiative für kritische Rohstoffe einschließlich legislativer Maßnahmen vorzulegen, um die Resilienz und die Versorgungssicherheit der EU in Bezug auf kritische Rohstoffe zu stärken. Der EWSA ist der Auffassung, dass bei dieser Initiative die strategische Bedeutung des Verteidigungssektors berücksichtigt werden muss.

1.8.

Die Integration einer gemeinsamen Verteidigungspolitik würde eine autonomere industrielle Innovation, mehr technische Spillover-Effekte zwischen dem militärischen und dem zivilen Sektor sowie eine wirksamere und unabhängigere Verteidigungspolitik und eine EU-Energiepolitik ermöglichen.

1.9.

Der EWSA sieht es als sehr wichtig an, starke Verbindungen zwischen Cybersicherheit und Cyberverteidigung aufzubauen, um für die neue hybride Kriegsführung gewappnet zu sein. Angesichts ihrer Rolle bei der Bekämpfung einer neuen hybriden Kriegsführung sollte dies ein Hauptschwerpunkt bei künftigen Investitionen im Bereich der Cybersicherheit sein.

1.10.

Außerdem ist der EWSA der Auffassung, dass die Gemeinsame Mitteilung keine ausreichenden strategischen Leitlinien für die Weiterentwicklung der EDTIB enthält. Als Reaktion auf die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen, durch die der europäische Solidaritätsrahmen bedroht wird, ist eine umfassende europäische Strategie für die Verteidigungsindustrie erforderlich, mit der alle industriepolitischen Maßnahmen so abgestimmt werden, dass die Leistungsfähigkeit der EDTIB im Hinblick auf ihre Kernfunktionen gestärkt wird. In dieser Hinsicht stellt die Gemeinsame Mitteilung nur einen Schritt in die richtige Richtung dar.

1.11.

Der EWSA empfiehlt die Einrichtung eines wissenschaftlichen Ausschusses bzw. einer wissenschaftlichen Agentur unter der politischen Aufsicht des Europäischen Parlaments, der/die kontinuierlich die wichtigsten Aspekte der Verteidigungsinvestitionen überwacht und bewertet und Leitlinien für eine effiziente Zuweisung finanzieller und militärischer Ressourcen bereitstellt. Die Ergebnisse und Empfehlungen sollten allen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden.

1.12.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der europäische Verteidigungssektor Anreize für Synergien und die Zusammenarbeit zwischen zahlreichen Wirtschaftszweigen, Akteuren und Interessenträgern schaffen kann. Im Einklang mit dem Small Business Act sollte dabei KMU besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

2.   Hintergrund

2.1.

Auf der Tagung im März 2022 in Versailles verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der EU, angesichts der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine die Verteidigungsfähigkeiten Europas zu stärken. Sie vereinbarten, 1) die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, 2) die Zusammenarbeit durch gemeinsame Projekte zu intensivieren, 3) Defizite zu beheben und Fähigkeitenziele zu erreichen, 4) Innovationen zu fördern, auch durch zivil-militärische Synergien, und 5) unsere Verteidigungsindustrie einschließlich der KMU zu stärken und zu entwickeln.

2.2.

Darüber hinaus ersuchten die Staats- und Regierungschefs der EU die Kommission, „in Abstimmung mit der Europäischen Verteidigungsagentur eine Analyse der Defizite bei den Verteidigungsinvestitionen bis Mitte Mai vorzulegen und jegliche weiteren Initiativen vorzuschlagen, die erforderlich sind, um die industrielle und technologische Basis der europäischen Verteidigung zu stärken.“

2.3.

Als Reaktion auf diese Aufgabe haben die Kommission und der Hohe Vertreter/Leiter der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) dem Europäischen Rat eine Reihe von Maßnahmen und Empfehlungen vorgelegt, mit denen sichergestellt werden soll, dass die angekündigten Erhöhungen der Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten nicht eine weitere Fragmentierung des europäischen Verteidigungssektors zur Folge haben, sondern dass dadurch eine Stärkung der technologischen und industriellen Basis der europäischen Verteidigung bewirkt wird. Diese Empfehlungen umfassen insbesondere Maßnahmen zur Förderung der gemeinsamen Auftragsvergabe, zur Verbesserung der Planung im Verteidigungsbereich und zur Steigerung der Fertigungskapazitäten. Ferner wird speziell auf die Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten für den Verteidigungssektor Bezug genommen.

2.4.

Die Empfehlungen in der Gemeinsamen Mitteilung basieren auf einer Bewertung der derzeitigen Investitions- und Fähigkeitsdefizite. Trotz der Erhöhung der europäischen Verteidigungsausgaben lag der Anteil der gemeinsamen Investitionen im Jahr 2020 bei nur 11 %, also weit unter dem von den Mitgliedstaaten im Rahmen der EDA vereinbarten und im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) geltenden Richtwert von 35 %, während 89 % der Ausgaben auf nationaler Ebene getätigt wurden. Es ist zu beachten, dass die EU-Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Risiken konfrontiert sind und über unterschiedliche Fähigkeiten verfügen, um auf militärische oder andere Krisen zu reagieren, für die differenzierte Verteidigungsressourcen erforderlich sind.

2.5.

Zudem betrugen die Ausgaben der Mitgliedstaaten für Forschung und Technologie im Verteidigungsbereich mit insgesamt 2,5 Mrd. EUR nur 1,2 % ihrer gesamten Verteidigungsausgaben und lagen somit weit unter dem im Rahmen der EDA vereinbarten und im Rahmen der SSZ als verbindlicherer Richtwert geltenden Anteil von 2 %.

2.6.

Darüber hinaus ist der europäische Verteidigungssektor nach wie vor von erheblichen Effizienzmängeln wie geringen Skaleneffekten, Fragmentierung des Markts und der Produktion, Doppelgleisigkeiten, Vielzahl typengleicher Verteidigungssysteme usw. geprägt. Die ungenügende Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten schwächt die industriellen und technologischen Kapazitäten, derer es bedarf, um die Verteidigungsfähigkeit der EU zu bewahren und die derzeitigen sowie künftige Sicherheitserfordernisse zu erfüllen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Investitionen in den Verteidigungssektor sollten auf Prävention sowie auf Abschreckung und Stabilität ausgerichtet sein, um die Sicherheit zu erhöhen und die Konfliktrisiken zu verringern. Es sollte damit kein weiteres Wettrüsten ausgelöst und nicht die Wahrscheinlichkeit neuer Konflikte auf regionaler oder globaler Ebene erhöht werden.

3.2.

Im Idealfall sollte bei der Konfliktprävention und -beilegung stets die Diplomatie Vorrang haben. Der Einsatz militärischer Gewalt sollte ein äußerstes Abschreckungsinstrument und ein letzter Ausweg bleiben. Entwicklungsperspektiven und wirtschaftlicher Wohlstand sollten eingesetzt werden, um die europäischen Werte Frieden, Demokratie, Solidarität und Stabilität zu verteidigen, bevor militärische Maßnahmen ergriffen werden. Der EWSA befürwortet alle internationalen Versuche, friedliche, gerechte und konkrete Lösungen für alle Konflikte, Streitigkeiten und/oder rechtswidrigen Handlungen (Einmarsch, Besetzung, Bedrohung der Souveränität eines Staates, Einschüchterung) nach Maßgabe der Charta der Vereinten Nationen und der Resolution des Europarats zu erreichen (beispielsweise in Situationen wie in der Ukraine, auf Zypern, im Westbalkan oder anderswo).

3.3.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass eine enge Abstimmung zwischen der EU und der NATO erforderlich ist. Beide Organisationen verfügen über eigene spezifische Instrumente und Stärken, die ergänzend eingesetzt werden müssen, um das gemeinsame Ziel — die Gewährleistung der Sicherheit Europas — zu verwirklichen.

3.4.

Der EWSA bedauert, dass durch jahrelange erhebliche Unterinvestitionen in die Verteidigung Defizite im Bereich der Industrie und bei den Fähigkeiten in der EU entstanden sind. Er weist zudem darauf hin, dass die EDTIB derzeit für Friedenseinsätze ausgelegt ist (d. h. langsamer Produktionsrhythmus), und fordert Maßnahmen, um die EDTIB bei der Bewältigung des plötzlichen Nachfrageanstiegs infolge des Krieges gegen die Ukraine zu unterstützen.

3.5.

Der EWSA befürwortet, dass die Mitgliedstaaten in der Gemeinsamen Mitteilung aufgefordert werden, die Beschaffung der erforderlichen Verteidigungsgüter und des erforderlichen Materials gemeinsam vorzunehmen. Durch die gemeinsame Auftragsvergabe für dringend benötigte Produkte ließe sich ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis erreichen und die Interoperabilität verbessern. Zudem würde verhindert, dass die am stärksten exponierten Mitgliedstaaten außerstande sind, das Benötigte zu beschaffen, weil die Verteidigungsindustrie kollidierende Nachfragen erhält und einen solchen Nachfrageschub kurzfristig nicht erfüllen kann.

3.6.

Der EWSA befürwortet ebenfalls den Vorschlag, über den EU-Haushalt durch ein spezielles kurzfristiges Instrument Anreize für eine gemeinsame Beschaffung zu setzen. Mit der im Rahmen des Instruments bereitgestellten finanziellen Unterstützung der EU sollten Verfahren zur kooperativen Beschaffung von Verteidigungsgütern durch die Mitgliedstaaten gefördert, die technologische und industrielle Basis der europäischen Verteidigung unterstützt und zugleich die Handlungsfähigkeit der Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten, ihre Versorgungssicherheit und eine größere Interoperabilität sichergestellt werden.

3.7.

Der EWSA sieht auch dem Vorschlag für ein EDIP erwartungsvoll entgegen. Gleichzeitig stellt sich dem EWSA die Frage, ob es ausreichen wird, durch eine Befreiung von der Mehrwertsteuer Anreize für die gemeinsame Auftragsvergabe gemeinsam entwickelter Projekte zu setzen. Die EDTIB muss in die Lage versetzt werden, die europäischen Streitkräfte auch im Verlauf langer Konflikte großen Ausmaßes zu unterstützen. Dies würde den systematischen Einsatz verschiedener industriepolitischer Instrumente erfordern, um Lieferketten zu stärken, Kompetenzen zu fördern, strategische Vorräte aufzubauen usw. Für das EDIP sollte daher ein umfassender Ansatz verfolgt werden, um den notwendigen Wandel der EDTIB zu unterstützen.

3.8.

Gleichzeitig ist die Gemeinsame Mitteilung im Hinblick auf andere Initiativen wie den Europäischen Verteidigungsfonds nicht ambitioniert genug. Der EWSA empfiehlt, die Flexibilität des derzeitigen mehrjährigen Finanzrahmens zu nutzen, um die Mittel für den Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) deutlich auf ein Niveau aufzustocken, das den angekündigten Erhöhungen der Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten entspricht. Dies ist notwendig, um die Hebelwirkung und Wirksamkeit des EDF im Hinblick auf die Schaffung von Anreizen für die Zusammenarbeit zu gewährleisten. Der EDF soll eine entscheidende Rolle dabei spielen, die Fragmentierung der europäischen Verteidigungssysteme zu überwinden und Lücken bei den Verteidigungsinvestitionen zu schließen. Der EWSA ist der Auffassung, dass der EDF diese Aufgabe erfüllen könnte, sofern die Mitgliedstaaten ihre Zusammenarbeit erheblich verbessern. Der EDF sollte regelmäßig bewertet und gestärkt werden, wenn dies wirksam zu mehr Zusammenhalt und Effizienz bei den europäischen Verteidigungsausgaben beiträgt. Der europäische Mehrwert ist von größter Bedeutung, um dieses Instrument zu rechtfertigen. Darüber hinaus empfiehlt der EWSA, Priorität darauf zu legen, den Europäischen Verteidigungsfonds strategischer auszurichten (Ermittlung einer begrenzten Zahl angemessen finanzierter Vorzeigeprojekte), reaktiver zu gestalten (Erhöhung der Haushaltslinie für KMU und disruptive Technologien, Durchführung offener Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen zur Beschleunigung der Reaktion auf innovative Ideen, Festlegung beschleunigter Verfahren für dringende Projekte usw.) und effizienter zu machen (Optimierung von Mittelübertragungen für EDF-Projekte, Harmonisierung des Rahmens für geistiges Eigentum, Festlegung nachhaltiger Lösungen für den Umgang mit Verschlusssachen usw.).

3.9.

Ferner ist der EWSA der Auffassung, dass nunmehr eine ganzheitliche und strategische Politik für Rohstoffe und kritische Rohstoffe unabdingbar ist, um die strategischen Abhängigkeiten Europas von autokratischen Regimen zu verringern. Nach Ansicht des EWSA sollte diese Strategie auf drei Säulen beruhen: 1) weltweit freier und offener Zugang zu Rohstoffen/kritischen Rohstoffen, 2) Stärkung der europäischen/inländischen Verwertung und Verarbeitung von Rohstoffen/kritischen Rohstoffen sowie entsprechenden steuerlichen Anreizen und Bevorratungsinitiativen sowie 3) Recycling von Rohstoffen/kritischen Rohstoffen, Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine Kreislaufwirtschaft.

3.10.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Hauptaufgabe der EDTIB darin besteht, die europäischen Streitkräfte bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Der EWSA ist davon überzeugt, dass die EDTIB zu diesem Zweck in der Lage sein muss, vier Kernaufgaben zu erfüllen: 1) Lieferung der erforderlichen Verteidigungsgüter und damit verbundener Dienstleistungen zu jeder Zeit und unter allen Umständen, 2) Verbesserung der wichtigsten Verteidigungstechnologien und ihrer Anwendungen sowie Entwicklung neuer, verbesserter Ausführungen und ihrer nächsten Generationen, 3) Reaktion auf neue technologische Trends und Durchbrüche durch Wettbewerber und mögliche Gegner sowie 4) Herausforderung von Wettbewerbern und möglichen Gegnern durch Entwicklung innovativer Konzepte, disruptiver Technologien und völlig neuer Anwendungen. Ausgehend von der Gemeinsamen Mitteilung sollten die Kommission und die Mitgliedstaaten dringend eine umfassende Strategie für die Verteidigungsindustrie entwickeln, die darauf abzielt, die von der EDTIB in Bezug auf diese Kernfunktionen erbrachte Leistung zu verbessern.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA stellt außerdem fest, dass es äußerst wichtig ist, starke Strukturen für die Cybersicherheit aufzubauen, mit denen in den jüngsten internationalen nicht-militärischen bzw. militärischen Konflikten gegen neue hybride Kriegsführung wie Cyberangriffe und digitale Manipulationen vorgegangen werden kann. Daher sollte ein besonderer Schwerpunkt auf Investitionen in die Cybersicherheit gelegt werden, einen Bereich, der in den letzten zehn Jahren rasch gewachsen ist und durch den internationale und innere Angelegenheiten sowie politische Erwägungen offenbar rasanten Veränderungen unterworfen sind.

4.2.

Der EWSA hebt hervor, dass die Europäische Union Investitionsinitiativen entwickeln muss, die die industrielle Zusammenarbeit durch Start-up-Unternehmen und KMU ermöglichen und in vollem Umfang die hochqualifizierten Arbeitskräfte im Verteidigungssektor nutzen. Gleichzeitig müssen im Rahmen der europäischen Kooperationsprogramme Kompetenzen ausgebaut und neue entwickelt werden.

4.3.

Der EWSA weist noch einmal auf seinen Vorschlag für die Einrichtung einer zentralen Online-Anlaufstelle für KMU und Start-up-Unternehmen, einer „KMU-Plattform der EU“, hin, die die Möglichkeit bieten würde, vordefinierte Daten einzugeben und im Gegenzug maßgeschneiderte Informationen über die am besten geeigneten EU-Unterstützungsprogramme zu erhalten.

4.4.

Was die Maßnahmen zur Unterstützung kritischer Technologien und industrieller Kapazitäten betrifft, so ist es nach wie vor von fundamentaler Bedeutung, entlang der Wertschöpfungsketten im Verteidigungsbereich kritische Abhängigkeiten zu verringern. Diese reichen vom Zugang zu kritischen Rohstoffen bis zur Versorgung mit kritischen Bauteilen, Teilsystemen usw. Ebenso betreffen sie die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität der industriellen Lieferkette sowie die Verfügbarkeit ausreichender Kompetenzen, um den derzeitigen und künftigen Fähigkeiten und technischen Anforderungen gerecht zu werden. Der EWSA möchte ferner seine Standpunkte und Empfehlungen hervorheben, die er bereits in seiner Stellungnahme Fahrplan für kritische Technologien für Sicherheit und Verteidigung (CCMI/189) dargelegt hat.

4.5.

Bei der Konzipierung eines neuen Paradigmas für Verteidigungsinvestitionen in Europa sollten auch soziale und ökologische Kriterien berücksichtigt werden. Auf diese Weise könnte der Notwendigkeit Rechnung getragen werden, durch die wirksame Integration zuverlässiger und übertragbarer Instrumente in den Grünen Deal und die Nachhaltigkeitsziele (SDG) auf die wichtigsten europäischen Prioritäten und Risiken wie Kreislaufwirtschaft, Katastrophenschutz, Naturkatastrophen, Krisenmanagement und terroristische Akte auf See zu reagieren. Für die Krisenbewältigung und die Phänomene der Klimakrise sind umgehend ergänzende Maßnahmen und moderne Instrumente erforderlich. Mit der GD ECHO sollte ein gesondertes Kooperationsprogramm erörtert werden.

Brüssel, den 14. Dezember 2022

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG