12.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 194/92


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der Rahmenvorschriften der Union zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom“

(COM(2021) 563 final — 2021/0213(CNS))

(2022/C 194/13)

Berichterstatter:

Stefan BACK

Mitberichterstatter:

Philippe CHARRY

Befassung

Rat der Europäischen Union, 21.9.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 113 und Artikel 192 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

14.12.2021

Verabschiedung im Plenum

20.1.2022

Plenartagung Nr.

566

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

192/6/15

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Zielsetzung des Vorschlags, weil damit der Rahmen der Richtlinie von 2003 aktualisiert und präzisiert sowie versucht wird, die Besteuerung so zu gestalten, dass nachhaltige nicht-fossile Energien begünstigt werden.

1.2.

Der EWSA bedauert, dass die Besteuerung von Biokraftstoffen im Rahmen des Vorschlags zu starr an die in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie vorgenommene Kategorisierung gekoppelt ist, und ist der Ansicht, dass der Mangel an alternativen Kraftstoffen und die daraus resultierenden hohen Kosten eine flexiblere Haltung in Bezug auf die zulässigen Biokraftstoffe erfordern, auch im Hinblick auf die Mindestbesteuerung, die wesentlich niedriger sein sollte als bei fossilen Kraftstoffen.

1.3.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass der höhere Mindeststeuersatz negative soziale Auswirkungen haben und zu Energie- und Mobilitätsarmut führen kann, und nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, dass die Mitgliedstaaten die Mindeststeuerbeträge für Heizstoffe und Elektrizität, die von vulnerablen Haushalten und als gemeinnützig anerkannten Organisationen verbraucht werden, unterschreiten können und dass eine zehnjährige vollständige Steuerbefreiung für Heizstoffe und Elektrizität für „vulnerable Haushalte“ vorgeschlagen wird.

1.4.

Der EWSA empfiehlt, den Begriff „Energiearmut“ zu verwenden, der eine qualitative (Wahrnehmung von Kälte, Feuchtigkeit, Komfortniveau) und quantitative (Energieausgaben, Armutsgrenze) Einordnung dieses Phänomens erlaubt, das keinesfalls nur rein quantitativ verstanden werden darf, wie dies in dem Richtlinienvorschlag durch die Verwendung des Begriffs „vulnerable Haushalte“ geschieht.

1.5.

Der EWSA bekräftigt, dass mit den Umweltsteuern ausdrücklich auch soziale Ziele verfolgt werden müssen, da es um ihre Sozialverträglichkeit geht. Dabei stellt sich auch die Frage der „Verteilung“ des Steueraufkommens. Er empfiehlt, dass die erzielten Steuereinnahmen beispielsweise an die am stärksten betroffenen Personen zurückfließen.

1.6.

Der EWSA betont, dass die finanziellen Schwierigkeiten aufgrund hoher Energiekosten derzeit in vielen Mitgliedstaaten im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Der EWSA ist der Ansicht, dass ein wesentlicher Beitrag zur Lösung dieser Probleme geleistet werden kann, indem die Investitionen in erneuerbare Energien deutlich erhöht werden und das europäische Preissystem so angepasst wird, dass es den Preis aller Energieformen, einschließlich der günstigsten, widerspiegelt. Hierfür muss der derzeitige Auktionsmechanismus auf dem Stromgroßhandelsmarkt geändert werden.

1.7.

Der EWSA warnt auch vor der Gefahr negativer Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben will, Steuerermäßigungen auf den Verbrauch von Heizstoffen durch energieintensive Unternehmen oder bei Abschluss von Vereinbarungen zur Verbesserung der Energieeffizienz zu gewähren. Diese Möglichkeit ist für die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie entscheidend, da die meisten Volkswirtschaften außerhalb der EU bislang keine konkreten Klimaschutzmaßnahmen ergriffen haben.

1.8.

Der EWSA bedauert außerdem, dass in dem Kommissionsvorschlag grundsätzlich die Möglichkeit ausgeklammert wurde, verschiedene Mindeststeuersätze für Unternehmen und Verbrauchern festzulegen.

1.9.

Der EWSA hält die für den Güter- und Personenverkehr gewährten Steuerermäßigungen für ungeeignet, da sie den Straßengüterverkehr nicht berücksichtigen und das Prinzip der technischen Neutralität verletzen. Er hätte eine generelle Steuerbefreiung oder -ermäßigung für den Güterverkehr und für Unternehmen mit umfangreichen Exportgeschäften in Drittländer vorgezogen.

1.10.

Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf den Vorschlag der Kommission, die Steuersätze für Diesel und Benzin zu harmonisieren. Dies bedeutet einen Kostenanstieg für den Güterverkehr, der durch eine allgemeine Senkung der Steuern auf im Güterverkehr verwendete Kraftstoffe kompensiert werden könnte. Die gleiche Argumentation gilt für den Wegfall der Unterscheidung zwischen gewerblichem und nicht gewerblichem Dieselkraftstoff.

1.11.

Der EWSA weist ferner darauf hin, dass die in Artikel 8 Absatz 2 und Artikel 18 vorgesehenen Möglichkeiten für Steuerermäßigungen für bestimmte Arten technischer Ausrüstung und energieintensive Industriezweige höchst selektiv sind und aufgrund des Ermessensspielraums zu Steuerwettbewerb führen könnten, den die Kommission mit ihrem Vorschlag ja gerade beseitigen will.

1.12.

In Bezug auf den Mehrwert einer Ausweitung der Besteuerung auf den Luft- und Schiffsverkehr innerhalb der EU betont der EWSA, wie wichtig es ist, auch andere geeignete Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit bei diesen Verkehrsträgern voranzutreiben. So werden beispielsweise im Luftverkehr neue und nachhaltige Antriebsarten entwickelt, die gezielt gefördert werden sollten.

1.13.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Bestimmungen für den See- und den Luftverkehr der Situation von Inselstaaten, Staaten mit zahlreichen Inseln und Staaten mit großen Entfernungen und dünn besiedelten Regionen nicht ausreichend Rechnung tragen.

1.14.

Der EWSA stellt ferner fest, dass die Entscheidung, ob sie den außergemeinschaftlichen Luft- und Seeverkehr den innerhalb der EU geltenden Steuersätzen unterwerfen oder ihn davon ausnehmen wollen, den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Er steht dieser Bestimmung sehr kritisch gegenüber, da sie die Mitgliedstaaten zu Alleingängen bei der Besteuerung dieser Verkehrsträger ermutigen könnte. Stattdessen sollten in erster Linie globale Lösungen angestrebt werden, da einseitige Maßnahmen zu ernsthaften Komplikationen führen können.

2.   Hintergrund der Stellungnahme und des betreffenden Legislativvorschlags

2.1.

Als Teil des Pakets „Fit für 55“ hat die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der Rahmenvorschriften der Union zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Neufassung) vorgelegt, mit der die geltende Richtlinie 2003/96/EG des Rates (1) zum selben Thema neu gefasst wird.

2.2.

Die Kommission begründet ihren Vorschlag mit der Notwendigkeit, klare Regeln für die Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom einzuführen, um sicherzustellen, dass diese weiterhin zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes beitragen, und um gleichzeitig die klima- und umweltpolitischen Herausforderungen des Grünen Deals zu bewältigen zu können. Die Energiebesteuerung kann einen Beitrag zu den ehrgeizigen Zielen des europäischen Klimagesetzes leisten, wonach die CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber 1990 gesenkt werden sollen, indem sichergestellt wird, dass die Besteuerung von Kraftstoffen, Heizstoffen und Elektrizität deren Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit besser Rechnung trägt.

2.3.

Daher werden neue, höhere Mindeststeuerbeträge vorgeschlagen und die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, Steuerbefreiungen zu gewähren, reduziert und stärker eingegrenzt. Darüber hinaus werden Kraftstoffe für den Luft- und Seeverkehr für die meisten Beförderungen innerhalb der EU besteuert, doch haben die Mitgliedstaaten die Option, den außergemeinschaftlichen Luft- und Seeverkehr entweder dem gleichen Steuersatz zu unterwerfen oder ihn davon zu befreien.

2.4.

Der Vorschlag ist Teil des Pakets „Fit für 55“. Da er Ausdruck des Verursacherprinzips ist, besteht ein enger Zusammenhang mit dem Emissionshandelssystem (EHS) und dem Vorschlag zur Aktualisierung des EHS, der ebenfalls Teil des Pakets ist.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt die Zielsetzung des Vorschlags, weil damit der Rahmen der Richtlinie von 2003 aktualisiert und präzisiert sowie versucht wird, die Besteuerung von Energieprodukten und Elektrizität als Heiz- oder Kraftstoff so zu gestalten, dass nachhaltige nicht-fossile Energien begünstigt werden.

3.2.

Der EWSA stellt fest, dass die vorgeschlagenen Steuersätze zwar kein formelles CO2-Emissions-Element enthalten, die vorgeschlagene Steuerstruktur aber dennoch eine ähnliche Wirkung haben wird, da die höchsten Mindeststeuersätze für CO2-emittierende fossile Brennstoffe festgelegt werden.

3.3.

Der EWSA bedauert in diesem Zusammenhang, dass die Besteuerung von Biokraftstoffen im Rahmen des Vorschlags zu starr an die Kategorisierung in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie gekoppelt ist. Der EWSA ist der Ansicht, dass der Mangel an alternativen Kraftstoffen und die daraus entstehenden hohen Kosten eine flexiblere Haltung in Bezug auf die zulässigen Biokraftstoffe erfordern, und zwar sowohl in Bezug auf die überarbeitete Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die nicht Gegenstand dieser Stellungnahme ist, als auch auf den Mindeststeuersatz, der deutlich niedriger sein sollte als der für fossile Kraftstoffe.

3.4.

Der EWSA betont, dass die erhöhte Mindeststeuer negative soziale Auswirkungen haben und zu Energie- und Mobilitätsarmut führen kann. Die Kommission hat diesem Aspekt durchaus Rechnung getragen, da sie den Mitgliedstaaten erlaubt, die Mindeststeuerbeträge für Heizstoffe und elektrischen Strom, die von Haushalten und gemeinnützigen Organisationen verbraucht werden, zu unterschreiten, und eine zehnjährige vollständige Steuerbefreiung für Heizstoffe und elektrischen Strom genehmigt, die von „vulnerablen Haushalten“ gemäß Artikel 17 Buchstabe c verbraucht werden. Der EWSA bedauert, dass ähnliche Maßnahmen zur Vermeidung von Mobilitätsarmut nicht vorgesehen sind. Die für den öffentlichen Verkehr und andere Verkehrsträger als den Straßenverkehr vorgeschlagenen Möglichkeiten zur Steuersenkung sind in diesem Zusammenhang nicht hilfreich.

3.5.

Die soziale Realität von Umweltsteuern liegt auf zwei Ebenen: Zum einen wirken sie sich nicht auf alle Haushalte in gleicher Weise aus, und zum anderen verzeichnen oft die Haushalte der besonders vulnerablen und der mittleren Bevölkerungsschichten im Verhältnis zu ihrem Einkommen die höchsten Energiekosten.

3.6.

Der EWSA betont, dass die Kommission zwar der Meinung sein mag, dass sie der sozialen Dimension im Sozialkapitel des Legislativpakets Rechnung trägt, d. h. dem Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung eines Klima-Sozialfonds, für diesen Verordnungsvorschlag jedoch in Wirklichkeit „keine gesonderte Folgenabschätzung durchgeführt wurde“ (siehe Wortlaut des Verordnungsvorschlags). Sie stützt sich vielmehr auf eine Folgenabschätzung für den Klimazielplan für 2030 sowie auf eine Folgenabschätzung für die Überarbeitung der EHS Richtlinie.

3.6.1.

Auch die Struktur des Fonds wirft einige Fragen auf. Nur ein Teil des Fonds soll für soziale Ausgleichszahlungen verwendet werden; der Rest soll in Anreize für Elektrofahrzeuge sowie Investitionen in die Ladeinfrastruktur und die Dekarbonisierung von Gebäuden fließen. Der EWSA bezweifelt, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen von solchen Maßnahmen profitieren, da die Unterstützung für Elektrofahrzeuge verstärkt wohlhabenden Haushalten zugutekommt.

3.6.2.

Nach Meinung des EWSA ist die Schaffung eines gerechten und wirksamen Ausgleichsmechanismus, der den verschiedenen Ungleichheiten Rechnung trägt, eine komplexe Aufgabenstellung, die der Klima-Sozialfonds nicht wirklich erfüllt; ein relativ armer Mitgliedstaat mit geringen Ungleichheiten innerhalb seines Gebiets könnte weniger Mittel aus dem Fonds erhalten als ein reicher Mitgliedstaat, in dem gravierende Ungleichheiten herrschen.

3.7.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Folgenabschätzung des Richtlinienvorschlags nicht gründlich genug ist. Die sozialen Kosten der Umweltsteuern sind doppelt: Zum einen wirken sich diese Steuern nicht auf alle Haushalte in gleicher Weise aus, und zum anderen verzeichnen oft die Haushalte der besonders vulnerablen und der mittleren Bevölkerungsschichten im Verhältnis zu ihrem Einkommen die höchsten Energiekosten.

3.8.

Der EWSA ist daher der Auffassung, dass der Richtlinienvorschlag dem Begriff „Armut“ in dem Richtlinienvorschlag genauer definiert werden sollte. So heißt es in Artikel 17: „Für die Zwecke dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck ‚vulnerable Haushalte‘ private Haushalte, die in erheblichem Maße von den Auswirkungen dieser Richtlinie betroffen sind; für die Zwecke dieser Richtlinie bedeutet dies, dass sie unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen, definiert als 60 % des nationalen verfügbaren medianen Äquivalenzeinkommens.“

3.9.

Mit der Richtlinie über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt wurde 2009 der Begriff „Energiearmut“ eingeführt. Kunden/Haushalte mit begrenztem Zugang zu Energie (hauptsächlich Gas und Strom) leiden unter versorgungstechnischer Energiearmut. Personen oder Haushalte, die sich aufgrund ihrer Ressourcen und Wohnverhältnisse nicht angemessen mit Energie versorgen können, um ein Mindestmaß an Komfort zu haben, sind von wirtschaftlicher Energiearmut betroffen.

3.9.1.

Der EWSA fragt sich, warum in der Neufassung der Energiebesteuerungsrichtlinie das Kriterium von „60 % des verfügbaren nationalen medianen Äquivalenzeinkommens“ eingeführt wird, obwohl der Begriff „Energiearmut“ hier besser geeignet wäre, zumal er mehrdimensional ist und Folgendes umfasst:

wirtschaftliche Armut der Haushalte (Einkommen, Nicht-Energiekosten);

die mit der Energieversorgung verbundenen Risiken (hohe und schwankende Preise, Qualität der Energieanlagen);

die Baufälligkeit von Gebäuden oder ihre Abgelegenheit, den fehlenden Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz und weitere Aspekte, die häufig mit Mobilitätseinschränkungen verbunden sind (nicht zu verkürzende Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz).

3.9.2.

Jedes dieser drei Probleme trägt mit zur Energiearmut bei.

3.9.3.

Der EWSA empfiehlt, den Begriff „Energiearmut“ zu verwenden, der eine qualitative (Wahrnehmung von Kälte, Feuchtigkeit, Komfortniveau) und quantitative (Energieausgaben, Armutsgrenze) Einordnung dieses Phänomens erlaubt, das keinesfalls nur rein quantitativ verstanden werden darf, wie dies in dem Richtlinienvorschlag durch die Verwendung des Begriffes „vulnerable Haushalte“ geschieht.

3.9.4.

Der EWSA betont, dass bei den sozialen Vorkehrungen zur Unterstützung von Geringverdienern der Grundsatz strikter Grenzwerte aufgegeben werden muss, da dieser zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung zwischen Bürgern führt, deren Einkommen nur wenige Cent von den festgelegten Grenzwerten abweichen. Somit kann mit einem strikten Grenzwert wie den 60 % in dem Richtlinienvorschlag das angestrebte Ziel verfehlt werden; zudem kann dies zahlreiche negative Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger sowie eine Verlagerung der Beschäftigung in die Schattenwirtschaft oder die Verschleierung von Einkommen zur Folge haben.

3.9.5.

Der EWSA betont außerdem, dass es bei den Sozialleistungen für Geringverdiener erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten gibt, viele Sozialleistungen nicht steuerpflichtig sind und diese daher von den Steuerbehörden nicht als Einkommen betrachtet werden.

3.10.

Zu den Problemen im Wohnbereich (so sind 6,9 % der Haushalte in der EU-27 nicht in der Lage, ihre Wohnung ausreichend zu beheizen, wobei die Schere von 30,1 % in Bulgarien bis 1,8 % in Finnland reicht, was die tiefe Kluft in puncto Energiearmut veranschaulicht) kommen weitere Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Mobilität und Verkehr. Die Kraftstoffpreise wirken sich auf das Mobilitätsverhalten der Haushalte aus, insbesondere der Haushalte, die in Gebieten leben, die nicht an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden sind, oder die über alte Fahrzeuge verfügen, die sie nicht ersetzen können. Somit entstehen neue Formen der Energiearmut in Verbindung mit Mobilität und Verkehr.

3.11.

Der EWSA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die finanziellen Schwierigkeiten aufgrund hoher Energiekosten derzeit in vielen Mitgliedstaaten im Mittelpunkt der Diskussion stehen und negative Auswirkungen auf die am stärksten gefährdeten Haushalte sowie auf Unternehmen haben. Der EWSA ist der Ansicht, dass ein wesentlicher Beitrag zur Lösung dieser Probleme darin besteht, die Investitionen in erneuerbare Energien deutlich zu erhöhen und den europäischen Preisbildungsmechanismus so zu überarbeiten, dass er den Preis aller Energieformen, einschließlich der günstigsten, widerspiegelt. Hierfür muss der derzeitige Auktionsmechanismus auf dem Stromgroßhandelsmarkt im Einklang mit den Vorschriften für den europäischen Elektrizitätsbinnenmarkt geändert werden.

3.12.

Der EWSA warnt auch vor der Gefahr negativer Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben will, Steuerermäßigungen auf den Verbrauch von Heizstoffen durch energieintensive Unternehmen oder bei Abschluss von Vereinbarungen zur Verbesserung der Energieeffizienz zu gewähren. Diese Möglichkeit ist für die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie entscheidend, da die meisten Volkswirtschaften außerhalb der EU bislang keine konkreten Klimaschutzmaßnahmen ergriffen haben.

3.13.

Der EWSA bedauert außerdem, dass in dem Kommissionsvorschlag grundsätzlich die Möglichkeit ausgeklammert wurde, verschiedene Mindeststeuersätze für Unternehmen und Verbrauchern festzulegen.

3.14.

Der EWSA nimmt die Möglichkeit von Steuerermäßigungen für bestimmte Verkehrsträger zur Kenntnis, bedauert jedoch, dass für den Straßenverkehr mit Ausnahme der Beförderung durch Trolleybusse keine Öffnung angeboten wird.

3.15.

Generell hält der EWSA die Ermäßigungsmöglichkeiten für Güter- und Personenbeförderung für unzureichend, da sie den Straßenverkehr ausschließen und den Grundsatz der technischen Neutralität vernachlässigen, so sind z. B. Trolleybusse die einzigen Straßenfahrzeuge, für die eine Steuerermäßigung in Frage kommt.

3.15.1.

Der EWSA hätte eine generelle Steuerbefreiung oder -ermäßigung für den Güterverkehr und für Unternehmen mit umfangreichen Exportgeschäften in Drittländer vorgezogen.

3.15.2.

Der EWSA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Kommissionsvorschlag darauf abzielt, die Steuersätze für Diesel und Benzin zu harmonisieren. Dies bedeutet einen Kostenanstieg für den Güterverkehr, der durch eine allgemeine Senkung der Steuern auf im Güterverkehr verwendete Kraftstoffe kompensiert werden könnte. Die gleiche Argumentation gilt für den Wegfall der Unterscheidung zwischen gewerblichem und nicht gewerblichem Dieselkraftstoff.

3.16.

Der EWSA weist ferner darauf hin, dass die in Artikel 8 Absatz 2 und Artikel 18 vorgesehenen Möglichkeiten für Steuerermäßigungen für bestimmte Arten technischer Ausrüstung und energieintensive Industriezweige höchst selektiv sind und aufgrund des Ermessensspielraums zu Steuerwettbewerb führen könnten, den die Kommission mit ihrem Vorschlag ja gerade beseitigen will. Es ist nur schwer verständlich, warum nicht eine einfache, unkomplizierte Lösung in Form von Steuerermäßigungen für gewerbliche Wirtschaftsakteure bevorzugt wurde. Dies gilt insbesondere für „mineralogische Verfahren“, die als solche unter die Ermäßigungsmöglichkeiten nach Artikel 18 fallen können, allerdings in das Ermessen des betreffenden Mitgliedstaats fallen, was zu Rechtsunsicherheit und Steuerwettbewerb führt.

3.17.

In Bezug auf den Mehrwert einer Ausweitung der Besteuerung auf den Luft- und Schiffsverkehr innerhalb der EU betont der EWSA, wie wichtig es ist, auch andere geeignete Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit bei diesen Verkehrsträgern voranzutreiben. So werden beispielsweise im Luftverkehr neue und nachhaltige Antriebsarten entwickelt, die gezielt gefördert werden sollten. Der Seeverkehr ist einer der Sektoren, für den sich die Dekarbonisierung extrem schwierig gestaltet. Es besteht daher die Gefahr, dass die Besteuerung solcher Verkehrsträger nur zu höheren Kosten führt, wie es auch bei der Ausweitung des EHS auf diesen Bereich der Fall sein dürfte. In beiden Kontexten erscheint die zehnjährige Übergangsfrist für die allgemeine Einführung der Besteuerung in Hinsicht auf den Luftverkehr und spezielle Steuerregelungen für nachhaltige Biokraftstoffe und andere alternative Kraftstoffe extrem kurz.

3.18.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Bestimmungen für den See- und den Luftverkehr der Situation von Inselstaaten, Staaten mit zahlreichen Inseln und Staaten mit großen Entfernungen und dünn besiedelten Regionen nicht ausreichend Rechnung tragen.

3.19.

Der EWSA stellt ferner fest, dass die Entscheidung, ob sie den außergemeinschaftlichen Luft- und Seeverkehr den innerhalb der EU geltenden Steuersätzen unterwerfen oder ihn davon ausnehmen wollen, den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Er steht dieser Bestimmung sehr kritisch gegenüber, da sie die Mitgliedstaaten zu Alleingängen bei der Besteuerung dieser Verkehrsträger ermutigen könnte. Stattdessen sollten in erster Linie globale Lösungen angestrebt werden, da einseitige Maßnahmen zu ernsthaften Komplikationen führen können.

3.20.

Schließlich fragt sich der EWSA auch, wie wirksam die Umweltsteuern sein werden. Umweltsteuerinstrumente betreffen die Bereiche Energie, Verkehr, Verschmutzung und natürliche Ressourcen. Auch wenn viele von ihnen im europäischen Rahmen entwickelt wurden und daher für alle EU-Länder gelten, wird ihre Anwendung von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt, auch wenn dies eigentlich reguliert sein sollte.

3.21.

Die verschiedenen Arten der Umverteilung von Steuereinnahmen können der Akzeptanz von Umweltsteuern durch den Steuerzahler zuwiderlaufen: Verringerung des öffentlichen Defizits, Umverteilung von Einnahmen an Unternehmen und Haushalte, Senkung anderer Steuern wie Lohn- und Einkommenssteuern oder Umverteilung von Einnahmen auf umweltpolitische Maßnahmen oder Investitionen. Wie die „Gelbwesten-Krise“ in Frankreich gezeigt hat, reichen diese vier Formen der Umverteilung von Einnahmen nicht aus, um die Akzeptanz von Preiserhöhungen bei den besteuerten Produkten zu gewährleisten.

3.22.

Abschließend merkt der EWSA an, dass für die Sozialverträglichkeit der Umweltsteuern ein Ausgleich unter Berücksichtigung des Einkommens der Haushalte und der Energiearmut in ihrer gesamten strukturellen Dimension notwendig ist (fehlende Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz, Isolierung der Unterkunft, Effizienz des Heizungssystems, Art des Fahrzeugs).

3.23.

Umweltsteuern werden häufig als ungerecht angesehen, da sie einkommensschwache Haushalte und zunehmend auch mittlere Bevölkerungsschichten stärker belasten. Einkommensschwache Haushalte, die einen größeren Teil ihres Einkommens für Energie und Beförderung aufwenden, werden unverhältnismäßig stark getroffen. Sie können auch die Energiewende nur schwerer bewerkstelligen, da die Betriebskosten für Produkte mit geringerem CO2-Ausstoß (Elektrofahrzeuge, Solarpanele usw.) zwar niedriger sein können, indes hohe Anfangsinvestitionen erforderlich sind; dies ist für Haushalte mit nur eingeschränktem Zugang zu Finanzmitteln ein Problem. Zudem sind Haushalte in prekären Verhältnissen gezwungen, ihre Ausgaben kurzfristig zu planen, weshalb sie nicht von potenziellen langfristigen Einsparungen profitieren können.

3.24.

Für ihre Sozialverträglichkeit müssen Umweltsteuern an Korrekturmaßnahmen gekoppelt sein; davon ist jedoch weder in dem Richtlinienvorschlag noch im Klima-Sozialfonds die Rede.

Brüssel, den 20. Januar 2022

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. L 283 vom 31.10.2003, S. 51).