4.3.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 105/6


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Werbebranche im Dienste eines zeitgemäßen und verantwortungsvollen Konsums“

(Initiativstellungnahme)

(2022/C 105/02)

Berichterstatter:

Thierry LIBAERT

Beschluss des Plenums

25.3.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

30.9.2021

Verabschiedung im Plenum

20.10.2021

Plenartagung Nr.

564

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

132/0/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) betont, dass die Europäische Union (EU) ihre Werbebranche unterstützen muss, die von der COVID-19-Krise stark betroffen ist. Mit Blick auf den digitalen Wandel und den Wettbewerb durch Google, Amazon, Facebook und Apple ist Werbung für Wirtschaftstätigkeiten und Arbeitsplätze wichtiger denn je.

1.2.

Angesichts der Notwendigkeit eines respektvolleren Umgangs mit den Verbrauchern und im Hinblick auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem ökologischen Wandel und der Bekämpfung des Klimawandels müssen umfassende Überlegungen dazu angestellt werden, wie sichergestellt werden kann, dass die Werbebranche insbesondere die Ziele des Übereinkommens von Paris berücksichtigt.

1.3.

Der EWSA fordert die Werbebranche auf, sich zu einer Verringerung ihres CO2-Fußabdrucks zu verpflichten, um im Einklang mit den Zielen der EU, ihre Tätigkeiten bis 2050 CO2-neutral zu machen und die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % zu senken, zu der bis 2050 angestrebten CO2-Neutralität der Union beizutragen.

1.4.

Der EWSA fordert alle Akteure der Werbebranche auf, sich in ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld für eine Verringerung ihrer Umweltauswirkungen einzusetzen. Dies kann durch eine Senkung des Energieverbrauchs digitaler Werbeflächen sowie die Verbesserung ihrer Recyclingfähigkeit, durch die bevorzugte Verwendung von Papier aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern (PEFC- und PFC-Gütezeichen) sowie von Tinten, die den REACH-Normen und GreenGuard-Standard für Plakate auf Papier und Werbebroschüren entsprechen, ebenso wie durch eine Verringerung der technischen, energetischen und logistischen Auswirkungen auf audiovisuelle Produktionen erreicht werden.

1.5.

Der EWSA empfiehlt den Akteuren der Werbebranche, sich verstärkt unentgeltlich für ökologisch verantwortliche Initiativen von Akteuren einzusetzen, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen (KMU, Start-ups, Genossenschaften usw.).

1.6.

Der EWSA fordert die Akteure der Branche auf, ihre Mitglieder für die Herausforderungen des ökologischen Wandels zu sensibilisieren. Diese Sensibilisierung muss gleichzeitig auch im Rahmen der Hochschulausbildung im Bereich Kommunikation erfolgen.

1.7.

Der EWSA empfiehlt der Werbebranche, einen Nachdenkprozess über die Bildsprache der Werbung und die zugrunde liegenden Konzepte anzustoßen. Dies wäre ein Beitrag dazu, Werbung von einem Hindernis zu einem echten Hebel für den ökologischen Wandel zu machen, der es ermöglicht, faktenbasiert und präzise jene Produkte herauszustellen, die zur Verringerung der Umweltauswirkungen beitragen.

1.8.

Der EWSA fordert, die Bemühungen um eine stärkere Regulierung der Werbung auf europäischer Ebene zur Bekämpfung von grünem Etikettenschwindel und irreführenden Umweltaussagen im Hinblick auf eine Harmonisierung zwischen den EU-Mitgliedstaaten fortzusetzen.

1.9.

Der EWSA hält es für wünschenswert, dass neben den Aspekten des ökologischen Wandels besondere Anstrengungen in Bezug auf die Werbung für jüngere Menschen, namentlich in den sozialen Netzwerken, unternommen werden.

1.10.

Seiner Ansicht nach kann es keine uneingeschränkt verantwortungsvolle Werbung geben, wenn die Werbeakteure in Europa ihrer Verantwortung im Bereich der Desinformation nicht gerecht werden. Die Europäische Kommission muss ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Monetarisierung von Desinformation verstärken (1).

1.11.

Der EWSA fordert, dass die Werbebranche gegenüber der Zivilgesellschaft offener wird und häufiger den Austausch mit den verschiedenen Zielgruppen sucht, damit sie sich entsprechend den neuen gesellschaftlichen Erwartungen weiterentwickeln kann.

2.   Begriffsbestimmungen

2.1.

Für die Zwecke der vorliegenden Stellungnahme wird „Werbung“ wie von der EU definiert wie folgt verstanden: „[…] jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen […] zu fördern“. Diese Definition lässt jedoch die auf ein institutionelles Ziel (Verbesserung des Unternehmensimages) ausgerichtete Werbung sowie jene von öffentlichen Akteuren oder Verbänden außer Acht.

2.2.

Verantwortungsvoll ist Werbung dann, wenn sie ihrer Verantwortung in Bezug auf die großen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen sowie insbesondere bei der unabdingbaren Bekämpfung des Klimawandels gerecht wird.

3.   Werbung als Motor für Wirtschaft und Beschäftigung in Europa

3.1.

Werbung steht in engem Zusammenhang mit Wachstum und Beschäftigung. Dort, wo die Werbeinvestitionen hoch sind, ist das Wachstum höher als dort, wo sie niedriger sind. (2) Laut einer Studie des Weltverbands der werbenden Wirtschaft aus dem Jahr 2017 haben die 92 Mrd. EUR, die 2016 an Werbeausgaben im engeren Sinne getätigt wurden, einen zusätzlichen Vermögenswert von 643 Mrd. EUR generiert. (3).

3.2.

Verschiedenen Studien zufolge hat eine Investition von einem Euro in Werbung einen Multiplikator- und Austrahlungseffekt von 5 bis 7 zusätzlichen Wachstumspunkten. Auf Belgien bezogen ergibt sich ein Multiplikatoreffekt von 5 (2,2 Mrd. EUR an Werbeausgaben haben 13 Mrd. EUR Umsatz für die belgische Wirtschaft generiert (4)).

3.3.

Werbung beschleunigt die Verbreitung neuer Produkte und Dienstleistungen sowie mitunter auch von Innovationen, wofür die Nutzungsdauer bestimmter Geräte wie Computer und Telefone ein ausgezeichnetes Beispiel ist. Die beschleunigte Verbreitung neuer Produkte wirft Fragen zu ihren Umweltauswirkungen auf.

3.4.

Werbung belebt den Wettbewerb. Ohne Werbung wären wir alle Kunden ein und derselben Bank, die ihre Tarife nach eigenem Ermessen festsetzen würde. Die Bankdienstleistungen aller Banken sind im Großen und Ganzen ja ähnlich, sodass sich Unterscheidungsmerkmale auch aus der Werbung ergeben. Dies gilt für eine Vielzahl von Wirtschaftszweigen (Energie, Einzelhandel usw.).

3.5.

Von der Werbung leben viele Branchen, angefangen von den Medien. In vielen EU-Ländern ist sie eine der Haupteinnahmequellen für Printmedien, Radio und Fernsehen. Werbung ist jedoch nicht nur Einnahmequelle, sondern schafft auch ein Abhängigkeitsverhältnis, das sich manchmal auf die Inhalte von Produktionen auswirken und Fragen bezüglich der redaktionellen Unabhängigkeit aufwerfen kann.

3.6.

Der Umsatz der europäischen Werbebranche belief sich im Jahr 2018 auf 140 Mrd. EUR, wobei die 280 000 oft kleinen und mittleren Unternehmen der Branche ganz oder teilweise für die Kommunikation von Unternehmen tätig sind und 998 000 Mitarbeiter beschäftigen (5).

3.7.

Werbung wirkt sich indirekt auf viele weitere Berufe aus, die im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit stehen, wie z. B. die audiovisuelle Produktion, das künstlerische Schaffen oder die Fotografie. Aus der oben zitierten belgischen Studie geht hervor, dass der Arbeitsplatz von 87 000 Personen aus Werbeeinnahmen finanziert wurde bzw. dass sie über Lieferketten an der Werbeproduktion beteiligt waren.

3.8.

Berücksichtigt man sämtliche Kommunikationsausgaben der Unternehmen, so kommen noch erhebliche Summen hinzu, die in der EU alljährlich zur Unterstützung von Unterhaltungs-, Sport- und Kulturaktivitäten im Rahmen von Sponsoring und Patenschaften ausgegeben werden.

4.   Auswirkungen nicht nur auf wirtschaftliche und soziale Aspekte

4.1.

Die Auswirkungen auf die Presse bestehen anerkanntermaßen in einem umfassenderen Zugang zu den Medien. Ohne Werbung würden die Preise für Zeitungen wohl deutlich steigen, und für viele von ihnen würde weniger Werbung den wirtschaftlichen Tod bedeuten.

4.2.

Zudem ist es der Werbung zu verdanken, dass es Gratis-Zeitungen gibt, die es mehreren Millionen Menschen täglich ermöglichen, Nachrichten zu lesen.

4.3.

Auch der künstlerische und kreative Aspekt ist hervorzuheben. Tatsache ist, dass sehr viele Filmemacher, Fotografen und Zeichner ihre Karriere in der Werbebranche begonnen haben.

4.4.

Werbung als fixer Bestandteil mancher urbaner Landschaften hat Orte wie den Times Square in New York oder den Piccadilly Circus in London zu Touristenattraktionen gemacht. Die Werbeflächen wirken prägend auf Städte und verleihen bestimmten Orten eine besondere Strahlkraft. Diese starke Präsenz von Werbung im öffentlichen Raum lässt sich natürlich durchaus stark in Frage stellen.

4.5.

Werbung trägt zu einem positiven Diskurs über die Welt, Glück, Freude und Schönheit bei. Angesichts des permanenten Krisenzustands, in dem wir uns gegenwärtig befinden, tragen Werbebotschaften zur Verbreitung optimistischer und anregender Botschaften bei. Außerdem hält die Werbung gute Ratschläge für unser Leben parat: „Don’t imitate — innovate“ (Hugo Boss), „Denk an dich“ (Garnier), „Impossible is nothing“ (adidas). So vermittelt Werbung im Allgemeinen ein positives Bild von der Welt. Diese positive Vision kann für den ökologischen Wandel äußerst wichtig sein.

5.   Das Werbemodell und seine gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen

5.1.

Werbung wirkt sich unmittelbar auf die Treibhausgasemissionen aus. Zudem wirkt sie sich auf den Verbrauch von Papier, einer Reihe von Rohstoffen (insbesondere für die neuen LCD-Bildschirme) und Energie (Internet und audiovisuelle Medien) aus. Die Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen oder die Umwelt im weiteren Sinne (etwa die Recyclingfähigkeit des Werbemittels) werden in der Praxis nie als Kriterium für die Konzipierung einer Werbekampagne herangezogen.

5.2.

Im Übrigen zeitigt Außenwerbung spezifische Umweltauswirkungen. Dies gilt insbesondere für die Leuchtschilder und digitalen Schilder, bei denen der Energieverbrauch und die Auswirkungen in puncto Lichtverschmutzung nicht unerheblich sind Für die Herstellung eines digitalen Werbebildschirms (Standardgröße mit einem Gewicht von 200 kg) werden schätzungsweise 8 Tonnen an Rohstoffen benötigt (6).

5.3.

Werbung zielt darauf ab, immer mehr von den beworbenen Produkten zu verbrauchen und fördert damit einen übermäßigen und nicht unbedingt bedarfsgerechten Konsum. Es gibt eine Vielzahl von Produkten und Geräten, deren Nutzen in Wirklichkeit begrenzt ist und fallweise in keinem Verhältnis zu ihren Umweltauswirkungen steht. Mitunter wandern einige davon schon nach der ersten Verwendung in den Müll. Die Werbung versucht die Bedürfnisse und Erwartungen des Einzelnen entsprechend der Interessen ihrer Auftraggeber und nicht unbedingt im Einklang mit dem Allgemeinwohl zu beeinflussen.

5.4.

Durch ihre starke Präsenz in den Metropolen kann Werbung auch zur einer Uniformisierung des urbanen Raums in den großen europäischen Städten beitragen. Die überall gleichen Werbekampagnen führen dazu, dass sich die Stadtlandschaften immer ähnlicher sehen und an Qualität verlieren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Großteil der Werbekampagnen von einer kleinen Zahl von Werbetreibenden konzipiert wird.

5.5.

Die Werbebotschaften haben häufig nicht viel mit den Werten „Teilen“, „Solidarität“ und „Mäßigung“ zu tun. Die Werbung vermittelt den Eindruck, dass Konsum glücklich macht. Sie ruft uns in Erinnerung, dass man alles kaufen kann. Um glücklich zu sein, müssen wir mehr besitzen und konsumieren. In Meinungsumfragen lässt sich jedoch keine statistisch belastbare Korrelation zwischen Konsum und Glücksgefühl belegen. Dieses beruht in erster Linie auf bestimmten Werten sowie auf der wichtigen Rolle des familiären Gefüges und der direkten Sozialkontakte. Werbung, die zu immer mehr Konsum anhält, kann für Verbraucher auch ein Quell anhaltender Unzufriedenheit sein und insbesondere bei den am stärksten benachteiligten Menschen, die nicht über die für den Erwerb der beworbenen Waren und Dienstleistungen erforderlichen Mittel verfügen, Frustration hervorrufen.

5.6.

Europäische Unternehmen geben, ohne sich dessen bewusst zu sein, mehr als 400 Mio. EUR auf Desinformationsseiten im Internet aus (7). Anerkanntermaßen verfolgen die wichtigsten Quellen von Desinformation finanzielle Ziele und nehmen insbesondere durch Verlinkungen hohe Beträge aus der Online-Werbung ein.

5.7.

Der EWSA stellte fest, dass immer mehr Werbung in den sozialen Medien nicht als Werbung gekennzeichnet ist, sondern sich hinter mehr oder weniger bekannten Influencern verbirgt. Schätzungen zufolge bleiben bei über einem Viertel (26,6 %) der Werbung in sozialen Medien die Marke und die Geschäftsabsicht unerwähnt (8). Dies stiftet eine das Markenvertrauen erschütternde Verwirrung, zu deren Bekämpfung das Gesetz über digitale Dienste mit der obligatorischen Nennung der Organisation beitragen kann, in deren Namen die Werbung verbreitet wird (9).

6.   Die Entwicklung der Werbung schneller voranbringen, um sie besser mit den Herausforderungen des ökologischen Wandels in Einklang zu bringen

6.1.

Angesichts der immer dringlicheren Notwendigkeit, konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, ist es nur schwer nachvollziehbar, dass es seitens der Werbebranche keine förmliche Selbstverpflichtung zur Einhaltung des Übereinkommens von Paris gibt. Vor Kurzem hat das Europäische Parlament (EP) eine Entschließung verabschiedet, um die Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % zu gewährleisten, und die Europäische Kommission hat am 14. Juli 2021 ihr Paket „Fit für 55“ veröffentlicht, das zwölf Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels umfasst. Sämtliche Wirtschaftszweige müssen einen Beitrag zu dieser gemeinsamen Anstrengung leisten, und die Werbebranche muss dieses Kernziel wie die anderen Branchen auch innerhalb von nicht ganz einem Jahrzehnt erreichen.

6.2.

Die meisten Werbefachleute haben die Herausforderungen des Klimawandels und die Notwendigkeit, den großen Erwartungen der Gesellschaft Gehör zu schenken, sehr wohl verstanden. Seit mehreren Jahren setzen sie sich aktiv gegen irreführende Umweltaussagen und Öko-Etikettenschwindel ein. Künftig müssen sie ihre Anstrengungen noch verstärken.

6.3.

Die Europäische Kommission unterstützt dies. 2012 richtete die Generaldirektion für Justiz eine spezifische Interessenträgergruppe ein (Multi-Stakeholder Group on Environmental Claims). In den Jahren 2013 und 2016 wurden mehrere Berichte veröffentlicht. Diese Dokumente haben ein besseres Verständnis des Problems irreführender Umweltangaben ermöglicht und die Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (10) über unlautere Geschäftspraktiken beeinflusst. Die Europäische Kommission arbeitet an der Aktualisierung dieser Leitlinien, die bis Ende 2021 veröffentlicht werden sollen. Im endgültigen Text sollte die Anwendung der Richtlinie 2005/29/EG über irreführende Umweltangaben weiter präzisiert werden. Im Jahr 2020 führten die nationalen Verbraucherschutzbehörden ein von der Kommission koordiniertes „Scannen“ von Websites von Unternehmen durch, die angeblich umweltfreundliche Produkte verkaufen. In 42 % der Fälle wurde festgestellt, dass die Behauptungen übertrieben, falsch oder irreführend waren und möglicherweise als unlautere Handelspraktiken im Sinne der EU-Vorschriften eingestuft werden könnten (11).

6.4.

Auch in dem am 11. März 2020 veröffentlichten neuen Aktionsplan der Europäischen Kommission für die Kreislaufwirtschaft wird zum ersten Mal die Frage der Verantwortung der Werbebranche thematisiert. In Ziffer 2.2 äußert die Kommission darin die Absicht, den Schutz der Verbraucher vor Grünfärberei zu stärken. In dem Aktionsplan ist vorgesehen, dass Unternehmen ihre Umweltaussagen anhand von Methoden zur Messung des Umweltfußabdrucks von Produkten und Organisationen belegen müssen. In Ziffer 3.2 äußert die Kommission die Absicht, Anreize für eine Erhöhung des Belegungsgrads von Fahrzeugen zu schaffen (wozu auch die Werbung beitragen kann, indem weniger Autos gezeigt werden, in denen nur der Fahrer sitzt).

6.5.

Im Europäischen Parlament wurde im November 2020 über einen Initiativbericht des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) mit dem Titel „Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Binnenmarkt für Unternehmen und Verbraucher“ (12) abgestimmt. Darin wird „betont, wie wichtig verantwortungsvolle Werbung ist, bei der die öffentlichen Normen in Bezug auf die Umwelt und die Gesundheit der Verbraucher eingehalten werden“.

6.6.

Der EWSA hat sich besonders aktiv gegen irreführende Umweltaussagen eingesetzt, u. a. in seiner Stellungnahme zum Thema „Umwelt-, gesellschafts- und gesundheitsbezogene Werbeaussagen im Binnenmarkt“ (13). Außerdem hat er in seiner Stellungnahme zum Thema „Eine EU-Strategie für nachhaltigen Konsum“ (14) auf die Notwendigkeit eines besseren Rahmens für Werbung im Hinblick auf einen nachhaltigeren Konsum hingewiesen. In seiner jüngst verabschiedeten Stellungnahme zur neuen Verbraucheragenda (15) zeigte er überdies auf, dass die Verbraucher besser informiert und Öko-Etikettenschwindel bekämpft werden müssen.

7.   Für eine europäische Werbung im Dienste eines nachhaltigeren und verantwortungsvolleren Konsums

7.1.

Der EWSA spricht sich für einen anreizbasierten Ansatz aus, bei dem die Werbebranche in die Verantwortung genommen wird. Ein solcher Ansatz rechtfertigt sich durch die von der Branche insbesondere bei der Bekämpfung irreführender Umweltaussagen ebenso wie durch die im Bereich der Regulierung erzielten Fortschritte. Er ergibt sich überdies aus der Notwendigkeit, einen Wirtschaftszweig, der Wachstum und Beschäftigung schafft, in einer besonders heiklen Zeit zu unterstützen. Nach Ansicht des EWSA besteht die Gefahr, dass von allfälligen Beschränkungen der europäischen Werbemodelle nur die Digitalwerbebranche profitiert, die sich im Wesentlichen im Besitz von Google, Amazon, Facebook und Apple befindet, die sich nach wie vor weitgehend den europäischen Steuersystemen entziehen. Auch dieses Modell wird aufgrund des Ausbaus der Regeln für Cookies in Zukunft weiterentwickelt werden müssen. Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass für bestimmte Produktgruppen mit besonders starken Umweltauswirkungen wie zum Beispiel fossile Brennstoffe eine stärkere Regulierung in Betracht gezogen werden kann.

7.2.

Vor dem Hintergrund der derzeitigen Wirtschaftskrise spricht sich der EWSA dafür aus, den kleinsten und fragilsten Akteuren der Werbebranche (KMU) im Gegenzug für strukturelle Veränderungen in Bezug auf die oben beschriebenen Aspekte rasch außerordentliche Finanzhilfen zu gewähren, um den Fortbestand dieser Unternehmen im derzeitigen Kontext zu sichern.

7.3.

Jeder Beruf innerhalb der Werbebranche in Europa sowie die in der Europäischen Union tätigen Werbeagenturen berücksichtigen die Ziele des Übereinkommens von Paris von 2015 bei ihrer Politik zur Verringerung der Treibhausgasemissionen und insbesondere die jüngsten EU-Ziele von – 55 % bis 2030.

7.4.

Alle Wirtschaftsakteure der Werbebranche erkennen die Ziele im Zusammenhang mit dem ökologischen Wandel an und tragen ihnen in ihrer Geschäftstätigkeit Rechnung, indem sie Bewertungen ihrer Treibhausgasbilanz sowie Reduktionspfade und auf diese Ziele zugeschnittene Aktionspläne vorschlagen. Diese Umstellung der Werbedienste muss flexibel erfolgen, insbesondere um mittelgroße Agenturen zu fördern und zu unterstützen.

7.5.

Die Akteure der Werbebranche müssen sich zur Bewertung der CO2-Bilanz von Werbeproduktionen verpflichten, um die bislang gängige Praxis zu verändern, umweltfreundlichere Produktionsalternativen anzubieten und Möglichkeiten für eine Rückverlagerung nach Europa zu prüfen.

7.6.

Die Akteure der Werbebranche müssen die in den Bereichen Klimaschutz und soziale Inklusion aktivsten Organisationen stärker unentgeltlich unterstützen. Generell muss die Regulierung des Werbesektors in Richtung einer umfassenderen Beteiligung der Zivilgesellschaft weiterentwickelt werden, wofür auch neu zu entwickelnde Steuerungsmodelle in Erwägung gezogen werden sollten.

7.7.

Die Akteure der Werbebranche müssen regelmäßige Bildungsangebote zu den Herausforderungen in den Bereichen ökologischer Wandel und verantwortungsvollere Werbepraktiken bereitstellen, ihre Mitarbeiter diesbezüglich intern schulen sowie zur Ausbildung von Schülerinnen und Schülern in den Bereichen Marketing und Kommunikation beitragen.

7.8.

Die Werbebranche muss sich verpflichten, ihre Selbstregulierungsmechanismen weiter zu stärken, und zu diesem Zweck den europäischen Regulierungsbehörden umfassendere Kontrollbefugnisse einräumen und eine stärkere wirksame Einbindung der Zivilgesellschaft (Umweltschutzorganisationen, Verbraucherverbände, Gewerkschaften usw.) in die Steuerung dieser Regulierung vorschlagen.

Brüssel, den 20. Oktober 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Europäische Kommission: Leitlinien zur Stärkung des Verhaltenskodex für den Bereich der Desinformation, 26. Mai 2021. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_21_2585

(2)  Maximilien Nayaradou, L’impact de la régulation de la publicité sur la croissance économique, Kurzfassung erschienen in Publicité et croissance économique‚ Union des annonceurs, 2006. Dissertation, Universität Paris Dauphine, 2004

(3)  Weltverband der werbenden Wirtschaft. The value of advertising, Deloitte, 2017.

(4)  Union belge des annonceurs, L’impact de la publicité sur la croissance économique en Belgique, 3. Dezember 2015.

(5)  Quelle: Eurostat; Advertising and Market Research Statistics.

(6)  ADEME, Modélisation et évaluation environnementale des panneaux publicitaires numériques, September 2020.

(7)  Claudia Cohen, „Des marques financent, malgré elles, la désinformation“ (Markenhersteller finanzieren ungewollt Desinformation), Presseartikel aus Le Figaro vom 5. August 2021.

(8)  Observatoire de l’influence responsable (Beobachtungsstelle für verantwortungsvolle Einflussnahme). 13. September 2021.

(9)  ABl. C 286 vom 16.7.2021, S.70.

(10)  Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149 vom 11.6.2005, S. 22).

(11)  Täglicher Newsletter, Agence Europe, Nr. 12646, 24. Januar 2021.

(12)  https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?reference=2020/2021(INI)&l=en

(13)  ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 8.

(14)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 51.

(15)  ABl. C 286 vom 16.7.2021, S. 45.