22.11.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 443/58


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes)

(2022/C 443/08)

Berichterstatter:

Benjamin RIZZO

Ko-Berichterstatter:

Petru Sorin DANDEA

Befassung

26.1.2022, Schreiben von Mikuláš BEK, Minister für europäische Angelegenheiten

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

1.7.2022

Verabschiedung im Plenum

13.7.2022

Plenartagung Nr.

571

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

200/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Entwicklung angemessener Grundsätze und Vorschriften für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft ist zu einer grundlegenden Aufgabe sowohl der Europäischen Union als auch anderer internationaler Regulierungsbehörden geworden. Konkret gilt es, die Steuerpolitik zu modernisieren und an aktuellen und künftigen Bedürfnisse auszurichten.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) schlägt vor, dass, sobald ein internationales Übereinkommen in Bezug auf Säule 1 (betreffend die Neuzuweisung von Besteuerungsrechten) des inklusiven Rahmens der OECD/G20 erzielt wurde, die darin vorgesehenen Vorschriften in der EU in Abstimmung und gleichzeitig mit anderen wichtigen Handelspartnern zügig umgesetzt werden.

1.3.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die EU bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft eine führende Rolle spielen kann. Dies sollte jedoch — wie bereits im Fall von Säule 2 (betreffend den Mechanismus zur Bekämpfung der Aushöhlung der Bemessungsgrundlage) — im Rahmen eines internationalen Übereinkommens der OECD/G20 erfolgen.

1.4.

Nach Auffassung des EWSA müssen sowohl Säule 1 als auch Säule 2 möglichst zügig innerhalb der EU umgesetzt werden. Dabei gilt es, ein hohes Maß an Kohärenz mit dem im Rahmen der OECD/G20 ausgehandelten internationalen Übereinkommen zu gewährleisten. Säule 1 und Säule 2 sollten als ein umfassendes und sich gegenseitig ergänzendes Maßnahmenpaket erachtet werden.

1.5.

Der EWSA stellt fest, dass eine europäische Gesetzgebungsinitiative zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft — im Gegensatz zu einzelnen nationalen Initiativen — dem Binnenmarkt sehr zugutekommen und zweifellos zu einem effizienteren Rechtsrahmen führen würde. Die Einführung unkoordinierter und individueller Vorschriften durch die Mitgliedstaaten würde die Fragmentierung innerhalb der EU verstärken, für Steuerunsicherheit sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen.

1.6.

Der EWSA spricht sich für ein internationales Übereinkommen in Bezug auf Säule 1 aus, das auf die Einführung eines wirksamen Steuersystems abzielt und den Grundsätzen der Neutralität und der Gleichbehandlung Rechnung trägt. Zudem sollte ein solches Übereinkommen einerseits die Erhaltung des in der digitalen Wirtschaft vorhandenen Innovationspotenzials gewährleisten. Andererseits sollte es sicherzustellen können, dass stark digitalisierte Unternehmen einen angemessenen Beitrag zu den nationalen Haushalten leisten.

1.7.

Der EWSA fordert ein internationales Übereinkommen in Bezug auf Säule 1, in dem so weit wie möglich von übermäßig komplexen Vorschriften abgesehen wird und das für Transparenz, Berechenbarkeit und verwaltungstechnische Vereinfachungen sorgt und die Befolgungskosten gering hält. Ein übermäßig kompliziertes System könnte Möglichkeiten schaffen, die neu vereinbarten Vorschriften zu umgehen, und so deren Wirksamkeit verringern.

1.8.

Der EWSA betont, dass ordnungsgemäß konzipierte internationale Steuervorschriften für digitale Unternehmen dazu beitragen können, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung vorzubeugen und für ein gerechtes, solides und fortschrittliches Steuersystem zu sorgen. In den letzten Jahren konnten Unternehmen von spezifischen Steuervorschriften in einigen Mitgliedstaaten Gebrauch machen und so ihren effektiven Steuersatz erheblich senken. Vor diesem Hintergrund sind gleiche Wettbewerbsbedingungen bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen von entscheidender Bedeutung.

1.9.

Nach Auffassung des EWSA sollte ein angemessener Rechtsrahmen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft der mit der Digitalisierung einhergehenden starken Abhängigkeit von immateriellen Vermögenswerten Rechnung tragen. Aufgrund solcher Vermögenswerte können Unternehmen deutlich leichter einschlägige Geschäftstätigkeiten in einem Land ausüben, ohne dort physisch präsent zu sein.

1.10.

Der EWSA weist darauf hin, dass digitale Unternehmen Nutzerdaten häufig zu Wertschöpfungszwecken nutzen. Diese Methode der Wertschöpfung wird von den derzeitigen Steuersystemen nicht erfasst, was zu einem Missverhältnis zwischen Wertschöpfung und Besteuerung führt. Diese spezifische Frage gilt es im Rahmen von Säule 1 angemessen zu behandeln.

1.11.

Der EWSA bekräftigt, dass nach wie vor unbedingt nach einem Ansatz zu verfahren ist, mit dem einerseits die Risiken im Zusammenhang mit Doppelbesteuerung bzw. unbeabsichtigter Nichtbesteuerung in sämtlichen Steuerhoheitsgebieten ausgeräumt und andererseits die Befolgungskosten für europäische Unternehmen so gering wie möglich gehalten werden. In diesem Zusammenhang sollten die verschiedenen von den Mitgliedstaaten bereits ergriffenen Maßnahmen durch das Übereinkommen in Bezug auf Säule 1 und die Vorschriften zu deren Umsetzung in Einklang gebracht werden, um Missverhältnisse und Schlupflöcher zu vermeiden.

1.12.

Der EWSA hofft inständig, dass sowohl auf internationaler als auch auf EU-Ebene schnellstmöglich ein tragfähiges Übereinkommen in Bezug auf Säule 1 erzielt werden kann. Er bedauert, dass der Abschluss eines solchen grundlegenden Übereinkommens nach wie vor von bestehenden Hindernissen erschwert wird.

2.   Wesentlicher Kontext

2.1.

Die derzeitigen internationalen Körperschaftsteuervorschriften beruhen auf Grundsätzen, die Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt und im Laufe der Zeit teilweise angepasst wurden. Diese Grundsätze sind heute nicht mehr zeitgemäß und eignen sich nicht für eine globalisierte und digitalisierte Wirtschaft. Dies führt dazu, dass Steuereinnahmen den Ländern nicht gerecht zugewiesen werden und weiterhin schädliche Steuerpraktiken zulässig sind, was zulasten der öffentlichen Finanzen und des fairen Wettbewerbs geht.

2.2.

Deshalb ist die Entwicklung angemessener Grundsätze und Vorschriften für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft zu einer grundlegenden Aufgabe sowohl der Europäischen Union als auch anderer Regulierungsbehörden weltweit geworden. Konkret gilt es, die Steuerpolitik zu modernisieren und an aktuellen und künftigen Bedürfnisse auszurichten.

2.3.

Der inklusive Rahmen der OECD/G20 gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS) basiert auf einer Zwei-Säulen-Lösung zur Bewältigung der steuerlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit einer zunehmend digitalisierten und globalisierten Wirtschaft.

2.4.

Mit Säule 1 soll sichergestellt werden, dass Gewinne und Besteuerungsrechte bezüglich der größten multinationalen Unternehmen, insbesondere digitaler Unternehmen, gerechter unter den Ländern verteilt werden. Insbesondere werden multinationale Unternehmen dazu verpflichtet, einen Teil ihrer Körperschaftssteuern in jenen Ländern zu entrichten, in denen ihre Verbraucher bzw. Nutzer ansässig sind. Auf diese Weise wird eine Verknüpfung zwischen den Gewinnen und den Orten, an denen die entsprechenden Verbraucher bzw. Nutzer ansässig sind, hergestellt.

2.5.

Das Übereinkommen in Bezug auf die Neuzuweisung von Gewinnen im Rahmen von Säule 1 sieht unter anderem die Abschaffung bzw. Aussetzung von Steuern auf digitale Dienstleistungen sowie ähnliche einschlägige Maßnahmen vor, mit denen Handelsspannungen aufgrund des instabilen internationalen Steuersystems beendet werden sollen.

2.6.

Mit Säule 2 soll sichergestellt werden, dass — insbesondere stark digitalisierte — große multinationale Unternehmen einen effektiven Mindestkörperschaftssteuersatz von 15 % zahlen. Dabei soll ein geeigneter Rechtsrahmen geschaffen werden, um Gewinnverlagerungen zu verhindern und einem schädlichen Steuerwettbewerb zwischen verschiedenen Steuerhoheitsgebieten vorzubeugen. Auf diese Weise könnte eine Beschränkung des Wettbewerbs im Bereich der Körperschaftsteuer wirksam aufgehoben und ein weltweiter Mindestkörperschaftssteuersatz erreicht werden, mit dem die Länder ihre Steuerbemessungsgrundlagen schützen können. Der EWSA ersucht alle Mitgliedstaaten nachdrücklich, rasch eine politische Einigung über diese Vorschriften zu erzielen, und bedauert, dass bislang kein endgültiger Konsens erzielt wurde.

2.7.

Im Rahmen der OECD/G20 wurde ein internationales Übereinkommen in Bezug auf Säule 2 und den inklusiven Rahmen erzielt. Seine Umsetzung in EU-Recht wurde von den Organen der EU im Wege eines Richtlinienvorschlags, der derzeit im Rat erörtert wird, ordnungsgemäß auf den Weg gebracht (1).

2.8.

Ein entsprechender breiter internationaler Konsens wurde im Rahmen der OECD/G20 noch nicht erzielt. Dies geht auch aus der jüngsten OECD-Konsultation (2) zu Säule 1 hervor, mit der Rückmeldungen der Öffentlichkeit zu den Vorschriftsentwürfen eingeholt werden sollen, wenngleich diese Entwürfe keineswegs auf einem Konsens über den Inhalt des Dokuments gründen.

2.9.

Die Europäische Kommission veröffentlichte bereits im Jahr 2018 einen Legislativvorschlag zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Dieser wurde jedoch vor allem deshalb nicht weiter vorangebracht, da kein breiter internationaler Konsens über die im Rahmen von Säule 1 umzusetzenden Vorschriften erzielt wurde.

2.10.

In der Zwischenzeit verabschiedeten die EU-Organe das Gesetz über digitale Märkte, mit dem die Wettbewerbsstruktur der digitalen Märkte reguliert werden soll. Dabei verfährt die EU nach einem umfassenden Regulierungsansatz sui generis, der sich von den Ansätzen anderer wichtiger Handelsblöcke wie etwa der USA, von China und anderen Schwellenländern unterscheidet.

2.11.

Nach Auffassung des EWSA kann die EU — wie schon beim Gesetz über digitale Märkte — auch bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft eine führende Rolle spielen. Dies sollte jedoch — wie bereits im Fall von Säule 2 — im Rahmen eines internationalen Übereinkommens der OECD/G20 erfolgen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass im Rahmen der Digitalisierung der Wirtschaft etwaige Änderungen bei der Verteilung von Gewinnbesteuerungsrechten zwischen den Staaten unter Anwendung geeigneter und wirksamer globaler Steuerungsmaßnahmen und Regelungen weltweit koordiniert werden müssen, um die Vorteile der Globalisierung besser zu nutzen. Konkrete Lösungen müssen daher auf der Grundlage eines umfassenden internationalen Übereinkommens zwischen möglichst vielen Steuerhoheitsgebieten konzipiert werden. Darüber hinaus sollte gebührend berücksichtigt werden, welche Auswirkungen und Konsequenzen die neuen Vorschriften auf kleine Mitgliedstaaten einerseits und größere Mitgliedstaaten andererseits haben werden.

3.2.

Der EWSA begrüßt die durch die Digitalisierung ausgelöste bedeutende wirtschaftliche Entwicklung und ihre positiven Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Er ist sich bewusst, dass die Digitalisierung die Steuerverwaltungen erheblich stärken und dabei behilflich sein kann, bessere Dienste für die nationalen Haushalte und die Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen. Es wird Aufgabe der EU sein, die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen und zu koordinieren, sich an die neuen Vorschriften und das sich rasch wandelnde wirtschaftliche Umfeld anzupassen.

3.3.

Der EWSA stimmt den Schlussfolgerungen des BEPS-Abschlussberichts 2015 der OECD/G20 zu Aktionspunkt 1 zu. Darin wird festgestellt, dass die digitale Wirtschaft zunehmend zur eigentlichen Wirtschaft wird. Viele Unternehmen haben im Laufe der Jahre einen beeindruckenden Digitalisierungsprozess durchlaufen, und diese Entwicklung hat sich während der jüngsten Ausgangsbeschränkungen aufgrund von COVID-19 zusätzlich beschleunigt. Diese Tendenz führt häufig zu einer Loslösung der enormen Gewinne digitaler Plattformen von den physischen Orten, an denen die jeweiligen zahlenden Nutzer und Verbraucher ansässig sind. Dieses Phänomen könnte in Zukunft auch im Hinblick auf Sozialversicherungsverpflichtungen angegangen werden.

3.4.

Der EWSA schlägt vor, dass zur Konsolidierung des Binnenmarkts gemäß den Artikeln 113 bis 115 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Säule 1 — wie zuvor bereits Säule 2 — in der EU in Abstimmung mit anderen wichtigen Handelspartnern zügig umgesetzt werden sollte, sobald ein internationales Übereinkommen in Bezug auf Säule 1 des inklusiven Rahmens der OECD/G20 erzielt wurde, das für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den verschiedenen bisher geäußerten Standpunkten sorgt.

3.5.

Nach Auffassung des EWSA sollten sowohl Säule 1 als auch Säule 2 unbedingt so bald wie möglich innerhalb der EU umgesetzt werden. Dabei gilt es, ein hohes Maß an Kohärenz mit dem im Rahmen der OECD/G20 ausgehandelten internationalen Übereinkommen zu gewährleisten. Säule 1 und Säule 2 sollten als ein umfassendes und sich gegenseitig ergänzendes Maßnahmenpaket erachtet werden, das zeitnah in der gesamten EU umgesetzt werden sollte.

3.6.

Der EWSA stellt fest, dass eine europäische Gesetzgebungsinitiative zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft dem Binnenmarkt sehr zugutekommen und zweifellos zu einem effizienteren Rechtsrahmen führen würde, als er durch einzelne nationale Initiativen erreicht werden könnte. Die Einführung unkoordinierter und gesonderter Vorschriften durch die Mitgliedstaaten auf der Grundlage unterschiedlicher Besteuerungsgrundsätze und -kriterien würde die Fragmentierung innerhalb der EU verstärken, für Steuerunsicherheit sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Der EWSA spricht sich für einen Streitbeilegungsmechanismus aus, mit dem die Mitgliedstaaten etwaige Uneinigkeiten ausräumen können.

3.7.

Ein internationales Übereinkommen in Bezug auf Säule 1 sollte auf die Einführung eines wirksamen Steuersystems abzielen und den Grundsätzen der Neutralität und der Gleichbehandlung Rechnung tragen. Zudem sollte ein solches Übereinkommen erstens die Erhaltung des in der digitalen Wirtschaft vorhandenen Innovationspotenzials gewährleisten und zweitens sicherstellen können, dass stark digitalisierte Unternehmen einen angemessenen Beitrag zu den nationalen Haushalten und zur Gesellschaft leisten.

3.8.

Der EWSA fordert ein internationales Übereinkommen in Bezug auf Säule 1, in dem so weit wie möglich von übermäßig komplexen Vorschriften abgesehen wird und das für Transparenz, Berechenbarkeit und verwaltungstechnische Vereinfachungen sorgt und die Befolgungskosten gering hält. Ein übermäßig kompliziertes System könnte Möglichkeiten schaffen, die neu vereinbarten Vorschriften zu umgehen, und so deren Wirksamkeit verringern.

3.9.

Der EWSA betont, dass ordnungsgemäß konzipierte internationale Steuervorschriften für digitale Unternehmen eine geeignete Lösung darstellen, um Steuerhinterziehung und Steuervermeidung vorzubeugen und für ein gerechtes, fortschrittliches, solides und effizientes Steuersystem zu sorgen.

3.10.

Der EWSA hebt hervor, dass mit Säule 2 hingegen die beiden erforderlichen nationalen Vorschriften wirksam eingeführt werden. Hierbei handelt es sich konkret um

A.

miteinander verflochtene innerstaatliche Vorschriften (globale Regeln zur Bekämpfung der Aushöhlung der Bemessungsgrundlage — „GloBE-Regeln“), und zwar i) eine Regel zur Einnahmenberücksichtigung, mit der gegenüber Muttergesellschaften eine zusätzliche Steuer im Zusammenhang mit den gering versteuerten Einnahmen einer Geschäftseinheit erhoben wird, und ii) eine Regel zur Unterbesteuerung, mit der Abzüge untersagt werden oder eine entsprechende Anpassung in dem Ausmaß erforderlich wird, in dem die geringen Steuereinnahmen einer Geschäftseinheit nicht der Besteuerung im Rahmen der Regel zur Einnahmenberücksichtigung unterliegen; sowie

B.

eine auf dem AEUV beruhende Vorschrift (Rückfallregelung — „Subject to Tax Rule“, STTR) die es Quellenstaaten gestattet, eine begrenzte Quellensteuer auf bestimmte Zahlungen an verbundene Unternehmen zu erheben, die unterhalb eines Mindestsatzes besteuert wurden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA unterstreicht die zentrale Bedeutung gleicher Wettbewerbsbedingungen im Bereich der Besteuerung von Unternehmensgewinnen. In den letzten Jahren ist es einigen Unternehmen gelungen, die in einigen Mitgliedstaaten geltenden besonderen Steuerregelungen zu nutzen und so ihren effektiven Steuersatz zu senken. Dies ist nicht zuletzt auf mangelnde Transparenz zurückzuführen. An mehreren bedeutenden Fällen waren multinationale Unternehmen im Bereich digitaler Dienstleistungen beteiligt.

4.2.

Nach Auffassung des EWSA sollte ein angemessener Rechtsrahmen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft der mit der Digitalisierung einhergehenden starken Abhängigkeit von immateriellen Vermögenswerten Rechnung tragen. Aufgrund solcher Vermögenswerte können Unternehmen deutlich leichter erhebliche Geschäftstätigkeiten in einem Land ausüben, ohne dort physisch präsent zu sein. Die derzeitigen internationalen Steuervorschriften und -grundsätze sollten an diese neuen wirtschaftlichen Umstände angepasst werden.

4.3.

Der EWSA merkt an, dass digitale Unternehmen bei der Schaffung von Inhalten in hohem Maße auf immaterielle Vermögenswerte angewiesen sind. Dabei werden insbesondere Nutzerdaten gesammelt und zur Wertschöpfung instrumentalisiert. Diese Methode der Wertschöpfung wird von den derzeitigen Steuersystemen nicht erfasst, was zu einem Missverhältnis zwischen Wertschöpfung und Besteuerung führt. Diese spezifische Frage gilt es im Rahmen von Säule 1 angemessen zu behandeln.

4.4.

Der EWSA bekräftigt, dass unbedingt nach einem Ansatz zu verfahren ist, mit dem einerseits die Risiken im Zusammenhang mit Doppelbesteuerung bzw. unbeabsichtigter Nichtbesteuerung in sämtlichen Steuerhoheitsgebieten ausgeräumt und andererseits die Befolgungskosten für europäische Unternehmen so gering wie möglich gehalten werden. In diesem Zusammenhang sollten die unterschiedlichen von den Mitgliedstaaten bereits ergriffenen Maßnahmen durch das Übereinkommen in Bezug auf Säule 1 und die Vorschriften zu deren Umsetzung in Einklang gebracht werden, da bestehende Unterschiede zu Missverhältnissen und Schlupflöchern führen könnten.

4.5.

Der EWSA stellt fest, dass das komplexe Unterfangen, einen globalen Konsens über den OECD-Vorschlag in Bezug auf Säule 1 zu erzielen, insbesondere auch durch die zunehmende Verbreitung unilateraler Digitalsteuern und die sich daraus ergebende Gefahr untermauert und vorangetrieben wird, dass mehrere Länder — auf unterschiedliche Weise und teilweise mit Überschneidungen — Besteuerungsrechte auf ein und denselben Gewinn geltend machen.

4.6.

Mit Säule 1 sollte folglich die Abschaffung nationaler Steuern auf digitale Dienstleistungen und anderer ähnlicher Maßnahmen gegenüber Unternehmen sichergestellt werden. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um einen Konsens mehrerer großer Länder über Säule 1 zu erreichen und die Einführung neuer Vorschriften zu vermeiden, die in Zukunft gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) als „diskriminierend“ erachtet werden könnten, was unbeabsichtigte Folgen für den internationalen Handel haben könnte.

4.7.

Der EWSA hofft inständig, dass schnellstmöglich ein tragfähiges internationales Übereinkommen in Bezug auf Säule 1 erzielt werden kann. Er bedauert, dass der Abschluss eines solchen Übereinkommens nach wie vor von bestehenden Hindernissen erschwert wird.

4.8.

Sobald Säule 1 und Säule 2 umgesetzt wurden, sollten Dienstleistungen, die über Plattformen bereitgestellt und von europäischen Verbrauchern genutzt werden, nach Auffassung des EWSA vollständig in das Mehrwertsteuersystem eingebunden werden. Denn hierbei handelt es sich um ein wesentliches Element bei der Behandlung von Fragen im Zusammenhang mit der Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass Kunden digitaler Kommunikationsdienste und sozialer Netze scheinbar kostenlos auf diese Dienste zugreifen, was die Frage aufwirft, wie die Mehrwertsteuer sinnvoll erhoben werden kann. Die Mehrwertsteuereinnahmen sind Eigenmittel für den EU-Haushalt, und der EWSA erachtet es als wichtig, auch digitale Dienstleistungen bei der Steuerbemessung zu berücksichtigen.

4.9.

Der EWSA hält es für notwendig, bei der Neuzuweisung der Rechte zur Erhebung von Körperschaftsteuern ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Nettoexport- und Nettoimportländern sowie zwischen Erzeuger- und Verbraucherländern zu schaffen, damit kein Land Gefahr läuft, seine Ziele — beispielsweise im sozialen und ökologischen Bereich — nicht zu erreichen.

4.10.

Der EWSA merkt an, dass die Digitalisierung nicht nur eine Herausforderung darstellt, sondern auch Chancen für die Steuerbehörden birgt. Da den Steuerbehörden eine große Menge an Daten von Dritten zur Verfügung steht, lässt sich das Berichtswesen stärker automatisieren, wodurch Zeit und Geld gespart werden kann. Außerdem können durch die Erhebung von Daten Meldedefizite, Steuervermeidung und Steuerbetrug angegangen werden. Mehrere Steuerverwaltungen haben Softwarelösungen eingeführt, mit denen zum Zeitpunkt einer Transaktion Verkaufsdaten aufgezeichnet und direkt an die Steuerbehörden übermittelt werden können. Dadurch wurden in manchen Ländern die Mehrwertsteuereinnahmen bereits erheblich gesteigert.

4.11.

Abschließend verweist der EWSA auf seine Stellungnahme zum Legislativpaket zur Bekämpfung der Geldwäsche (3) sowie auf seine beiden die Bekämpfung von Steuervermeidung betreffenden Stellungnahmen „Eine Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert“ (4) und „Bekämpfung der Nutzung von Briefkastenfirmen“ (5), denen weitere Einzelheiten zu spezifischen Fragen zu entnehmen sind.

Brüssel, den 13. Juli 2022

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Siehe die Stellungnahme des EWSA „Effektive Mindestbesteuerung von Unternehmen“ (ABl. C 290 vom 29.7.2022, S. 52).

(2)  Konsultation der OECD zu den Vorschriftsentwürfen in Bezug auf den steuerlichen Anknüpfungspunkt und die Gewinnzuordnung im Rahmen von Säule 1 — „Amount A“ vom 4. Februar 2022.

(3)  Stellungnahme des EWSA zum Legislativpaket zur Bekämpfung der Geldwäsche (ABl. C 152 vom 6.4.2022, S. 89).

(4)  Stellungnahme des EWSA „Eine Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert“ (ABl. C 275 vom 18.7.2022, S. 40).

(5)  Stellungnahme des EWSA „Bekämpfung der Nutzung von Briefkastenfirmen“ (ABl. C 290 vom 29.7.2022, S. 45).