26.3.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 106/12


Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Grenzüberschreitende öffentliche Dienstleistungen in Europa

(2021/C 106/04)

Berichterstatter:

Pavel BRANDA (EKR/CZ), Stellvertretender Bürgermeister von Rádlo

I.   ALLGEMEINE BEMERKUNGEN

Fast ein Drittel der EU-Bürger lebt und arbeitet in den europäischen Grenzregionen. Diese Grenzen haben direkte und indirekte Auswirkungen auf ihr Leben. Menschen, die in einer Grenzregion leben, stoßen oft auf besondere Herausforderungen, etwa bei der Arbeitsplatzsuche, beim Zugang zur Gesundheitsversorgung und anderen öffentlichen Dienstleistungen, beim täglichen Pendeln und bei Behördenangelegenheiten. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat sich als das wirksamste Instrument erwiesen, um die durch die Grenzen bedingte Beschränkung und Trennung zu überwinden und den territorialen Zusammenhalt der Grenzregionen zu stärken.

Der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen in Grenzregionen, insbesondere in den von einer erheblichen Entvölkerung betroffenen, ist im Vergleich zu zentral gelegenen oder Hauptstadtregionen oft eingeschränkt, was sich besonders in Regionen mit demografischen Herausforderungen bemerkbar macht, und dabei doch in hohem Maße für die Lebensqualität bestimmend. Die Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen wäre nicht nur im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch profitabler, da die entsprechenden Dienstleistungen breiter verfügbar und kosteneffizienter wären.

Die erfolgreiche Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen könnte auch zu einem besseren Verständnis unter Nachbarn und der Schaffung des so dringend nötigen Vertrauens führen. Solche Dienstleistungen würden sich unmittelbar darauf auswirken, wie die Europäische Union wahrgenommen wird, was wiederum zur Stärkung der europäischen Identität beitragen würde.

Die breitere Verfügbarkeit grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen könnte dazu beitragen, negative Auswirkungen der Grenze zu verringern und die Lebensqualität der Bürger in Grenzregionen zu erhöhen. Indem die EU dem bestehenden Bedarf an öffentlichen Dienstleistungen an ihren Binnen- und Außengrenzen angemessen Rechnung trägt, zeigt sie den Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die in den Genuss dieser Dienstleistungen kommen, ihren eindeutigen Mehrwert.

Die ausgezeichnete zielgerichtete Analyse des Europäischen Beobachtungsnetzes für Raumordnung (ESPON) (1) gibt einen ersten Überblick zum Thema grenzüberschreitende öffentliche Dienstleistungen. Sie steckt den Rahmen ab und enthält verschiedene Empfehlungen. In der komplizierten Lage, in der wir uns befinden und die koordinierte Antworten auf die Herausforderungen verlangt, sollte der AdR nun die politische Initiative in Form dieser Stellungnahme ergreifen, um das Thema grenzüberschreitende öffentliche Dienstleistungen voranzubringen, politische Empfehlungen aus der Sicht der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften auszusprechen und die nächsten Schritte zu bestimmen, die die Organe der EU und andere Interessenträger gehen sollten, damit grenzüberschreitende öffentliche Dienstleistungen in Zukunft wirksamer und umfassender erbracht werden können.

II.   POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN

1.

ist der Auffassung, dass drei Instrumente/Voraussetzungen für die erfolgreiche, effiziente und breitere Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen erforderlich sind: ein Rechtsrahmen, Strukturen und finanzielle Mittel. Angesichts des europäischen Charakters dieser Dienstleistungen sollte die EU eine aktive und führende Rolle bei der Bereitstellung dieser Instrumente/Voraussetzungen spielen. Nötig ist dabei die Zusammenarbeit nationaler, regionaler und lokaler Behörden im Einklang mit dem Partnerschaftsprinzip, um die durch den grenzüberschreitenden Kontext bedingten Kosten zu vermeiden oder zu senken;

EU-Rechtsrahmen

Mehrwert eines EU-Rechtsrahmens

2.

betont, dass ein EU-Rechtsrahmen nötig ist, der eine effiziente Einrichtung und Verwaltung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen ermöglicht, die dem Bedarf der Bürgerinnen und Bürger in Grenzregionen gerecht werden. Dies würde eindeutig einen EU-Mehrwert bieten, denn die gegenwärtigen Rahmenbedingungen bringen oft einen übermäßigen Verwaltungsaufwand und hohe Kosten mit sich, was viele lokale und regionale Gebietskörperschaften veranlasst, ihre Pläne aufzugeben;

3.

unterstützt in diesem Sinne nachdrücklich den europäischen grenzübergreifenden Mechanismus (ECBM) und bedauert, dass der diesbezügliche Vorschlag derzeit im Rat der Europäischen Union blockiert ist; fordert den portugiesischen Ratsvorsitz deshalb auf, sich für eine möglichst baldige Annahme dieses Vorschlags einzusetzen;

4.

ist der Auffassung, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen gemäß dem Subsidiaritätsprinzip der europäischen Idee entsprechen. Sie können am wirksamsten im Rahmen einer engen Zusammenarbeit mit den nationalen, regionalen und lokalen Behörden (Partnerschaftsprinzip) auf EU-Ebene angegangen werden;

Umsetzung von EU-Vorschriften unter Berücksichtigung grenzübergreifender Fragen

5.

fordert die Europäische Kommission als das für die Überwachung der Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften zuständige Organ sowie vor allem die Mitgliedstaaten und die Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen auf, die Umsetzung der Richtlinien mit den jeweiligen Nachbarstaaten und -regionen abzustimmen, damit nicht mangels Koordinierung neue rechtliche Hürden und Asymmetrien in der Verwaltung entstehen; appelliert gleichzeitig an die Mitgliedstaaten und die Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen, ihren nationalen bzw. regionalen Rechtsrahmen hinsichtlich seiner Auswirkungen in den Grenzräumen zu prüfen;

6.

weist darauf hin, dass sich mit Folgenabschätzungen die Auswirkungen der EU-Gesetzgebung sehr gut absehen lassen, und fordert die Kommission sowie die Mitgliedstaaten und die Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen auf, Methoden für eine wirksame Abschätzung der grenzüberschreitenden Folgen zu erarbeiten;

Grenzüberschreitende Kontaktstellen in den Generaldirektionen der Europäischen Kommission

7.

fordert die Europäische Kommission auf, die Situation von Grenzgebieten bereichsübergreifend in ihrer Politikgestaltung zu berücksichtigen und in allen Generaldirektionen grenzüberschreitende Kontaktstellen zu benennen, die sich mit grenzüberschreitenden Fragen befassen können, vor allem in den Bereichen Umwelt, Rettungsdienste, Risikomanagement, Verkehr, Gesundheitsversorgung, Bildung, Raumordnung, Digitalisierung, Kommunikation, Kultur, Tourismus, Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigung (2). Bei der Erarbeitung neuer sowie der Änderung geltender EU-Rechtsvorschriften sollte die Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen in diesen Bereichen berücksichtigt werden, um ihre Umsetzung zu unterstützen;

Nationale grenzüberschreitende Kontaktstellen

8.

fordert die Mitgliedstaaten und die Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen auf, feste, ständige, behördenübergreifende nationale grenzüberschreitende Kontaktstellen einzurichten, die Erfahrungen austauschen und die konkreten Herausforderungen für die Gebietskörperschaften an einer Grenze erörtern, die Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften koordinieren und auf die systematische Beseitigung von Grenzhindernissen hinarbeiten (auch in Bezug auf die Einrichtung und Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen). Diese Kontaktstellen könnten identisch mit den Stellen sein, die in der Verordnung über den europäischen grenzübergreifenden Mechanismus vorgeschlagen werden, sofern diese in der jeweiligen Region eingeführt werden, allerdings mit weitergehenden Zuständigkeiten. In den Kontaktstellen sollte ein Verantwortlicher benannt werden, der die Amtssprachen der Grenzgebiete beherrscht. Die Kontaktstellen sollten mit ihrer Arbeit zur Beseitigung der von den lokalen und regionalen Akteuren festgestellten Hindernisse beitragen. Sie könnten die Lage in den Grenzregionen bewerten und gemeinsame Konzepte und Maßnahmen vorschlagen, wie die Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger durch eine optimierte Nutzung der verfügbaren Ressourcen auf beiden Seiten der Grenze verbessert werden könnten, und sie könnten Verfahrensweisen für die Koordinierung mit grenzüberschreitenden Programmen und anderen Initiativen der EU aufstellen. Die EU-Anlaufstelle „Grenze“ sollte koordinieren sowie methodische Unterstützung leisten und den Austausch bewährter Verfahren unter den Grenzregionen in Europa fördern;

9.

fordert die Mitgliedstaaten auf, flexibler auf Wünsche der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zu reagieren, die grenzüberschreitende öffentliche Dienstleistungen einrichten wollen. Denn Flexibilität, Ad-hoc-Lösungen und rasche Antworten der zuständigen öffentlichen Akteure für die Einrichtung und Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen können kurzfristige Lösungen bieten, die aber einer dauerhaften, nachhaltigen Lösung bedürfen. Auch die Anwendung zwischenstaatlicher Abkommen wie des jüngst geschlossenen Vertrags von Aachen könnte die Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen voranbringen;

Anlaufstelle „Grenze“ (GD REGIO)

10.

unterstreicht seine Unterstützung für die Anlaufstelle „Grenze“ der GD REGIO und fordert eine Aufstockung der personellen Ressourcen der Anlaufstelle angesichts ihrer möglichen neuen Aufgabe, d. h. der Koordinierung der nationalen Kontaktstellen und der Kontaktstellen in den verschiedenen Generaldirektionen;

Europäischer grenzübergreifender Mechanismus

11.

ist der Auffassung, dass die EU in Bezug auf die Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften einen koordinierten Ansatz in Grenzfragen unterstützen sollte. Wenn dieser nicht erfolgreich ist und die nationalen Rechtsvorschriften eine Zusammenarbeit nicht zulassen, sollte die EU eine europäische Lösung bzw. einen europäischen Rahmen bereitstellen, den die Erbringer von grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen nutzen können;

12.

betont deshalb nachdrücklich, dass das neue, von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Instrument, der europäische grenzübergreifende Mechanismus (3), als Bottom-up-Rechtsinstrument angenommen werden muss, das sich wahrscheinlich als angemessene Lösung für die Bewältigung rechtlicher und administrativer Hindernisse und für die Schaffung eines geeigneten Rechtsrahmens für die konkrete Umsetzung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen erweisen wird;

13.

bekräftigt, dass die von der Europäischen Kommission im Rahmen der „Cross-Border Review“ durchgeführte Analyse der in Grenzgebieten bestehenden Hindernisse und die sich daraus ergebenden B-Solutions-Projekte eindeutig belegen, dass ein solches Rechtsinstrument vor Ort nötig ist. In über einem Drittel der 43 analysierten B-Solutions-Fälle (4) könnte der europäische grenzübergreifende Mechanismus zur Beseitigung der jeweiligen Hindernisse beitragen, vor allem in den Fällen, in denen die vorgeschlagene Lösung eine Änderung des gegenwärtig geltenden rechtlichen oder administrativen Rahmens auf einer Seite der Grenze erfordern würde;

14.

fordert die lokalen und regionalen Interessenträger in diesem Zusammenhang auf, ihre Kapazitäten auszubauen, damit sie in der Lage sind, ihre Aufgabe als Initiatoren von Lösungen im Rahmen des vorgeschlagenen europäischen grenzübergreifenden Mechanismus nachdrücklicher und effizienter wahrzunehmen. Damit der Mechanismus korrekt angewandt werden kann, müssen die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften die Hindernisse ausreichend verstehen und somit in der Lage sein, funktionierende rechtliche bzw. administrative Lösungen eindeutig zu definieren;

15.

verweist darauf, dass die vorgeschlagene ECBM-Verordnung möglicherweise nicht nur für grenzüberschreitende öffentliche Dienstleistungen, sondern für die Zukunft der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit generell von entscheidender Bedeutung sein wird, da sie dazu beitragen kann, bestehende Hindernisse zu beseitigen und das volle wirtschaftliche Potenzial der EU-Grenzregionen freizusetzen (5);

16.

fordert den Europäischen Rat auf, die Beratungen über die ECBM-Verordnung wiederaufzunehmen und umgehend seine Position zu dem Vorschlag festzulegen, damit die Verordnung rasch erlassen werden kann;

17.

fordert die Mitgliedstaaten auf, die Erörterung des „Mechanismus zur Überwindung rechtlicher und administrativer Hindernisse in einem grenzübergreifenden Kontext“ auf die Tagesordnung der Gipfeltreffen zwischen Grenzstaaten und jedes anderen hochrangigen Forums für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu setzen. Die Prüfung dieses von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Instruments in beschlussfassenden Gremien sollte die Mitgliedstaaten davon überzeugen, wie nützlich es dafür ist, viele der immer noch vorhandenen rechtlichen und administrativen Hindernisse an EU-Grenzen zu beseitigen und somit die Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen zu erleichtern;

18.

schlägt der Kommission vor, dass interessierte Mitgliedstaaten, Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen und grenzübergreifende Strukturen auf lokaler und regionaler Ebene die Anwendung der Grundsätze und Verfahren des vorgeschlagenen europäischen grenzübergreifenden Mechanismus an konkreten Projekten testen, um ein besseres Verständnis davon zu gewinnen, wie dieses Instrument in konkreten Fällen angewandt werden und zur Beseitigung existierender rechtlicher und administrativer Hindernisse beitragen könnte. In vielen grenzübergreifenden Gebieten wurde die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bereits in der Vergangenheit getestet und hat positive Ergebnisse bei der Lösung grenzüberschreitender Fragen erbracht;

Grenzübergreifende Strukturen

19.

stellt fest, dass die ESPON-Analyse gezeigt hat, dass die meisten grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen die Schaffung einer neuen grenzübergreifenden Struktur oder eines Gremiums erfordern, allerdings zumeist ohne neue Rechtspersönlichkeit. Sehr häufig wurden bereits existierende Strukturen genutzt oder angepasst. In den Fällen, in denen neue grenzübergreifende Strukturen geschaffen wurden, beruhte dies auf existierenden zwischenstaatlichen Vereinbarungen, inländischem Recht oder der EVTZ-Verordnung;

20.

unterstreicht die Vorteile dauerhafter grenzübergreifender Strukturen, die über eigenes Personal und einen eigenen Haushalt verfügen und lediglich der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit dienen, etwa Euroregionen, Arbeitsgemeinschaften oder ähnliche Strukturen für die effiziente Entwicklung von grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen;

21.

betont die Vorteile und das unausgeschöpfte Potenzial der Europäischen Verbünde für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) (6), die für die Verwaltung von grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen perfekt geeignet wären, vor allem in den Fällen, in denen ein gemeinsamer Haushalt und die Einstellung gemeinsamen Personals erforderlich ist und die Gebietskörperschaften die wichtigsten Erbringer sind. Die Sensibilisierungsmaßnahmen der EVTZ-Plattform des AdR sollten verstärkt werden und insbesondere auf die Nutzung von EVTZ für die Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen gerichtet sein;

22.

betont, dass sich die EVTZ zwar als sehr sinnvoll für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erwiesen haben. Allerdings stoßen sie rechtlich an bestimmte Grenzen, die es ihnen nicht erlauben, das Potenzial einer verstärkten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit voll auszuschöpfen. Dies zeigt sich besonders deutlich bei grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen und Infrastrukturprojekten. Dieses europäische Instrument könnte weitaus breiter genutzt werden, wenn der bereits erwähnte Rechtsrahmen verbessert würde;

Finanzinstrumente

23.

fordert eine Bezugnahme auf die Entwicklung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen als förderfähige Aktivität im Rahmen der Kohäsionspolitik, konkret beim Programm Interreg (ohne Kürzung anderer Teile des Programms) sowie in anderen Finanzierungsinstrumenten, die im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen und in dem Aufbauinstrument „NextGenerationEU“ für die Zeit nach der COVID-19-Pandemie vorgesehen sind. Um die Attraktivität der Finanzierungsprogramme zu erhöhen, muss zudem der administrative Aufwand bei der Beantragung sowie Abrechnung dieser Fördermittel verringert werden;

24.

ruft alle Verwaltungsbehörden in Grenzregionen auf, grenzübergreifende Vorhaben, Aktionen und Projekte im Rahmen ihrer allgemeinen regionalen Programme (EFRE und ESF) zu finanzieren, um die Maßnahmen der Interreg-Programme zu ergänzen und zu vertiefen;

25.

betont die Bedeutung, die das Programm Interreg seit 30 Jahren für grenzübergreifende Regionen hat. Interreg hat die Zusammenarbeit gefördert, was die Annäherung und den Dialog zwischen den Verwaltungen und Behörden der einzelnen grenzübergreifenden Regionen ermöglicht hat, es hat die grenzüberschreitende Zusammenarbeit weitergebracht und Projekte unterstützt, die sich unmittelbar auf die Einrichtung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen ausgewirkt haben;

26.

verweist auf die ausgezeichneten Erfahrungen mit den B-Solutions-Projekten der Europäischen Kommission, bei denen es darum ging, Hindernisse an den Grenzen zu beseitigen, darunter auch im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen. Diese Projekte haben gezeigt, dass auch mit wenigen finanziellen Mitteln Hervorragendes bewirkt werden kann;

27.

bekräftigt seine tiefe Enttäuschung über den in der nächsten finanziellen Vorausschau vorgeschlagenen Finanzrahmen für das Programm Interreg, der dem Bedarf der europäischen territorialen Zusammenarbeit im Allgemeinen und dem der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Besonderen in keiner Weise gerecht wird, dabei ist letztere eines der Hauptelemente der Kohäsionspolitik und des europäischen Einigungswerks. Aufgrund des geringeren Finanzrahmens für das Programm Interreg werden viele Chancen nicht genutzt werden können, zumal der Haushalt auch im vergangenen Finanzierungszeitraum vollkommen unzureichend war;

28.

empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer zusätzlichen Mittel aus der Initiative REACT-EU gemeinsam für Programme der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bereitstellen, an denen sie beteiligt sind. So könnten ein wirksamer Neustart und eine Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nach der COVID-19-Krise sowie die Unterstützung für den Ausbau grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen oder Gesundheitskorridore ermöglicht werden. Hier sollten auch die Synergien analysiert werden, die beim gemeinsamen Einsatz von Rettungsdiensten erzielt werden können;

29.

unterstützt nachdrücklich das Pilotprogramm „Grenzübergreifende Regionen nach dem COVID-19-Ausbruch: eine Gelegenheit für einen neuen Anlauf zu einer gemeinsamen Krisenreaktion und einer gemeinsamen Entwicklung“, über das auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments im November abgestimmt wurde. Es soll dazu dienen, das Leben der Bürger in Grenzregionen zu verbessern, indem besser integrierte, funktionale länderübergreifende Räume gefördert werden. Mit diesem Pilotprojekt sollen Grenzregionen dabei unterstützt werden, künftige Krisen besser zu bewältigen, und es soll ein neues Modell zur Ausarbeitung öffentlicher Maßnahmen, einschließlich öffentlicher Dienstleistungen, in Grenzregionen gefördert werden, das auf einer gemeinsamen Entwicklung durch ein besseres Regieren auf mehreren Ebenen beruht. Das Pilotprojekt besteht deshalb aus einem kurz- und einem mittelfristigen Konzept, um Akteuren und Entscheidungsträgern konkrete Instrumente und Verfahren bereitzustellen, die unmittelbar in die Praxis umgesetzt werden können, für die Bürger greifbar sind und auf alle europäischen Grenzen angewandt werden können;

30.

stellt fest, dass die EU mit ihren Programmen zwar die Einrichtung einiger grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen unterstützt hat, dass die langfristige Finanzierung jedoch nicht tragfähig ist. Die Mitgliedstaaten und die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sollten zusätzliche Möglichkeiten der langfristigen, auskömmlichen Finanzierung prüfen, etwa nationale oder regionale Quellen und öffentlich-private Partnerschaften, die auch über Grenzen hinweg unterstützt werden sollten, zumindest innerhalb des EWR;

Online-Dienste

31.

weist darauf hin, dass der Digitalisierungsprozess, in dem wir uns befinden, in Grenzregionen aus einer dreifachen Perspektive zu betrachten ist: der der Produktionsstrukturen, der der Behörden und öffentlichen Einrichtungen, die Dienstleistungen für die Allgemeinheit erbringen, und der der Bürgerinnen und Bürger selbst. In dieser Hinsicht könnten elektronische Dienste ein sehr interessantes Entwicklungsfeld für die grenzüberschreitende Erbringung öffentlicher Dienstleistungen eröffnen. So könnte beispielsweise durch die Nutzung der Schnittstelle für automatisierte Übersetzung eines der ersten Hindernisse für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Allgemeinen und die grenzüberschreitende Erbringung öffentlicher Dienstleistungen im Besonderen, nämlich die Sprachbarriere überwunden werden. Darüber hinaus wäre die Einführung elektronischer Karten, mit denen die Bürgerinnen und Bürger in Grenzregionen Zugang zu grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen erhalten, ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung dieser Regionen. Eine verstärkte Nutzung elektronischer Verfahren wird zu einer notwendigen Harmonisierung der Verwaltungsvorschriften führen und damit eine ganze Reihe weiterer Hindernisse beseitigen. Auch die Entwicklung von Systemen, die auf künstlicher Intelligenz basieren, könnte die europaweite Erbringung von Dienstleistungen weiter fördern;

Rolle des Privatsektors

32.

fordert die Entscheidungsträger auf, kleinen und mittleren lokalen Betreibern besonderes Augenmerk zu schenken. Private Betreiber sind wesentliche Akteure bei der Erbringung bestimmter Dienstleistungen bzw. in bestimmten Ländern. Grenzüberschreitende Joint Ventures kleiner und mittlerer Betreiber, etwa in Form einer Europäischen Gesellschaft (7), könnten besser in der Lage sein, grenzüberschreitende öffentliche Dienstleistungen zu erbringen;

Grenzüberschreitende Verbindungen

33.

dringt auf die Förderung grenzüberschreitender Verbindungen. In manchen Grenzregionen stehen die Bürgerinnen und Bürger vor der physischen Schwierigkeit der Grenzüberquerung, sei es, weil es natürliche Begrenzungen (wie Berge oder Flüsse) gibt und bauliche Verbindungen zwischen beiden Seiten (Straßen oder Brücken) fehlen, sei es, weil es keine angemessenen, regelmäßigen öffentlichen Verkehrsdienste gibt. Eine bessere Anbindung würde Begegnungen erleichtern und somit die Integration der Bewohnerinnen und Bewohner von Grenzregionen fördern;

34.

fordert die EU-Organe und die Mitgliedstaaten auf, die Diskussionen über die Schaffung eines Dienstleistungspasses (elektronische Dienstleistungskarte) wiederaufzunehmen, der es KMU erlaubt, grenzüberschreitend Dienstleistungen zu erbringen, ohne mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand vonseiten ausländischer Gesetzgeber konfrontiert zu sein;

Bessere Bekanntmachung und Überwachung von grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen

35.

betont, dass die überwiegende Mehrheit aller erfassten grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen (64 %) (8) an Grenzen zwischen alten EU-Mitgliedstaaten und nur sehr wenige an Grenzen zwischen neuen Mitgliedstaaten erbracht werden;

36.

fordert die Kommission sowie die Mitgliedstaaten auf, gemeinsam mit den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und dem AdR eine Informationskampagne in den Mitgliedstaaten durchzuführen, um die Vorteile und das Potenzial grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen deutlich zu machen. Diese Interessenträger sollten auch mehr in die Überwachung und Bekanntmachung bestehender grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen investieren, da viele von ihnen der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sind (z. B. durch die Erstellung eines Katalogs der grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen);

37.

ist bereit, sich stärker in die Überwachung und Bekanntmachung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen in Europa einzubringen, da er sehr gute Erfahrungen mit der Überwachung und Bekanntmachung der EVTZ durch seine EVTZ-Plattform gemacht hat. Da einige der EVTZ bereits grenzüberschreitende öffentliche Dienstleistungen erbringen, sollte die EVTZ-Plattform auch damit beauftragt werden, die Entwicklung der grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen zu überwachen und sie gemeinsam mit den EVTZ als geeignetes Instrument für ihre Umsetzung bekannt zu machen;

38.

fordert die Grenzregionen und konkret die Euroregionen, Arbeitsgemeinschaften, EVTZ und sonstige grenzübergreifende Strukturen auf, ihre Bürgerinnen und Bürger zu der Frage zu konsultieren, welche Dienstleistungen in ihrer Region fehlen oder welche verbessert werden sollten, diesem Bedarf Rechnung zu tragen und möglicherweise neue oder verbesserte grenzüberschreitende Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einzurichten;

Grenzüberschreitende öffentliche Dienstleistungen an den Land- und Seeaußengrenzen der EU

39.

verweist auf die Erfahrungen mit der EVTZ-Verordnung, bei der sich gezeigt hat, dass eine fruchtbare und besser strukturierte Zusammenarbeit mit Drittstaaten aufgebaut werden kann, wie dies insbesondere mit der Schweiz und der Ukraine geschehen ist;

40.

betont, dass 17 % aller erfassten grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen zwischen EU- und Drittstaaten erbracht werden, was zeigt, dass Bedarf und Potenzial für eine derartige Zusammenarbeit über die Außengrenzen (Land- und Seegrenzen) der EU hinaus besteht. Es liegt im Interesse der Bürger dieser Grenzregionen, dass der Rechtsrahmen, die Strukturen und die Finanzierung die Einrichtung solcher Dienstleistungen mit Drittstaaten ermöglichen;

Erfahrungen mit COVID-19: Grenzschließung oder Zusammenarbeit

41.

verweist erneut auf die Chancen, die die Mitgliedstaaten während der COVID-19-Pandemie vergeben haben, als sie instinktiv und einseitig Grenzen schlossen, anstatt gemeinsame Anstrengungen an den EU-Binnengrenzen zu unternehmen und für die Menschen in den Grenzregionen Gesundheitsversorgung und Notdienste bereitzustellen. Durch Zusammenarbeit sowie den Austausch von Erfahrungen und Ressourcen hätte die Krise besser bewältigt werden können. Dies sollte nun als Lehre dienen, die erneut die Notwendigkeit grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen und eines koordinierten europäischen Ansatzes bei gemeinsamen Problemen deutlich macht. Dabei ist zu betonen, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich der Gesundheit und des Rettungsdienstes auch außerhalb von Krisenzeiten für eine gute Versorgung der Bevölkerung von hoher Bedeutung und besonders voranzutreiben ist;

42.

weist darauf hin, dass die unkoordinierte Schließung der Grenzen ohne Konsultation der Nachbarstaaten und auch der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in Grenzregionen äußerst nachteilige Auswirkungen nicht nur auf die bestehende grenzübergreifende Zusammenarbeit, sondern vor allem auf das Leben der Bewohner der Grenzregionen hatte, da es keine vereinbarten Protokolle für Ausnahmeregelungen im Personen- und Warenverkehr gab, was sich u. a. negativ auf die Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen auswirkte;

43.

hält es für notwendig, ein grundlegendes Mindestniveau der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu definieren, das auch in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten ist, um die Erbringung grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen, vor allem im Zusammenhang mit dem Krisenmanagement, sicherzustellen;

44.

begrüßt die Partnerschaft zwischen dem AdR, der Europäischen Kommission und den wichtigsten Verbänden, die sich mit grenzübergreifenden Fragen befassen (MOT, AGEG und SESCI), die während der COVID-19-Krise entstanden ist. Diese Erfahrung hat zur Schaffung der Europäischen grenzübergreifenden Bürgerallianz geführt;

45.

betont, dass viele Grenzregionen und Grenzstädte trotz der geschlossenen Grenzen Möglichkeiten gefunden haben, um in diesen schwierigen Zeiten zusammenzuarbeiten und Ressourcen zu teilen. Dies bewies erneut, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Menschen in diesen Regionen selbstverständlich und für ihr Zusammenleben ein zukunftsweisender Weg ist;

Empfehlungen für die Zukunft

46.

erklärt sich bereit, Lehren aus den Erfahrungen der Grenzregionen zu ziehen und als Beitrag zur Konferenz zur Zukunft Europas umfassende Empfehlungen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit vorzulegen;

47.

plant diesbezüglich, der Konferenz konkrete Empfehlungen zu folgenden zwei Punkten zu unterbreiten:

Erstens wird er eine langfristige Vision zur Zukunft der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Europäischen Union vorlegen und sich dabei vor allem auf konkrete Vorschläge beziehen, die er sowie die Grenzregionen bis 2050 umgesetzt sehen möchten. Die grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen werden Teil dieser Vision sein.

Zweitens wird er um die Erarbeitung einer Rechtsvorschrift ersuchen, mit der Mindeststandards für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Falle EU-weiter bzw. lokaler Krisen sichergestellt werden, um ein ausreichendes Niveau öffentlicher Dienstleistungen zu wahren, den Bürgerinnen und Bürgern in Grenzregionen die nötigen Funktionen zu sichern, ein ununterbrochenes Funktionieren des Binnenmarkts zu garantieren und die Dynamik der europäischen Integration aufrechtzuerhalten.

Brüssel, den 5. Februar 2021

Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen

Apostolos TZITZIKOSTAS


(1)  ESPON: Zielgerichtete Analyse grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen vom 14. Januar 2019.

(2)  In diesen Politikbereichen werden laut ESPON-Analyse die meisten grenzüberschreitenden öffentlichen Dienstleistungen erbracht.

(3)  Verordnung COM(2018) 373 final — 2018/0198 (COD).

(4)  https://www.b-solutionsproject.com.

(5)  In der Mitteilung der Europäischen Kommission Stärkung von Wachstum und Zusammenhalt in den EU-Grenzregionen heißt es: „Würden jedoch nur 20 % der derzeit bestehenden Hindernisse abgebaut, so würde das BIP in den Grenzregionen auch schon um 2 % steigen. […] potenziell mehr als 1 Mio. neuer Stellen“ (COM(2017) 534, S. 7).

(6)  Verordnung (EG) Nr. 1082/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) (ABl. L 210 vom 31.7.2006, S. 19).

(7)  Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABl. L 294 vom 10.11.2001, S. 1).

(8)  ESPON: Zielgerichtete Analyse grenzüberschreitender öffentlicher Dienstleistungen vom 14. Januar 2019.