16.9.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 374/16


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zum Thema „Erwachsenenbildung“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des slowenischen Ratsvorsitzes)

(2021/C 374/04)

Berichterstatterin:

Tatjana BABRAUSKIENĖ

Ersuchen des slowenischen Ratsvorsitzes

Schreiben vom 19.3.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

23.3.2021

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

21.6.2021

Verabschiedung im Plenum

8.7.2021

Plenartagung Nr.

562

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

233/3/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den verstärkten Fokus auf Erwachsenenbildung, berufliche Bildung und Kompetenzentwicklung, wie er in den jüngsten Initiativen der Europäischen Kommission, vor allem in der Europäischen Kompetenzagenda, erneut zum Ausdruck kommt. Der EWSA wiederholt die schon in seiner Stellungnahme zum Thema „Auf den Qualifikationsbedarf zugeschnittene Bildungssysteme“ (1) erhobene Forderung, unverzüglich gezielte Maßnahmen zu konzipieren und durchzuführen sowie Anreize für die Mitgliedstaaten zu schaffen.

1.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass die rasche Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien mit einer wirksamen Weiterqualifizierung und Umschulung einhergehen müssen. Der EWSA betont, dass die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die Gesellschaft und Wirtschaft Europas noch deutlicher gemacht haben, wie wichtig eine wirksame Politik im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie hochwertige Arbeitsplätze für die Unterstützung einer nachhaltigen und gerechten sozialen und wirtschaftlichen Erholung und Resilienz sind, was für die Bewältigung der Folgen der Pandemie in Europa von entscheidender Bedeutung ist. Investitionen in die Erwachsenenbildung und die Entwicklung von Kompetenzen können für die wirtschaftliche Erholung und ein soziales Europa maßgeblich sein.

1.3.

Der EWSA empfiehlt, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten die Erwachsenenbildung durch eine ganzheitliche Betrachtungsweise fördern und ihre Zugänglichkeit, Qualität und Inklusivität unter Wahrung nationaler Zuständigkeiten und des Subsidiaritätsprinzips verbessern. Der EWSA fordert, die Erwachsenenbildungspolitik umfassend zu verbessern und dabei wirksame, auf die Bedürfnisse vor Ort zugeschnittene Strategien zur Deckung des neuen Qualifikationsbedarfs zu berücksichtigen. Der EWSA betont, wie wichtig es ist, Pädagogik und Andragogik in der Erwachsenenbildung durch hochwertige Erstausbildung, berufliche Weiterbildung und günstigere und gerechte Arbeitsbedingungen sowie ein förderliches Arbeitsumfeld für das in der Erwachsenenbildung tätige Personal zu verbessern.

1.4.

Der EWSA unterstreicht, dass die Erwachsenenbildung wesentlich dazu beiträgt, dass Erwachsene staatsbürgerliche Kompetenzen erwerben und verbessern und eine aktive Rolle in der Gesellschaft übernehmen. Lebenslanges Lernen sollte für alle ein Teil des Lebensstils werden, um gesellschaftliche Ungleichgewichte und Ungleichheiten zu überwinden, und es sollte auch am Arbeitsplatz Wirklichkeit werden. Überaus wichtig ist in diesem Zusammenhang der Einsatz von „Kompetenzen“ im weitesten Sinne und Verständnis des Wortes in Bezug auf den Arbeitsplatz, wobei das soziale und persönliche Leben aus einer ganzheitlichen Perspektive der Kompetenzentwicklung zu betrachten ist.

1.5.

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung von Erwachsenenbildung und bedauert, dass die EU-Organe und einige Mitgliedstaaten dies nicht als politische Priorität ansehen. Dabei ist Erwachsenenbildung wesentlich, um das Potenzial für Beschäftigung und soziale Inklusion voll auszuschöpfen und Erwachsene in die Lage zu versetzen, sich aktiv am Arbeitsmarkt und am demokratischen Leben zu beteiligen. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, die Maßnahmen, Politik, Steuerung und Finanzierung im Bereich Erwachsenenbildung gemäß den Grundsätzen der vier Unesco-Bildungssäulen (2) zu stärken: Lernen, zu wissen; Lernen, zu handeln; Lernen, zusammenzuleben; und Lernen, zu sein. Im Interesse des UN-Ziels für nachhaltige Entwicklung Nr. 4 muss die Zivilgesellschaft effektiv unterstützt werden, um eine Partnerschaft für die Erwachsenenbildung in informellen und nichtformalen Kontexten zu schaffen und um die Menschen wirksam zu erreichen.

1.6.

Der EWSA schlägt vor, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten erreichbare, langfristige Ziele festlegen und unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede für jeden Mitgliedstaat ein System zur kontinuierlichen Überwachung der Teilnahme an der Erwachsenenbildung sowie des hochwertigen und zugänglichen lebenslangen Lernens (einschließlich Mitarbeiterschulungen) einrichten. Mit diesem System soll sichergestellt werden, dass alle über das Wissen, die Kompetenzen, die Fähigkeiten und die Einstellung verfügen, die für die Schaffung einer gerechten, von Zusammenhalt geprägten, nachhaltigen, digitalisierten und resilienten Gesellschaft in Europa benötigt werden. Ferner ist es wichtig, die Forschung und die Erfassung von Daten über Kompetenzen auf sektoraler und nationaler Ebene im Hinblick auf Kompetenzerfordernisse und Kompetenzprognosen zu verbessern. Ziel sollte sein, die Erwachsenenbildung für all jene Menschen, die von Umgestaltungsprozessen betroffen sind, auf den neuesten Stand zu bringen, die Daten über die Investitionen der Mitgliedstaaten in die Erwachsenenbildung zu optimieren und eine häufige Überwachung und Erhebung von Daten über die von den Mitarbeitenden absolvierten Lehrgänge und Schulungen sicherzustellen. Die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft sollten aktiv an der Verbesserung der nationalen Erfassung von Daten über Kompetenzen, einschließlich Analyse, Prognose und Antizipation des Bedarfs, beteiligt werden.

1.7.

Die Mitgliedstaaten müssen die Empfehlung des Rates vom 19. Dezember 2016 für Weiterbildungspfade: Neue Chancen für Erwachsene (3) rascher umsetzen, um sicherzustellen, dass alle Erwachsenen mit geringen Kompetenzen bzw. Qualifikationen ihre Grundfertigkeiten weiterentwickeln sowie begleitet und im Hinblick auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände und ihrer Beschäftigungsfähigkeit zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen motiviert werden. Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sicherzustellen, dass 80 % der Erwachsenen über grundlegende digitale Kompetenzen verfügen, indem diese beim kostenlosen Erwerb entsprechender Mindestkompetenzen unterstützt werden und auf diese Weise ihre Qualifizierung für das Arbeitsleben und den Alltag gefördert wird.

1.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass alle Erwachsenen unabhängig von ihren Qualifikationen und ihrem sozioökonomischen Hintergrund Unterstützung beim Zugang zum hochwertigen und inklusiven lebenslangen Lernen sowie eine Validierung ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten benötigen. Öffentlichen Arbeitsverwaltungen sollten durch einen stärkeren und besseren Zugang zu fairer und kostenloser Beratung und Orientierung alle Erwachsenen über Möglichkeiten des lebenslangen Lernens informieren und Arbeitnehmer dafür sensibilisieren, wie sich die Berufsbilder verändern und welche Kompetenzen für neue berufliche Tätigkeiten und Aufgaben benötigt werden.

1.9.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, gemeinsam mit den Sozialpartnern Informations- und Sensibilisierungskampagnen für Erwachsene und Arbeitnehmer, die vom ökologischen und digitalen Wandel betroffen sind, durchzuführen, um den Erwerbstätigen dabei zu helfen, die erforderlichen Kompetenzen zu erwerben. Die Europäische Kommission sollte jährliche Veranstaltungen nach dem Vorbild der Europäischen Woche der Berufsbildung organisieren, um Erwachsene in puncto Erwachsenenbildung und Weiterbildung zu informieren und zu motivieren sowie die nationalen Strategien zu unterstützen.

1.10.

Der EWSA betont, wie wichtig die Subsidiarität in Bezug auf die Erwachsenenbildungspolitik ist, um die Rolle nationaler und sektoraler Sozialpartner bei der Ermittlung des Kompetenzbedarfs und bei der Verwaltung nationaler Systeme zur Finanzierung von Erwachsenenbildung und Mitarbeiterschulungen sowie zur Sicherstellung des Zugangs zu diesen Maßnahmen zu wahren. Der EWSA weist darauf hin, dass mit der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte sichergestellt werden sollte, dass alle Unternehmen das Recht und die Möglichkeit haben, Qualifikationsstrategien für den Innovationsbedarf aufzustellen und den gerechten Übergang für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie hochwertige Ausbildungsplätze für Jugendliche und Erwachsene im Rahmen des ökologischen und digitalen Wandels zu unterstützen. In den beschäftigungspolitischen Leitlinien des Rates (4) (2020) wird deutlich zwischen der Sicherstellung von Rechten/Ansprüchen auf Fortbildung und der Bereitstellung individueller Lernkonten als einem möglichen Instrument unterschieden, wobei es den Ländern überlassen bleibt, wie sie diese Ansprüche garantieren. Individuelle Lernkonten sind Instrumente, mit denen das Recht bzw. der Anspruch auf Fortbildung gewährleistet werden könnte. Alle Erwachsenen und Arbeitnehmer sollten — im Einklang mit Tarifverträgen und nationalen Rechtsvorschriften — das Recht auf Zugang zu hochwertigen Mitarbeiterschulungen, bezahltem Bildungsurlaub, Qualifikationen, der Validierung des informellen und nichtformalen Lernens sowie qualitätsgesicherter und flexibler Orientierung und Beratung haben. Die EU-Mitgliedstaaten müssen Finanzierungsmechanismen und -instrumente schaffen, um den Zugang von Erwachsenen, insbesondere von Arbeitnehmern, zu Bildung und Ausbildung unter Einbeziehung der Sozialpartner zu vereinfachen.

1.11.

Der EWSA weist darauf hin, dass alle Erwachsenen — insbesondere die sozioökonomisch benachteiligten — gleichberechtigten Zugang zu lebenslangem Lernen haben müssen, das ihren persönlichen Interessen oder ihrer beruflichen Entwicklung dient. NEET (Jugendliche, die keine Schule besuchen, keiner Arbeit nachgehen und keine Berufsausbildung absolvieren), Migranten und Flüchtlinge sowie benachteiligte und schutzbedürftige Gruppen müssen gezielt unterstützt werden; dies gilt auch für ältere Menschen, um ein aktives und gesundes Altern sicherzustellen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, dafür zu sorgen, dass der Bildungsschwerpunkt der neuen EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Lernende aller Altersgruppen umfasst, alle Lernenden mit Behinderungen und Lernschwierigkeiten barrierefreien und kostenlosen Zugang zu Erwachsenenbildung haben und Lehrkräfte darin geschult werden, wie sie ihren Unterricht anpassen und Online-Lernen auch barrierefrei gestalten können.

1.12.

Der EWSA unterstreicht, dass eine demokratische Steuerung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie auch ein wirksamer sozialer Dialog und eine umfassende Konsultation der Organisationen der Zivilgesellschaft wichtig sind, um die Entwicklung von Kompetenzen bei allen Erwachsenen, insbesondere bei Arbeitnehmern und Arbeitslosen, zu unterstützen, um die im Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte, in der Empfehlung des Rates zur beruflichen Bildung und in der Osnabrück-Erklärung festgelegten Ziele der EU für die Teilnahme an der Erwachsenenbildung zu erreichen und um zur künftigen Entschließung des Rates zu einer Agenda für Erwachsenenbildung beizutragen. Der EWSA weist darauf hin, dass der soziale Dialog und die Interaktion zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern entscheidend sind, um den Zugang zur Erwachsenenbildung für alle zu verbessern, Flexibilität und Orientierung zu fördern, die berufliche Bildung an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes anzupassen, die Qualität der Ausbildung zu gewährleisten und die Ausbildung zu finanzieren.

1.13.

Der EWSA betont, dass Erwachsene und insbesondere Arbeitnehmer besseren Zugang zu aktualisierten Informationen über Anerkennungs- und Validierungsverfahren haben müssen. Dies kann durch die wirksame Umsetzung der Empfehlung des Rates vom 20. Dezember 2012 zur Validierung nichtformalen und informellen Lernens (5) sowie durch die Bereitstellung ausreichender öffentlicher Mittel für Validierungssysteme in allen Mitgliedstaaten erreicht werden. Indem Arbeitgeber und Gewerkschaften die Anerkennung von Weiterbildung sicherstellen, können sie zur Verbesserung des Qualifikationsniveaus und der Laufbahnentwicklung der Arbeitnehmer sowie zu einem gerechten Wandel auf dem Arbeitsmarkt beitragen. Wesentlich ist die Beteiligung der Sozialpartner an der Regelung der Erwachsenenbildung, der Mitarbeiterausbildung und des bezahlten Bildungsurlaubs (einschließlich der Förderung gemeinsamer Maßnahmen der Sozialpartner).

1.14.

Der EWSA unterstreicht, dass Umschulung und Weiterbildung größte Bedeutung für die Unterstützung des ökologischen und des digitalen Wandels in der Wirtschaft haben und als soziale und wirtschaftliche Verantwortung betrachtet werden müssen, für eine inklusive Ausbildung für gute Arbeitsplätze und einen gerechten Übergang für alle zu sorgen. Zukunftsorientierte Wirtschaftsstrategien (einschließlich wirksamer bildungs- und ausbildungspolitischer Maßnahmen) sind erforderlich, um die Weiterqualifizierung und Umschulung der Arbeitskräfte zu unterstützen. Sie können zu einem fairen und sozial gerechten Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft beitragen, indem für ein Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt und damit für inklusive Digitalisierung und hochwertige Arbeitsplätze gesorgt wird. Die Unternehmen benötigen wirksame Unterstützung, um ihre Strategien für die Umschulung und Weiterbildung ihrer Arbeitskräfte zur Förderung von Innovation zu verstärken und zu finanzieren. Gleichzeitig sollte das allgemeine wirtschaftliche und gesellschaftliche Interesse gewahrt werden. In Tarifverträgen sollte der Zugang zu unterschiedlichen Formen von bezahltem Bildungsurlaub der Arbeitnehmer für persönliche und berufliche Zwecke festgelegt werden. Der EWSA fordert die EU-Mitgliedstaaten erneut dazu auf, den Zugang der Arbeitnehmer zu bezahltem Bildungsurlaub gemäß dem IAO-Übereinkommen Nr. 140 über bezahlten Bildungsurlaub so bald wie möglich durch nationale Maßnahmen und Tarifverträge zu gewährleisten und mit Unterstützung der Sozialpartner für eine effektive Nutzung zu sorgen.

1.15.

Der EWSA spricht sich für eine nachhaltige nationale und durch einen wirksamen Einsatz von EU-Mitteln (auch aus der Aufbau- und Resilienzfazilität) ergänzte Finanzierung der Erwachsenenbildung aus, um vor dem Hintergrund des digitalen und des ökologischen Wandels das Wirtschaftswachstum und die Resilienz der Gesellschaft zu unterstützen, indem eine hochwertige und inklusive Erwachsenenbildung für alle — auch für Arbeitslose und sonstige Personen außerhalb des Arbeitsmarkts — sichergestellt wird, wobei insbesondere die Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer erschwinglich und zugänglich sein sollten. Dies erfordert eine klare Zusage auf europäischer und nationaler Ebene, einen angemessenen Anteil der verfügbaren Mittel zur Förderung der Entwicklung systematischer und abgestimmter Erwachsenenbildungssysteme als Kernelement der nationalen Pläne einzusetzen.

1.16.

Der EWSA betont, dass Qualität, Relevanz, Wirksamkeit und Inklusivität in der Erwachsenen- und Weiterbildung gewährleistet werden müssen. Er schlägt vor, die Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, sicherzustellen, dass die Lernergebnisse und Schlüsselkompetenzen in allen Programmen und Lehrplänen für Weiterbildung und Mitarbeiterschulungen klar definiert werden. Die Europäische Kommission sollte weiter an der Umsetzung der Empfehlung des Rates vom 22. Mai 2018 zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen (6) arbeiten und gemeinsame Maßnahmen der Sozialpartner unterstützen. Es ist wichtig, die Qualitätssicherungssysteme in der Erwachsenenbildung zu verbessern und das EQAVET-Netz der Europäischen Kommission so weiterzuentwickeln, das es Erwachsenenbildung, berufliche Weiterbildung, Lehrlingsausbildung und Mitarbeiterschulung umfasst. Dabei sollte dem Bedarf der Wirtschaft sowie der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Erwachsenenbildungsprogrammen und -lehrplänen Rechnung getragen werden.

1.17.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten dringend auf, Unternehmen und Gewerkschaften weitestmöglich in die Festlegung von Strategien zur Entwicklung von Kompetenzen für den digitalen und den ökologischen Wandel der Wirtschaft zu beteiligen. Der EWSA schlägt vor, die Umweltpolitik mit der Bildungspolitik zu verknüpfen und nationale Strategien für grüne Fähigkeiten und Kompetenzen aufzustellen, um alle Erwachsenen im Rahmen des lebenslangen Lernens für den Klimawandel, ein ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln und eine nachhaltige Entwicklung zu sensibilisieren, und hierzu nationale Koordinatoren zu ernennen.

1.18.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Erwachsenenbildungspolitik auszubauen, damit alle Erwachsenen ein Recht auf eine hochwertige und inklusive Erwachsenenbildung für Lebenskompetenzen haben. Zudem sollte das Ziel, dass jährlich 60 % der Erwachsenen an der Erwachsenenbildung teilnehmen, erfüllt bzw. diesbezüglich ein noch ehrgeizigeres Ziel gesteckt werden, indem Qualifikationslücken geschlossen und die Steuerung sowie die Finanzierung von Erwachsenenbildung und Mitarbeiterschulungen verbessert werden. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die offene Methode der Koordinierung zwischen den in den EU-Mitgliedstaaten für die Erwachsenenbildung zuständigen Ministerien, den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft im Rahmen einer Arbeitsgruppe wieder einzuführen und sicherzustellen, dass die erfolgreiche Tätigkeit früherer Arbeitsgruppen im Bereich Erwachsenenbildung fortgesetzt wird. Der EWSA fordert ferner die Einrichtung einer eigenen, von der EPALE (7) getrennten Plattform für nationale Erwachsenenbildungskoordinatoren, Sozialpartner und Interessenträger sowie regelmäßige Treffen dieser Akteure zu ihrer Vernetzung.

2.   Hintergrund

2.1.

Die COVID-19-Krise, der demografische Wandel, die Digitalisierung des Arbeitsmarkts und die Dekarbonisierung der Wirtschaft führen zu enormen Veränderungen von Arbeitsplätzen und Tätigkeiten. Bereits vor der Pandemie wurde prognostiziert, dass sich bei zwei von fünf Arbeitsplätzen ein Teil der anfallenden Tätigkeiten verändern und es bei 14 % der Arbeitsplätze zu Veränderungen aufgrund der Digitalisierung kommen wird (Cedefop). Bis 2030 könnten durch den grünen Wandel in der Wirtschaft bis zu 20 Mio. Arbeitsplätze weltweit geschaffen werden (OECD). Etwa 128 Mio. Erwachsene (8) — 46,1 % der erwachsenen Bevölkerung in Europa — benötigen Weiterqualifizierung und Umschulung. Die Auswirkungen der Digitalisierung und Robotisierung sowie der neuen Wirtschaftsmodelle wie Industrie 4.0, Kreislaufwirtschaft und Sharing Economy auf neue Qualifikationsanforderungen erfordern konzertierte Maßnahmen zur stärkeren Förderung der Erwachsenenbildung in Europa.

2.2.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten kamen am 7. Mai 2021 zum Sozialgipfel in Porto zusammen, um die europäische Säule sozialer Rechte zu stärken. Die im Aktionsplan zur Säule vorgeschlagenen Maßnahmen zielen darauf ab, „mehr und bessere Arbeitsplätze“ zu schaffen, „Kompetenzen und Gleichstellung“ zu fördern und „Sozialschutz und Inklusion“ zu verbessern. Die Staats- und Regierungschefs haben Ziele für 2030 festgelegt, z. B. sollten mindestens 60 % der Erwachsenen jedes Jahr an Erwachsenenbildung teilnehmen und 80 % der Erwachsenen zumindest über digitale Grundkompetenzen verfügen. Die Ziele beziehen sich auf den ersten Grundsatz der Säule: „Jede Person hat das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form, damit sie Kompetenzen bewahren und erwerben kann, die es ihr ermöglichen, vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und Übergänge auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu bewältigen“. Ebenso beziehen sie sich auf die im vierten Grundsatz genannten Rechte, einschließlich des Rechts auf Unterstützung von Fortbildung und Umschulung, insbesondere des Zugangs junger Menschen zu einer weiterführenden Ausbildung oder einem Praktikums- bzw. Ausbildungsplatz.

2.3.

Die Umsetzung der jüngsten politischen Initiativen der Europäischen Kommission (9) im Zusammenhang mit lebenslangem Lernen, Weiterqualifizierung und Umschulung muss dazu beitragen, die Ziele der europäischen Säule sozialer Rechte im Bereich der Erwachsenenbildung durch einen wirksamen sozialen Dialog mit den Sozialpartnern und die Konsultation der Zivilgesellschaft zu erreichen. Gemäß der Empfehlung (EU) 2021/402 der Kommission (10) müssen die Erwachsenenbildungssysteme durch die Schaffung eines Angebots an wirksamer lebensbegleitender Orientierung sowie Beratungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen ergänzt werden, wobei vulnerable Gruppen einbezogen und wirksame Systeme zur Validierung nichtformalen und informellen Lernens für alle eingeführt werden sollten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Um leichter zugängliche und höherwertige Erwachsenenbildungssysteme zu konzipieren und umzusetzen und damit die Lebens- und Sozialkompetenzen aller Erwachsenen zu verbessern und diese für nachhaltige Entwicklung, ökologische Verantwortung, demokratische Bürgerschaft, Toleranz und europäische Werte zu sensibilisieren, ist es notwendig, die demokratische Governance auf europäischer und nationaler Ebene zu stärken und das Potenzial der Sozialpartner zur Ermittlung des Qualifikationsbedarfs und zur Verbesserung der Arbeitsmarktinklusion zu nutzen. Es ist wichtig, die Erwachsenenbildungspolitik im weitesten Sinne zu verstärken und effiziente Strategien zu berücksichtigen, um den Bedarf an neuen Kompetenzen zu decken.

3.2.

Ein wirksamer sozialer Dialog mit den Sozialpartnern und die Konsultation der Zivilgesellschaft tragen entscheidend zu einer erfolgreichen Gestaltung und Umsetzung der Erwachsenenbildungspolitik bei. Die Sozialpartner spielen bei der Festlegung des Kompetenzbedarfs und bei der Aktualisierung der Qualifikationsprofile eine bedeutende Rolle, da Unternehmen und Arbeitnehmer die Veränderung von beruflichen Tätigkeiten und Aufgaben tagtäglich miterleben. Die Unternehmen und die Arbeitnehmer müssen umfassend in die Konzipierung von Strategien zur Entwicklung von Kompetenzen für den digitalen und den ökologischen Wandel in der Wirtschaft einbezogen werden.

3.3.

Um die Erwachsenenbildungssysteme für alle zugänglicher zu machen, bedarf es tragfähiger nationaler Strategien und der Fortführung der politischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere zwischen den Ministerien, den Sozialpartnern im Bildungsbereich und den einschlägigen Akteuren der Zivilgesellschaft. Die EU-Politik und die Politik auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene müssen miteinander verknüpft werden, um einen wirksamen Zugang zu Erwachsenenbildung und Mitarbeiterschulung zu gewährleisten. Ferner müssen verschiedene Politikbereiche miteinander verbunden werden, damit die Erwachsenenbildung durch Sozial-, Umwelt-, Digitalisierungs- und finanzpolitische Maßnahmen verbessert werden kann.

3.4.

Das im Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte festgelegte ehrgeizige Ziel hinsichtlich der Teilnahme an der Erwachsenenbildung kann erreicht werden, wenn die Regierungen im Zuge einer auf eine Empfehlung des Rates gestützten EU-Initiative aufgefordert werden, für einen besseren Zugang zu Erwachsenenbildung und Mitarbeiterschulung sowie für eine ausreichende Mittelausstattung über verschiedene Finanzierungsinstrumente zu sorgen. Der EWSA betont unter Verweis auf seine Stellungnahme zum Thema „Nachhaltige Finanzierung des lebenslangen Lernens und der Kompetenzentwicklung vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels“ (11), dass der Erfolg der Maßnahmen für die wirtschaftliche und soziale Inklusion von Lernenden aller Altersgruppen sowie für die Unternehmensförderung von nachhaltigen öffentlichen Investitionen in die Erwachsenenbildung und von wirksamen privaten Investitionen in die Mitarbeiterschulung abhängt. Daher müssen der Aufbauplan, NextGenerationEU und weitere EU-Fonds (z. B. ESF+, Fonds für einen gerechten Übergang) innerhalb des Europäischen Semesters wirkungsvoll und kohärent zur Unterstützung der allgemeinen und beruflichen Bildung eingesetzt werden.

3.5.

Der EWSA hält es für wichtig (12), die umweltbezogenen Kompetenzen, Fähigkeiten und Einstellungen aller Europäerinnen und Europäer zu verbessern und den Kompetenzbedarf anzugehen. Die EU-Mitgliedstaaten müssen die Umweltpolitik mit der Bildungspolitik verknüpfen und nationale Strategien für grüne Fähigkeiten und Kompetenzen aufstellen, um alle Erwachsenen im Rahmen des lebenslangen Lernens für den Klimawandel, ein ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln und eine nachhaltige Entwicklung zu sensibilisieren und um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer auch die grünen Fähigkeiten und Kompetenzen besitzen, die für einen gerechten Wandel der Wirtschaft erforderlich sind.

3.6.

Weiterbildungsbeihilfen müssen allen zur Verfügung stehen, die sie am dringendsten benötigen, wie etwa gering Qualifizierte und atypisch Beschäftigte. Durch Mitarbeiterschulungen und externe, aber von den Unternehmen finanzierte Schulungen muss die Entwicklung von Kompetenzen unterstützt und so der Bedarf von Unternehmen und Arbeitnehmern gedeckt werden. Damit alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrem Kompetenzniveau und ihrer vertraglichen Situation Zugang zur Umschulung und Weiterbildung haben, müssen Vereinbarungen auf sektoraler, nationaler und Unternehmensebene geschlossen und der Bedarf und das Angebot an Weiterbildung festgelegt werden. Es müssen Tarifverträge geschlossen werden, damit die Arbeitnehmer über verschiedene Anreizsysteme Zugang zu Erwachsenenbildung und bezahltem Bildungsurlaub haben.

3.7.

Der EWSA verweist auf die Entschließung des Rates über eine erneuerte europäische Agenda für die Erwachsenenbildung (13) und betont, dass die Mitgliedstaaten mehr unternehmen müssen, um die Qualität des Unterrichts in der Erwachsenenbildung zu verbessern. Dazu ist es notwendig, die Erstausbildung und die berufliche Weiterbildung unter Einbeziehung der Lehrenden zu verbessern, die Mobilität von Lehrkräften, Ausbildern und sonstigem Erwachsenenbildungspersonal zu erleichtern und gute Arbeitsbedingungen und ein günstiges Arbeitsumfeld für das Erwachsenenbildungspersonal sicherzustellen. Ein effizienter sozialer Dialog mit ihren Gewerkschaften ist wichtig, damit Maßnahmen vereinbart werden können, um den Beruf attraktiver zu machen sowie Einstellung und Bindung des Personals zu verbessern.

3.8.

Die Einrichtung einer europäischen Plattform für den Austausch digitaler Materialien und Kurse im Rahmen des Aktionsplans für digitale Bildung 2021-2027 sowie europäische Standards für Micro-Credentials können dazu dienen, den Zugang zu und das Vertrauen in die Erwachsenenbildung zu verbessern. Die Lernenden müssen umfassend darüber informiert werden, ob Kurse zum Erwerb von vollwertigen oder Teilqualifikationen bzw. MicroCredentials führen, wer die Kurse validiert und ihre Qualität sichert, ob und wie sie anerkannt werden und wie sie zu vollwertigen Qualifikationen vervollständigt werden können.

Brüssel, den 8. Juli 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 228 vom 5.7.2019, S. 16.

(2)  https://en.unesco.org/themes/education/research-foresight/revisiting-learning

(3)  ABl. C 484 vom 24.12.2016, S. 1.

(4)  Beschäftigungspolitische Leitlinien.

(5)  ABl. C 398 vom 22.12.2012, S. 1.

(6)  ABl. C 189 vom 4.6.2018, S. 1, https://ec.europa.eu/education/education-in-the-eu/council-recommendation-on-key-competences-for-lifelong-learning_de.

(7)  https://epale.ec.europa.eu/de.

(8)  Cedefop: Empowering adults through upskilling and reskilling pathways.Volume 1: adult population with potential for upskilling and reskilling [Befähigung von Erwachsenen durch Weiterqualifizierung und Umschulung. Band 1: Erwachsene Bevölkerung mit Weiterqualifizierungs- und Umschulungspotenzial], Februar 2020.

(9)  Zu diesen Initiativen gehören die Mitteilung zu einer Europäischen Kompetenzagenda für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz, die Empfehlung des Rates vom 24. November 2020 zur beruflichen Aus- und Weiterbildung für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz (ABl. C 417 vom 2.12.2020, S. 1), die Mitteilung zum Thema Förderung der Jugendbeschäftigung: eine Brücke ins Arbeitsleben für die nächste Generation, der Vorschlag für eine Empfehlung des Rates „Eine Brücke ins Arbeitsleben — Stärkung der Jugendgarantie“ und der Aktionsplan für digitale Bildung 2021-2027.

(10)  Empfehlung (EU) 2021/402 der Kommission vom 4. März 2021 zu einer wirksamen aktiven Beschäftigungsförderung (EASE) nach der COVID-19-Krise (ABl. L 80 vom 8.3.2021, S. 1).

(11)  ABl. C 232 vom 14.7.2020, S. 8.

(12)  ABl. C 56 vom 16.2.2021, S. 1.

(13)  ABl. C 372 vom 20.12.2011, S. 1.