Brüssel, den 20.5.2021

COM(2021) 245 final

BERICHT DER KOMMISSION

Umsetzung und bewährte Verfahren in der nationalen Beschaffungspolitik im Binnenmarkt


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2.Zusammenfassung der Überwachungsberichte der Mitgliedstaaten

2.1.Quantitative Schlüsselindikatoren – Anzahl und Wert der Aufträge

2.2.Häufigste Ursachen für falsche Anwendung oder Rechtsunsicherheit

2.3.Betrug, Bestechung, Interessenkonflikte und schwerwiegende Unregelmäßigkeiten

2.4.Beteiligung von KMU

2.5.Praktische Umsetzung der nationalen strategischen Auftragsvergabe

2.5.1.Umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen

2.5.2.Sozial verantwortliche Vergabe öffentlicher Aufträge

2.5.3.Innovationsförderndes öffentliches Beschaffungswesen

3.Allgemeine Schlussfolgerungen



1.Einleitung

Dieses Dokument spiegelt die Beiträge wider, die die Mitgliedstaaten im Rahmen der ersten Berichterstattung und Überwachung gemäß den Artikeln 83 und 85 der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe, Artikel 45 der Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe und den Artikeln 99 und 101 der Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (im Folgenden „Berichterstattungspflicht“ oder „Berichterstattung“) vorgelegt haben.

Aufgrund der verspäteten Umsetzung der Richtlinien wurde die Berichterstattungspflicht erstmals im Jahr 2018 angewendet. Folglich erstreckten sich die Berichte grundsätzlich auf den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 1 (selbst wenn ein Mitgliedstaat die Richtlinien nach dem 1. Januar 2017 umgesetzt hat), je nach Verfügbarkeit der Daten.

Im Zusammenhang mit den oben genannten Verpflichtungen gingen bei der Kommission 27 Berichte ein: 26 aus EU-Mitgliedstaaten 2 und einer aus Norwegen als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Die von den Mitgliedstaaten vorgelegten Originalberichte können unter folgender Adresse abgerufen werden:

https://ec.europa.eu/growth/single-market/public-procurement/country-reports_de .

2.Zusammenfassung der Überwachungsberichte der Mitgliedstaaten 

Allgemein sei angemerkt, dass qualitative Informationen in allen eingegangenen Berichten Vorrang vor quantitativen Daten hatten. Aufgrund der Unvollständigkeit Letzterer waren jedoch die Möglichkeiten für eine umfassende Zusammenführung und/oder Vergleichbarkeit der auf EU-Ebene verfügbaren Daten eingeschränkt.

2.1.Quantitative Schlüsselindikatoren – Anzahl und Wert der Aufträge

Die quantitativen Indikatoren sind für die Definition des Beschaffungsmarktes unerlässlich. Die Mitgliedstaaten wiesen auf verschiedene Probleme hin, die bei der Durchführung dieser Berichterstattung aufgetreten sind, z. B. unvollständige oder fehlende Eingabedaten 3 oder das Nichtvorhandensein solcher Daten 4 usw. Die Aufgabe selbst scheint so anspruchsvoll und ressourcenintensiv gewesen zu sein, dass einige Mitgliedstaaten beschlossen haben, diesbezüglich zusätzliche Unterstützung anzufordern.

Angesichts der oben genannten Probleme bei der Zusammenstellung der Daten wurden die ausgewählten Schlüsselindikatoren, die von den Mitgliedstaaten im Rahmen der ersten Berichterstattung übermittelt wurden, in Table 1 zusammengefasst (die Daten in der Tabelle beziehen sich auf Aufrufe zum Wettbewerb, sofern nicht anders angegeben).

Tabelle 1: Anzahl und Wert der im Jahr 2017 vergebenen Aufträge über und unter dem EU-Schwellenwert

Anmerkungen: Dänemark: „Unter Schwellenwert“ betrifft nur Ausschreibungen von grenzüberschreitendem Interesse; Frankreich: nur Daten für 2016 und über 90 000 EUR, es sei denn, es handelt sich um freiwillige Meldungen; Ungarn: Werte beziehen sich auf vergebene Aufträge; Irland: Daten beziehen sich auf Vergabebekanntmachungen; Italien: ungefähre Aufteilung in die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen ober- und unterhalb des Schwellenwerts, auf der Grundlage eines Auftragswerts von weniger als 150 000 EUR; Luxemburg: die Zahl der Verfahren bezieht sich auf vergebene Aufträge; Malta: Daten beziehen sich auf vergebene Aufträge; Niederlande: Daten für 2015; Rumänien: Berichtszeitraum 1.1.2017-28.2.2018; Slowakei: Daten für unter dem EU-Schwellenwert vergebene Aufträge sind den Daten für vergebene Aufträge und geschätzte Auftragswerte zu entnehmen; Spanien: Datenerhebung wurde am 15. Dezember 2017 beendet; Schweden: Daten für 2016.

Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, weisen die übermittelten Informationen mehrere Unstimmigkeiten auf: von Informationslücken bis hin zur kombinierten Berichterstattung (z. B. über und unter dem Schwellenwert liegende Beschaffungen werden zusammen gemeldet) oder der Berichterstattung über verschiedene Phasen des öffentlichen Auftragsvergabeverfahrens (z. B. Daten, die sich auf Ausschreibungen beziehen, gegenüber vergebenen Aufträgen) sowie unterschiedliche Zeiträume. Die Verarbeitung solcher Eingabedaten wird problematisch, wenn zu den oben genannten Umständen weitere Probleme hinzukommen, wie etwa Zweifel an der Vergleichbarkeit der Maßeinheiten oder Unterschiede im Erfassungsbereich (d. h. die Überwachung der Vergabe von Aufträgen unterhalb des EU-Schwellenwerts hängt von der Höhe der nationalen Schwellenwerte ab, die erheblich variieren). Infolgedessen wurden die von den Mitgliedstaaten übermittelten Informationen „unverändert“ dargestellt, einschließlich Platzhaltern für fehlende Angaben (auch wenn Letztere teilweise auf den freiwilligen Charakter der Datenerhebung 5 zurückzuführen sind), und es wurden keine Gesamtwerte auf EU-Ebene auf der Grundlage der erhaltenen Informationen berechnet.

In mehreren Fällen unterschieden sich die nationalen Zahlen für Aufträge oberhalb der Schwellenwerte von den Daten, die über TED (Tenders Electronic Daily) 6 erhoben wurden, wenn die Daten für Aufträge oberhalb und unterhalb des Schwellenwerts getrennt gemeldet wurden. Dieser Umstand kann auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen sein, wie etwa die unzureichende Integration der Datenübertragung und/oder -veröffentlichung zwischen den nationalen Systemen und TED, und er ist weiter zu untersuchen. Beispiele für solche Abweichungen sind Tabelle 2 zu entnehmen.

Tabelle 2: Abweichungen zwischen der Anzahl der Auftragsbekanntmachungen (AB) und der Auftragsvergaben (AV) – Beispiele

2017 (2016 SE)

Land

AB veröffentlicht in TED ggü. nationaler Berichterstattung

AV veröffentlicht in TED ggü. nationaler Berichterstattung

FI

87 %

93 %

HU

84 %

108 %

SE

89 %

107 %

Figure 1 zeigt den Anteil der öffentlichen Aufträge unterhalb und oberhalb des EU-Schwellenwerts für ausgewählte Mitgliedstaaten, die auch den Wert der öffentlichen Auftragsvergabe oberhalb des EU-Schwellenwerts vorlegten.

Abbildung 1: Wert der Auftragsvergabe unterhalb des EU-Schwellenwerts im Vergleich zur Vergabe oberhalb des EU-Schwellenwerts

Das Diagramm zeigt unterschiedliche Muster in den ausgewählten Mitgliedstaaten, die auf Unterschiede bei den nationalen Schwellenwerten sowie auf unterschiedliche Methoden für die Datenerhebung zurückzuführen sein könnten. Interessanterweise ist in einigen Ländern (den Niederlanden und Portugal) die Auftragsvergabe unterhalb des Schwellenwerts wichtiger als die Vergabe oberhalb des Schwellenwerts. Dies verdeutlicht die Bedeutung der nationalen Beschaffungsmärkte sowie die Bedeutung der Datenerhebung und -überwachung über TED hinaus (eine ausschließliche Aufgabe der Mitgliedstaaten).

2.2. Häufigste Ursachen für falsche Anwendung oder Rechtsunsicherheit

Dieser Abschnitt konzentriert sich auf die häufigsten Ursachen für die falsche Anwendung oder Rechtsunsicherheit, einschließlich von den Mitgliedstaaten gemeldeter möglicher struktureller oder wiederkehrender Probleme bei der Anwendung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Am häufigsten wurden folgende allgemeine Probleme ermittelt:

·unzureichende Kenntnis der Vorschriften durch die Praktiker, insbesondere der Vorschriften, die nicht durch die Rechtsprechung geklärt wurden;

·unzureichende Personalausstattung (erforderliche Qualität und Vielfalt der Profile) sowie Personalbindung, insbesondere auf lokaler Ebene;

·mangelnde Beschaffungskompetenzen und unzureichende Kenntnis des Marktes;

·Druck auf die politische Hierarchie, um ein bestimmtes Ergebnis des Verfahrens sicherzustellen;

·Druck, um rasch Ergebnisse zu erzielen, was zu einer Verkürzung der Zeit für eine ordnungsgemäße Planung und Durchführung des Verfahrens führt;

·Mangel an zentralen Beschaffungsstellen oder unzureichende Unterstützung für kleine und unterbesetzte Behörden.

In Bezug auf die konkrete Anwendung der Rechtsvorschriften durch die nationalen öffentlichen Auftraggeber verwies etwa ein Viertel der Mitgliedstaaten auf folgende Punkte:

·Berechnung des Auftragswerts – Artikel 5: künstliche Aufteilung durch den öffentlichen Auftraggeber entweder gezielt in einem illegalen Kontext oder durch falsche Auslegung, die zu einer unbeabsichtigten künstlichen Aufteilung führen könnte;

·Ausschlussgründe – Artikel 57: die Anwendung von Ausschlussgründen durch den öffentlichen Auftraggeber zum Zwecke der Günstlingswirtschaft oder eine zu freie Auslegung, die zur nicht ausreichend strengen Durchsetzung führt;

·Zuschlagskriterien – Artikel 67: Schwierigkeiten des öffentlichen Auftraggebers bei der Formulierung angemessener und aussagekräftiger Qualitätskriterien, einschließlich solcher, die ein strategisches (umweltorientiertes, sozial verantwortliches und innovationsförderndes) öffentliches Beschaffungswesen beinhalten und einen einschlägigen Bezug zum Auftragsgegenstand herstellen.

Schließlich wurden trotz der begrenzten Anzahl von Antworten häufig folgende Muster beobachtet:

·Präferenz der öffentlichen Auftraggeber, den niedrigsten Preis als Zuschlagskriterium heranzuziehen, der als einfacheres und objektiveres Kriterium angesehen wird; das beste Preis-Leistungs-Verhältnis wird aufgrund der Angst vor Risiken bei Compliance-Prüfungen in einer begrenzten Anzahl von Fällen herangezogen;

·keine oder nur wenige frühere Marktstudien, was zu unrealistischen oder überholten Spezifikationen führt;

·Anwendung möglichst kurzer Fristen für die Einreichung von Angeboten oder Teilnahmeanträgen und kurzer Fristen für die Auftragsausführung;

·Auferlegen von zu vielen oder gar keinen Auswahlkriterien.

2.3.Betrug, Bestechung, Interessenkonflikte und schwerwiegende Unregelmäßigkeiten

Viele Mitgliedstaaten erläuterten ihre legislativen Lösungen, den institutionellen Aufbau und die ergriffenen „Soft Law“-Maßnahmen mit bestimmten Statistiken über die Funktionsweise des Systems. In den meisten Fällen wurden die allgemeinen Gesetze und Institutionen zur Bekämpfung von Korruption und geheimen Absprachen vor den Richtlinien erlassen bzw. eingerichtet. Die EU-Vorschriften boten jedoch in der Regel den Anreiz, sich speziell auf Fragen im Zusammenhang mit der öffentlichen Auftragsvergabe zu konzentrieren, sofern diese nicht bereits abgedeckt waren.

Zu den spezifischen Pflichten und Rechten von Interesse zählen beispielsweise:

·Verpflichtung zur Veröffentlichung aller Dokumente, einschließlich Informationen über die Wirtschaftsteilnehmer;

·Verpflichtung der Wettbewerbsbehörden, Markttests und Simulationen durchzuführen, um geheime Absprachen aufzudecken;

·Verpflichtung der Wirtschaftsteilnehmer zur Bereitstellung von Daten über ihre Eigentümerstruktur;

·obligatorische Ernennung von Beamten für Integrität und Einrichtung interner Auditdienste bei öffentlichen Auftraggebern.

Die in den Berichten genannten „Soft Law“-Maßnahmen 7 waren die umfangreichsten und wiesen die größte Kohärenz zwischen den Mitgliedstaaten auf. Dazu gehören nationale Strategien zur Korruptionsbekämpfung, Handbücher und Leitfäden (insbesondere über Methoden zur Durchführung von Marktforschung, Verhandlungen oder zur Aufdeckung geheimer Absprachen), Professionalisierung, Aus- und Weiterbildung oder Verhaltenskodizes für Beamte (sofern nicht gesetzlich festgelegt) und manchmal auch für Wirtschaftsteilnehmer. Der Schwerpunkt auf „Soft Law“-Maßnahmen zeigt, dass sich die Mitgliedstaaten bewusst sind, dass Maßnahmen im Bereich der Integrität und Korruptionsbekämpfung nicht nur rechtliche Hindernisse, sondern auch einen positiven Einfluss auf die Verwaltungskultur, das persönliche Verhalten und persönliche Werte erfordern.

Die meisten der oben genannten Maßnahmen gelten sinngemäß auch für Interessenkonflikte. Es gibt einige spezifische nationale Maßnahmen in Bezug auf Interessenkonflikte:

·Etwa ein Viertel der Mitgliedstaaten berichtet über genauere Vorschriften zur Definition von Interessenkonflikten als in den Richtlinien vorgesehen. Im Allgemeinen geht es dabei um die Klärung familiärer und persönlicher Bindungen, die anerkanntermaßen unter den Begriff des Interesses fallen, sowie um Vorschriften über Beteiligungen an privaten Unternehmen.

·Viele Mitgliedstaaten geben Erklärungen über das Nichtvorliegen von Interessenkonflikten, Unparteilichkeit und Objektivität als eine auf nationaler Ebene angewandte Maßnahme an. In einigen Fällen besteht die allgemeine Verpflichtung, etwaige Interessenkonflikte zu melden und diese Informationen zu veröffentlichen. Im Allgemeinen sind Sanktionen für Verstöße gegen diese Vorschriften vorgesehen.

·Zu den weiteren Maßnahmen zählen:

oein Verbot der gleichzeitigen Teilnahme an mehreren technischen Ausschüssen und/oder Bewertungsausschüssen, die mit demselben Vergabeverfahren befasst sind;

ostrenge Bestimmungen, wonach Verträge, die unter Verstoß gegen die Vorschriften zur Regelung von Interessenkonflikten geschlossen wurden, nichtig sind;

odie Verpflichtung der Beamten, welche die öffentliche Auftragsvergabe kontrollieren, zur regelmäßigen Abgabe von Vermögenserklärungen.

In den Berichten wird auch bestätigt, dass die Mitgliedstaaten derzeit Maßnahmen zur Verhinderung und Aufdeckung von geheimen Absprachen verfolgen, die sich weitgehend an den OECD-Leitlinien orientieren. 8 Die in den Mitgliedstaaten üblichen Maßnahmen zur Bekämpfung von geheimen Absprachen umfassen: Ausarbeitung und Verbreitung von Leitlinien zur Aufdeckung, Sensibilisierung und Fortbildungsmaßnahmen, direkte Beratungsstellen für die Meldung mutmaßlicher Fälle, Kronzeugenprogramme für Wirtschaftsteilnehmer, die Informationen übermitteln, strafrechtliche Sanktionen für geheime Absprachen usw.

Offenbar sind in den meisten Mitgliedstaaten in erster Linie die nationalen Wettbewerbsbehörden für die Umsetzung solcher Maßnahmen zuständig. Die Rolle der zentralen Beschaffungsbehörden 9 in diesem Bereich ist nicht definiert. Die Bedeutung der Einrichtung und/oder Aufrechterhaltung klarer Kommunikations- und Kooperationskanäle zwischen Wettbewerbsbehörden, zentralen Beschaffungsbehörden und öffentlichen Auftraggebern wird allgemein als wesentliches Element der Politik zur Bekämpfung von Absprachen anerkannt.

Aus den Berichten geht hervor, dass die Ausarbeitung und Anwendung von Instrumenten für die quantitative Bewertung von Abspracherisiken in Vergabeverfahren, vor allem in Form von Risikoindikatoren, nach wie vor eine Herausforderung darstellt.

2.4.Beteiligung von KMU 

Aufgrund der Vielfalt der Berichterstattung und der ausgetauschten Daten ist es schwierig, die Daten aus verschiedenen Ländern über die Beteiligung von KMU zu vergleichen.

Rund drei Viertel der Mitgliedstaaten haben Beiträge zur quantitativen Berichterstattung vorgelegt. Allerdings hat nur eine begrenzte Anzahl der Mitgliedstaaten ausdrücklich auf Probleme hingewiesen, mit denen KMU bei der Vergabe öffentlicher Aufträge konfrontiert waren. Dazu gehören insbesondere der Verwaltungsaufwand, das mangelnde Wissen über den Warenmarkt der KMU oder der mangelnde Dialog zwischen öffentlichen Auftraggebern und KMU. Um diesen Problemen zu begegnen, wurden zumeist Maßnahmen gemeldet, die in den EU-Vergaberichtlinien gefordert werden (Unterteilung von Aufträgen in Lose, Obergrenzen bei Umsätzen usw.). Mehrere Mitgliedstaaten berichten über ergänzende Maßnahmen wie Helpdesks und andere Unterstützungsstrukturen, mit denen die elektronische Vergabe von Aufträgen auch unterhalb des Schwellenwerts eingeführt wird. Die meisten Herausforderungen, mit denen KMU konfrontiert sind, betreffen die Beteiligung an der öffentlichen Auftragsvergabe im Allgemeinen, während in einigen Berichten auch bestimmte Herausforderungen erwähnt werden, die eher mit nationalen Besonderheiten zusammenhängen.

Einige Mitgliedstaaten haben über die in den Richtlinien enthaltenen Maßnahmen hinaus zusätzliche Maßnahmenergriffen, um die Beteiligung von KMU an der öffentlichen Auftragsvergabe zu verbessern.

Einige interessante Praktiken können hervorgehoben werden:

·Die niederländische Regierung ermutigte KMU, mit den öffentlichen Auftraggebern zusammenzuarbeiten, um Hindernisse zu ermitteln und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Auftragsvergabeverfahren zu entwickeln, die die Regierung im Februar 2018 10 vorlegte.

·Die italienische Regierung hat Fortbildungsstellen für Anbieter 11 eingerichtet, mit denen die lokalen Unternehmen, insbesondere Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen, bei der Nutzung elektronischer Beschaffungsinstrumente geschult und unterstützt werden.

Einige Mitgliedstaaten, die Schwierigkeiten bei der Vorlage von Daten hatten, gaben an, dass sie in Zukunft Datenerhebungssysteme einrichten wollen.

2.5.Praktische Umsetzung der nationalen strategischen Auftragsvergabe 

Das strategische öffentliche Beschaffungswesen beinhaltet eine umweltorientierte, sozial verantwortliche und innovationsfördernde Auftragsvergabe. Ziel ist es, den Mehrwert und die Wirkung des Verfahrens und der öffentlichen Ausgaben zu erhöhen und so zur wirksamen Umsetzung der wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Ziele auf EU-, nationaler, regionaler und/oder lokaler Ebene und zu einer inklusiven Erholung beizutragen sowie den doppelten Übergang zu fördern und die soziale Widerstandsfähigkeit zu stärken.

2.5.1.Umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen

Umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen (Green Public Procurement, im Folgenden „GPP“) wird definiert als „… ein Prozess, in dessen Rahmen die staatlichen Stellen versuchen, Güter, Dienstleistungen und Arbeitsverträge zu beschaffen, die während ihrer gesamten Lebensdauer geringere Folgen für die Umwelt haben als vergleichbare Produkte mit der gleichen Hauptfunktion.“ 12

Die Mitgliedstaaten berichteten über einige der wichtigsten Herausforderungen, mit denen sie bei der Umsetzung des GPP konfrontiert waren, darunter:

·die Schwierigkeit, Praktiken des GPP zu fördern, da die öffentlichen Auftraggeber nicht rechtlich verpflichtet sind, bei Ausschreibungen Umweltkriterien anzuwenden;

·die fehlende Rechtssicherheit hinsichtlich der richtigen Auslegung des Erfordernisses des Zusammenhangs mit dem Auftragsgegenstand und die generelle Furcht vor einem Rechtsstreit;

·das Fehlen von Daten über die Wirksamkeit und den wirtschaftlichen Nutzen der Anwendung der GPP-Kriterien und die schwierige Überwachung von deren Anwendung;

·das Fehlen spezifischer Kenntnisse und Kompetenzen der an Ausschreibungen beteiligten öffentlichen Bediensteten und die Tatsache, dass das GPP als Wettbewerbshindernis wahrgenommen werden kann und insbesondere die Beteiligung von KMU an öffentlichen Ausschreibungen einschränkt.

In vielen Mitgliedstaaten besteht Unklarheit in Bezug auf die Definition des Begriffs des umweltorientierten öffentlichen Beschaffungswesens, da sie die umweltorientierte Vergabe öffentlicher Aufträge in ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung nicht eindeutig definieren, während sich die übrigen Mitgliedstaaten häufig für die oben genannte Definition der Europäischen Kommission entschieden haben. Es ist wichtig festzuhalten, dass Maßnahmen zur Förderung der Beschaffung von Produkten, Gebäuden und Dienstleistungen mit hoher Energieeffizienz in der Richtlinie zur Energieeffizienz 2012/27/EU 13 verbindlich vorgeschrieben sind, in diesem Bericht jedoch nicht konkret bewertet wurden (und auch keine Verpflichtung besteht, gemäß der Richtlinie 2012/27/EU darüber Bericht zu erstatten).

Die Mitgliedstaaten haben das GPP in unterschiedlichem Umfang umgesetzt. Der Hauptfaktor ist, ob die öffentlichen Auftraggeber rechtlich verpflichtet sind, Umwelterwägungen in ihre Vergabeverfahren einzubeziehen. Etwa ein Drittel der Mitgliedstaaten hat eine rechtliche Verpflichtung für bestimmte Sektoren, Produktgruppen oder für den Fall eingeführt, dass der Auftragswert über festgelegten Schwellenwerten liegt. Die anderen haben sich für die freiwillige Berücksichtigung des GPP entschieden.

Viele Mitgliedstaaten berichteten, dass keine Daten über die Anwendung der umweltorientierten öffentlichen Auftragsvergabe vorliegen. Darüber hinaus haben viele Mitgliedstaaten zwar Leitlinien für die Einbeziehung ökologischer Kriterien in Vergabeverfahren aufgenommen, doch nur einige von ihnen haben erklärt, wie diese Kriterien in den Bewertungsphasen zu beurteilen sind.

Beispiele für bewährte Verfahren sind:

· Aufnahme verbindlicher GPP-Kriterien oder -Ziele in die nationalen sektorspezifischen Rechtsvorschriften;

·Einrichtung einer Bibliothek mit GPP-Kriterien für verschiedene Produkte und Dienstleistungen, die frei zugänglich ist und unterschiedliche Kriterien hinsichtlich des Grades der Umweltorientierung umfasst;

·verpflichtende jährliche Berichterstattung über Umweltaspekte bei Vergabeverfahren, um Transparenz zu gewährleisten und eine einfache Datenerhebung zu ermöglichen;

·Anbieten von Fortbildungsmaßnahmen zum Thema GPP sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Unternehmen;

·Einbeziehung der Umweltschutzbehörden (oder einer anderen Stelle, die ähnliche Tätigkeiten ausübt) in die Umsetzung des GPP.

2.5.2.Sozial verantwortliche Vergabe öffentlicher Aufträge

Eine sozial verantwortliche Vergabe öffentlicher Aufträge (Socially responsible public procurement, im Folgenden „SRPP“) bezeichnet eine Auftragsvergabe, bei der eine oder mehrere soziale Erwägungen zur Förderung sozialer Ziele berücksichtigt werden. Die SRPP kann ein breites Spektrum an sozialen Erwägungen abdecken, wie Beschäftigungsmöglichkeiten, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und die Einhaltung der Sozial- und Arbeitnehmerrechte, soziale Inklusion, Chancengleichheit und Barrierefreiheit.

Im Allgemeinen war die Qualität der bereitgestellten Informationen unzureichend, um diesen Aspekt der öffentlichen Auftragsvergabe in allen Mitgliedstaaten klar und umfassend bewerten zu können. Die nationalen Behörden, die an der Erstellung der Berichte beteiligt waren, ließen bisweilen Informationen über arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften einfließen, ohne einen klaren Bezug zu den Rechtsvorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe herzustellen. Darüber hinaus lieferte die Mehrheit der Mitgliedstaaten kaum Daten zur SRPP.

In Bezug auf die Anwendung sozialer Kriterien bei der Auftragsvergabe nannten die Mitgliedstaaten die folgenden zentralen Punkte:

·das Fehlen klarer Leitlinien für die korrekte Umsetzung;

·Schwierigkeiten bei der Berechnung der sozialen Auswirkungen und der Lebenszykluskosten;

·Schwierigkeiten beim Herstellen eines Zusammenhangs zwischen sozialen Erwägungen und dem Auftragsgegenstand;

·Fehlen einer allgemein akzeptierten Definition des Begriffs SRPP.

Etwa zwei Drittel der Mitgliedstaaten verfügen über nationale Rechtsvorschriften oder Strategien zur Umsetzung der SRPP. Die Mitgliedstaaten, welche die SRPP in ihren nationalen Rechtsvorschriften erwähnen, haben genaue Kriterien für die Aufnahme sozialer Erwägungen in das Vergabeverfahren als technische Spezifikationen, Ausschlussgründe, Zuschlagskriterien und Bedingungen für die Auftragsausführung aufgenommen. Dies ebnet den Weg für mehr Rechtssicherheit in Bezug auf die Anwendung der SRPP und bessere Orientierungshilfen für öffentliche Auftraggeber bei öffentlichen Ausgaben. Einige Mitgliedstaaten sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben geeignete Bewertungsmechanismen in nationales Recht aufgenommen, Leitlinien erstellt oder eine Stelle benannt, welche die öffentlichen Auftraggeber bei der Umsetzung der SRPP und der Bewertung der sozialen Auswirkungen von Ausschreibungen unterstützen soll.

In diesem Zusammenhang können einige interessante Praktiken hervorgehoben werden:

·Erstellung einer Sammlung bewährter Verfahren für die sozial verantwortliche Vergabe öffentlicher Aufträge;

·Einsetzung einer Arbeitsgruppe zu sozialen Aspekten des öffentlichen Beschaffungswesens zur Analyse sozialer Aspekte, die von den öffentlichen Auftraggebern in den verschiedenen Phasen der Auftragsvergabe berücksichtigt werden können, sowie Ausarbeitung und Veröffentlichung eines ausführlichen Leitfadens;

·Einsetzung eines interministeriellen Ausschusses für die Einbeziehung sozialer Kriterien in das öffentliche Auftragswesen mit dem Ziel, die Koordinierung der Einbeziehung sozialer Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und bei der Durchführung von Verträgen, die bestimmten Einrichtungen im sozialen Bereich vorbehalten sind, zu gewährleisten;

·Ausarbeitung eines Verhaltenskodex für Anbieter, um sicherzustellen, dass die beschafften Waren und Dienstleistungen unter nachhaltigen und sozial verantwortlichen Bedingungen bereitgestellt werden.

2.5.3.Innovationsförderndes öffentliches Beschaffungswesen

Die Qualität der Berichterstattung über das innovationsfördernde öffentliche Beschaffungswesen 14 (Innovation public procurement, im Folgenden „IPP“) ist von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat sehr unterschiedlich. Aufgrund fehlender Daten haben mehrere Mitgliedstaaten keine Angaben zu den Maßnahmen gemacht, die zur Unterstützung des IPP ergriffen wurden.

Die häufigsten Hindernisse, auf die die Mitgliedstaaten stoßen, betrafen in vielen Fällen Ressourcen und Verwaltungskapazitäten, die für die Umsetzung des IPP erforderlich sind, z. B.:

·mangelndes Bewusstsein;

·unzureichende methodische Kompetenz öffentlicher Käufer;

·geringe Risikotoleranz bei öffentlichen Ausgaben;

·geringe oder fehlende Finanzmittel für Innovationen in öffentlichen Einrichtungen;

·Widerstand gegen Veränderungen aufgrund der Organisationskultur.

Die Maßnahmen zur Förderung des IPP unterschieden sich stark. Einige Mitgliedstaaten haben spezifische nationale Ziele festgelegt, beispielsweise einen Anteil an der gesamten öffentlichen Auftragsvergabe, der bis zu einem bestimmten Jahr für Innovationen vorbehalten sein sollte. Diese Zielvorgaben bewegten sich im Bereich zwischen 2 % und 5 %. Andere Mitgliedstaaten haben eine nationale Strategie oder einen Aktionsplan angenommen, die schließlich Teil einer umfassenderen Strategie auf nationaler Ebene zur Innovationsförderung sind. Nur sehr wenige Mitgliedstaaten haben beschlossen, Kompetenzzentren einzurichten und/oder Makler einzusetzen, die als Vermittler zwischen Käufern und Lieferanten fungieren. Ziel dieser Zentren ist es, die strategische Nutzung des öffentlichen Beschaffungswesens zu verbessern und Fachwissen, den Austausch bewährter Verfahren, Fortbildungsmaßnahmen und methodische Unterstützung bei spezifischen Projekten anzubieten. Allerdings bieten Mitgliedstaaten, die keine Kompetenzzentren eingerichtet haben, häufig spezielle Fortbildungsmaßnahmen zur innovationsfördernden Beschaffung und Leitlinien an. Die Einrichtung solcher Zentren ist ein bewährtes Verfahren, da sie dazu beitragen, die Kapazitäten der Beschäftigten im öffentlichen Beschaffungswesen zur Umsetzung des IPP zu stärken.

Im Allgemeinen werden die überarbeiteten Richtlinien und insbesondere die Innovationspartnerschaft, die in das neue Legislativpaket aufgenommen wurde, hinsichtlich der Förderung des IPP positiv bewertet. Dennoch meldeten nur zwei Mitgliedstaaten eine kleine Anzahl von Fällen, in denen die Innovationspartnerschaft genutzt wurde.

3.Allgemeine Schlussfolgerungen

Insgesamt ermöglichte die erste Berichterstattung allen Beteiligten, zuvor verstreute Informationen über die Umsetzung der Richtlinien zu sammeln, und brachte nützliche Erkenntnisse über die Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe in der EU. Die Berichte enthielten auch praktische Beispiele, die als Inspirationsquelle und zum Wissensaustausch zwischen den nationalen Behörden dienen könnten.

Zweifellos hat die erste Datenerhebung gezeigt, dass insbesondere bei der quantitativen Berichterstattung viel Verbesserungsbedarf besteht. Darüber hinaus ist eine striktere Umsetzung strategischer Erwägungen hinsichtlich der Auftragsvergabe von entscheidender Bedeutung für die Unterstützung einer inklusiven Erholung, die Förderung eines gerechten Übergangs und die Stärkung der sozioökonomischen Widerstandsfähigkeit im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal als neuer Wachstumsstrategie für die EU.

Schließlich werden die Mitgliedstaaten ermutigt, den Berichterstattungsprozess so weit wie möglich mitzugestalten, um mehr Einblicke in ihre jeweiligen Steuerungssysteme mit Unterstützung der Kommissionsdienststellen zu gewinnen.

(1)

     Einige Mitgliedstaaten übermittelten Berichte für unterschiedliche Zeiträume, je nachdem, welche Informationen ihnen zur Verfügung standen.

(2)

     Das Vereinigte Königreich und Österreich haben keine Berichte vorgelegt.

(3)

     In dem von Schweden vorgelegten Bericht wird beispielsweise Folgendes erwähnt: „Darüber hinaus fehlen bei einem relativ großen Anteil der nationalen Auftragsvergabe die Angaben zum Auftragswert.“ In dem von Dänemark vorgelegten Bericht wird ebenso erklärt: „Eine Veröffentlichung der Ausschreibung ist bei Beträgen unterhalb des EU-Schwellenwerts nicht verpflichtend, wenn besagte Ausschreibung nicht von grenzüberschreitendem Interesse ist. Die Daten für diese Ausschreibungen sind daher nicht zugänglich. Ohne diese Daten wäre der Gesamtwert der Beschaffung unterhalb des EU-Schwellenwerts irreführend.

(4)

     In dem von Finnland vorgelegten Bericht wird beispielsweise Folgendes erwähnt: „In Bezug auf die Beschaffung unterhalb des EU-Schwellenwerts erhebt die finnische zentrale elektronische Notifizierungsplattform HILMA die Daten für den geschätzten Wert. Für das Jahr 2017 liegen keine umfassenden Daten über den Wert der vergebenen Aufträge (wie in der Vorlage verlangt) unter den EU-Schwellenwerten vor.“ Die norwegische Regierung erhebt keine Daten über den Wert der Auftragsvergabe für Verträge, die unterhalb der EU-Schwellenwerte vergeben wurden.

(5)

     Gemäß Artikel 85 Absatz 2 beziehen sich die Berichterstattungspflichten weder auf den Wert der über dem Schwellenwert liegenden öffentlichen Aufträge noch auf die Zahl der Beschaffungen.

(6)

     TED (Tenders Electronic Daily) ist die Online-Version des Supplements zum Amtsblatt der EU, das dem europäischen öffentlichen Auftragswesen gewidmet und unter https://ted.europa.eu/ abrufbar ist.

(7)    Maßnahmen, die keine strenge rechtliche Verpflichtung aufseiten der öffentlichen Auftraggeber darstellen.
(8)

     OECD Recommendation on Fighting Bid Rigging in Public Procurement (OECD-Empfehlung zur Bekämpfung von Absprachen bei öffentlichen Ausschreibungen) ( https://www.oecd.org/daf/competition/oecdrecommendationonfightingbidrigginginpublicprocurement.htm ).

(9)

     In den meisten Mitgliedstaaten gibt es zentrale Beschaffungsstellen, die für die Beschaffungspolitik zuständig sind.

(10)

     Beter Aanbesteden, 16. Februar 2018.

(11)

     Sportelli in Rete.

(12)

     Mitteilung (KOM(2008) 400) „Umweltorientiertes Öffentliches Beschaffungswesen“ .

(13)      Artikel 6: Beschaffung durch öffentliche Einrichtungen.
(14)      Erwerb des Innovationsprozesses wie Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen oder Erwerb der Ergebnisse des Innovationsprozesses.