6.4.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 152/152


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG in Bezug auf den Beitrag der Luftfahrt zum gesamtwirtschaftlichen Emissionsreduktionsziel der Union und die angemessene Umsetzung eines globalen marktbasierten Mechanismus“

(COM(2021) 552 final)

(2022/C 152/25)

Hauptberichterstatter:

Dumitru FORNEA

Befassung

Rat der Europäischen Union, 20.9.2021

Europäisches Parlament, 13.9.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 192 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

9.11.2021

Verabschiedung im Plenum

8.12.2021

Plenartagung Nr.

565

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

209/3/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Initiative der Kommission zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (1) in Bezug auf den Beitrag der Luftfahrt zum gesamtwirtschaftlichen Emissionsreduktionsziel der Union ist ein begrüßenswerter Schritt zur Reduzierung der Klimafolgen der Luftfahrt. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt die vorgeschlagenen Änderungen, weist jedoch darauf hin, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen beibehalten und die sozialen Rechte und die Arbeitnehmerrechte geschützt werden müssen. Die Luftfahrt ist zwar nicht die größte Emissionsquelle in der Gesellschaft und nicht einmal im Verkehrssektor, doch müssen sie und alle ihre Interessenträger ihren Beitrag zum Aufbau einer nachhaltigen Luftfahrtbranche leisten. Dies lässt sich nur durch sozialen Dialog und die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften der Branche erreichen, die ein wichtiger Faktor bei der Klimawende sind.

1.2.

Grundsätzlich ist der EWSA gegen die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten im Emissionshandelssystem (EHS), es sei denn, sie erfolgt im Interesse der Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs. Bei Flügen innerhalb des EWR besteht weniger Gefahr für gleiche Wettbewerbsbedingungen, allerdings muss darauf geachtet werden, dass es nicht zur Verlagerung von CO2-Emissionen kommt, insbesondere im Urlaubsverkehr und bei Langstreckenflügen. Der EWSA spricht sich deshalb dafür aus, wie vorgeschlagen bis 2027 alle kostenlosen Zertifikate vollständig abzuschaffen und die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten bis dahin so anzupassen, dass sie vorrangig dem fairen Wettbewerb dient. So lassen sich das EHS umsetzen, der Einsatz nachhaltiger Flugkraftstoffe erhöhen und die Zahl der kostenlosen Zertifikate reduzieren und zugleich Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt vermeiden.

1.3.

Wichtig ist vor allem, dass der Vorschlag gleiche Wettbewerbsbedingungen sicherstellt und so Unternehmen unterstützt, die gute Arbeit und gute Sozialstandards bieten. Wichtig ist auch, langfristige negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen aufgrund unlauteren Wettbewerbs durch nicht dem EHS unterliegende Unternehmen zu verhindern. Der EWSA empfiehlt deshalb eine Abschätzung der sozialen Folgen, bei der der Zusammenhang zwischen der Anwendung des EHS, fairem Wettbewerb und möglichen sozialen Schäden der Verlagerung von CO2-Emissionen berücksichtigt wird. Darüber hinaus schlägt er zwei Zwischenbewertungen vor, in denen die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen des geänderten EHS analysiert werden. Diese Zwischenbewertungen sollten jeweils zwei und vier Jahre nach Inkrafttreten der Änderung des EHS erfolgen und allen Interessenträgern Gelegenheit geben, die Anwendung des EHS und die Ziele des Programms zu überprüfen. Die Bewertungen werden auch Gelegenheit bieten, die Erholung der Branche vor dem Hintergrund der Ziele des EHS zu prüfen.

1.4.

Finanzintermediäre sollten vom EU-EHS ausgenommen werden, es sollten also nur Anlagen, die im Rahmen ihrer Produktionsprozesse CO2 emittieren, mit Emissionszertifikaten handeln dürfen. Damit soll jegliches Spekulationsrisiko ausgeschlossen werden, was dem chinesischen Ansatz entsprechen würde, der Finanzinstituten die Teilnahme am chinesischen Emissionshandelssystem untersagt.

1.5.

Die meisten Flüge zu Zielen außerhalb des EWR erfolgen über zentrale Drehkreuze innerhalb oder außerhalb des EWR. Gegenwärtig haben die meisten Passagiere mehrere Optionen, wenn sie ein Ziel außerhalb des EWR anfliegen wollen: Sie können Drehkreuze innerhalb oder außerhalb des EWR nutzen. Angesichts der höheren Kosten infolge des EHS besteht jedoch die große Gefahr, dass im EWR ansässige Betreiber unterboten werden, wenn Unternehmen mit Sitz außerhalb des EWR billigere Flüge anbieten. Um dem zuvorzukommen, muss die Zuteilung kostenloser EHS-Zertifikate durch ein gezieltes System ersetzt werden, mit dem Wettbewerbsnachteile verhindert und europäische Luftfahrtunternehmen und europäische Drehkreuze geschützt werden.

1.6.

Die EU muss eine ehrgeizigere, einheitliche globale Regelung für die CO2-Bepreisung vorantreiben und das Mandat erhalten, eine solche auf internationaler Ebene auszuhandeln. Zusätzlich zu diesem globalen Mandat schlägt er die Anwendung einer oder beider der folgenden Maßnahmen vor, um eine gerechte und nachhaltige Umsetzung des EHS sicherzustellen und kurzfristig eine breitere Anwendung zu unterstützen:

a)

Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems;

b)

Ersetzung des Systems der kostenlosen Zuteilung durch einen gezielten Schutz vor unlauterem Wettbewerb.

1.7.

Das EHS sollte die Umstellung auf nachhaltige Verkehrsformen unterstützen, auch in der Luftfahrt, und deshalb zur Reduzierung des Geschäftsflugverkehrs beitragen. Das EHS sollte die Nutzung nachhaltiger Massenverkehrssysteme unterstützen und deshalb höhere Gebühren für Nutzer von Geschäftsflugzeugen mit sich bringen.

1.8.

Die Einnahmen aus dem EHS sollten in Projekte investiert werden, die die Umweltfolgen des Luftverkehrs weiter reduzieren, indem sie zur Senkung der Kosten und einer stärkeren Nutzung von nachhaltigen Flugkraftstoffen beitragen. Auch die Umstellung von Flughäfen, Flugkraftstoffanbietern und Bodenabfertigungsdiensten auf neue Regelungen für die Nutzung nachhaltiger Flugkraftstoffe auf europäischen Flughäfen im Rahmen des Vorschlags ReFuelEU sollte unterstützt werden. Die Einnahmen müssen auch für einen gerechten Übergang für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Luftfahrtbranche eingesetzt werden, die unter den negativen Folgen des Klimawandels leiden. Dazu sollte ein Sozialfonds für die Luftfahrt eingerichtet werden, aus dem die Qualifizierung und Umschulung von Beschäftigten der Luftfahrtbranche gefördert wird. Dieser Fonds könnte von der Europäischen Kommission mit Unterstützung der Arbeitgeber und der Gewerkschaften verwaltet werden.

1.9.

Mit dem Vorschlag sollen die Betreiber durch das EHS dazu bewegt werden, in ihren größeren Drehkreuzen intermodale Verkehrsnetze zu entwickeln, um ihr Netz auf mehr Reiseziele auszudehnen und zugleich unnötige Flüge über sehr kurze Strecken zu reduzieren. Denkbar wäre, dass dazu statt dessen mehr kostenlose Zertifikate an anderer Stelle im Netz des Luftfahrtunternehmens für Ziele in Gebieten zugeteilt werden, die keine gute Schienenanbindung haben.

1.10.

Die EU sollte mit den Europäischen Betriebsräten, den Ausschüssen für den sektoralen sozialen Dialog und anderen gemeinsamen Gremien zusammenarbeiten, etwa dem Runden Tisch für die Luftfahrt, und die Auswirkungen des überarbeiteten EHS während seiner gesamten Umsetzung verfolgen. Besonderes Augenmerk sollte auf den sozialen Dialog mit den Beschäftigten und darauf gelegt werden, welche Bedürfnisse und Sorgen sie in Bezug auf die nachhaltige Luftfahrt haben.

1.11.

Der besondere Status der EU-Gebiete in äußerster Randlage sollte beibehalten werden, und diese Gebiete sollten gemäß Artikel 349 AEUV, der Ausnahmen von der Anwendung des EU-Rechts in diesen Regionen zulässt, vom EHS ausgenommen werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG in Bezug auf den Beitrag der Luftfahrt zum gesamtwirtschaftlichen Emissionsreduktionsziel der Union. Die Luftfahrt ist zwar nicht die größte Emissionsquelle in der Gesellschaft und nicht einmal im Verkehrssektor, doch müssen sie und alle ihre Interessenträger ihren Beitrag zum Aufbau einer nachhaltigen Luftfahrtbranche und zur Verwirklichung unserer Klimaziele leisten, wie sie im Übereinkommen von Paris und im Paket „Fit für 55“ niedergelegt sind.

2.2.

Durch solche Initiativen, das Engagement der Interessenträger und den sozialen Dialog können viele soziale und wirtschaftliche Risiken, denen die Arbeitnehmer in der Luftfahrt ausgesetzt sind, abgefedert werden, und der EWSA würde es begrüßen, wenn sich die Kommission darum bemühen würde, alle Interessenträger, vor allem die Gewerkschaften und die Europäischen Betriebsräte während des gesamten Verfahrens, das dieser Vorschlag durchläuft, sowie bei allen künftigen Arbeiten zum nachhaltigen Luftverkehr hinsichtlich Fragen des Klimaschutzes und des gerechten Übergangs einzubinden.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Berücksichtigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie

3.1.1.

Die Luftfahrt gehört zu den Branchen, die unter der COVID-19-Pandemie am meisten zu leiden hatten, und der vorliegende Vorschlag muss der Luftfahrt deshalb den Spielraum und die Zeit gewähren, die sie zu ihrer Erholung benötigt. Allerdings ist auch deutlich geworden, dass die Luftfahrtbranche ein inhärentes Nachhaltigkeitsproblem hat, sowohl in sozialer als auch in ökologischer Hinsicht, und bei jedweder Erholung, einschließlich einer zu diesem Zweck gewährten Unterstützung, muss den Bemühungen um eine langfristig nachhaltigere Branche Rechnung getragen werden.

3.1.2.

Daten von Eurocontrol zufolge wird es noch lange dauern, bis der Flugverkehr wieder den Stand von 2019 erreicht hat. Im Sommer 2021 lag das Verkehrsaufkommen bei gerade einmal 70 % des Niveaus von 2019 (2), auf das es laut Eurocontrol erst im Jahr 2023 wieder ansteigen dürfte (3). Angesichts dessen steht außer Frage, dass die Luftfahrt mindestens bis weit ins Jahr 2023 hinein ein verringertes Verkehrsaufkommen zu verzeichnen haben wird. Außerdem haben die Beschäftigten entsprechend stark unter dem Einbruch gelitten. Zwar ist es nach wie vor schwierig, einschlägige Informationen zu finden, doch schätzt die Europäische Transportarbeiter-Föderation, dass etwa 60 % des Bodenpersonals während der Pandemie beschäftigungslos waren. (4) Jegliche Maßnahmen, die den Wettbewerb in der Erholungsphase verzerren, könnten negative Auswirkungen sowohl auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch auf die Branche insgesamt haben.

3.1.3.

Allerdings sollte die Zuteilung kostenloser Zertifikate im EHS nach Auffassung des EWSA nur erfolgen, um Wettbewerbsverzerrungen oder eine Verlagerung der CO2-Emissionen zu verhindern. Zu berücksichtigen ist eine mögliche Verlagerung von CO2-Emissionen, wenn Luftfahrtunternehmen auf billigere Reiseziele ausweichen, insbesondere im Segment der Urlaubsreisen. Viele typische Urlaubsziele drohen gegenüber Zielen außerhalb des EWR ins Hintertreffen zu geraten, da bei letzteren geringere Emissionsabgaben im Vergleich zu entsprechenden Zielen im EWR anfallen. Bei Flügen in ein Land außerhalb des EWR ist besondere Aufmerksamkeit geboten, da die große Gefahr besteht, dass Betreiber aus Drittstaaten das EHS so ausnutzen, dass der Wettbewerb verzerrt wird.

3.1.4.

Der EWSA plädiert dafür, als Termin für die Abschaffung der kostenlosen Zertifikate das Jahr 2027 beizubehalten, jedoch kostenlose Zertifikate nur zum Schutz eines fairen Wettbewerbs zuzuteilen. Hiermit ließen sich die Ziele des Vorschlags erreichen und könnte zu einem Zeitpunkt, zu dem die Branche versucht, sich zu erholen und unter den Bedingungen des neuen EHS konkurrenzfähig zu bleiben, für den Schutz gleicher Wettbewerbsbedingungen gesorgt werden.

3.2.   Fairer Wettbewerb und Verlagerung der CO2-Emissionen

3.2.1.

Die Luftfahrt ist eine extrem mobile und stark liberalisierte, globale Branche. Sie ist deshalb einem intensiven Wettbewerb ausgesetzt, der großteils den Markt verzerrt oder verzerren kann. Dies machen die sozialen Probleme deutlich, mit denen der Luftverkehrsmarkt konfrontiert ist: Unternehmen haben sich günstige soziale Bedingungen im EWR und in Drittstaaten zunutze gemacht, um Arbeitnehmer auszubeuten und die Arbeitskosten zu senken. Eine solche Praxis ist in der Luftfahrt mittlerweile an der Tagesordnung und sollte uns hinsichtlich der Umweltkosten eine Warnung sein. Deshalb sind strenge Rechtsvorschriften erforderlich, damit es nicht zu einer Verlagerung von CO2-Emissionen oder zur Ausnutzung des EHS durch Länder oder Unternehmen kommt, vor allem solche, die ihm nicht unterliegen. Dies ist besonders für Interkontinentalflüge wichtig, etwa bei Fluggästen, die durch den EWR reisen, deren Ausgangs- oder Zielort jedoch nicht im EWR liegt, oder bei Fluggästen, deren Ausgangs- oder Zielort im EWR liegt, die jedoch Drehkreuze außerhalb des EWR nutzen.

3.2.2.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, das EHS auf alle Flüge innerhalb des EWR anzuwenden, da dies für die Aufrechterhaltung gleicher Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt sorgt. Er unterstützt auch die Absicht, kostenlose Zertifikate abzuschaffen, betont jedoch, dass diese Zertifikate nur zum Zwecke des Schutzes eines fairen Wettbewerbs zugeteilt werden dürfen. Der Anwendungsbereich sollte nicht auf den Wettbewerb zwischen Luftfahrtunternehmen beschränkt sein, sondern ausgeweitet werden, um einen fairen Wettbewerb zwischen Drehkreuzen innerhalb und außerhalb des EWR bei Anschlussflügen sicherzustellen, sowie Urlaubsziele umfassen, die im Wettbewerb mit Zielen außerhalb des EWR stehen.

3.2.3.

Bei Langstreckenflügen stehen große Verkehrsunternehmen und Drehkreuze im EWR unter erheblichem Wettbewerbsdruck durch Unternehmen und Drehkreuze im Mittleren Osten. Diesen Wettbewerb spüren vor allem Fluggäste, deren Reiseziel nicht im EWR liegt, die jedoch auf einem Interkontinentalflug an einem Flughafen im EWR umsteigen, sowie Fluggäste, deren Ausgangs- oder Zielort im EWR liegt, die jedoch Drehkreuze außerhalb des EWR nutzen. Angesichts der Nähe weiterer großer Flugdrehkreuze außerhalb des EWR muss dafür gesorgt werden, dass die Luftfahrtunternehmen wettbewerbsfähig bleiben. Die traditionellen Luftfahrtunternehmen auf diesem Markt haben seit jeher hohe Sozialstandards und gute Arbeitsbedingungen. Anderswo, vor allem in der Golfregion, werden den Beschäftigten grundlegende Arbeitnehmerrechte wie die Vereinigungsfreiheit verwehrt, und es müssen alle denkbaren Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Unternehmen mit Sitz in diesen Ländern nicht zu Lasten europäischer Unternehmen und europäischer Arbeitnehmer profitieren. Deshalb sind gezielte Schutzmechanismen nötig, mit denen Wettbewerbsnachteile ausgeglichen werden.

3.2.4.

Der Preis der EUA-Zertifikate ist seit Januar 2020 von etwa 20 Euro pro Tonne auf über 70 Euro pro Tonne gestiegen. Auf der Nachfrageseite stehen Anlagen, d. h. Unternehmen, die Zertifikate für die bei der Produktion entstehenden CO2-Emissionen benötigen, im Wettbewerb mit Finanzinstituten und Finanzintermediären. Letztere wissen sehr gut, dass die Unternehmen Zertifikate für ihre Wirtschaftstätigkeit benötigen. Außerdem gibt es keine Marktobergrenze für den Preis, da die Sanktion, die bei Emissionen ohne Zertifikat verhängt werden, die Pflicht zum Erwerb eines solchen Zertifikats nicht aufhebt. (5)

3.2.5.

Mit dem Vorschlag müssen unbedingt gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen sichergestellt und langfristige negative Folgen für die sozialen Bedingungen der Beschäftigten aufgrund unlauteren Wettbewerbs durch nicht dem EHS unterliegende Unternehmen vermieden werden. Zur umfassenden Analyse dieser Herausforderungen empfiehlt der EWSA deshalb eine Abschätzung der sozialen Folgen, bei der der Zusammenhang zwischen der Anwendung des EHS, fairem Wettbewerb und möglichen sozialen Schäden der Verlagerung von CO2-Emissionen berücksichtigt wird. Darüber hinaus schlägt er zwei Zwischenbewertungen vor, in denen die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen des geänderten EHS analysiert werden. Diese Zwischenbewertungen sollten jeweils zwei und vier Jahre nach Inkrafttreten der Änderung des EHS erfolgen und allen Interessenträgern Gelegenheit geben, die Anwendung des EHS und die Ziele des Programms zu überprüfen. Die Bewertungen werden auch Gelegenheit bieten, die Erholung der Branche vor dem Hintergrund der Ziele des EHS zu prüfen.

3.2.6.

Der EWSA schlägt vor, bei dem Vorschlag zwei zusätzliche Elemente in Betracht zu ziehen, damit dieser für mehr Gerechtigkeit sorgt:

a)

CO2-Grenzausgleichssystem

Die Anwendung des CO2-Grenzausgleichssystems wird die Verlagerung von CO2-Emissionen begrenzen und Akteure aus Drittstaaten dazu bewegen, ihren eigenen ökologischen Fußabdruck zu verbessern. Die Luftfahrtindustrie ist nicht an Landesgrenzen gebunden, weshalb es schwierig ist, innerhalb der EU-Grenzen Rechtsvorschriften zu erlassen, da ein erheblicher Teil des Verkehrs außerhalb der EU stattfindet. Wie bereits erwähnt, müssen höhere Sozialstandards im EU-Luftverkehr vorrangig geschützt werden, was durch ein Grenzausgleichssystem unterstützt wird. Da die Kommission das Wachstum des Luftverkehrssektors durch die Aushandlung umfassender Luftverkehrsabkommen mit Drittländern unterstützt, sollte sie die Anwendung eines CO2-Grenzausgleichssystems auf Anschlussflüge aus Drehkreuzen in Drittstaaten oder sonstiger Instrumente zur Unterstützung des nachhaltigen Wachstums des Flugbetriebs außerhalb des EWR in Erwägung ziehen.

b)

Weitere Maßnahmen zum Schutz gleicher Wettbewerbsbedingungen

Bei der Überarbeitung des EU-EHS muss der Gefahr der Verlagerung von CO2-Emissionen Rechnung getragen werden. Die Verlagerung von CO2-Emissionen stellt eine erhebliche Bedrohung für den EWR-Luftverkehrsmarkt dar, da er in der Nähe einer Reihe von Drehkreuzen liegt, die einen erheblichen Teil des außerhalb des EWR stattfindenden Flugverkehrs abwickeln. Gegenwärtig haben die meisten Passagiere mehrere Optionen, wenn sie ein Ziel außerhalb des EWR anfliegen wollen, nämlich Drehkreuze innerhalb oder außerhalb des EWR. Angesichts der höheren Kosten infolge des EHS besteht jedoch die große Gefahr, dass EWR-Luftfahrtunternehmen unterboten werden, wenn Unternehmen mit Sitz außerhalb des EWR billigere Flüge anbieten. Um dem zuvorzukommen, muss die Zuteilung kostenloser Zertifikate durch ein gezieltes System ersetzt werden, mit dem Wettbewerbsnachteile verhindert und insbesondere europäische Luftfahrtunternehmen und Drehkreuze geschützt werden.

3.3.   Berücksichtigung der Preismodulation auf der Grundlage der Flugzeugkapazität

3.3.1.

Die Möglichkeit der Anwendung eines modularen Preissystems für EHS-Zertifikate, das dem Verursacherprinzip folgt und den Massentransport anstelle des privaten Verkehrs fördert, sollte umfassender geprüft werden. Im September 2021 hatte der Geschäftsflugverkehr gegenüber dem Niveau von 2019 um 27 % zugenommen (6), was wahrscheinlich auf den Kapazitätsabbau im Linienflugverkehr zurückzuführen ist. Im Gegensatz zu Linienflugzeugen haben Geschäftsflugzeuge eine deutlich geringere Fluggastkapazität. Dennoch werden sie genauso behandelt wie Flugzeuge mit einer wesentlich höheren Kapazität.

3.3.2.

Das EHS sollte die Umstellung auf nachhaltigere Verkehrsformen unterstützen, auch in der Luftfahrt, und deshalb zur Reduzierung des Geschäftsflugverkehrs beitragen. Das EHS sollte dem Verursacherprinzip folgen und den Nutzern von Geschäftsflugzeugen höhere Gebühren abverlangen. Es könnten auch betriebliche Maßnahmen in Betracht gezogen werden, um der Nutzung von Geschäftsflugzeugen entgegenzuwirken, indem dem Linienverkehr auf andere Weise, etwa bei Netzentgelten und Flughafenzeitnischen, Vorrang eingeräumt wird.

3.4.   Reinvestition der EHS-Einnahmen

3.4.1.

Die Einnahmen aus dem EHS müssen in die Branche investiert werden, um ihre soziale und ökologische Nachhaltigkeit sowie einen gerechten Übergang zu unterstützen. Die Umstellung der Luftfahrtindustrie auf CO2-Neutralität erfordert bekanntermaßen erhebliche Investitionen, und das EHS bietet die Gelegenheit, die dafür erforderlichen Investitionen zu tätigen. Diese Investitionen sollten darauf ausgerichtet sein, die Verfügbarkeit und Nutzung nachhaltiger Flugkraftstoffe zu erhöhen und zugleich ihre Kosten zu senken, um sicherzustellen, dass die Rentabilität bei Senkung der CO2-Emissionen erhalten bleibt.

3.4.2.

Der EWSA begrüßt die hochgesteckten Ziele der Kommission in Bezug auf die Luftverkehrsaspekte des Pakets „Fit für 55“ und unterstützt die kontinuierliche Entwicklung von Maßnahmen für einen nachhaltigen Luftverkehr sowohl bei der Überarbeitung der EHS-Richtlinie als auch bei dem Vorschlag für eine Verordnung zur Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen für einen nachhaltigen Luftverkehr. Diese beiden Vorschläge ergänzen einander, weshalb ihre Ziele aus den Einnahmen aus dem EHS unterstützt werden sollten. Die Einnahmen sollten daher dazu verwendet werden, die Verfügbarkeit nachhaltiger Flugkraftstoffe im gesamten EWR zu fördern und ihre Kosten zu senken. Darüber hinaus könnte das EHS Flughäfen, Flugkraftstoffanbietern und Bodenabfertigungsunternehmen finanzielle Unterstützung für die Umstellung auf die neuen Anforderungen an die Verfügbarkeit nachhaltiger Flugkraftstoffe auf Flughäfen gewähren.

3.4.3.

Die Einnahmen sollten auch in Projekte investiert werden, die die Umweltfolgen des Luftverkehrs weiter reduzieren. Technologien wie der Wasserstoffantrieb sind eine Möglichkeit, die Auswirkungen des Luftverkehrs langfristig zu verringern. Diese Technologie ist jedoch sehr kostspielig und deshalb nach wie vor weit von der Markteinführung entfernt, obwohl Investitionen in Wasserstoffprojekte und andere alternative Kraftstoffe die Kostensenkung und eine stärkere Verbreitung im Laufe der Zeit fördern werden.

3.4.4.

Die Einnahmen müssen auch für einen gerechten Übergang für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Luftfahrtbranche eingesetzt werden, die unter den negativen Folgen des Klimawandels leiden. Es wird davon ausgegangen, dass bestimmte Luftverkehrsinfrastrukturen im Laufe der Zeit mit der Entwicklung der Technologie überholt sein werden. Die dort tätigen Arbeitnehmer könnten ihren Arbeitsplatz verlieren, und es sind Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich, damit die Betroffenen auf neue grüne und nachhaltige Arbeitsplätze wechseln können. Dazu könnte ein Luftfahrtsozialfonds eingerichtet werden, aus dem die Qualifizierung und Umschulung von Beschäftigten der Luftfahrtbranche gefördert wird. Dieser Fonds könnte von der Europäischen Kommission mit Unterstützung der Arbeitgeber und der Gewerkschaften verwaltet werden.

3.4.5.

Zusätzlich zu diesem Fonds sollte die Kommission mit den Europäischen Betriebsräten, den Ausschüssen für den sektoralen sozialen Dialog und anderen gemeinsamen Gremien zusammenarbeiten, etwa dem Runden Tisch für die Luftfahrt, und die Auswirkungen des überarbeiteten EHS während seiner gesamten Umsetzung verfolgen. Besonderes Augenmerk sollte auf den sozialen Dialog mit den Beschäftigten und darauf gelegt werden, welche Bedürfnisse und Sorgen sie in Bezug auf die nachhaltige Luftfahrt und den gerechten Übergang in der Branche haben.

3.5.   Ausbau des intermodalen Verkehrs

3.5.1.

Der intermodale Verkehr ist eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, die Klimaauswirkungen des Verkehrs unverzüglich zu verringern. Viele Luftfahrtunternehmen bieten schon jetzt die Möglichkeit, intermodale Tickets zu kaufen, insbesondere durch Vereinbarungen mit Eisenbahnunternehmen. Solche Vereinbarungen ermöglichen eine allgemeine Verringerung der Zahl der Flüge, fördern aber auch auf effiziente Weise die Nutzung eines nachhaltigen Massenverkehrs.

3.5.2.

Mit dem Vorschlag sollen die Betreiber dazu bewegt werden, in ihren größeren Drehkreuzen intermodale Verkehrsnetze zu entwickeln, um ihr Netz auf mehr Reiseziele auszudehnen und zugleich unnötige Flüge über sehr kurze Strecken zu reduzieren. Dies könnte gefördert werden, indem statt dessen mehr kostenlose Zertifikate an anderer Stelle im Netz des Luftfahrtunternehmens für Ziele in Gebieten zugeteilt werden, die keine gute Schienenanbindung haben, sofern die Luftfahrtunternehmen Routen auf andere Verkehrsträger verlagern.

3.6.   Regionale Anbindung

3.6.1.

Es besteht die Gefahr, dass das EHS zu einer schlechteren Anbindung entlegener Regionen Europas führen könnte, in denen keine alternativen Verkehrsträger existieren. Entscheidend ist, dass die ergriffenen Maßnahmen die Anbindung der europäischen Regionen und Mitgliedstaaten in Randlage nicht gefährden.

3.6.2.

Gebiete in Randlage sind für ihre Anbindung und ihre wirtschaftliche Entwicklung auf den Luftverkehr angewiesen. Ursachen sind ihre Abgelegenheit, ihre geringe Größe, ihre Insellage und ihre starke Abhängigkeit von der Anbindung an den Kontinent für den Zugang Gütern, Dienstleistungen, die Anbindung und den territorialen Zusammenhalt.

3.6.3.

Darüber hinaus weisen diese Regionen einige der niedrigsten BIP-Quoten in Europa auf und müssen auch deshalb geschützt und gefördert werden. Der EWSA schlägt deshalb vor, den Sonderstatus der Gebiete in äußerster Randlage der EU (Guadeloupe, Französisch-Guayana, Martinique, Mayotte, Réunion, St. Martin, Azoren, Madeira und Kanarische Inseln) beizubehalten und diese Regionen gemäß Artikel 349 AEUV, der Ausnahmen von der Anwendung des EU-Rechts in diesen Regionen zulässt, vom EHS auszunehmen.

Brüssel, den 8. Dezember 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. L 275 vom 25.10.2003, S. 32).

(2)  https://www.eurocontrol.int/publication/eurocontrol-data-snapshot-16-recovery-wide-variations.

(3)  https://www.eurocontrol.int/publication/eurocontrol-forecast-update-2021-2027.

(4)  https://www.etf-europe.org/ground-handling-sector-fights-for-its-survival-as-more-than-half-of-airport-based-workers-are-out-of-work/.

(5)  https://zpp.net.pl/en/press-release-new-eu-emissions-trading-scheme-how-to-mitigate-the-risks-for-european-consumers-and-smes/.

(6)  https://www.eurocontrol.int/sites/default/files/2021-09/covid19-eurocontrol-comprehensive-air-traffic-assessment-30092021.pdf.