EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 19.10.2020
COM(2020) 690 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
Arbeitsprogramm der Kommission für 2021
Eine vitale Union in einer fragilen Welt
1. Die Welt von morgen gestalten und damit die Schäden von heute beheben
Vor nicht ganz einem Jahr hat diese Kommission ihr Amt mit der Agenda angetreten, den größten Umbau Europas seit mehr als einer Generation voranzutreiben. Für diese Agenda wurde sie gewählt. Der damit erteilte Auftrag und die ehrgeizigen Ziele, die Kommissionspräsidentin von der Leyen erstmals in ihren politischen Leitlinien dargelegt hatte, spiegelten sich im Arbeitsprogramm der Kommission für 2020 wider. Es war Ausdruck unseres erklärten Ziels, eine gerechtere, gesündere, grünere und stärker digitalisierte Gesellschaft zu schaffen. Wenngleich sich im vergangenen Jahr vieles geändert hat, wird dieses ehrgeizige Ziel auch im kommenden Jahr Triebfeder unseres Handelns bleiben.
Im vergangenen Jahr hat die Kommission damit begonnen, die Grundlagen für den notwendigen Systemwandel in Europa zu schaffen, und setzt diese Anstrengungen nun, da unsere Volkswirtschaften allesamt schwer von der globalen Gesundheitskrise getroffen sind, umso energischer fort. In den ersten 100 Tagen haben wir den europäischen Grünen Deal präsentiert, unsere Pläne für Europas digitale Dekade dargelegt, mit Blick auf die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte unseren Fahrplan für ein starkes soziales Europa angenommen und unsere Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter vorgelegt. Darüber hinaus haben wir auch eine neue Industriestrategie, einen Plan zur besseren Unterstützung von Kleinunternehmen und Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarkts unterbreitet. Wir haben Vorschläge zur Modernisierung und Verbesserung des Beitrittsprozesses gemacht und so den historische Schritt ermöglicht, Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien aufzunehmen. Auch schicken wir uns an, eine neue Partnerschaft mit Afrika einzugehen.
Nach Ablauf der ersten 100 Tage haben wir inzwischen selbst für langjährige Prioritäten einen Neustart vorgeschlagen, nämlich insbesondere das neue Migrations- und Asylpaket und die EU-Strategie für eine Sicherheitsunion. Wir haben Themen in Angriff genommen, die unsere Wertegemeinschaft als Ganzes betreffen, und hier insbesondere den allerersten Jahresbericht über die Rechtsstaatlichkeit veröffentlicht, der Aufschluss über die Lage in allen Mitgliedstaaten gibt. Und wir haben Maßnahmen in den unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Bereichen getroffen – von der Geschlechtergleichstellung über die Bekämpfung von Rassismus bis hin zu beruflichen Kompetenzen und den Belangen junger Menschen.
Aus sehr unterschiedlichen Gründen wird das Jahr 2020 aber auch ein Jahr sein, das wir am liebsten schnell vergessen möchten, das uns aber für immer in Erinnerung bleiben wird. Die globale Pandemie, die Europa und die Welt völlig unvorbereitet traf, und der dadurch bedingte Stillstand unserer Gesellschaften und Volkswirtschaften wird für Millionen von Europäerinnen und Europäern, die Angehörige oder Freunde verloren haben, selbst krank geworden sind oder eine Zeit schwerer Existenznöte durchmachen, weit mehr als nur eine schmerzhafte Erinnerung sein. Keiner von uns wird die noch immer allgegenwärtige Fragilität und Unsicherheit wohl so bald vergessen können. Das Wiederaufflammen des Virus in Europa zeigt, dass wir ihm auch weiterhin vorsichtig und koordiniert begegnen müssen.
In Erinnerung bleiben wird dieses Jahr aber auch für die beispiellosen Krisenmaßnahmen, die Europa zum Schutz von Leben und Lebensgrundlagen getroffen hat. Europa hat gezeigt, dass es im Krisenfall zu raschem Handeln fähig ist, echte Solidarität zeigen kann, wenn dies nottut, und kollektiv Dinge verändern kann, wenn es nur will. Dies reicht von der Mobilisierung aller verfügbaren EU-Mittel und der Ausschöpfung der Flexibilität unserer Haushalts- und Beihilferegeln bis hin zur Bildung eines Vorrats an medizinischer Ausrüstung. Von der Rückholung von mehr als 600 000 gestrandeten EU-Bürgerinnen und -Bürgern bis zur Schaffung des Instruments SURE, das Menschen in Arbeit und Unternehmen im Markt hält. Die Kommission hat insgesamt über 800 außerplanmäßige Maßnahmen getroffen, die vom Grenzmanagement bis hin zur Unterstützung von Landwirten und Fischern reichen.
In Erinnerung bleiben wird dieses Jahr außerdem, weil es den Wandel stark beschleunigt hat und daher paradoxerweise auch mit großen Chancen verbunden ist. Klimawandel, digitale Technologien und veränderte geopolitische Verhältnisse haben sich schon vorher tiefgreifend auf unsere Gesellschaft ausgewirkt und unsere Agenda bestimmt. Nun hat es die Pandemie für Europa jedoch noch dringlicher werden lassen, beim ökologischen und digitalen Wandel eine Führungsrolle zu übernehmen und unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften widerstandsfähiger zu machen. So bietet sich die beispiellose Chance, neue Kraft für unsere Union zu schöpfen und die Unsicherheit der Krise hinter uns zu lassen.
Vor diesem Hintergrund wird sich die Kommission im kommenden Jahr vor allem auf Zweierlei konzentrieren. Erstens wird sie sich weiterhin nach Kräften darum bemühen, die Krise zu bewältigen, und die ersten Lehren daraus ziehen. Zu diesem Zweck wird sie insbesondere ihre Bemühungen im Hinblick darauf fortsetzen, einen sicheren und verfügbaren Impfstoff zu finden und zu finanzieren und dafür zu sorgen, dass dieser alle Menschen in Europa und weltweit erreicht.
Parallel dazu wird in diesem Arbeitsprogramm dargelegt, wie Europa die sich bietende Chance nutzen kann, um seine ehrgeizigen Ziele zu verwirklichen und sich an die Spitze des raschen Wandels zu setzen. Mit NextGenerationEU, dem von der Kommission zusammen mit einem überarbeiteten Vorschlag für den nächsten langfristigen EU-Haushalt vorgelegten historischen Aufbauplan, verfügt Europa über ein einsatzfähiges Instrument, um diese Chance zu nutzen.
Mit dem Aufbauplan entscheidet sich Europa nicht nur dafür, die Schäden zu beheben, Erholung für das Heute zu erreichen und all diejenigen zu unterstützen, die am härtesten von der Krise getroffen wurden, sondern auch dafür, seine Versprechen einzulösen und die Grundlagen für eine bessere Lebensweise in der Welt von morgen zu schaffen. Der Schwerpunkt wird auf nachhaltigen Investitionen und Reformen liegen, wobei 37 % der Mittel der Aufbau- und Resilienzfazilität für den grünen Wandel und mindestens 20 % für Investitionen im Bereich Digitales aufgewandt werden sollen. Wir werden den Mitgliedstaaten nach Kräften bei der Erstellung und Umsetzung ihrer nationalen Aufbau- und Resilienzpläne helfen. Darüber hinaus wird die Kommission dafür sorgen, dass von den 750 Milliarden EUR, die im Rahmen von NextGenerationEU zur Verfügung stehen sollen, 30 % über grüne Anleihen aufgenommen werden. Und wir werden die gesetzgebenden Organe dabei unterstützen, eine zügige Einigung über das 1,8 Billionen-EUR-Gesamtpaket zu erreichen, damit dies so rasch wie möglich die gewünschte Wirkung entfalten kann. Auch wird die Kommission ehrgeizige Vorschläge zu neuen Einnahmequellen für den EU-Haushalt unterbreiten.
Die Investitionen, die unsere Visionen und Ambitionen Wirklichkeit werden lassen können, sind also möglich. Aus diesem Grund ist das Arbeitsprogramm der Kommission für 2021 durch eine Verlagerung von strategischer Planung hin zu praktischer Umsetzung gekennzeichnet, denn die letztjährigen Planungen für die sechs übergreifenden Ziele werden nun konkret in Angriff genommen, wobei das Hauptaugenmerk auf neuen Legislativinitiativen und der Überarbeitung bestehender Rechtsvorschriften liegt. Diese Initiativen sind den Anhängen I und II zu entnehmen. Darüber hinaus werden wir auch Initiativen durchführen, die ursprünglich für 2020 geplant waren, wegen der Pandemie aber verschoben werden mussten.
Richtschnur unseres Handelns nach innen wie außen ist und bleibt die Agenda 2030 mit den darin festgelegten Zielen für eine nachhaltige Entwicklung sowie das Pariser Übereinkommen.
Bei der Umsetzung dieses Arbeitsprogramms wird die Kommission sich auch nach Kräften darum bemühen, ihr Handeln nach außen zu erklären und den Standpunkten der Bürgerinnen und Bürger Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund ist es nun wichtiger denn je, mit der Diskussion über die Konferenz zur Zukunft Europas zu beginnen. Die im Laufe des vergangenen Jahres angesprochenen Probleme – angefangen bei der Notwendigkeit einer stärkeren europäischen Gesundheitsunion bis hin zu den bleibenden Veränderungen, die die Pandemie für unser Zusammenleben mit sich bringen könnte – lassen sich nur lösen, wenn alle zu Wort kommen und wir auf unseren gemeinsamen Erfahrungsschatz und unsere gemeinsame Expertise zurückgreifen.
Angesichts des geopolitischen Umfelds und des langfristigen und transformativen Charakters der geplanten Initiativen werden wir unsere Arbeit auch künftig auf strategische Vorausschau stützen. Die erste strategische Vorschau hat gezeigt, wie wichtig Resilienz für die Erholung ist und dass wir unsere Politik auf Fakten stützen und zukunftsfest machen müssen. Dieser Ansatz kann uns auch dabei helfen, uns auf neue Herausforderungen und Chancen vorzubereiten, die es im kommenden Jahr unweigerlich geben wird, und die wir antizipieren und annehmen müssen.
2. Umsetzung der sechs übergreifenden Ziele
2.1 Der europäische Grüne Deal
Beim europäischen Grünen Deal wird die Kommission vor allem die einschlägigen Klima- und Energievorschriften überarbeiten und an das kürzlich vorgeschlagene Ziel anpassen, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 zu verringern. All dies soll im Rahmen eines Pakets unter dem Motto „Fit für das 55-%-Ziel“ erfolgen, das alle Bereiche abdeckt – von erneuerbaren Energieträgern über den Grundsatz „Energieeffizienz an erster Stelle“, Gebäudesanierung sowie Flächennutzung, Energiebesteuerung, Lastenteilung und Emissionshandel bis hin zu einem breiten Spektrum anderer Rechtsvorschriften. In unseren Beziehungen zu externen Partnern werden Klima- und Energiediplomatie eine Priorität bleiben.
Wie von Präsidentin von der Leyen in ihren politischen Leitlinien angekündigt, wird die Kommission einen CO2-Ausgleichsmechanismus vorschlagen, der ausländische Hersteller und EU-Importeure zur Verringerung ihrer CO2-Emissionen veranlassen und dabei für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen soll, die einen mit den Bestimmungen der WTO kompatiblen Handel gewährleisten.
Tiefe und Breite der im Rahmen des europäischen Grünen Deals geplanten Arbeiten spiegeln den systemumspannenden Charakter des ökologischen Wandels und seine Bedeutung als Wachstumsstrategie wider. Wir werden eine Reihe von Maßnahmen für einen intelligenten und nachhaltigen Verkehr einleiten, wozu unter anderem die Überarbeitung der Verordnung zum transeuropäischen Verkehrsnetz und der Richtlinie über intelligente Verkehrssysteme zählt. Wir werden den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft weiter umsetzen, uns dabei mit Ökodesign und nachhaltigen Produkten, d. h. insbesondere mit Geräten befassen, die auf die Kreislaufwirtschaft ausgerichtet sind, und u. a. die Sammlung, Wiederverwendung und Reparatur von Mobiltelefonen, Laptops und anderen Geräten verbessern.
Denn beim europäischen Grünen Deal geht es um weit mehr als nur um die Verringerung von Emissionen. So werden wir auch die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 und die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ weiterverfolgen, um insbesondere den ökologischen Landbau zu stärken, geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen, unsere Meere und Küstenregionen zu schützen, für Schutz, Wiederherstellung und nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder zu sorgen und das Risiko zu mindern, dass mit Entwaldung in Verbindung stehende Produkte auf den EU-Markt gelangen. Darüber hinaus werden wir innovative Futtermittelzusatzstoffe auf den Markt bringen, um die Auswirkungen der Viehzucht auf die Umwelt zu verringern.
2.2 Ein Europa, das für das digitale Zeitalter gerüstet ist
Damit dies Europas digitale Dekade wird, werden wir einen Fahrplan mit klar definierten Zielen bis 2030 vorschlagen, der Bereiche wie Konnektivität, digitale Kompetenzen und digitale Dienste der öffentlichen Verwaltungen abdeckt. Die Grundsätze dabei werden klar sein: Recht auf Privatsphäre und Konnektivität, freie Meinungsäußerung und freier Datenfluss sowie Cybersicherheit.
In all diesen Bereichen werden wir Maßnahmen ergreifen, insbesondere in Form von Rechtsvorschriften zu Sicherheit, Haftung, Grundrechten und Datenaspekten im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz und eines Datengesetzes, in dem angemessene Bedingungen für eine bessere Kontrolle sowie Bedingungen für den Datenaustausch für Bürger und Unternehmen festgelegt werden sollen.
Nach den gleichen Grundsätzen werden wir eine neue europäische digitale Identität vorschlagen, die die europaweite Erledigung von Aufgaben und Inanspruchnahme von Online-Diensten erleichtern und gewährleisten soll, dass die Menschen die Weitergabe und Nutzung ihrer Daten besser kontrollieren können und sich diesbezüglich keine Sorgen machen müssen.
Um auch in der digitalen Welt für Fairness zu sorgen, wird die EU weiterhin auf eine internationale Vereinbarung hinarbeiten, die ein faires Steuersystem und auf lange Sicht nachhaltige Einnahmen gewährleistet. Sollte keine derartige Vereinbarung erzielt werden, wird die Kommission in der ersten Jahreshälfte 2021 eine Digitalabgabe vorschlagen. Ebenfalls in der Absicht, faire Rahmenbedingungen für Unternehmen zu gewährleisten, wird die Kommission einen Rechtsakt zur Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei Subventionen aus Drittstaaten vorschlagen.
Auch wird die Kommission ihre derzeitige Überarbeitung der Wettbewerbsvorschriften fortsetzen, damit diese den sich wandelnden Marktbedingungen, auch der immer schnelleren Digitalisierung der Wirtschaft, gerecht werden. Ferner werden wir unsere neue Industriestrategie für Europa aktualisieren, um den Folgen der COVID-19-Pandemie, der globalen Wettbewerbssituation und der Beschleunigung des doppelten ökologischen und digitalen Wandels Rechnung zu tragen.
Um menschenwürdige, transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, werden wir einen Legislativvorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Menschen, die Dienstleistungen über Plattformen erbringen, vorschlagen, der für faire Arbeitsbedingungen und einen angemessenen Sozialschutz sorgen soll.
2.3 Eine Wirtschaft, deren Rechnung für die Menschen aufgeht
Da sich die Pandemie und die zu ihrer Eindämmung getroffenen Maßnahmen in die Länge ziehen, gilt es sicherzustellen, dass sich die Gesundheits- und Wirtschaftskrise nicht zu einer sozialen Krise ausweitet. Dies wird unser Handeln im kommenden Jahr bestimmen. Die vollständige Umsetzung und Inanspruchnahme des Programms SURE wird Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dabei helfen, ihr Einkommen zu behalten, und dafür sorgen, dass Unternehmen Mitarbeiter weiterbeschäftigen können. Diese Maßnahmen werden wir in den kommenden Jahren einer eingehenden Bewertung unterziehen.
Die europäische Säule sozialer Rechte wird der Kompass für die Erholung Europas und unser bestes Mittel sein, um zu gewährleisten, dass dabei niemand zurückgelassen wird. Wir werden einen ehrgeizigen Aktionsplan vorlegen, um die Säule vollständig umzusetzen. Der Aktionsplan wird das zentrale Instrument sein, mit dem diese Kommission mittel- und langfristig zu gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Erholung und Resilienz beiträgt und dabei gleichzeitig das Ziel verfolgt, beim digitalen und ökologischen Wandel für größere soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Mit der gleichen Zielsetzung wird die von Präsidentin von der Leyen in ihren politischen Leitlinien angekündigte neue europäische Kindergarantie darauf abzielen, Kinderarmut zu verringern und Ungleichheiten abzubauen und zu diesem Zweck sicherstellen, dass alle Kinder Zugang zu Basisdiensten erhalten, wie Gesundheitsdiensten und Bildung. Gestützt auf Erkenntnisse aus der COVID-19-Pandemie wird die Kommission vor dem Hintergrund der sich wandelnden Arbeitswelt einen neuen strategischen Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz vorschlagen. Wir werden ferner einen Aktionsplan für die Sozialwirtschaft vorschlagen, der soziale Investitionen fördern und Akteure der Sozialwirtschaft und Sozialunternehmen dabei unterstützen soll, den Start zu wagen, zu expandieren, innovativ zu sein und Arbeitsplätze zu schaffen.
Unsere Volkswirtschaften brauchen weiterhin die Hilfe der Politik. Wir müssen einen sinnvollen Mittelweg finden zwischen finanzieller Unterstützung einerseits und langfristiger Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen andererseits. Da sich das Virus inzwischen wieder stärker verbreitet und strengere Maßnahmen zu seiner Eindämmung getroffen werden, sollten die Mitgliedstaaten auch weiterhin Haushaltsspielräume vernünftig nutzen, um die Wirtschaft zu stützen. Der Welthandel und seine integrierten Wertschöpfungsketten werden auch künftig ein wichtiger Wachstumsmotor und zentrale Triebkraft einer wirklich weltweiten Erholung sein. Die Handelspolitik der EU wird derzeit einer Überprüfung unterzogen, und in diesem Zusammenhang werden wir ein neues Instrument beschließen, um Drittländer von Zwangsmaßnahmen abzuhalten bzw. gegen solche Maßnahmen vorzugehen.
Längerfristig gibt es keinen besseren Weg zu Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit als die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, die auch die internationale Rolle des Euro stärken wird. Wir müssen Fortschritte bei der Kapitalmarktunion und der Bankenunion machen. In diesem Rahmen werden wir die Vorschriften für den Umgang mit EU-Bankenausfällen überarbeiten, Maßnahmen zur Ankurbelung grenzübergreifender Investments in der EU treffen und den Kampf gegen die Geldwäsche intensivieren.
Im Rahmen des Systemwandels in Europa muss auch unser Wirtschafts- und Finanzsystem eine zentrale Triebkraft des ökologischen und des digitalen Wandels sein. Um ein auf lange Sicht nachhaltiges und verantwortungsvolles Verhalten der Unternehmen zu fördern, werden wir einen Legislativvorschlag zum Thema nachhaltige Corporate Governance vorlegen. Auch werden wir das nachhaltige Finanzwesen weiter voranbringen und zu diesem Zweck insbesondere einen EU-Standard für grüne Anleihen vorschlagen.
Um unsere ambitionierten Ziele erreichen und die erforderlichen Investitionen und Reformen angehen zu können, müssen wir Wirksamkeit, Effizienz und Kapazität der öffentlichen Verwaltungen und ihrer Dienstleistungen in der Europäischen Union steigern und bewerten.
2.4 Ein stärkeres Europa in der Welt
Die Kommission hat bei ihrem Amtsantritt das Mandat erhalten, für ein stärkeres Europa in der Welt zu sorgen. Unsere geopolitische Kommission ist bestrebt, die strategischen Interessen und Ziele der EU im Ausland voranzubringen und in einer zunehmend polarisierten Welt eine regel- und wertebasierte internationale Ordnung zu verteidigen. Wir werden unsere globale Rolle als Verfechter von Verantwortungsbewusstsein, Stabilität, Zusammenarbeit und Solidarität stärken, indem wir all unsere Instrumente einsetzen, um die ständig zunehmenden globalen Herausforderungen, Krisen und Konflikte zu meistern.
Während des kommenden Jahres wird die Kommission sicherstellen, dass Europa in dieser fragilen Welt seine entscheidend wichtige Rolle spielt – sei es an der Spitze der weltweiten Krisenreaktion zur Beschaffung eines sicheren Impfstoffes für alle oder bei der Stärkung des regelbasierten globalen Multilateralismus und bilateraler, regionaler sowie globaler Partnerschaften. Auch weiterhin werden wir unserer östlichen und südlichen Nachbarschaft, dem westlichen Balkan und Afrika hohe Priorität einräumen.
Unsere neuen Finanzierungsinstrumente für auswärtige Maßnahmen werden dazu beitragen, die strategischen Prioritäten der Union außenpolitisch umzusetzen.
Die Europäische Union wird stets an ihrem Glauben an die Stärke und den Wert von Multilateralismus und Zusammenarbeit im Rahmen globaler Institutionen festhalten. Wir werden eine Gemeinsame Mitteilung über die Stärkung des Beitrags der EU zum regelbasierten Multilateralismus vorlegen. Weltgesundheitsorganisation und Welthandelsorganisation müssen reformiert werden, um sie an neue Rahmenbedingungen anzupassen, und wir sollten dabei eine führende Rolle übernehmen.
In Zusammenarbeit mit unseren Partnern werden wir eine erneuerte Partnerschaft mit unserer südlichen Nachbarschaft vorschlagen und eine Mitteilung über die Arktis vorlegen, um die Politik der EU für eine Region, die Klimawandel und Umweltbelastungen in besonderem Maße ausgesetzt ist, zu aktualisieren und dabei deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Sicherheit Rechnung zu tragen.
Wir werden einen neuen strategischen Ansatz bei der Unterstützung der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung ehemaliger Kombattanten vorstellen, damit in von Konflikten betroffenen Ländern und Regionen dauerhaft Stabilität und Frieden einkehren können.
Darüber hinaus werden wir eine Mitteilung über die humanitäre Hilfe der EU vorlegen, in der es vor allem um neue Wege der Zusammenarbeit mit unseren Partnern und anderen Gebern sowie den Einsatz digitaler Instrumente und innovativer Ansätze für die Finanzierung und konkrete Bereitstellung von humanitärer Hilfe geht, aber auch um die eigene Krisenreaktionsfähigkeit der Kommission und die Möglichkeiten zur stärkeren Verknüpfung von humanitären, entwicklungspolitischen und friedensstiftenden Maßnahmen.
Durch Überarbeitung der Richtlinie über den konsularischen Schutz werden wir dafür sorgen, dass die Unionsbürgerinnen und -bürger ihr Recht auf konsularischen Schutz leichter in Anspruch nehmen können, und die Solidarität unter EU-Mitgliedstaaten verstärken, um Unionsbürgerinnen und -bürger vor allem in Krisensituationen im Ausland besser zu schützen. Auf diese Weise wollen wir die Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten fördern und die unterstützende Rolle der EU stärken, die über ein einzigartiges Delegationsnetz verfügt, das optimal genutzt werden sollte.
2.5 Fördern, was Europa ausmacht
Die derzeitige Gesundheitskrise hat gezeigt, dass bei der Krisenvorsorge und im Umgang mit grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren Verbesserungsbedarf besteht. Zwar muss der Schwerpunkt weiterhin auf der Eindämmung des Virus und der Folgen der Pandemie in Europa liegen, doch werden wir auch erste Lehren aus der Krise ziehen können. Es ist an der Zeit, eine stärkere europäische Gesundheitsunion zu schaffen.
Wir werden vorschlagen, den EU-Rahmen für die Erkennung und die Reaktion auf schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren zu stärken und den bereits bestehenden Agenturen mehr Gewicht zu geben. In einem zweiten Schritt werden wir die Einrichtung einer Agentur für fortgeschrittene biomedizinische Forschung und Entwicklung vorschlagen. Eine neue Arzneimittelstrategie wird sich mit der Sicherheit der europäischen Lieferkette befassen und gewährleisten, dass den Bürgerinnen und Bürgern sichere, erschwingliche und hochwertige Arzneimittel zur Verfügung stehen. Außerdem wird bis Ende kommenden Jahres der europäische Raum für Gesundheitsdaten eingerichtet, um durch Datennutzung die Gesundheitsversorgung, die Forschung und die Gesundheitspolitik zum Wohle der Patienten zu verbessern.
Wir werden auch in anderen Bereichen Lehren aus unseren Erfahrungen ziehen, so insbesondere in Bezug auf den Schengen-Raum und den Schutz der Freizügigkeit ohne Kontrollen an den Binnengrenzen. Wir werden mit dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um auf der Grundlage einer neuen Strategie für die Zukunft des Schengen-Besitzstandes und strengerer Schengen-Vorschriften einen funktionierenden Schengen-Raum zu wahren bzw. Verbesserungen herbeizuführen, und wir werden weiter auf die Vollendung des Schengen-Raums hinarbeiten.
Auch die Arbeit am neuen Migrations- und Asylpaket wird weitergehen. In diesem Zusammenhang wird die Kommission eine Reihe von Maßnahmen zur legalen Migration vorschlagen, darunter ein „Talent- und Kompetenzpaket“ einschließlich der Überprüfung der Richtlinie über langfristig Aufenthaltsberechtigte und der Überarbeitung der Richtlinie über die kombinierte Aufenthaltserlaubnis, und Optionen darlegen, um einen EU-Talentpool zu entwickeln. Weitere Elemente des neuen Migrations- und Asylpakets sind ein EU-Aktionsplan gegen die Schleusung von Migranten und eine Strategie für die freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung.
Wir werden die Sicherheitsunion weiter stärken, insbesondere durch Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und zur Abwehr hybrider Bedrohungen, durch einen neuen Ansatz im Bereich Terrorismusbekämpfung und Radikalisierung sowie durch bessere Aufdeckung, Entfernung und Meldung von sexuellem Kindesmissbrauch im Internet.
Angesichts zunehmender antisemitischer Gewalt und Hasskriminalität wird die Kommission zur Ergänzung und Unterstützung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten eine umfassende Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus vorstellen.
Um die wirtschaftliche Erholung, den ökologischen und den digitalen Wandel zu ermöglichen, werden die Europäerinnen und Europäer auch neue Kompetenzen erwerben müssen. Daher werden wir im Rahmen der umfassenderen Bemühungen, eine Kultur des lebenslangen Lernens zu etablieren und den Arbeitsplatzwechsel zu erleichtern, eine Initiative zu individuellen Lernkonten vorschlagen, um die Menschen dabei zu unterstützen, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen und ihre berufliche Laufbahn zu gestalten, und einen europäischen Ansatz für Micro-Credentials darlegen, um die personalisierten Lernmöglichkeiten für alle Menschen auszuweiten.
2.6 Neuer Schwung für die Demokratie in Europa
Die Kommission wird weiter an einer Union der Gleichheit arbeiten und das Engagement Europas für den Schutz der Werte der EU, für Inklusion und Gleichheit in allen Bereichen fortführen, unabhängig davon, ob es um Geschlecht, Rasse oder ethnische Herkunft, religiöse Überzeugung, Behinderung, Alter oder sexuelle Ausrichtung geht.
In diesem Zusammenhang wird die Kommission eine EU-Strategie zugunsten der Rechte von Menschen mit Behinderungen vorstellen, um die vollständige Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten. In einer EU-Strategie für Kinderrechte wird es darum gehen, Kinder und junge Menschen auf die Teilhabe am demokratischen Leben in der EU vorzubereiten, gefährdete Kinder und die Rechte der Kinder im Internet besser zu schützen, eine kinderfreundliche Justiz zu fördern und Gewalt zu verhindern und zu bekämpfen.
Die Kommission strebt weiterhin den Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul an, wird zwischenzeitlich jedoch einen neuen Vorschlag zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt vorlegen. Sie wird außerdem vorschlagen, die Liste der Straftaten mit europäischer Dimension um alle Formen von Hasskriminalität und Hassrede zu erweitern.
Der vor der Annahme stehende Aktionsplan für Demokratie in Europa ist ein nächster Schritt, um unsere Demokratien widerstandsfähiger zu machen, der Gefahr der Einflussnahme von außen auf Europawahlen sowie der Gefahr der Desinformation zu begegnen und freie und unabhängige Medien zu unterstützen. Im kommenden Jahr werden wir klarere Vorschriften über die Finanzierung der europäischen politischen Parteien vorschlagen und Maßnahmen ergreifen, um mehr Transparenz bei bezahlter politischer Werbung zu gewährleisten, das aktive und passive Wahlrecht mobiler Europäer zu verbessern und Journalisten und die Zivilgesellschaft vor strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung zu schützen.
Wir werden auch die grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit voranbringen und zu diesem Zweck die digitale Technik in vollem Umfang nutzen.
Ferner wird die Kommission nach Wegen suchen, wie die Kohäsionspolitik dazu beitragen kann, der Erholung Europas und dem doppeltem Wandel Schwung zu verleihen, die zunehmenden regionalen Disparitäten sowohl vor als auch nach COVID-19 anzugehen und aufkommende soziale und wirtschaftliche Probleme zu bewältigen. Um unser Wissen zu mehren und dadurch unsere politischen Maßnahmen zu verbessern, werden wir eine Bewertung der Lage in unseren Regionen vorlegen. Ferner werden wir eine langfristige Vision für den ländlichen Raum entwickeln, um Maßnahmen vorzuschlagen, durch die das Potenzial dieser Gebiete bestmöglich genutzt wird. Bessere Rechtsetzung, Politikgestaltung, Umsetzung und Durchsetzung des EU-Rechts
Bei ihrem Amtsantritt hat die Kommission faktengestützte politische Maßnahmen zugesagt, die einfacher zu befolgen sind und möglichst keinen unnötigen Verwaltungsaufwand für Unternehmen und Menschen verursachen. Dies ist umso dringlicher, als Europa nach dem COVID-19-Ausbruch weiter mit Krisenbewältigung beschäftigt ist und dabei vor allem die Erholung Europas im Blick hat.
In Kürze soll eine Mitteilung über bessere Rechtsetzung veröffentlicht werden, in der es hauptsächlich um den Abbau von Verwaltungsaufwand insbesondere durch das Konzept „One in, one out“ geht: Wird eine neue administrative Anforderung eingeführt, müssen die Menschen und Unternehmen auf EU-Ebene im Gegenzug jedes Mal von einer entsprechenden Anforderung im selben Politikbereich befreit werden. Ab nächstem Jahr wird die als „Fit-for-Future-Plattform“ bezeichnete hochrangige Expertengruppe die Kommission dabei unterstützen, Möglichkeiten zur Vereinfachung und zum Abbau von Verwaltungsanforderungen zu ermitteln.
Zudem hat die Krise erneut die Notwendigkeit fundierter, faktengestützter Entscheidungen und der Einhaltung der Grundsätze einer besseren Rechtsetzung verdeutlicht. Folgenabschätzungen, bei denen die Ansichten aller Betroffenen berücksichtigt werden, sind notwendiger denn je. Die Kommission wird Konsultationen effizienter und besser zugänglich machen, damit Interessenträger sich leichter beteiligen können, und auf Forderungen nach gestrafften Konsultationen eingehen.
Die Kommission wird sich auch verstärkt um die wirksame Anwendung, Umsetzung und Durchsetzung des EU-Rechts bemühen, insbesondere mit Blick auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts, den Schutz wichtiger Lieferketten (über die Geschäfte mit Lebensmitteln und Gesundheitsdienste mit medizinischer Ausstattung versorgt werden), den Schutz der Bürgerrechte und die Umsetzung des europäischen Grünen Deals. Die Kommission wird die Mitgliedstaaten weiterhin dabei unterstützen, neue und bestehende EU-Vorschriften rasch und korrekt umzusetzen, und gemeinsam mit ihnen auf dieses Ziel hinarbeiten. Gleichzeitig wird sie nicht zögern, EU-Recht bei Bedarf über Vertragsverletzungsverfahren durchzusetzen.
4. Schlussfolgerung
Die Menschen in Europa haben im zurückliegenden Jahr Opfer gebracht, um einander zu schützen. Nun gilt es, auch die dabei gemeinsam erzielten Fortschritte zu schützen. Das bedeutet, wachsam zu bleiben und uns darauf zu konzentrieren, dass wir die Krise bewältigen können – gemeinsam und durch eine langfristige Lösung, an der wir arbeiten müssen.
Wenn Europa die Krise dann aber überstanden hat, muss alles bereit sein, damit wir manches in Zukunft besser machen und in einer gesünderen, gerechteren und wohlhabenderen Gesellschaft leben können. Das bedeutet, dass wir widerstandsfähiger werden, aber auch mit mehr Nachdruck an der Agenda des Wandels arbeiten müssen, für den die amtierende Kommission gewählt worden ist und auf den sie sich seit ihrem Amtsantritt konzentriert.
Darin besteht der doppelt Zweck dieses Kommissionsarbeitsprogramms und aller darin genannten Initiativen. Auch wenn jede Initiative einen anderen Schwerpunkt hat, müssen doch alle in die gleiche Richtung führen. Letztlich geht es darum, das Leben leichter, unsere Umwelt gesünder und die Gesellschaft gerechter zu machen, Chancen vielfältiger und konkreter zu gestalten und die Volkswirtschaften zu modernisieren und auf breiter angelegte Ziele auszurichten.
Damit die Initiativen die gewünschte Wirkung haben, wird die Kommission sowohl mit dem Europäischen Parlament als auch mit dem Rat als Partnern eng zusammenarbeiten. Durch diesen kollektiven Geist ist es Europa gelungen, sich auf NextGenerationEU zu einigen. In diesem Geist werden wir auch die Pandemie überwinden und den Systemwandel, den Europa braucht, herbeiführen können. Denn wir haben, was wir brauchen: eine Vision, einen Plan und Investitionen. Leiten wir nun die Erholung ein, indem wir eine bessere Welt für morgen schaffen.