22.11.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 443/123


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses folgenden Vorlagen: „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Nachhaltige Produkte zur Norm machen“

(COM(2022) 140 final)

und „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen für nachhaltige Produkte und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/125/EG“

(COM(2022) 142 final — 2022/0095 (COD))

(2022/C 443/18)

Berichterstatter:

Thomas WAGNSONNER

Befassung

Europäische Kommission, 16.5.2022

Europäisches Parlament, 2.5.2022

Rat, 10.6.2022

Rechtsgrundlagen

Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

30.6.2022

Verabschiedung im Plenum

14.7.2022

Plenartagung Nr.

571

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

205/1/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) wertschätzt die Vorschläge im Rahmen des Aktionsplans Kreislaufwirtschaft und unterstützt insbesondere in dieser Stellungnahme den Weg, Produkte nachhaltiger zu gestalten. Außerdem wird auch die harmonisierte rechtliche Herangehensweise als notwendig erachtet. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass der Vorschlag für die neue Ökodesign-Verordnung bedingt durch die vielen delegierten Rechtsakte über weite Strecken noch unbestimmt ist. Darüber hinaus schlägt der EWSA ob der Notwendigkeit, den Ressourcenverbrauch zu senken und das Klima zu schützen, eine zeitlich schnellere und ambitionierte Umsetzung vor.

1.2.

Der EWSA weist besonders darauf hin, dass dieser kreislaufwirtschaftliche Weg nur mit guter Einbindung und Information aller Wirtschaftsbeteiligten — Produzenten, Verbraucher, Arbeitnehmer — sowie der Behörden gelingen kann. Unabdingbar ist hierbei für eine gute Umsetzung, dass entsprechende klare, gute und kohärente Regelungen notwendig sind, um nachhaltigen Produkten eine faire Wettbewerbschance zu geben.

1.3.

Es werden die neuen Elemente der Verordnung wie die Ausweitung des Geltungsbereiches, die neuen Ökodesignanforderungen (Haltbarkeit, Reparierbarkeit, Recycling, Umweltwirkung, CO2-Emissionen usw.) sowie die Informationspflichten durch den digitalen Produktpass und die Etiketten begrüßt, wobei die Bedeutung einer richtigen und zweckmäßigen Information insbesondere für Verbraucher betont wird.

1.4.

Der EWSA unterstützt das Verbot, unverkaufte Waren zu vernichten, wobei darunter neue, retournierte oder reparierbare Waren verstanden werden. Es wird zudem begrüßt, dass bestehenden Ärgernissen wie dem „Greenwashing“ oder der Obsoleszenz durch die Verordnung in Verbindung mit dem Kreislaufpaket entgegengewirkt wird.

1.5.

Das Ökodesignforum ist ein unterstützendes Gremium mit vielen Aufgaben bei der Umsetzung. Hier sollte allen Interessenträgern und Vertretern der Zivilgesellschaft einschließlich den Sozialpartnern die Möglichkeit eingeräumt werden, Ideen und Anregungen zur Verbesserung des Prozesses einzubringen.

1.6.

Der EWSA ist sich der Herausforderungen, die an die Produzenten und Unternehmen, insbesondere an die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), gestellt werden, bewusst, wobei unnötiger administrativer Aufwand jedenfalls vermieden werden soll. Es wird auch die Chance gesehen, mit nachhaltigen Produktstandards ein neues europäisches Produktionslevel „Made in Europe“ zu erreichen.

1.7.

Die Instrumente zur Konformitätserklärung und Selbstregulierung geben unternehmerischen Raum. Eine effiziente und abgestimmte Kontrolle zwischen den Mitgliedstaaten mit einer guten Verbraucherinformation stärkt das Vertrauen, den Weg von der linearen hin zur Kreislaufwirtschaft gut zu beschreiten.

1.8.

Der EWSA muss leider zur Kenntnis nehmen, dass die soziale Dimension in der Verordnung nicht abgedeckt ist. Ein Verweis auf den Kommissionsvorschlag zur Richtlinie über die Sorgfaltspflichten der Unternehmen erscheint nicht ausreichend.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

2.1.

Das lineare Wirtschaftssystem überfordert die globalen Ressourcen. In der Zeit zwischen den UN-Klimakonferenzen Paris und Glasgow wurde mehr als eine halbe Billion Tonnen neuer Ressourcen verbraucht. In dem Circularity-Gap-Report 2022 (1) ist festgehalten, dass weltweit nur 8,6 % dessen, was verwendet wird, recycliert wird oder andersrum ein Circularity-Gap von über 90 % besteht Die Kreislaufwirtschaft kann wirksam dazu beitragen, den Ressourcenverbrauch zu senken.

2.2.

Die Notwendigkeit, Ressourcen zu schonen, ist in Europa erkannt worden. Die Europäische Kommission hat den Grünen Deal, die Wachstumsstrategie der EU für eine gerechte und wohlhabende Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft, vorgeschlagen. Verstärkt wird die Handlungsnotwendigkeit durch die Lieferkettenprobleme infolge der Pandemie und der Invasion Russlands in der Ukraine. Unternehmen und Verbraucher verspüren Knappheiten und Preissteigerungen in weiten Bereichen.

2.3.

Im Konkreten stellte die Europäische Kommission Ende März 2022 im Rahmen des Aktionsplans Kreislaufwirtschaft folgende Initiativen vor:

Mitteilung der Kommission „Nachhaltige Produkte zur Norm machen“

Vorschlag für eine Verordnung über Ökodesign für nachhaltige Produkte

Arbeitsplan für Ökodesign und Energieverbrauchskennzeichnung 2022–2024

EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien

Vorschlag für eine Überarbeitung der Bauprodukteverordnung

Vorschlag zur Einbeziehung der Verbraucher in den grünen Wandel

2.4.

In der vorliegenden Stellungnahme werden die Mitteilung „Nachhaltige Produkte zur Norm machen“ (COM(2022) 140 final) sowie der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Ökodesignvorgaben für nachhaltige Produkte und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/125/EG (COM(2022) 142 final — 2022/0095 (COD)) behandelt.

2.5.

In der Mitteilung wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, das vorherrschende lineare Wirtschaftsmodell zu überdenken und Schritte auf dem Weg hin zur Kreislaufwirtschaft zu beschreiten. Durch europaweit harmonisiertes Vorgehen wird die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, werden Arbeitsplätze geschaffen und Verbrauchern nachhaltige Produkte angeboten. Dazu ist ein neuer Ansatz für die Herstellung von Produkten notwendig, der über die derzeitigen Mindestanforderungen (REACH, Energieverbrauchskennzeichnung, Verpackungen usw.) hinausgeht.

2.6.

Der Geltungsbereich der neuen Ökodesign-Verordnung wird enorm ausgeweitet und wird mit ihren sektorspezifischen Initiativen für Textilien, Bauprodukte etc. zur Ressourcenschonung und zur Energieeffizienz beitragen. Insbesondere die neuen Inhalte zur Stärkung der Produktlebensdauer (Haltbarkeit, Reparierbarkeit, besseres Recycling usw. und zur besseren Produktinformation durch den digitalen Produktpass werden Unternehmen fordern, transparent die Qualitäten und die Lebenszykluswirkung ihrer Produkte darzustellen. Verbrauchern wird die Möglichkeit eröffnet, Produkte, die den europäischen Nachhaltigkeitsvorgaben entsprechen, zu vergleichen und damit zu bewerten.

2.7.

Die Produktvorgaben aus der Ökodesign-Verordnung werden durch weitere flankierende Maßnahmen ergänzt. Die Position und das Vertrauen der Verbraucher wird durch verpflichtende Informationen über Produkt- und Umweltvorteile ebenso wie über Angaben zur Reparatur, Haltbarkeit und des Verbotes von „Greenwashing“ gestärkt. Produktkontrollen von Behörden und das transparente Monitoring über die Einhaltung der Produktkriterien bietet Sicherheit, aus qualitativ hochwertigen Produkten auswählen zu können und ist somit Garant für die gleichen Wettbewerbsbedingungen der Wirtschaftsteilnehmer.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA signalisiert die grundsätzliche Zustimmung zu den Zielen der Kreislaufwirtschaft und der Initiative für nachhaltige Produkte, denn Nachhaltigkeit heißt hier, ökologische, ökonomische und soziale Aspekte zu verbinden. Das bedeutet für alle Wirtschaftsbeteiligten, notwendige, neue und herausfordernde Vorgaben zu erfüllen. Unternehmen sind gefordert, ihre Produktion und das Produktdesgin auf Nachhaltigkeit auszurichten und die Information darüber bereit zu stellen. Konsumenten müssen dies verstehen und verantwortungsvoll auf Basis der Information die „richtige“ Entscheidung treffen. Dabei werden entsprechende Informationskampagnen zur Bewusstseinsbildung als notwendig erachtet. Eine effektive Kontrolle ist notwendig, damit die Zielvorgaben eingehalten und nicht unterlaufen werden, denn das würde dem Standort Europa schaden bzw. „Greenskepsis“ fördern. Vielmehr lautet das Ziel: gute Jobs, eine bessere Entwicklung, eine ganzheitliche Betrachtung und aufgeklärte Konsumenten und Kunden.

3.2.

Diese Verordnung und die Kreislaufwirtschaft stellen neue Standards auf. Damit diese Vorgaben angenommen, mit Leben erfüllt werden und zu einem wirtschaftlichen Kreislaufprozess führen, lautet der Auftrag, die Wirtschaftsteilnehmer — Konsumenten, Hersteller, Unternehmer, Gewerkschaften, Forschungseinrichtungen — engagiert und proaktiv mitzunehmen. Dabei wird es hilfreich sein, relevante Informationen über die Möglichkeiten und Ziele zu vermitteln und die Interessenträger rechtzeitig einzubinden.

3.3.

Der EWSA unterstützt die harmonisierte Vorgehensweise der Verordnung und delegierten Rechtsakte, um Fragmentierung zu vermeiden und auf Produktspezifika, Leistbarkeit für Verbraucher und Wettbewerb eingehen zu können. Nachhaltige Produkte sind eine europäische Chance für Unternehmen, Innovation und Arbeitsplätze, und es wird dem Wunsch der Verbraucher nach Umweltwirkung und langer Lebensdauer Rechnung getragen.

3.4.

Die Ausweitung des Geltungsbereiches auf mehr Produkte und höhere Anforderungen wird begrüßt. Der EWSA stellt fest, dass auf die Produktionsunternehmen beispielsweise durch den digitalen Produktpass, die Regelungen zu den unverkauften Gütern und die produktspezifischen Regelungen Neues zukommt, dies jedoch zum Erreichen der Kreislaufwirtschaft notwendig ist. Gleichzeitig wird dadurch ein neuer Standard „Made in Europe“ etabliert. Des Weiteren werden Möglichkeiten für die Wirtschaft im Bereich des Designs, der Entsorgung und der Reparatur geschaffen.

3.5.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Kohärenz aller betroffenen Rechtsbereiche sichergestellt werden muss. Dazu zählt die Kohärenz im Rahmen dieses Aktionsplanes hinsichtlich Zeit und Inhalte, um die Wirksamkeit durch Segmentierung der Rechtsvorschriften und unterschiedlicher Handhabung in den Mitgliedstaaten nicht zu schmälern. Es gilt aber nicht minder, auf Kohärenz zu anderen wichtigen flankierenden Rechtsbereichen zu achten, wie die kürzlich präsentierte Richtlinie der Europäischen Kommission über Sorgfaltspflichten für Unternehmen, den für die Kreislaufführung wichtigen Abfallregelungen einschl. der Exportmaßnahmen, der Marktüberwachungsverordnung usw.

3.6.

Der EWSA anerkennt die Notwendigkeit, delegierte Rechtsakte zu erlassen, und, weil dadurch vieles noch unbestimmt ist, wird begleitend ein genauerer Arbeitsplan von der Europäischen Kommission eingefordert. Damit soll sichergestellt werden, dass viele Produkte von delegierten Rechtsakten umfasst sind; gleichzeitig sollen zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften frühzeitig miteingebunden werden.

3.7.

Der EWSA stellt fest, dass es sich bei der Ökodesign-Verordnung um eine sehr komplexe Gesetzesmaterie handelt, die eine Änderung des Wirtschaftsmodells mit sich bringen wird. Eine schnelle, aber auch gute Umsetzung der Inhalte wird als notwendig angesehen. Es braucht daher eine entsprechende Ressourcenausstattung beim Personal für die Umsetzung von delegierten Rechtsakten. Weil auch auf Verbraucher, Unternehmen, Reparaturbetriebe und Kontrollbehörden neue Anforderungen zukommen, wird es ebenso als notwendig erachtet, alle Wirtschaftsbeteiligten adäquat in den Informationsprozess einzubinden.

3.8.

Öffentliche Einrichtungen sollten in ihrem öffentlichen Vergabeprozess Vorreiter bei der ökologischen Beschaffung sein. Eine verstärkende Wirkung könnte aber auch dadurch erzielt werden, dass die ökologische Beschaffung bei Förderungen bzw. Subventionen, wie beispielsweise den verschiedenen Investitionsprogrammen der EU für Unternehmen oder Dritte, ebenfalls Bedingung in den Förderungsrichtlinien wird.

3.9.

Der EWSA hält fest, dass die Ökodesign-Vorgaben für Verbraucher von Vorteil sein sollten und dass dieser Vorteil klar und einfach zu erkennen sein sollte. Durch die umfassenderen Anforderungen der neuen Ökodesign-Verordnung können die Anschaffungskosten für die Produkte steigen, wobei Kosteneinsparungen durch bessere Leistung, Haltbarkeit, Nachrüstbarkeit und Reparierbarkeit sowie einen höheren Wert am Ende der Lebensdauer gegenüberstehen. Mittels energieeffizienterer Geräte können Energie und Geld gespart werden. Außerdem sind langlebige Produkte wirtschaftlicher. Mit dem neuen Richtlinienvorschlag könnten Konsumenten durchschnittlich 285 Euro pro Jahr sparen (2). In der Verordnung wird die Erschwinglichkeit betont, wobei diese Vorgabe die unterschiedlichen Haushaltsbudgets berücksichtigen soll, damit Ökodesign nicht exklusiv wird. Es ist daher umso wichtiger, den Verbrauchern finanzielle Unterstützung bei der Erstanschaffung und der Reparatur von nachhaltigen Produkten zur Verfügung zu stellen.

3.10.   Ökologische Aspekte

3.10.1.

Ökodesign ist Auftrag zum Kreislaufdenken, was seitens des EWSA besonders betont wird für

Rechtsetzung und Kontrollmaßnahmen: Abschwächungen bzw. Ausnahmen in den delegierten Rechtsakten bzw. bei der freiwilligen Selbstverpflichtung sowie Umgehungsmöglichkeiten, Schlupflöcher bei der Kontrolle würden den Zielvorgaben widersprechen. Die Ökodesign-, die Leistungs- und die Informationsanforderungen einschließlich der Produktparameter sollen auf forderndem Niveau konsistent sein.

Unternehmen, die bei der Konstruktion schon an die Umweltwirkung über den Lebenszyklus, eine lange Produktnutzung, einfache Wartung und Reparatur denken sollen bzw. welches Nachfolgeprodukt kann daraus entstehen. Auch sollten Produktstandardisierungen wieder ins Auge gefasst werden. Als Beispiele seien hier die unterschiedlichen Dimensionen bei Reifen oder bei Ladekabeln angeführt.

Verbraucher, die bei der Kaufentscheidung die wesentliche Information über Umweltauswirkung, Lebensdauer, Reparatur, Nachfolgenutzung, Entsorgung erhalten sollen.

3.10.2.

Recycling ist nach der langen Verwendung und dem Re-Use das nächste ressourcenschonende Element der Verordnung. Damit soll der Recyclinganteil in Produkten, die Recyclierbarkeit von Produkten und der Wert der Recycling- und Reparatursektoren erhöht werden. Der EWSA unterstützt die Zielrichtung, weist jedoch darauf hin, dass es hier noch einige technische, rechtliche und konzeptionelle Hürden zu überwinden gibt.

Das Denken im Materialkreislauf zeigt den enormen Umstellungsbedarf. Als Beispiel sei hier angeführt, dass höhere Recyclingraten mit Mindestrezyklateinsatzquoten zusammenpassen sollen oder die theoretische Recyclingfähigkeit (3) von Produkten mit der technischen Recyclingmöglichkeit und der praktischen Umsetzung der Recyclingmaßnahmen übereinstimmen soll oder etwa im Kunststoffbereich vieles einer Veränderung bei Gestaltung und Herstellung bedarf bis hin, dass Sekundärrohstoffe den Primärrohstoffen nicht gleichgestellt sind (4).

Recycling ist auch eine Chance für Europa: So werden bspw. hochwertige metallische Mineralien als Rohstoff oder Produkt importiert und dann nach Gebrauch wieder quasi „for free“ entsorgt oder in die Welt verschickt; dazu zählen insbesondere Autos und Elektronikschrott. Diese sollten als Wertstoffe betrachtet und auch so behandelt werden. Dismanteln, Aufbereiten, Recyceln kommt dem Klima zugute, schafft aber auch eine große Wertschöpfung, und Arbeitsplätze (5). Bei alle dem ist es auch entscheidend, die ökonomische, ökologische und soziale Balance im Auge zu behalten.

3.10.3.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, Maßnahmen gegen unverkaufte Waren zu setzen, wobei hier ambitionierter vorgegangen werden kann. Die Vernichtung von intakten Produkten, zu denen neue, retournierte oder reparierbare Produkte zählen, ist aus Sicht der Gesellschaft unerwünscht, weil es einer Ressourcenverschwendung entspricht. Der Vorschlag der Kommission, im ersten Schritt Unternehmen nur zur Dokumentation anzuhalten und KMU davon auszunehmen, geht dem EWSA nicht weit genug. Allein die Möglichkeit, stärkere Maßnahmen durch delegierte Rechtsakte zu erwirken, lässt an einer effektiven Zielverfolgung zweifeln. Der EWSA unterstützt ein Verbot der Vernichtung von unverkauften Produkten, sofern diese nicht gefährlich sind. Zudem sollen Unternehmen und Einzelhandelsplattformen aufgefordert werden, an Geschäftspraktiken zu arbeiten, welche die Zahl der zurückgegebenen Produkte und der unverkauften Bestände entscheidend verringert. Ebenso sollen Konsumenten in Bezug auf die Umweltwirkung der retournierten Waren sensibilisiert werden.

3.11.   Ökonomische Aspekte

3.11.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass der Verordnungsvorschlag aus Sicht der KMU prinzipiell zu begrüßen ist, jedoch auch mit Skepsis gesehen wird. Den KMU stehen nur gewisse (personelle) Ressourcen zur Verfügung. Insbesondere sollen die in der Verordnung genannten Unterstützungsmaßnahmen auf die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der KMU ausgerichtet sein. Darüber hinaus zeichnen sich für die geforderte öffentliche Beschaffung für KMU Schwierigkeiten beim Zugang ab. Daher soll nach Lösungen gesucht werden, dass diese an den entsprechenden Verfahren teilnehmen können. Letztendlich bedarf es aus Sicht der KMU einer Zusicherung der Komplementarität zwischen der nachhaltigen Produktverordnung und der produktspezifischen Regulierung. Dadurch soll eine Verdopplung der Kosten und des Bürokratieaufwandes vermieden werden.

3.11.2.

Reparaturakteure haben eine Schlüsselposition für das lange Leben des Produktes inne. Demzufolge sollte es Reparaturdienstleistern, sozialökonomischen Re-Use-Betrieben und zivilgesellschaftlichen/lokalen Reparaturinitiativen erleichtert werden, ihren Platz in diesem Kreislaufmodell einzunehmen. So hat es sich in Deutschland und Österreich für Reparaturinitiativen beispielsweise bewährt, eine Reparaturversicherung abzuschließen, welche sie gleichzeitig für die Reparatur legitimiert.

3.12.

Neue kreislauforientierte Geschäftsmodelle (6) werden in der Mitteilung als wichtiges Mittel angeführt. Diese müssen attraktiv, cool und initiativ für Unternehmen und Verbraucher sein und angemessene Arbeitsbedingungen sicherstellen. Es gibt schon in der Praxis diesbezügliche Modelle, so wie sharing economy, product-as-a-service, pay-per-use usw. Es wird seitens des EWSA angeregt, bestehende Best-Practice-Plattformen durch Anreize für die Nutzung und an die aktuellen Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft zu adaptieren. Als derzeit gelistete Beispiele seien das Baukarussell — Materialien bei Abbruch oder Umbau werden neuen Nutzern angeboten — oder Reparaturnetzwerke, über die Verbraucher und Reparateure zusammenfinden können, angeführt. Vielen Datenbanken mangelt es jedoch an Attraktivität für Anbieter und Nutzer.

3.13.

Der EWSA weist auf die Notwendigkeit hin, Verbraucher für nachhaltiges Handeln zu sensibilisieren und Produkte bis zum Ende der Lebensdauer zu nutzen. Wissenschaftliche Studien (7) zeigen, dass funktionsfähige, aber nicht mehr verwendete Produkte (z. B. Laptops, Handys, Toaster, usw.) bis zu sechs Jahre in Haushalten gehortet werden. Es braucht daher entsprechende Anreize für Verbraucher, um nicht mehr verwendete Artikel im Nutzungskreislauf zu halten.

3.14.   Soziale Aspekte

3.14.1.

Der EWSA muss leider zur Kenntnis nehmen, dass die soziale Dimension in der Verordnung nicht abgedeckt ist. Ein Verweis auf den Kommissionsvorschlag zur Richtlinie über die Sorgfaltspflichten der Unternehmen (8) erscheint nicht ausreichend, weil in dieser Richtlinie ein prozessorientierter Ansatz bezüglich globaler Wertschöpfungsketten eindeutig im Vordergrund steht und produktspezifische soziale Fragen nicht ausreichend abgedeckt werden könnten. Der EWSA verweist ausdrücklich darauf, dass unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit immer alle drei Dimensionen, nämlich wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit, gemeinsam behandelt werden müssen, und regt daher die Kommission dazu an, die Verordnung bezüglich der Sinnhaftigkeit der Einarbeitung auch produktspezifischer sozialer Aspekte noch einmal zu prüfen.

3.14.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass grüne Arbeitsplätze nicht automatisch nachhaltige Arbeitsplätze sind, wenn nicht alle Ziele der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development goals, SDG) berücksichtigt sind. Es muss besonders aus Wettbewerbsgründen sichergestellt werden, dass die Arbeitsstandards eingehalten werden.

3.14.3.

Ein Projekt der europäischen Sozialpartner (9) hat sich mit den Auswirkungen der Kreislaufwirtschaft auf die Beschäftigung und Arbeitsbedingungen befasst. Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft könnte zwischen 250 000 und 700 000 Arbeitsplätze bis 2030 schaffen. Die Auswirkungen je Sektor und Region sind sehr unterschiedlich. Abfall- und Reparatursektoren werden überdurchschnittlich profitieren, im Gegensatz dazu werden der Bergbau- und Chemiesektor eher negativ betroffen sein. Es werden auch gut gebildete Arbeitskräfte notwendig sein (z. B. Abfallwirtschaft). Generell ist darauf zu achten, dass gute Arbeitsplätze vorhanden sind und anständige Löhne gezahlt werden. Der EWSA bedauert, dass die Kommission derzeit keinen sozialen Dialog vorsieht, um die Konsequenzen für Arbeitnehmer zu berücksichtigen, welche der Übergang zur Kreislaufwirtschaft mit sich bringen wird.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Information in DPP, Etiketten und Umweltzeichen

4.1.1.

Der EWSA begrüßt den Zugang zu umfassenden Produktinformationen im digitalen Produktpass (DPP). Die Information sollte zielgerichtet und benutzerfreundlich für alle Akteure entlang der Lieferkette zugänglich sein. Der Inhalt soll für die Verbraucher die kreislauforientierte Entscheidungsgrundlage für Erwerb, Re-Use, Reparatur und Entsorgung sein. Dazu gehören der CO2-Gehalt des Produktes, der Anteil seltener Erden, gefährliche Inhaltsstoffe, nicht recycelbare Materialien, die Liste der reparierbaren Teile ebenso wie ihre Verfügbarkeit bzw. bei Software die Kompatibilität und die Kosten. Es wird die Möglichkeit begrüßt, Informationen über andere Nachhaltigkeitsaspekte in den DPP aufzunehmen (10). Hier wird angeregt, den DPP mit einem Reparaturindex, der Informationen über die Reparierbarkeit insbesondere der wichtigen Verschleißteile, den Preis der Ersatzteile und deren zeitliche Verfügbarkeit enthält, sowie Informationen über die Arbeitsbedingungen, unter denen die Produkte hergestellt wurden, zu ergänzen. Die wesentlichen Informationen sollten den Verbrauchern auch in physischer Form zur Verfügung gestellt werden, wie z. B. Garantie, CO2-Gehalt des Produktes.

Der DPP sollte für Unternehmen kein Instrument sein, welches zusätzliche Ressourcen (Datenerhebung) bindet, sondern bestehende Systeme einbinden. Aber die Anforderung, immer transparentere, aber gleichzeitig sensible Daten zur Verfügung zu stellen, kann auch eine Überprüfung der Kohärenz der Entscheidung über gewerbliche Schutzrechte erforderlich machen.

4.1.2.   Etiketten

Über Etiketten sollen den Verbrauchern die Produktinformationen, welche in den delegierten Rechtsakten noch festzulegen sind, vermittelt werden. Der EWSA betont die richtige, sichtbare und klare Informationsvermittlung an die Kunden, wobei Angaben zur Klimawirkung, Inhalt und Zusammensetzung, Einhaltung der Arbeitnehmerstandards, Haltbarkeit und Reparierbarkeit essentiell sind.

4.1.3.   Umweltzeichen

Viele Produkte und Dienstleistungen sind mit dem Europäischen Umweltzeichen durch ein Gutachten zertifiziert. Damit soll Umweltfreundlichkeit, Langlebigkeit und hohe Qualität für Verbraucher einfach zu erkennen sein und den Vergleich zu anderen Produkten und Dienstleistungen ermöglichen. Die Vorgaben für das Umweltzeichen können jedoch die Produktvorschriften auf Basis der Ökodesign-Verordnung höchstens ergänzen und nicht ersetzen, wobei die Kontrolle durch die Behörden nach der Ökodesign-Verordnung auch die Umweltzeichenangaben zu umfassen hat.

4.2.   Online-Marktplätze

Gleiche Bedingungen für alle Wirtschaftsteilnehmer sind wichtig, deswegen sollten insbesondere Haftungsbestimmungen für Online-Marktplätze gelten, wenn kein anderer Akteur in der Lieferkette Maßnahmen gegen ein nicht konformes Produkt ergreift (11).

4.3.

Die Marktüberwachung — Kontrolle, Verbote, Bußgelder — ist den Mitgliedstaaten übertragen, und die Veröffentlichung von Verstößen erfolgt im ICSMS (Information and Communication System for Market Surveillance), einem europäischen Melde- und Informationssystem für als nicht konform oder gefährlich befundene Produkte. Der Vorschlag, die Marktüberwachung auszuweiten und zu verbessern, wird unterstützt, denn 10–25 % der untersuchten Produkte entsprechen nicht der Ökodesign-Richtlinie (12). Damit die Mitgliedstaaten ihren Aufgaben nachkommen können, ist die Marktüberwachung mit entsprechenden Ressourcen auszustatten. Insbesondere in Bezug auf Verstöße müsste sichergestellt werden, dass eine Nichtkonformität von Produkten von den Marktüberwachungsbehörden angemessen weiterverfolgt wird. Leider gibt es immer wieder negative Beispiele dafür, dass die Konformitätsbewertung umgangen wird, wie z. B. jüngst bei den Corona-Schutzmasken. Stichprobenkontrollen seitens der Behörden sollen stets durchgeführt werden. Auch Verbraucherorganisationen sollen als kompetente Hinweisgeber für Verstöße eingebunden werden. Dies würde zeitlich schnell und effektiv in Ergänzung zur Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher wirksam werden. Eine effektive Marktüberwachung über alle Mitgliedstaaten hinweg bedarf in diesem Bereich einer sehr aktiven Rolle der Europäischen Kommission, damit für alle Unternehmen im europäischen Wirtschaftsraum gleiche Wettbewerbungsbedingungen durch eine gleich starke Kontrolle gelten. Ergänzend wird noch auf das Verbesserungspotenzial in der Handhabung und Information der ICSMS-Homepage hingewiesen.

4.4.

Das Ökodesign-Forum und eine Miteinbeziehung aller Interessenträger in diesem Prozess sind zu begrüßen, aber hier ist auf eine effektive Arbeitsweise zu achten und darauf, dass die Zuständigkeiten, die Kompetenzen und die Ressourcen für die genannten Aufgaben gegeben sind. So kann die Bewertung der Selbstregulierungsmaßnahmen beispielsweise eher nicht durch das Forum erfolgen; das ist eine Behördenaufgabe bzw. der Europäischen Kommission.

4.5.

Die Selbstregulierungsmaßnahme als alternatives Instrument zu einem delegierten Rechtsakt für eine Produktgruppe soll eine Ausnahme darstellen. Wenn diese zur Anwendung kommt, sollen ihre Anforderungskriterien hinsichtlich Klarheit, Marktabdeckung und Qualität nahe der delegierten Rechtsakte sein.

4.6.

Der EWSA möchte im Zusammenhang mit der vorliegenden Thematik ausdrücklich die Europäische Plattform der Interessenträger für die Kreislaufwirtschaft (13) nennen. Die im März 2017 vom EWSA und der Europäischen Kommission gemeinsam ins Leben gerufene Initiative unterstützt neue Partnerschaften und die Weiterentwicklung von Lösungsansätzen für die Kreislaufwirtschaft in ganz Europa. Damit soll auch zum Ausdruck gebracht werden, welchen wichtigen Beitrag die Kreislaufwirtschaft zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele leisten kann.

Brüssel, den 14. Juli 2022

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Circle Economy: The Circularity Gap Report 2022, Project Platform for Accelarating the Circular Economy (PACE).

(2)  https://ec.europa.eu/info/energy-climate-change-environment/standards-tools-and-labels/products-labelling-rules-and-requirements/energy-label-and-ecodesign/about_en#Energysavings.

(3)  Pomberger, R. (2020). „Über theoretische, praktische und reale Recyclingfähigkeit“, https://doi.org/10.1007/s00506-020-00721-5, https://doi.org/10.1007/s00506-019-00648-6.

(4)  Mitteilung „Eine europäische Strategie für Kunststoffe in der Kreislaufwirtschaft“, COM(2018) 28 final.

(5)  ABl. C 220 vom 9.6.2021, S. 118.

(6)  Vgl. INT/778 „Innovation als Impulsgeber für neue Geschäftsmodelle“ (Sondierungsstellungnahme), ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 28.

(7)  Öffentliche Anhörung, NAT/851, Vortrag Gudrun Obersteiner, 29. April 2022.

(8)  COM(2022) 71 final.

(9)  https://www.etuc.org/en/publication/european-social-partners-project-circular-economy-and-world-work-0.

(10)  COM(2022) 142 final — 2022/0095 (COD), S. 29, Punkt 26.

(11)  Anmerkung: INT/957 „Produktsicherheitsrichtlinie/Überarbeitung“, ABl. C 105 vom 4.3.2022, S. 99 — Hier werden bereits wichtige Aspekte zur Produktsicherheit angesprochen.

(12)  J. Bürger/G. Paulinger, Arbeiterkammer Wien (2022), https://emedien.arbeiterkammer.at/viewer/resolver?urn=urn:nbn:at:at-akw:g-5230098, S. 88.

(13)  https://circulareconomy.europa.eu/platform/.