28.10.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 364/108


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine neue Industriestrategie für Europa“

(COM(2020) 102 final)

(2020/C 364/15)

Berichterstatter:

Mihai IVAŞCU

Mitberichterstatter:

Dirk BERGRATH

Befassung

Kommission, 22.4.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

25.6.2020

Verabschiedung im Plenum

16.7.2020

Plenartagung Nr.

553

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

207/4/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen an einem Strang ziehen, um ihre Souveränität zu schützen. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass Europa eine starke und wettbewerbsfähige industrielle Grundlage braucht, um seine führende Rolle in der Welt behaupten zu können.

1.2.

Der EWSA hält den Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft und die Umkehr des dramatischen Verlusts der biologischen Vielfalt für unabdingbar. Ohne eine grüne Industriestrategie als Eckpfeiler des Grünen Deals wird es der EU nie gelingen, in nur einer Generation eine CO2-neutrale Wirtschaft aufzubauen.

1.3.

Die neue Industriestrategie muss einen Ausgleich herstellen: Einerseits müssen europäische Unternehmen darin unterstützt werden, sich gemäß dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu entwickeln, während es zugleich Anreize für die Verbraucher geben muss, ihr Konsumverhalten auf nachhaltige Waren und Dienstleistungen auszurichten.

1.4.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission den Sozialpartnern und den Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung der Zukunft der europäischen Industrie Bedeutung beimisst. Der EWSA ist der Überzeugung, dass ein konstruktiver sozialer und zivilgesellschaftlicher Dialog auf allen Ebenen zu einer erfolgreichen Umsetzung der Strategie beitragen wird.

1.5.

Die Kreislaufwirtschaft ist der Schlüssel zur Entwicklung des künftigen europäischen Wirtschaftsmodells. In ihrem Rahmen müssen tragfähige und wirtschaftliche Alternativen zu fossilen Brennstoffen geprüft und dezentralisierte und kooperative Lösungen für saubere Energie gefunden werden. Die Kreislaufwirtschaft wird auch die Ressourceneffizienz wirtschaftlicher Aktivitäten erheblich verbessern und unsere Abhängigkeit von Einfuhren unverzichtbarer Rohstoffe verringern.

1.6.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Industriepolitik mit einer resoluten Handels- und Außenpolitik einhergehen muss, über die ihrerseits Strategien bereitgestellt werden müssen, um den Zugang zu Rohstoffen zu sichern.

1.7.

Der EWSA hält es für entscheidend, dass Europa mit Blick auf bestimmte Technologien den Abstand zu den USA, China und anderen Ländern aufholt. Die Nutzung unserer Wettbewerbsvorteile bei gleichzeitiger Finanzierung von Forschung und Entwicklung ist von entscheidender Bedeutung, um weltweit führend zu werden. Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Kapitalmarkts, einschließlich eines europäischen Risikokapitalmarkts, ist von entscheidender Bedeutung.

1.8.

Die europäische Industrie wird entweder die Digitalisierung vollziehen, oder sie wird nicht mehr weiterbestehen. Investitionen in IKT-Sektoren wie Datenwirtschaft, Internet der Dinge, Cloud-Computing, künstliche Intelligenz und fortgeschrittene Fertigung müssen alle Regionen und Mitgliedstaaten erreichen.

1.9.

Der Binnenmarkt ist die Grundlage unserer globalen Wettbewerbsfähigkeit. Die Verordnung zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union muss von allen Mitgliedstaaten angewandt und erforderlichenfalls gestärkt und aktualisiert werden. Wer immer am Binnenmarkt teilhaben möchte, muss sich an seine Regeln halten. Das gilt auch für die Grundsätze der Klimaneutralität.

1.10.

Damit neue Arbeitsplätze entstehen und Wachstum und Vertrauen wiederhergestellt werden können, braucht die Europäische Union mehr Unternehmergeist. Mit Blick auf die Entstehung eines neuen, nachhaltigen sozioökonomischen Umfelds sollte die EU Bildungsprogramme fördern und finanzieren.

1.11.

Die Industriepolitik sollte eine starke soziale Dimension aufweisen. Gute Arbeitsplätze, Sozialschutz und funktionierende öffentliche Dienstleistungen schaffen die richtigen Rahmenbedingungen für eine florierende Industrie. Die europäische Säule sozialer Rechte ist in dieser Hinsicht ein wichtiger Motor für ein integratives Wirtschaftswachstum.

1.12.

Der EWSA fordert die rasche Umsetzung des europäischen Einheitspatents, das es der Industrie ermöglichen könnte, ihr Know-how auf europäischer und internationaler Ebene zu vertretbaren Kosten zu entwickeln, innovativ zu gestalten und zu schützen.

1.13.

Um den internationalen Unterschieden in der Bepreisung von CO2-Emissionen Rechnung zu tragen, hält der EWSA folgende Punkte für erforderlich: Einführung von Grenzausgleichsmaßnahmen, verbindliche Umweltstandards für Importeure, Subventionen für Ausfuhren mit geringem CO2-Ausstoß, ein entschlossener Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente und Maßnahmen zur Beseitigung von Unterschieden bei der CO2-Bepreisung in Freihandelsabkommen. Das übergeordnete Ziel sollte darin bestehen, weltweit einen einheitlichen Preis für Kohlenstoff festzulegen.

1.14.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Zugriff auf das gesamte wirtschaftspolitische Instrumentarium zur Abmilderung der durch die COVID-19-Gesundheitskrise hervorgerufenen ökonomischen Schockwellen nur bei einer Vollendung der WWU möglich ist.

1.15.

Die einzige Möglichkeit der Mitgliedstaaten zur Überwindung dieser Krise sieht der EWSA in einem koordinierten Vorgehen, bei dem niemand zurückgelassen wird und mit dem die Unternehmen wieder befähigt werden, Mehrwert zu erzeugen, in eine nachhaltige Zukunft zu investieren und hochwertige Arbeitsplätze zu erhalten bzw. zu schaffen. Sofern sie bei ihrer Umsetzung gut miteinander verzahnt werden, bilden der EU-Aufbauplan, der Grüne Deal und die neue Industriestrategie ein mutiges, ehrgeiziges Maßnahmenpaket zur Überwindung der Pandemie und zur Vorbereitung unserer gemeinsamen Zukunft.

1.16.

KMU werden wahrscheinlich am schwersten von dieser Krise betroffen sein. Der EWSA begrüßt die Absicht, KMU bei ihrem Wachstum, der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und der Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte zu unterstützen, bspw. durch die Einführung von Aktienoptionen für Mitarbeiter.

1.17.

Zur Stärkung der wirtschaftlichen Ökosysteme müssen Zwischenstrukturen, wie KMU-Netzwerke, regionale Entwicklungsagenturen und Cluster, strategische Wertschöpfungsketten stützen und stärken und sämtliche dynamischen Kräfte vereinigen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung über eine neue Industriestrategie für Europa, bedauert jedoch, dass sie lediglich eine Auflistung künftiger Projekte und Maßnahmen enthält. Was fehlt, ist eine konkrete und umfassende Strategie für die europäische Industrie mit einer klaren kurz-, mittel- und langfristigen Ausrichtung. Der EWSA fordert daher die Europäische Kommission nachdrücklich dazu auf, einen konkreten Aktionsplan mit klaren jährlichen Zielen und Überwachungsverfahren vorzulegen, der eine enge Zusammenarbeit aller Interessenträger vorsieht.

2.2.

Allerdings stellt der EWSA auch einige Unterschiede im Vergleich zu früheren Mitteilungen fest:

Es gibt einen strategischen Ansatz, denn der zu bewältigende „zweifache“ Übergang hin zu Digitalisierung und Klimaneutralität wird viel stärker in den Mittelpunkt gerückt.

Es wird für mehr Kooperation in der Industriepolitik plädiert, bspw. wird hervorgehoben, wie wichtig es ist, starke industrielle Ökosysteme zu schaffen oder Industrieallianzen zu fördern.

Tendenziell soll eine stärkere staatliche finanzielle Unterstützung für strategische Industrieprojekte zugelassen werden, indem bestehende Beihilfebestimmungen der EU gelockert oder Großprojekte von gemeinsamem europäischen Interesse aufgelegt werden.

Es wird eine entschlossenere Haltung bezüglich der Außenbeziehungen eingenommen; die Regelungsbefugnisse der EU sollen genutzt werden, um die strategische Autonomie Europas zu verteidigen.

Der Schwerpunkt liegt auf der Dekarbonisierung der energieintensiven Industrien in Europa.

2.3.

In diesem turbulenten internationalen Umfeld müssen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen, um ihre Souveränität zu schützen. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass Europa seine führende Rolle in der Welt nur behaupten kann, wenn es über eine wettbewerbsfähige und starke industrielle Grundlage verfügt, die der EU hilft, ihre Ziele für nachhaltige Entwicklung umzusetzen, das Übereinkommen von Paris einzuhalten und den ökologischen Fußabdruck (1) bis 2040 so weit zu verringern, dass er die Biokapazität der Erde nicht mehr überschreitet.

2.4.

Der EWSA hält den Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft und die Umkehr des dramatischen Verlusts der biologischen Vielfalt für unabdingbar. Erfolgreich sein kann eine gemeinsame Industriestrategie nur durch die Einbeziehung und Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten und Interessenträger sowie durch eine integrierte strategische Planung, bei der die Ressourcen europäischer Akteure, regionaler und lokaler Institutionen, Industriecluster, Konzerne, Sozialpartner, sozialwirtschaftlicher Unternehmen, Hochschulen und Forschungsgruppen sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen gebündelt werden.

2.5.

Die neue Industriestrategie muss einen Ausgleich herstellen: Einerseits müssen europäische Unternehmen darin unterstützt werden, sich in umweltfreundlicher Weise gemäß dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu entwickeln, während es zugleich Anreize für die Verbraucher geben muss, ihr Konsumverhalten auf nachhaltige Waren und Dienstleistungen auszurichten. Dies erfordert eine Weiterentwicklung des Instrumentariums für eine nachhaltige Industriepolitik unter Berücksichtigung der Besonderheiten der KMU.

2.6.

Überdies ist der EWSA davon überzeugt, dass ein gut gesteuerter Übergang zu einer digitalen und klimaneutralen Wirtschaft eine Chance ist, die europäische Industrie zu beleben und neue hochwertige Arbeitsplätze in neuen, nachhaltigen Wertschöpfungsketten zu schaffen. Die entsprechende Verwaltungsstruktur sollte daher auf allen Ebenen die Eigenverantwortung für die Industriestrategie stärken und alle relevanten Interessenträger einbeziehen.

2.7.

Die Entwicklung der europäischen Industrie kann nur durch die Förderung eines umfangreichen Programms privater und öffentlicher Investitionen erreicht werden. Eine neue europäische Industriestrategie, die den neuen Bedürfnissen der Menschen in Europa Rechnung trägt, das BIP-Wachstum steigert, den interregionalen Zusammenhalt fördert, Einkommensunterschiede verringert und die Lebensqualität durch Investitionen und Innovationen verbessert, kann dazu beitragen, eine gemeinsame europäische Identität zu schaffen, Solidarität zu fördern, die europäischen Institutionen zu stärken und somit einen „europäischen Mehrwert“ zu schaffen.

2.8.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission den Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung der Zukunft der europäischen Industrie Bedeutung beimisst. Der EWSA ist der Auffassung, dass nur die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, den europäischen Institutionen, den Sozialpartnern und den die Zivilgesellschaft vertretenden Organisationen ein geeignetes Umfeld für das Wachstum der europäischen Industrie schaffen kann. Ein konstruktiver sozialer und zivilgesellschaftlicher Dialog auf allen Ebenen ist einer der Eckpfeiler einer erfolgreichen Umsetzung der Strategie.

2.9.

Der EWSA hat schon seit langem darauf hingewiesen, dass „einige Unternehmen bei der Berücksichtigung der Nachhaltigkeit fortschrittlicher sind als andere. Viele Unternehmen sind der Politik tatsächlich voraus. Die Politik muss das stabile Umfeld und die Sicherheit schaffen, die erforderlich sind, damit bewährte Verfahren gängige Praxis werden. Dadurch werden die Unternehmen in die Lage versetzt, nachhaltige Lösungen bereitzustellen“ (2). Er fordert die Kommission nachdrücklich auf, diese Überlegungen bei der Ausarbeitung künftiger politischer Maßnahmen zu berücksichtigen. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Sozialwirtschaft schon seit geraumer Zeit für die Nachhaltigkeit engagiert.

2.10.

2019 erreichte die Industrieproduktion schließlich wieder das Niveau vor der Krise (vor 2007). Die Industrie ist und bleibt das Rückgrat unserer Wirtschaft und muss Lösungen für die zahlreichen Herausforderungen bereitstellen, vor denen unsere Gesellschaft steht. Der Industrie kommt zudem aufgrund des erheblichen Mehrwerts ihrer Tätigkeit, ihrer hochwertigen Arbeitsplätze und wegen der Schaffung von indirekter Beschäftigung in industrienahen Dienstleistungsbereichen eine wichtige soziale Funktion zu. Der EWSA begrüßt daher die in der Mitteilung enthaltenen umfassenden Vorschläge und hofft, dass sie rasch ausgestaltet und umgesetzt werden. Jedoch macht der dramatische Rückgang der Industrieproduktion infolge der Coronavirus-Krise es erforderlich, dass die von den Regierungen ergriffenen und von der Kommission unterstützten Sofortmaßnahmen zur Erhaltung lebensfähiger Unternehmen und zum Schutz der Arbeitnehmereinkommen so lange aufrechterhalten werden, wie es nötig ist.

2.11.

Der EWSA weist bereits seit langem auf die Bedeutung von Start-up- und Scale-up-Unternehmen für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen und innovativen Industrie hin. Der EWSA fordert daher auch weiterhin „einen koordinierten politischen Ansatz für Start-ups und Scale-ups, der den unterschiedlichen Unternehmensarten Rechnung trägt, und begrüßt die spezifischen Maßnahmen für Unternehmen der Sozialwirtschaft“ (3).

2.12.

Der EWSA begrüßt den angekündigten Vorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformarbeitern. Er bedauert jedoch, dass die viel umfassendere Herausforderung eines inklusiven und fairen Übergangs in der Mitteilung nicht direkt angesprochen wird. Er betont, dass ein ehrgeiziger Aktionsplan gebraucht wird, der den Mitgliedstaaten den Rückhalt gibt, ihre Versprechen mit Blick auf die Proklamation zur europäischen Säule sozialer Rechte auch einzulösen.

3.   Grünes Europa

3.1.

Europa braucht eine nachhaltige Industriepolitik, die den gerechten Übergang zu einer Niedrigemissionswirtschaft fördert. Dies erfordert einen starken mehrjährigen Finanzrahmen, in dem der Finanzierung eines solchen Übergangs durch die Europäische Investitionsbank eine herausragende Rolle zukommt. Investitionen sollten sowohl die Umweltqualität als auch die Lebensqualität der Menschen in Europa fördern.

3.2.

Viele der für 2030 gesetzten Ziele können auf 2050 und den Übergang zu einem kohlenstofffreien Kontinent ausgeweitet werden. Daher ist der EWSA der Auffassung, dass die Industriestrategie ebenso wie die Nachhaltigkeitsstrategie „sich auf sowohl die internen als auch die externen Maßnahmen der EU erstrecken und ihre größtmögliche Kohärenz fördern [sollte]. […]. Eckpfeiler der Umsetzung sollten Innovation, nachhaltigkeitsorientierte internationale Zusammenarbeit und Handelsabkommen sowie die Mobilisierung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft sein“ (4).

3.3.

Sowohl traditionelle als auch aufstrebende Industriesektoren müssen im Einklang mit dem sozialpolitischen Scoreboard des Europäischen Semesters einen proaktiven Ansatz entwickeln, um den Wandel mit neuen nachhaltigen Technologien und Arbeitsplätzen und mit Umschulungen, die den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden, zu antizipieren, sich auf ihn einzustellen und ihn zu bewältigen. Unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Sozialpartner sollten neue politische Konzepte für Qualifikationen erarbeitet werden, denn die Anpassung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung muss beschleunigt werden, damit auf den neuen Arbeitskräftebedarf reagiert werden kann.

3.4.

Die EU sollte in der Kreislaufwirtschaft und in sauberen Technologien weltweit führend werden. Sie wird auf die Dekarbonisierung energieintensiver Industriezweige hinarbeiten. Die Kreislaufwirtschaft ist der Schlüssel zur Entwicklung des künftigen europäischen Wirtschaftsmodells. Der EWSA ist der Auffassung, dass sich nach dem Kreislaufprinzip hergestellte Produkte bzw. erbrachte Dienstleistungen preislich unterscheiden sollten, und vertritt die Ansicht: „Ermäßigte Mehrwertsteuersätze oder Mehrwertsteuerbefreiung für recycelte Erzeugnisse und Wiederverwendungs- und Reparaturtätigkeiten können Unternehmer ermutigen, in diesem Bereich tätig zu werden, und Verbrauchern Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen bieten […]“ (5).

3.5.

Der Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft erfordert sichere, saubere Energie. Hierfür entscheidend sind eine Reform der Energiegesetzgebung, eine europaweite Zusammenarbeit bei Prosumenten sowie eine stärkere Integration der Stromnetze. Darüber hinaus müssen tragfähige und wirtschaftliche Alternativen zu fossilen Brennstoffen geprüft und dezentralisierte und kooperative Lösungen für saubere Energie, wie Genossenschaften für erneuerbare Energien, Prosumenten und intelligente Netze, gefunden werden.

3.6.

Die Schaffung einer Energieunion 2.0 muss als die Grundlage für ein Programm betrachtet werden, das auf Folgendes abzielt: Investition in eine erhebliche Steigerung der Versorgung mit (kohlenstoffarmer) Energie (einschließlich Wasserstoff), Integration verschiedener Energieträger, Schaffung eines europaweiten Stromnetzes, um die Unbeständigkeit von Wind- und Solarenergie aufzufangen, und Entwicklung von Technologien für die Energiespeicherung.

3.7.

Ohne eine grüne Industriestrategie als Eckpfeiler des Grünen Deals wird es der EU nie gelingen, in nur einer Generation eine CO2-neutrale Wirtschaft aufzubauen. Der Grüne Deal wird die Gestaltung der Industriepolitik nicht nur in der Amtszeit dieser Europäischen Kommission, die gerade begonnen hat, sondern auch weit darüber hinaus bestimmen und prägen.

3.8.

Solarmodule, Windparks und Batterien sind für unser neues industrielles Paradigma von entscheidender Bedeutung. Allerdings benötigen sie auch Rohstoffe, die von unseren internationalen Konkurrenten kontrolliert werden. Die Industriepolitik muss mit einer resoluten Handels- und Außenpolitik einhergehen, die ihrerseits den Zugang zu diesen Ressourcen sichern muss.

3.9.

Um das Investitionsniveau zu erreichen, das für die Finanzierung des Grünen Deals erforderlich ist, sollte auch eine Überprüfung der Vorschriften für staatliche Beihilfen für Investitionen in kohlenstoffarme Produkte und Verfahren erwogen werden. Darüber hinaus wären die neu geschaffenen Innovations- und Modernisierungsfonds sowie die EHS-Versteigerungseinkünfte zusätzliche Ressourcen, die zur Unterstützung einer nachhaltigen Industriepolitik und zur Bewältigung der sozialen Auswirkungen des Übergangs eingesetzt werden können.

4.   Digitales Europa

4.1.

Neue Technologien verändern die Art und Weise, wie wir leben, konsumieren und arbeiten. Wir reden über eine Strategie für 5G-Netze, während andere Wirtschaftsmächte in 6G-Technologien investieren. Die Nutzung unserer Wettbewerbsvorteile bei gleichzeitiger Finanzierung von Forschung und Entwicklung ist von entscheidender Bedeutung, um weltweit führend zu werden. Bislang liegen wir bei bestimmten Technologien hinter den USA, China und anderen Ländern zurück. Digitale Technologien sind jedoch grundlegend, um den Übergang zur Industrie 4.0 überhaupt bewältigen zu können. Der EWSA hält es für entscheidend, dass Europa die Kluft schließt. Dies muss so geschehen, dass eine Balance zwischen Datenschutz und wirtschaftlichen Erfordernissen gefunden wird.

4.2.

Investitionen in künstliche Intelligenz und die intelligente Nutzung von Daten bei gleichzeitigem Schutz der Privatsphäre europäischer Unternehmen und Verbraucher sind grundlegend. Dies kann nur dadurch erreicht werden, dass europäische Mittel für Innovationen in neue digitale Technologien fließen. Die KMU spielen in diesem Prozess eine entscheidende Rolle. Sie brauchen eine angemessene Finanzierung, damit sie wachsen und innovativ tätig sein können. Der EWSA hat bereits darauf hingewiesen, dass die „Kommission […] private Initiativen, die […] auf den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren zwischen den innovativen Unternehmen ausgerichtet sind, analysieren und ergänzen [sollte] (ohne sie zu ersetzen)“, und dass „die EU einen politischen, steuerlichen und normativen Rahmen schaffen [muss], durch den die Entwicklung dieser neuen nachhaltigen Modelle in großem Maßstab unterstützt wird“ (6).

4.3.

In Europa entwickelte Technologien werden nur zu oft andernorts vermarktet. Der EU ist es nicht gelungen, Technologiegiganten hervorzubringen. Zu wenige junge und besonders innovative Unternehmen wachsen zu großen FuE-intensiven Unternehmen heran. Um den ganzen Weg vom Start-up bis zum vollwertigen Unternehmen gehen zu können, muss als letzter Schritt die Schaffung eines einheitlichen europäischen Kapitalmarkts, einschließlich eines europäischen Risikokapitalmarkts, zum Abschluss gebracht werden.

4.4.

Die europäische Industrie wird entweder die Digitalisierung vollziehen, oder sie wird nicht mehr weiterbestehen und von effizienteren und schnelleren Wettbewerbern überholt werden. Demzufolge muss mehr investiert werden, um die Wachstumskraft neuer IKT-Sektoren wie Datenwirtschaft, Internet der Dinge, Cloud Computing, künstliche Intelligenz und fortgeschrittene Fertigung zu steigern. Investitionen in die digitale Infrastruktur müssen alle Regionen und Mitgliedstaaten erreichen.

4.5.

Es ist von entscheidender Bedeutung, die europäischen Arbeitskräfte mit digitalen Kompetenzen für die neue Phase der Industrialisierung auszustatten. Im digitalen Zeitalter werden wir nur ankommen, wenn unsere Arbeitskräfte qualifiziert und gut vorbereitet sind. Der EWSA hat dazu bereits festgestellt, dass den „Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in Europa […] Programme zur Ausbildung, Umschulung, Weiterbildung und zum lebenslangen Lernen geboten werden [müssen], damit das Potenzial des technischen Fortschritts voll und ganz ausgeschöpft werden kann“ (7). Dies erfordert aktive Arbeitsmarktinstrumente und wirksame solidarische Sozialversicherungssysteme, die das europäische Sozialmodell erhalten.

4.6.

Die Datenstrategie der Kommission muss durch eine Regulierung des fairen Wettbewerbs in der digitalen Wirtschaft ergänzt werden, der von einer digitalen Wettbewerbsbehörde zu überwachen ist. In diesem Zusammenhang werden die von der Kommission vorgeschlagenen Datenräume für strategische Sektoren auch Vorschriften über den Zugang, den freien Datenverkehr und den Schutz von Daten sowie die Verwendung spezifischer Algorithmen erfordern, sodass der Zugang zu industriellen Daten unter fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen (fair, reasonable and non-discriminatory — FRAND) organisiert ist. Außerdem müssen die Entwicklungen bei der Digitalisierung von Datensätzen und innovativen Technologien in uneingeschränktem Einklang mit der Datenschutz-Grundverordnung und der PSI-Richtlinie erfolgen.

5.   Eine global wettbewerbsfähige EU

5.1.

Die künftige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie entscheidet darüber, ob die europäische Wirtschaft in einer zunehmend multipolaren Weltwirtschaft mit wachsenden geopolitischen Spannungen gedeihen kann. Die Vertiefung des Binnenmarkts weist den Weg nach vorne, und mit Unternehmen aus Drittländern muss zu gleichen Wettbewerbsbedingungen interagiert werden können. Ein funktionierender Binnenmarkt muss durch eine starke Handelspolitik flankiert werden, um internationalen Hindernissen und wettbewerbsfeindlichen Praktiken entgegenzutreten. Die Verordnung zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union (8)‚ die im Oktober 2020 in Kraft tritt, ist ein wichtiger Schritt für den Schutz wichtiger Vermögenswerte in der EU. Allerdings muss sie nach Auffassung des EWSA unbedingt kontinuierlich überwacht und erforderlichenfalls aktualisiert und geändert werden.

5.2.

Europas Wettbewerbsvorteil ist sein Binnenmarkt. Er ist das Zentrum unserer Zusammenarbeit und die Grundlage unserer globalen Wettbewerbsfähigkeit. Sein Schutz und seine Entwicklung müssen im Mittelpunkt der neuen Industriepolitik und der Durchführungsmaßnahmen stehen, die der Optimierung seiner Entwicklung und Effizienz sowie der vier Grundfreiheiten dienen.

5.3.

Der EWSA hält an seiner Auffassung fest, dass hohe „Verwaltungskosten und exzessive Bürokratie […] nach wie vor ein maßgebliches Hindernis für Start-ups und Scale-ups [sind]“ (9). Er fordert die Kommission daher nachdrücklich auf, die Zunahme der Verwaltungslasten durch Überregulierung zu vermeiden und zu prüfen, wie der Verwaltungsaufwand — wo dies ohne Beeinträchtigung der sozialen und ökologischen Rechte möglich ist — effizienter gestaltet und reduziert werden könnte.

5.4.

In Bezug auf Forschung und Entwicklung richtet der EWSA folgende Empfehlungen an die Kommission:

Das Ziel, 3 % des BIP der EU in FuE zu investieren, muss beibehalten und umgesetzt werden, um den Rückstand gegenüber unseren wichtigsten Wettbewerbern wie den USA und Japan aufzuholen;

der europaweite Markt für Risikokapital, der die Finanzierung innovativer und risikoreicher Projekte mit hohem Potenzial verbessert, soll weiter ausgebaut werden.

Öffentlich finanzierte FuE muss zuerst innerhalb der Europäischen Union zur industriellen Anwendung gelangen.

Die Innovationssysteme in Regionen in Randlage oder in Regionen mit Strukturwandel sind zu stärken.

5.5.

Damit neue Arbeitsplätze entstehen und Wachstum und Vertrauen wiederhergestellt werden können, braucht die Europäische Union mehr Unternehmergeist. Die EU sollte Bildungsprogramme fördern und finanzieren, die die Gründung neuer Unternehmen in der Zukunft anregen. Bildung ist der Weg in die Zukunft, und die Vermittlung unternehmerischen Denkens an jüngere Generationen könnte zu mehr Unternehmensgründungen und einem wesentlich nachhaltigeren wirtschaftlich-sozialen Umfeld führen.

5.6.

Bei der Innovationsförderung müssen sich die Mitgliedstaaten und die Kommission darum bemühen, das Umfeld erfolgreicher Innovationscluster wie Silicon Valley nachzubilden. Ein günstiger Regulierungsrahmen, steuerliche Anreize, qualifizierte Arbeitskräfte und ein leichter Zugang zu Finanzmitteln werden es europäischen Innovatoren ermöglichen, in Europa zu bleiben und ihre Ideen in größerem Maßstab umzusetzen.

5.7.

Ohne kluge Maßnahmen im Bereich des geistigen Eigentums kann die EU ihre Vorreiterrolle bei der Innovation nicht behaupten. Es ist dafür zu sorgen, dass europäische Innovationen und Patente gut vor feindseligen Absichten und Wirtschaftsspionage geschützt werden. Die Umsetzung des europäischen Einheitspatents ist daher unabdingbar.

5.8.

Europa darf unlauteren Wettbewerb nicht naiv hinnehmen. Der Schutz der europäischen Verbraucher und Unternehmen sowie des Binnenmarkts ist entscheidend, damit unsere Wirtschaft gedeihen kann. Wer am Binnenmarkt teilhaben möchte, sollte sich an dessen Regeln halten und sie uneingeschränkt achten, und das gilt auch für die Grundsätze der Klimaneutralität.

5.9.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Annahme des Weißbuchs über ein Instrument gegen ausländische Subventionen zu beschleunigen, mit dem wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen von Drittstaatssubventionen im Binnenmarkt begegnet werden soll.

5.10.

Der EWSA hat bereits eine EU-Industriepolitik gefordert, die sich am Gebrauchswert orientiert und gebietsbezogen den örtlichen Bedingungen angepasst ist und Clusterbildung und Zusammenarbeit begünstigt, wobei entsprechend den Grundsätzen der Industriesymbiose und der Kreislaufwirtschaft die Vielfalt erhalten wird und dennoch Größenvorteile erzielt werden (10).

5.11.

Die groß angekündigte Reform des Wettbewerbsrahmens ist dringend erforderlich. Der EWSA bedauert, dass die Überarbeitung der EU-Wettbewerbsregeln auf 2021 verschoben wurde. Bei der Gestaltung der Reform ist kein Platz für politische Manöver. Der Ansatz sollte globale Entwicklungen im Auge haben und nicht nur, wie bisher, ausschließlich den Binnenmarkt.

5.12.

Darüber hinaus sollte die Zusammenarbeit und Interaktion zwischen den verschiedenen lokalen und nationalen Regierungsebenen und der Europäischen Union verstärkt werden. Der EWSA hat wiederholt mehr Synergien gefordert und sich dafür ausgesprochen, dass „Plattformen für Kommunikation und Zusammenarbeit […] gefördert werden und alle Mitgliedstaaten einbinden [sollten]. Was in einem Mitgliedstaat funktioniert, kann auch in einem anderen funktionieren, und was in einem Mitgliedstaat erforscht wurde, kann in einem anderen verwendet oder weiterentwickelt werden.“„Kein Mitgliedstaat kann für sich allein auf internationaler Bühne eine bedeutende Rolle spielen.“ (11).

5.13.

Um den internationalen Unterschieden in der Bepreisung von CO2-Emissionen Rechnung zu tragen, muss eine Reihe von Maßnahmen in Betracht gezogen werden: Einführung von Grenzausgleichsmaßnahmen, verbindliche Umweltstandards für Importeure, Subventionen für Ausfuhren mit geringem CO2-Ausstoß, Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente und Maßnahmen zur Beseitigung von Unterschieden bei der CO2-Bepreisung in Freihandelsabkommen. Das übergeordnete Ziel sollte darin bestehen, weltweit einen einheitlichen Preis für Kohlenstoff festzulegen.

5.14.

Es ist von ausschlaggebender Bedeutung, die Wirkungskraft der europäischen Kapitalmärkte zur vollen Entfaltung zu bringen. Die Vollendung der Kapitalmarktunion und die Schaffung angemessener Marktbedingungen für Unternehmen, die sich über die Märkte selbst finanzieren können, werden unseren Unternehmen den Zugang zu den richtigen Instrumenten für die Finanzierung ihrer einzelnen Entwicklungsphasen ermöglichen.

5.15.

Der EWSA bedauert, dass die regionale Dimension des zweifachen Übergangs in der Mitteilung weitgehend außer Acht gelassen wurde. Er begrüßt jedoch den Teil des EU- Konjunkturprogramms, mit dem vorgeschlagen wird, die Mittel für den Fonds für einen gerechten Übergang von 7,5 Mrd. EUR auf 40 Mrd. EUR aufzustocken. Der EWSA hofft, dass damit der Bedarf aller Regionen gedeckt wird, die einen tiefgreifenden industriellen Wandel durchlaufen.

5.16.

Mit einer besseren Integration und Koordinierung des industriepolitischen Instrumentariums im Rahmen geeigneter Steuerungsstrukturen sollte es Europa gelingen, zu einer grünen, digitalen und kreislauforientierten Wirtschaft zu werden und gleichzeitig seine strategische Autonomie und wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu verbessern.

5.17.

Zwischenstrukturen wie KMU-Netze, regionale Entwicklungsgesellschaften, Cluster, Industrieallianzen und öffentlich-private Partnerschaften müssen strategische Wertschöpfungsketten unterstützen und festigen und alle dynamischen Kräfte (innovative KMU, Großunternehmen, Forschungsinstitute, Unternehmen der Sozialwirtschaft und Behörden) zusammenbringen, um die wirtschaftlichen Ökosysteme zu stärken.

6.   Coronavirus

6.1.

Die COVID-19-Pandemie hat zu einer massiven Rezession geführt (nach der Prognose der EZB wird die Wirtschaftsleistung dieses Jahr um 8,7 % sinken! (12)). Im Gegensatz zu anderen Krisen der Vergangenheit hat sie sowohl einem Angebots- als auch einem Nachfrageschock ausgelöst. Es müssen alle Mittel zum Einsatz kommen, damit verhindert wird, dass der vorübergehende Verlust der Industrieproduktion dauerhaft wird und/oder ein Liquiditätsproblem sich zu einer Solvenzkrise auswächst.

6.2.

Daher begrüßt der EWSA den Vorschlag der Kommission für einen europäischen Aufbauplan (einschließlich eines Aufbaufonds „Next Generation EU“), der

der neuen Industriestrategie durch die Verdoppelung des Umfangs von InvestEU, die Schaffung einer Fazilität für strategische Investitionen und die neue Solvenzhilfe deutlich mehr Durchschlagskraft verleihen wird;

eine echte europäische Antwort auf die Pandemie darstellt: ehrgeizig und makroökonomisch sehr effektiv. Er wird dazu beitragen, den weiteren Verlust von Kapital (und Humanressourcen) zu verhindern, Vertrauen wiederherzustellen und wichtige Multiplikatoreffekte zu schaffen;

zur Vermeidung einer asymmetrischen Erholung beiträgt und den inneren Zusammenhalt und die Solidarität stärkt;

für eine erhebliche Aufstockung der Mittel für den Fonds für einen gerechten Übergang sorgt;

unsere gemeinsamen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prioritäten klarstellt: Rückkehr der Industrie zur Normalität, Förderung öffentlicher und privater Investitionen im parallelen digitalen und grünen Wandel, Entwicklung gemeinsamer Programme für den industriellen Wiederaufbau und Förderung von Beschäftigungsmöglichkeiten in Zukunftsbranchen.

6.3.

Der EWSA fordert die Organe der EU nachdrücklich auf, rasch eine Einigung zu erzielen, damit mit der Umsetzung des EU-Aufbauplans so bald wie möglich begonnen werden kann. Zusammen bieten der Grüne Deal, der Aufbauplan und die neue Industriestrategie ein effektives und aufeinander abgestimmtes Instrumentarium zur Bekämpfung der Rezession und zur Vorbereitung unserer gemeinsamen Zukunft.

6.4.

Angesichts so vieler im Lockdown befindlicher Industriesektoren hält es der EWSA

für dringend erforderlich, zu prüfen, wie gravierend die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die Industriesektoren und Wertschöpfungsketten sind, damit die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Sektoren im Hinblick auf die Wiederherstellung von Produktion und Beschäftigung ermittelt und berücksichtigt werden können;

für notwendig, integrierte industrielle Wertschöpfungsketten innerhalb der EU (wieder)aufzubauen, um die strategische Autonomie und wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit Europas zu stärken. Die Rückverlagerung strategischer Tätigkeiten muss unterstützt werden, und die Versorgungssicherheit in Bereichen wie Energie, Gesundheitswesen und pharmazeutische Wirkstoffe muss gewährleistet sein.

6.5.

Es ist überdeutlich, dass die Europäische Union in diesen schwierigen Zeiten ihre Stärke und Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen muss. Der EWSA sieht die einzige Möglichkeit für die Mitgliedstaaten zur Überwindung dieser Krise in einem koordinierten Vorgehen, bei dem niemand zurückgelassen wird. Für populistische Ideen und einzelstaatliche Planung gibt es keinen Platz. Solidarität, Zusammenarbeit und gegenseitiger Respekt sind die Dreh- und Angelpunkte einer raschen Erholung, die, wenn sie von Dauer sein soll, all die Lehren aus der bisherigen mangelnden Achtung für Ökosysteme ziehen muss.

6.6.

Die Lockerung der Haushaltsregeln wird nur dann produktive Investitionen fördern, wenn eines der Ziele die Aufwärtskonvergenz der einkommensschwächeren Mitgliedstaaten ist. Es ist an der Zeit, konkrete Maßnahmen vorzuschlagen, die zeigen, dass die europäische Solidarität wirklich in Taten und nicht nur in Worten besteht.

6.7.

Die KMU werden wahrscheinlich am schwersten von dieser Krise betroffen sein, da sie in der Regel von Großunternehmen abhängig sind und es ihnen an Liquidität mangelt. Es ist von höchster Bedeutung, das richtige Instrument zur Unterstützung aller europäischen KMU zu finden. Der EWSA unterstützt die Absicht, den KMU bei der Expansion und der Gewinnung qualifizierter Arbeitskräfte zu helfen, z. B. durch die Einführung von Aktienoptionen für Mitarbeiter (13).

6.8.

Schlüsselindustrien und -branchen müssen ermittelt und unterstützt werden, von den Humanressourcen bis hin zur Forschung. Dies erfordert eine europäische Industriepolitik, die diese strategischen Sektoren vor dem Markt schützt und die Versorgungssicherheit mit wichtigen Komponenten wie Beatmungsgeräten, Masken und anderen Produkten gewährleistet. Das bedeutet, dass Unternehmen, die Produktionskapazitäten nach Europa zurückverlagern, unterstützt werden müssen, damit die EU wieder die Kontrolle über die Produktion hat und ihre Autonomie auf dem Weltmarkt wahren kann, freilich immer im Einklang mit einer gerechten Ökowende. Die zunehmende Abhängigkeit der EU von der Einfuhr von Arzneimitteln und pharmazeutischen Wirkstoffen kann durch Arzneimittelverknappung und Gesundheitsrisiken zu systemischen Problemen führen. Dies lässt ernste Bedenken hinsichtlich der strategischen Autonomie der EU aufkommen.

Brüssel, den 16. Juli 2020

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Entsprechend der Definition von Global Footprint Network (https://www.footprintnetwork.org/).

(2)  ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 95.

(3)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 20.

(4)  ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 95.

(5)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 98.

(6)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 57.

(7)  ABl. C 228 vom 5.7.2019, S. 58.

(8)  Verordnung (ΕU) 2019/452 (ABl. L 79 I vom 21.3.2019, S. 1).

(9)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 20.

(10)  ABl. C 97 vom 24.3.2020, S. 31.

(11)  ABl. C 228 vom 5.7.2019, S. 67.

(12)  https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/economic-performance-and-forecasts/economic-forecasts/spring-2020-economic-forecast-deep-and-uneven-recession-uncertain-recovery_de

(13)  COM(2020) 103 final.