23.12.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 447/1


Schlussfolgerungen des Rates zu Reallaboren und Experimentierklauseln als Instrumente für einen innovationsfreundlichen, zukunftssicheren und resilienten Rechtsrahmen zur Bewältigung disruptiver Herausforderungen im digitalen Zeitalter

(2020/C 447/01)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION

1.   

VERWEIST auf seine Schlussfolgerungen vom Februar 2020 (1), in denen HERVORGEHOBEN WURDE, dass bessere Rechtsetzung einer der wichtigsten Treiber für nachhaltiges und inklusives Wachstum ist, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Digitalisierung und die Schaffung von Arbeitsplätzen fördert, die Transparenz steigert und die öffentliche Unterstützung für EU-Gesetzgebung gewährleistet, und in denen ERNEUT DARAUF HINGEWIESEN WURDE, dass sichergestellt werden muss, dass die Rechtsetzung der EU transparent und einfach ist und mit minimalem Kostenaufwand erreicht wird, wobei jederzeit ein hohes Maß an Schutz für die Verbraucher, die Beschäftigten, die Gesundheit, das Klima sowie die Umwelt zu berücksichtigen ist; BEKRÄFTIGT seine Verpflichtung, die effizientesten Regulierungsinstrumente wie etwa Harmonisierung und gegenseitige Anerkennung zu fördern (2);

2.   

HEBT HERVOR, dass der Rechtsrahmen der EU so wettbewerbsfähig, wirksam, effizient, kohärent, vorhersehbar, innovationsfreundlich, zukunftssicher, nachhaltig und resilient wie möglich sein muss, vor allem damit die EU gestärkt aus der COVID-19-Krise hervorgehen kann, die schwerwiegende Auswirkungen auf die Mehrheit der Unternehmen in der EU hatte, insbesondere auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU), einschließlich Kleinst- und Start-up-Unternehmen, von denen viele einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sind. Der Rechtsrahmen der EU muss evidenzbasiert sein und vor dem Hintergrund des Ziels eines voll funktionsfähigen EU-Binnenmarkts sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die Unternehmen schützen und unterstützen, ohne neue unnötige Belastungen aufzuerlegen und bei gleichzeitigem Abbau bestehender unnötiger Belastungen;

3.   

VERWEIST AUF die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie auf das Vorsorgeprinzip und seine Schlussfolgerungen vom Mai 2016 (3), in denen HERVORGEHOBEN WURDE, dass bei Prüfung, Entwicklung oder Aktualisierung von Maßnahmen der EU in den Bereichen Politik oder Rechtsetzung das „Innovationsprinzip“ zum Tragen kommen sollte, welches umfasst, dass im Zuge der Entwicklung und Überarbeitung der Rechtsvorschriften in allen Politikbereichen die Auswirkungen auf Forschung und Innovation berücksichtigt werden, in denen die Kommission und die Mitgliedstaaten AUFGEFORDERT WURDEN, die Perspektive forschungs- und innovationsfreundlicher und zukunftstauglicher Rechtsvorschriften zu einem Teil ihrer Diskussionen über die geltende Rechtsetzung im Rahmen von REFIT zu machen, und in denen die Kommission und die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang AUFGEFORDERT WURDEN, bewährte Verfahren auszuloten, wie Rechtsetzung zukunftssicherer gemacht werden kann und Forschung und Innovation ermöglicht, einschließlich Möglichkeiten zum Experimentieren und zur Flexibilität; VERWEIST auf den Austausch bewährter Verfahren, der 2017 vom maltesischen Ratsvorsitz organisiert wurde und aus dem hervorging, dass viele Mitgliedstaaten bereits Experimentieren und andere innovationsbezogene Instrumente bei ihrer Politikgestaltung berücksichtigen (4);

4.   

HEBT HERVOR, dass Flexibilität und Experimentieren wichtige Elemente für einen agilen, innovationsfreundlichen, zukunftssicheren, evidenzbasierten und resilienten Rechtsrahmen sein können, welcher Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum, Nachhaltigkeit, regulatorisches Lernen sowie die technologische Souveränität und die Führungsrolle der EU fördert und welcher hilft, systemische Schocks und disruptive sowie langfristige zukünftige Herausforderungen zu bewältigen;

5.   

STELLT FEST, dass Reallabore zunehmend in einer Reihe von Sektoren eingesetzt werden, beispielsweise in den Bereichen Finanzen, Gesundheit, Rechtsdienstleistungen, Luftfahrt, Verkehr und Logistik sowie Energie, oftmals einschließlich der Nutzung neuer Technologien – wie Künstliche Intelligenz (KI) und Blockchain-/Distributed-Ledger-Technologie (DLT) – oder der innovativen Nutzung bestehender Technologien (5);

6.   

NIMMT KENNTNIS von der 2019 für die Kommission erstellten Studie zur Unterstützung der Zwischenevaluierung des Innovationsprinzips (Study supporting the interim evaluation of the innovation principle) (6), in der hervorgehoben wurde, dass die Innovationsfreundlichkeit der EU verbessert werden muss, indem der Ansatz der Kommission zur Gestaltung einer experimentellen Regulierung, einschließlich von Reallaboren, gestärkt wird; NIMMT ZUR KENNTNIS, dass im Leistungsbericht der Kommission zu Wissenschaft, Forschung und Innovation 2020 („Science, Research and Innovation Performance Report 2020“) (7) festgestellt wird, dass die Beschleunigung der technologischen Entwicklung auch weniger traditionelle Regulierungs- und Politikansätze, wie etwa Reallabore, erfordert;

7.   

NIMMT ZUR KENNTNIS, dass die Kommission in ihrer Mitteilung „Eine KMU-Strategie für ein nachhaltiges und digitales Europa“ (8) angekündigt hat, die Mitgliedstaaten durch ein Pilotprojekt dazu zu ermutigen, Vorschläge für Reallabore auszuarbeiten; STELLT FEST, dass die Kommission in Zusammenarbeit mit der europäischen Blockchain-Partnerschaft ein europaweites Reallabor für Blockchain plant, das 2021/22 einsatzbereit sein soll; NIMMT ZUR KENNTNIS, dass die Generaldirektion Unterstützung von Strukturreformen der Kommission der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung bei der Unterstützung von Reallaboren in Griechenland, Estland und Polen hilft (9);

8.   

BETRACHTET Reallabore als konkrete Rahmen, die, indem sie einen strukturierten Kontext für Experimente vorgeben, es ermöglichen, innovative Technologien, Produkte, Dienstleistungen oder Ansätze – aktuell insbesondere im Zusammenhang mit der Digitalisierung – wo geeignet in einer realen Umgebung für einen begrenzten Zeitraum oder in einem begrenzten Teil einer Branche oder eines Gebiets unter regulatorischer Aufsicht und Gewährleistung angemessener Schutzmaßnahmen zu erproben (10);

9.   

VERSTEHT Experimentierklauseln als Rechtsvorschriften, die es den für ihre Umsetzung und Durchsetzung zuständigen Behörden ermöglichen, für die Erprobung innovativer Technologien, Produkte, Dienstleistungen oder Ansätze von Fall zu Fall ein gewisses Maß an Flexibilität walten zu lassen (11); STELLT FEST, dass Experimentierklauseln oftmals die Rechtsgrundlage für Reallabore darstellen und bereits in Rechtsvorschriften der EU und in den Rechtsrahmen vieler Mitgliedstaaten verwendet werden;

10.   

BETONT, dass Reallabore die Möglichkeit bieten können, die Regulierung durch proaktives regulatorisches Lernen weiterzuentwickeln, wodurch Rechtsetzer besseres regulatorisches Wissen erlangen und auf Grundlage von Evidenz aus der realen Welt die besten Mittel zur Regulierung von Innovationen identifizieren können, insbesondere in einem sehr frühen Stadium, was mit Blick auf hohe Unsicherheit und disruptive Herausforderungen sowie bei Vorbereitung neuer Maßnahmen besonders wichtig sein kann;

11.   

UNTERSTREICHT, dass Reallabore allen Unternehmen eine große Vielfalt an Möglichkeiten, vor allem für Innovation und Wachstum, bieten können; dies gilt insbesondere für KMU, einschließlich Kleinst- und Start-up-Unternehmen, in den Sektoren Industrie und Dienstleistungen sowie in anderen Bereichen;

12.   

HEBT HERVOR, dass Reallabore und Experimentierklauseln die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie das Vorsorgeprinzip jederzeit achten müssen und deren Anwendung fördern sollten. Es müssen stets ein hohes Schutzniveau unter anderem für Bürgerinnen und Bürger, Verbraucher, Beschäftigte, die Gesundheit, das Klima und die Umwelt sowie Rechtssicherheit, Finanzmarktstabilität, gleiche Wettbewerbsbedingungen und fairer Wettbewerb gewährleistet werden und bestehende Schutzniveaus müssen geachtet werden;

13.   

In Bezug auf Experimentierklauseln:

a)

ERMUTIGT die Kommission, weiterhin die Verwendung von Experimentierklauseln von Fall zu Fall bei der Ausarbeitung und Überarbeitung von Rechtsvorschriften in Betracht zu ziehen sowie die Verwendung von Experimentierklauseln in Ex-post-Evaluierungen und Eignungsprüfungen zu bewerten;

b)

BETONT, dass Experimentierklauseln für mehrere aktuelle und künftige Legislativvorschläge von Bedeutung sein können;

c)

UNTERSTÜTZT, dass der Ausschuss für Regulierungskontrolle bei der Untersuchung von Folgenabschätzungen, Evaluierungen und Fitness Checks weiterhin prüft, ob den Auswirkungen der Regulierung auf Innovationen – wozu unter anderem die Verwendung von Experimentierklauseln zählen kann – gebührend Rechnung getragen wird;

d)

BETONT seine Absicht, die mögliche Einbeziehung von Experimentierklauseln bei der Erörterung von Legislativvorschlägen zu prüfen;

e)

FORDERT die Kommission AUF, eine Übersicht über die wichtigsten bestehenden Experimentierklauseln im Unionsrecht zu erstellen;

f)

FORDERT die Kommission AUF, Politikbereiche und Regelungen zu ermitteln, in denen zusätzliche Experimentierklauseln möglicherweise dazu beitragen könnten, Innovationen zu fördern und die Regulierung weiterzuentwickeln; ERMUTIGT die Kommission, in dieser Hinsicht die Mitgliedstaaten und Interessenträger zu konsultieren, beispielsweise über die Plattform „Fit-for-future“ oder durch gezielte Konsultationen;

14.   

In Bezug auf Reallabore: FORDERT die Kommission AUF, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten einen Austausch von Informationen und bewährten Verfahren in Bezug auf Reallabore zwischen den Mitgliedstaaten und mit ihr selbst zu organisieren, um

a)

eine Übersicht über den Stand der Verwendung von Reallaboren in der EU zu erstellen,

b)

Erfahrungen hinsichtlich Rechtsgrundlage, Umsetzung und Evaluierung von Reallaboren zu ermitteln und

c)

zu untersuchen, wie das Lernen aus Reallaboren auf nationaler Ebene zur faktengestützten Politikgestaltung auf EU-Ebene beitragen kann;

15.   

FORDERT die Kommission AUF, im ersten Halbjahr 2021 einen Fortschrittsbericht zu diesem Austausch von Informationen und bewährten Verfahren in Bezug auf Reallabore sowie zur Übersicht über die bestehenden Experimentierklauseln im Unionsrecht vorzulegen, damit die Gruppe „Bessere Rechtssetzung“ unter portugiesischem Ratsvorsitz darüber beraten kann; und im zweiten Halbjahr 2021 ihre endgültigen Ergebnisse und Analysen zusammen mit praktischen Empfehlungen zur möglichen zukünftigen Nutzung von Reallaboren in der EU und auf EU-Ebene vorzulegen, damit die Gruppe „Bessere Rechtsetzung“ unter slowenischem Ratsvorsitz darüber beraten und das Thema weiterverfolgen kann.


(1)  Dok. 6232/20.

(2)  Interinstitutionelle Vereinbarung über bessere Rechtsetzung, Nummer 47.

(3)  Dok. 9580/16.

(4)  Dok. WK 6474/2017.

(5)  Attrey, A., Lesher, M. und Lomax, C. (2020): Going Digital Toolkit Policy Note 2 „The role of sandboxes in promoting flexibility and innovation in the digital age“ (Strategiepapier).

(6)  https://ec.europa.eu/info/publications/study-supporting-interim-evaluation-innovation-principle_en.

(7)  https://ec.europa.eu/info/publications/science-research-and-innovation-performance-eu-2020_en.

(8)  Dok. 6783/20 (COM(2020) 103).

(9)  Parenti, R. (2020): Regulatory Sandboxes and Innovation Hubs for FinTech (Regulatory Sandboxes und Innovation Hubs im FinTech-Bereich), Studie für den Ausschuss für Wirtschaft und Währung, Fachabteilung Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensqualität, Europäisches Parlament, Luxemburg.

(10)  Europäische Kommission, Instrument Nr. 21. Forschung und Innovation, Instrumentarium für eine bessere Rechtsetzung; Europäische Kommission; Dok. 6783/20 (COM(2020) 103).

(11)  Europäische Kommission, Instrument Nr. 21. Forschung und Innovation, Instrumentarium für eine bessere Rechtsetzung, Punkt 1 zu Experimentierklauseln, S. 151.