18.9.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 311/63


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa — Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal“

(COM(2020) 21 final)

(2020/C 311/09)

Berichterstatter:

Carlos TRIAS PINTÓ

Mitberichterstatter:

Petr ZAHRADNÍK

Befassung

Europäische Kommission, 6.2.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

13.5.2020

Verabschiedung im Plenum

10.6.2020

Plenartagung Nr.

552

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

220/1/8

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Bewältigung der Coronavirus-Pandemie hat derzeit oberste Priorität für Europa. Die damit verbundenen Unwägbarkeiten könnten zu einer deutlichen Neuausrichtung des EU-Haushalts und zu einer Umorientierung der Mittelzuweisungen führen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) empfiehlt nachdrücklich, den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) zu verstärken und die Obergrenze für die Ausgaben vorübergehend auf 2 % zu erhöhen. Dadurch könnten die nötigen Steuermittel beschafft und die Auflage von Gemeinschaftsanleihen als Teil eines starken Konjunkturprogramms unterstützt werden.

1.2.

Der EWSA begrüßt, dass die Eurogruppe (1) sich vor Kurzem darauf geeinigt hat, 540 Mrd. EUR für die Unterstützung der Arbeitnehmer, Unternehmen und Mitgliedstaaten bereitzustellen und gleichzeitig die Regeln des Europäischen Fiskalpakts flexibler zu handhaben.

1.3.

Der Rat der Europäischen Union sollte vor der Sommerpause im Einklang mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission vom 27. Mai eine Einigung über den Aufbaufonds (2) und den MFR erzielen, um den Weg für die wirtschaftliche Erholung Europas zu ebnen und den im europäischen Grünen Deal vorgesehenen ökologischen und digitalen Wandel voranzutreiben.

1.4.

Der Ausschuss würdigt auch die rasche und abgestimmte solidarische Reaktion aller betroffenen Organe der EU (3).

1.5.

Die Coronavirus-Pandemie wird gravierende Auswirkungen auf die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele und der Ziele des europäischen Grünen Deals haben. Aus diesem Grund fordert der EWSA nachdrücklich, dieser sich abzeichnenden Gefahr so rasch wie möglich entgegenzutreten und die Konjunkturbelebungsmaßnahmen der EU unverzüglich auf die Nachhaltigkeitsziele und den Grünen Deal auszurichten.

1.6.

Über die befristeten Solidaritätsmaßnahmen hinaus spricht sich der EWSA dafür aus, die Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion (EISF) zu aktivieren und umgehend das Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit anzuwenden und seine Mittelausstattung im MFR 2021-2027 aufzustocken

1.7.

Es ist ein neuer grüner und sozialer Pakt nötig, der die Bürgerinnen und Bürger in all ihrer Vielfalt eint und in dessen Rahmen die nationalen, regionalen und lokalen Behörden, die Sozialpartner, die organisierte Zivilgesellschaft und die Industrie eng mit den Organen und beratenden Einrichtungen der EU zusammenarbeiten.

1.8.

Mit dem Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa wurde die erste umfassende politische Maßnahme vorgelegt, um im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal die außerordentlich ehrgeizigen Klimaneutralitätsziele bis 2050 zu verwirklichen.

1.9.

Der EWSA begrüßt die Ziele des europäischen Grünen Deals, bedauert indes die dafür im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen vorgesehenen unzureichenden Haushaltsmittel, die weit unterhalb der 1,3 % des BNE der Mitgliedstaaten liegen, die das Europäische Parlament und der EWSA als notwendig erachtet hatten, um sicherzustellen, dass das Potenzial jeder einzelnen Aktion umfassend zum Tragen gebracht werden kann und auf keine Aktion verzichtet werden muss.

1.10.

Der EWSA hegt auch Zweifel an der Wirksamkeit einer übergreifenden Berücksichtigung des Klimaschutzes in allen EU-Programmen und fordert die Mitgliedstaaten auf, sich gemeinsam mit den Organisationen der Zivilgesellschaft für die Klimaverträglichkeit von EU-Ausgaben einzusetzen. Besonders relevant ist eine Einbeziehung von Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen in die nationalen Energie- und Klimapläne (NECP) und die nationalen Reformprogramme (NRP).

1.11.

Der EWSA begrüßt den Mechanismus für einen gerechten Übergang, kritisiert jedoch die deutlich unzureichende Mittelausstattung aus dem EU-Haushalt (7,5 Mrd. EUR, womit 100 Mrd. EUR mobilisiert werden sollen). Ergänzt werden muss dies durch Übertragungen aus dem EFRE/ESF+, nationale Kofinanzierungen sowie hoffentlich umfangreiche private Investitionen und die Darlehensfazilität der EIB für den öffentlichen Sektor.

1.12.

Voraussetzung hierfür sind Bündnisse (UN-Nachhaltigkeitsziel 17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“) zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor für eine gemeinsame Finanzierung und Verantwortung, wie sich in dem Boom auf dem Markt für grüne Anleihen zeigt.

1.13.

Der EWSA befürwortet den ganzheitlichen Ansatz und begrüßt die Anreize für öffentliche und private Investitionen und Finanzierung, insbesondere die Förderung einer umweltgerechten Beschaffung sowie den geplanten flexibleren Beihilferahmen.

1.14.

Der EWSA unterstützt ferner die Verbesserung der haushaltspolitischen Steuerung der EU durch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken auf der Grundlage der Überprüfung von bewährten Verfahren der umweltgerechten Haushaltsplanung und Haushaltsplänen. Zur Abrundung der Förderpolitik ist auch eine geeignete steuerliche Behandlung von Schwarmfinanzierern und Geldgebern erforderlich.

1.15.

Des Weiteren muss die europäische Wirtschafts- und Währungsunion vollendet werden (Reform des ESM-Vertrags wie auch des Haushaltsinstruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit und des europäischen Einlagenversicherungssystems (EDIS)), um eine effiziente und integrierte Kapitalmarktunion und eine Bankenunion zu entwickeln, denen alle Mitgliedstaaten angehören und die eine weitere Harmonisierung zum Ziel haben.

1.16.

Der EWSA plädiert dafür, die Nachhaltigkeitsziele zum Dreh- und Angelpunkt der Politikgestaltung der EU zu machen und dadurch den Prozess des Europäischen Semesters im Kontext des Grünen Deals zu verbessern. Er spricht sich ebenfalls für eine um die soziale Dimension erweiterte EU-Taxonomie aus.

1.17.

Nach Auffassung des EWSA sollten der öffentliche und der private Sektor die gleichen Standards verwenden, nicht nur im Zusammenhang mit der Taxonomie, sondern auch für die Angabe nichtfinanzieller Informationen. Er begrüßt die kommende Überprüfung der Richtlinie über die Angabe nichtfinanzieller Informationen und hofft, dass damit die Unternehmen von der Relevanz dieser Informationen überzeugt werden können. Dies sollte mit der Anwendung standardisierter Umwelt- und Sozialklauseln im öffentlichen Beschaffungswesen verknüpft werden.

1.18.

Der EWSA fordert eine eingehendere und bessere Nutzung öffentlicher statistischer Quellen und dementsprechend die Stärkung der Rolle von Eurostat und öffentlichen Registern, um die Bereitstellung robuster Daten zur Nachhaltigkeitsleistung sicherzustellen.

1.19.

Der EWSA hält es für wichtig, für alle potenziellen Nutzer präzise, leicht zugängliche Informationen bereitzustellen, um eine bedarfsgerechte beratende und technische Hilfestellung weiter zu erleichtern. Niemand darf zurückgelassen werden!

1.20.

Voraussetzung für den Übergang zu einer grüneren und gerechten Wirtschaft sind die passenden Kompetenzen für grüne Arbeitsplätze. Der EWSA plädiert für klare Strategien für Kompetenzvorschau und Berufsbildung sowie für entsprechende Kompetenz-Fahrpläne, damit die Arbeitskräfte auf die künftigen Anforderungen in allen Bereichen vorbereitet sind und bleiben.

1.21.

Der EWSA regt an, dass die Mitgliedstaaten ihre Programme zur Vermittlung von Finanzwissen um nachhaltiges Finanzwesen erweitern. Die öffentlichen Verwaltungen auf allen Ebenen sollten mittels über steuerliche Anreize für Unternehmen und Einzelpersonen Investitionen in grüne Initiativen mit sozialer Relevanz fördern.

2.   Hintergrund

2.1.

Der Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal bzw. Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa ist die erste konkrete politische Maßnahme zur Verwirklichung der im europäischen Grünen Deal festgeschriebenen, außerordentlich ehrgeizigen Klimaneutralitätsziele bis 2050. Er ist somit die Investitionssäule des europäischen Grünen Deals und wird zwischen 2020 und 2030 voraussichtlich zusätzliche Investitionen in Höhe von 260 Mrd. EUR jährlich (also ca. 1,5 % des BIP von 2018) bereitstellen, und zwar hauptsächlich im Energie- und Verkehrssektor sowie für die entsprechenden Infrastrukturen.

2.2.

Für einen Erfolg dieser Strategie ist die Einbeziehung privater Finanzierungsquellen entscheidend. Im Rahmen dieser Strategie schließen der private und öffentliche Sektor letztlich eine neue Art Gesellschaftsvertrag ab, um hochwichtige Vorhaben im öffentlichen Interesse zu finanzieren.

2.3.

Im Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 sollen insgesamt 25 % der Mittel für die durchgängige Berücksichtigung der Klimaschutzbelange in allen EU-Programmen aufgewendet werden. Der europäische Grüne Deal muss unverzüglich konkret und weitreichend umgesetzt werden, um diese enorme globale Herausforderung mit politischem Ehrgeiz und hoher technischer Effizienz zu bewältigen. Der europäische Grüne Deal kann mithin als tragendes Element des künftigen wirtschaftlichen Gefüges der EU, als möglicher Auftakt eines grundlegenden Wandels und als Wendepunkt begriffen werden. Er könnte zum Symbol für gemeinsamen europäischen Mehrwert und globale Führungsstärke der EU werden.

2.4.

Die finanziellen Ressourcen und geeigneten Instrumente müssen zusammengestellt und mit den Mitgliedstaaten, ihren Regionen und Städten koordiniert und für das internationale Umfeld geöffnet werden. Dementsprechend erstrecken sich die wichtigsten Maßnahmen des Fahrplans für die Umsetzung des Grünen Deals auf Klimaschutz, Energie, Mobilität, eine Industriestrategie für eine saubere Kreislaufwirtschaft, Agrarpolitik, Biodiversität und Digitalisierung. Über einen Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal und eine neue Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen sollen Nachhaltigkeitsbelange übergreifend berücksichtigt werden. Mithilfe dieses grundlegend wichtigen Investitionsplans sollen bis 2030 private und öffentliche nachhaltige Investitionen im Umfang von 1 Billion EUR mobilisiert und ferner die daraus resultierenden sozialen Auswirkungen abgefedert werden.

2.5.

Der Mechanismus für einen gerechten Übergang, der in Ergänzung des Kommissionsvorschlags für den nächsten MFR einen Fonds für einen gerechten Übergang (4) (JTF) umfasst, soll 2021-2027 Investitionen in Höhe von 100 Mrd. EUR mobilisieren. Ziel des Mechanismus ist es, die wirtschaftlichen, sozialen, beschäftigungspolitischen und ökologischen Auswirkungen des Übergangs der Union zur Klimaneutralität auf regionaler Ebene abzufedern.

2.6.

Für den Übergang der EU zur Klimaneutralität werden auch Mittel aus dem Innovationsfonds und dem Modernisierungsfonds bereitgestellt (mindestens 25 Mrd. EUR über die nächsten zehn Jahre), die mit einem Teil der Einnahmen aus dem Emissionshandelssystem finanziert werden. Allerdings erhalten nur 10 Mitgliedstaaten Fördermittel aus dem Modernisierungsfonds.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Europa befindet sich derzeit in einer durch die Coronavirus-Pandemie ausgelösten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Notlage. Alle europäischen Institutionen müssen auf beide Krisen mit koordinierten, zeitlich ausreichend bemessenen Maßnahmen reagieren.

3.2.

Der EWSA begrüßt die Bereitstellung umfassender Mittel zur Bewältigung der Gesundheits- und Wirtschaftskrise. Die Mitgliedstaaten sollen dabei unterstützt werden, Investitionen zu fördern, die Liquidität der Unternehmen zu gewährleisten (5), Arbeitsplätze zu erhalten und Arbeitslose zu schützen. Ergänzend zu diesen wichtigen Maßnahmen sollte auch die europäische Arbeitslosenrückversicherung eingeführt werden.

3.3.

Der Erfolg des Plans hängt von den 20 Mio. Unternehmen in Europa ab, doch der Umfang der mobilisierten Investitionen muss der Größenordnung der Herausforderungen angemessen sein. Es ist in diesem Zusammenhang unerlässlich, dass die Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen bereit sind, ihre Meinungsverschiedenheiten zu überwinden.

3.4.

Gleichzeitig sollte die EU-Finanzierung so strukturiert werden, dass Doppelarbeit und Überschneidungen vermieden und den Kommissionsvorschlägen Genüge getan wird (6).

3.5.

Der EWSA stellt infrage, dass der Bedarf des Investitionsplans für den europäischen Grünen Deal tatsächlich durch den Kommissionsvorschlag zum MFR 2021-2027 gedeckt werden kann. In Anbetracht der Feststellung, dass bis 2030 2,6 Billionen EUR „zusätzlich investiert werden“ müssen, bleibt die 1 Billion Euro, die durch den Plan mobilisiert werden soll, weit dahinter zurück. Der Mangel an genauen Angaben zu einigen der geplanten Instrumente und Programme erschwert eine Einschätzung der realen Größenordnung.

3.6.

Der EWSA empfiehlt, den Finanzierungsrahmen des Investitionsplans für ein zukunftsfähiges Europa eingehender zu erläutern. So hängen die drei wesentlichen Säulen des Mechanismus für einen gerechten Übergang von sehr ehrgeizigen Anforderungen ab, sowohl für den Fonds für einen gerechten Übergang selbst als auch für die Hebelwirkung der Darlehensfazilität der EIB für den öffentlichen Sektor.

3.7.

Der EWSA spricht sich dafür aus, die spezielle, auf den Grünen Deal bezogene Regelung im Rahmen des InvestEU-Programms genauer zu erklären.

3.8.

Der EWSA befürwortet nachdrücklich die Schaffung zusätzlicher Kriterien und vereinfachter Verfahren, insbesondere für grüne Anleihen, zur Mobilisierung umfangreicherer privater Investitionen. Aus empirischen Untersuchungen geht klar hervor, dass in den letzten Jahren immer mehr wirklich umweltorientierte Anleihen aufgelegt werden. Grüne Anleihen steigern das Ansehen des Emittenten (Sensibilisierung für Klimaanliegen und Engagement für Nachhaltigkeit). Grüne Anleihen sind bei einem breiten Spektrum an Investoren beliebt geworden — bei Anlegern in der EU, bei internationalen Anlegern sowie bei ESG-Anlegern (die sich nach Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) richten). Auch große Investitionsbanken legen verstärkt grüne Anleihen auf und fördern so eine grüne Denkweise.

3.9.

Der EWSA begrüßt flexible Beihilfevorschriften für Investitionen nach Maßgabe ihres Beitrags zur Verwirklichung der Ziele des Grünen Deals und plädiert dafür, den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mehr Spielraum für ihre Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft zu geben. Als Übergangslösung während des Wiederaufbaus nach der Coronavirus-Krise sollte die EU ferner die Anwendung einer „sozialen und grünen goldenen Regel“ in Erwägung ziehen, derzufolge Investitionen, die unmittelbar auf die Eindämmung der Klimawandelfolgen und auf die Verringerung von sozialen Ungleichheiten und Armut (die seit der Finanzkrise weitgehend unverändert fortbestehen) abzielen, von den finanzpolitischen Vorschriften ausgenommen sind. Damit könnten in der wirtschaftlichen Erholung nach der COVID-19-Pandemie dringend benötigte Investitionen mobilisiert und gleichzeitig sowohl die Auswirkungen des Klimawandels bekämpft als auch der soziale Zusammenhalt gefördert werden.

3.10.

Das Engagement der Kommission, grünes Finanzwesen und grüne Investitionen zu fördern und gleichzeitig einen gerechten Übergang für die betroffenen Branchen und Regionen zu sicherzustellen, sollte allen Arten von Unternehmen zugutekommen und Gelegenheit für lokale Behörden bieten, Partnerschaften mit örtlichen Initiativen wie Bürgerenergiegenossenschaften einzugehen.

3.11.

Die im Fahrplan für die Umsetzung des europäischen Grünen Deals formulierte Umweltambition, über die Gewährleistung der Vergleichbarkeit von Maßnahmen Drittstaaten zum Handeln zu bewegen, sollte in eine Staatenkoalition für das Klima münden, die die Staaten entsprechend der Empfehlungen der Nobelpreisträger Tirole (2017) und Nordhaus (2018) anhand ihrer Treibhausgasemissionen einstuft, um die Welthandelsorganisation (WTO) zur Einführung eines CO2-Preises zu bewegen. Ein Kohlenstoffmindestpreis-Mechanismus könnte entweder im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems oder der Energiebesteuerungsrichtlinie, die im Zuge des europäischen Grünen Deals überprüft werden soll, umgesetzt werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Gewährleistung von Haushaltswirksamkeit

4.1.1.

Zwecks Eindämmung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie befürwortet der EWSA sämtliche vorgeschlagene Maßnahmen zur Bereitstellung von Liquiditätshilfen für Sektoren und Unternehmen über Garantieinstrumente der EIB. Dadurch könnte die Umwandlung der EIB in die Klimabank der EU begünstigt werden.

4.1.2.

Als eine der wichtigsten Lehren aus der beispiellosen menschlichen und wirtschaftlichen Krise infolge der Coronavirus-Pandemie zeichnet sich die Notwendigkeit ab, die Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion (EISF) auszubauen, um dem spezifischen Bedarf der einzelnen Länder angemessene öffentliche Investitionen zu ermöglichen. Des Weiteren sind Maßnahmen erforderlich, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, über ihre Besteuerungssysteme und öffentliche Anreize (7) ihre Wirtschaft anzukurbeln.

4.1.3.

Der EWSA weist ferner darauf hin, dass die geplante Reform des Vertrags zur Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Vertrag) auf das Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit sowie das europäische Einlagenversicherungssystem (EDIS) abgestimmt werden sollte. Im Bankensektor wurden bereits umfangreiche Maßnahmen zur Risikominderung ergriffen (Abbau notleidender Kredite, Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten, Insolvenzvorschriften usw.).

4.1.4.

Der EWSA befürwortet nachdrücklich die Rolle der Europäischen Investitionsbank (EIB) als Klimabank der EU und unterstreicht die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit anderen Finanzinstitutionen. Im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss eine ausreichende Liquidität aller Banken gewährleistet sein, die an der Finanzierung des Grünen Deals beteiligt sein könnten.

4.2.   Optimierung der Leistung geplanter Instrumente und Mechanismen, die die Nachhaltigkeitsziele in den Mittelpunkt der Politikgestaltung und des Handelns der EU stellen und somit das Europäische Semester neu ausrichten

4.2.1.

Ein solides und ehrgeizigeres Klassifizierungssystem für nachhaltige Tätigkeiten wird benötigt, das soziale Aspekte einbezieht und durch eine angemessene Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsziele im Europäischen Semester Synergien und Übereinstimmungen mit den Fortschritten der Vereinten Nationen ermöglicht. Entscheidungen über die Ausgaben der Mittel des EU-Aufbaufonds sollte von einer unionsweiten Taxonomie für ein grünes Finanzwesen angeleitet werden, die auf Förderung von Investitionen in saubere Technologien abzielt.

4.2.2.

Der EWSA fordert eine eingehendere und bessere Nutzung öffentlicher statistischer Quellen und die Stärkung der Rolle von Eurostat bei der Bereitstellung robuster Daten zur Nachhaltigkeitsleistung. Dabei könnte verstärkt auf die Indikatoren der UN-Nachhaltigkeitsziele sowie auf die Kriterien der EIB zurückgegriffen werden.

4.2.3.

Es werden Technologiekonzepte benötigt, um granulare Daten unterschiedlicher Art (bis hin zu Geoinformationen) zu erheben und Ländervergleiche anstellen zu können. Eine Überarbeitung der Richtlinie 2014/95/EU über die Angabe nichtfinanzieller Informationen könnte im Einklang mit den Empfehlungen der Taskforce „Klimabezogene Finanzinformationen“ zur Offenlegung standardisierter hochwertiger, vollständiger, aussagekräftiger und dank einer harmonisierten Methodik vergleichbarer Informationen beitragen (8).

4.2.3.1.

KMU sollten die Möglichkeit haben, nichtfinanzielle Informationen offenzulegen. Sie sollten technische Unterstützung erhalten, um leicht auffindbare wichtige Daten (für die Aufstellung ihrer KPI (9)) zu ermitteln.

4.2.4.

Eine dynamische Taxonomie nachhaltiger Tätigkeiten: Marktpraktiken in Verbindung mit aussagekräftigen Indikatoren sollten bewertet und integriert werden. Der EWSA hebt hervor, dass Markttests für die Auswahl geeigneter Projekte wichtig sind (10).

4.2.4.1.

Der EWSA betont, dass die Anwendung präziserer Verfahrensweisen, sofern vorhanden, unerlässlich ist, um Systeme für die Bewertung („scorings“) auf der Grundlage zuverlässiger Informationen der Unternehmen zu entwickeln und sämtlichen Finanzproduktstandards (Labels, grünen Anleihen und Nachhaltigkeitsbenchmarks) gerecht zu werden, die im Aktionsplan für nachhaltige Finanzierung aufgeführt sind.

4.2.4.2.

Es werden Informationen über die Überprüfung von Auswirkungsberechnungen durch verschiedene UN-Arbeitsgruppen benötigt (insbesondere in Verbindung mit CO2-Abgaben und Emissionshandel, die für zuverlässige Nachhaltigkeitsbenchmarks relevant sind).

4.2.5.

Der EWSA begrüßt den Plan, nach einer Folgenabschätzung die Emissionsreduktionsziele der EU bis 2030 zu erhöhen und einschl. einer Analyse des damit verbundenen Investitionsbedarfs im Sommer 2020 zu veröffentlichen. Der EWSA drängt ferner auf eine Wirkungsanalyse in Verbindung mit den Fortschritten bei der Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und der europäischen Säule sozialer Rechte.

4.2.6.

Kontrollbehörden und andere öffentliche Prüfgremien, wie bspw. der Europäische Rechnungshof, sollten eine ergänzende Rolle bei der Überwachung der sozialen Auswirkungen der oben genannten Reduktionsziele übernehmen.

4.2.7.

Der EWSA verweist auf das Potenzial von Massendaten und künstlicher Intelligenz bei der Lenkung von Anlegerpräferenzen und Investitionsentscheidungen. Auch Lösungen des maschinellen Lernens sollten geprüft werden, um Investitionen in spezifische Branchen oder Tätigkeiten umzulenken, die ESG-Grundsätze (Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien) berücksichtigen.

4.3.   Technische Unterstützung

4.3.1.

Der bisherige Kapazitätsaufbau der Europäischen Kommission und der Europäischen Plattform für Investitionsberatung ist eine gute Grundlage für die Entwicklung einer Pipeline nachhaltiger Projekte, doch es müssen belastbarere Methoden angewandt werden, die tatsächlich eine Umlenkung der Finanzströme in die grüne Wirtschaft ermöglichen.

4.3.2.

Der EWSA befürwortet die Einrichtung einer einheitlichen Anlaufstelle zur Vereinfachung des Zugangs zu Finanzierungen für öffentliche und private Projektträger sowie für Finanzmittler. Was KMU anbelangt, so unterstützt er eine strukturelle Zusammenarbeit mit ihren Vertretungsorganisationen.

4.4.   Finanzbildung (in Verbindung mit technischer Unterstützung)

4.4.1.

Zielgruppe sind die Bürgerinnen und Bürger ab dem Vorschulalter. Die europäischen Bürgerinnen und Bürger sind zunehmend daran interessiert, ihre Ersparnisse und Investitionen mit sozialen und ökologischen Zielen zu verknüpfen. Finanzkompetenz (ein grundlegendes Verständnis des Finanzwesens) kann die Handlungskompetenz der Bürgerinnen und Bürger und ihr Verständnis von nachhaltiger Finanzierung erhöhen und zur Klärung der gesellschaftlichen Bedeutung des Finanzwesens beitragen.

4.4.2.

Dies betrifft alle an der Umsetzung des Grünen Deals beteiligten Fachgremien und die einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft.

4.5.   Nachhaltigkeitskompetenz für die Wirtschaft

4.5.1.

Des EWSA betont, dass die Einführung und Verbreitung sauberer Technologien Fachkenntnisse in den Bereichen Anwendung, Anpassung und Wartung voraussetzt. Fachkenntnisse sind auch für Wirtschaftssysteme und Unternehmen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber entscheidend für die rasche Anpassung an Veränderungen infolge umweltpolitischer bzw. klimaschutzbedingter Maßnahmen. Voraussetzung für die Umstellung auf eine grünere Wirtschaftsweise sind die passenden Kompetenzen für grüne Arbeitsplätze.

4.5.2.

Eine wesentliche Zielsetzung für die Anpassung an neue Arbeitsplätze und veränderte Arbeitsplatzanforderungen ist die Weiterbildung der Arbeitnehmer zum Erwerb der in der grünen Wirtschaft erforderlichen neuen Kompetenzen. Der EWSA plädiert für eine klare Strategie für Kompetenzvorschau sowie für einen Kompetenz-Fahrplan, um die Arbeitskräfte auf die künftigen Anforderungen der Industrie einzustellen. Investitionen in Bildungs- und Schulungsmaßnahmen sowie die Förderung einer Kultur lebenslangen Lernens sollten eine Grundlage eines gerechten regionalen Übergangs sein.

4.6.   Sozial verantwortliches öffentliches Beschaffungswesen

4.6.1.

Ein sozial verantwortliches öffentliches Beschaffungswesen ist die Voraussetzung für umweltgerechte Veränderungen in Verwaltungstätigkeiten sowie für die Bekämpfung von Korruption und fördert zudem verantwortliche Praktiken auf Seiten der Dienstleister.

4.6.2.

Der EWSA unterstützt verpflichtende grüne Mindestkriterien oder -ziele für das öffentliche Beschaffungswesen in sektorbezogenen Initiativen, für die Unionsfinanzierung oder produktspezifische Rechtsvorschriften unter Anwendung von Umweltindikatoren im Zuge der Entwicklung der EU-Taxonomie. Diesbezüglich werden verstärkt holistische, transparente und bereichsübergreifende Umweltkennzeichnungs- bzw. -informationssysteme benötigt, die Auskunft über die Einhaltung strenger Nachhaltigkeitsauflagen geben.

4.7.   Der Mechanismus für einen gerechten Übergang

4.7.1.

Der EWSA begrüßt den Mechanismus für einen gerechten Übergang und sein großes Potenzial zur Erleichterung des grünen Wandels in spezifischen Branchen und Regionen. Er weist darauf hin, dass dieser Mechanismus nicht nur zur Finanzierung von Defossilierungsmaßnahmen, sondern parallel zu den einschlägigen Stabilisierungsmechanismen eingesetzt werden sollte, um auch anderen Branchen und Regionen zugute zu kommen, die unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten leiden und Strukturreformen durchlaufen müssen.

4.7.2.

Der Mechanismus für einen gerechten Übergang besteht aus einer ausgewogenen Kombination verschiedener Finanzhilfe- und Finanzierungsinstrumente im Rahmen von zentral oder gemeinsam verwalteten Programmen, aus verschiedenen Arten von Finanzquellen und mit Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten auf diversen Ebenen (Union, Einzelstaaten, Regionen und Kommunen). Dieser neuartige Mix erfordert deshalb eine neuartige Governance und Verwaltung.

4.7.3.

Der Mechanismus für einen gerechten Übergang sollte in den betroffenen Regionen zur Schaffung neuer hochwertiger Arbeitsplätze beitragen. Der EWSA gibt zu bedenken, dass die IAO Qualifikationslücken in einer ganzen Reihe Branchen als einen wesentlichen Engpassfaktor ausgemacht hat, bspw. bei erneuerbaren Energieträgern, bei Energie- und Ressourceneffizienz, energetische Gebäudesanierung, emissionsfreie Gebäude, Umweltdienstleistungen und Fertigung.

4.7.4.

Der EWSA fordert eine enge Abstimmung zwischen dem für 2021 vorgesehenen Aktionsplan für die Sozialwirtschaft und dem Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal, um sozialwirtschaftliche Investitionen in die Umsetzung des Mechanismus für einen gerechten Übergang einzubeziehen.

4.7.5.

Im Mechanismus für einen gerechten Übergang müssen auch die von den Ländern und ihren Regionen (11) seit 1990 unternommenen Emissionssenkungsanstrengungen berücksichtigt werden, damit sie nicht für bereits geleistete Arbeit bestraft werden, indem ihnen der Mittelzugang verwehrt wird. Dazu sollte Eurostat die Veröffentlichung der Indikatoren für regionale Konvergenz und regionale Abweichungen (einschl. Bevölkerungsrückgang und -alterung) verbessern, damit auch für diese Gebiete Fördermittel zugänglich sind.

4.8.   Eine globale Anstrengung durch internationale Zusammenarbeit

4.8.1.

Der EWSA begrüßt die vor Kurzem errichtete Internationale Plattform für nachhaltige Finanzierungen (12), die privates Kapital für ökologisch nachhaltige Investitionen auf globaler Ebene mobilisiert. Dieses Forum sollte auch genutzt werden, um die weltweite Übernahme des Emissionshandelssystems zu fördern.

4.8.2.

Der EWSA stellt fest, dass auch Umwelt- und Klimaschutzinvestitionen zur Unterstützung von Maßnahmen außerhalb der EU, insbesondere im Rahmen der Afrika-Strategie, erforderlich sind.

4.8.3.

Im Rahmen der weltweiten Coronavirus-Krisenreaktion unterstützt der EWSA nachdrücklich den weltweiten Spendenmarathon, eine weltweite Anstrengung zur Mobilisierung von Geldern für die Diagnose, die Behandlung und Impfstoffe im Zusammenhang mit dem Coronavirus.

Brüssel, den 10. Juni 2020

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2020/04/09/report-on-the-comprehensive-economic-policy-response-to-the-covid-19-pandemic.

(2)  Next Generation EU, Umfang 750 Mrd. EUR.

(3)  Insbesondere die Vorschläge der Europäischen Kommission, die zum Ziel haben, die Nutzung der derzeitigen Haushaltsmittel umfassend zu optimieren, besser zugänglich zu machen und flexibler zu gestalten: insbesondere der Solidaritätsfonds der Europäischen Union, die Investitionsinitiative zur Bewältigung der Coronavirus-Krise (CRII und CRII+) und die Reaktivierung des Soforthilfeinstruments, das Instrument zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in der durch den COVID-19-Ausbruch verursachten Krise (SURE), der Europäische Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (FEAD), das Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) der Europäischen Zentralbank einschl. einer Ausweitung der Bandbreite notenbankfähiger Wertpapiere und einer Lockerung der Kreditbedingungen; ein zeitlich angemessener Umgang der Aufsichtsbehörden mit den regulatorischen Anforderungen im Finanzbereich; die Einrichtung eines europäischen Garantiefonds der EIB-Gruppe zur Unterstützung vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen, die Krisenreaktionsinitiative des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT).

(4)  COM(2020) 22 final.

(5)  Anpassungen betreffend die Aufsichtsregeln im Bankwesen zur Maximierung der Fähigkeit der Kreditinstitute, Kredite zu vergeben und Verluste auszugleichen, während zugleich ihre Widerstandsfähigkeit gewährleistet bleibt.

(6)  Stellungnahme des EWSA vom 19. September 2018 zum „Mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020“ (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 106).

(7)  Zur Förderung positiver externer Effekte.

(8)  Stellungnahme des EWSA vom 17. Oktober 2018 zur „Mitteilung der Kommission — Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 73).

(9)  Wesentliche Leistungsindikatoren.

(10)  Stellungnahme des EWSA vom 17. Oktober 2018 zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms ‚InvestEU‘“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 131).

(11)  Von der Stilllegung von Bergwerken gemäß dem Beschluss des Rates 2010/787/EU betroffene Gebiete.

(12)  Die Internationale Plattform für nachhaltige Finanzierungen wurde am 18. Oktober 2019 durch Behörden Argentiniens, Kanadas, Chiles, Chinas, Indiens, Kenias, Marokkos und der Europäischen Union gegründet. Auf diese Länder entfällt nahezu die Hälfte des weltweiten Klimagasausstoßes.