16.9.2021 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 374/11 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Weiterentwicklung einer inklusiven, sicheren und zuverlässigen Digitalisierung für alle“
(Sondierungsstellungnahme)
(2021/C 374/03)
Berichterstatter: |
Philip VON BROCKDORFF |
Mitberichterstatterin: |
Violeta JELIĆ |
Befassung |
Slowenischer Ratsvorsitz, 19.3.2021 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
Annahme in der Fachgruppe |
15.6.2021 |
Verabschiedung im Plenum |
7.7.2021 |
Plenartagung Nr. |
562 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
221/0/3 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) empfiehlt die rasche Annahme einer inklusiven EU-Strategie für die digitale Verwaltung unter Zugrundelegung des eGovernment-Aktionsplans 2016-2020, der Erklärung von Tallinn zu elektronischen Behördendiensten und der Berliner Erklärung zur digitalen Gesellschaft und wertebasierten digitalen Verwaltung (1). Der Rat erkennt in seinen Schlussfolgerungen an, dass die öffentlichen Verwaltungen zusätzlich dafür verantwortlich sind, dass die Bürgerinnen und Bürger gleich behandelt werden und den gleichen Anspruch auf Zugang zu digitalen Verwaltungsdiensten haben. |
1.2. |
Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die Regierungen mit dem Ziel der Inklusivität vor Augen umfassende Strategien und Fördermaßnahmen auflegen sowie angemessene und verhältnismäßige Rechtsvorschriften annehmen, um dafür zu sorgen, dass die digitalen öffentlichen Dienste und Güter interoperabel, von guter Qualität, menschenorientiert, transparent und sicher sind, und um den bestmöglichen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung sowie wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten zu gewährleisten. Die nationalen, regionalen und lokalen Behörden müssen ihre Digitalisierung schnellstmöglich voranbringen und die Einführung neuer digitaler Infrastrukturen wie u. a. 5G beschleunigen. |
1.3. |
Der EWSA ist sich darüber im Klaren, dass die Regierungen enorme Investitionen tätigen müssen, um Inklusivität zu erreichen. Auch dürfte Inklusivität ein entscheidender Aspekt des im Rahmen der Aufbau- und Resilienzpläne der Mitgliedstaaten angestrebten digitalen Wandels sein. Dafür werden Mittel aus dem zwar begrenzten, aber durch das Aufbauinstrument NextGenerationEU gestärkten Fonds für einen gerechten Übergang sowie dem Programm „Digitales Europa“, den europäischen Struktur- und Investitionsfonds (insbesondere dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds Plus (ESF +)) genutzt werden. |
1.4. |
Der EWSA räumt ein, dass die Digitalisierung für die Unternehmen sowohl Chancen eröffnet als auch Risiken birgt. Deshalb müssen die Regierungen für Unternehmen jeder Größe, vor allem KMU, finanzielle Unterstützung, auch über EU-Mittel, bereitstellen, um ihnen den Wandel zu erleichtern. |
1.5. |
Nach Meinung des EWSA sollten Arbeitsformen wie Telearbeit unter umfassender Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben eingeführt werden. Der soziale Dialog, die Unterstützung von KMU und sozialwirtschaftlichen Unternehmen sowie die Achtung der Arbeitnehmerrechte, einschl. der Kollektivverhandlungen, sind entscheidende Voraussetzungen für einen reibungslosen Wandel. |
1.6. |
Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, bei der Entwicklung und Validierung digitaler Lösungen enger zusammenzuarbeiten und ein Netz für den Austausch bewährter Verfahren aufzubauen. |
1.7. |
Ferner befürwortet der EWSA eine EU-weite Überprüfung der Strategien und Maßnahmen der Regierungen, um die einschlägigen Interessenträger in die Erarbeitung wirksamer, auf sozialer Gerechtigkeit fußender Maßnahmen einzubeziehen. Dies sollte auch Konzepte und finanzielle Ressourcen zur Erleichterung des digitalen Wandels umfassen. Der EWSA hebt ferner die Notwendigkeit hervor, in den kommenden Jahren die MINT-Qualifikationen an Schulen und Hochschulen nachdrücklich zu fördern. |
1.8. |
Der EWSA spricht sich für eine Stärkung des Gesetzes über digitale Dienste und des Gesetzes über digitale Märkte als Voraussetzung für einen vertrauenerweckenden digitalen Wandel aus, der es den Verbrauchern ermöglicht, ihre Entscheidungen in einem wirklich offenen und wettbewerbsorientierten Markt zu treffen. Im Gesetz über digitale Dienste sollten die Verantwortung und Haftung der Plattformen klarer abgesteckt und besser durchsetzbar gemacht werden, als derzeit vorgesehen. Im Gesetz über digitale Märkte sollten Dark Patterns oder sonstige nicht neutrale Entscheidungsstrukturen, die das Verbraucherverhalten unlauter beeinflussen, verboten werden. |
1.9. |
Schließlich ist der EWSA sich darüber im Klaren, dass die Digitalisierung, die Ökologisierung der EU-Volkswirtschaften und insbesondere die Verwirklichung der Klimaneutralitätsziele der EU eng ineinandergreifen. Der „digitale und grüne“ Wandel ist von existenzieller Bedeutung. Nichtsdestotrotz hält der EWSA daran fest, dass Gerechtigkeit und sozialer Dialog stets als Leitprinzipien für die Nutzung der digitalen und der grünen Technologien dienen sollten. |
2. Allgemeine Bemerkungen
2.1. |
Die europäischen Gesellschaften gehen Online. Durch die COVID-19-Pandemie ist die Digitalisierung der Gesellschaft dringender geworden, da die Bürger und Unternehmen während der Lockdowns häufig auf digitale Kanäle angewiesen waren. |
2.2. |
Viele Unternehmer haben für ihren Teil erkannt, dass sie dem Digitalisierungstrend folgen müssen, wenn sie langfristig erfolgreich wirtschaften wollen. Auch die Arbeitnehmer und die Allgemeinheit müssen sich bewusst werden, was Digitalisierung eigentlich bedeutet und wie sie sich auf das Arbeitsleben bzw. den Alltag in einer Unternehmensorganisation, einer öffentlichen Einrichtung oder einfach in einem Gemeinwesen auswirkt. Der neuen Verbraucheragenda zufolge sollten die europäischen Verbraucher im Mittelpunkt des digitalen Wandels stehen und angemessen geschützt werden. Gleichzeitig sollte ihre Handlungskompetenz gestärkt werden. |
2.3. |
Für die Behörden in der ganzen EU ist eine rasche Digitalisierung unausweichlich und nur durch öffentliche Investitionen in digitale Infrastrukturen machbar. Die Behörden auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene müssen sich zu flexiblen, resilienten und innovativen Organisationen weiterentwickeln. Dazu müssen sie die Vorteile des digitalen Wandels, der neuen Technologien sowie der fortgeschrittenen Fähigkeiten nutzen, um inklusive, nahtlose, bequeme, transparente, sichere und vertrauenswürdige digitale Dienste für Bürger und Unternehmen bereitzustellen, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht. |
2.4. |
Behörden, Unternehmen, Arbeitnehmer und die breite Öffentlichkeit müssen sich an unseren technikzentrierten Alltag anpassen. Dabei werden ihnen Unterstützung und erforderlichenfalls analoge Alternativen angeboten. Es ist indes wichtig, den Unterschied zwischen Digitalisierung im ursprünglichen Sinn, Digitalisierung als Prozess und digitaler Transformation bzw. digitalem Wandel zu verstehen. |
2.5. |
Digitalisierung im ursprünglichen Sinn bezieht sich auf die Umwandlung analoger in digitale Datenformate, die für Unternehmens- und Behördenabläufe und die Zahl geleisteter Arbeitsstunden relevant ist. Diese Analog/Digital-Wandlung setzt eine Ereigniskette in Gang, die in allen Unternehmen und Behörden zu stark verbesserten und letztlich automatisierten Arbeits- und Verwaltungsabläufen führen kann. Dies ist für Arbeitnehmer wie auch für öffentliche Bedienstete eine Herausforderung. |
2.6. |
Die meisten Unternehmen und Behörden wenden in ihren alltäglichen Arbeits- und Verwaltungsabläufen zwar grundlegende Verfahren der Datenumwandlung an, schöpfen aber bei Weitem nicht das ganze Potenzial aus. Damit sich die Arbeitnehmer, öffentlichen Bediensteten und die breite Öffentlichkeit auf neue digitale Arbeitsabläufe und -verfahren einlassen, muss zunächst eine Vertrauensbasis aufgebaut werden. In Unternehmen setzt eine derartige Umstellung einen sozialen Dialog und die Achtung von Kollektivverhandlungen voraus. Da sich die Umstellung tiefgreifend auf das Leben der Beschäftigten auswirken kann, sind frühzeitige Informationen und Konsultationen erforderlich. Desgleichen muss die Öffentlichkeit über die unbeabsichtigten Folgen des Wandels informiert werden. |
2.7. |
Die Analog/Digital-Wandlung steigert zwar auf den ersten Blick die Effizienz von Unternehmens- und Verwaltungsabläufen (die potenziellen Vorteile sind immer überschätzt worden), aber es ist immer ein Preis zu bezahlen, wenn bspw. Arbeitsplätze verloren gehen oder die Menschen, insbesondere ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen, mit der neuen Entwicklung nicht schnell genug oder gar nicht zurechtkommen. Deshalb ist es wichtig, dass bei der Digitalisierung alle Menschen, ungeachtet ihres Alters, ihres Geschlechts, ihres sozioökonomischen Hintergrunds oder einer Behinderung, mitgenommen werden. Auch könnten KMU im Wettbewerb benachteiligt werden, wenn sie, insbesondere aufgrund hoher Vorlaufkosten, mit der Datenumwandlung in ihrer Branche nicht Schritt halten können. |
2.8. |
Als nächstes müssen die Unternehmen, Arbeitnehmer und die breite Öffentlichkeit die Digitalisierung als Prozess verstehen lernen, der ungemein viele Facetten hat. Im Zuge der Digitalisierung wird Digitaltechnik zur Umstellung von Unternehmensabläufen eingesetzt. Das wirkt sich auf Geschäftsmodelle, die interne und externe Kommunikation des Unternehmens und die gesamte Wertschöpfungskette aus. |
2.9. |
Durch die Schaffung vollkommen neuer, auf der Nutzung von Digitaltechnik beruhender Einnahmequellen eröffnet die Digitalisierung neue Geschäftsmöglichkeiten. Von der Nutzung der sozialen Medien bis hin zum Angebot von Datendienst-Abonnements für Kunden können benutzerdefinierte Unternehmensanwendungen künftig eine Schlüsselfunktion für Innovation, Wachstum und Expansion der Unternehmen haben. Die neuen digitalen Technologien, insbesondere die sogenannten SMACIT-Technologien (Social, Mobile, Analytics, Cloud, Internet of Things), eröffnen den KMU große Chancen, während sie für die großen und althergebrachten Unternehmensorganisationen sowohl Möglichkeiten bieten als auch Bedrohung sind. |
2.10. |
Aus mehrjährigen Untersuchungen lässt sich eine anhaltend niedrige Erfolgsquote digitaler Strategien ersehen, durch deren Umsetzung weniger als 30 % der angestrebten Ergebnisse erreicht wurden. Laut einer McKinsey-Studie mit 263 Teilnehmern sind nur 16 % der Befragten der Meinung, dass die Digitalisierung ihrer Unternehmensorganisation zu einer Verbesserung der Unternehmensleistung geführt hat. Vor diesem Problem stehen auch „intelligente“ Unternehmen aus dem HighTech-, Medien- und Telekommunikationsbereich, mit einer Erfolgsquote von höchstens 26 %. Dann wieder ergibt die Befragung, dass Unternehmensorganisationen mit weniger als 100 Beschäftigten 2,7 Mal häufiger über eine erfolgreichere digitale Umstellung berichten als große Unternehmensorganisationen mit mehr als 50 000 Beschäftigten. |
2.11. |
Unabhängig von ihrer Größe laufen Unternehmen in eher herkömmlichen Geschäftsbereichen indes Gefahr, an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Es kann nicht pauschal von einer erfolgreichen Digitalisierung aller Unternehmen ausgegangen werden. Das lässt sich auch auf die Beschäftigten übertragen, zumal in traditionellen Tätigkeitsfeldern. |
2.12. |
Die Digitalisierung kann es den Unternehmen ermöglichen, ihre Effizienz zu steigern, sich neue Geschäftschancen und Einnahmen zu erschließen und außerdem ihre Umweltbilanz zu verbessern. Ferner kann sie eine stärkere Arbeitsmarktmobilität, die Produktivität und Flexibilität am Arbeitsplatz sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben im Fall von Telearbeit wie während der COVID-19-Pandemie fördern. |
2.13. |
In der Praxis kann das aber ganz anders aussehen und es muss hinterfragt werden, ob die Digitalisierung und insbesondere Telearbeit tatsächlich zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben geführt haben. Viele Beschäftigte stehen der Telearbeit positiv gegenüber, doch wurde sie häufig planlos eingeführt und hat eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bewirkt, von der insbesondere erwerbstätige Mütter und Arbeitnehmer mit unzureichenden digitalen Kompetenzen betroffen waren. Zu Recht muss die Frage gestellt werden, ob die Digitalisierung die Grenzen zwischen dem Privat- und dem Berufsleben verwischt hat. Die Digitalisierung kann zu einer gesteigerten Leistung der Arbeitnehmer und der Unternehmen führen, sich aber alles andere als positiv auf das Familienleben und womöglich auch die Gesundheit auswirken. Während der Pandemie überhastet eingesetzte Instrumente der künstlichen Intelligenz haben die Stressbelastung sowie die Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten eher noch erhöht. |
2.14. |
Einzelpersonen tendieren ferner verstärkt dazu, im Rahmen digitaler Arbeitsabläufe weiterhin erreichbar zu sein. Wenn Telearbeit in Unternehmen und öffentlichen Diensten immer mehr zur Regel wird, muss sie unbedingt auch Gegenstand des sozialen Dialogs und der Kollektivverhandlungen sein. Das Recht auf Nichterreichbarkeit muss auch in einem EU-weit geltenden Rechtsinstrument verankert werden. |
2.15. |
Schlussendlich ist die Digitalisierung nicht nur unternehmerisch, sondern auch gesamtgesellschaftlich relevant. In den vergangenen drei Jahrzehnten und vor allem in den letzten zehn Jahren hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, und digitale Technologien haben in allen sozialen Umfeldern und menschlichen Tätigkeitsbereichen Einzug gehalten. So gibt es nun „digitale Kunden“, und immer mehr Menschen verlassen sich bei nahezu allen Aspekten ihres Alltags auf Digitaltechnik. Unabhängig von ihrer Form und Größe treten immer mehr Unternehmensorganisationen auf digitalem Weg mit ihren Kunden in Kontakt. Aber deshalb kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass alle Menschen jeden Alters mit den neuen digitalen Entwicklungen Schritt halten können. |
2.16. |
Und hier nun setzt die Unterscheidung von Digitalisierung und digitalem Wandel bzw. digitaler Transformation an. Die digitale Transformation bezieht sich auf die Umgestaltung unternehmerischer und sozialer Abläufe und ihre Überführung in eine digitale Welt. Während der Pandemie fand dies unzählige Male statt, etwa in Form vermehrter Telearbeit. |
3. Besondere Bemerkungen
3.1. |
Die fortschreitende Digitalisierung wird zweifellos immer mehr Bereiche unserer Gesellschaft und Wirtschaft erfassen. Zum einen ist damit die Hoffnung auf weitere soziale und wirtschaftliche Vorteile verbunden, zum anderen aber die Sorge um die Spaltung der Gesellschaft und die notwendige digitale Kompetenz der Menschen. Auf dem Papier scheinen die Transformationstechnologien eher dazu beizutragen, die soziale Inklusion zu fördern, als die Kluft zwischen digital kompetenten Gruppen und benachteiligten Gruppen zu vertiefen, doch in der Praxis kann auch das ganz anders aussehen. Viele Menschen sind schlichtweg nicht in der Lage, sich an das rasche Tempo des digitalen Wandels anzupassen, vor allem ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Menschen, die in ländlichen und abgelegenen Regionen leben. |
3.2. |
Die „Digitalisierung für alle“ ist notwendig, um Effizienz und Produktivität zu steigern und die sozioökonomische Entwicklung nach der Pandemie zu beschleunigen, indes muss der digitale Wandel in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Das bedeutet, dass die Strategien des digitalen Wandels sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor auf Inklusion ausgerichtet sein und um jeden Preis die Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen wie älterer Menschen, sozioökonomisch benachteiligter Menschen, Menschen mit Behinderungen und Einwohner ländlicher Gebiete vermeiden müssen. |
3.3. |
Zur Sicherstellung von Inklusivität müssen die Regierungen umfassende Strategien und Fördermaßnahmen auflegen, um dafür zu sorgen, dass die digitalen öffentlichen Dienste und Güter interoperabel, von guter Qualität, menschenorientiert, transparent und sicher sind, und um den bestmöglichen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung sowie wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten zu gewährleisten. Dabei können Behörden digitale Instrumente nutzen, um die Bürger an der Schaffung digitaler öffentlicher Dienste zu beteiligen und so sicherzustellen, dass diese Dienste den Bedürfnissen und Präferenzen der Bürger, die sie nutzen, gerecht werden. |
3.4. |
Vor allem müssen die Regierungen enorme Investitionen tätigen, um Inklusivität zu erreichen, wobei Inklusivität ein entscheidender Aspekt des im Rahmen der Aufbau- und Resilienzpläne der Mitgliedstaaten angestrebten digitalen Wandels sein dürfte. Dafür werden Mittel aus dem durch das Aufbauinstrument NextGenerationEU gestärkten Fonds für einen gerechten Übergang sowie dem Programm „Digitales Europa“, den europäischen Struktur- und Investitionsfonds (insbesondere dem EFRE und dem ESF +) genutzt werden. Allerdings gibt es Bedenken, ob der Fonds für einen gerechten Übergang geeignet ist, die Herausforderungen sowohl des digitalen Wandels als auch der Klimawende zu bewältigen (2). Die nationalen, regionalen und lokalen Behörden müssen sich ebenfalls der Digitalisierung stellen und die Einführung neuer digitaler Infrastrukturen wie u. a. 5G beschleunigen. |
3.5. |
Geschwindigkeit, Umfang und Tragweite des digitalen Wandels suchen ihresgleichen. Realistischerweise kann nicht erwartet werden, dass alle Unternehmen, KMU und sozialwirtschaftlichen Unternehmen damit Schritt halten können. Am Ende kann es ebenso viele Verlierer wie Gewinner geben, es sei denn, den Unternehmen wird Zeit zur Anpassung eingeräumt und sie werden durch geeignete Maßnahmen unterstützt. |
3.6. |
Zu diesen Maßnahmen zählen die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur, um den Unternehmen den digitalen Wandel zu ermöglichen, sowie die Schaffung eines verhältnis- und zweckmäßigen flankierenden Rechtsrahmens. Auch sollten die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung und Validierung digitaler Lösungen enger zusammenarbeiten und ein Netz für den Austausch bewährter Verfahren aufbauen. Des Weiteren könnten die notwendigen Investitionen der Unternehmen in die digitale Umstellung ihrer Tätigkeiten und Arbeitsabläufe durch Steuererleichterungen gefördert werden. |
3.7. |
Voraussetzung für einen vertrauenerweckenden digitalen Wandel sind Märkte, die es den Verbrauchern ermöglichen, ihre Entscheidungen ohne Misstrauen oder Beeinflussung in einem wirklich offenen und wettbewerbsorientierten Umfeld zu treffen. In Anbetracht der Marktkonzentration (etwa bei den sozialen Medien, Kommunikationsanwendungen, Suchmaschinen, Betriebssystemen usw.) und der regelmäßigen Missachtung der Verbraucherrechte ist davon eher nicht auszugehen. In seiner Stellungnahme zur neuen Verbraucheragenda (INT/922 (3)) betonte der EWSA, dass die Verbraucherschutzvorschriften an die digitale Welt angepasst werden müssen. Die neuen Herausforderungen, die sich aus innovativen Technologien wie der künstlichen Intelligenz (KI), dem Internet der Dinge und der Robotik ergeben, erfordern einen stärkeren Verbraucherschutz. |
3.8. |
Eine weitere Voraussetzung für die erwünschten Ergebnisse der Digitalisierung ist die Vorbereitung von Unternehmen jeder Größe, einschl. der sozialwirtschaftlichen Unternehmen, auf den digitalen Wandel, u. a. durch einschlägige finanzielle Fördermittel und Schulungsprogramme für Kleinunternehmer und Mitarbeiter, um sie über die neuesten Technologien und die damit verbundenen Möglichkeiten zu informieren. Ferner müssen alle Aspekte der anstehenden tiefgreifenden Veränderung auf allen Ebenen am Arbeitsplatz kommuniziert werden. Und schließlich muss die Notwendigkeit vermittelt werden, dass im Einklang mit dem Paradigmenwechsel in der Organisationskultur auch neue Arbeits-, Verhaltens- und Kommunikationsmuster eingeführt werden müssen. |
3.9. |
Der digitale Wandel hat dazu geführt, dass die Nachfrage nach digitalen Kompetenzen in praktisch allen Branchen, von der Fertigungsindustrie bis zu Finanzdienstleistern und darüber hinaus, gestiegen ist und in absehbarer Zeit auch noch weiter ansteigen wird. Deshalb müssen Regierungen und Unternehmen auf jeden Fall weiterhin in die allgemeine und berufliche Bildung sowie Fort- und Weiterbildung für alle investieren, um einen reibungslosen digitalen Wandel zu ermöglichen und sicherzustellen, dass Einzelpersonen und Unternehmen über die erforderlichen Kompetenzen verfügen, um seine Vorteile zum Tragen zu bringen. Auch sollten Informationen zur Nutzung digitaler Plattformen erteilt werden. |
3.10. |
Mit dem fortschreitenden digitalen Wandel muss auch eine nachdrückliche Förderung der MINT-Qualifikationen an Schulen und Hochschulen in den kommenden Jahren einhergehen, um den Wandel zu unterstützen, das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern zu beseitigen, die nächste Generation von Innovatoren hervorzubringen, die Wirtschaft zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen. |
3.11. |
Die Digitalisierung führt zu Arbeitsverdichtung und Arbeitsplatzunsicherheit und damit zu einer ernstlichen Beeinträchtigung des Schutzes, der Vertretung und der fairen Behandlung der Beschäftigten. In der 2019 angenommenen Erklärung zum hundertjährigen Bestehen der IAO für die Zukunft der Arbeit wird ein am Menschen orientierter Ansatz für den digitalen Wandel in der Arbeitswelt befürwortet. Dieser Anspruch muss jedoch erst noch in wirksame Konzepte, Rechtsvorschriften und Maßnahmen für den Schutz und eine angemessene Vertretung der Arbeitnehmer umgesetzt werden. Deshalb sollte eine EU-weite Überprüfung der politischen Konzepte (und womöglich auch der Rechtsvorschriften unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und Zweckmäßigkeit) sowie Maßnahmen stattfinden, um für Maßnahmenkohärenz zu sorgen und außerdem die einschlägigen Interessenträger in die Erarbeitung von Maßnahmen einzubeziehen, die auf die Verwirklichung des grundlegenden Ziels der sozialen Gerechtigkeit ausgerichtet sind. |
3.12. |
Schließlich muss in jeder Diskussion über die „Digitalisierung für alle“ berücksichtigt werden, wie eng sie mit der Ökologisierung der EU-Volkswirtschaften und der Verwirklichung der Klimaneutralitätsziele der EU verflochten ist und dass ein Schwerpunkt der Aufbau- und Resilienzpläne auf Initiativen zur Förderung dieser Ziele liegt. |
3.13. |
Es ist nicht nur wichtig, dass der digitale und der ökologische Wandel Hand in Hand gehen, sie tragen auch entscheidend zur Förderung von Innovation in der gesamten EU bei. Als Beispiel wären Blockchain-Technologien zu nennen, die es ermöglichen, Lieferketten zu optimieren, die Effizienz zu verbessern und damit den Ressourcenverbrauch zu senken, den Überblick über Komponenten, Produkte und Materialien zu wahren, und so die Kreislaufwirtschaft fördern. Ferner können digitale Technologien dazu beitragen, Emissionen, deren Senkung technisch schwierig oder kostspielig ist, zu neutralisieren oder auszugleichen. Der „digitale und grüne“ Wandel ist von existenzieller Bedeutung, doch sollte er, wie bereits gesagt, stets am Leitgedanken der Gerechtigkeit in der Gesellschaft ausgerichtet sein. In anderen Worten sollten die Vorteile des digitalen Wandels infolge bspw. der Anwendung der neuesten Technologien zur Bereitstellung intelligenter, nahtloser und unaufdringlicher Dienste in den Bereichen Energie, Sicherheit, Mobilität, Wohlergehen und Gemeinwesen, die zur Verwirklichung der CO2-Neutralität beitragen, für alle zugänglich sein. |
3.14. |
Gewiss ist dies nicht einfach zu erreichen. Aber genau deshalb sollten die Digitalisierungspläne, die auch für die Ökologisierung der Volkswirtschaften der EU relevant sind, eine Analyse unter Einbeziehung sämtlicher Interessenträger und auf Grundlage des sozialen Dialogs und der Kollektivverhandlungen umfassen, um mittel- und langfristige Ziele zu erarbeiten, die positive Veränderungen für die Menschen in Europa bewirken. |
Brüssel, den 7. Juli 2021
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Rates zur Gestaltung der digitalen Zukunft Europas vom 9. Juni 2020, in denen er die Kommission auffordert, „eine verstärkte EU-Strategie für die digitale Verwaltung vorzuschlagen, bei der auf die digitale Einbeziehung aller Bürger und privaten Akteure geachtet wird und die dazu dienen soll, den digitalen Wandel bei den öffentlichen Verwaltungen in allen EU-Mitgliedstaaten zu koordinieren und zu unterstützen, wobei auch Interoperabilität und gemeinsame Standards für sichere Datenflüsse und Dienste im öffentlichen Sektor ohne Grenzen einbegriffen sind“.
(2) https://www.epsu.org/article/proposed-transition-fund-really-just