12.1.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 15/81


P9_TA(2021)0243

Berichte 2019-2020 über die Türkei

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Mai 2021 zu den Berichten 2019–2020 der Kommission über die Türkei (2019/2176(INI))

(2022/C 15/08)

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 6. Oktober 2020 zur Erweiterungspolitik der EU (COM(2020)0660) und den dazugehörigen Bericht 2020 über die Türkei (SWD(2020)0355),

unter Hinweis auf den Verhandlungsrahmen für die Türkei vom 3. Oktober 2005 und auf die Tatsache, dass der Beitritt der Türkei zur EU wie bei allen Kandidatenländern von der vollständigen Einhaltung der Kopenhagener Kriterien abhängt, und unter Hinweis auf die Notwendigkeit, ihre Beziehungen zu allen Mitgliedstaaten der Union, einschließlich der Republik Zypern, zu normalisieren,

unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 29. Mai 2019 zur Erweiterungspolitik der EU (COM(2019)0260) und den dazugehörigen Bericht 2019 über die Türkei (SWD(2019)0220),

unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 5. Februar 2020 mit dem Titel „Stärkung des Beitrittsprozesses — Eine glaubwürdige EU-Perspektive für den westlichen Balkan“ (COM(2020)0057),

unter Hinweis auf die Erklärung der damaligen Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten vom 21. September 2005 im Anschluss an die Erklärung, die die Türkei bei deren Unterzeichnung des Abkommens von Ankara am 29. Juli 2005 abgegeben hat, das eine Bestimmung umfasst, die besagt, dass die Anerkennung aller Mitgliedstaaten notwendiger Bestandteil der Verhandlungen ist und unter Hinweis darauf, dass die Türkei die Normalisierung ihrer Beziehungen zu allen Mitgliedstaaten vorantreiben und das Zusatzprotokoll zum Abkommen von Ankara in Bezug auf alle Mitgliedstaaten vollständig umsetzen muss, indem sie alle Hindernisse für den freien Warenverkehr ohne Einschränkungen oder Diskriminierung beseitigt,

unter Hinweis auf Artikel 46 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in der sich die Vertragsparteien verpflichten, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu befolgen, und daher unter Hinweis auf die Verpflichtung der Türkei, alle Urteile der europäischen Gerichte umzusetzen, einschließlich derer des EGMR,

unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 26. Juni 2018 und vom 18. Juni 2019 zur Erweiterung sowie zum Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess, die Schlussfolgerungen des Rates vom 15. Juli und vom 14. Oktober 2019 zu den rechtswidrigen Bohrungen der Türkei im östlichen Mittelmeer, die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 12. Dezember 2019, vom 1.–2. und vom 15.–16. Oktober 2020, die Erklärung der EU-Außenminister vom 15. Mai 2020 und deren Videokonferenz vom 14. August 2020 zur Lage im östlichen Mittelmeer, das Ergebnis der informellen Zusammenkunft der EU-Außenminister in Gymnich vom 27.–28. August 2020 und sämtliche früheren einschlägigen Schlussfolgerungen des Rates und des Europäischen Rates,

unter Hinweis auf die Erklärung der UNESCO vom 10. Juli 2020 zur Hagia Sophia, Istanbul,

unter Hinweis auf die gemeinsame Mitteilung der Kommission und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik vom 22. März 2021 über den aktuellen Stand der politischen, wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Türkei (JOIN(2021)0008),

unter Hinweis auf den Bericht der Menschenrechtskommissarin des Europarats vom 19. Februar 2020 im Anschluss an ihren Besuch in der Türkei vom 1. bis 5. Juli 2019,

unter Hinweis auf die einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (UNSC) zu Zypern, insbesondere die Resolutionen 550 (1984) und 789 (1992),

unter Hinweis auf die Erklärung EU-Türkei vom 18. März 2016,

unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 30. April 2020 mit dem Titel „Vierter Jahresbericht über die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei“ (COM(2020)0162),

unter Hinweis auf die von Reporter ohne Grenzen herausgegebene Rangliste der Pressefreiheit 2020, in der die Türkei den 154. Platz unter 180 Staaten belegt, und auf den Länderbericht Türkei 2020 des Bertelsmann Transformationsindex,

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. April 2015 zum 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern (1),

unter Hinweis auf die Stellungnahmen der Venedig-Kommission des Europarats, insbesondere vom 10.–11. März 2017 zu den Änderungen der Verfassung, die am 21. Januar 2017 von der Großen Nationalversammlung verabschiedet wurden und die am 16. April 2017 Gegenstand eines landesweiten Referendums sein sollten, zu den Maßnahmen, die in den aktuellen Notstandsdekreten in Bezug auf die Freiheit der Medien und in Bezug auf die Pflichten, Zuständigkeiten und Arbeitsweise strafrechtlicher Friedensgerichte vorgesehen sind, vom 6.–7. Oktober 2017 zu den Bestimmungen des Notstandsdekrets Nr. 674 vom 1. September 2016 in Bezug auf die Ausübung der Demokratie auf lokaler Ebene in der Türkei, vom 9.–10. Dezember 2016 zu den Notstandsdekreten Nr. 667–676, die nach dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 verabschiedet wurden, und vom 14.–15. Oktober 2016 zur Aussetzung von Artikel 83 Absatz 2 der Verfassung (parlamentarische Unverletzlichkeit),

unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu der Türkei, insbesondere die Entschließungen vom 13. März 2019 zu dem Bericht 2018 der Kommission über die Türkei (2), vom 19. September 2019 zur Lage in der Türkei und insbesondere zur Absetzung gewählter Bürgermeister (3), vom 24. Oktober 2019 zum türkischen Militäreinsatz im Nordosten Syriens und seinen Folgen (4), vom 17. September 2020 zur Vorbereitung der Sondertagung des Europäischen Rates zu der gefährlichen Eskalation und der Rolle der Türkei im östlichen Mittelmeerraum (5), und vom 26. November 2020 zur Eskalation der Spannungen in Varosha nach dem rechtswidrigen Vorgehen der Türkei und zur dringend notwendigen Wiederaufnahme der Gespräche (6),

gestützt auf Artikel 54 seiner Geschäftsordnung,

unter Hinweis auf die Stellungnahme des Petitionsausschusses,

unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (A9-0153/2021),

A.

in der Erwägung, dass die Türkei seit 1964 (7) durch ein Assoziierungsabkommen mit der EU verbunden ist, und in der Erwägung, dass 1995 eine Zollunion gegründet wurde; in der Erwägung, dass der Europäische Rat der Türkei im Dezember 1999 den Status eines Beitrittskandidaten gewährte, und in der Erwägung, dass die Beitrittsverhandlungen 2005 aufgenommen wurden; in der Erwägung, dass die Türkei folglich seit 1999 vom ambitioniertesten und für beide Parteien anspruchsvollsten Beziehungsmodell profitiert, das die EU einem Land bieten kann, das Kandidatenstatus für eine EU-Mitgliedschaft hat; in der Erwägung, dass von der Türkei als Beitrittskandidat und als wichtiger Partner der EU erwartet wird, dass sie die Kopenhagener Kriterien respektiert und einhält und die höchsten Standards der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit einhält, einschließlich der Einhaltung internationaler Übereinkommen, denen die EU beigetreten ist; in der Erwägung, dass dies die Notwendigkeit voraussetzt, sich im Rahmen eines voranschreitenden Beitrittsprozesses spürbar zu den Reformen zu verpflichten, die in den verschiedenen eröffneten Kapiteln erforderlich sind, und daher die Notwendigkeit der schrittweisen Angleichung an den EU-Besitzstand und die Annäherung an die Werte, Interessen, Standards und Politiken der EU in allen Aspekten; in der Erwägung, dass Kandidatenländer wahllos gute nachbarschaftliche Beziehungen zur EU und ihren Mitgliedstaaten pflegen müssen; in der Erwägung, dass die Türkei als Kandidatenland im Rahmen des Beitrittsverfahrens eine Reihe wichtiger Reformen einleitete, weshalb es zeitweise Hoffnung gab, dass das Land Fortschritte in Richtung der EU-Mitgliedschaft machen könnte; in der Erwägung, dass das Beitrittsverfahren in all den Jahren von der EU sowohl politisch als auch finanziell stark unterstützt wurde;

B.

in der Erwägung, dass die Achtung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Völkerrechts, einschließlich insbesondere der Gewaltenteilung und der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, der Vereinigungsfreiheit und des friedlichen Protests, der Meinungsfreiheit, und der Rechte ethnischer Minderheiten und anderer Minderheiten und Gemeinschaften einen wesentlichen Bestandteil der guten Beziehungen zwischen der EU und der Türkei ausmachen;

C.

in der Erwägung, dass eine Analyse der Berichte der Kommission über die Türkei seit 2014, insbesondere der Berichte 2019 und 2020, zeigt, dass sich die türkische Regierung leider zunehmend und rasch von den Werten der EU und ihrem normativen Rahmen distanziert hat, entgegen den an Beitrittskandidaten gestellten Erwartungen, nicht nur durch innenpolitische demokratische Rückschritte, sondern auch durch aggressive außenpolitische Maßnahmen, einschließlich illegalen Handelns gegen EU-Mitgliedstaaten; stellt fest, dass die Türkei laut diesen Berichten die Empfehlungen der vorherigen Berichte nicht umgesetzt hat, was auf mangelndes Engagement seitens der Türkei hindeutet und ihren Beitrittswunsch fraglich erscheinen lässt; in der Erwägung, dass auch andere relevante internationale Organisationen wie der Europarat und internationale Menschenrechtsorganisationen die allgemeinen Rückschritte in der Türkei besorgt betrachten und kritisch bewerten; in der Erwägung, dass dies sich auch in der steigenden Anzahl von Fällen und kritischen Entscheidungen des EGMR widerspiegelt; in der Erwägung, dass diese Rückschritte scheinbar drei Hauptbereiche betreffen: den sich verschlechternden Bereich der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte, den des institutionellen Rahmens und zugehöriger Reformen und den der Außenpolitik, die immer stärker von Konflikten und militärischen Optionen anstatt von Dialog und Diplomatie geprägt ist; in der Erwägung, dass in allen drei Bereichen eine deutliche Abweichung von den Normen, politischen Strategien und Interessen der EU zu erkennen ist;

D.

in der Erwägung, dass das Parlament in seinem vorherigen Jahresbericht seine Besorgnis über die Entwicklungen in der Türkei und die gravierenden Rückschritte betonte und die Türkei aufforderte, jegliche Maßnahmen zu unterlassen, die die Hoheitsgewalt und die Hoheitsrechte der EU-Mitgliedstaaten verletzen würden, sowie Provokationen, die die Aussicht auf einen konstruktiven und ehrlichen Dialog beeinträchtigen würden, und forderte die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gemäß dem Verhandlungsrahmen förmlich auszusetzen; in der Erwägung, dass das Parlament weiterhin dem demokratischen und politischen Dialog mit der Türkei verpflichtet bleibt; in der Erwägung, dass das Parlament zu einer Zeit, als sich die türkische Regierung zu ernsthaften Reformen verpflichtet hatte, wiederholt die Eröffnung von Kapitel 23 über Justiz und Grundrechte und Kapitel 24 über Recht, Freiheit und Sicherheit gefordert hatte; in der Erwägung, dass das Parlament die Zahlung von Finanzmitteln an die Türkei im Rahmen des Heranführungsprozesses angesichts deren demokratischer Rückschritte und der Nichteinhaltung der Rechtsstaatlichkeit erheblich verringert hat; in der Erwägung, dass die Kommission darauf hingewiesen hat, dass die EU in Bezug auf finanzielle Mittel für Programme in der Türkei nun die Zivilgesellschaft und relevante Akteure, wie Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, nur noch mit dem bloßen Minimum unterstützt;

E.

in der Erwägung, dass der Europäische Rat trotz der prinzipientreuen Haltung des Parlaments und der aktuellen Entwicklungen der Türkei in seinen Schlussfolgerungen vom 1. und 2. Oktober 2020 eine erneuerte und umfassende positive Agenda angeboten hat, sofern die konstruktiven Bemühungen der Türkei um die Neubelebung der Beziehungen fortgesetzt werden und die rechtswidrigen Handlungen gegenüber Griechenland und Zypern ein Ende finden, gegenseitige Zugeständnisse gemacht werden, Spannungen verringert werden und aggressives Verhalten beendet wird; in der Erwägung, dass der Europäische Rat in denselben Schlussfolgerungen hervorgehoben hat, dass die EU im Falle erneuter einseitiger Maßnahmen oder Provokationen seitens der Türkei, die gegen das Völkerrecht verstoßen, alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente und Optionen nutzen wird, einschließlich gemäß Artikel 29 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 215 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, um ihre Interessen und die ihrer Mitgliedstaaten zu verteidigen und gegebenenfalls Entscheidungen zu treffen; in der Erwägung, dass die Türkei vor kurzem zugestimmt hat, die Sondierungsgespräche mit Griechenland wieder aufzunehmen, um die noch offenen Fragen zu behandeln, die die Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland und die Hoheitsrechte Griechenlands betreffen; in der Erwägung, dass dies ist eine positive Entwicklung ist, die den Beginn einer neuen Phase des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der EU und ihren Mitgliedstaaten kennzeichnen könnte; in der Erwägung, dass positivere Schritte und Initiativen und vor allem tatsächliches Handeln seitens der Türkei, die über Erklärungen hinausgehen, in hohem Maße zu einem erneuten Verständnis über die Zukunft der bilateralen Beziehungen beitragen würden; in der Erwägung, dass es unter diesen Umständen wichtig ist, die Vertrauensbildung und einen umfassenderen Betrachtungsbereich über die Zukunft der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU zu fördern und es mit diplomatischen Mitteln zu ermöglichen, die Hoffnungen und Erwartungen im Hinblick auf die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei zu erfüllen, jedoch unter Beibehaltung eines hohen Grades an Wachsamkeit und Dialog über die Lage der Menschenrechte in der Türkei;

Allgemeine Bewertung des Beitrittsprozesses

1.

stellt mit großer Sorge fest, dass die Regierung der Türkei, obwohl das Land ein Beitrittskandidat ist, in den letzten Jahren eine kontinuierliche und zunehmende Distanzierung von den Werten und Normen der EU verfolgt hat; stellt fest, dass darüber hinaus einseitige Maßnahmen im östlichen Mittelmeerraum sowie deutliche und bisweilen provokative, gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten gerichtete Aussagen die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei auf einen historischen Tiefpunkt gebracht haben, und sie sich so stark verschlechtert haben, dass beiden Seiten den derzeitigen Zustand dieser Beziehungen und ihren Rahmen gründlich überdenken müssen, um den Dialog im Rahmen des gegenseitigen Vertrauens und der Zusammenarbeit wiederherzustellen und die Grundursachen der gegenwärtigen Konflikte wirksam zu lösen;

2.

stellt fest, dass der mangelnde politische Wille der Türkei, die im Rahmen des Beitrittsprozesses erforderlichen Reformen durchzuführen, und ihr Versäumnis, die ernsthaften Bedenken der EU hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte zu zerstreuen, den Beitrittsprozess und seine Aussichten zutiefst und negativ beeinflusst und dazu geführt haben, dass die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei zunehmend transaktionaler und von Umständen angetrieben werden, die kaum mehr das ursprünglich beabsichtigte Format einer schrittweisen und progressiven Ausrichtung an vorgegebenen Indikatoren widerspiegeln; stellt fest, dass infolgedessen im Rahmen der Beitrittsverhandlungen nur 16 der 35 Kapitel eröffnet wurden und nur ein Kapitel vorläufig geschlossen wurde; betont daher, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei unter den derzeitigen Umständen effektiv und bedauerlicherweise zum Stillstand gekommen sind;

3.

ist zutiefst besorgt darüber, dass sich der mangelnde Fortschritt bei der Konvergenz der Türkei im Laufe der Jahre in eine vollständige Abwendung gewandelt hat, die durch dramatische Rückschritte in drei wichtigen Bereichen geprägt ist, und zwar: i) Rückschritte in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte, (ii) Verabschiedung rückschrittlicher institutioneller Reformen und (iii) Verfolgung einer konfrontativen und feindseligen Außenpolitik, einschließlich gegenüber der EU und ihren Mitgliedstaaten, insbesondere Griechenland und Zypern; ist zudem besorgt über die Tatsache, dass diese Regression zunehmend mit einem ausdrücklich und mitunter aggressiven gegen die EU gerichteten Narrativ einhergeht, das sich an den Aussagen hochrangiger Regierungsbeamter, einschließlich des Präsidenten, erkennen lässt und von den regierungsfreundlichen Medienkanälen des Landes verstärkt wird; fordert die Türkei in diesem Zusammenhang auf, die Aufrichtigkeit ihres Engagements für engere Beziehung und ihre Angleichung an die Europäischen Union und den Weg der EU neu zu bewerten und glaubhaft zu beweisen, da dies eine Grundvoraussetzung für die Realisierbarkeit des gesamten Beitrittsprozesses ist;

4.

betont, dass kein Anreiz, den die EU bieten könnte, den in der Türkei dringend erforderlichen politischen Willen ersetzen kann, um die Achtung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten in der Türkei zu gewährleisten und letztlich der EU beizutreten; weist darauf hin, dass der Beitrittsprozess ein auf Verdiensten basierender Prozess ist, der von objektiven Fortschritten und einem greifbaren Bekenntnis zu den Kopenhagener Kriterien, gutnachbarlichen Beziehungen zu den EU-Mitgliedstaaten und den Werten der EU abhängt; erkennt die anhaltende Strategie der Offenheit und des guten Willens an, die von der EU verfolgt wird und die sich in letzter Zeit in der erneuerten positiven Agenda niedergeschlagen hat, die der Europäische Rates im Oktober 2020 vorgelegt hat; erkennt ferner die anhaltenden diplomatischen Bemühungen der EU an, die darauf abzielen, die Fähigkeit eines echten und effektiven Dialogs mit der Türkei wieder zu beleben;

5.

erkennt an, dass das Ausbleiben von Ergebnissen in einem zunehmend stagnierenden Beitrittsprozess zu einer auf beiden Seiten spürbaren Ermüdung und zu einer zunehmenden Distanzierung und Missachtung der Ergebnisse des Verfahrens zur Überwachung der Fortschritte der Kommission und der Entschließungen des Parlaments durch die türkischen Behörden beigetragen hat; weist diesbezüglich darauf hin, dass der Rat zu einer Zeit, als sich die Regierung der Türkei zu ernsthaften Reformen verpflichte hatte (diese jedoch nie durchführte) und eindeutige Indikatoren verwenden könnte, immer wieder die Eröffnung von Kapitel 23 über Justiz und Grundrechte und Kapitel 24 über Recht, Freiheit und Sicherheit verhindert hatte; unterstreicht jedoch, dass die Blockade des Rates keine Entschuldigung für die Rückschritte der letzten Jahre sein kann; ist der Ansicht, dass der Beitrittsprozess zum Selbstzweck geworden ist;

6.

bedauert, dass sich die Lage seit dem letzten Bericht des Parlaments keinesfalls verbessert, sondern im Hinblick auf die Innen-, Institutionen- und Außenpolitik eher weiter verschlechtert hat; besteht nachdrücklich darauf, dass die Kommission, wenn der gegenwärtige negative Trend nicht dringlich und konsequent umgekehrt wird, im Einklang mit dem Verhandlungsrahmen vom Oktober 2005 die Empfehlung aussprechen sollte, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei formell auszusetzen, damit beide Seiten realistisch und mittels eine strukturierten und umfassenden Dialogs auf hoher Ebene prüfen können, ob der derzeitige Rahmen geeignet und funktionsfähig ist, und erforderlichenfalls neue Modelle für die künftigen Beziehungen ausloten können; erkennt an, dass die Verhandlungen auf jeden Fall auf eine gutgläubige Art und Weise geführt werden und nicht aus rein kulturalistischen oder religiösen Motiven behindert oder beendet werden sollten;

7.

bedauert die derzeitige Uneinigkeit zwischen der EU und der Türkei, bekräftigt jedoch seine feste Überzeugung, dass die Türkei ein Land von strategischer, wirtschaftlicher und außenpolitischer Bedeutung ist, ein Partner, der für die Stabilität der gesamten Region von entscheidender Bedeutung ist, und ein Verbündeter, mit dem die EU die bestmöglichen Beziehungen, auch innerhalb der NATO und im Hinblick auf die Schaffung eines stabilen und sicheren Umfelds im östlichen Mittelmeerraum, auf der Grundlage eines guten Dialogs, eines guten Engagements, des Respekts und des gegenseitigen Vertrauens pflegen möchte; bekräftigt sein Interesse an einer strategischen Ausrichtung und konstruktiven Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Interessen in Bereichen wie der Außenpolitik und der Sicherheit, der Wirtschaft, dem Handel, der Migration, dem Klimawandel und der Digitalisierung; ist enttäuscht, dass all diese Aussichten auf eine positive Beziehung durch die aktuelle Politik der Führung der Türkei zunichte gemacht werden, unter anderem durch die destabilisierende Haltung der Türkei in der Region und ihre einseitigen Maßnahmen unter Missachtung des Völkerrechts;

8.

bekundet seinen Willen, das Wissen übereinander und das gegenseitige Verständnis zwischen den Gesellschaften der Türkei und der EU-Mitgliedstaaten zu stärken und zu vertiefen, das kulturelle Wachstum und den soziokulturellen Austausch zu fördern und sämtliche Ausprägungen einer sozialen, religiösen, ethnischen oder kulturellen Voreingenommenheit und Intoleranz zu bekämpfen; bekräftigt nachdrücklich, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten in erster Linie Freunde und Partner der Türkei und der türkischen Bevölkerung sind, mit denen die EU tiefe handelspolitische, kulturelle und historische Bindungen unterhält; bekundet seine unverbrüchliche Entschlossenheit, die unabhängige Zivilgesellschaft der Türkei auch in der Zukunft unter allen Umständen und unabhängig vom künftigen Rahmen für die Beziehungen zu unterstützen; glaubt jedoch, dass der Beitrittsprozess nach wie vor das mächtigste Instrument ist, um normativen Druck auf den konstruktiven Dialog mit der Regierung der Türkei auszuüben, und dass er auch der beste Rahmen ist, um die demokratischen und pro-europäischen Bestrebungen der türkischen Gesellschaft aufrechtzuerhalten und die Konvergenz mit der EU und ihren Mitgliedstaaten hinsichtlich Politiken und Normen zu fördern, einschließlich der Grundrechte und der demokratischen Werte; hebt hervor, dass eine rein transaktionale Beziehung kaum zu Fortschritten der Türkei hin zu einem demokratischeren Modell führen wird, und letzteres einen politischen Willen auf höchster politischer Ebene erfordert;

9.

betont in diesem Zusammenhang, wie wichtig es ist, parallel zur Fähigkeit zum Dialog auf institutioneller Ebene enge funktionierende Verbindungen mit der türkischen Gesellschaft sicherzustellen; fordert die Kommission und den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) daher nachdrücklich auf, der dynamischen Zivilgesellschaft in der Türkei und ihren Demokratiebemühungen Priorität einzuräumen, und die türkischen Organisationen der Zivilgesellschaft weiterhin durch entsprechende Finanzinstrumente, einschließlich des Instruments für Heranführungshilfe (IPA), zu unterstützen, da diese Organisationen dazu beitragen könnten, den politischen Willen zu erzeugen, der für den Aufbau einer soliden Grundlage für den EU-Integrationsprozess erforderlich ist; bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Forderung, dass die IPA-Finanzierung für politische Reformen in der Türkei von der EU verwaltet wird und sich weiterhin auf die Förderung des Dialogs und die Unterstützung der Zivilgesellschaft, der nichtstaatlichen Akteure und der Kontakte zwischen den Menschen konzentriert, solange das Land in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte keine Fortschritte macht; regt einen neuen, direkten und konstruktiven Dialogmechanismus mit der türkischen Zivilgesellschaft zur gegenseitigen Vertrauensbildung und zur Unterstützung der demokratischen und pro-europäischen Bestrebungen der türkischen Gesellschaft an, zur Unterstützung des Austauschs, insbesondere bei der Demokratisierung, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, verantwortungsvoller Staatsführung, nachhaltiger Entwicklung und der grünen und digitalen Transformation, wobei für effektive Ergebnisse auf eine adäquate EU-Finanzierung vertraut werden soll; fordert die Kommission und den EAD auf, die jungen Menschen in der Türkei weiterhin durch einschlägige Finanzierungsinstrumente und durch die Ausweitung der Teilnahme am Erasmus+-Programm und den Jean-Monnet-Stipendien zu unterstützen, um inter alia die Forschungszusammenarbeit und den gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel, den Umweltschutz und die Stärkung der Rolle der Frauen in Gesellschaft und Wirtschaft zu unterstützen;

Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte

10.

ist zutiefst besorgt über die schwerwiegenden Rückschritte bei den Grundfreiheiten, die die bedrückende Lage der Menschenrechte in der Türkei und die anhaltende Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit deutlich machen, was einen Verstoß gegen die Kopenhagener Kriterien darstellt;

11.

glaubt, dass der entscheidende Bereich der Grundrechte und -freiheiten, der im Mittelpunkt des Beitrittsprozesses steht, nicht von den allgemeinen Beziehungen getrennt und isoliert werden kann und dass er das Haupthindernis für Fortschritte bei jeder positiven Agenda bleibt, die der Türkei angeboten werden könnte, die auch von der uneingeschränkten Einhaltung des Völkerrechts und des Grundsatzes gutnachbarlicher Beziehungen und der regionalen Zusammenarbeit abhängig sein sollte;

12.

betont, dass die Verschlechterung der Grundfreiheiten in der Türkei bereits vor dem infolge des Putschversuchs von 2016 verhängten Ausnahmezustands eingesetzt hat, dessen scharfe Verurteilung es bekräftigt; ist der Ansicht, dass unter außerordentlichen Umständen, wie etwa einem Putschversuch, außergewöhnliche Maßnahmen gerechtfertigt werden können, dass diese jedoch verhältnismäßig und zeitlich und vom Umfang her begrenzt bleiben müssen; stellt mit tiefer Besorgnis fest, dass trotz der formellen Aufhebung dieses Ausnahmezustands im Juli 2018 eine Vielzahl der gesetzlichen Bestimmungen und restriktiven Elemente des Ausnahmezustands in die Gesetzgebung übernommen wurden, und dass daher die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf Demokratie und Grundrechte, trotz der Tatsache, dass die existentielle Bedrohung bereits seit langem und glücklicherweise verschwunden ist, nach wie vor deutlich spürbar sind;

13.

bedauert zutiefst, dass sich diese repressive Form der Machtausübung nun in eine vorsätzliche, unnachgiebige und systematische staatliche Politik gewandelt hat, die sich auf sämtliche kritischen Aktivitäten wie etwa das friedliche politische Engagement für Themen, die die kurdische und alevitische Bevölkerung betreffen, friedliche Proteste und Demonstrationen, die von ehemaligen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und Frauen- und LGBT-Rechtsaktivisten sowie von Opfern des Ausnahmezustands abgehalten werden, oder auch auf Ereignisse wie beispielsweise die Proteste im Gezi-Park erstreckt, die vor dem Putschversuch stattgefunden haben;

14.

bedauert, dass die aktuellen, zu weit gefassten Bestimmungen zur Terrorismusbekämpfung und der Missbrauch der Antiterrormaßnahmen zum Fundament dieser staatlichen Politik der Unterdrückung der Menschenrechte und jeglicher kritischen Stimme im Land geworden sind, unter der komplizenhaften Mitwirkung einer Justiz, die unfähig oder nicht willens ist, jeglichen Missbrauch der verfassungsmäßigen Ordnung einzudämmen; bedauert, dass dieser weit gefasste Terrorismusbegriff es ermöglicht, das Grundprinzip der individuellen Verantwortung durch generische, kollektive Anschuldigungen zu umgehen; stellt mit großer Sorge fest, dass weiterhin massenhaft Personen, darunter Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und politische Gegner, aufgrund terroristischer Anschuldigungen, insbesondere wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, basierend auf spärlichen Beweisen verurteilt oder in Untersuchungshaft genommen wurden; erklärt sich zutiefst besorgt darüber, dass die türkischen Behörden entsprechend der Erklärung anlässlich der Verabschiedung des Universal Periodic Reviews keine weitere Überarbeitung des Anti-Terror-Gesetzes planen; fordert die Türkei daher nachdrücklich auf, ihre Anti-Terror-Gesetzgebung an internationale Standards anzugleichen, um einen wirksamen Schutz der Grundrechte und -freiheiten sowie die Verhältnismäßigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz zu gewährleisten; erkennt an, dass die Türkei legitime Sicherheitsbedenken hat sowie das Recht, den Terrorismus zu bekämpfen; betont jedoch, dass dies unter vollständiger Achtung der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten geschehen muss; bekräftigt seine entschiedene und unmissverständliche Verurteilung der gewalttätigen Terroranschläge, die von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die seit 2002 auf der EU-Liste terroristischer Organisationen steht, verübt wurden; spricht der türkischen Öffentlichkeit und insbesondere den Familien der 13 türkischen Bürgerinnen und Bürger, die beim Terroranschlag im irakischen Gara im Februar 2021 getötet wurden, sein aufrichtiges Beileid aus;

15.

bedauert zutiefst, dass zahlreiche Notstandsbeschränkungen in die Bestimmungen und Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung der Türkei mitaufgenommen wurden und sich somit weiterhin negativ auf die Menschenrechte und Grundfreiheiten auswirken, etwa durch den Fortbestand der Einschränkung von Verfahrensgarantien, die Verlängerung der Untersuchungshaft und die bestehende Möglichkeit der Entlassung von Staatsbediensteten wegen angeblicher Verbindungen zu terroristischen Organisationen;

16.

ist außerordentlich besorgt darüber, dass sich die als „Graue Wölfe“ bekannte rassistische und rechtsextremistische Ülkücü-Bewegung’ die enge Verbindungen zu der zur Regierungskoalition gehörenden Partei MHP (Milliyetçi Hareket Partisi — Partei der Nationalistischen Bewegung) unterhält, in der Türkei selbst und auch in EU Mitgliedstaaten ausbreitet; fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Möglichkeit auszuloten, die „grauen Wölfe“ auf die EU-Terroristenliste zu setzen, ihre Vereinigungen und Organisationen in EU-Ländern zu verbieten, ihre Aktivitäten genau zu überwachen und gegen ihren Einfluss anzukämpfen, der vor allem für Menschen mit kurdischem, armenischem oder griechischem Hintergrund sowie für jeden, den sie als Gegner ansehen, eine Bedrohung darstellt;

17.

ist der Ansicht, dass die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und der systemische Mangel an Unabhängigkeit der Justiz nach wie vor die zwei dringlichsten und besorgniserregendsten Probleme darstellen; verurteilt die zunehmende Kontrolle durch die Exekutive und den politischen Druck, durch den die Tätigkeit von Richtern, Staatsanwälten, Rechtsbeiständen und Anwaltskammern beeinträchtigt wird; ist zutiefst besorgt über die sich verschärfenden strukturellen Probleme, die die mangelnde institutionelle Unabhängigkeit der Justiz zugunsten der Exekutive mit sich bringt; weist darauf hin, dass die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz in Verbindung mit der abschreckenden Wirkung der von der Regierung in den vergangenen Jahren vorgenommenen Massenentlassungen eine ernsthafte Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit darstellt und die Fähigkeit der Justiz insgesamt untergräbt, einen wirksamen Rechtsbehelf bei Menschenrechtsverletzungen, die durch im Rahmen des Ausnahmezustands getroffene Maßnahmen oder allgemein verursacht werden, zu ermöglichen; stellt mit Bedauern, dass die Justizreformstrategie und die drei darauf folgenden Gesetzespakete in diesem Zusammenhang nicht ausreichen werden, um die genannten Ziele zu erreichen, insbesondere wenn sie sich nicht in tatsächlichen Veränderungen im Verhalten der Staatsanwälte niederschlagen und wenn Gerichtsbeschlüsse weiterhin gegen internationale Standards verstoßen; betont, dass es dringend einer grundlegenden Reform der Legislative und der Judikative bedarf, um den Zugang zur Justiz zu verbessern, ihre Wirksamkeit zu erhöhen und dem Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist besser gerecht zu werden;

18.

verurteilt die Entlassung, die großangelegte Versetzung und die erzwungene Absetzung von etwa 30 % der türkischen Richter und Staatsanwälte, was zu einem besorgniserregenden Ausmaß an Einschüchterung, Selbstzensur und einer Verschlechterung der allgemeinen Qualität der Gerichtsentscheidungen führt; weist darauf hin, dass alle Entlassungen und Ernennungen innerhalb der Justiz einer besonders strengen Prüfung unterzogen werden sollten, dass es der Exekutive untersagt sein sollte, sich in die Judikative einzumischen oder Einfluss auf diese zu nehmen, und dass bei der Ernennung von Richtern die Grundsätze der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beachtet werden sollten; bedauert zutiefst, dass sich die Türkei anlässlich der Verabschiedung der Ergebnisse der Universal Periodic Review im Oktober 2020 geweigert hat, die Empfehlungen zur Vornahme einer Verfassungsänderung anzunehmen, welche die Unabhängigkeit des Rats der Richter und Staatsanwälte (Hâkimler ve Savcılar Kurulu — HSK) gegenüber der Exekutive herstellt; fordert, die Mängel in der Struktur und im Verfahren zur Auswahl der Mitglieder dieses Rates zu beheben, um seine Unabhängigkeit zu gewährleisten und den willkürlichen Entscheidungen dieses Gremiums ein Ende zu setzen;

19.

ist zutiefst besorgt über die Situation der Rechtsanwälte in der Türkei, da im Laufe der letzten paar Jahre Hunderte von ihnen im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit und dem Vertreten ihrer Mandanten drangsaliert, verhaftet, strafrechtlich verfolgt und verurteilt wurden (und dies bis heute noch geschieht); teilt die Bedenken, die in der Stellungnahme der Venedig-Kommission, die im Oktober 2020 zu den Änderungen des Gesetzes über Rechtsanwälte von 1969 vom Juli 2020 verabschiedet wurde, insbesondere zur Gründung mehrerer Anwaltskammern in derselben Stadt, hervorgehoben wurden; betont, dass dies zu einer weiteren Politisierung des Rechtsanwaltsberufs führen wird, was zu einer Unvereinbarkeit mit dem Unparteilichkeitsgebot des Rechtsanwaltsberufs führt und die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte gefährdet; ist der Ansicht, dass diese Rechtsreform einen weiteren Schlag für das Funktionieren der Justiz darstellen könnte, sowie einen Versuch, die bestehenden Anwaltskammern zu entmachten und die verbliebenen kritischen Stimmen auszumerzen; fordert die türkischen Behörden nachdrücklich auf, die Unabhängigkeit der Anwälte zu respektieren und ihnen zu erlauben, ihre Arbeit im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards frei auszuüben; fordert die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Anwälte, die allein wegen der Ausübung des Anwaltsberufs inhaftiert sind;

20.

bedauert den Tod der Anwältin Ebru Timtik nach 238 Tagen Hungerstreik im Kampf für einen fairen Prozesses nach ihrer Verurteilung wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der eintrat während ihre Berufung vor dem Kassationsgerichtshofs anhängig war; erinnert daran, dass sie — nach dem Tod von Helin Bölek und İbrahim Gökçek, zweier Musiker der Band Grup Yorum, sowie von Mustafa Koçak — die vierte Gefangene ist, die in 2020 infolge eines Hungerstreiks im Kampf um einen fairen Prozesses verstorben ist; erwartet, dass der laufende Prozess gegen drei Polizeibeamte, die der Tötung des kurdischen Menschenrechtsanwalts Tahir Elçi angeklagt sind, endlich die Umstände seines Todes vollständig aufdeckt und für Gerechtigkeit in seinem Fall sorgt;

21.

ist zutiefst besorgt darüber, dass die türkische Justiz und die Regierung der Türkei die EGMR-Urteile missachten und dass sich untergeordnete Gerichte immer weniger an die Entscheidungen des Verfassungsgerichts halten; erkennt an, dass es Fälle gegeben hat, in denen die türkische Justiz nach einer Entscheidung des EGMR Neuverhandlungen für Gefangene durchgeführt hat; Stellt mit Bedauern fest, dass diese Neuverhandlungen häufig nicht den international anerkannten Standards für ein faires Verfahren entsprechen, wie im Falle von İlhan Sami Çomak; fordert die Türkei auf, die uneingeschränkte Achtung der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Einhaltung der einschlägigen Urteile und Beschlüsse des EGMR zu gewährleisten sowie zur Förderung der Rechtstaatlichkeit, der Demokratie und der Grundrechte mit dem Europarat zu kooperieren; hofft, dass der EGMR in der Lage sein wird, die zahlreichen türkischen Fälle, die vor seinem Gericht anhängig sind, vorrangig zu behandeln und die Urteilsverkündung zu beschleunigen, einschließlich des Falls der Journalistin Hanım Büşra Erdal; begrüßt das jüngste Urteil des EGMR im Fall des prominenten Schriftstellers Ahmet Altan, das seit 2017 anhängig war und in dem unter anderem festgestellt wurde, dass seine Rechte auf Freiheit und Sicherheit sowie auf freie Meinungsäußerung verletzt wurden; begrüßt seine anschließende Freilassung aus dem Gefängnis, nachdem der türkische Kassationsgerichtshof das Urteil gegen ihn aufgehoben hat, und fordert die zuständigen staatlichen Stellen der Türkei erneut auf, alle anderen Urteile des EGMR zügig umzusetzen; stellt fest, dass die türkische Justiz auch Entscheidungen missbilligt, die von UN-Mechanismen wie dem UN-Menschenrechtsausschuss und der Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen verabschiedet wurden;

22.

bedauert die Haftbedingungen von Fabien Azoulay, einem französischen Staatsangehörigen, der in der Türkei festgenommen und verurteilt wurde und seit mehr als vier Jahren in Haft gehalten wird, zuletzt im Gefängnis von Giresun, wo er körperlicher Gewalt und wiederholter Misshandlung ausgesetzt ist, sowie die Versuche, ihn zum Übertritt zum Islam zu zwingen; verurteilt aufs Schärfste die homophoben und antisemitischen Motive, die seiner wiederholten Misshandlung zugrundeliegen; fordert die staatlichen Stellen der Türkei nachdrücklich auf, unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um seinen Schutz und seine Überstellung in sein Heimatland sicherzustellen;

23.

bedauert, dass es keine wirksamen Abhilfen für die Massenentlassungen gibt, von denen viele Menschen betroffen sind, darunter mehr als 152 000 Beamte, u. a. Lehrer, Ärzte, Akademiker, Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte, die entlassen und dauerhaft von der Arbeit im öffentlichen Sektor oder sogar in ihrem gesamten Beruf ausgeschlossen wurden; betont, dass viele dieser Entlassungen nach wie vor verheerende Auswirkungen auf die Betroffenen und ihre Angehörigen haben, unter anderem aufgrund der dauerhaften sozialen und beruflichen Stigmatisierung; hat starke Zweifel am wirksamen Funktionieren der Untersuchungskommission über den Ausnahmezustand (CoSEM) als interner Rechtsbehelf, aufgrund deren mangelnder Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Effizienz; stellt fest, dass willkürliche Passannullierungen trotz einiger inkrementeller Verbesserungen weiterhin eine erhebliche ungerechtfertigte Einschränkung der Freizügigkeit der betroffenen Personen bleiben; fordert die türkischen Behörden auf, die Verteidigungsrechte der von diesen Entlassungen betroffenen Personen zu respektieren und ein Überprüfungsverfahren im Einklang mit internationalen Standards zu gewährleisten;

24.

ist entsetzt über die Äußerungen von Spitzenvertretern der Exekutive und der Regierungskoalition zur möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe, die die Türkei 2004 abgeschafft hat; warnt davor, dass ein solcher bedauerlicher Schritt nicht nur gegen die bestehenden internationalen Verpflichtungen der Türkei verstoßen würde, sondern auch mit dem EU-Beitrittsprozess unvereinbar wäre;

25.

bekräftigt die Bedeutung der Freiheit und Unabhängigkeit der Medien als zentrale Werte der EU und als Eckpfeiler einer jeden Demokratie; bringt seine große Besorgnis über die unverhältnismäßigen und willkürlichen Maßnahmen zum Ausdruck, die die Meinungsfreiheit, die Medienfreiheit und den Zugang zu Informationen in der Türkei einschränken, wo Anti-Terror-Gesetze häufig missbraucht werden, um Kritiker mundtot zu machen, mittels eines paralysierenden Mangels an Pluralismus in den Medien; fordert die Türkei nachdrücklich auf, der Gewährleistung von Medienfreiheit und Meinungsfreiheit auf Social-Media-Plattformen Priorität einzuräumen, unter anderem durch die Reform des Artikels 299 des Strafgesetzbuches (über die Beleidigung des Präsidenten), der ständig zur Verfolgung von Schriftstellern, Reportern, Kolumnisten und Redakteuren missbraucht wird, und unverzüglich alle rechtswidrig inhaftierten Journalisten, Schriftsteller, Medienmitarbeiter und Nutzer sozialer Medien freizulassen und freizusprechen, die lediglich ihren Beruf und ihre Bürgerrechte ausüben; stellt fest, dass, auch wenn die Zahl der inhaftierten Journalisten im letzten Jahr von 160 auf über 70 zurückgegangen ist, diese Zahl nach wie vor sehr hoch ist und weiterhin Anlass zu großer Sorge gibt, und dass Menschen zu oft aus substanzlosen Gründen inhaftiert werden; fordert die türkischen Staatsorgane auf, physische und verbale Übergriffe oder Drohungen gegenüber Journalisten in keinem Fall zu tolerieren, und den willkürlich verbotenen Medien zu erlauben, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen; ist zutiefst besorgt über die Entscheidung des Bezirksgerichts Istanbuls vom 20. Oktober 2020, den vorherigen Freispruch zu kippen und die Fälle des türkischen Vertreters von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoğlu, des Menschenrechtsverteidigers Şebnem Korur Fincancı und des Schriftstellers und Journalisten Ahmet Nesin neu zu verhandeln, denen verschiedene Verbrechen vorgeworfen werden, u. a. Teilnahme an einer Solidaritätskampagne mit einer Zeitung, einschließlich der Verbreitung von terroristischer Propaganda, wofür ihnen bis zu 14,5 Jahre Haft drohen;

26.

ist zutiefst besorgt über die negativen Auswirkungen, die das Gesetz über die „Regelung von Internetveröffentlichungen und die Bekämpfung von durch diese Veröffentlichungen begangenen Straftaten“ vom Juli 2020 auf die Meinungsfreiheit haben wird, da das Anbietern sozialer Medien neue drakonische Verpflichtungen auferlegt, der Regierung weitreichende Befugnisse zur Zensur von Online-Inhalten einräumt und weitere Gründe zur Verfolgung von Nutzern sozialer Medien liefert; nimmt die Aufhebung des Verbots von Wikipedia zur Kenntnis, betont aber, dass über 400 000 Webseiten weiterhin gesperrt und mehrere Einschränkungen für die Nutzung sozialer Medien weiterhin in Kraft sind;

27.

ist zutiefst besorgt über die mangelnde Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von öffentlichen Einrichtungen wie dem Obersten Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK) und der staatlichen Werbeagentur (BİK), die als Instrument benutzt werden, um als regierungskritisch geltende Medien willkürlich auszusetzen, zu verbieten, mit Geldstrafen zu belegen oder durch die Auferlegung finanzieller Bürden in ihrer Arbeit zu behindern, was ihr eine fast vollständige Kontrolle der Massenmedien ermöglicht; bedauert die Streichung von mehr als 700 Presseausweisen durch die Präsidialdirektion für Kommunikation im Jahr 2019 und die Schwierigkeiten, auf die lokale und internationale Journalisten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit stoßen;

28.

begrüßt die Tatsache, dass es in der Türkei trotz der massiven politischen Unterdrückung eine dynamische, diverse, engagierte und heterogene Zivilgesellschaft gibt, da diese eine der letzten Instanzen für die Kontrolle der türkischen Regierung darstellt und das Potenzial hat, das Land bei der Bewältigung seiner tiefgreifenden politischen und sozialen Herausforderungen zu unterstützen; ist zutiefst besorgt über die weitere Beeinträchtigung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und verurteilt die willkürliche Schließung zivilgesellschaftlicher Organisationen, einschließlich prominenter nichtstaatlicher Menschenrechtsorganisationen und Medien; verurteilt in diesem Zusammenhang das neue Gesetz zur Verhinderung der Finanzierung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vom Dezember 2020, das dem türkischen Innenministerium und dem Präsidenten weitreichende Befugnisse zur Beschränkung der Tätigkeiten von Nichtregierungsorganisationen, Geschäftspartnerschaften, unabhängigen Gruppen und Vereinigungen einräumt und offenbar darauf abzielt, die Zivilgesellschaft weiter zu begrenzen, einzuschränken und zu kontrollieren; unterstützt nachhaltig den Aufruf mehrerer Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen an die Regierung der Türkei, diese Gesetzgebung zu überprüfen, um die Einhaltung der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen der Türkei zu gewährleisten; fordert die Türkei auf, kritische oder abweichende Stimmen, einschließlich Menschenrechtsverteidiger, Akademiker und Journalisten, als wertvollen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog und nicht als destabilisierende Kräfte zu betrachten;

29.

bedauert die massive Verschlechterung der akademischen Freiheit in der Türkei, insbesondere die kontinuierlichen Verletzungen der Rechte der Akademiker für den Frieden trotz des Urteils des Verfassungsgerichts vom Juli 2019 sowie die Änderungen des türkischen Hochschulratsgesetzes, die zusätzliche restriktive Maßnahmen einführen;

30.

verurteilt die gewaltsame Unterdrückung durch die türkischen Behörden der Proteste gegen die Berufung des Rektors der Universität Boğaziçi durch die Regierung; ist entsetzt über die Massenverhaftungen von Studenten, die übermäßige Polizeigewalt bei friedlichen Demonstrationen, die Entscheidung des Gouverneurs von Istanbul, selektiv alle Arten von Versammlungen oder Demonstrationen in der Umgebung der Universität zu verbieten, die Darstellung von Demonstranten — das heißt Studenten, Alumni und Akademiker — als Terroristen und die Angriffe gegen LGBTI-Gruppen; fordert die Türkei auf, Anklagen gegen die Personen fallen zu lassen und freizulassen, die willkürlich inhaftiert wurden, weil sie ihr Recht auf friedliche Versammlung ausübten;

31.

fordert die Türkei nachdrücklich auf, von der Inhaftierung und strafrechtlichen Verfolgung von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, mit dem Ziel sie einzuschüchtern oder davon abzuhalten, frei über Menschenrechtsfragen zu berichten, abzusehen; fordert die Türkei nachdrücklich auf, gemeldete Fälle von Einschüchterung und Drangsalierung von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Akademikern und Aktivisten der Zivilgesellschaft unverzüglich und unabhängig zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen;

32.

ist zutiefst besorgt über die anhaltenden Übergriffe und den Druck auf die Oppositionsparteien in der Türkei, einschließlich der Verurteilung von Mitgliedern der Opposition, oder den Missbrauch finanzieller Mittel und administrativer Kompetenzen des Staates durch die amtierende Regierung, wodurch das ordnungsgemäße Funktionieren eines demokratischen Systems untergraben wird; fordert die wichtigsten türkischen Parteien auf, ihre demokratischen und parlamentarischen Bemühungen zur Förderung des europäischen Weges für die Türkei im Rahmen der Gesetze und der Verfassung der Türkei fortzusetzen;

33.

nimmt mit großer Besorgnis zur Kenntnis, wie im Besonderen die Demokratische Partei der Völker (HDP) und ihre Jugendorganisationen immer wieder von den türkischen Behörden ins Visier genommen werden; verurteilt aus Schärfste die Anklageerhebung des Staatsanwalt des türkischen Kassationsgerichtshofs beim Verfassungsgericht mit dem Ziel der Auflösung der HDP und des politischen Verbots von über 600 HDP-Mitliedern; betont, dass dies nicht nur ein schwerer politischer Fehler im mittelfristigen Zeitrahmen ist, sondern auch dem Pluralismus und den demokratischen Grundsätzen einen unumkehrbaren Schlag versetzen würde, wodurch Millionen von Wählern in der Türkei ohne Vertretung blieben; verurteilt die Tatsache aufs Schärfste, dass die ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP, Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaș, dem Oppositionsführer und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten, und der frühere Bürgermeister von Diyarbakır Gülten Kışanak seit November 2016 in Haft sind; verweist auf das Urteil des EGMR im Fall Demirtaş vom 20. November 2018, bestätigt durch das Urteil der Großen Kammer vom 22. Dezember 2020, in dem die türkischen Behörden aufgefordert werden, ihn unverzüglich freizulassen; ist entsetzt über die fortgesetzte Nichtbefolgung dieses verbindlichen Urteils des EGMR; verurteilt die jüngste Entscheidung des 46. Strafgerichtshofs erster Instanz Bakırköy in Istanbul, Selahattin Demirtaş zu einer Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren für die angebliche Beleidigung des Präsidenten zu verurteilen, eine der längsten Strafen, die jemals für derartige Vorwürfe erhoben wurden; bedauert, dass der 22. Assisenhof in Ankara am 7. Januar 2021 eine weitere Anklageschrift gegen insgesamt 108 Politiker, darunter Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, wegen ihrer angeblichen Rolle bei den Kobane-Protesten im Oktober 2014 annahm, obwohl sie auf denselben Fakten und Vorfällen basiert, die schon nach Auffassung der Großen Kammer keine hinreichenden Gründe für deren Inhaftierung darstellten; verurteilt außerdem den wiederholten Entzug des parlamentarischen Status von Oppositionsmitgliedern, was dem Image des Parlaments als demokratische Institution ernsthaft schadet; ist besorgt, dass die Staatsanwaltschaft Ankara Ermittlungen vorbereitet, um die parlamentarische Immunität von neun weiteren HDP-Abgeordneten — darunter die jetzige Ko-Vorsitzende der HDP Pervin Buldan, Meral Danış Beştaş, Hakkı Saruhan Oluç, Garo Paylan, Hüda Kaya, Sezai Temelli, Serpil Kemalbay Pekgözegü, Pero Dündar und Fatma Kurtulan — aufzuheben, so dass sie für ihre angebliche Rolle bei den Kobane-Protesten 2014 strafrechtlich verfolgt werden können; verweist auf den Fall von Cihan Erdal, eines Mitglieds des Jugendflügels der türkischen Partei der Grünen und linken Zukunft, der während eines vorübergehenden Besuchs seiner Familie in der Türkei am 25. September 2020 allein aus dem Grund, dass er sechs Jahre zuvor Mitglied der HDP war, in Haft genommen wurde; verurteilt aufs Schärfste die Entscheidung, dem HDP-Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu sein Parlamentsmandat und seine parlamentarische Immunität zu entziehen, und seine anschließende Festnahme in den Räumen der Großen Nationalversammlung der Türkei; hält diese Entscheidung für eine Vergeltung für seine Menschenrechtsaktivitäten, wie die Tatsache, dass er im Parlament weit verbreitete Anschuldigungen wegen Leibesvisitationen und Schikanen in Gefängnissen und in Polizeigewahrsam vortrug und eine Social-Media-Kampagne dagegen begann;

34.

ist zutiefst besorgt über den allmählich zunehmenden Druck auf die wichtigste Oppositionspartei (CHP) und ihren Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu, einschließlich der Beschlagnahmung von Parteibroschüren per Gerichtsbeschluss, des Antrags auf Aufhebung der Immunität des Vorsitzenden aufgrund seiner politischen Äußerungen, der öffentlichen Drohungen gegen ihn oder sogar körperlicher Angriffe; bekräftigt seine ernste Besorgnis angesichts der anhaltenden politischen und gerichtlichen Schikanen gegen Canan Kaftancıoğlu, der CHP-Vorsitzenden der Provinz Istanbul, die im September 2019 zu fast zehn Jahren Gefängnis wegen eines politisch motivierten Falles verurteilt wurde, über den der Oberste Gerichtshof noch nicht entschieden hat, und die im Dezember 2020 angeklagt wurde und mit einer Haftstrafe von weiteren zehn Jahren in einem neuen politischen Fall rechnen muss, der gleichzeitig auch vier Journalisten der Tageszeitung Cumhuriyet berührt; begrüßt, dass der CHP-Abgeordnete Enis Berberoğlu nach einem zweiten Urteil des Verfassungsgerichts am 21. Januar 2021 seinen Parlamentssitz und seine Immunität wiedererlangt hat, da sein vorheriges Urteil von untergeordneten Gerichten missachtet wurde;

35.

fordert die zuständigen Behörden der Türkei auf, alle inhaftierten Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Anwälte, Wissenschaftler und anderen Personen, die aufgrund unbegründeter Anschuldigungen festgenommen wurden, freizulassen und es diesen Personen zu ermöglichen, ihrer Arbeit stets nachgehen zu können, ohne bedroht oder behindert zu werden; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihre Anstrengungen zum Schutz und zur Unterstützung von in der Türkei gefährdeten Menschenrechtsverteidigern, auch durch die Bereitstellung von Nothilfen, zu verstärken; verurteilt die Entscheidung des Istanbuler Berufungsgerichts, die langen Haftstrafen vier Menschenrechtsverteidiger im Fall Büyükada wegen Terrorismus aufrechtzuerhalten, obwohl es keinerlei Beweise für kriminelle Aktivitäten gibt und die Anschuldigungen gegen diese Angeklagten wiederholt, unter anderem durch vom Staat selbst vorgebrachte Beweise, widerlegt wurden; betrachtet diesen Fall als weiteres Beispiel für das zivilgesellschaftlichen Organisationen gegenüber feindselige Umfeld und den wiederkehrenden Einfluss eines virulenten politischen Diskurses, welche zu voreingenommenen Entscheidungen der Justiz führen; verurteilt die erneute Verhaftung des Schriftstellers Ahmet Altan im November 2019, nur eine Woche nachdem er nach mehr als drei Jahren Untersuchungshaft aus dem Gefängnis entlassen wurde; ist zutiefst besorgt über die Schikanen gegen Öztürk Türkdoğan, dem renommierten Menschenrechtler und Ko-Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins İnsan Hakları Derneği IHD, der vor Kurzem bei einer Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit einer geheim gehaltenen Ermittlung festgenommen und später wieder entlassen wurde;

36.

verurteilt aufs Schärfste die erneute Festnahme von Osman Kavala, einer prominenten und geachteten führenden Persönlichkeit der Zivilgesellschaft, nur Stunden nach seinem Freispruch im Februar 2020, sowie seine fortgesetzte Inhaftierung über mehr als drei Jahre hinweg aufgrund fadenscheiniger Anschuldigungen, was eine eklatante Weigerung, sich an das endgültige Urteil des EGMR und die anschließende Aufforderung des Ministerkomitees des Europarats zu halten, bedeutet; betrachtet das neue Verfahren und die Anklage gegen ihn und den US-amerikanischen Akademiker Henri Barkey wegen angeblicher Spionage und dem Versuch, die verfassungsmäßige Ordnung der Türkei zu stürzen, als unbegründet, ohne jeden Beweis und daher als politisch motiviert; ist zutiefst bestürzt angesichts der jüngsten Gerichtsurteile, wie das Urteil des Istanbuler Berufungsgerichts vom 22. Januar 2021, mit dem der vorherige Freispruch und das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren des Gezi-Park-Prozesses aufgehoben wurde, und die Entscheidung des Istanbuler Gerichts vom 5. Februar 2021, dieses neu eröffnete Verfahren mit dem anderen Verfahren wegen Spionage in vollständiger Missachtung des Urteils des EGMR zusammenzulegen; hebt hervor, dass der EGMR schon ein Urteil im Gezi-Verfahren gefällt hat und dass das Zusammenlegen beider Fälle die Fortsetzung der Untersuchungshaft noch absurder und gesetzwidriger macht; ist entsetzt über die Entscheidung des Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK), Ermittlungen gegen die drei Richter des 30. Gerichts für schwere Strafsachen in Istanbul aufzunehmen, die im Februar 2020 Kavala und die übrigen Angeklagten im Gezi-Park-Prozess aus Mangel an Beweisen freigesprochen haben; ist wiederum entsetzt darüber, dass der ehemalige stellvertretende Istanbuler Staatsanwalt Hasan Yılmaz, der für die zweite Anklage gegen Kavala verantwortlich war, anschließend zum stellvertretenden Justizminister ernannt wurde;

37.

ist zutiefst besorgt über die anhaltenden Vorwürfe von gewaltsamen Verhaftungen, Schlägen, Folter, Misshandlungen und grausamer und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung in Polizei- und Militärgewahrsam und in Gefängnissen sowie über Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen in den vergangenen vier Jahren, über das Versäumnis der Staatsanwaltschaft, effektive Ermittlungen zu diesen Vorwürfen aufzunehmen, und über die allgegenwärtige Kultur der Straflosigkeit für die involvierten Mitglieder der Sicherheitskräfte und Amtsträger; fordert die türkische Regierung auf, das Schicksal der hunderten vermissten Personen aufzuklären und den „Samstagsmüttern der Türkei“, die sich nun mehr als 800 Mal zusammengefunden haben, um Gerechtigkeit zu fordern, endlich eine Antwort zu geben; fordert die türkischen Behörden nachdrücklich auf, den anhaltenden und glaubwürdigen Berichten über Folter und Misshandlung in Haft nachzugehen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen; fordert die Türkei auf, eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Folter walten zu lassen; fordert die Türkei auf, alle Isolationshaft und die Inhaftierung in inoffiziellen Haftanstalten zu beenden; ist entsetzt über die ihm zur Kenntnis gekommene Praktik der Festnahme von schwangeren und postpartalen Frauen und fordert die Türkei auf, diese Frauen freizulassen und der Praktik, sie kurz vor oder direkt nach der Entbindung festzunehmen, ein Ende zu setzen; weist auf das Verschwinden des ehemaligen Mitarbeiters des öffentlichen Dienstes Yusuf Bilge Tunç hin, der im August 2019 als vermisst gemeldet wurde; ist sehr besorgt über die zunehmenden Berichte über die systematischen und demütigenden Leibesvisitationen in Inhaftierungslagern und Gefängnissen, insbesondere von weiblichen Verdächtigten und Häftlingen;

38.

ist besorgt über die neuen Rechtsvorschriften, die es der türkischen Polizei erlauben, bei öffentlichen Vorfällen und Ereignissen, die die nationale Sicherheit gefährden, ohne weitere Verfahren militärische Ausrüstung, einschließlich schwere Waffen und geheimdienstliche Ausrüstung, einzusetzen;

39.

stellt fest, dass angesichts der COVID-19-Pandemie ein Gesetzespaket die bedingte vorzeitige Entlassung von bis zu 90 000 Gefangenen vorsah, wobei jedoch in diskriminierender Weise diejenigen ausgeschlossen wurden und im Rahmen dieser Maßnahmen nicht für eine vorzeitige Entlassung in Frage kommen, die wegen mutmaßlicher terrorismusbezogener Straftaten in Untersuchungshaft sitzen, darunter Anwälte, Journalisten, Politiker und Menschenrechtsverteidiger;

40.

verurteilt die Auslieferung/Entführung türkischer Staatsangehöriger in die Türkei aus politischen Gründen unter Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und der grundlegenden Menschenrechte; erklärt sich ernsthaft besorgt angesichts der Geltendmachung des Einflusses der türkischen Regierung auf dem Balkan mit dem Ziel, unter Verstoß gegen das Völkerrecht, die Rückholung von türkischen Staatsangehörigen zu erzwingen, wobei in einigen Fällen lokale Rechtsvorschriften für Auslieferungsverfahren missachtet werden, und fordert die EU nachdrücklich auf, sich damit zu befassen; verurteilt jegliche Versuche, gegen Mitglieder der Opposition und türkischstämmige Politiker wie auch Intellektuelle, Politiker und Aktivisten im Allgemeinen in Europa Gewalt anzuwenden, sie zu schikanieren oder unter Druck zu setzen;

41.

ist besorgt darüber, dass der Bürgerbeauftragte und die nationale Menschenrechtsinstitution und Gleichstellungsstelle der Türkei die Kriterien der Pariser Prinzipien bzw. der Allgemeinen Politikempfehlungen Nr. 2 und 7 der Intoleranz in Bezug auf Mandat, Struktur, Funktion, Tätigkeiten, finanzielle und operative Unabhängigkeit, Unabhängigkeit der Mitglieder des Leitungsorgans sowie Zugänglichkeit und Mitgliedschaft nicht erfüllen;

42.

nimmt den vor Kurzem angenommenen Aktionsplan für Menschenrechte zur Kenntnis, der über einen Zeitraum von zwei Jahren umgesetzt werden soll und eine Reihe von Rechtsreformen verspricht und neun Hauptziele, 50 allgemeinere Ziele und fast 400 Maßnahmen umfasst, die von spezifischen und sachlichen Verpflichtungen bis hin zu umfangreichen, allgemeinen und ehrgeizigen Aussagen reichen; hebt hervor, dass der Aktionsplan zwar den Anspruch erhebt, Schlüsselthemen wie Unabhängigkeit der Justiz, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit und Schutz gefährdeter Gruppen anzugehen, aber nicht auf bedeutende Defizite in der Lage der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei eingeht, und er enthält, abgesehen von anderen Kernthemen, auch keine Maßnahmen zur Aufhebung von Anschuldigungen im Zusammenhang mit Terrorismus, zur Beendigung willkürlicher Inhaftierungen oder zur Sicherstellung der Einhaltung von Urteilen des EGMR; ist der Ansicht, dass ein Aktionsplan nur dann eine Chance bietet, die Gesamtsituation zu verbessern, wenn er in reale und glaubwürdige Maßnahmen umgesetzt wird, die die Gesamtheit der Herausforderungen im Bereich der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit angehen; fordert die Regierung der Türkei auf, einen klareren Zeitplan für die effektive Umsetzung vorzulegen und zivilgesellschaftliche Organisationen und relevante Interessenträger an der Gestaltung der einschlägigen politischen Maßnahmen in diesem Bereich zu beteiligen;

43.

ist besorgt angesichts der weit verbreiteten Korruption in der Türkei; betont, dass dem Bericht der Kommission zufolge keine Anzeichen für Fortschritte bei der Beseitigung der zahlreichen Lücken im türkischen Rahmen zur Korruptionsbekämpfung festgestellt wurden, und fordert die Türkei auf, eine wirksame Strategie und einen Aktionsplan zur Korruptionsbekämpfung vorzulegen; stellt fest, dass die Rechenschaftspflicht und die Transparenz der öffentlichen Institutionen verbessert werden müssen; nimmt zur Kenntnis, dass die Türkei begrenzte Fortschritte bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität gemacht hat; fordert die Türkei auf, ihr Datenschutzgesetz an die europäischen Standards anzugleichen, um eine Zusammenarbeit mit Europol zu ermöglichen und die Regulierung im Kampf gegen Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Cyberkriminalität zu verbessern;

44.

ist nach wie vor zutiefst besorgt über die Lage im Südosten der Türkei und die Kurdenfrage, die weniger Aufmerksamkeit erhält, als sie verdient, insbesondere in Hinblick auf den Schutz der Menschenrechte, der politischen Partizipation, der Meinungsfreiheit und der Religions- und Glaubensfreiheit; ist besorgt über die Einschränkungen der Rechte von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich mit der kurdischen Frage befassen, sowie über den anhaltenden Druck auf kurdische Medien, Kultur- und Sprachinstitutionen und Ausdrucksformen im ganzen Land, der eine weitere Beschneidung der kulturellen Rechte zur Folge hat; ist besorgt, dass diskriminierende Hetze und Drohungen gegen Bürger kurdischer Herkunft nach wie vor ein ernstes Problem ist; betont die Dringlichkeit der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses unter Einbindung aller betroffenen Parteien und demokratischen Kräfte mit dem Ziel der friedlichen Lösung der Kurdenfrage; ist besonders besorgt über die anhaltende Benachteiligung kurdischer Frauen, die zusätzlich durch Vorurteile aufgrund ihrer ethnischen und sprachlichen Identität verstärkt wird, wodurch sie in der Wahrnehmung ihrer bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Rechte noch stärker eingeschränkt werden; fordert die Türkei auf, für kurdische Frauen den uneingeschränkten Zugang zu gleichen Rechten und Chancen zu gewährleisten; fordert die Türkei auf, sämtliche schwerwiegenden Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, Tötungen und Verschleppungen unverzüglich zu untersuchen und internationalen Beobachtern die Durchführung unabhängiger Überwachungsmaßnahmen zu ermöglichen; ist besorgt über die jüngsten Massenrazzien und Verhaftungen in Diyarbakır, von denen Anwälte, Politiker und Bürgerrechtsaktivisten betroffen waren, sowie über die Inhaftierung von fünf Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft, darunter Dr. Șeyhmus Gökalp, Mitglied im Ehrenrat der türkischen Ärztekammer (TTB); fordert die Türkei mit Nachdruck auf, die Vorwürfe der Folter zweier Dorfbewohner in Van, Servet Turgut und Osman Şıban, nach deren Festnahme am 11. September 2020 durch die Gendarmerie, in deren Folge Servet Turgut starb und Osman Șıban schwer verletzt wurde, umgehend, unabhängig und unparteiisch zu untersuchen;

45.

fordert die Regierung der Türkei mit Nachdruck auf, die Rechte von Minderheiten und besonders gefährdeten Gruppen wie etwa Frauen und Kinder, LGBTI-Personen, Flüchtlinge, ethnische Minderheiten wie Roma, türkische Bürger griechischer und armenischer Herkunft und religiöse Minderheiten wie Christen zu schützen; fordert die Türkei daher auf, dringend umfassende Gesetze zur Bekämpfung der Diskriminierung, einschließlich des Verbots der Diskriminierung wegen ethnischen Herkunft, Religion, Sprache, Staatsangehörigkeit, sexueller Ausrichtung und Geschlechtsidentität, zu verabschieden und Maßnahmen gegen Rassismus, Homophobie und Transphobie zu treffen;

46.

verurteilt aufs Schärfste die Entscheidung der türkischen Regierung, vom Übereinkommen von Istanbul zurückzutreten, wodurch sich die Türkei weiter von EU- und internationalen Standards entfernt und ihre Verpflichtung zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und zur Förderung der Rechte von Frauen ernsthaft infrage gestellt wird, und das ist ein klares Zeichen für die gravierende Verschlechterung der Menschenrechte in dem Land; findet diese Entscheidung unverständlich, da das Übereinkommen nicht geändert wurde, seitdem die Türkei sie als erstes Land unterzeichnete und ratifizierte, und hält sie auch für gefährlich in einer Zeit zunehmender Gewalt gegen Frauen während der Pandemie und angesichts der hohen Zahl von Frauenmorden in dem Land; fordert die türkische Regierung auf, diesen Schritt umgehend rückgängig zu machen; fordert, dass alle neuen Beziehungen zur Türkei auf grundlegenden demokratischen Werten beruhen, einschließlich der Achtung der Rechte der Frauen; ist besorgt über die Prävalenz und die Schwere der Gewalt gegen Frauen in der türkischen Gesellschaft, wozu sogenannte Ehrenmorde, rechtswidrige Kinderehen und sexueller Missbrauch gehören, und über den mangelnden Willen der staatlichen Stellen der Türkei, die Täter geschlechtsspezifischer Gewalt zu bestrafen; lehnt jegliche Rechtsvorschrift ab, wonach Vergewaltiger in Zukunft für Sexualstraftaten gegenüber Kindern Bewährungsstrafen unter der Bedingung erhalten könnten, dass sie ihr Opfer heiraten; fordert die türkischen Behörden mit Nachdruck auf, ihre Bemühungen im Kampf gegen Kinderarbeit, die in den letzten Jahren in der Türkei zurückgegangen, aber immer noch festzustellen ist, und gegen jegliche Form von Kindermissbrauch zu verstärken; bedauert die nach wie vor sehr geringe Vertretung von Frauen in der Regierung und im Parlament mit nur 17,3 % auf lokaler Ebene bzw. generell in Führungspositionen jeglicher Art;

47.

bringt seine tiefe Besorgnis angesichts der Menschenrechtsverletzungen, insbesondere durch körperliche Angriffe, gegenüber LGBTI-Personen, des anhaltenden Verbots von Pride-Paraden im ganzen Land und der Einschränkung der Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit zum Ausdruck; weist darauf hin, dass die Türkei eines der Länder mit der höchsten Mordrate an Transgender-Personen ist; verurteilt die Verwendung homophober Sprache und die Hetze durch hochrangige Regierungsbeamte wie den Präsidenten des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet), die Institution des Bürgerbeauftragten sowie den Präsidenten der türkischen Rothalbmond-Gesellschaft; fordert die türkischen Behörden dazu auf, ihre Bemühungen zur Verhinderung von Hasskriminalität, Vorurteilen und sozialer geschlechtsbezogener Ungleichheit zu verstärken; weist darauf hin, dass türkische Rechtsvorschriften in Bezug auf Hetze nicht mit der Rechtsprechung des EGMR übereinstimmen;

48.

bedauert zutiefst die Umnutzung des historisch-religiösen Denkmals Hagia Sophia in eine Moschee ohne vorherige Absprache, was gegen das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt verstoßen könnte, zu dessen Unterzeichnern die Türkei gehört; fordert die türkische Regierung auf, diese Entscheidung zu überdenken und rückgängig zu machen, um den historischen und kulturellen Wert kultureller und religiöser Denkmäler und Symbole, insbesondere von UNESCO-Welterbestätten, uneingeschränkt zu achten; weist darauf hin, dass die Hagia Sophia allen Gemeinschaften und Religionen offen steht und fordert die UNESCO dazu auf, geeignete Maßnahmen zum Schutz dieser Welterbestätte zu treffen; betont, dass die Bemühungen zur Förderung des Dialogs und der Kooperation zwischen den religiösen Gemeinschaften sowie das pluralistische und multikulturelle soziale Gefüge der Türkei durch die Entscheidung zur Hagia Sophia untergraben werden; bedauert, dass die Moni tis Choras/Chora-Kirche ebenfalls in den vergangenen Monaten von einem Museum in eine Moschee umgewandelt wurde;

49.

fordert die türkischen Behörden auf, positive und wirksame Reformen im Bereich der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit voranzutreiben, indem den Religionsgemeinschaften ermöglicht wird, Rechtspersönlichkeit zu erlangen, und indem die Empfehlungen der Venedig-Kommission zum Status von religiösen Gemeinschaften in der Türkei, alle einschlägigen Urteile des EGMR und Entschließungen des Europarats, einschließlich der Entschließungen zur griechisch-orthodoxen Bevölkerung auf den Inseln Gökçeada (Imbros) und Bozcaada (Tenedos) angewendet werden; bedauert die Maßnahmen gegen Mönche von Mor Gabriel und anderen Klöster im Südosten der Türkei und fordert die Türkei erneut auf, die Bedeutung des Ökumenischen Patriarchats für orthodoxe Christen auf der ganzen Welt, dessen Rechtspersönlichkeit sowie die öffentliche Verwendung des geistlichen Titels des Ökumenischen Patriarchs anzuerkennen; betont, dass die Beschränkungen bei der Ausbildung, Ernennung und Nachfolge von Geistlichen aufgehoben werden müssen und dass die Wiedereröffnung des Seminars von Chalki erlaubt werden muss und alle Hindernisse für einen reibungslosen Seminarbetrieb beseitigt werden müssen;

50.

fordert die Türkei auf, bei der Verhinderung und Bekämpfung des illegalen Handels und der vorsätzlichen Zerstörung kulturellen Erbes mit einschlägigen internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten, insbesondere mit dem Europarat; betont die Bedeutung des Dialogs mit einschlägigen internationalen Organisationen und der EU über die Erhaltung des kulturellen und religiösen Erbes;

51.

stellt mit Sorge fest, dass in der Türkei lebende Uiguren einem zunehmenden Risiko ausgesetzt sind, in Gewahrsam genommen und in andere Länder abgeschoben zu werden, von wo aus sie möglicherweise an China ausgeliefert werden, wo ihnen voraussichtlich schwerste Verfolgung droht;

52.

fordert die wirksame Umsetzung des zweiten Aktionsplans und der nationalen Strategie für die Roma, mit einem sehr inklusiven Ansatz im Hinblick auf die Zivilgesellschaft, einer verstärkten Geschlechterperspektive, einer verstärkten Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und der Bereitstellung der notwendigen Ressourcen;

53.

weist darauf hin, dass freie Gewerkschaften und sozialer Dialog für die Entwicklung einer pluralistischen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung sind; bedauert in diesem Zusammenhang die legislativen Unzulänglichkeiten im Bereich der Arbeits- und Gewerkschaftsrechte und betont, dass das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, das Recht, Tarifverhandlungen zu führen, und das Streikrecht zu den Grundrechten der Arbeitnehmer gehören; ist besorgt über die anhaltend starke gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung durch die Arbeitgeber und über die Entlassungen, Schikanen und Inhaftierungen, denen Führungskräfte und Mitglieder einiger Gewerkschaften weiterhin ausgesetzt sind; fordert die türkischen Behörden auf, die grundlegenden Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation, zu denen sich das Land verpflichtet hat, einzuhalten;

54.

fordert die Türkei dazu auf, die Fortschritte bei der Angleichung an die EU-Richtlinien sowie in Bezug auf den Umwelt- und Klimaschutz an das Regelwerk aufrechtzuerhalten und das Übereinkommen von Paris zum Klimawandel zu ratifizieren; lobt die Initiative von Umweltaktivisten in der Türkei und warnt vor den Auswirkungen auf die Umwelt aufgrund von großen öffentlichen Infrastrukturprojekten, die in den vergangenen Jahren umgesetzt wurden, einschließlich des dritten und größten Flughafens Istanbuls sowie der dritten Brücke am Bosporus; ist besonders besorgt über die potenzielle ökologischen Zerstörung, die das geplante Projekt „Kanal Istanbul“ verursachen könnte; hebt hervor, dass mehrere Gerichtsverfahren gegen die positive Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu diesem Projekt angestrengt wurden und fordert die Durchführung unabhängiger Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie transparenter Verfahren im Hinblick auf die öffentliche Auftragsvergabe und die Einbeziehung der Bürger sowie der Zivilgesellschaft; fordert die Türkei auf, ihre Angleichung an die EU-Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (8) einschließlich der Bestimmungen, die grenzüberschreitende Konsultationen mit den Nachbarländern erfordern, abzuschließen; fordert die türkische Regierung erneut auf, ihre Pläne für das Kernkraftwerk Akkuyu zu stoppen, dessen Standort in einem stark erdbebengefährdeten Gebiet liegt und somit nicht nur allein für die Türkei, sondern auch für den gesamten Mittelmeerraum eine große Gefahr darstellt; fordert entsprechend, dass die türkische Regierung dem Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Espoo-Konvention) beitritt, mit dem die Parteien dazu verpflichtet werden, sich hinsichtlich geplanter Großprojekte, die voraussichtlich zu erheblichen grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen führen werden, gegenseitig zu informieren und zu beraten; fordert die türkische Regierung zu diesem Zweck auf, die Regierungen ihrer Nachbarländer in weitere, das Akkuyu-Projekt betreffende Entwicklungen einzubeziehen oder sie zumindest zu konsultieren;

Institutioneller Rahmen

55.

ist beunruhigt darüber, dass sich die autoritäre Auslegung des Präsidialsystems konsolidiert; ist zutiefst besorgt darüber, dass sich die Macht nach der Änderung der Verfassung nach wie vor in hohem Maße im Präsidentenamt konzentriert, nicht nur zum Nachteil des Parlaments, sondern auch des Ministerrats selbst, weshalb keine solide und effektive Gewaltenteilung zwischen der Exekutive, der Legislative und der Judikative gewährleistet ist; nimmt in diesem Zusammenhang die von der Venedig-Kommission in ihrer Stellungnahme zu den Änderungen der türkischen Verfassung geäußerten Bedenken hinsichtlich der Gewaltenteilung zur Kenntnis; bedauert die derzeitigen Beschränkungen der für eine effektive demokratische Rechenschaftspflicht der Exekutive erforderlichen gegenseitigen Kontrolle und insbesondere die fehlende Rechenschaftspflicht des Präsidenten; ist besorgt über den zunehmenden Einfluss der Präsidentschaft auf staatliche Institutionen und Regulierungsbehörden, die unabhängig bleiben sollten; drückt seine Besorgnis insbesondere über die Marginalisierung des Parlaments aus, das seine Gesetzgebungs- und Kontrollfunktionen weitgehend untergraben und seine Vorrechte immer wieder durch Präsidialdekrete verletzt sieht; ruft dazu auf, die derzeitige Gestaltung und Umsetzung der Präsidentschaft im Einklang mit den Grundsätzen der Demokratie zu überprüfen, wie sie in den Empfehlungen der Venedig-Kommission des Europarats aus dem Jahr 2017 genannt werden;

56.

ruft in Erinnerung, dass die Wahlhürde von 10 %, die höchste unter den Mitgliedern des Europarats im Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR steht und die Repräsentationsmöglichkeiten großer Gruppen der Wählerschaft vermindert; bekundet seine Besorgnis über die öffentlichen Äußerungen zu möglichen Wahlreformen, die den Einzug und die Beteiligung politischer Parteien im Parlament und die eventuelle Bildung parlamentarischer Mehrheiten weiter erschweren könnten; fordert die Türkei auf, das allgemeine Umfeld für Wahlen auf allen Ebenen im Land zu verbessern und damit ein faires und freies Betätigungsfeld für alle Kandidaten und Parteien zu gewährleisten und sich den Empfehlungen der Venedig-Kommission und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) anzuschließen, die Lücken im Wahlsystem zu schließen und Entscheidungen rückgängig zu machen, die nicht im Einklang mit internationalen Normen und Standards stehen;

57.

stellt mit Besorgnis fest, dass das System des öffentlichen Dienstes weiterhin von Parteinahme und Politisierung geprägt ist und dass dies zusammen mit der übermäßigen präsidialen Kontrolle auf jeder Ebene des Staatsapparats zu einem allgemeinen Rückgang von Effizienz, Kapazität und Qualität der öffentlichen Verwaltung geführt hat; fordert die Türkei dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um ein leistungsorientiertes System zur wettbewerbsfähigen Förderung wiederherzustellen und die Transparenz sowie Rechenschaftspflicht der Verwaltung zu gewährleisten;

58.

ist zutiefst besorgt darüber, dass sich die Führungselite immer häufiger eines ultranationalistischen, aufrührerischen Narrativs bedient, das starke Zustimmung im politischen Spektrum des Landes findet, da dies zunehmend eine antagonistische Haltung gegenüber der EU, ihren Mitgliedstaaten und anderen Nachbarländern fördert; ist besorgt über die tiefe Polarisierung der türkischen Politik, die durch das neue Präsidialsystem noch weiter verstärkt wird, und über die zunehmende Verwendung polarisierender populistischer Narrative, die die türkische Gesellschaft weiter spalten und den Dialog und die Versöhnung zwischen den Parteien behindern; ist besorgt über die wachsende Schlagkraft des religiösen Konservatismus in der Politik, im Gegensatz zur seit langem etablierten säkularen Tradition des Landes; ist in diesem Sinne besorgt über die wachsende Rolle und die Ressourcen des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) in allen Bereichen des öffentlichen Lebens in der Türkei, einschließlich der Bildung, und auch im Ausland, wie etwa eine spürbare Präsenz in Europa;

59.

ist zutiefst besorgt über die schwerwiegenden Auswirkungen der jüngsten Entscheidungen der türkischen Behörden auf die lokale Politik und die lokale Demokratie; verurteilt aufs Schärfste die Amtsenthebung und Inhaftierung von mindestens 47 demokratisch gewählten Bürgermeistern (darunter die Bürgermeister von Diyarbakir, Van, Mardin und neuerdings Kars) aufgrund fragwürdiger Beweise und insbesondere ihre willkürliche Neubesetzung durch nicht gewählte, von der Zentralregierung ernannte Beauftragte; ist der festen Überzeugung, dass diese unrechtmäßigen Entscheidungen einen unmittelbaren Angriff auf die grundlegendsten Prinzipien der Demokratie darstellen, da sie Millionen Wähler ihrer demokratisch gewählten Vertretung berauben; fordert die Türkei auf, die abgesetzten Bürgermeister wieder in ihr Amt einzusetzen;

60.

nimmt die politischen, legislativen, finanziellen und administrativen Maßnahmen der Regierung zur Kenntnis, die darauf abzielen, die von Bürgermeistern der Oppositionsparteien geführten Städte İstanbul, Ankara, İzmir und im Südosten lahmzulegen; verurteilt die Entscheidungen des Obersten Wahlrats (YSK) zur Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul und die Verweigerung der Bürgermeistermandate für die siegreichen HDP-Kandidaten zugunsten der zweitplatzierten Kandidaten der Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP), was die Achtung der Rechtmäßigkeit und der Integrität der Wahlprozesse und die Unabhängigkeit der Institution von politischer Einflussnahme ernsthaft infrage stellt;

Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei im weiteren Sinn und die türkische Außenpolitik

61.

erinnert an die wichtige Rolle der Türkei bis zum heutigen Tage durch die Aufnahme von fast vier Millionen Flüchtlingen spielt, von denen nach Informationen des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen etwa 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge und rund 360 000 registrierte Flüchtlinge und Asylsuchende aus anderen Ländern sind, und verweist darauf, dass dies die größte Flüchtlingsgemeinschaft der Welt ist; weist darauf hin, dass die Herausforderungen bei der Herangehensweise für diese Krise aufgrund der COVID-19-Pandemie größer geworden sind; lobt die Bemühungen aller beteiligten Behörden, insbesondere der Kommunen, die Integration von Flüchtlingsgemeinschaften zu verbessern; ist der Ansicht, dass die EU auch künftig den syrischen Flüchtlingen und den Aufnahmegemeinschaften in der Türkei unter anderem durch die weitere Unterstützung der entsprechenden Programme der Vereinten Nationen die erforderliche Unterstützung zukommen lassen sollte; spricht sich für eine objektive Bewertung der Erklärung EU-Türkei, einschließlich einer angemessenen Folgenabschätzung in Bezug auf die Menschenrechte, und der Zusammenarbeit im Bereich Flüchtlinge, Asylbewerber und Migration aus und bekräftigt die Notwendigkeit, dass beide Seiten im Rahmen des Umsetzungsprozesses ihren jeweiligen Verpflichtungen nachkommen und sich an die Grundrechte halten; betont, dass die Instrumentalisierung von Migranten und Flüchtlingen als politisches Druckmittel und Erpressungsinstrument nicht akzeptiert werden kann; verurteilt hierbei aufs Schärfste, dass die Türkei im März 2020 Migrationsdruck für politische Zwecke ausübte, als die türkischen Behörden Migranten und Flüchtlinge und Asylbewerber mit irreführenden Informationen ermutigten, den Landweg nach Europa über Griechenland zu nehmen; stellt fest, dass die bestehenden bilateralen Rückübernahmeabkommen und die in ähnlichen Abkommen und Vereinbarungen mit EU-Mitgliedstaaten enthaltenen Bestimmungen angemessen umgesetzt werden sollten, bis das EU-Türkei-Rückübernahmeabkommen (9) gegenüber allen Mitgliedstaaten uneingeschränkt und wirksam umgesetzt wurde; weist darauf hin, dass syrische Flüchtlinge nur dann nach Syrien repatriiert werden sollten, wenn sie sich freiwillig dafür entscheiden und in die Gemeinde zurückkehren können, aus der sie kamen;

62.

bekräftigt die in seiner Entschließung vom 15. April 2015 geäußerte Forderung und fordert die Türkei erneut auf, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen und damit den Weg für eine echte Versöhnung zwischen dem türkischen und dem armenischen Volk zu ebnen; fordert die Türkei in diesem Zusammenhang auf, von jeglicher anti-armenischer Propaganda und Hetze abzusehen und ihren Verpflichtungen zum Schutz des armenischen und anderweitigen kulturellen Erbes uneingeschränkt nachzukommen;

63.

ist fest davon überzeugt, dass die COVID-19-Pandemie nur durch globale Zusammenarbeit bewältigt werden kann; ist der Auffassung, dass die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei in dieser Hinsicht weiter vertieft werden könnte, auch im Hinblick auf die Etablierung nachhaltiger Lieferketten; begrüßt die positive Rolle der Türkei bei der Lieferung von Schutzausrüstung an eine Reihe von Mitgliedstaaten und anderen Ländern; ist besorgt über den Missbrauch von Präsidialdekreten und Ministerialbeschlüssen, wodurch das Legalitätsprinzip bei Entscheidungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie weiter ausgehöhlt wird; kritisiert die Angriffe der türkischen Behörden gegenüber der türkischen Ärztekammer, die darauf abzielen, diejenigen, die kritische Fragen zum Umgang der Regierung mit der COVID-19-Pandemie stellen, zum Schweigen zu bringen; verurteilt die Instrumentalisierung der Justiz, unrechtmäßige Verhaftungen, die Drangsalierung und grundlose strafrechtliche Ermittlungen gegen Journalisten, die sich in ihren Berichten besorgt über den Umgang der Türkei mit der Pandemie geäußert haben; stellt fest, dass die COVID-19-Pandemie für einen rapiden Anstieg der Arbeitslosen- und Armutsquote in der Türkei gesorgt hat;

64.

hebt hervor, dass eine Modernisierung der Zollunion beiden Seiten zugutekommen würde und die wirtschaftliche und normative Bindung der Türkei an die EU aufrechterhalten würde; außerdem ergäbe sich erneut die Gelegenheit für positiven Dialog und Zusammenarbeit mit dem Ziel eines besseren Regelungsrahmens für Investitionen der EU in der Türkei, einschließlich eines Streitbeilegungsverfahrens, und es könnte ein Katalysator für die Schaffung von mehr Beschäftigung sowohl in der EU als auch der Türkei und für Zusammenarbeitsprojekte im Rahmen des europäischen Green Deals sein; hebt hervor, dass in Anbetracht der aktuellen Umstände, einschließlich der immer länger werdenden Liste von Abweichungen der Türkei von ihren aktuellen Verpflichtungen, der Tatsache, dass die EU und die Türkei sich derzeit bei der Welthandelsorganisation auseinandersetzen und der inakzeptablen Boykott-Aufforderungen gegen EU-Mitgliedstaaten, eine Modernisierung der Zollunion offenbar besonders schwierig ist, ist aber dennoch der Ansicht, dass eine Tür für konstruktive Bemühungen und die Wiederaufnahme des Dialogs über alle ausstehenden Fragen und die Prüfung der Bedingungen für eine Modernisierung der Zollunion offen gehalten werden sollte; bekräftigt, dass diese Modernisierung auf einer robusten Konditionalität mit Blick auf Menschenrechte und Grundfreiheiten beruhen müsste, wie es durch die Kopenhagener Kriterien für gutnachbarliche Beziehungen mit der EU und allen ihren Mitgliedstaaten vorgeschrieben ist, und deren nichtdiskriminierender Umsetzung; weist in diesem Sinne darauf hin, dass die Zollunion in der jetzigen Form ihr vollständiges Potenzial nur dann ausschöpfen kann, wenn die Türkei das Zusatzprotokoll vollständig umsetzt und mit dem Abkommen von Ankara vorbehaltlos und nicht diskriminierend gegenüber allen Mitgliedstaaten anwendet und wenn alle geltenden Handelshemmnisse beseitigt sind;

65.

unterstützt weiterhin den Visaliberalisierungsprozess, sobald die festgelegten Bedingungen erfüllt sind; weist darauf hin, dass die Visaliberalisierung ein wichtiger Schritt zur Förderung der direkten Kontakte zwischen den Menschen wäre und stellt fest, dass sie insbesondere für Studenten, Akademiker, Geschäftsleute und Menschen mit familiären Bindungen in EU-Mitgliedstaaten von großer Bedeutung ist; begrüßt das Rundschreiben des Präsidenten vom Mai 2019, in dem zur Beschleunigung der Demarchen aufgerufen wird, betont jedoch, dass bei den sechs noch ausstehenden, von der Türkei noch zu erfüllenden Kriterien kaum echte Fortschritte verzeichnet wurden; fordert die Regierung der Türkei auf, diese Kriterien auch in Bezug auf alle EU-Mitgliedstaaten diskriminierungsfrei in vollem Umfang zu erfüllen und sich insbesondere auf das Anti-Terror-Gesetz und das Datenschutzgesetz zu konzentrieren;

66.

weist darauf hin, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten den engen Dialog und die Zusammenarbeit mit der Türkei in außen- und sicherheitspolitischen Fragen aufrechterhalten müssen; erkennt an, dass die Türkei, wie es das Recht jedes souveränen Landes ist, ihre eigene Außenpolitik im Einklang mit ihren Interessen und Zielen zu verfolgen; ist allerdings der Auffassung, dass die Türkei als EU-Beitrittsland eine zunehmende Angleichung ihrer Außenpolitik an die der EU im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik anstreben sollte; bedauert zutiefst, dass sich die Türkei im Gegenteil immer wieder dazu entschlossen hat, einseitig zu handeln und bei einer Vielzahl von außenpolitischen Angelegenheiten die Prioritäten der EU konsequent zu ignorieren und dass infolge dessen die Angleichungsrate der Türkei an die gemeinsame Außenpolitik der EU derzeit bei lediglich 14 % liegt; fordert die Türkei zu einer engen Zusammenarbeit und weiteren Abstimmung mit der EU in außen-, verteidigungs- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten einschließlich der Terrorbekämpfung auf; weist darauf hin, dass die Türkei seit langem Mitglied des NATO-Bündnisses ist und sich in einer äußerst wichtigen geostrategischen Lage für die Aufrechterhaltung der regionalen Sicherheit und die Stärkung der europäischen Sicherheit befindet; betont, dass die Türkei ein NATO-Verbündeter ist und dazu aufgefordert werden sollte, im Einklang mit dem NATO-Vertrag zu handeln, der vorschreibt, dass die Mitglieder in ihren internationalen Beziehungen jede mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen sollten; stellt ferner fest, dass EU-Mitgliedstaaten und die Türkei weiterhin in Fragen von strategischer (militärischer) Bedeutung im Rahmen der NATO zusammenarbeiten; weist erneut darauf hin, dass die EU und die NATO weiterhin die verlässlichsten Partner für die Türkei in der internationalen Sicherheitszusammenarbeit sind und fordert die Türkei auf, angesichts ihrer Rolle als NATO-Mitglied und EU-Beitrittsland in den Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik politische Kohärenz zu wahren und sich erneut uneingeschränkt zur NATO als ihren einzigen Sicherheitsanker zu bekennen; fordert zu einem transatlantischen Dialog mit der neuen US-Regierung über die Beziehungen zur Türkei in Hinblick auf die Verfolgung einer gemeinsamen Politik gegenüber und mit der Türkei auf, deren Ziel es ist, unsere Zusammenarbeit zu stärken und unsere Werte und Interessen anzunähern;

67.

hebt hervor, dass unabhängig von den Vorstellungen der Türkei, diese durch Diplomatie und Dialog auf der Grundlage des Völkerrechts verteidigt werden sollten und dass jeder Versuch, andere Länder durch die Anwendung von Gewalt, Drohungen oder feindselige und beleidigende Rhetorik, insbesondere gegenüber der EU und ihren Mitgliedstaaten, unter Druck zu setzen, für ein EU-Beitrittsland inakzeptabel und unangemessen ist; fordert daher die Kommission und den Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (HR/VP) auf, gegenüber beleidigenden Äußerungen von Vertretern der türkischen Regierung gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten eine entschlossene Haltung einzunehmen;

68.

ist zutiefst besorgt über das anhaltende beispiellose rechtswidrige Verhalten der Türkei im östlichen Mittelmeer, das von einem EU-Beitrittsland gegen EU-Mitgliedstaaten gerichtet ist, und über die damit verbundenen Sicherheits- und Stabilitätsrisiken; verurteilt auf Schärfste die rechtswidrigen Handlungen der Türkei in griechischen und zyprischen Gewässern sowie ihre Verletzungen des griechischen Luftraums, unter anderem durch das Überfliegen bewohnter Gebiete und ihrer Hoheitsgewässer, zumal es sich in diesen Fällen um Verstöße sowohl gegen die Souveränität und die Hoheitsrechte eines EU-Mitgliedstaats als auch das Völkerrecht handelt; bekundet Griechenland und der Republik Zypern seine uneingeschränkte Solidarität; bekräftigt das Recht der Republik Zypern, unter uneingeschränkter Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts bilaterale Abkommen in Bezug auf ihre ausschließliche Wirtschaftszone zu schließen, ihre natürlichen Ressourcen zu erkunden und auszuschöpfen; erklärt sich zutiefst besorgt über die rechtswidrigen türkischen Fischereiaktivitäten innerhalb der griechischen Hoheitsgewässer in der Ägäis und die unkontrollierten und nicht gemeldeten Fischereiaktivitäten der türkischen Fischereiflotten in internationalen Gewässern in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer; fordert die Türkei und alle beteiligten Interessenträger mit Nachdruck auf, sich in gutem Glauben an einer friedlichen Konfliktbeilegung zu beteiligen und von unilateralen und illegalen Maßnahmen oder Drohungen abzusehen; hebt hervor, dass eine nachhaltige Konfliktlösung nur durch Dialog, Diplomatie und Verhandlungen im Geiste des guten Willens und im Einklang mit dem Völkerrecht gefunden werden kann; fordert alle Seiten auf, ernsthaft zusammenzuarbeiten und die Abgrenzung der AWZ und des Festlandsockels in gutem Glauben und unter uneingeschränkter Achtung des Völkerrechts und des Grundsatzes gutnachbarschaftlicher Beziehungen auszuhandeln; nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass die Kriegsdrohung der Großen Nationalversammlung der Türkei gegen Griechenland von 1995 noch immer nicht zurückgezogen wurde; begrüßt die neue Runde von Sondierungsgesprächen zwischen Griechenland und der Türkei nach der fünfjährigen Unterbrechung, bei denen unter anderem die Abgrenzung des Festlandsockels und der AWZ im Einklang mit dem Völkerrecht behandelt werden soll; fordert die türkische Regierung erneut auf, das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, das Teil des Besitzstands der Europäischen Union ist, zu unterzeichnen und zu ratifizieren; begrüßt und unterstützt uneingeschränkt den Vorschlag des Europäischen Rates für eine multilaterale Konferenz über das östliche Mittelmeer als Plattform für die Beilegung von Streitigkeiten im Wege des Dialogs und fordert den HR/VP auf, sie so schnell wie möglich einzuberufen; bekräftigt seine Forderung gegenüber dem Rat, sich bereit zu halten, eine Liste weiterer restriktiver sektoraler und gezielter Sanktion zu erstellen, falls keine nennenswerten Fortschritte oder neue Perspektiven bei der Einbindung der Türkei zu erkennen sind; stellt fest, dass die Schlussfolgerungen des Rates vom 15. Juli 2019 angesichts der kontinuierlichen und neuen rechtswidrigen Bohraktivitäten der Türkei den Assoziationsrat und weitere Treffen im Rahmen des hochrangigen Dialogs EU-Türkei vorerst nicht abzuhalten, sowie der Beschluss (GASP) 2019/1894 des Rates vom 11. November 2019, angesichts der nicht genehmigten Bohraktivitäten der Türkei im östlichen Mittelmeer (10) restriktive Maßnahmen betreffenden, die ersten Fälle sind, in denen solche Reaktionen angesichts des Verhaltens eines Kandidatenlandes für notwendig erachtet wurden; fordert die Türkei dringend auf, sich an der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zu beteiligen und von einseitigen und illegalen Maßnahmen oder Drohungen abzusehen, weil diese sich negativ auf die gutnachbarschaftlichen Beziehungen mit der EU und ihren Mitgliedstaaten auswirken; fordert den HR/VP auf, die Ernennung eines Sondergesandten der Europäischen Union für den östlichen Mittelmeerraum in Erwägung zu ziehen, um die diplomatischen Kontakte mit der Türkei zu erleichtern;

69.

verurteilt aufs Schärfste die Erklärung des Präsidenten der türkischen Nationalversammlung, wonach die Türkei durch ein einfaches Präsidialdekret aus dem Übereinkommen von Montreux austreten könnte, einem wichtigen internationalen Abkommen, das die freie internationale Schifffahrt in den Meerengen Dardanellen und Bosporus regelt; stellt fest, dass diese Erklärung auf frühere türkische Bemühungen folgt, die Gültigkeit des Vertrags von Lausanne infrage zu stellen und damit den internationalen Frieden und die Stabilität in der weiteren Umgebung, insbesondere auch in den Nachbarländern der Türkei, zu untergraben;

70.

verurteilt aufs Schärfste die rechtswidrige Freigabe eines Teils des Strandes von Varosha in der Stadt Famagusta, die das gegenseitige Vertrauen und somit die Aussichten auf eine Wiederaufnahme der direkten Gespräche über eine umfassende Lösung der Zypernfrage dadurch untergräbt, dass die Situation vor Ort zum Schlechteren verändert wird, wodurch sich die Spaltung verschärft und sich die dauerhafte Teilung Zyperns zementiert; warnt vor jeder Änderung des Status quo in Varosha, die gegen die Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen verstoßen würde; fordert die Türkei auf, diese Maßnahme rückgängig zu machen und im Einklang mit der jüngsten Forderung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen jede einseitige Aktion zu unterlassen, die weitere Spannungen auf der Insel hervorrufen könnte; fordert die Türkei auf, ihre Truppen aus Zypern abzuziehen, das Gebiet von Varosha im Einklang mit der Resolution 550 (1984) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und unter der vorübergehenden Verwaltung der Vereinten Nationen an seine rechtmäßigen Einwohner zu übergeben und von Maßnahmen abzusehen, die das demografische Gleichgewicht auf der Insel durch eine Politik der illegalen Ansiedlung verändern; fordert die Türkei erneut auf, gemäß den einschlägigen Resolutionen des VN-Sicherheitsrats, einschließlich bezüglich der Rückgabe von Eigentum und der Erhaltung religiöser Stätten, einen Beitrag zu einer umfassenden Lösung zu leisten; bedauert, dass sich die höchsten staatlichen Stellen der Türkei für politische und nationalistische Zwecke für die Zweistaatenlösung ausgesprochen haben, und fordert die Regierung der Türkei nachdrücklich auf, der Aufforderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen konkret nachzukommen; fordert die Betroffenen auf, die Verhandlungen über eine Wiedervereinigung Zyperns unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs der Vereinten Nationen so bald wie möglich wieder aufzunehmen und dabei an die bereits im Rahmen des Crans-Montana-Prozesses von 2017 getroffenen Vereinbarungen anzuknüpfen und sich darauf zu stützen; fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, eine aktivere Rolle zu spielen, wenn es darum geht, die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen; bekräftigt seine Unterstützung für eine faire, umfassende und zukunftsfähige Regelung auf der Grundlage einer Föderation von zwei Gemeinschaften und zwei Gebieten mit einer einzigen internationalen Rechtspersönlichkeit, einer einzigen Hoheitsgewalt und einer einzigen Staatsbürgerschaft sowie mit politischer Gleichberechtigung zwischen beiden Gemeinschaften entsprechend der Festlegung in den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, im Einklang mit dem Völkerrecht und dem Besitzstand der EU und auf der Grundlage der Achtung der Grundsätze, auf denen die Union beruht; ist der festen Überzeugung, dass eine nachhaltige Konfliktlösung nur durch Dialog, Diplomatie und Verhandlungen im Geiste des guten Willens und im Einklang mit dem Völkerrecht erreicht werden kann; ist der festen Überzeugung, dass die nachhaltige Lösung der Zypernfrage allen Ländern in der Region zugutekäme; betont, dass nach der Regelung der Zypernfrage der Besitzstand der EU auf der gesamten Insel umgesetzt werden muss und dass eine Zusammenarbeit mit den demokratischen Kräften der türkisch-zyprischen Gemeinschaft wichtig ist; lobt die wichtige Arbeit des aus Vertretern beider Bevölkerungsgruppen zusammengesetzten Ausschusses für die Vermissten, der sich sowohl mit türkischen als auch mit griechischen Zyprern beschäftigt, die als vermisst gelten, und wiederholt seine Anerkennung der Tatsache, dass schon seit einigen Jahren ein verbesserter Zugang zu einschlägigen Standorten, auch in militärischen Gebieten, gewährt wurde; fordert die Türkei auf, den Ausschuss für die Vermissten zu unterstützen, indem sie Informationen aus ihren Militärarchiven zur Verfügung stellt; bedauert die anhaltende Verweigerung der Türkei, das Luftverkehrsrecht zu befolgen und einen Kommunikationskanal zwischen den Luftverkehrskontrollzentren in der Türkei und der Republik Zypern einzurichten, was echte Sicherheitsrisiken und Gefahren mit sich bringt, wie von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) und der International Federation of Air Line Pilots festgestellt wurde; ist der Ansicht, dass dies ein Bereich ist, in dem die Türkei ihre Verpflichtung zu vertrauensbildenden Maßnahmen unter Beweis stellen könnte und fordert die Türkei durch die vollständige Umsetzung des Luftverkehrsrechts der EU zur Zusammenarbeit auf; verweist auf seinen in früheren Entschließungen erklärten Standpunkt, im Rat eine Initiative zu starten, damit alle EU-Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP keine Genehmigungen für Rüstungsexporte in die Türkei mehr erteilen;

71.

verurteilt aufs Schärfste die türkischen Militärinterventionen in Syrien, die schwerwiegende Verstöße gegen das Völkerrecht darstellen und die Stabilität und Sicherheit in der gesamten Region untergraben können; fordert die Regierung der Türkei auf, ihre rechtswidrige Besetzung von Nordsyrien und Afrin zu beenden und ihre Streitkräfte und paramilitärischen Stellvertretertruppen abzuziehen; weist erneut darauf hin, dass Sicherheitsbedenken nicht einseitige militärische Maßnahmen in einem anderen Land rechtfertigen; weist darauf hin, dass es in der Idlib-Frage keine nachhaltige militärische, sondern nur eine politische Lösung geben kann; äußert sich zutiefst besorgt angesichts der Überführung von terroristischen Kämpfern und Söldnern von dschihadistischen Gruppen aus Nordsyrien nach Libyen und dem Konfliktgebiet von Bergkarabach und verurteilt dies aufs Schärfste; fordert die staatlichen Stellen der Türkei auf, die richtigen Voraussetzungen für vertriebene Gemeinschaften in der Türkei zu schaffen, dass sie nach Hause zurückkehren können, und es ihnen auch zu gestatten;

72.

fordert die Türkei auf, sich auch künftig für eine friedliche Lösung des Konflikts in Libyen unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen einzusetzen und sich dem vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängten Waffenembargo uneingeschränkt anzuschließen; lobt die Arbeit der Seestreitkräfte der Europäischen Union, die Mittelmeeroperation Irini (EUNAVFOR MED Irini) und ihre Anstrengungen dabei, das mandatierte Waffenembargo aufrechtzuerhalten und den Menschen- und Drogenhandel zu verhindern; bedauert, dass sich die Türkei in mindestens zwei Fällen weigerte, dem Personal von EUNAVFOR MED IRINI die Kontrolle von Schiffen, die von der Türkei nach Libyen fuhren, zu erlauben; fordert die Türkei daher auf, uneingeschränkt mit EUNAVFOR MED Irini zu kooperieren, die gemäß den Resolutionen 2292 und 2526 des VN-Sicherheitsrats handelt, die für alle VN-Mitgliedstaaten verbindlich sind, auch für die Republik Türkei; fordert den Rat auf, eine Zusammenarbeit zwischen EUNAVFOR MED IRINI und der NATO Operation Sea Guardian anzustoßen und damit sicherzustellen, dass EUNAVFOR MED Irini mit dem Material und dem Personal ausgestattet ist, das zur wirksamen Ausübung der Kernaufgabe, der Überwachung der Verkehrsaktivitäten an Land, zu Wasser und in der Luft, und zur vollen Umsetzung des Waffenembargo durch alle Länder benötigt wird; betont das Erfordernis der Aufrechterhaltung des Waffenstillstands und des unverzüglichen und bedingungslosen Abzugs aller ausländischen Streitkräfte und Söldner aus dem gesamten Hoheitsgebiet Libyens in Übereinstimmung mit den Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen; verurteilt nachdrücklich die Unterzeichnung der beiden Vereinbarungen zwischen der Türkei und Libyen über eine umfassende Zusammenarbeit bei der Sicherheit und beim Militär und über die Abgrenzung der Meereszonen, die miteinander verknüpft sind; dies sind eindeutig Verstöße sowohl gegen das Völkerrecht als auch gegen einschlägige Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen;

73.

verurteilt die Tatsache, dass die Türkei nicht die Beendigung der Gewalt und die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zur Unterstützung der Bemühungen der Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE fordert, sondern vielmehr beschlossen hat, die Militäraktionen von Aserbaidschan im jüngsten Konflikt um Bergkarabach bedingungslos zu unterstützen und dabei auf provokative Rhetorik zurückzugreift, wodurch die Spannungen weiter angeheizt werden anstatt sie zu verringern; verurteilt nachdrücklich die Entsendung von ausländischen terroristischen Kämpfern durch die Türkei aus Syrien und anderswo nach Bergkarabach, wie von Länder, die den Kovorsitz der Minsker Gruppe der OSZE innehaben, bestätigt wird, und fordert die Türkei auf, jedwede Handlung und Rhetorik zu unterlassen, die die Spannungen in der Südkaukasusregion weiter verschärfen könnten, und den internationalen Dialog und Friedensprozess unter Schirmherrschaft der Minsk-Gruppe der OSZE zu unterstützen;

74.

fordert die StratCom-Abteilung des EAD auf, vermutete Desinformationen der Türkei gegenüber der EU zu dokumentieren, insbesondere in Afrika und der MENA-Region, und dem Europäischen Parlament ihre Erkenntnisse zu unterbreiten;

Die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei

75.

ist der Ansicht, dass es höchste Zeit ist, den Stand der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei ernsthaft zu überdenken, und dass sämtliche EU-Organe und -Mitgliedstaaten gemeinsam eine mittel- und langfristige umfassende, einheitliche und kohärente Strategie ausarbeiten sollten; fordert die Türkei auf, in einen konstruktiven und echten Dialog einzutreten, auch über außenpolitische Fragen, bei denen die Türkei und die EU unterschiedlicher Ansicht sind, um wieder eine gemeinsame Grundlage und Einvernehmen mit der EU zu finden, den Dialog und die Zusammenarbeit in gutnachbarlichen Beziehungen wieder aufzunehmen und den Reformprozess in der Türkei unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechte wieder in Gang zu bringen; ist der Ansicht, dass die EU alle möglichen Gelegenheiten für Dialog, Einvernehmen und Annäherung der Standpunkte mit der Türkei aufgreifen sollte, bekräftigt aber, dass die EU andernfalls und im Falle erneuter einseitiger Maßnahmen oder Provokationen seitens der Türkei, die gegen das Völkerrecht verstoßen, alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente und Optionen nutzen sollte, einschließlich gezielter Sanktionen als letztes Mittel, die keine negative Auswirkung auf das türkische Volk, seine Zivilgesellschaft oder die Flüchtlinge in der Türkei haben dürfen;

76.

ist der Ansicht, dass die EU nicht die Türkei mit der Politik ihrer derzeitigen Regierung verwechseln sollte, und betont deshalb, dass die EU weiterhin die Zivilgesellschaft der Türkei unterstützen sollte, damit die demokratischen Werte und Grundsätze, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit unter Berücksichtigung der starken proeuropäischen Einstellung und europäischen Identität der türkischen Gesellschaft gefördert werden; fordert in diesem Sinne alle europäischen Organe, insbesondere den Rat, dazu auf, die Dimension der Menschenrechte und die Lage der Grundrechte und Grundfreiheiten in der Türkei, in den Mittelpunkt ihrer Maßnahmen gegenüber dem Land zu stellen; nimmt die kürzliche gemeinsame Mitteilung über den aktuellen Stand der politischen, wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Türkei (JOIN(2021)0008) als kurze Zusammenfassung der aktuellen Situation zur Kenntnis; bedauert, dass die Rückschritte bei der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und den Grundrechten in der Türkei in den Schlussfolgerungen des Rates vom März 2021 nicht ausreichend thematisiert wurden; betont, dass die Dimension Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte im Mittelpunkt der Beurteilung unserer Politik gegenüber der Türkei stehen sollte; fordert die Kommission und den Rat daher auf, die Dimension Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit bei der Planung der nächsten möglichen Schritte in den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei als eines der Schlüsselkriterien aufzunehmen; hebt hervor, dass dies dabei helfen könnte, die in letzter Zeit in der Türkei festgestellten Rückschritte bei den Grundfreiheiten umzukehren, und eine ermutigende Botschaft an den großen proeuropäischen und prodemokratischen Teil der türkischen Gesellschaft zu senden;

77.

vertritt die Auffassung, dass sowohl die EU als auch die Türkei wissen, dass das Streben nach einer konstruktiven und respektvollen Haltung in ihren Beziehungen notwendig und wichtig ist und dass eine Beziehung, die auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen der EU und der Türkei beruht und die in der Lage ist, eine solide und dauerhafte Grundlage für eine konstruktive Entwicklung, eine ständige Verbesserung des Lebens der Bürgerinnen und Bürger und die Erhaltung des Friedens sicherzustellen, nur dann wiederhergestellt werden kann, wenn die Kommunikation und der Dialog auf allen Ebenen erweitert werden; ist der Ansicht, dass andere Kommunikationskanäle, u. a. zwischen Gemeinden, wodurch die wichtige Arbeit des Ausschusses der Regionen unterstützt werden kann, und in den Bereichen Bildung, Kultur und Journalismus gestärkt werden sollten; fordert sämtliche EU-Institutionen und Mitgliedstaaten zu einer gemeinsamen Anstrengung auf, um entsprechende konkrete Schritte zu unternehmen und fordert die Kommission auf, in ihrem nächsten Bericht über die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU über diese Schritte zu berichten; weist darauf hin, dass der Gemischte Parlamentarische Ausschuss EU-Türkei seine letzte 78. Sitzung am 19. und 20. Dezember 2018 in Ankara abhielt; bedauert diese Zeit der ungerechtfertigten Untätigkeit des Ausschusses und bringt daher seine Hoffnung auf eine schnelle Wiederaufnahme der Treffen zwischen der Großen Nationalversammlung der Türkei und dem Europäischen Parlament im Rahmen des Gemischten Parlamentarischen Ausschusses EU-Türkei als wichtige Grundlage für Diskussion und Deeskalation zum Ausdruck;

78.

fordert ein Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU und der Türkei nach einem echten Prozess der Deeskalation, um den derzeitigen Rahmen der Beziehungen neu zu bewerten bzw. neue, effektivere Modelle für die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei auszuloten;

79.

ist der Auffassung, dass beide Seiten zur Verbesserung der Beziehungen im Allgemeinen sich respektvoll ausdrücken, Anstrengungen zur Bekämpfung bestehender Vorurteile und falscher Vorstellungen unternehmen und sich eine objektivere und vollständigere Betrachtung des Standpunkts, den die jeweilige andere Seite im öffentlichen Diskurs vertritt, erarbeiten müssen, um die immer negativere Wahrnehmung des anderen umzukehren; fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, eine Kommunikationspolitik gegenüber der türkischen Gesellschaft auf den Weg zu bringen, die darauf abzielt, das Bewusstsein für die EU zu schärfen, objektive Informationen über ihre Politik bereitzustellen und eine positive Wahrnehmung der EU vonseiten der türkischen Bürger wiederherzustellen; betont, dass eine kriegerische und aggressive Rhetorik extreme Positionen auf beiden Seiten lediglich verstärkt und dass ein rein konfrontativer Ansatz denjenigen in die Hände spielt, die darauf abzielen, die Türkei und die EU zu entzweien;

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80.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Präsidenten des Europäischen Rates, dem Rat, der Kommission, dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament der Republik Türkei zu übermitteln und bittet darum, dass dieser Bericht sowie der Türkei-Bericht 2020 der Kommission und diese Entschließung ins Türkische übersetzt werden und eine Kopie an das Parlament gesandt wird.

(1)  ABl. C 328 vom 6.9.2016, S. 2.

(2)  ABl. C 23 vom 21.1.2021, S. 58.

(3)  Angenommene Texte, P9_TA(2019)0017.

(4)  Angenommene Texte, P9_TA(2019)0049.

(5)  Angenommene Texte, P9_TA(2020)0230.

(6)  Angenommene Texte, P9_TA(2020)0332.

(7)  Abkommen vom 12. September 1963 zur Etablierung einer Verbindung zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (ABl. L 361 vom 31.12.1977, S. 29).

(8)  Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1).

(9)  Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Türkei über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt (ABl. L 134 vom 7.5.2014, S. 3).

(10)  ABl. L 291 vom 12.11.2019, S. 4.