25.1.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 33/1


Natura 2000 — Gebietsmanagement

Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG

(2019/C 33/01)

INHALT

VORWORT

4

1.

Einleitung

5

1.1.

Stellung im Gesamtsystem der Habitat-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie sowie in einem umfassenderen Kontext

5

1.2.

Beziehung zum Kapitel „Artenschutz“

7

1.3.

Umsetzung von Artikel 6 in einzelstaatliches Recht: die Pflicht zur Umsetzung

7

1.4.

Dauer der Anwendung von Artikel 6: Ab welchem Zeitpunkt gelten die Verpflichtungen nach Artikel 6?

8

1.4.1.

Besondere Schutzgebiete nach der Vogelschutzrichtlinie

8

1.4.2.

Unter die Habitat-Richtlinie fallende Gebiete

9

2.

Artikel 6 Absatz 1

10

2.1.

Wortlaut

10

2.2.

Anwendungsbereich

10

2.3.

Was sollte Gegenstand der „erforderlichen Erhaltungsmassnahmen“ sein?

11

2.3.1.

Festlegung der Erhaltungsziele auf Gebietsebene

11

2.3.2.

Festlegung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen

13

2.3.3.

Die ökologischen Erfordernisse

14

2.4.

Wie können sich die erforderlichen Erhaltungsmassnahmen gestalten?

15

2.4.1.

Bewirtschaftungspläne

15

2.4.2.

Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art

16

3.

Artikel 6 Absatz 2

17

3.1.

Wortlaut

17

3.2.

Anwendungsbereich

17

3.3.

Was bedeutet die Formulierung „treffen die geeigneten Massnahmen, um … zu vermeiden“?

19

3.4.

Wird bei der Umsetzung der Massnahmen zwischen Verschlechterungen und Störungen unterschieden?

20

3.5.

Anzeichen für Verschlechterungen und Störungen

20

3.5.1.

Verschlechterung von Lebensraumtypen und Habitaten der Arten

21

3.5.2.

Störung von Arten

22

4.

Artikel 6 Absatz 3

22

4.1.

Wortlaut

22

4.2.

Anwendungsbereich

23

4.3.

Der Zusammenhang zwischen den Absätzen 2 und 3 des Artikels 6

23

4.4.

Was ist unter der Formulierung „Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind“ zu verstehen?

24

4.4.1.

Projekt

25

4.4.2.

Plan

25

4.4.3.

Nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind …

26

4.5.

Wie kann festgestellt werden, ob Pläne oder Projekte „ein solches Gebiet einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten“?

27

4.5.1.

… beeinträchtigen können …

27

4.5.2.

… erhebliche Auswirkungen …

29

4.5.3.

… einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten …

29

4.6.

Was bedeutet die Formulierung „Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen“?

30

4.6.1.

Was bedeutet der Begriff „Verträglichkeitsprüfung“?

30

4.6.2.

Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung

32

4.6.3.

… Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen

33

4.6.4.

Der Begriff des „Gebiet[s] als solches“ bzw. der „Integrität des Gebiets“

33

4.6.5.

Prüfung der Auswirkungen auf das Gebiet

34

4.6.6.

Prüfung geeigneter Abschwächungsmaßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung der Auswirkungen

35

4.7.

Entscheidungsfindung

36

4.7.1.

Die „zuständigen einzelstaatlichen Behörden“

36

4.7.2.

Wann ist eine Anhörung der Öffentlichkeit angebracht?

37

4.7.3.

Entscheidungsfindung auf der Grundlage der Verträglichkeitsprüfung

37

5.

Artikel 6 absatz 4

38

5.1.

Wortlaut

38

5.2.

Anwendungsbereich

38

5.3.

Ausgangsüberlegungen

39

5.3.1.

Prüfung von Alternativlösungen

39

5.3.2.

Prüfung der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses

40

5.4.

Annahme von Ausgleichsmassnahmen

42

5.4.1.

Was ist unter „Ausgleichsmaßnahmen“ zu verstehen und wann sollten sie in Erwägung gezogen werden?

42

5.4.2.

„Globale Kohärenz“ des Natura-2000-Netzes

43

5.4.3.

Ziel und allgemeiner Inhalt der Ausgleichsmaßnahmen

44

5.4.4.

Im Zusammenhang mit Ausgleichsmaßnahmen zu berücksichtigende Schlüsselelemente

46

5.5.

Kriterien für die Erarbeitung von Ausgleichsmassnahmen

46

5.5.1.

Gezielter Ausgleich

46

5.5.2.

Wirksamer Ausgleich

47

5.5.3.

Technische Machbarkeit

47

5.5.4.

Umfang des Ausgleichs

48

5.5.5.

Ort der Ausgleichsmaßnahmen

48

5.5.6.

Zeitliche Gestaltung des Ausgleichs

49

5.5.7.

Langfristige Durchführung

49

5.6.

Wer trägt die Kosten der Ausgleichsmassnahmen?

50

5.7.

Unterrichtung der Kommission über die Ausgleichsmassnahmen

50

5.8.

Was geschieht mit Gebieten, in denen prioritäre Lebensräume und/oder prioritäre Arten vorkommen?

51

5.8.1.

Die betroffenen Gebiete

51

5.8.2.

Die Begriffe „Gesundheit des Menschen“, „öffentliche Sicherheit“ und „maßgebliche günstige Auswirkungen für die Umwelt“

51

5.8.3.

Die Annahme der Stellungnahme der Kommission und ihre Konsequenzen

52

Anhang I

Vergleich der Verfahren nach der Verträglichkeitsprüfung und der UVP/SUP

53

Anhang II

Prüfung von Plänen und Projekten, die sich auf Natura-2000-Gebiete auswirken

56

Anhang III

Formblatt für die Übermittlung von Informationen nach Artikel 6 Absatz 4 an die Europäische Kommission

57

VORWORT

ZWECK UND AUFGABE DIESES DOKUMENTS

Artikel 6 der Habitat-Richtlinie (92/43/EWG) spielt eine entscheidende Rolle beim Management des Natura-2000-Netzes. Im Sinne der angestrebten Integration werden dort die verschiedenen Aufgaben erläutert, die zur Wahrung der mit den betreffenden Gebieten verbundenen Naturschutzinteressen beitragen sollen.

Dieses Dokument soll die Mitgliedstaaten bei der Auslegung bestimmter Schlüsselbegriffe in Artikel 6 der Habitat-Richtlinie unterstützen.

Mit dem Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft (1) hat sich die Kommission zu Aktualisierungen des Leitfadens zur Auslegung der Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie über den Erhaltung und das Management von Natura-2000-Gebieten verpflichtet. Dieses Dokument ersetzt daher die ursprüngliche Fassung des Auslegungsleitfadens vom April 2000 (2).

In dieser Aktualisierung wurden die zahlreichen Urteile zu Artikel 6 berücksichtigt, die der Europäische Gerichtshof im Laufe der Jahre erlassen hat (3). Außerdem sind in die Aktualisierung mehrere Mitteilungen der Kommission zum Management von Natura-2000-Gebieten sowie weitere relevante Leitliniendokumente der Kommission zu Artikel 6 eingeflossen, die in Verbindung mit diesem Leitfaden zu lesen sind (4).

Dieses Dokument ist in erster Linie an die Mitgliedstaaten gerichtet. Allerdings soll das Dokument auch zum Verständnis der Mechanismen der Habitat-Richtlinie bei allen beitragen, die am Management von Natura-2000-Gebieten und an Genehmigungsverfahren nach Artikel 6 beteiligt sind.

Das Dokument wurde nach Konsultationen mit den Naturschutzbehörden der Mitgliedstaaten und mit Interessenträgern erstellt. Es soll Behörden der Mitgliedstaaten sowie alle diejenigen unterstützen, die am Management von Natura-2000-Gebieten und am Genehmigungsverfahren nach Artikel 6 der Habitat-Richtlinie beteiligt sind. Für die Auslegung des Unionsrechts ist jedoch ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Union zuständig.

Die Auslegungen der Kommission sind grundsätzlich nachrangig gegenüber der Richtlinie. Dies gilt insbesondere insoweit, als in dieser Richtlinie das Subsidiaritätsprinzip verankert ist und den Mitgliedstaaten daher ein breiter Ermessensspielraum bei der praktischen Anwendung spezifischer Maßnahmen zum Schutz der verschiedenen Gebiete des Natura-2000-Netzes zugestanden wird. In jedem Fall können die Mitgliedstaaten selbst über die praktische Gestaltung der Maßnahmen entscheiden, sofern damit die Ziele der Richtlinie erreicht werden.

Unabhängig von Art und Umfang der Auslegung soll dieses Dokument jedoch keine allgemein gültigen Antworten für Fragen bieten, die sich in Bezug auf spezifische Gebiete stellen. Solche Fragen sollten unter Berücksichtigung dieses Dokuments behandelt, aber immer auf Einzelfallbasis entschieden werden.

GLIEDERUNG DES DOKUMENTS

Nach einer Einführung zum allgemeinen Gegenstand und zum Grundgedanken von Artikel 6 werden die einzelnen Absätze (Artikel 6 Absätze 1 bis 4) erläutert. Die Gliederung der entsprechenden Abschnitte folgt derselben allgemeinen Struktur. Sie umfasst jeweils eine Einleitung zum betreffenden Absatz und zum Gegenstand; danach werden ausgehend vom Kenntnisstand der Kommission sowie anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und ggf. weiterer Rechtsvorschriften der EU die wesentlichen Begriffe und Themen behandelt.

Um einen raschen Überblick über die jeweiligen Schlussfolgerungen zu ermöglichen, werden jeweils am Ende eines Abschnitts die wesentlichen Punkte der Analysen der Kommission zusammengefasst.

1.   EINLEITUNG

Artikel 6 im Kontext

1.1.   STELLUNG IM GESAMTSYSTEM DER HABITAT-RICHTLINIE UND DER VOGELSCHUTZRICHTLINIE SOWIE IN EINEM UMFASSENDEREN KONTEXT

Bevor näher auf Artikel 6 eingegangen wird, soll seine Bedeutung im Gesamtsystem der Richtlinien 92/43/EWG (5) (im Folgenden „Habitat-Richtlinie“) und 2009/147/EG (6) (im Folgenden „Vogelschutzrichtlinie“) sowie innerhalb eines umfassenden rechtlichen Rahmens bestimmt werden.

Das erste Kapitel der Habitat-Richtlinie, das die Artikel 1 und 2 umfasst, trägt die Überschrift „Begriffsbestimmungen“. Ziel der Richtlinie ist diesem Kapitel zufolge, „zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen“ (7). Ferner bietet das erste Kapitel einen allgemeinen Überblick über die Anwendung der Richtlinie, indem es die nach der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen zur Bewahrung oder Wiederherstellung eines „günstigen Erhaltungszustands“ (8) bestimmter Lebensräume und bestimmter Tier- und Pflanzenarten erläutert und unterstreicht, dass nach der Richtlinie getroffene Maßnahmen „den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung tragen“ (9) müssen.

Die wichtigsten konkreten Anforderungen der Habitat-Richtlinie sind den beiden folgenden Kapiteln zu entnehmen. Das erste Kapitel trägt die Überschrift „Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten“ und umfasst die Artikel 3 bis 11. Es folgt das Kapitel „Artenschutz“ mit den Artikeln 12 bis 16.

Im Kapitel „Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten“ werden die Schaffung und Erhaltung von Schutzgebieten für die in den Anhängen I und II der Richtlinie genannten Lebensraumtypen und Arten von gemeinschaftlichem Interesse behandelt. Diese Gebiete sowie die nach der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen Gebiete bilden das Natura-2000-Netz (Artikel 3 Absatz 1). In diesem Kapitel werden in Artikel 6 die Bedingungen für die Erhaltung und das Management der Natura-2000-Gebiete genannt. Aus dieser Sicht gehört Artikel 6 zu den wichtigsten der insgesamt 24 Artikel der Richtlinie, da er das Verhältnis zwischen Erhaltung und anderen sozioökonomischen Aktivitäten am deutlichsten beeinflusst.

Artikel 6 enthält drei Hauptkategorien von Bestimmungen: Artikel 6 Absatz 1 befasst sich mit den erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen, die auf ein positives und proaktives Handeln ausgerichtet sind, um einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und der Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Artikel 6 Absatz 2 soll eine Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und erhebliche Störungen von Arten verhindern. Die Bestimmungen dieses Absatzes haben somit vorwiegend präventiven Charakter. In Artikel 6 wird in den Absätzen 3 und 4 eine Reihe von verfahrenstechnischen und grundlegenden Schutzmechanismen im Zusammenhang Plänen und Projekten beschrieben, die ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten.

Dabei wird zwischen Artikel 6 Absätze 1 und 2, die eine allgemeine Regelung behandeln, und Artikel 6 Absätze 3 und 4 unterschieden, in denen eine Verfahrensweise bei besonderen Gegebenheiten erläutert wird.

Insgesamt spiegeln die Bestimmungen in Artikel 6 den allgemeinen Ansatz nach Artikel 2 und nach den Erwägungsgründen der Richtlinie wider. Hierzu gehört die Notwendigkeit der Förderung der biologischen Vielfalt durch Erhaltung oder Wiederherstellung eines „günstigen Erhaltungszustands“ bestimmter Lebensräume und Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in der EU unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Erfordernisse als Mittel zur Gewährleistung einer nachhaltigen Entwicklung.

Neben der Bedeutung, die Artikel 6 in der Habitat-Richtlinie insgesamt zukommt, spielt er auch im Zusammenhang mit der Vogelschutzrichtlinie eine wichtige Rolle:

Zunächst ist der Rahmen der Vogelschutzrichtlinie im Großen und Ganzen mit dem der Habitat-Richtlinie vergleichbar. Insbesondere entspricht das Kapitel „Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten“ der Habitat-Richtlinie den Artikeln 3 und 4 der Vogelschutzrichtlinie.

Zweitens verschmelzen die Regelungen der beiden Richtlinien in erheblichem Umfang. Hier sind zum einen die besonderen Schutzgebiete nach der Vogelschutzrichtlinie zu nennen, die nunmehr Bestandteil des Natura-2000-Netzes (10) sind. Zum anderen wurde festgelegt, dass die Bestimmungen von Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 der Habitat-Richtlinie nun auch für besondere Schutzgebiete nach der Vogelschutzrichtlinie (11) gelten.

Artikel 6 ist auch im umfassenderen Rahmen der EU-Politik zur Förderung der biologischen Vielfalt (12) zu berücksichtigen und entscheidend für die Verwirklichung der Ziele dieser Politik. Auch andere Maßnahmen in diesem Zusammenhang können von Vorteil für die Umsetzung von Artikel 6 sein. Insbesondere Messungen des Zustands eines Ökosystems im Rahmen von MAES (Mapping and Assessment of Ecosystems and their Services = Kartierung und Bewertung von Ökosystemen und Ökosystemdienstleistungen) (13) bieten eine hilfreiche und relevante (u. a. sektorspezifische) Orientierung im Hinblick etwa auf die Messung und Bewertung des Zustands von Ökosystemtypen nach Biotopklassen nach der Habitat-Richtlinie und die Messung der Belastung von Ökosystemen sowie die Quantifizierung der ökologischen Erfordernisse und der Beeinträchtigung der ökologischen Integrität von Gebieten.

Im weiteren Sinne, d. h. in dem des Vertrags über die Europäische Union, kann Artikel 6 als eine entscheidende Rahmenbedingung zur Förderung der Umsetzung des Integrationsprinzips betrachtet werden, da er die Mitgliedstaaten zum einen ermutigt, die Natura-2000-Gebiete nachhaltig zu bewirtschaften, zum anderen aber auch Grenzen für Aktivitäten setzt, die nachteilige Auswirkungen auf Schutzgebiete haben können, und gleichzeitig unter bestimmten Bedingungen gewisse Ausnahmen zulässt. Maßnahmen nach Artikel 6 können außerdem durch Synergien mit anderen relevanten Maßnahmen im Bereich der Umweltpolitik der EU (beispielsweise in den Bereichen Gewässer- oder Meeresschutz oder Fischerei) unterstützt werden.

Maßnahmen nach Artikel 6 der Habitat-Richtlinie können die Einführung von Maßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) (Verordnung (EU) Nr. 1380/2013) erfordern. Insbesondere die für die Erfüllung der Verpflichtungen der EU-Umweltvorschriften erforderlichen Bestimmungen des Artikels 11 der GFP sollten berücksichtigt werden. Diese Bestimmungen werden im Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen zur Einführung von Erhaltungsmaßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik für Natura-2000-Gebiete und für die Zwecke der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (Working Document on the establishment of conservation measures under the Common Fisheries Policy for Natura 2000 sites and for the Marine Strategy Framework Directive purposes (SWD(2018)288 final)) erläutert. Die Kommission hat bereits mehrere delegierte Rechtsakte nach Artikel 11 der GFP angenommen (https://ec.europa.eu/fisheries/cfp/fishing_rules_de).

Im internationalen Kontext leistet Artikel 6 einen Beitrag zum Erreichen der Ziele entsprechender internationaler Übereinkommen (etwa des Berner Übereinkommens (14) und des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (15)) und schafft gleichzeitig einen detaillierteren Rahmen für die Erhaltung und den Schutz der Gebiete, der konkretere Formen bietet als die genannten Übereinkommen.

Artikel 6 ist ein wichtiger Teil des mit „Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten“ überschriebenen Kapitels der Habitat-Richtlinie. Er beschreibt den Rahmen für die Erhaltung und den Schutz von Gebieten und umfasst proaktive, präventive und verfahrensbezogene Anforderungen. Er ist für die besonderen Schutzgebiete nach der Vogelschutzrichtlinie und die nach der Habitat-Richtlinie ausgewiesenen Gebiete von Bedeutung. Der Rahmen trägt entscheidend zur Verwirklichung der Gesamtziele der beiden Richtlinien und der Ziele der EU-Politik im Hinblick auf die Förderung der biologischen Vielfalt sowie zur Berücksichtigung des Grundsatzes der Einbeziehung von Umweltbelangen in andere Bereiche der EU-Politik und letztlich zu einer nachhaltigen Entwicklung bei.

1.2.   BEZIEHUNG ZUM KAPITEL „ARTENSCHUTZ“

Wie bereits erläutert, umfasst das Kapitel „Artenschutz“ der Habitat-Richtlinie die Artikel 12 bis 16 und behandelt die in Anhang IV der Richtlinie (16) genannten streng zu schützenden Tier- und Pflanzenarten sowie die in Anhang V genannten Tier- und Pflanzenarten, die besondere Bewirtschaftungsmaßnahmen erfordern.

Die Artikel 12, 13 und 14 betreffen bestimmte Pflanzen- und Tierarten, die teilweise auch in Anhang II der Richtlinie genannt werden und auf die daher in den Natura-2000-Gebieten, in denen diese Arten vorkommen, ebenfalls die Bestimmungen von Artikel 6 anzuwenden sind (17). Somit können Aktivitäten jeweils Gegenstand beider Kapitel sein.

So kann zum Beispiel die Zerstörung des Ruheplatzes des Braunbärs (Ursus arctos) einen Verstoß sowohl gegen Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d als auch gegen Artikel 6 sein, wenn sich dieser Ruheplatz in einem für diese Art ausgewiesenen Natura-2000-Gebiet befindet.

Da dies als Überschneidung erscheinen mag, sei auf die folgenden Punkte hingewiesen:

Erstens sind bestimmte Pflanzen- und Tierarten, die den Artikeln 12, 13 und 14 unterliegen, nicht in Anhang II aufgeführt. Daher kommen Erhaltungs- und Schutzmaßnahmen im Rahmen des Natura-2000-Netzes diesen Arten auch nicht unmittelbar zugute.

Zweitens beschränkt sich der nach Artikel 6 gewährte Schutz bei bedrohten Arten wie etwa Großraubtieren, die durch die Vorschriften sowohl des Kapitels über die Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten als auch des Kapitels über den Artenschutz gelten, auf das Natura-2000-Netz. Der Schutz nach den im Kapitel über den Artenschutz beschriebenen Bestimmungen ist hingegen nicht auf bestimmte Gebiete beschränkt. Somit betrifft Artikel 6 die Erhaltung und den Schutz der Gebiete, die als Schutzgebiete für die Arten innerhalb des Natura-2000-Netzes ausgewiesen wurden, während das Kapitel über den Artenschutz für die betreffenden Arten in ihrem gesamten natürlichen Verbreitungsgebiet in der EU gilt (einschließlich bestimmter Gebiete außerhalb des Natura-2000-Netzes, in denen diese Arten ebenfalls vorkommen, insbesondere Brutplätze und Rastplätze der Tiere).

Bestimmte Pflanzen- und Tierarten unterliegen sowohl den im Kapitel über den Schutz natürlicher Lebensräume und der Habitate der Arten als auch den im Kapitel über den Artenschutz erläuterten Bestimmungen. Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich des Anwendungsbereichs und der Art der jeweiligen Bestimmungen.

1.3.   UMSETZUNG VON ARTIKEL 6 IN EINZELSTAATLICHES RECHT: DIE PFLICHT ZUR UMSETZUNG

Die Bestimmungen von Artikel 6 sind in einzelstaatliches Recht umzusetzen (d. h., sie müssen Gegenstand einzelstaatlicher Rechtsvorschriften werden, die den in Artikel 6 aufgeführten Anforderungen Rechnung tragen). Somit fallen sie in den Anwendungsbereich von Artikel 23 der Richtlinie, in dem es heißt: „Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie binnen zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.“ Je nach Mitgliedstaat lief die Umsetzungsfrist am 10. Juni 1994 bzw. mit dem Beitritt zur Europäischen Union ab.

Die unterschiedlichen Fristen beruhen auf der Art des angewandten Rechtsinstruments (nämlich einer Richtlinie). Richtlinien sind hinsichtlich des zu erreichenden Ergebnisses verbindlich. Die Wahl der Form und der Mittel für das Erreichen dieses Ergebnisses bleibt jedoch den Mitgliedstaaten überlassen.

Nach der Rechtsprechung muss die Umsetzung mit unbestreitbarer Verbindlichkeit sowie bestimmt und klar erfolgen (siehe Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden „Gerichtshof“) Rechtssachen C-363/85, C-361/88, C-159/99, Rn. 32, C-415/01, Rn. 21, C-58/02, C-6/04, Rn. 21, 25, 26, und C-508/04, Rn. 80) (18).

Je nach Mitgliedstaat war Artikel 6 bis zum 10. Juni 1994 (für die ersten 12 Mitgliedstaaten) bzw. zum Datum des EU-Beitritts (für die übrigen Mitgliedstaaten) umzusetzen.

1.4.   DAUER DER ANWENDUNG VON ARTIKEL 6: AB WELCHEM ZEITPUNKT GELTEN DIE VERPFLICHTUNGEN NACH ARTIKEL 6?

Im Allgemeinen ist zwischen der Frist für die Umsetzung der Bestimmungen des Artikels 6 in nationales Recht und dem Zeitpunkt zu unterscheiden, ab dem diese Bestimmungen auf die einzelnen Gebiete anzuwenden sind.

Bei den einzelnen Gebieten wiederum ist zwischen besonderen Schutzgebieten nach der Vogelschutzrichtlinie und anderen Gebieten — Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung (GGB) und besonderen Schutzgebieten — nach der Habitat-Richtlinie zu unterscheiden.

1.4.1.   Besondere Schutzgebiete nach der Vogelschutzrichtlinie

Die Schutzanforderungen für besondere Schutzgebiete nach der Vogelschutzrichtlinie sind in Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie wie folgt definiert: „… Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, zu vermeiden …“.

Nach dem Inkrafttreten der Habitat-Richtlinie werden gemäß Artikel 7 dieser Richtlinie die genannten Verpflichtungen ersetzt:

„Was die nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/409/EWG zu besonderen Schutzgebieten erklärten oder nach Artikel 4 Absatz 2 derselben Richtlinie als solche anerkannten Gebiete anbelangt, so treten die Verpflichtungen nach Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 der vorliegenden Richtlinie ab dem Datum für die Anwendung der vorliegenden Richtlinie bzw. danach ab dem Datum, zu dem das betreffende Gebiet von einem Mitgliedstaat entsprechend der Richtlinie 79/409/EWG zum besonderen Schutzgebiet erklärt oder als solches anerkannt wird, an die Stelle der Pflichten, die sich aus Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Richtlinie 79/409/EWG ergeben.“

Somit gelten die Bestimmungen nach Artikel 6 Absatz 1 nicht für besondere Schutzgebiete (BSG). Jedoch finden nach Artikel 3 sowie nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie ähnliche Bestimmungen Anwendung auf diese Kategorie von Schutzgebieten. Der Zeitpunkt, ab dem diese ähnlichen Bestimmungen generell auf BSG angewendet werden sollten, ist der Zeitpunkt, ab dem die Vogelschutzrichtlinie in den Mitgliedstaaten angewendet wird (siehe Rechtssachen Kommission/Spanien [Santoña-Sümpfe], C-355/90, und Kommission/Frankreich [Seinemündung], C-166/97).

Aus Artikel 7 ergibt sich eindeutig, dass die Bestimmungen von Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 auf BSG anzuwenden sind, die bei Inkrafttreten der Habitat-Richtlinie bereits als BSG eingestuft wurden. Der Wortlaut von Artikel 7 lässt jedoch die Frage offen, ob die Bestimmungen in Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie nach dem „Datum für die Anwendung der vorliegenden Richtlinie“ (10. Juni 1994 für die damaligen Mitgliedstaaten und das Datum des jeweiligen Beitritts für die später beigetretenen Mitgliedstaaten) weiterhin für Gebiete gelten, die als BSG hätten eingestuft werden müssen, für die diese Einstufung aber nicht vorgenommen wurde.

In der Rechtssache Santoña-Sümpfe (C-355/90, Rn. 22) hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Bestimmungen von Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie ab dem Datum für die Anwendung der Vogelschutzrichtlinie (d. h. ab 7. April 1981 für die damaligen Mitgliedstaaten bzw. ab dem Beitrittsdatum für später beigetretene Mitgliedstaaten) für Gebiete gelten, die nicht zu BSG erklärt worden sind, jedoch als solche hätten eingestuft werden müssen.

Nach dem Urteil in der Rechtssache Basses Corbières (C-374/98, Rn. 43-57; siehe auch C-141/14) unterliegen auch Gebiete, die nicht als BSG eingestuft wurden, aber als solche hätten eingestuft werden müssen, der Bestimmung in Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie; diese Bestimmung ist strenger als Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Habitat-Richtlinie, da dort keine Ausnahmen vorgesehen sind. Die Dualität dieser Regelungen bietet den Mitgliedstaaten insoweit einen Anreiz für die Vornahme von Einstufungen, als sie ihnen die Möglichkeit der Anwendung eines Verfahrens eröffnet, nach dem sie aus Gründen eines übergeordneten öffentlichen Interesses (einschließlich Gründen sozialer oder wirtschaftlicher Art) Pläne oder Projekte mit bestimmten Auflagen auch dann genehmigen können, wenn diese ein BSG beeinträchtigen.

Artikel 6 Absatz 1 der Habitat-Richtlinie gilt nicht für BSG. Jedoch enthalten Artikel 3 und Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie ähnliche Bestimmungen, die ab dem Datum der Anwendung dieser Richtlinie gelten.

Hinsichtlich des Datums der Anwendung von Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 der Habitat-Richtlinie auf BSG kann durchaus der Schluss gezogen werden, dass diese Bestimmungen ab dem Datum der Anwendung der Habitat-Richtlinie auch für alle nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie als BSG ausgewiesenen Gebiete gelten.

Gebiete, die nicht als BSG eingestuft wurden, aber als solche hätten eingestuft werden müssen, sind weiterhin durch Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie geschützt; diese Bestimmung ist strenger als die Bestimmungen von Artikel 6 Absätze 2 bis 4.

1.4.2.   Unter die Habitat-Richtlinie fallende Gebiete

Artikel 6 Absatz 1 gilt für alle BSG. Nach Artikel 4 Absatz 4 der Richtlinie werden besondere Schutzgebiete (BSG) von den Mitgliedstaaten ausgewiesen. Eine solche Ausweisung ist jedoch nur dann möglich, wenn das betreffende Gebiet auf der Grundlage von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung (GGB) angenommen wurde. Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung sind „so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren“ als besondere Schutzgebiete (BSG) auszuweisen.

Die Ausweisung eines GGB als BSG löst die Anwendung von Artikel 6 Absatz 1 aus, da alle anderen Maßnahmen nach Artikel 6 — einschließlich der Verpflichtung zur Vermeidung weiterer Verschlechterungen (Artikel 6 Absätze 2 bis 4) — auch vor der Ausweisung als BSG bereits für GGB gelten.

Artikel 4 Absatz 5 der Habitat-Richtlinie lautet wie folgt:

„Sobald ein Gebiet in die Liste des Absatzes 2 Unterabsatz 3 aufgenommen ist, unterliegt es den Bestimmungen des Artikels 6 Absätze 2, 3 und 4.“

Während die Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 1 also nur dann gelten, wenn ein GGB als BSG ausgewiesen wurde, findet Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 sofort nach Annahme eines Gebiets als GGB (d. h. noch vor der Ausweisung als BSG) Anwendung. Artikel 6 Absatz 1 gilt auch für GGB, bei denen die sechsjährige Frist bereits abgelaufen ist, die aber entgegen Artikel 4 Absatz 4 noch nicht als BSG ausgewiesen wurden. Die Verpflichtung zur Einführung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen entsteht also spätestens mit Ablauf der sechsjährigen Frist.

In den Beschlüssen der Kommission zur Genehmigung der GGB heißt es eindeutig: „… Es sei aber darauf hingewiesen, dass den Verpflichtungen aufgrund von Artikel 4 Absatz 4 und Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren nach Verabschiedung der ursprünglichen oder der aktualisierten Listen von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der biogeografischen Region, nachzukommen ist, je nach dem, auf welcher Liste ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung ursprünglich stand.

Dies bedeutet, dass die sechsjährige Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem ein Gebiet erstmals in einem Beschluss der Kommission berücksichtigt wurde. Wenn mit späteren Beschlüssen in einzelnen Punkten Änderungen für ein Gebiet vorgenommen werden, sollte dies nicht als Vorwand dafür dienen, die Ausweisung als BSG aufzuschieben. Diese neuen Änderungen sind jedoch im Prozess der Ausweisung eines BSG sowie bei Festlegung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

In der Rechtssache Draggagi (C-117/03, Rn. 29) hat der Gerichtshof festgestellt, „dass die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten und die in den der Kommission zugeleiteten nationalen Listen aufgeführt sind, zu denen insbesondere auch Gebiete gehören können, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten beherbergen, nach der Richtlinie verpflichtet sind, geeignete Schutzmaßnahmen zur Wahrung der genannten ökologischen Bedeutung zu ergreifen“.

In der Rechtssache Bund Naturschutz (C-244/05, Rn. 47) wies der Gerichtshof ferner darauf hin, „dass es für eine angemessene Schutzregelung für in einer der Kommission übermittelten nationalen Liste nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie aufgeführte Gebiete erforderlich ist, dass die Mitgliedstaaten keine Eingriffe zulassen, die die ökologischen Merkmale dieser Gebiete ernsthaft beeinträchtigen könnten“.

Insoweit müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass in Gebieten, die auf ihrer nationalen Liste der vorgeschlagenen GGB geführt werden, keine Verschlechterungen zugelassen werden, und dass diese Gebiete noch vor der Annahme der Unionsliste der GGB geschützt werden, um ihre ökologische Bedeutung zu bewahren. Auch wenn eine nationale Liste noch nicht vollständig ist, werden die Mitgliedstaaten angewiesen, die ökologische Bedeutung von Gebieten zu wahren, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nach den Kriterien in Anhang III der Habitat-Richtlinie auf der nationalen Liste geführt werden müssten. Zur Umsetzung in die Praxis sollte bei Projekten, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, der Prozess der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gemäß der Richtlinie 2011/92/EU (19) durchgeführt werden (soweit die Projekte dieser Richtlinie unterliegen). Der Gerichtshof hat bereits die Bedeutung bestätigt, die empfindlichen Naturräumen bei der Entscheidung darüber beizumessen ist, ob Projekte einer UVP nach dieser Richtlinie zu unterziehen sind (Rechtssache C-392/96, Rn. 66).

In der folgenden Tabelle werden die vorstehenden Erwägungen im Überblick dargestellt:

Status des Gebiets

Vorgeschlagenes GGB

GGB

BSG nach der Habitat-RL

BSG nach der Vogelschutz-RL

Gebiete, die als BSG hätten eingestuft werden müssen

Artikel 6 Absatz 1

Freiwillig

Freiwillig (nach Ablauf der sechsjährigen Frist verpflichtend)

Verpflichtend

Nicht anwendbar;

allerdings gelten ähnliche Bestimmungen nach Artikel 3 sowie nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie.

Nicht anwendbar.

Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4

Freiwillig, die Mitgliedstaaten müssen jedoch zur Wahrung der ökologischen Bedeutung der Gebiete geeignete Schutzmaßnahmen treffen (20).

Verpflichtend

Verpflichtend

Verpflichtend

Nicht anwendbar; diese Gebiete unterliegen jedoch unverändert dem Schutz nach Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie.

Artikel 6 Absätze 2 bis 4 gelten für GGB und für BSG nach der Habitat-Richtlinie. Artikel 6 Absatz 1 gilt für BSG nach der Habitat-Richtlinie.

Sie gelten nicht für Gebiete, die auf einer nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie an die Kommission übermittelten nationalen Liste geführt werden. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch zur Wahrung der ökologischen Bedeutung dieser Gebiete geeignete Schutzmaßnahmen treffen. Dazu dürfen u. a. keine Eingriffe zugelassen werden, bei denen die Gefahr einer ernsthaften Beeinträchtigung der ökologischen Merkmale dieser Gebiete besteht.

Wenn noch keine vollständige nationale Liste übermittelt wurde, wird den Mitgliedstaaten empfohlen, bei Gebieten, die nach den in der Richtlinie genannten wissenschaftlichen Kriterien eindeutig auf der nationalen Liste geführt werden müssten, einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen.

2.   ARTIKEL 6 ABSATZ 1

Klärung der Begriffe erforderliche Erhaltungsmaßnahmen, Erhaltungsziele, ökologische Erfordernisse, Bewirtschaftungspläne und Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art

2.1.   WORTLAUT

„Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.“

2.2.   ANWENDUNGSBEREICH

Artikel 6 Absatz 1 beschreibt ein allgemeines Erhaltungssystem, das von den Mitgliedstaaten für alle besonderen Schutzgebiete (BSG) festzulegen ist.

Artikel 6 Absatz 1

sieht positive Maßnahmen vor, darunter erforderlichenfalls Bewirtschaftungspläne sowie Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art, die den ökologischen Erfordernissen der Lebensraumtypen in Anhang I und der in Anhang II genannten und im betreffenden Gebiet vorkommenden Arten gerecht werden. In dieser Beziehung unterscheidet sich Artikel 6 Absatz 1 von den anderen drei Absätzen des Artikels 6, mit denen präventive Maßnahmen zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Schutzgebiete sowie von Störungen und erheblichen Auswirkungen auf die Natura-2000-Gebiete festgelegt werden;

fungiert als Referenz für die Struktur und das Gesamtverständnis von Artikel 6 bzw. der ersten drei Absätze des Artikels 6;

begründet ein allgemeines Erhaltungssystem, das ausnahmslos auf alle BSG des Natura-2000-Netzes und auf alle natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und auf alle Arten nach Anhang II anzuwenden ist, die in den Gebieten vorkommen; ausgenommen hiervon sind die im Standard-Datenbogen für Natura 2000 (21) als nicht signifikant ausgewiesenen Lebensräume und Arten;

gilt ausdrücklich für BSG nach der Habitat-Richtlinie: Im Gegensatz zu den Absätzen 2 bis 4 des Artikels 6 ist Artikel 6 Absatz 1 auf die besonderen Schutzgebiete (BSG) nach der Vogelschutzrichtlinie nicht anwendbar. So hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die

für die nach der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen BSG nach Artikel 3 und nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 dieser Richtlinie „besondere Schutzmaßnahmen“ vorschreibt und

für die nach der Habitat-Richtlinie festgelegten BSG nach Artikel 6 Absatz 1 „erforderliche Erhaltungsmaßnahmen“ vorsieht;

gilt auch für GGB, bei denen die sechsjährige Frist bereits abgelaufen ist, die aber entgegen Artikel 4 Absatz 4 noch nicht als BSG ausgewiesen wurden. Die Verpflichtung zur Einführung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen entsteht also spätestens mit Ablauf der sechsjährigen Frist;

beruht auf Artikel 1 Buchstabe a, in dem Erhaltungsmaßnahmen als eine Reihe erforderlicher Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der natürlichen Lebensräume und der Populationen wild lebender Tier- und Pflanzenarten beschrieben werden;

beruht auf Artikel 2 Absatz 2, nach dem nach dieser Richtlinie getroffene Maßnahmen so zu gestalten sind, dass ein günstiger Erhaltungszustand natürlicher Lebensräume und wild lebender Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse erhalten oder wiederhergestellt wird;

beruht auf Artikel 2 Absatz 3, nach dem die Maßnahmen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung tragen müssen.

Die Mitgliedstaaten müssen für alle BSG Erhaltungsmaßnahmen entwickeln und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art treffen. Die Maßnahmen sind spätestens sechs Jahre nach der Annahme der Unionsliste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung zu treffen.

Sie müssen positive Auswirkungen haben und gelten für alle in Anhang I aufgeführten natürlichen Lebensräume und die in Anhang II genannten, in den betreffenden Gebieten vorkommenden Arten; ausgenommen hiervon sind die im Natura-2000-Standard-Datenbogen als nicht signifikant bezeichneten Arten. Sie dienen der Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen von gemeinschaftlichem Interesse und tragen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung.

2.3.   WAS SOLLTE GEGENSTAND DER „ERFORDERLICHEN ERHALTUNGSMASSNAHMEN“ SEIN?

2.3.1.   Festlegung der Erhaltungsziele auf Gebietsebene (22)

In der Präambel der Richtlinie gibt es mehrere Bezugnahmen auf den Begriff „Erhaltungsziele“, und in Artikel 6 Absatz 3 wird ausdrücklich auf diesen Begriff verwiesen. Die Notwendigkeit eines solchen Begriffs wird auch in Artikel 4 Absatz 4 und Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie betont. Daher ist es hilfreich zu klären, was mit dem Begriff „Erhaltungsziele“ gemeint ist und welche Bedeutung dieser Begriff für die Festlegung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen für BSG nach Artikel 6 Absatz 1 hat.

Nach Artikel 1 bezeichnet der Begriff „Erhaltung“ für die Zwecke der Richtlinie „… alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um die natürlichen Lebensräume und die Populationen wildlebender Tier- und Pflanzenarten in einem günstigen Erhaltungszustand … zu erhalten oder diesen wiederherzustellen“.

Wie in Artikel 2 erläutert, soll die Habitat-Richtlinie insgesamt zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen beitragen. Die nach der Richtlinie getroffenen Maßnahmen sollen gewährleisten, dass die durch die Richtlinie geschützten Arten und Lebensraumtypen einen „günstigen Erhaltungszustand“ erreichen, d. h., dass das langfristige Überleben dieser Arten und Lebensraumtypen jeweils im gesamten natürlichen Verbreitungsgebiet innerhalb der EU sichergestellt ist.

Jedes Gebiet soll zur Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands beitragen. Dieses Gesamtziel kann jedoch nur auf Ebene der natürlichen Verbreitungsgebiete der Arten bzw. Lebensraumtypen beschrieben und erreicht werden (siehe Artikel 1 Buchstaben e und i der Richtlinie). Ein übergeordnetes Erhaltungsziel zur Sicherstellung eines günstigen Erhaltungszustands kann somit nur auf geeigneter Ebene bewertet werden (beispielsweise auf nationaler, biogeografischer oder europäischer Ebene).

Das allgemeine Ziel der Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands für alle in den Anhängen I und II der Habitat-Richtlinie genannten Lebensraumtypen und Arten muss jedoch in gebietsbezogenen Erhaltungszielen zum Ausdruck gebracht werden. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Erhaltungszielen einzelner Gebiete und dem übergeordneten Ziel der Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands.

Erhaltungsziele auf Gebietsebene bestehen aus einer Reihe definierter Ziele, die in einem Gebiet erfüllt werden sollen, um sicherzustellen, dass dieses Gebiet bestmöglich zur Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands auf der jeweils angemessenen Ebene beiträgt. (Dabei ist das natürliche Verbreitungsgebiet der jeweiligen Arten bzw. Lebensraumtypen zu berücksichtigen.)

Gebietsbezogene Erhaltungsziele sollten nicht nur für die besonderen Schutzgebiete (BSG) nach der Habitat-Richtlinie, sondern auch für die besonderen Schutzgebiete (BSG) nach der Vogelschutzrichtlinie festgelegt werden, um die Anforderungen in den Artikeln 2 und 3 sowie in Artikel 4 Absätze 1, 2 und 4 dieser Richtlinie zu erfüllen.

Grundsätzlich sollten für alle Arten und Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse nach der Habitat-Richtlinie sowie für alle in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie genannten Vogelarten und für regelmäßig auftretende Zugvogelarten, die in erheblichem Umfang im jeweiligen Gebiet vorkommen, gebietsbezogene Erhaltungsziele festgelegt werden. Allerdings müssen keine spezifischen Erhaltungsziele oder Erhaltungsmaßnahmen für Arten oder Lebensraumtypen festgelegt werden, deren Vorkommen im betreffenden Gebiet nach dem Natura-2000-Standard-Datenbogen (23) nicht signifikant ist.

Die gebietsbezogenen Erhaltungsziele sollten auf den ökologischen Erfordernissen dieser natürlichen Lebensraumtypen und Arten beruhen, die im betreffenden Gebiet vorkommen (siehe folgender Abschnitt 2.3.3), und den angestrebten Erhaltungszustand auf dem betreffenden Gebiet beschreiben. Sie sollten die Bedeutung des Gebiets für die Erhaltung oder die Wiederherstellung der auf diesem Gebiet vorkommenden Lebensraumtypen und Arten und für die Kohärenz des Natura-2000-Netzes widerspiegeln. Außerdem sollten sie sich nach den Bedrohungen der Verschlechterung oder Zerstörung der Lebensräume und Arten im jeweiligen Gebiet einschließlich der Bedrohungen infolge des Klimawandels richten.

Die gebietsbezogenen Erhaltungsziele sollten den angestrebten Erhaltungszustand der Arten und Lebensraumtypen im jeweiligen Gebiet beschreiben, um einen möglichst großen Beitrag zur Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands auf der jeweiligen Ebene leisten zu können. Manchmal werden die Zielsetzungen mit mehreren Einzelzielen beschrieben, die in einem bestimmten Zeitraum erreicht werden sollen. Diese Ziele sollten anhand einer Bewertung des Erhaltungszustands der einzelnen Arten und Lebensraumtypen im betreffenden Gebiet auf der Grundlage des Standard-Datenbogens formuliert werden.

In den Erhaltungszielen können die Prioritäten für ein Gebiet zum Ausdruck kommen. In der Rechtssache C-241/08 stellte der Gerichtshof fest: „Somit kann die Bestimmung der Erhaltungs- und Wiederherstellungsziele im Rahmen von Natura 2000, wie die Generalanwältin in Nr. 71 ihrer Schlussanträge zutreffend ausführt, erfordern, Konflikte zwischen verschiedenen Zielen zu entscheiden.

Wichtig ist, dass klar zwischen Zielen und Maßnahmen unterschieden wird. Beispielsweise kann davon ausgegangen werden, dass Erhaltungsziele im Laufe der Zeit verhältnismäßig stabil bleiben, und meistens müssen sogar langfristige Erhaltungsziele festgelegt werden. Die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen zur Erreichung dieser Ziele hingegen dürften sich hingegen eher ändern, u. a. infolge sich wandelnder Bedrohungen für die Gebiete sowie natürlich angesichts der hoffentlich positiven Wirkungen bereits getroffener Erhaltungsmaßnahmen.

Wenn Erhaltungsziele für ein Natura-2000-Gebiet festgelegt wurden, besteht eine gewisse Flexibilität bei der Entwicklung und der Beschreibung der Erhaltungsmaßnahmen. Dabei können mehrere Möglichkeiten in Betracht gezogen werden (darunter Maßnahmen administrativer, vertraglicher oder rechtlicher Art), die auch anderen sozioökonomischen Aktivitäten in den jeweiligen Gebieten Rechnung tragen.

Beispiele für die Festlegung von Erhaltungszielen auf Gebietsebene

1.

Gebiet x wurde angesichts seiner Bedeutung für den Lebensraumtyp „Naturnahes Grasland“ (6210) als Schutzgebiet ausgewiesen. Nach dem Standard-Datenbogen befindet sich der Lebensraumtyp in einem schlechten Erhaltungszustand (Klasse C im Standard-Datenbogen). Als Erhaltungsziel für dieses Gebiet wurde angesichts des sehr ungünstigen Erhaltungszustands dieses Lebensraumtyps in der Region eine Verbesserung der Erhaltung des Lebensraumtyps bis zur Einstufung in Klasse A (Hervorragend) innerhalb von zehn Jahren vorgesehen. Nach Artikel 6 Absatz 1 wurden die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen zur Erreichung dieses Ziels festgelegt.

2.

Gebiet y wurde wegen eines großflächigen lebenden Hochmoors (7110) als Schutzgebiet ausgewiesen. Nach dem Standard-Datenbogen befindet sich der Lebensraumtyp in einem hervorragenden Erhaltungszustand (Klasse A im Standard-Datenbogen). Das Erhaltungsziel für dieses Gebiet wurde daher auf die Bewahrung dieses Erhaltungszustands beschränkt, obwohl sich dieser Lebensraumtyp in der betreffenden Region in einem ungünstigen Erhaltungszustand befindet. Erhaltungsmaßnahmen nach Artikel 6 Absatz 1 wurden nicht vorgesehen, da für das Gebiet keine aktiven Bewirtschaftungsmaßnahmen zur Bewahrung dieses Erhaltungszustands erforderlich sind.

Grundsätzlich sollten für alle Gebiete sowie für alle Arten und Lebensraumtypen mit signifikanten Vorkommen in den betreffenden Gebieten Erhaltungsziele festgelegt werden. Diese Ziele sollten sich nach den ökologischen Erfordernissen der vorkommenden Arten und Lebensräume richten und den angestrebten Erhaltungszustand dieser in dem Gebiet vorkommenden Arten und Lebensraumtypen beschreiben. Die Ziele sollten anhand einer Bewertung des Erhaltungszustands der einzelnen Arten und Lebensraumtypen im betreffenden Gebiet auf der Grundlage des Standard-Datenbogens formuliert werden.

Die Erhaltungsziele sollten auch der Bedeutung des Gebiets für die Kohärenz des Natura-2000-Netzes Rechnung tragen, damit jedes Gebiet bestmöglich zur Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands auf der jeweiligen geografischen Ebene innerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets der jeweiligen Arten oder Lebensraumtypen beiträgt.

2.3.2.   Festlegung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen (24)

Erhaltungsmaßnahmen sind die eigentlichen Mechanismen, die eingeführt werden, um die Erhaltungsziele eines Gebiets zu verwirklichen und den Belastungen und Bedrohungen zu begegnen, denen die Arten und Lebensräume in diesem Gebiet ausgesetzt sind.

Nach Artikel 6 Absatz 1 „legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest“; dabei berücksichtigen sie die ökologischen Erfordernisse der in einem Gebiet vorkommenden Lebensräume und Arten von gemeinschaftlichem Interesse. Somit gilt, dass alle erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen getroffen werden müssen .

Dies wurde vom Gerichtshof wie folgt bestätigt: „Die Richtlinie schreibt also das Ergreifen der nötigen Erhaltungsmaßnahmen vor, sodass insoweit jeglicher Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist, und begrenzt die etwaigen Regelungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der nationalen Behörden auf die im Rahmen dieser Maßnahmen einzusetzenden Mittel und die zu treffenden technischen Entscheidungen.“ In diesem Zusammenhang „ist daran zu erinnern, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Formulierung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie den Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegen wollte, die nötigen Erhaltungsmaßnahmen zu treffen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II der Richtlinie entsprechen“ (Rechtssache C-508/04, Rn. 76 und 87).

Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt: „… Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie und Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie [verlangen] aber nicht nur, dass die Erhaltungsmaßnahmen festgelegt werden, die zur Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands der geschützten Lebensräume und Arten, die in dem betreffenden Gebiet vorkommen, nötig sind, sondern auch und vor allem, dass die Maßnahmen wirksam durchgeführt werden “ (Rechtssache C-441/17, Rn. 213).

Die Verpflichtung besteht in der Festlegung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen, unabhängig davon, ob diese Maßnahmen in einzelnen Gebieten oder in einzelnen Fällen sogar außerhalb von Gebieten oder in Bezug auf mehrere Gebiete durchgeführt werden. Manchmal kann ein erhebliches Element der Einhaltung von Artikel 6 Absatz 1 durch einen Mitgliedstaat in umfassenderen Maßnahmen bestehen, die jedoch zu gebietsbezogenen Erhaltungszielen beitragen und den ökologischen Erfordernissen der geschützten Lebensräume und Arten des jeweiligen BSG angepasst werden. Dies kann besonders für Meeresschutzgebiete von Bedeutung sein, bei denen eine umfassendere Regelung von Fischereitätigkeiten (25) ein erhebliches Element der Einhaltung von Artikel 6 Absatz 1 sein kann.

Wichtige Elemente, die bei der Festlegung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen zu berücksichtigenden sind (26)

Eine solide Wissensgrundlage sollte Informationen u. a. über die Gegebenheiten im jeweiligen Gebiet, den Zustand von Arten und Lebensräumen und die wichtigsten potenziellen Belastungen und Bedrohungen, die bestehenden Landnutzungen und die Belange von Interessenträgern umfassen. Zu diesen Informationen zählen der genaue Standort der wichtigsten natürlichen Elemente (Lebensraumtypen und Arten), die wichtigsten Landnutzungen und Tätigkeiten, die den Erhaltungszustand der relevanten Lebensräume und Arten beeinflussen können, die Ermittlung aller relevanten Interessenträger, die in die Bewirtschaftungsplanung einbezogen und angehört werden müssen, potenzielle Konflikte und mögliche Wege und Mittel zur Lösung dieser Konflikte.

Die Beteiligung, Anhörung und Kommunikation im Zusammenhang mit der Planung und Vorbereitung einer erhaltungsorientierten Bewirtschaftung eines Natura-2000-Gebiets, gestattet es, die Standpunkte derjenigen, die in dem Gebiet leben, arbeiten oder es nutzen, zu berücksichtigen und die Einbeziehung der verschiedenen Interessenträger in die Bewirtschaftung des Gebiets zu gewährleisten. So erhöhen sich die Erfolgsaussichten. Die Beteiligung kann während des gesamten Verfahrens der Bewirtschaftungsplanung erfolgen, indem Interessenträger frühzeitig angehört und einbezogen werden, um über die Erhaltungsziele des jeweiligen Gebiets und seine Bedeutung zu informieren und die für eine angemessene Bewirtschaftung erforderlichen Schritte zu erläutern. Dazu können z. B. Lenkungsgruppen oder -ausschüsse unter Beteiligung der betroffenen lokalen Behörden sowie von Vertretern von Landbesitzern, Nutzern und der wichtigsten Marktteilnehmer des jeweiligen Natura-2000-Gebiets eingerichtet werden. Dies erfordert eine effiziente Organisation des Verfahrens und der Kooperation der verschiedenen politischen Ebenen, ausreichendes Personal und Haushaltsmittel sowie den Einsatz wirksamer Kommunikationswege und -mittel. Gezielte Schulungsmöglichkeiten und wirksame Verfahren zur Konfliktbeilegung sowie die Unterstützung des gesamten Verfahrens durch einen eigens benannten „Gebietsvertreter“ können ebenfalls von erheblicher Bedeutung sein.

Die Festlegung der Erhaltungsmaßnahmen mit ausreichender Detailtiefe (wer tut was, wann und wo) erleichtert die Durchführung der Maßnahmen und kann dazu beitragen, mögliche Konflikte zu vermeiden. Die Maßnahmen müssen realistisch, quantifiziert, erreichbar und klar formuliert sein. Sie sollten auf angemessenen Fachkenntnissen beruhen, mit denen wesentliche Maßnahmen sowie die Maßnahmen berücksichtigt werden können, für deren Durchführung mehrere alternative Optionen bestehen. Dabei sind die Maßnahmen den Interessen vor Ort anzupassen. Die für die Durchführung erforderlichen Instrumente und Mittel sollten unter Angabe des genauen Standorts beschrieben werden, beispielsweise mit einem Arbeitsplan, der hinreichend flexibel ist, um erforderlichenfalls Änderungen und Anpassungen zu ermöglichen. Außerdem sollte eine Frist festgelegt werden, innerhalb der die Erhaltungsmaßnahmen im Hinblick auf ihre Durchführung, ihre Eignung und die erzielten Fortschritte bei der Verwirklichung der Erhaltungszeile zu überprüfen sind.

Bei allen Instrumenten zur Bewirtschaftung von Natura-2000-Gebieten müssen die erforderlichen Ressourcen für die Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen einschließlich Informationen über die veranschlagten Kosten der Durchführung und Überwachung aller geplanten Tätigkeiten, Verwaltung, Ausgleichszahlungen usw. sowie der erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen und möglicher Finanzierungsinstrumente berücksichtigt werden. Allerdings sind auch die mit Investitionen in Natura-2000-Gebiete verbundenen vielfältigen Vorteile in Form von Ökosystemdienstleistungen in vollem Umfang zu berücksichtigen. Ferner sollten die verschiedenen sozioökonomischen Tätigkeiten und ihre Wechselwirkung mit der natürlichen Umwelt untersucht werden, um mögliche Kosten und Vorteile der Bewirtschaftung der Gebiete sowie die tatsächliche Notwendigkeit finanzieller Unterstützung zu ermitteln.

Eine wirksame Durchführung und Kommunikation muss durch einen Mechanismus sichergestellt werden, mit dem nachgewiesen wird, dass die erforderlichen Maßnahmen nicht nur festgelegt, sondern auch tatsächlich durchgeführt werden, und mit dem Informationen über die Maßnahmen allen Betroffenen öffentlich zugänglich gemacht werden (beispielsweise auf Websites oder in offiziellen Registern).

Nach Artikel 6 Absatz 1 der Habitat-Richtlinie müssen die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen gemäß den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II festgelegt und durchgeführt werden. Insoweit besteht in dieser Hinsicht keinerlei Ermessensraum für die Mitgliedstaaten.

2.3.3.   Die ökologischen Erfordernisse

Nach Artikel 6 Absatz 1 müssen die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen „den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen“. Daher müssen die Mitgliedstaaten die Erhaltungsmaßnahmen bezogen auf die ökologischen Erfordernisse der natürlichen Lebensraumtypen und der Arten festlegen.

Die Richtlinie enthält keine Definition des Begriffs „ökologische Erfordernisse“. Angesichts des Zwecks von Artikel 6 Absatz 1 und des dort gegebenen Zusammenhangs ist jedoch festzustellen, dass die ökologischen Erfordernisse alle ökologischen Anforderungen einschließlich biotischer und abiotischer Faktoren beinhalten, die als erforderlich betrachtet werden, um die Erhaltung der jeweiligen Lebensraumtypen und Arten einschließlich ihrer Beziehungen mit der physischen Umgebung (Luft, Wasser, Boden, Vegetation usw.) sicherzustellen (27).

Diese Erfordernisse werden aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse ermittelt und sind auf Einzelfallbasis für die in Anhang I genannten natürlichen Lebensraumtypen bzw. für die in Anhang II genannten Arten und die Gebiete zu bestimmen, in denen diese Lebensraumtypen und Arten vorkommen. Die betreffenden Erkenntnisse sind eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung von Erhaltungsmaßnahmen auf Einzelfallbasis.

Die ökologischen Erfordernisse können sich je nach Art, jedoch auch innerhalb der gleichen Art, wenn diese in verschiedenen Gebieten vorkommen, unterscheiden.

So ist bei den in Anhang II der Richtlinie aufgeführten Fledermausarten bezüglich der ökologischen Erfordernisse zwischen der Überwinterungsperiode (Winterruhe in Höhlen, unterirdischen Hohlschächten oder in Gebäuden) und der im Frühjahr beginnenden aktiven Periode (Verlassen der Winterquartiere und Wiederaufnahme der Insektenjagd) zu unterscheiden.

Bei der in Anhang II genannten Amphibienart Triturus cristatus ändern sich die ökologischen Erfordernisse im Laufe ihres Lebens. Diese Art überwintert im Boden (in Höhlen oder Spalten) und laicht ab dem Frühjahr bis zum Frühsommer in Teichen. Danach verlassen die Tiere die Gewässer und leben im Sommer und im Herbst an Land. Für ein und dieselbe Art können daher je nach betroffenem Gebiet (Gewässer oder Land) unterschiedliche ökologische Erfordernisse bestehen. Hinzu kommt, dass diese Art in ganz Europa weit verbreitet ist. Daher können sich die ökologischen Erfordernisse auch zwischen einzelnen Teilen ihres Verbreitungsgebiets unterscheiden.

Die Bestimmung der ökologischen Erfordernisse der natürlichen Lebensraumtypen in Anhang I und der Arten in Anhang II, die in den Gebieten vorkommen, ist Aufgabe der Mitgliedstaaten. Letztere können unterstützt durch die Europäische Kommission und das Europäische Themenzentrum für biologische Vielfalt der Europäischen Umweltagentur ihr einschlägiges Wissen untereinander austauschen.

Die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen müssen den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen. Dabei umfassen die ökologischen Erfordernisse dieser natürlichen Lebensraumtypen und Arten alle zur Sicherstellung der Erhaltung der Lebensraumtypen und Arten als erforderlich betrachteten ökologischen Anforderungen. Sie können ausschließlich auf Einzelfallbasis und aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse bestimmt werden.

2.4.   WIE KÖNNEN SICH DIE ERFORDERLICHEN ERHALTUNGSMASSNAHMEN GESTALTEN?

Zweierlei Erhaltungsmaßnahmen kommen in Betracht: „geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art“ und „gegebenenfalls geeignete … Bewirtschaftungspläne“.

Nach dem Subsidiaritätsprinzip bleibt die Wahl der Maßnahmen den Mitgliedstaaten überlassen. In der Richtlinie werden die zu erreichenden Ergebnisse beschrieben. Die Entscheidung über die dazu erforderlichen praktischen Maßnahmen bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Häufig werden bei der Bewirtschaftung von Natura-2000-Gebieten die in Artikel 6 Absatz 1 vorgesehenen Möglichkeiten miteinander kombiniert.

In jedem Fall müssen die Zuständigkeiten für die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen ebenso wie die betreffenden finanziellen Mittel klar beschrieben werden.

2.4.1.   Bewirtschaftungspläne

Die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen können „gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne“ umfassen. In den Bewirtschaftungsplänen sollten alle vorkommenden Tätigkeiten einschließlich regelmäßiger und andauernder Tätigkeiten wie etwa tägliche landwirtschaftliche Tätigkeiten berücksichtigt werden. Die Behandlung neuer Pläne und Projekte ist in Artikel 6 Absätze 3 und 4 geregelt.

Im Allgemeinen werden in Bewirtschaftungsplänen auf Gebietsebene die Erhaltungsziele eines Gebiets auf der Grundlage einer Untersuchung des Erhaltungszustands der in diesem Gebiet vorkommenden Arten und Lebensräume sowie die erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele und die Belastungen und Bedrohungen beschrieben, denen diese Arten und Lebensräume ausgesetzt sind. Häufig werden Bewirtschaftungspläne von Gebietsmanagern und anderen mit der Erhaltung von Natura-2000-Gebieten befassten Beteiligten zur Orientierung herangezogen und zur Einbeziehung der verschiedenen sozioökonomischen Interessenträger und Behörden einschließlich lokaler Gemeinschaften, Grundbesitzer, Landwirte, Fischer und sonstiger Interessengruppen in die Durchführung der als erforderlich ermittelten Erhaltungsmaßnahmen genutzt.

Bewirtschaftungspläne sind ein hilfreiches Instrument, mit dem sichergestellt werden kann, dass die Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 1 klar und transparent umgesetzt werden, dass alle Interessenträger darüber informiert werden können, was mit dem Natura-2000-Netz erreicht werden soll, und dass die Interessenträger in die betreffenden Diskussionen einbezogen werden und sich aktiv an den Diskussionen beteiligen. Außerdem können Bewirtschaftungspläne helfen, den Finanzierungsbedarf der Maßnahmen zu ermitteln und die Maßnahmen besser in andere Pläne zu integrieren.

Der Begriff „gegebenenfalls“ bedeutet, dass Bewirtschaftungspläne nicht in jedem Fall erforderlich sind. Sieht ein Mitgliedstaat Bewirtschaftungspläne vor, ist es oftmals sinnvoll, diese vor der Bestimmung der anderen in Artikel 6 Absatz 1 genannten Maßnahmen, insbesondere derjenigen vertraglicher Art, zu erarbeiten. Vertragliche Maßnahmen betreffen meist die Beziehungen zwischen den zuständigen Behörden und den privaten Landbesitzern und beschränken sich auf einzelne Grundstücke, die normalerweise nicht das gesamte Gebiet umfassen. Unter diesen Bedingungen bietet ein auf das konkrete Gebiet ausgerichteter Bewirtschaftungsplan einen umfassenderen Rahmen und stellt einen hilfreichen Ausgangspunkt für spezielle Aspekte der vertraglichen Maßnahmen dar.

Die Bewirtschaftungspläne müssen „geeignet“ und „eigens für die Gebiete aufgestellt“ (d. h. für die Gebiete des Natura-2000-Netzes vorgesehen) sein. Daher sind Bewirtschaftungspläne für andere Kategorien von Schutzgebieten (z. B. Nationalparks oder Naturparks) nicht immer hinreichend für die Bewirtschaftung von Natura-2000-Gebieten und sollten angepasst oder durch weitere Maßnahmen ergänzt werden, um die spezifischen Erhaltungsziele der in diesen Gebieten vorkommenden Arten und Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse zu erreichen. Hinzu kommt, dass sich die Grenzen anderer Arten von Schutzgebieten nicht unbedingt mit den Grenzen von Natura-2000-Gebieten decken.

Bewirtschaftungspläne können isolierte Dokumente sein, aber auch nach dem Grundsatz der Einbeziehung der Umwelt in andere Bereiche der EU-Politik „in andere Entwicklungspläne integriert“ sein. Bei integrierten Plänen muss sichergestellt werden, dass klare Erhaltungsziele und eindeutige Maßnahmen für die im jeweiligen Gebiet vorkommenden Lebensräume und Arten festgelegt werden.

Bewirtschaftungspläne für die Natura-2000-Gebiete sind ein hilfreiches Instrument, mit dem sichergestellt werden kann, dass die Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 1 in klarer und transparenter Weise sowie unter Einbeziehung von Interessenträgern umgesetzt werden. Diese Pläne sind nicht immer erforderlich. Wenn Bewirtschaftungspläne verwendet werden, sollten sie jedoch eigens für die betreffenden Gebiete entwickelt bzw. in ggf. vorhandene andere Entwicklungspläne integriert werden. Sie sollten alle bekannten Tätigkeiten berücksichtigen. Auf neue Pläne und Projekte sind hingegen die Bestimmungen von Artikel 6 Absätze 3 und 4 anwendbar.

2.4.2.   Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art

Der Begriff „gegebenenfalls“ bezieht sich ausschließlich auf die Bewirtschaftungspläne und nicht auf die in jedem Fall erforderlichen Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art (Rechtssache C-508/04, Rn. 71). Daher sind solche Maßnahmen auch dann zu treffen, wenn ein Mitgliedstaat einen Bewirtschaftungsplan nicht für erforderlich hält.

Die Untergliederung in die drei Maßnahmenkategorien ist in einem weit gefassten Kontext zu betrachten, denn für das Erreichen der für ein Gebiet festgelegten Erhaltungsziele kann eine ganze Palette von Maßnahmen als geeignet erachtet werden. Diese umfassen häufig eine aktive Bewirtschaftung, manchmal aber auch eher passive präventive Maßnahmen (z. B. eine nicht intervenierende Bewirtschaftung). Dies müssen nicht unbedingt neue Maßnahmen sein, wenn bestehende Maßnahmen bei entsprechender Eignung als ausreichend betrachtet werden können.

Maßnahmen rechtlicher Art orientieren sich gewöhnlich an einer gesetzlich vorgeschriebenen Struktur und können bestimmte Anforderungen für Tätigkeiten vorsehen, die dann in einem Gebiet zugelassen, eingeschränkt oder verboten werden können.

Maßnahmen administrativer Art können einschlägige Bestimmungen für die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen oder die Genehmigung anderer Tätigkeiten in einem Gebiet vorsehen.

Maßnahmen vertraglicher Art gehen mit dem Abschluss von Verträgen oder mit sonstigen Vereinbarungen einher, die in der Regel zwischen den für die Verwaltung zuständigen Behörden und Grundstückseigentümern oder Nutzern eines Gebiets getroffen werden.

Agrarwirtschaftliche oder waldbauliche Umweltmaßnahmen sind ein gutes Beispiel für vertragliche Maßnahmen, bei deren Vereinbarung sozioökonomische Erfordernisse zum Vorteil von Natura-2000-Gebieten berücksichtigt wurden. Sie sollten im Einklang mit den für das jeweilige Gebiet festgelegten Erhaltungsmaßnahmen stehen und mit Blick auf die Erreichung der betreffenden Erhaltungsziele entwickelt werden.

Agrarwirtschaftliche Vereinbarungen mit Landwirten im Rahmen der Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum können als vertragliche Maßnahmen zur Erhaltung oder Verbesserung des Erhaltungszustands bestimmter Lebensraumtypen (z. B. von Dauerwiesen und -weiden) und von bestimmten Arten auch gebietsübergreifend genutzt werden.

Waldbauliche Maßnahmen können ebenfalls angewendet werden, um mit Waldbesitzern Verträge darüber zu schließen, wie Wälder so zu bewirtschaften sind, dass die Erhaltung von Lebensräumen und Arten unterstützt wird, bzw. um entsprechende und Vereinbarungen zu treffen.

Als Mittel zur Umsetzung dieser Maßnahmen sollten alle geeigneten Finanzierungsinstrumente der EU (z. B. Regionalfonds und Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums sowie Mittel im Rahmen des Programms LIFE (28)) berücksichtigt werden (29).

Die Wahl zwischen Maßnahmen rechtlicher, administrativer und vertraglicher Art bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Diese Regelung entspricht dem Subsidiaritätsprinzip. Die Mitgliedstaaten müssen allerdings Maßnahmen mindestens einer Kategorie auswählen (d. h. Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art).

Zwischen diesen drei Kategorien besteht keine Abstufung. So steht es dem Mitgliedstaat frei, für ein Natura-2000-Gebiet nur eine Kategorie von Maßnahmen (z. B. nur vertragliche Maßnahmen) oder verschiedene Maßnahmen (z. B. eine Kombination aus rechtlichen und vertraglichen Maßnahmen entsprechend den Aufgaben zur Erhaltung der in dem Gebiet vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II) festzulegen. Neben den ausgewählten verpflichtenden Maßnahmen können die Mitgliedstaaten zudem Bewirtschaftungspläne erarbeiten und umsetzen.

Die drei Kategorien von Maßnahmen gelten als „geeignet“. Dieser Begriff wird zwar in der Richtlinie nicht definiert, gemäß Artikel 6 Absatz 1 zählen die Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art jedoch zu den Erhaltungsmaßnahmen. Somit soll das Bestimmungswort „geeignet“ lediglich darauf hinweisen, dass unabhängig von der vom Mitgliedstaat gewählten Maßnahmenkategorie sichergestellt werden muss, dass die Maßnahmen den ökologischen Erfordernissen der zu schützenden Merkmale bestimmter Natura-2000-Gebiete gerecht werden und dass das in Artikel 2 Absätze 1 und 2 beschriebene allgemeine Ziel der Richtlinie berücksichtigt wird.

Für BSG müssen die Mitgliedstaaten Erhaltungsmaßnahmen entwickeln und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art treffen. Die Maßnahmen müssen a) den ökologischen Erfordernissen der Lebensräume in Anhang I und der Arten in Anhang II, die in diesen Gebieten vorkommen, und b) der allgemeinen Zielsetzung der Richtlinie entsprechen, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und der Pflanzen- und Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.

3.   ARTIKEL 6 ABSATZ 2

Erläuterungen der Formulierungen „treffen die geeigneten Maßnahmen, um … zu vermeiden“, „Verschlechterung“ und „Störungen

3.1.   WORTLAUT

„Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.“

3.2.   ANWENDUNGSBEREICH

Zu Beginn des Artikels wird auf den Vorsorgegrundsatz verwiesen: „Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung … sowie Störungen … zu vermeiden …“

Diese Maßnahmen gehen über die einfachen, für die Erhaltung erforderlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen nach Artikel 6 Absatz 1 hinaus. Die Formulierungen „vermeiden“ und „erheblich auswirken könnten“ unterstreichen den antizipatorischen Charakter der zu ergreifenden Maßnahmen. Die Maßnahmen sind zu ergreifen, bevor es zu einer Verschlechterung oder zu Störungen kommen kann (siehe Rechtssache C-418/04 sowie die Auslegung der in Artikel 6 Absatz 3 verwendeten Formulierung „erheblich beeinträchtigen könnten“ in Abschnitt 4.4.1).

Im vorliegenden Artikel werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, die von ihnen in einem angemessenen Rahmen erwartet werden können, um Verschlechterungen oder erhebliche Störungen zu verhindern. Zu vermeiden sind sowohl vom Menschen verursachte als auch vorhersehbare natürliche Verschlechterungen natürlicher Lebensräume und der Habitate der Arten.

Diese Bestimmung ist weiter gefasst als die Bestimmungen von Artikel 6 Absätze 3 und 4, die sich ausschließlich auf Pläne und Projekte beziehen. Sie gilt auch für andauernde Tätigkeiten wie beispielsweise die landwirtschaftliche Tätigkeiten oder Fischereitätigkeiten, die nicht unter Artikel 6 Absatz 3 fallen (30), sowie für bereits genehmigte Pläne und Projekte, bei denen sich später herausstellt, dass sie zu Verschlechterungen oder Störungen führen können (31). Außerdem kann sie für die Durchführung von Plänen oder Projekten gelten, die vor dem Inkrafttreten von Artikel 6 Absatz 3 genehmigt wurden (Rechtssache C-399/14, Rn. 33).

Artikel 6 Absatz 2

gilt für BSG nach der Habitat-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie sowie für GGB ständig. Die Bestimmungen dieses Absatzes können Tätigkeiten oder Ereignisse in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft betreffen. Wenn eine in einem BSG nach der Habitat-Richtlinie oder der Vogelschutzrichtlinie ausgeübte Tätigkeit eine Verschlechterung natürlicher Lebensräume oder die Störung von Arten nach sich ziehen kann, für die das Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde, ist diese Tätigkeit ggf. mit den in Artikel 6 Absatz 2 der Habitat-Richtlinie bzw. den in Artikel 4 Absatz 4 der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen Maßnahmen zu berücksichtigen. Dazu müssen ggf. die nachteiligen Auswirkungen beendet werden, indem die betreffende Tätigkeit unterbunden wird und/oder indem Maßnahmen zur Abschwächung oder Wiederherstellung getroffen werden. In diesem Zusammenhang kann eine Ex-post-Bewertung vorgenommen werden.

Diese Auslegung wird in der Rechtssache Owenduff (C-117/00, Rn. 28-30) (32) unterstützt, in der der Gerichtshof einen Verstoß gegen Artikel 6 Absatz 2 feststellte, weil in einem BSG keine Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der Lebensräume der Arten getroffen worden waren, für die das Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen worden war.

Der Gerichtshof hat ferner festgestellt, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen nach Artikel 6 Absatz 2 der Habitat-Richtlinie verstößt, wenn er allgemein vorgesehen hat, dass bestimmte Tätigkeiten, die unter den nach den geltenden Gesetzen und Verordnungen zulässigen Bedingungen und in den dort festgelegten Gebieten ausgeübt werden, keine Tätigkeiten darstellen, die störend sind oder derartige Auswirkungen haben (Rechtssache C-241/08, Rn. 76);

beschränkt sich nicht auf absichtliche Handlungen, sondern umfasst auch alle möglichen zufallsbedingten Ereignisse (Brand, Überschwemmung usw.), wenn diese vorhersehbar sind (beispielsweise, weil sie im Abstand von einigen Jahren immer wieder vorkommen) (33). Bei Katastrophen besteht lediglich die Pflicht zum Ergreifen (relativer) Vorsichtsmaßnahmen zur Minderung des Risikos der Katastrophen, die das Ziel der Richtlinie gefährden könnten;

dabei besteht keine Beschränkung auf menschliche Tätigkeiten: In der Rechtssache C-6/04, Rn. 34, stellte der Gerichtshof fest: „für die Umsetzung von Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie [kann es] offenkundig erforderlich sein, sowohl Abwehrmaßnahmen gegenüber externen, vom Menschen verursachten Beeinträchtigungen und Störungen als auch Maßnahmen zu ergreifen, um natürliche Entwicklungen zu unterbinden, die den Erhaltungszustand von Arten und Lebensräumen in den besonderen Schutzgebieten verschlechtern können“. Angesichts natürlicher Entwicklungen oder der Auswirkungen des Klimawandels beispielsweise müssen Maßnahmen getroffen werden, um den laufenden Prozess zu stoppen oder zu bekämpfen, wenn davon ausgegangen wird, dass dieser sich nachteilig auf die Arten und Lebensraumtypen auswirkt, für die ein Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde. Daher sollten von Natur aus dynamische Situationen ebenso wie Veränderungen infolge des Klimawandels (z. B. ein Anstieg des Meeresspiegels oder das Verschwinden von Arten oder das Auftreten neuer Arten) auf Einzelfallbasis bewertet werden (34).

Der Gesetzgeber setzt hinsichtlich der Verantwortung der Mitgliedstaaten bestimmte Grenzen:

räumliche Begrenzung — Die Maßnahmen sind einerseits ausschließlich auf Arten und Lebensräume gerichtet, die sich „in den besonderen Schutzgebieten“ befinden. Andererseits können jedoch auch außerhalb der BSG Maßnahmen erforderlich sein, d. h., wenn externe Vorkommnisse Auswirkungen auf die in den BSG lebenden Arten und die darin befindlichen Lebensräume haben könnten. Wenn beispielsweise eine ausgelaufene giftige Flüssigkeit ein Feuchtgebiet beeinträchtigt, hätten nach Artikel 6 Absatz 2 alle präventiven Maßnahmen getroffen werden müssen, um das Auslaufen zu vermeiden. Dies gilt selbst dann, wenn die Flüssigkeit nicht unmittelbar im betreffenden Feuchtgebiet ausgelaufen ist. So sieht der Artikel nicht vor, dass Maßnahmen in BSG nach der Habitat-Richtlinie ergriffen werden, sondern dass sie Verschlechterungen in BSG vermeiden. Dies gilt auch für BSG nach der Vogelschutzrichtlinie;

Beschränkung der Lebensräume und Arten — Die Maßnahmen finden nur auf Lebensräume und Arten Anwendung, „für die die Gebiete ausgewiesen worden sind“. Insbesondere sind die Lebensräume und Arten, die den Maßnahmen unterliegen, mit den in den Natura-2000-Standard-Datenbögen enthaltenen Angaben identisch (siehe Abschnitte 2.2 und 4.6.3). Daher besteht das Ziel auch nicht darin, allgemeine Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, vielmehr geht es darum, Maßnahmen zu ergreifen, die konkret auf die Arten und Lebensräume zugeschnitten sind, die die Ausweisung des Gebiets als besonderes Schutzgebiet rechtfertigten (d. h. für die im Standard-Datenbogen signifikante Vorkommen angegeben wurden und die im Benennungsdokument genannt werden). Somit werden Störungen und/oder Verschlechterungen anhand der von den Mitgliedstaaten übermittelten Informationen bestimmt, die auch für die Sicherung der Kohärenz des Natura-2000-Netzes für die betreffenden Arten und Lebensräume verwendet wurden.

Die Mitgliedstaaten müssen präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Verschlechterungen und Störungen ergreifen, die in Verbindung mit einem vorhersehbaren Ereignis eintreten können. Diese Maßnahmen gelten für alle Arten und Lebensräume, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, und sollten soweit notwendig auch außerhalb dieser Gebiete umgesetzt werden.

3.3.   WAS BEDEUTET DIE FORMULIERUNG „TREFFEN DIE GEEIGNETEN MASSNAHMEN, UM … ZU VERMEIDEN“?

Nach Artikel 6 Absatz 2 „treffen [die Mitgliedstaaten] die geeigneten Maßnahmen, um … zu vermeiden …“. In mehreren Rechtssachen hat der Gerichtshof die Art des rechtlichen Schutzes erläutert, der für die Zwecke von Artikel 6 Absatz 2 der Habitat-Richtlinie geschaffen werden muss. In den betreffenden Urteilen wurde insbesondere betont, dass die rechtlichen Regelungen zum einen spezifisch, kohärent und vollständig und zum anderen geeignet sein müssen, die nachhaltige Bewirtschaftung und einen wirksamen Schutz der betreffenden Gebiete zu gewährleisten (Rechtssache C-293/07, Rn. 26-29) (35).

Außerdem hat der Gerichtshof das Vorliegen von Verstößen in den Fällen festgestellt, in denen die bestehende Regelung zu allgemein gehalten war und sich nicht ausdrücklich auf das jeweilige BSG oder die in diesem Gebiet vorkommenden Arten bezog, (Rechtssache C-166/04, Rn. 15) sowie wenn „diese Vorschriften … erst [greifen], nachdem die fraglichen Tätigkeiten bereits begonnen wurden und demzufolge nachdem die möglichen Verschlechterungen bereits eingetreten sind“ (Rechtssache C-418/04, Rn. 208), oder wenn BSG heterogenen rechtlichen Regelungen unterworfen wurden, mit denen kein hinreichender Schutz für die betreffenden Gebiete gewährt wird (Rechtssache C-293/07, Rn. 26).

Unter Umständen ist die bloße Einleitung strafrechtlicher Verfahren oder die Verhängung von Geldbußen gegen die für eine Verschlechterung/Störung verantwortliche Partei nicht hinreichend für die Erfüllung der Anforderungen von Artikel 6 Absatz 2 durch einen Mitgliedstaat (Rechtssache C-504/14, Rn. 55 und 56).

Der Gerichtshof erläuterte in diesem Zusammenhang: „Die Wendung ‚geeignete Maßnahmen‘ in Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie impliziert nämlich, dass die Mitgliedstaaten bei der Anwendung dieser Bestimmung über ein Ermessen verfügen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine Tätigkeit nur dann im Einklang mit Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie steht, wenn gewährleistet ist, dass sie keine Störung verursacht, die die Ziele dieser Richtlinie, insbesondere die mit ihr verfolgten Erhaltungsziele, erheblich beeinträchtigen kann (Urteil Kommission/Spanien, C-404/09, EU:C:2011:768, Rn. 126 und die dort angeführte Rechtsprechung).“ Ferner stellte der Gerichtshof fest: „Sollte sich im vorliegenden Fall eine nachträgliche Prüfung auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie als eine ‚geeignete Maßnahme‘ im Sinne dieser Bestimmung erweisen, muss diese Prüfung daher detailliert aufzeigen, welche Risiken einer Verschlechterung oder von Störungen, die sich im Sinne dieser Bestimmung erheblich auswirken könnten, mit der Ausführung des betreffenden Plans oder Projekts verbunden sind, und den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie entsprechen“ (Rechtssache C-399/14, Rn. 40, 41 und 54).

Die rechtliche Regelung nach Artikel 6 Absatz 2 muss spezifisch, kohärent und vollständig sowie geeignet sein, einen wirksamen Schutz der betroffenen Gebiete zu gewährleisten. Bei der Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 verfügen die Mitgliedstaaten über ein Ermessen, sofern gewährleistet ist, dass keine Verschlechterungen oder Störungen eintreten. Wenn ein Plan oder Projekt geändert werden muss, um die Vorschriften von Artikel 6 Absatz 2 zu erfüllen, ist die Änderung im Einklang mit den Anforderungen von Artikel 6 Absatz 3 vorzunehmen.

3.4.   WIRD BEI DER UMSETZUNG DER MASSNAHMEN ZWISCHEN VERSCHLECHTERUNGEN UND STÖRUNGEN UNTERSCHIEDEn?

Zur Störung von Arten sieht Artikel 6 Absatz 2 vor, dass geeignete Vorkehrungen zu treffen sind, die solche Auswirkungen verhindern, „sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten“.

Die betreffende Störung muss also angesichts der Zielsetzung der Richtlinie von erheblicher Bedeutung für den Erhaltungszustand der Arten sein (Auswirkungen auf diesen haben). Somit haben die Mitgliedstaaten bei ihrer Entscheidung, ob es sich bei einer Störung um eine erhebliche Beeinträchtigung handelt oder nicht, von diesen Zielen auszugehen.

Im Zusammenhang mit der Verschlechterung von Lebensräumen (sowohl von natürlichen Lebensräumen als auch von Habitaten der Arten) werden Auswirkungen hinsichtlich der Ziele der Richtlinie in Artikel 6 Absatz 2 nicht ausdrücklich genannt. Es wird lediglich festgestellt, dass die Verschlechterung der Lebensräume zu vermeiden ist.

Eine absolute Bewertung der eingetretenen Verschlechterung ohne Vorliegen messbarer Grenzwerte mag schwierig erscheinen. Wenn eine Verschlechterung jedoch an den Erhaltungszielen gemessen wird, die zur Erreichung der Ziele der Richtlinie beitragen, kann deutlich werden, ab welchem Umfang Veränderungen als Verschlechterung anzusehen sind (siehe Abschnitt 3.5.1).

Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitat-Richtlinie ist als kohärentes Ganzes auszulegen und soll das gleiche Schutzniveau für Lebensraumtypen und für Habitate von Arten gewährleisten (Rechtssachen C-258/11, Rn. 32; C-521/12, Rn. 19, C-387 und 388). Daher sollten bei der Bewertung von Verschlechterungen ähnliche Kriterien angenommen und Methoden verwendet werden, wie bei der Anwendung von Artikel 6 Absatz 3 (siehe auch Rechtssache C-399/14, Rn. 54).

Der Erhaltungszustand eines Lebensraumtyps oder des Lebensraums einer in einem Gebiet vorkommenden Art kann anhand des jeweils im Natura-2000-Standard-Datenbogen angegebenen Erhaltungszustands bewertet werden, sofern die Angaben im Standard-Datenbogen auf dem neuesten Stand sind.

Der Erhaltungszustand in einem bestimmten Gebiet sollte Ausdruck der dynamischen Entwicklung der betreffenden Lebensräume und Arten sein.

Störungen von Arten, die angesichts der Ziele der Richtlinie von erheblicher Bedeutung sein könnten, sind zu vermeiden. Verschlechterungen eines natürlichen Lebensraums oder des Lebensraums einer Art sind jedoch nicht dadurch gekennzeichnet, dass sie gemessen an den Zielen der Richtlinien erheblich sein müssten. Vielmehr sind solche Verschlechterungen grundsätzlich einfach zu vermeiden.

Verschlechterungen und Störungen sollten bezogen auf die Erhaltungsziele eines Gebiets und auf den Erhaltungszustand der dort vorkommenden Arten und Lebensraumtypen anhand der auch für das Verfahren nach Artikel 6 Absatz 3 maßgeblichen Kriterien bewertet werden. Diese Formulierung ist dynamisch und unter Berücksichtigung der Entwicklung des Erhaltungszustands der Lebensräume und Arten im jeweiligen Gebiet auszulegen.

3.5.   ANZEICHEN FÜR VERSCHLECHTERUNGEN UND STÖRUNGEN

Die Mitgliedstaaten müssen geeignete Schutzmaßnahmen treffen, um die ökologischen Merkmale von Natura-2000-Gebieten ab dem Zeitpunkt zu erhalten, zu dem die Gebiete als Gebiete von gemeinschaftlichem Interesse eingestuft wurden.

Der Gerichtshof hat dies in der Rechtssache Bund (C-244/05, Rn. 45) wie folgt bestätigt: „Insoweit ist daran zu erinnern, dass die ökologischen Merkmale eines von den zuständigen nationalen Behörden ausgewählten Gebiets nach Anhang III Phase 1 der Richtlinie die dort aufgeführten Beurteilungskriterien, d. h. den Repräsentativitätsgrad des Lebensraumtyps, dessen Fläche, dessen Struktur und Funktionen, die Populationsgröße und -dichte der Arten in diesem Gebiet, die für die betreffenden Arten wichtigen Habitatelemente, den Isolierungsgrad der in diesem Gebiet vorkommenden Artenpopulationen sowie den Wert des Gebiets für die Erhaltung des Lebensraumtyps und der betreffenden Arten, widerspiegeln.“

Somit darf nicht zugelassen werden, dass die ökologischen Merkmale des Gebiets sich so verschlechtern, dass der Zustand zum Zeitpunkt der Ausweisung unterschritten wird. Wenn ein besserer Zustand erreicht wurde, sollte dieser bessere Zustand als Ausgangssituation angenommen werden. Grundsätzlich werden Störungen oder Verschlechterungen eines bestimmten Gebiets auf Einzelfallbasis anhand von Indikatoren (s. u.) für die Signifikanz der Veränderung ihres Wertes bewertet (36).

3.5.1.   Verschlechterung von Lebensraumtypen und Habitaten der Arten

Als Verschlechterung werden alle Schädigungen bezeichnet, die ein Habitat (einen Lebensraum) beeinträchtigen. Die Mitgliedstaaten müssen alle Einflüsse auf die Umwelt berücksichtigen, in der sich die betreffenden Lebensräume befinden (Gewässer, Luft, Böden). Wenn diese Einflüsse eine Beeinträchtigung der Erhaltungsparameter eines Lebensraums gegenüber dem vorherigen Zustand zur Folge haben, kann davon ausgegangen werden, dass eine Verschlechterung eingetreten ist.

Dabei ist zu beachten, dass die Anforderung der Vermeidung von Verschlechterungen nicht nur für die in Anhang I der Habitat-Richtlinie genannten Lebensraumtypen gilt, für die ein Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde, sondern auch für die in Anhang II der Habitat-Richtlinie und in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie genannten Habitate der Arten und für die durch Artikel 4 Absatz 2 der Vogelschutzrichtlinie geschützten Zugvogelarten, für die das Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde.

Diese Verschlechterung kann anhand der Erhaltungsziele des Gebiets sowie der ökologischen Merkmale des Gebiets bewertet werden, für die das Gebiet als Gebiet von gemeinschaftlichem Interesse (nach den Auswahlkriterien in Anhang III der Richtlinie) oder als BSG ausgewählt wurde.

Diese ökologischen Merkmale von Lebensraumtypen werden im Standard-Datenbogen mit den folgenden Parametern angegeben (37):

Repräsentativitätsgrad des Lebensraumtyps: Anhand des Repräsentativitätsgrades lässt sich ermessen, „wie typisch“ ein Lebensraumtyp ist.

Dabei sollte der Auslegungsleitfaden über Lebensraumtypen (38) des Anhangs I berücksichtigt werden, da dieser Leitfaden eine Beschreibung der einzelnen Lebensraumtypen, eine Liste charakteristischer Arten und andere relevante Aspekte enthält. Alle Ereignisse, Tätigkeiten oder Prozesse, die zur Folge haben, dass ein Lebensraumtyp seine Repräsentativität verliert, sollten als Verschlechterung bewertet werden;

Fläche des Lebensraums im Gebiet und seine relative Fläche bezogen auf die Gesamtfläche des jeweiligen Lebensraumtyps im betreffenden nationalen Territorium:

Alle Ereignisse, Tätigkeiten oder Prozesse, die innerhalb des Gebiets zu einer Verringerung des Umfangs des Lebensraumtyps oder des Habitats der Art beitragen, für das dieses Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde, sollten als Verschlechterung betrachtet werden;

Erhaltungszustand als Erhaltungsgrad der Struktur und der Funktionen des betreffenden natürlichen Lebensraumtyps und seiner Wiederherstellungsmöglichkeiten.

Ähnliche Erwägungen können in Bezug auf Habitate der Arten (z. B. Feuchtgebiete als Lebensräume für Vögel) von Bedeutung sein. Jede Beeinträchtigung dieser für die langfristige Erhaltung der Lebensräume und der Habitate der Arten erforderlichen Faktoren kann als Verschlechterung betrachtet werden, d. h., Verschlechterungen können nicht nur durch die physische Verringerung der Größe eines Lebensraums, sondern auch durch den Verlust eines Qualitätsmerkmals (z. B. der Eignung als Brut-, Nahrungs-, Ruhe-/Rast- oder Überwinterungsgebiet einer Art) verursacht werden.

Die erforderlichen Funktionen für die langfristige Erhaltung hängen natürlich vom jeweiligen Lebensraum ab. Es wird vorausgesetzt, dass die Mitgliedstaaten die betreffenden Erfordernisse kennen (etwa aufgrund von Studien oder Datenerhebungen), da sie nach Artikel 6 Absatz 1 Maßnahmen treffen müssen, „die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen“.

Ein Lebensraum innerhalb eines Gebiets verschlechtert sich dann, wenn die Fläche des jeweiligen Lebensraumtyps oder des Habitats der Arten, die in diesem Gebiet vorkommen, oder die für die langfristige Erhaltung dieses Lebensraums oder des Status der mit diesem Lebensraum verbundenen Arten erforderliche spezifische Struktur und in diesem Zusammenhang erforderliche Funktionen gegenüber der Ausgangssituation oder der Situation nach der Wiederherstellung beeinträchtigt werden. Die betreffende Bewertung erfolgt anhand der Erhaltungsziele des Gebiets und seines Beitrags zur globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes.

3.5.2.   Störung von Arten

Im Unterschied zu Verschlechterungen beeinträchtigen Störungen die physischen Gegebenheiten eines Gebiets nicht unmittelbar. Sie wirken sich auf die in einem Gebiet vorkommenden Arten aus, können aber zeitlich beschränkt sein (Lärm, Lichtquellen usw.). Wichtige Parameter sind daher Intensität, Dauer, Häufigkeit und Wiederholungen der Störungen.

Um zu beurteilen, ob eine Störung gemessen an den Zielen der Richtlinie erheblich ist, kann die Definition eines günstigen Erhaltungszustandes einer Art in Artikel 1 Buchstabe i herangezogen werden. Dabei sind die folgenden Faktoren zu berücksichtigen:

Daten über die Populationsdynamik  — „[A]ufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art [ist]anzunehmen […], dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird.“

Ein Ereignis, eine Tätigkeit oder ein Prozess, der zum langfristigen Rückgang der Population einer Art auf dem Gebiet beiträgt, kann als erhebliche Störung betrachtet werden;

das natürliche Verbreitungsgebiet  — „[D]as natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art [nimmt] weder ab … noch [wird es] in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen …“

Ein Ereignis, eine Tätigkeit oder ein Prozess, der zu einer Verringerung der Verbreitung einer Art innerhalb des Gebiets beiträgt oder dazu beitragen könnte, kann als erhebliche Störung betrachtet werden;

ein genügend großer Lebensraum  — „[E]in genügend großer Lebensraum [ist] vorhanden … und [wird] wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein …, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern.“

Ein Ereignis, eine Tätigkeit oder ein Prozess, der zu einer Verringerung der Größe des verfügbaren Habitats der Art beiträgt, kann als erhebliche Störung betrachtet werden.

In diesem Zusammenhang können auch Wirkungen wie Lärm, Erschütterungen und die Isolierung von Teilpopulationen einer Art erhebliche Störungen einer Art verursachen. Wenn ein Mitgliedstaat daher nicht geeignete Maßnahmen trifft, um solche Einwirkungen zu verhindern, verstößt er gegen seine Verpflichtungen nach Artikel 6 Absatz 2 der Habitat-Richtlinie (Rechtssache C-404/09).

Faktoren wie die Intensität, die Häufigkeit und die Dauer einer Störung können bei der Bestimmung ihrer Signifikanz berücksichtigt werden. Diese kann je nach Art und je nach Zeitpunkt und anderen Gegebenheiten (z. B. Nahrungsangebot oder Verfügbarkeit ausreichender ungestörter Gebiete in der näheren Umgebung) unterschiedlich sein.

Störungen einer Art innerhalb eines Gebiets können durch Ereignisse, Tätigkeiten oder Prozesse bedingt sein, die in dem Gebiet zu einem langfristigen Rückgang der Population einer Art, zur (potenziellen) Verringerung ihrer Verbreitung und zur Verringerung des für diese Art verfügbaren Lebensraums beitragen. Die betreffende Bewertung erfolgt anhand der Erhaltungsziele des Gebiets und seines Beitrags zur globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes.

4.   ARTIKEL 6 ABSATZ 3

Erläuterung der Begriffe Plan oder Projekt, Wahrscheinlichkeit erheblicher Auswirkungen, Verträglichkeitsprüfung, Erhaltungsziele eines Gebiets, kumulative Auswirkungen, zuständige Behörden, Anhörung der Öffentlichkeit und Integrität des Gebiets

4.1.   WORTLAUT

„Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.“

4.2.   ANWENDUNGSBEREICH

Zweck und Kontext der Absätze 3 und 4 des Artikels 6 sind in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 (bzw. im Hinblick auf BSG nach der Vogelschutzrichtlinie mit Artikel 3 Absätze 1 und 2 und mit Artikel 4 der Vogelschutzrichtlinie) und mit Artikel 6 Absatz 2 zu verstehen. Insbesondere ist zu beachten, dass auch Initiativen oder Tätigkeiten, bei denen festgestellt wurde, dass sie nicht unter Artikel 6 Absatz 3 fallen, mit den übrigen oben genannten Bestimmungen vereinbar sein müssen.

Tätigkeiten, die zu den Erhaltungszielen eines Gebiets beitragen oder damit vereinbar sind, können bereits Gegenstand von Artikel 6 Absätze 1 und 2 sein. Dies gilt beispielsweise für traditionelle landwirtschaftliche Verfahren, die für die Erhaltung bestimmter Lebensraumtypen und Arten von Bedeutung sind. Die Bestimmungen von Artikel 6 Absätze 3 und 4 stellen eine Genehmigungsregelung dar, mit der die Rahmenbedingungen für die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von Plänen und Projekten mit negativen Auswirkungen festgelegt werden. Mit diesen Bestimmungen wird also gewährleistet, dass negative wirtschaftliche und sonstige nicht ökologische Erfordernisse und die Erhaltungsziele in vollem Umfang gegeneinander abgewogen werden können.

Artikel 6 Absatz 3 beschreibt ein schrittweises Verfahren für die Prüfung von Plänen und Projekten (39).

a)

Der erste Teil dieses Verfahrens besteht aus einer Vorabprüfung („Screening“), um festzustellen, ob der Plan oder das Projekt erstens mit der Bewirtschaftung des Gebiets unmittelbar in Zusammenhang steht oder für die Bewirtschaftung erforderlich ist, und zweitens das Gebiet erheblich beeinträchtigen könnte; dieser Teil des Verfahrens unterliegt Artikel 6 Absatz 3 Satz 1.

b)

Der zweite Teil des Verfahrens (Artikel 6 Absatz 3 Satz 2) betrifft die Verträglichkeitsprüfung und die Entscheidung der zuständigen einzelstaatlichen Behörden.

Ein dritter Teil des Verfahrens (Artikel 6 Absatz 4) kommt dann zum Tragen, wenn ungeachtet eines negativen Ergebnisses vorgeschlagen wird, einen Plan oder ein Projekt nicht abzulehnen, sondern weiter in Betracht zu ziehen. Für diesen Fall sieht Artikel 6 Absatz 4 unter bestimmten Bedingungen Ausnahmen von Artikel 6 Absatz 3 vor.

Für die Anwendbarkeit des Verfahrens und den Umfang, in dem das Verfahren zur Anwendung kommt, sind mehrere Faktoren maßgeblich. Dabei hängt jeder einzelne Schritt vom jeweils vorhergehenden Schritt ab. Daher ist die Reihenfolge der Schritte von entscheidender Bedeutung für die ordnungsgemäße Anwendung von Artikel 6 Absatz 3.

Hinsichtlich des geografischen Anwendungsbereichs beschränken sich die Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 3 nicht auf Pläne und Projekte, die ausschließlich in einem geschützten Gebiet stattfinden bzw. sich auf dieses beziehen; sie erstrecken sich auch auf Entwicklungen, die sich zwar außerhalb des Gebiets vollziehen, dieses aber unabhängig von der Entfernung vom betreffenden Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten (Rechtssachen C-98/03, Rn. 51, und C-418/04, Rn. 232 und 233).

Zudem hat der Gerichtshof festgestellt, dass Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie nicht einer verstärkten einzelstaatlichen Schutzmaßnahme entgegensteht, die beispielsweise ohne eine Prüfung der Umweltauswirkungen des jeweiligen Projekts oder Plans auf das betreffende Natura-2000-Gebiet ein uneingeschränktes Verbot einer bestimmten Art von Tätigkeiten vorsieht (Rechtssache C-2/10, Rn. 39-75).

Artikel 6 Absatz 3 beschreibt ein schrittweises Verfahren für die Prüfung von Plänen und Projekten, die ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten. Tätigkeiten, die nicht unter Artikel 6 Absatz 3 fallen, müssen die Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 1 — bzw. bei BSG die Bestimmungen von Artikel 3 und Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie — und von Artikel 6 Absatz 2 der Habitat-Richtlinie erfüllen.

4.3.   DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN DEN ABSÄTZEN 2 UND 3 DES ARTIKELS 6

Die Absätze 2 und 3 des Artikels 6 sollen beide nachteilige Auswirkungen auf ein Gebiet verhindern. Artikel 6 Absatz 2 zielt darauf ab, eine „Verschlechterung … sowie Störungen … zu vermeiden, sofern solche Störungen sich … erheblich auswirken könnten“. Ziel von Artikel 6 Absatz 3 ist die Vermeidung der Genehmigung von Plänen oder Projekten, die ein „Gebiet als solches … [beeinträchtigen]“ könnten. Insoweit ähneln die Ziele einander weitgehend. Allerdings ist daran zu erinnern, dass die Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 2 jederzeit gelten, während die Bestimmungen nach Artikel 6 Absatz 3 erst dann zum Tragen kommen, wenn ein Plan oder ein Projekt beantragt wird, der bzw. das erhebliche Auswirkungen auf ein Gebiet haben könnte. Da mit beiden Absätzen dasselbe übergeordnete Ziel verfolgt wird, ist davon auszugehen, dass ein nach Artikel 6 Absatz 3 genehmigter Plan bzw. ein nach Artikel 6 Absatz 3 genehmigtes Projekt auch die Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 2 erfüllt, sofern sich nicht später herausstellt, dass der Plan bzw. das Projekt den betreffenden Lebensraum verschlechtern und/oder die Arten stören kann, für die das jeweilige Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde.

Der Gerichtshof hat dies in der Rechtssache C-127/02, Rn. 35-37, bestätigt: „Ist ein Plan oder ein Projekt nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie genehmigt worden, so wird damit, was den Einfluss dieses Planes oder Projektes auf das betreffende Schutzgebiet angeht, eine gleichzeitige Anwendung der allgemeinen Schutznorm Artikel 6 Absatz 2 überflüssig. Denn die nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie erteilte Genehmigung eines Planes oder Projektes setzt notwendigerweise voraus, dass befunden worden ist, dass der Plan oder das Projekt das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtigt und daher auch nicht geeignet ist, Verschlechterungen oder erhebliche Störungen im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 hervorzurufen.

Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich ein solcher Plan oder ein solches Projekt später — auch wenn kein von den zuständigen nationalen Behörden zu vertretender Fehler vorliegt — als geeignet erweist, solche Verschlechterungen oder Störungen hervorzurufen. Unter diesen Umständen erlaubt es Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie, dem wesentlichen Ziel der Erhaltung und des Schutzes der Qualität der Umwelt einschließlich des Schutzes der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im Sinne der ersten Begründungserwägung der Richtlinie zu entsprechen.“

Wenn jedoch ein Plan oder ein Projekt genehmigt wurde, der bzw. das die Anforderungen von Artikel 6 Absatz 3 nicht erfüllt, kann ein Verstoß gegen Artikel 6 Absatz 2 vorliegen, wenn eine Verschlechterung eines Lebensraums oder eine Störung der Arten festgestellt wurde, für die das in Rede stehende Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde (Rechtssachen C-304/05, C-388/05, C-404/09 und C-141/14).

Entsprechendes gilt für alle Projekte und Tätigkeiten, die vor der Aufnahme von Gebieten in die Liste von GGB oder der Einstufung von Gebieten als BSG genehmigt wurden und bei denen keine Verpflichtung zur Bewertung der Auswirkungen auf Lebensraumtypen und Arten nach Artikel 6 Absatz 3 besteht, die aber die Gebiete als solche beeinträchtigen könnten. Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Habitat-Richtlinie sind als kohärentes Ganzes auszulegen und sollen das gleiche Schutzniveau für natürliche Lebensräume und für Habitate von Arten gewährleisten (Rechtssachen C-258/11, C-521/12, C-399/14, C-387 und C-388/15).

Wenn sich aus Artikel 6 Absatz 2 die Verpflichtung zur anschließenden Prüfung der Auswirkungen eines Plans oder eines Projekts auf das betroffene Gebiet ergibt, ist diese Prüfung daher nach Maßgabe von Artikel 6 Absatz 3 durchzuführen (Rechtssache C-399/14, Rn. 54).

Artikel 6 Absatz 3 ist nicht auf Tätigkeiten anzuwenden, die genehmigungspflichtig gewesen wären, aber nicht genehmigt wurden und somit rechtswidrig durchgeführt wurden. Diese Tätigkeiten können Folgen haben, mit denen gegen Artikel 6 Absatz 2 verstoßen wird; in diesen Fällen sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, nach Maßgabe dieser Bestimmung zu verfahren (Rechtssache C-504/14).

4.4.   WAS IST UNTER DER FORMULIERUNG „PLÄNE ODER PROJEKTE, DIE NICHT UNMITTELBAR MIT DER VERWALTUNG DES GEBIETS IN VERBINDUNG STEHEN ODER HIERFÜR NICHT NOTWENDIG SIND“ ZU VERSTEHEN?

Da in der Habitat-Richtlinie die Begriffe „Plan“ und „Projekt“ nicht definiert sind, müssen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze gebührend beachtet werden; dies gilt insbesondere für den Grundsatz, dass eine einzelne Bestimmung des EU-Rechts nach ihrem Wortlaut sowie nach ihrem Zweck und Kontext auszulegen ist.

Zwei Argumente sprechen für eine weiter gefasste Auslegung der Begriffe „Plan“ und „Projekt“:

Erstens: In der Richtlinie werden weder der Anwendungsbereich eines „Plans“ noch der eines „Projekts“ unter Hinweis auf bestimmte Kategorien definiert. Die entscheidende Einschränkung ergibt sich vielmehr aus der Frage, ob sie ein Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten.

Zweitens: Als logische Folge aus der weiterhin gegebenen Anwendbarkeit von Artikel 6 Absatz 2 auf Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 6 Absätze 3 und 4 fallen, ergibt sich, dass die Möglichkeiten für eine Abwägung zwischen Erhaltungsinteresse und Schaden verursachendem, nicht der Erhaltung dienendem Interesse und damit der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 (d. h. der Vermeidung einer Verschlechterung oder Störung) potentiell um so eingeschränkter sind, je enger die Begriffe „Plan“ und „Projekt“ gefasst werden.

4.4.1.   Projekt

Für eine weiter gefasste Definition des Begriffs „Projekt“ spricht auch ein Vergleich mit Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (40) (im Folgenden „UVP-Richtlinie“). Diese Richtlinie gilt in einem ähnlichen Zusammenhang und enthält Vorschriften für die Prüfung von Projekten, die sich erheblich auf die Umwelt auswirken können. In Artikel 1 Absatz 2 der UVP-Richtlinie wird der Begriff „Projekt“ wie folgt definiert:

„—

die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen, — sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen“.

Dabei handelt es sich erkennbar um eine sehr allgemeine Definition (Rechtssache C-72/95, Kraaijeveld, Rn. 30 und 31), die sich nicht auf physische bauliche Anlagen beschränkt. Diese Definition kann sich beispielsweise auch auf Eingriffe in die natürliche Umwelt einschließlich regelmäßiger Tätigkeiten zur Nutzung natürlicher Ressourcen beziehen (41). Dies gilt beispielsweise für eine erhebliche Intensivierung der Landwirtschaft, durch die der naturnahe Charakter eines Gebiets möglicherweise beschädigt oder zerstört wird (42).

Der Gerichtshof hat einige Urteile zur Art der Eingriffe erlassen, auf die Artikel 6 Absatz 3 anzuwenden ist.

In der Rechtssache Waddenzee (C-127/02, Rn. 25-29) wurde klargestellt, dass Tätigkeiten, die auf dem betreffenden Gebiet über mehrere Jahre regelmäßig ausgeübt wurden, für die jedoch jedes Jahr eine Lizenz für einen beschränkten Zeitraum erteilt wird — wobei jedes Mal aufs Neue beurteilt wird, ob und, wenn ja, in welchem Gebiet diese Tätigkeiten ausgeübt werden dürfen —, nicht für sich allein daran hindern, diese Tätigkeiten bei jeder Antragstellung als gesonderten Plan oder gesondertes Projekt im Sinne der Habitat-Richtlinie zu betrachten.

In der Rechtssache Papenburg (C-226/08, Rn. 50 und 51) erläuterte der Gerichtshof ferner: „… fortlaufende Unterhaltungsmaßnahmen in der Fahrrinne von Ästuarien, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind …, [sind] bei ihrer Fortsetzung nach Aufnahme des Gebiets in die Liste der GGB gemäß Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 3 dieser Richtlinie einer Verträglichkeitsprüfung nach deren Art. 6 Abs. 3 und 4 zu unterziehen …, soweit sie ein Projekt darstellen und das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten.

Wenn diese Unterhaltungsmaßnahmen u. a. im Hinblick darauf, dass sie wiederkehrend anfallen, auf ihre Art oder auf die Umstände ihrer Ausführung als einheitliche Maßnahme betrachtet werden können, insbesondere, wenn sie den Zweck haben, eine bestimmte Tiefe der Fahrrinne durch regelmäßige und hierzu erforderliche Ausbaggerungen beizubehalten, können sie als ein einziges Projekt im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie angesehen werden.

Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Möglichkeit der allgemeinen Befreiung bestimmter Tätigkeiten mit den Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 3 im Einklang steht (C-256/98, C-6/04, C-241/08, C-418/04 und C-538/09). Ferner erläuterte der Gerichtshof, dass Projekte nicht allein deshalb von der Verpflichtung zur Durchführung einer Prüfung befreit werden dürfen, weil sie nicht genehmigungspflichtig sind (Rechtssache C-98/03, Rn. 43-52).

Der Gerichtshof stellte fest, dass der Umfang eines Projekts nicht relevant ist, da der Umfang an sich nicht ausschließt, dass ein Projekt erhebliche Auswirkungen auf ein geschütztes Gebiet hat (Rechtssachen C-98/03, C-418/04, Rn. 244).

4.4.2.   Plan

Auch der Begriff „Plan“ kann für die Zwecke von Artikel 6 Absatz 3 sehr allgemein ausgelegt werden. Analog kann die Begriffsbestimmung in Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (43) (im Folgenden „SUP-Richtlinie“) herangezogen werden, in der Pläne und Programme wie folgt definiert werden:

„Pläne und Programme, einschließlich der von der Europäischen Gemeinschaft mitfinanzierten, sowie deren Änderungen,

die von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder die von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und

die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“.

Diesbezüglich hat der Gerichtshof festgestellt: „In Anbetracht des Ziels der Richtlinie 2001/42, das darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen, sind die Bestimmungen, die den Geltungsbereich dieser Richtlinie abgrenzen , und insbesondere jene, die die Definitionen der von ihr erfassten Rechtsakte aufführen, jedoch weit auszulegen “(Rechtssache C-567/10, Rn. 24-43).

Die Bedeutung von Landnutzungs- und Raumordnungsplänen nach der Habitat-Richtlinie liegt auf der Hand. Einige Pläne haben unmittelbare rechtliche Auswirkungen auf die Landnutzung, bei anderen ergeben sich nur indirekte Auswirkungen. Beispielsweise werden Regionalpläne bzw. Pläne für ausgedehntere geografische Gebiete häufig nicht direkt angewendet, sondern bilden die Grundlage für detailliertere Pläne oder dienen als Rahmen für die Erteilung von Genehmigungen, die dann wiederum unmittelbare rechtliche Auswirkungen haben. Bei beiden Arten von Landnutzungsplänen ist davon auszugehen, dass sie in den Anwendungsbereich von Artikel 6 Absatz 3 in dem Sinne fallen, dass von ihnen erhebliche Auswirkungen auf ein Natura-2000-Gebiet ausgehen dürften.

Der Gerichtshof hat diese Auffassung mit der Feststellung bestätigt, dass durch Landnutzungspläne, auch wenn mit ihnen als solche keine Entwicklungsvorhaben genehmigt werden und diese noch einer im üblichen Verfahren zu erteilenden Genehmigung bedürfen, doch die Genehmigungsentscheidungen erheblich beeinflusst werden (Rechtssache C-6/04, Rn. 52). Daher müssen Landnutzungspläne einer Verträglichkeitsprüfung ihrer Auswirkungen auf das betroffene Gebiet unterzogen werden (siehe auch Rechtssache C-418/04).

Auch bei sektorspezifischen Plänen kann davon ausgegangen werden, dass sie in den Anwendungsbereich von Artikel 6 Absatz 3 fallen, da sie Natura-2000-Gebiete erheblich beeinträchtigen könnten. Als Beispiele lassen sich Verkehrswegepläne, Energiepläne, Abfallentsorgungspläne und Wasserwirtschafts- und Waldbewirtschaftungspläne anführen (siehe Rechtssache C-441/17, Rn. 122-124).

Allerdings muss eine Abgrenzung gegenüber „Plänen“ vorgenommen werden, die ihrem Wesen nach Absichtserklärungen, d. h. politische Dokumente sind, die den allgemeinen politischen Willen oder die allgemeine politische Absicht eines Ministeriums oder einer untergeordneten Behörde widerspiegeln. Ein Beispiel wäre etwa ein allgemeiner Plan für eine nachhaltige Entwicklung im gesamten Territorium eines Mitgliedstaats oder in einer Region. Deren Behandlung als „Pläne“ im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 dürfte unangebracht sein, vor allem dann, wenn aus diesen politischen Absichtserklärungen abgeleitete Maßnahmen nur mittels eines Landnutzungsplans oder eines sektorspezifischen Plans umgesetzt werden können (Rechtssache C-179/06, Rn. 41) (44). In Fällen, in denen ein sehr deutlicher und unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Inhalt einer solchen Maßnahme und möglichen erheblichen Auswirkungen auf ein Natura-2000-Gebiet gegeben ist, sollte Artikel 6 Absatz 3 jedoch angewendet werden.

Beinhaltet ein Plan allgemein eines oder mehrere spezifische Projekte, aber keine Einzelheiten zu den betreffenden Projekten, so bewirkt die auf der Planungsebene vorgenommene Prüfung nicht, dass die spezifischen Projekte in einem späteren Stadium, in dem deutlich mehr Einzelheiten über die Projekte bekannt sind, von den Prüfungsanforderungen nach Artikel 6 Absatz 3 ausgenommen wären (45).

4.4.3.   Nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind …

Nach Kontext und Zweck von Artikel 6 ist der Begriff „Verwaltung“ in dem Sinne auszulegen, dass er sich auf die „Erhaltungsbewirtschaftung“ eines Gebiets bezieht, d. h., der Begriff „Verwaltung“ ist im Sinne der Auslegung in Artikel 6 Absatz 1 zu verstehen. Eine unmittelbar mit der Erfüllung der Erhaltungsziele in Verbindung stehende und dazu erforderliche Tätigkeit ist somit von der Verpflichtung zur Durchführung einer Prüfung ausgenommen.

Durch Einführung der Möglichkeit der Erstellung von Bewirtschaftungsplänen räumt Artikel 6 Absatz 1 den Mitgliedstaaten einige Flexibilität hinsichtlich der Gestaltung dieser Pläne ein. Die Pläne können entweder ausdrücklich für die Gebiete entwickelt oder in andere Entwicklungspläne einbezogen werden. Daher kann sowohl ein „reiner“ Bewirtschaftungsplan ausschließlich mit Erhaltungszielen als auch ein „gemischter“ Plan erstellt werden, der neben Erhaltungszielen auch andere Ziele beinhaltet.

Durch die Formulierung „nicht unmittelbar [mit der Verwaltung des Gebiets] in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind …“ ist gewährleistet, dass auch ein nicht der Erhaltung dienender Bestandteil eines Plans oder Projekts, zu dessen Zielen u. a. die Erhaltungsbewirtschaftung gehört, einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden kann.

Beispielsweise kann der kommerzielle Holzeinschlag Bestandteil eines Erhaltungszwecken dienenden Bewirtschaftungsplans für ein als besonderes Schutzgebiet ausgewiesenes Waldgebiet sein. Soweit der kommerzielle Aspekt für die Erhaltungsbewirtschaftung des Gebiets nicht erforderlich ist, muss er möglicherweise einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden.

Der Gerichtshof hat sich dieser Auffassung angeschlossen (Rechtssache C-241/08, Rn. 55) und festgestellt: „Somit kann die bloße Vereinbarkeit der Natura-2000-Verträge mit den Erhaltungszielen für das Gebiet nicht als im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie ausreichend angesehen werden, um die in diesen Verträgen vorgesehenen Arbeiten, Gewerke oder Erschließungen grundsätzlich von der Verträglichkeitsprüfung zu befreien.

Unter Umständen wirken sich Pläne oder Projekte, die unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebiets in Verbindung stehen oder dazu erforderlich sind, auf ein anderes Gebiet aus.

Beispielsweise kann der Vorschlag zur Verbesserung des Hochwasserschutzes in einem Gebiet beinhalten, dass in einem anderen Gebiet ein Staudamm gebaut werden soll, der in diesem jedoch zu erheblichen Auswirkungen führen kann. In diesem Falle müsste der Plan bzw. das Projekt einer Verträglichkeitsprüfung im Hinblick auf das betroffene Gebiet unterzogen werden.

Außerdem wird in der Rechtssache C-441/17 (Rn. 123) ein Beispiel für einen Plan genannt, der ausschließlich eine Erhöhung des Hiebsatzes unter Durchführung von Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung in einem Natura-2000-Gebiet zum Gegenstand hat und nicht unmittelbar mit der Erhaltung in Zusammenhang steht, da er keine Erhaltungsziele oder -maßnahmen beschreibt und daher nach Artikel 6 Absatz 3 zu prüfen ist.

Der Begriff „Projekt“ sollte so allgemein ausgelegt werden, dass er sowohl bauliche Maßnahmen als auch sonstige Eingriffe in die Natur einschließt. Der Begriff „Plan“ ist ebenfalls weit gefasst und beinhaltet Landnutzungspläne und sektorspezifische Pläne oder Programme.

Die Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 3 sollten im Allgemeinen nicht auf Pläne und Projekte angewendet werden, die einzeln oder als Bestandteile anderer Pläne oder Projekte unmittelbar mit der Erhaltungsbewirtschaftung des Gebiets in Zusammenhang stehen. Die nicht erhaltungsbezogenen Bestandteile müssen hingegen möglicherweise einer Prüfung unterzogen werden.

4.5.   WIE KANN FESTGESTELLT WERDEN, OB PLÄNE ODER PROJEKTE „EIN SOLCHES GEBIET EINZELN ODER IN ZUSAMMENWIRKUNG MIT ANDEREN PLÄNEN UND PROJEKTEN ERHEBLICH BEEINTRÄCHTIGEN KÖNNTEN“?

Diese Formulierung beinhaltet einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung sowie den kumulativen Aspekt. Zum einen muss ermittelt werden, um welche Art von Beeinträchtigung es sich handelt („erhebliche Auswirkung“), und zum anderen muss geklärt werden, welche Arten von Ursachen möglicherweise zu diesen Beeinträchtigungen führen können („einzeln oder in Zusammenwirkung … beeinträchtigen könnten“).

Aus der Feststellung, ob ein Plan oder Projekt eine erhebliche Auswirkung haben könnte, ergeben sich praktische und rechtliche Konsequenzen. Daher muss immer dann, wenn ein Plan oder Projekt beantragt wird, zunächst das Grundanliegen geprüft und anschließend geklärt werden, ob diese Prüfung einer gründlichen Analyse durch Wissenschaftler und Experten standhält.

Pläne, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie wahrscheinlich keine erheblichen Auswirkungen haben werden, können unter Umgehung der in Artikel 6 Absatz 3 vorgesehenen weiteren Schritte bearbeitet werden. Allerdings müssen die Mitgliedstaaten eine solche nach einer Vorabprüfung getroffene Entscheidung begründen und diese Gründe protokollieren.

4.5.1.   … beeinträchtigen können …

Die Schutzbestimmungen in Artikel 6 Absatz 3 gehen weniger von der Gewissheit als vielmehr von der Wahrscheinlichkeit erheblicher Auswirkungen aus. Daher ist es nach dem Vorsorgegrundsatz nicht hinnehmbar, allein aufgrund der Ungewissheit des Eintritts erheblicher Auswirkungen auf eine Prüfung zu verzichten.

Der Gerichtshof hat dies in der Rechtssache Waddenzee (C-127/02, Rn. 39-44) bestätigt: „Daher setzt die Auslösung des Mechanismus des Umweltschutzes in Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie … nicht die Gewissheit voraus, dass die Pläne oder Projekte das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen, sondern ergibt sich aus der bloßen Wahrscheinlichkeit, dass der Plan oder das Projekt solche Auswirkungen hat. … bei Zweifeln in Bezug auf das Fehlen erheblicher Auswirkungen [ist] eine solche Prüfung vorzunehmen … … Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie [ist] so auszulegen …, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, einer Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen zu unterziehen sind, wenn sich nicht anhand objektiver Umstände ausschließen lässt , dass sie dieses Gebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten.

Auch hier erweist es sich als hilfreich, die UVP-Richtlinie (2011/92/EU) heranzuziehen, denn die Formulierung „erheblich beeinträchtigen könnten“ ist nahezu identisch mit der grundlegenden Formulierung, mit der die UVP-Richtlinie (46) die Mitgliedstaaten zur Durchführung der Prüfung verpflichtet. Die UVP-Richtlinie ist auch bei der Festlegung einer Reihe von Faktoren hilfreich, die zum Eintritt einer erheblichen Beeinträchtigung beitragen können (47). Bei sämtlichen Anträgen, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie einer Prüfung nach der UVP-Richtlinie unterzogen werden müssen, weil unter anderem mit einer erheblichen Auswirkung auf ein Natura-2000-Gebiet zu rechnen ist, kann auch angenommen werden, dass sie der in Artikel 6 Absatz 3 formulierten Verpflichtung zur Durchführung der Prüfung unterliegen (48).

Bei der Ermittlung der Wahrscheinlichkeit erheblicher Auswirkungen und damit der Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung können Abschwächungsmaßnahmen (d. h. Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung nachteiliger Auswirkungen) nicht berücksichtigt werden. Der Gerichtshof hat dies in seinem Urteil in der Rechtssache C-323/17 bestätigt: „Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen ist dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob es erforderlich ist, anschließend eine Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem betroffenen Gebiet durchzuführen, Maßnahmen, die die nachteiligen Auswirkungen dieses Plans oder Projekts auf das betroffene Gebiet vermeiden oder vermindern sollen, während der vorhergehenden Vorprüfungsphase nicht berücksichtigt werden dürfen“ (49).

Die Möglichkeit erheblicher Auswirkungen kann sich nicht nur aufgrund von Plänen oder Projekten innerhalb eine Schutzgebiets, sondern auch aus Plänen oder Projekten außerhalb von Schutzgebieten ergeben (Rechtssache C-142/16, Rn. 29). Ein Feuchtgebiet könnte beispielsweise durch ein Entwässerungsprojekt in einiger Entfernung vom eigentlichen Feuchtgebiet beschädigt werden, oder ein Gebiet könnte durch die Emission von Schadstoffen aus einer externen Quelle beeinträchtigt werden. Daher müssen die Mitgliedstaaten sowohl in ihrer Gesetzgebung als auch in der Praxis dafür Sorge tragen, dass die Schutzmechanismen nach Artikel 6 Absatz 3 bei allen Belastungen im Zusammenhang mit Entwicklungsmaßnahmen zur Anwendung kommen. (Dies gilt auch für Maßnahmen außerhalb von Natura-2000-Gebieten, die sich erheblich auf ein Natura-2000-Gebiet auswirken könnten.)

Dabei sind auch mögliche grenzüberschreitende Auswirkungen zu berücksichtigen. Wenn ein Plan oder ein Projekt in einem Land einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten ein Natura-2000-Gebiet in einem anderen Land erheblich beeinträchtigen könnte, ist eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, bei der unter anderem die möglichen Auswirkungen auf die Integrität der jeweiligen Natura-2000-Gebiete auch in dem anderen Land zu berücksichtigen sind.

Grenzüberschreitende Pläne und Projekte, d. h., Pläne oder Projekte, die nicht nur in einem einzigen Mitgliedstaat durchgeführt werden (beispielsweise die Verlegung von Pipelines oder Kabeln oder der Bau von Brücken oder Tunneln), sollten entsprechend behandelt werden. Dabei ist sicherzustellen, dass alle potenziellen Auswirkungen auf Natura-2000-Gebiete berücksichtigt werden. Dazu (sowie zur Vermeidung von Doppelarbeit) sollten die zuständigen Behörden ihre Prüfungen koordinieren.

Diese Empfehlung steht im Einklang mit dem Espoo-Übereinkommen und dem Protokoll über die strategische Umweltprüfung zum Espoo-Übereinkommen (SUP-Protokoll) (50), die in der EU nach Maßgabe der UVP- und der SUP-Richtlinie (51) umzusetzen sind. Da diese Richtlinien für Pläne und Projekte gelten, bei denen möglicherweise auch eine Prüfung nach Artikel 6 der Habitat-Richtlinie vorzunehmen ist, müssen bei nach Maßgabe der Habitat-Richtlinie durchzuführenden Verträglichkeitsprüfungen nach den maßgeblichen Bestimmungen dieser Richtlinien auch grenzüberschreitende Auswirkungen berücksichtigt werden.

Das Verfahren nach Artikel 6 Absatz 3 wird nicht durch die Gewissheit, sondern vielmehr durch die Wahrscheinlichkeit erheblicher Auswirkungen aufgrund eines Plans oder Projekts ausgelöst. Dabei ist unerheblich, ob der Plan oder das Projekt innerhalb oder außerhalb eines Schutzgebiets durchgeführt werden. Diese Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn auf dem betreffenden Gebiet erhebliche Auswirkungen nicht ausgeschlossen werden können. In diesem Stadium können Abschwächungsmaßnahme nicht berücksichtigt werden. Grenzüberschreitende Auswirkungen sind zu prüfen.

4.5.2.   … erhebliche Auswirkungen …

Über die Frage, was unter einer „erheblichen“ Auswirkung zu verstehen ist, kann nicht nach eigenem Ermessen entschieden werden. Zum einen wird der Begriff in der Richtlinie in einem konkreten Zusammenhang benutzt (d. h., er ist nicht durch ins freie Ermessen gestellte Formulierungen gekennzeichnet). Zum anderen bedarf es eines einheitlichen Ansatzes in der Frage, was „erheblich“ ist, um die Kohärenz des Natura-2000-Netzes zu gewährleisten.

Zwar muss der Anwendungsbereich des Begriffs „erheblich“ ausgelegt werden, doch lässt sich eine solche Objektivität nicht von den spezifischen Merkmalen des von dem Plan oder Projekt betroffenen Gebiets und von den dort herrschenden Umweltbedingungen trennen. In diesem Zusammenhang können die Erhaltungsziele in einem Gebiet sowie ältere Informationen oder Basisdaten über das Gebiet von großer Bedeutung für die genauere Ermittlung von Erfordernissen im Bereich der Erhaltung sein (Rechtssache C-127/02, Rn. 46-48).

Einige dieser Informationen sind dem Standard-Datenbogen zu entnehmen, der in Verbindung mit der Auswahl eines Gebiets nach der Habitat-Richtlinie bzw. der Vogelschutzrichtlinie auszufüllen ist (siehe Abschnitt 3.5.1). In den Mitgliedstaaten liegen möglicherweise auch detaillierte, der Erhaltung dienende Bewirtschaftungspläne vor, aus denen hervorgeht, wie Lebensräume und Arten innerhalb eines Gebiets jeweils auf unterschiedliche Bedrohungen reagieren.

Die Signifikanz hängt von Faktoren wie etwa Größenordnung, Art, Umfang, Dauer, Intensität, Zeitraum und Wahrscheinlichkeit sowie von kumulativen Auswirkungen und von der Anfälligkeit der betroffenen Lebensräume und Arten ab.

Daher können Auswirkungen für ein Gebiet erheblich sein, die in einem anderen Gebiet möglicherweise unerheblich sind.

Beispielsweise kann der Verlust einer 100 m2 großen Fläche in einem kleinen Gebiet mit einer seltenen Orchideenart erheblich sein, während ein Verlust in vergleichbarer Größenordnung in einem großen Steppengebiet vielleicht nicht ins Gewicht fällt.

Der Begriff der „Erheblichkeit“ ist objektiv auszulegen. Gleichzeitig sollte die Signifikanz von Auswirkungen nach den spezifischen Merkmalen und Umweltbedingungen des von dem Plan bzw. Projekt betroffenen Schutzgebiets und den dort herrschenden Umweltbedingungen beurteilt werden, wobei besonders die Erhaltungsziele und die ökologischen Merkmale des Gebiets zu berücksichtigen sind.

4.5.3.   … einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten …

Aus mehreren, für sich allein genommen geringen Auswirkungen kann durch Zusammenwirkung eine erhebliche Auswirkung erwachsen. Der Gerichtshof hat festgestellt: „[D]ie Nichtberücksichtigung der kumulativen Wirkung von Projekten [hat] praktisch zur Folge …, dass sämtliche Projekte einer bestimmten Art der Verträglichkeitsprüfung entzogen werden können, obgleich sie zusammengenommen möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben“ (C-418/04, C-392/96, Rn. 76 und 82).

Mit Artikel 6 Absatz 3 wird versucht, diesem Problem zu begegnen, indem die Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten berücksichtigt wird. Zu der Frage, welche anderen Pläne und Projekte in den Anwendungsbereich der Bestimmung über die Zusammenwirkung fallen, werden in Artikel 6 Absatz 3 keine klaren Aussagen getroffen.

Wichtig ist die Feststellung, dass mit dieser Bestimmung über die Zusammenwirkung kumulative Auswirkungen berücksichtigt werden sollen, die häufig erst im Laufe der Zeit entstehen. In diesem Zusammenhang können Pläne und Projekte geprüft werden, die abgeschlossen bzw. genehmigt, aber noch nicht abgeschlossen oder erst beantragt wurden.

 

Zusätzlich zu den Auswirkungen dieser Pläne oder Projekte, die vorrangiger Gegenstand der Prüfung sind, müssen auf dieser „zweiten Stufe“ der Prüfung unter Umständen die Auswirkungen bereits abgeschlossener Pläne und Projekte einschließlich Plänen und Projekten aus der Zeit vor der Umsetzung der Richtlinie bzw. vor der Ausweisung als Schutzgebiet berücksichtigt werden (siehe z. B. Rechtssache C-142/16, Rn. 61 und 63). Obwohl bereits abgeschlossene Pläne und Projekte von den in Artikel 6 Absatz 3 formulierten Prüfungsanforderungen ausgenommen sind, ist es dennoch wichtig, diese bis zu einem gewissen Grade in die Verträglichkeitsprüfung einzubeziehen, um festzustellen, ob sich aus einem laufenden Projekt in Zusammenwirkung mit bereits abgeschlossenen Plänen oder Projekten kumulative Auswirkungen ergeben können. Die Auswirkungen solcher bereits abgeschlossener Pläne oder Projekte sind in der Regel Bestandteil der in diesem Stadium zu berücksichtigenden Ausgangsbedingungen eines Gebiets (52).

Bereits genehmigte Pläne und Projekte, die noch nicht durchgeführt oder abgeschlossen wurden, sollten bei der Bestimmung über die Zusammenwirkung berücksichtigt werden.

Aus Gründen der Rechtssicherheit dürfte es angebracht sein, die Anwendung der Bestimmung über die Zusammenwirkung auf jene anderen Pläne und Projekte zu beschränken, die tatsächlich beantragt worden sind, d. h. für die ein Genehmigungsantrag gestellt wurde. Gleichzeitig muss klargestellt werden, dass die Mitgliedstaaten durch die Prüfung eines beantragten Plans oder Projekts keine Vermutung einer Bevorzugung anderer, noch nicht beantragter künftiger Pläne oder Projekte begründen.

Wenn beispielsweise davon ausgegangen wird, dass die Erschließung eines Wohngebiets nicht mit erheblichen Beeinträchtigungen verbunden sein und sie daher genehmigt wird, sollte die Genehmigung keinen Anlass zu der Vermutung geben, dass weitere Wohngebietserschließungen in der Zukunft generell genehmigt würden.

Außerdem ist festzustellen, dass die Pflicht zur Prüfung kumulativer Auswirkungen sich nicht auf die Prüfung ähnlicher Arten von Plänen oder Projekten in jeweils demselben Tätigkeitssektor (z. B. einer Reihe von Wohnungsbauvorhaben) beschränkt. Alle Arten von Plänen oder Projekten die in Zusammenwirkung mit dem zu prüfenden Plan oder Projekt erhebliche Auswirkungen haben könnten, sollten bei der Prüfung berücksichtigt werden.

Bei der Prüfung sollten ferner die kumulativen Auswirkungen nicht nur in Zusammenwirkung jeweils von Projekten und von Plänen, sondern auch in der Wechselwirkung von Projekten und Plänen beachtet werden. Ein neues Projekt zum Bau einer großen Autobahn durch ein Gebiet beeinträchtigt das Gebiet für sich genommen vielleicht nicht. In Verbindung mit einer bereits genehmigten Planung für ein Wohnungsbauvorhaben in diesem Gebiet sind die Auswirkungen möglicherweise jedoch so erheblich, dass doch von einer Beeinträchtigung des Gebiets auszugehen ist. Andererseits hat ein Plan für sich genommen vielleicht keine erhebliche Auswirkungen auf Natura-2000-Gebiete; in Verbindung mit einem bereits beantragten oder genehmigten umfangreichen Erschließungsvorhaben, das nicht Bestandteil dieses Plans ist, muss der Plan möglicherweise aber anders bewertet werden.

Potenzielle kumulative Auswirkungen sollten auf der Grundlage solider Ausgangsdaten und nicht ausschließlich anhand qualitativer Kriterien bewertet werden. Außerdem sollten diese Auswirkungen im Rahmen der umfassenden Prüfung beachtet und nicht bloß „im Nachgang“ am Ende des Prüfungsprozesses berücksichtigt werden.

In die Ermittlung möglicher erheblicher Auswirkungen sollte auch die Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten einbezogen werden, damit kumulative Auswirkungen berücksichtigt werden können. Die Bestimmung über die Zusammenwirkung ist auf andere Pläne und Projekte anzuwenden, die bereits abgeschlossen wurden bzw. die genehmigt, aber noch nicht abgeschlossen oder erst beantragt wurden.

4.6.   WAS BEDEUTET DIE FORMULIERUNG „PRÜFUNG AUF VERTRÄGLICHKEIT MIT DEN FÜR DIESES GEBIET FESTGELEGTEN ERHALTUNGSZIELEN“?

4.6.1.   Was bedeutet der Begriff „Verträglichkeitsprüfung“?

Mit der Verträglichkeitsprüfung sollen die Auswirkungen eines Plans oder Projekts für sich genommen oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten in Bezug auf die Erhaltungsziele des Gebiets bewertet werden. Aufgrund der Schlussfolgerungen der Prüfung sollten die zuständigen Behörden beurteilen können, ob ein Plan oder Projekt ein Gebiet als solches beeinträchtigt. Die Verträglichkeitsprüfung konzentriert sich daher gezielt auf die Arten und/oder Lebensräume, für die das jeweilige Gebiet als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen wurde.

In seinem Urteil in der Rechtsache Waddenzee (C-127/02, Rn. 52-54 und 59) hat der Gerichtshof die Bedeutung der Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Durchführung von Verträglichkeitsprüfungen betont, damit die zuständigen Behörden mit Gewissheit feststellen können, dass ein Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird:

Zum Begriff ‚Prüfung auf Verträglichkeit‘ im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie ist auszuführen, dass diese Richtlinie keine besondere Methode für die Durchführung einer solchen Prüfung festlegt. Doch hat nach dem Wortlaut dieser Bestimmung eine Prüfung der Verträglichkeit der Pläne oder Projekte für das Gebiet deren Genehmigung vorauszugehen und die Gesamtwirkungen aus der Kombination dieser Pläne oder Projekte mit anderen Plänen oder Projekten im Hinblick auf die für das betreffende Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu berücksichtigen.

Eine solche Prüfung setzt somit voraus, dass unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse sämtliche Gesichtspunkte des Planes oder des Projektes zu ermitteln sind, die für sich oder in Verbindung mit anderen Plänen oder Projekten diese Ziele beeinträchtigen könnten .“

Die zuständigen Behörden dürfen unter Berücksichtigung der Prüfung [des Plans oder Projekts auf das betreffende Gebiet] auf Verträglichkeit mit den für das betreffende Gebiet festgelegten Erhaltungszielen diese Tätigkeit nur dann genehmigen, wenn sie Gewissheit darüber erlangt haben, dass sie sich nicht nachteilig auf dieses Gebiet als solches auswirkt. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt.

Prüfungen, die sich auf allgemeine Beschreibungen und eine oberflächliche Berücksichtigung vorhandener Daten über die „Natur“ in einem Gebiet beschränken, können daher nicht als Prüfung der „Verträglichkeit“ im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 betrachtet werden. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Verträglichkeitsprüfung vollständige, präzise und endgültige Feststellungen und Schlussfolgerungen enthalten sollte, die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen der Arbeiten, die in dem besonderen Schutzgebiet geplant waren, auszuräumen (Rechtssache C-304/05, Rn. 69) (53). Es kann nicht angenommen werden, dass eine Prüfung angemessen ist, wenn Angaben oder verlässliche und aktualisierte Daten über die Vogelwelt im betreffenden BSG fehlen (Rechtssache C-43/10, Rn. 115).

Zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der die Durchführung des Projekts genehmigt wird, darf aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass es sich nicht nachteilig auf das betreffende Gebiet auswirkt (Rechtssache C-239/04, Rn. 24).

Auch das mehrphasige Monitoring reicht nicht aus, um die Einhaltung der in Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zu gewährleisten (Rechtssache C-142/16, Rn. 43).

Somit sollte die Verträglichkeitsprüfung begründet und protokolliert werden. Wenn der Bericht über die Prüfung keine Angaben über die Begründung der anschließenden Entscheidung enthält (d. h., wenn der Bericht sich in einer bloßen unbegründeten positiven oder negativen Darstellung eines Plans oder Projekts erschöpft), erfüllt die Prüfung ihren Zweck nicht und kann nicht als Prüfung der „Verträglichkeit“ betrachtet werden.

Und schließlich ist auch die zeitliche Gestaltung von Bedeutung. Die Prüfung ist ein Schritt, der vor den übrigen Schritten durchzuführen ist und die Grundlage für diese Schritte bildet, insbesondere für die Genehmigung oder Ablehnung eines Plans oder Projekts. Daher muss die Prüfung durchgeführt werden, bevor die zuständige Behörde entscheidet, ob ein Plan oder Projekt durchgeführt oder genehmigt wird (Rechtssache C-127/02, Rn. 42). Wenn ein Plan oder Projekt vor der Entscheidung über den Plan oder das Projekt modifiziert wird, kann im Rahmen des erneuten Verfahrens durchaus auch das Ergebnis der Prüfung revidiert werden. Allerdings sollte es den Behörden nicht freigestellt sein, eine Bewertung nachträglich zu erweitern, wenn der anschließende Schritt in der in Artikel 6 Absätze 3 und 4 vorgesehenen Reihenfolge bereits durchgeführt wurde.

Zusammenhang mit der UVP- und der SUP-Richtlinie

Häufig wird die Verträglichkeitsprüfung im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. der strategischen Umweltprüfung bzw. parallel dazu durchgeführt, und die Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung werden in den Bericht über die jeweilige UVP bzw. SUP aufgenommen. Dieser Ansatz kann dazu beitragen, die Verwaltungsschritte bei der Beantragung von Genehmigungen für Entwicklungsvorhaben nach dem EU-Umweltrecht zu straffen (54). Für Projekte, bei denen die Verpflichtung zur Durchführung einer Prüfung der Umweltauswirkungen sowohl aufgrund dieser Richtlinie als auch aufgrund der UVP-Richtlinie und der Habitat-Richtlinie besteht, stellen die Mitgliedstaaten nach der geänderten UVP-Richtlinie (55) (Artikel 2 Absatz 3) sicher, dass gegebenenfalls koordinierte und/oder gemeinsame Verfahren durchgeführt werden, die die Anforderungen dieser Unionsgesetzgebung erfüllen. In diesem Zusammenhang wurden maßgebliche Leitlinien veröffentlicht (56).

Entscheidend ist allerdings, dass die für die Verträglichkeitsprüfung und für die Schlussfolgerungen der Verträglichkeitsprüfung maßgeblichen Informationen im Bericht über die Umweltverträglichkeitsprüfung klar gekennzeichnet und identifizierbar sein müssen, damit sie von den Schlussfolgerungen der allgemeinen UVP bzw. der SUP zu unterscheiden sind. Dies ist deshalb erforderlich, weil zwischen den Verfahren der UVP/SUP und der Verträglichkeitsprüfung einige wichtige Unterschiede bestehen. Diese Unterschiede sind der Grund dafür, dass eine UVP oder eine SUP nicht an die Stelle einer Verträglichkeitsprüfung treten oder diese ersetzen kann, da keines dieser Verfahren Vorrang vor dem jeweils anderen Verfahren hat.

Der Gerichtshof hat dies in der Rechtssache C-418/04 bestätigt: „Diese beiden Richtlinien [die UVP- und die SUP-Richtlinie] enthalten aber Bestimmungen über das Verfahren der Beschlussfassung, ohne die Mitgliedstaaten hinsichtlich der zu treffenden Entscheidung zu binden, und betreffen lediglich bestimmte Projekte und Pläne. Nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie hingegen darf ein Plan oder Projekt nur genehmigt werden, wenn die zuständigen einzelstaatlichen Behörden festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Die Prüfungen nach der Richtlinie 85/337 oder der Richtlinie 2001/42 können daher nicht das in Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie vorgesehene Verfahren ersetzen.

Die wesentlichen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der Verträglichkeitsprüfung und der UVP bzw. der SUP werden in Anhang I erläutert.

4.6.2.   Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung

Die Verfahren zur Prüfung der Verträglichkeit von Plänen oder Projekten, die eine Beeinträchtigung von Natura-2000-Gebieten zur Folge haben könnten, sollten gewährleisten, dass alle Elemente, die zur Integrität des Gebiets beitragen (siehe Abschnitt 3.7.4), in vollem Umfang geprüft werden, und zwar sowohl bei der Definition des Ausgangszustands als auch in den Phasen, in denen die potenziellen Auswirkungen, die Abschwächungsmaßnahmen und die verbleibenden nachteiligen Auswirkungen ermittelt werden.

In diesem Zusammenhang ist sicherzustellen, dass in der Verträglichkeitsprüfung alle Elemente berücksichtigt werden, die zur in den Erhaltungszielen eines Gebiets und im Standard-Datenbogen beschriebenen Integrität des Gebiets beitragen, und dass die Verträglichkeitsprüfung auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen einschlägigen Erkenntnissen beruht.

Die erforderlichen Informationen sollten aktuell sein (Rechtssache C-43/10, Rn. 115). Dabei können die folgenden Aspekte berücksichtigt werden:

Struktur und Funktion des Gebiets sowie die jeweilige Bedeutung seiner ökologischen Werte,

das jeweilige Gebiet sowie die Repräsentativität und der Erhaltungszustand der Lebensraumtypen, die in diesem Gebiet vorkommen,

die Populationsgröße, der Isolierungsgrad, der Ökotyp, der Genpool, Altersstrukturen und Schutzstatus der in dem Gebiet vorkommenden Arten, die in Anhang II der Habitat-Richtlinie bzw. Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführt sind und für die das betreffende Gebiet als BSG ausgewiesen wurde,

alle anderen ökologische Werte und Funktionen, die innerhalb des Gebiets ermittelt wurden, und

alle Bedrohungen, die in diesem Gebiet vorkommende Lebensräume und Arten beeinträchtigen oder ein potenzielles Risiko für diese Lebensräume und Arten darstellen könnten.

Die Verträglichkeitsprüfung sollte eine umfassende Analyse aller potenziellen Auswirkungen eines Plans oder Projekts vorsehen, die für das Gebiet von Bedeutung sein könnten. Dabei sind die kumulativen Wirkungen oder sonstigen Auswirkungen zu berücksichtigen, die infolge des Zusammenwirkens des zur Prüfung stehenden Plans/Projekts mit anderen Plänen oder Projekten entstehen können.

Bei der Prüfung gemäß Artikel 6 Absatz 3 sollten die besten verfügbaren Verfahren und Methoden Anwendung finden, um festzustellen, in welchem Ausmaß das Gebiet/die Gebiete durch den Plan oder das Projekt biologisch beeinträchtigt werden könnten. Die Charakterisierung der biologischen Integrität und die Umweltverträglichkeitsprüfung sollten sich auf die besten Indikatoren stützen, die für die ökologischen Werte des jeweiligen Natura 2000-Gebiets spezifisch sind und auch für die Überwachung der Auswirkungen der Durchführung des Plans oder Projekts zweckdienlich sein können.

Der Bericht über die Verträglichkeitsprüfung sollte hinreichend detailliert sein, um zu dokumentieren, wie die endgültige Schlussfolgerung zustande gekommen ist und auf welcher wissenschaftlichen Grundlage sie beruht. In seinem Urteil in der Rechtssache C-404/09 beispielsweise hat der Gerichtshof bei der zu bewertenden Verträglichkeitsprüfung mehrere Lücken festgestellt (d. h., in der Verträglichkeitsprüfung wurden mögliche Störungen verschiedener Arten der betreffenden Gebiete (wie etwa Lärm und Vibrationen oder das Risiko einer Isolierung von Teilpopulationen durch Versperren von Verbindungskorridoren zu anderen Populationen) nicht hinreichend berücksichtigt) (57).

4.6.3.   … Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen

Die Verträglichkeitsprüfung konzentriert sich auf die Prüfung der Auswirkungen eines Plans oder Projekts für sich genommen oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Daher ist Artikel 6 Absatz 3 in engem Zusammenhang mit Artikel 6 Absätze 1 und 2 zu lesen, da die bei der Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigenden Erhaltungsziele auch mit diesen beiden vorherigen Absätzen zusammenhängen.

Wie in Abschnitt 2.3.1 erläutert, sollten „Erhaltungsziele“ auf Ebene der einzelnen Gebiete festgelegt werden und innerhalb dieser Gebiete alle die Arten und Lebensraumtypen berücksichtigen, für die das betreffende Gebiet nach der Habitat-Richtlinie ausgewiesen oder nach der Vogelschutzrichtlinie eingestuft wurde.

Diese Erhaltungsziele sollten auf den ökologischen Erfordernissen der vorkommenden Arten und Lebensräume beruhen und den angestrebten Erhaltungszustand dieser in dem Gebiet vorkommenden Arten und Lebensraumtypen beschreiben. Die Ziele sollten anhand einer Bewertung des Erhaltungszustands der einzelnen Arten und Lebensraumtypen im betreffenden Gebiet auf der Grundlage des Standard-Datenbogens formuliert werden. Die Erhaltungsziele sollten auch der Bedeutung des Gebiets für die Kohärenz des Natura-2000-Netzes Rechnung tragen, damit jedes Gebiet bestmöglich zur Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands auf der jeweiligen geografischen Ebene innerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets der jeweiligen Arten oder Lebensraumtypen beiträgt.

Wenn solche Erhaltungsziele für ein Gebiet festgelegt wurden, müssen die Auswirkungen anhand dieser Ziele geprüft werden.

Der Gerichtshof hat dies in der Rechtssache Waddenzee (C-127/02, Rn. 46-48) bestätigt: „Wie sich aus Artikel 6 Absatz 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie in Verbindung mit deren zehnter Begründungserwägung ergibt, ist die Erheblichkeit der Auswirkung von Plänen oder Projekten, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, im Hinblick auf die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu prüfen. Drohen solche Pläne oder Projekte, obwohl sie sich auf das Gebiet auswirken, nicht, die für dieses festgelegten Erhaltungsziele zu beeinträchtigen, so sind sie nicht geeignet, das in Rede stehende Gebiet erheblich zu beeinträchtigen.

Drohen umgekehrt solche Pläne oder Projekte die für das betreffende Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden, so steht dadurch fest, dass sie dieses Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten . Im Rahmen der vorausschauenden Beurteilung der mit diesen Plänen oder Projekten verbundenen Wirkungen ist deren Erheblichkeit, wie die Kommission im Kern geltend gemacht hat, namentlich im Licht der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des von diesen Plänen oder Projekten betroffenen Gebiets zu beurteilen.

Wenn für ein Gebiet keine Erhaltungsziele festgelegt wurden, ist bis zur Festlegung von Erhaltungszielen bei der Verträglichkeitsprüfung als Ziel nach Artikel 6 Absatz 2 und unbeschadet der Wirksamkeit der zur Erfüllung der Anforderungen von Artikel 6 Absatz 1 erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen mindestens davon auszugehen, dass sich der Erhaltungszustand der im betreffenden Gebiet vorkommenden Lebensraumtypen und Arten nicht unter das aktuelle Niveau verschlechtert bzw. dass die Arten nicht erheblich gestört werden dürfen.

Diese Auffassung hat der Gerichtshof wie folgt bestätigt (Rechtssache C-127/02, Rn. 36): „Denn die nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie erteilte Genehmigung eines Planes oder Projektes setzt notwendigerweise voraus, dass befunden worden ist, dass der Plan oder das Projekt das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtigt und daher auch nicht geeignet ist, Verschlechterungen oder erhebliche Störungen im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 hervorzurufen.

4.6.4.   Der Begriff des „Gebiet[s] als solches“ bzw. der „Integrität des Gebiets“

Aus dem Zusammenhang und dem Zweck der Richtlinie ergibt sich, dass der Begriff des „Gebiet[s] als solches“ bzw. der „Integrität des Gebiets“ sich auf die Erhaltungsziele des jeweiligen Gebiets bezieht (siehe Abschnitt 4.6.3). Beispielsweise besteht die Möglichkeit, dass ein Plan oder ein Projekt ein Gebiet nur optisch beeinträchtigt oder sich nur auf Lebensraumtypen oder Arten auswirkt, die nicht zu den in Anhang I bzw. in Anhang II genannten Lebensraumtypen und Arten zählen, für die das Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde. In diesen Fällen sind die Auswirkungen nicht als nachteilige Auswirkung im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 zu betrachten.

Wenn also keiner der Lebensraumtypen oder Arten, für die das Gebiet ausgewiesen wurden, erheblich beeinträchtigt wird, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Gebiet als solches beeinträchtigt wird. Wird jedoch auch nur ein einziger der dort genannten Lebensraumtypen oder eine einzige dort genannte Art gemessen an den Erhaltungszielen des Gebiets erheblich beeinträchtigt, wird zwangsläufig auch das Gebiet als solches beeinträchtigt.

Der Gerichtshof hat dies in seinem Urteil in der Rechtssache C-258/11, Rn. 48, bestätigt: „… Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie [ist] dahin auszulegen …, dass Pläne oder Projekte , die nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, das Gebiet als solches beeinträchtigen, wenn sie geeignet sind, die dauerhafte Bewahrung der grundlegenden Eigenschaften des betreffenden Gebiets, die mit dem Vorkommen eines prioritären natürlichen Lebensraumtyps zusammenhängen , dessen Erhaltung die Aufnahme dieses Gebiets in die Liste der GGB im Sinne dieser Richtlinie rechtfertigte, zunichtezumachen. Bei dieser Beurteilung ist der Vorsorgegrundsatz anzuwenden.“ Die Logik dieser Auslegung ist auch auf nicht prioritäre Lebensraumtypen und auf Habitate der Arten zu übertragen.

Der Begriff des „Gebiets als solches“ zeigt, dass der Schwerpunkt auf dem jeweiligen bestimmten Gebiet liegt. Daher kann ein Gebiet oder ein Teil eines Gebiets nicht mit der Begründung genehmigt werden, dass der Erhaltungszustand der dort vorkommenden Lebensraumtypen und Arten im europäischen Territorium des Mitgliedstaats ohnehin günstig sei.

Der Zusatz „als solches“ bezieht sich in diesem Zusammenhang eindeutig auf die ökologische Integrität. Diese Integrität kann als Qualität oder Zustand der Vollständigkeit oder Unversehrtheit betrachtet werden. In einem dynamischen ökologischen Zusammenhang kann der Begriff zudem im Sinne der Widerstandsfähigkeit und der Fähigkeit zu für die Erhaltung günstigen Entwicklungen verstanden werden.

Die „Integrität eines Gebiets“ kann als kohärente Summe der ökologischen Struktur, der Funktion und der ökologischen Prozesse des Gebiets über die gesamte Fläche beschrieben werden, die diesem Gebiet die Erhaltung der Lebensräume, Lebensraumkomplexe und/oder Populationen von Arten ermöglicht, für die das Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde.

Für ein Gebiet kann eine ausgeprägte Integrität konstatiert werden, wenn in diesem Gebiet das inhärente Potenzial zur Erfüllung der Erhaltungsziele zum Tragen kommt, die Fähigkeit zur Selbstheilung und zur Selbsterneuerung unter dynamischen Bedingungen erhalten wird und eine Unterstützung durch externe Bewirtschaftung nur in minimalem Umfang benötigt wird.

Bei einer Prüfung der „Integrität des Gebiets“ sind daher mehrere Faktoren zu berücksichtigen (u. a. die Möglichkeit des kurz-, mittel- und langfristigen Eintretens von Auswirkungen).

Ein „Gebiet als solches“ (die „Integrität eines Gebiets“) umfasst die für dieses Gebiet konstitutiven Merkmale und ökologischen Funktionen. Die Entscheidung, ob ein Gebiet beeinträchtigt wird, sollte auf die Erhaltungsziele des Gebiets sowie auf Lebensräume und Arten gerichtet und beschränkt sein, für die das Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde.

4.6.5.   Prüfung der Auswirkungen auf das Gebiet

Bei der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung werden sämtliche Aspekte eines Plans oder Projekts berücksichtigt, die ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten. In diesem Zusammenhang sollten sämtliche Elemente des jeweiligen Plans oder Projekts nacheinander geprüft werden. Außerdem sollten die potenziellen Auswirkungen in Bezug auf die einzelnen Arten bzw. Lebensraumtypen berücksichtigt werden, für die das Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde (58). Danach sollten die Auswirkungen der verschiedenen Elemente innerhalb des jeweiligen Plans oder Projekts gemeinsam sowie in Zusammenwirkung der Elemente betrachtet werden, damit auch etwaige Wechselwirkungen zwischen diesen Elementen erkannt werden.

Beispielsweise ist das Risiko tödlicher Kollisionen mit Windturbinen für sich genommen wahrscheinlich eher nicht erheblich; in Zusammenwirkung mit der Verlegung von Starkstromfreileitungen, die ebenfalls tödliche Kollisionen verursachen können, könnten sich jedoch durchaus erhebliche Auswirkungen auf eine bestimmte Vogelpopulation ergeben.

Jedes einzelne Projekt hat also spezifische Auswirkungen, die auf Einzelfallbasis zu beurteilen sind. In seinem Urteil in der Rechtssache Waddenzee (C-127/02, Rn. 48) hat der Gerichtshof dazu festgestellt: „Im Rahmen der vorausschauenden Beurteilung der mit diesen Plänen oder Projekten verbundenen Wirkungen ist deren Erheblichkeit, wie die Kommission im Kern geltend gemacht hat, namentlich im Licht der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des von diesen Plänen oder Projekten betroffenen Gebiets zu beurteilen.“ In diesem Zusammenhang können auch die maßgeblichen allgemeinen Rechtsvorschriften und Spezifikationen der Mitgliedstaaten herangezogen werden.

Im Vordergrund sollten dabei die Arten und Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse (einschließlich der nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie bestimmten Vögel) stehen, für die ein Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass im Hinblick auf diese zu schützenden Merkmale komplexe Wechselwirkungen auch mit anderen Arten und Lebensräumen sowie mit der physischen Umgebung bestehen.

Daher müssen alle für die Funktionen und die Struktur eines Gebiets sowie für die dort vorkommenden Lebensraumtypen und Arten wesentlichen Elemente berücksichtigt werden. Außerdem ist zu beachten, dass bei der Bestimmung der potenziellen Auswirkungen auf geschützte Lebensräume auch andere Arten von Bedeutung sein können, wenn diese typische Arten des zu prüfenden Lebensraums sind (59) oder wenn ihnen eine bestimmte Funktion in der Nahrungskette zukommt, von der die zu schützenden Merkmale des Gebiets abhängen.

Die Einschätzung von Wirkungen muss auf objektiven und nach Möglichkeit quantifizierbaren Kriterien beruhen. Die Auswirkungen sollten so genau wie möglich vorhergesagt werden. Die Grundlage dieser Vorhersage sollte im Bericht über die Verträglichkeitsprüfung klar angegeben und dokumentiert werden (einschließlich einiger Erläuterungen zum Grad der Gewissheit der Vorhersagen). Wie alle Folgenabschätzungen sollten auch Verträglichkeitsprüfungen in einem strukturierten Rahmen durchgeführt werden, um möglichst objektive und genaue Vorhersagen zu gewährleisten.

Der Gerichtshof hat die Bedeutung der Einbeziehung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Durchführung von Verträglichkeitsprüfungen unterstrichen. Daher müssen die vorhandenen Daten unter Umständen durch weitere ökologische Feldarbeiten und Erhebungen ergänzt werden. Detaillierte Erhebungen und Feldarbeiten sollten sich über hinreichend lange Zeiträume erstrecken und sich auf die zu schützenden Merkmale konzentrieren, die durch Maßnahmen im Rahmen des jeweiligen Projekts beeinträchtigt werden könnten. Die betreffende Empfindlichkeit sollte unter Berücksichtigung der möglichen Wechselwirkungen zwischen einzelnen Projektmaßnahmen (Art, Umfang, Methoden usw.) sowie der betroffenen Lebensräume und Arten (Standort, ökologische Erfordernisse, wesentliche Gebiete, Verhalten usw.) untersucht werden.

4.6.6.   Prüfung geeigneter Abschwächungsmaßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung der Auswirkungen

Wenn in der Verträglichkeitsprüfung eines Plans oder Projekts nachteilige Auswirkungen auf ein Gebiet als solches festgestellt wurden oder nicht ausgeschlossen werden können, kann der Plan bzw. das Projekt nicht genehmigt werden. Je nach Grad der festgestellten Auswirkungen können die Auswirkungen jedoch mit bestimmten Abschwächungsmaßnahmen vermieden oder auf ein Maß verringert werden, bei dem das Gebiet als solches nicht mehr beeinträchtigt wird.

Abschwächungsmaßnahmen müssen unmittelbar mit den in der Verträglichkeitsprüfung festgestellten wahrscheinlichen Auswirkungen in Zusammenhang stehen und können erst nach vollständiger Bewertung und Beschreibung der Auswirkungen in der Verträglichkeitsprüfung definiert werden. Wie in Abschnitt 4.5.1 erläutert, können Abschwächungsmaßnahmen daher erst in diesem Stadium, nicht aber bereits bei der Vorabprüfung in Erwägung gezogen werden.

Die Bestimmung von Abschwächungsmaßnahmen muss ebenso wie die eigentliche Verträglichkeitsprüfung auf einem soliden Verständnis der betroffenen Arten und Lebensräume beruhen. Als Gegenstand von Abschwächungsmaßnahmen kommt Folgendes in Betracht:

Zeitpunkte und zeitliche Gestaltung der Umsetzung (z. B. eine Aussetzung der Tätigkeiten während der Brutzeit einer bestimmten Art),

die Art der Werkzeuge und der durchzuführenden Tätigkeit (z. B. Einsatz einer bestimmten Dredge in einer vereinbarten Entfernung von der Küste, damit ein empfindlicher Lebensraum nicht beeinträchtigt wird, oder die Reduzierung von Emissionen, die gefährliche Schadstoffablagerungen verursachen) und

Festlegung von Flächen innerhalb eines Gebiets, zu dem jeglicher Zugang verboten ist (z. B. Überwinterungsbaue einer Tierart).

Abschwächungsmaßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung oder zur vollständigen Verhinderung von Auswirkungen sind nicht mit Ausgleichsmaßnahmen zu verwechseln, mit denen ein Ausgleich für durch ein Projekt verursachte Schäden geschaffen werden soll. Ausgleichsmaßnahmen kommen nach Artikel 6 Absatz 4 nur dann in Betracht, wenn ein Plan oder Projekt aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses und in Ermangelung von Alternativen als erforderlich genehmigt wurde (siehe Abschnitt 5).

Der Gerichtshof hat diese Unterscheidung wie folgt bestätigt: „Daher ist Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen, dass durch nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines GGB in Verbindung stehende oder hierfür nicht notwendige Pläne oder Projekte, die schädliche Auswirkungen auf einen in dem Gebiet vorhandenen natürlichen Lebensraumtyp haben und Maßnahmen zur Schaffung eines gleich großen oder größeren Areals dieses Lebensraumtyps in diesem Gebiet vorsehen, das Gebiet als solches beeinträchtigt wird. Derartige Maßnahmen können in einem solchen Fall nur dann als ‚Ausgleichsmaßnahmen‘ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie eingestuft werden, wenn die in dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind. … Es steht nämlich fest, dass die fraglichen Maßnahmen die durch das Trassenprojekt Rijksweg A2 verursachten erheblichen schädlichen Auswirkungen auf den Lebensraumtyp weder verhindern noch verringern, sondern sie später ausgleichen sollen. Vor diesem Hintergrund können die Maßnahmen nicht gewährleisten, dass das Projekt das Gebiet als solches nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie beeinträchtigen wird“ (Rechtssache C-521/12, Rn. 29-35, 38 und 39; siehe auch verbundene Rechtssachen C-387 und 388/15, Rn. 48).

Im Zusammenhang mit diesen Schlussfolgerungen stellte der Gerichtshof ferner fest: „… Maßnahmen, die in einem Plan oder Projekt enthalten sind, der oder das nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung in Verbindung steht oder hierfür nicht notwendig ist, und die vorsehen, dass vor der Verwirklichung schädlicher Auswirkungen auf einen in dem Gebiet vorhandenen natürlichen Lebensraumtyp ein künftiges Areal dieser Art entwickelt wird, dessen Entwicklung aber erst nach der Prüfung der Erheblichkeit der etwaigen Beeinträchtigung dieses Gebiets als solchem abgeschlossen sein wird, [können] bei dieser Prüfung nicht berücksichtigt werden …“ (verbundene Rechtssachen C-387 und 388/15, Rn. 64).

Gut konzipierte und umgesetzte Abschwächungsmaßnahmen beschränken natürlich den Umfang erforderlicher Ausgleichsmaßnahmen (sofern nach Artikel 6 Absatz 4 vorgeschrieben), indem sie die verbleibenden auszugleichenden Auswirkungen verringern.

Damit die zuständige Behörde beurteilen kann, ob die Abschwächungsmaßnahmen hinreichend sind, um potenzielle nachteilige Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf ein Gebiet zu beseitigen (und ob die Maßnahmen nicht unabsichtlich weitere nachteilige Auswirkungen auf die zu schützenden Arten und Lebensräume verursachen), sind die Abschwächungsmaßnahmen detailliert zu beschreiben. Außerdem ist auf der Grundlage wissenschaftlicher Belege zu erläutern, wie mit den Maßnahmen die festgestellten nachteiligen Auswirkungen beseitigt oder verringert werden. Darüber hinaus sollten Informationen darüber vorgelegt werden, wie, wann und von wem die Maßnahmen umgesetzt werden, sowie welche Regelungen zur Überwachung der Wirksamkeit der Maßnahmen und ggf. zur Durchführung von Abhilfemaßnahmen getroffen werden. Dass zum Zeitpunkt der Genehmigung endgültige Angaben benötigt werden, wurde auch in der Rechtssache C-142/16, Rn. 37-45, bestätigt.

Wenn die zuständige Behörde die Abschwächungsmaßnahmen als hinreichend zur Vermeidung der in der Verträglichkeitsprüfung festgestellten nachteiligen Auswirkungen auf ein Gebiet bewertet, werden die Maßnahmen wesentlicher Bestandteil der Spezifikation des endgültigen Plans oder Projekts. Alternativ können sie als Auflage für die Genehmigung eines Projekts vorgeschrieben werden. Ist trotz der Maßnahmen jedoch mit verbleibenden nachteiligen Auswirkungen auf das Gebiet als solches zu rechnen, kann der Plan bzw. das Projekt nur dann genehmigt werden, wenn die in Artikel 6 Absatz 4 genannten Voraussetzungen gegeben sind.

Abschwächungsmaßnahmen können von demjenigen, der die Genehmigung eines Plans oder Projekts beantragt, vorgeschlagen oder von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden vorgeschrieben werden, um die in der Verträglichkeitsprüfung festgestellten potenziellen Auswirkungen zu vermeiden oder auf ein Maß zu verringern, bei dem das Gebiet als solches nicht mehr beeinträchtigt wird.

Die Bestimmung von Abschwächungsmaßnahmen muss ebenso wie die eigentliche Verträglichkeitsprüfung auf einem soliden Verständnis der betroffenen Arten und Lebensräume beruhen und detailliert erläutert werden. Gut konzipierte und umgesetzte Abschwächungsmaßnahmen beschränken den Umfang gegebenenfalls nach Artikel 6 Absatz 4 erforderlicher Ausgleichsmaßnahmen, indem sie die verbleibenden auszugleichenden Auswirkungen verringern.

4.7.   ENTSCHEIDUNGSFINDUNG

4.7.1.   Die „zuständigen einzelstaatlichen Behörden“

Das Adjektiv „einzelstaatlich“ [oder „national“] wurde bei dieser Formulierung zur Abgrenzung gegenüber den Spezifizierungen „EU-“ oder „international“ verwendet. Daher bezieht sich der Begriff nicht nur auf die Organe des Zentralstaates, sondern auch auf Länder-, Bezirks-, Kreis- und Gemeindebehörden, die einen Plan oder ein Projekt genehmigen oder einem Plan oder Projekt zustimmen müssen. Gerichte können als zuständige Behörde fungieren, sofern sie befugt sind, im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 über einen Plan oder ein Projekt zu entscheiden (Rechtssache C-127/04, Rn. 69).

Unter bestimmten Umständen kann ein Plan oder Projekt von einem gesetzgebenden Organ (einem Landes- oder Regionalparlament) in Form eines Rechtsakts genehmigt werden. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof in der Rechtssache C-182/10, Rn. 69 und 70 festgestellt: „Diese Verpflichtungen [Artikel 6 Absatz 3] obliegen den Mitgliedstaaten nach der Habitatrichtlinie unabhängig von der Art der nationalen Behörde, die für die Genehmigung des fraglichen Plans oder Projekts zuständig ist . Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie, der von den ‚zuständigen einzelstaatlichen Behörden‘ spricht, sieht keine Sonderregelung für Pläne oder Projekte vor, die von einem gesetzgebenden Organ genehmigt werden. Eine solche Eigenschaft lässt daher den Umfang und die Tragweite der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie unberührt. … Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie [ist] dahin auszulegen .., dass er es einer nationalen Behörde — auch wenn es sich um ein gesetzgebendes Organ handelt — nicht erlaubt, Pläne oder Projekte zu genehmigen, ohne sich vergewissert zu haben, dass sie das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtigen werden.

Ein Plan oder ein Projekt kann also dann nicht durch eine gesetzliche Regelung genehmigt werden, wenn zuvor keine Verträglichkeitsprüfung nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie vorgenommen wurde oder wenn in der Verträglichkeitsprüfung nicht mit Gewissheit festgestellt wurde, dass keine nachteiligen Auswirkungen für das Gebiet als solches eintreten werden (60).

Als zuständige einzelstaatliche Behörden gelten die Stellen, die befugt sind, eine Genehmigung oder Zustimmung zu einem Plan oder Projekt zu erteilen.

4.7.2.   Wann ist eine Anhörung der Öffentlichkeit angebracht?

Die Habitat-Richtlinie enthält keine Aussagen dazu, wann bei der Genehmigung von Plänen oder Projekten, bei denen eine Verträglichkeitsprüfung vorgenommen werden muss, eine Anhörung der Öffentlichkeit angezeigt ist. Nach Artikel 6 Absatz 3 ist die Öffentlichkeit nur „gegebenenfalls“ anzuhören. Die Anhörung der Öffentlichkeit ist jedoch ein wesentliches Element der UVP- und der SUP-Richtlinie. Demzufolge ist eine Anhörung der Öffentlichkeit eindeutig dann erforderlich, wenn die nach Artikel 6 Absatz 3 geforderte Prüfung mit einer Prüfung nach diesen Richtlinien abgestimmt wird.

Selbst für Pläne oder Projekte, die nicht in den Anwendungsbereich der SUP- oder der UVP-Richtlinie fallen und ausschließlich nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie geprüft werden, hat der Gerichtshof kürzlich in einem Urteil auf der Grundlage des Übereinkommens von Århus klargestellt (61), dass die betroffene Öffentlichkeit einschließlich anerkannter NROs im Umweltschutzbereich ein Recht auf Beteiligung an dem Genehmigungsverfahren hat (Rechtssache C-243/15, Rn. 49). Dieses Recht beinhaltet insbesondere „das Recht zur ‚effektiven … Beteiligung während des umweltbezogenen Entscheidungsverfahrens‘ …, indem [die Öffentlichkeit] ‚alle von ihr für die geplante Tätigkeit als relevant erachteten Stellungnahmen, Informationen, Analysen oder Meinungen in Schriftform [vorlegt] oder gegebenenfalls während einer öffentlichen Anhörung oder Untersuchung mit dem Antragsteller‘ vorträgt“ (Rechtssache C-243/15, Rn. 46).

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Anbetracht der Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit insbesondere anerkannten NRO ein Recht auf Anfechtung der folgenden Entscheidungen zugesteht: „Entscheidungen, die von den zuständigen nationalen Behörden im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 erlassen werden, gleichviel, ob sie sich auf einen Antrag auf Beteiligung an dem Genehmigungsverfahren, auf die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Prüfung der Umweltverträglichkeit eines Plans oder Projekts in einem Schutzgebiet oder auf die Richtigkeit der aus einer solchen Prüfung gezogenen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Risiken des Projekts oder Plans für ein solches Gebiet beziehen“ (C-243/15, Rn. 56).

4.7.3.   Entscheidungsfindung auf der Grundlage der Verträglichkeitsprüfung

Den zuständigen einzelstaatlichen Behörden obliegt es, aufgrund der Schlussfolgerungen der Verträglichkeitsprüfung in Bezug auf die Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf ein Natura-2000-Gebiet über die Genehmigung des Plans oder Projekts zu entscheiden. Diese Entscheidung kann erst dann getroffen werden, wenn die Behörden sich vergewissert haben, dass der Plan oder das Projekt das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt.

Daher muss die zuständige Behörde die Genehmigung des Planes oder des Projektes versagen, wenn Unsicherheit darüber besteht, dass keine nachteiligen Auswirkungen auf das Gebiet als solches auftreten (Rechtssache C-127/02, Rn. 57).

Außerdem wurde festgestellt: „… [D]as in Artikel 6 Absatz 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie vorgesehene Kriterium für die Genehmigung [schließt] den Vorsorgegrundsatz ein … und … erlaubt [es], Beeinträchtigungen der Schutzgebiete als solcher durch Pläne oder Projekte wirksam zu verhüten. Ein weniger strenges Genehmigungskriterium als das in Rede stehende könnte die Verwirklichung des Zieles des Schutzes der Gebiete, dem diese Bestimmung dient, nicht ebenso wirksam gewährleisten“ (Rechtssache C-127/02, Rn. 58).

Daher ist entsprechend dem Vorsorgegrundsatz weniger das Vorliegen als vielmehr das Fehlen nachteiliger Auswirkungen nachzuweisen (C-157/96, Rn. 63). Daraus ergibt sich, dass die Verträglichkeitsprüfung hinreichend detailliert und begründet sein muss, um das Fehlen nachteiliger Auswirkungen aufgrund der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nachzuweisen (Rechtssache C-127/02, Rn. 61).

5.   ARTIKEL 6 ABSATZ 4

Erläuterung der Begriffe Alternativlösungen, zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, Ausgleichsmaßnahmen, globale Kohärenz, Stellungnahme der Kommission

5.1.   WORTLAUT

„Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.“

5.2.   ANWENDUNGSBEREICH

Diese Bestimmung ist Teil des Verfahrens der Prüfung und der möglichen Genehmigung von Plänen und Projekten, die sich auf ein besonderes Schutzgebiet nach der Habitat-Richtlinie, ein im Rahmen der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenes besonderes Schutzgebiet oder ein Gebiet von gemeinschaftlichem Interesse auswirken könnten, durch die zuständigen einzelstaatlichen Behörden. Es ergeben sich zwei grundsätzliche Erwägungen:

Die Bestimmung gilt zum einen für Ausnahmen von der in Artikel 6 Absatz 3 enthaltenen allgemeinen Regel, nach der Plänen oder Projekten nur dann zugestimmt werden kann, wenn das Gebiet als solches/die Gebiete als solche nicht beeinträchtigt werden;

und zum anderen ist sie in der Praxis unter Einhaltung der in der Richtlinie vorgesehenen Schritte und in der dort festgelegten Reihenfolge anzuwenden. Dies wurde vom Gerichtshof mehrfach bestätigt (Rechtssachen C-209/02, C-239/04, C-304/05, C-560/08 und C-404/09).

In seinem Urteil in der Rechtssache C-304/05, Rn. 83, hat der Gerichtshof klargestellt: „… Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 92/43 [kommt] nur zur Anwendung …, nachdem die Auswirkungen eines Plans oder Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie erforscht wurden . Die Kenntnis der Verträglichkeit mit den für das fragliche Gebiet festgelegten Erhaltungszielen ist nämlich eine unerlässliche Voraussetzung für die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 , da andernfalls keine Anwendungsvoraussetzung dieser Ausnahmeregelung geprüft werden kann. Die Prüfung etwaiger zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses und der Frage, ob weniger nachteilige Alternativen bestehen, erfordert nämlich eine Abwägung mit den Beeinträchtigungen, die für das Gebiet durch den vorgesehenen Plan oder das vorgesehene Projekt entstünden. Außerdem müssen die Beeinträchtigungen des Gebiets genau identifiziert werden, um die Art etwaiger Ausgleichsmaßnahmen bestimmen zu können “ (siehe auch Rechtssache C-399/14, verbundene Rechtssachen C-387 und 388/15 und Rechtssache C-142/16).

Artikel 6 Absatz 4 ist nicht zwangsläufig anzuwenden. Den Behörden obliegt die Entscheidung, ob die Bedingungen für eine Ausnahme von Artikel 6 Absatz 3 gegeben sind, wenn in einer Verträglichkeitsprüfung festgestellt wurde, dass ein Plan oder Projekt das betroffene Gebiet als solches beeinträchtigt oder wenn Zweifel hinsichtlich des Fehlens solcher nachteiliger Auswirkungen bestehen.

Der Gerichtshof hat den fakultativen Charakter von Artikel 6 Absatz 4 in der Rechtssache C-241/08, Rn. 72, bestätigt: „Somit haben die zuständigen Behörden , wenn sie nach Durchführung der Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie zu einem negativen Ergebnis gelangen, die Wahl, die Genehmigung für die Durchführung des betreffenden Plans oder Projekts zu versagen oder sie nach Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie, sofern die dort vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind, zu erteilen …“

Damit entschieden werden kann, einen Plan oder ein Projekt weiter zu verfolgen, müssen die Voraussetzungen und Anforderungen von Artikel 6 Absatz 4 erfüllt sein. Insbesondere muss belegt sein,

1.

dass die zur Genehmigung vorgeschlagene Alternativlösung für die Lebensräume und die Arten sowie für das für Natura 2000 ausgewiesene Gebiet als solches — unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen — die geringste Beeinträchtigung bedeutet und dass keine Alternativlösung in Betracht kommt, die das Gebiet als solches nicht ebenfalls beeinträchtigen würde;

2.

dass zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich „solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ gegeben sind;

3.

dass alle erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz der globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes getroffen werden.

Als Ausnahmeregelung zu Artikel 6 Absatz 3 ist diese Bestimmung eng auszulegen (Rechtssache C-239/04, Rn. 25-39) und kann nur auf Umstände angewandt werden, bei denen alle durch die Richtlinie vorgegebenen Voraussetzungen in vollem Umfang erfüllt sind. In diesem Zusammenhang muss in sämtlichen Fällen, in denen von der Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht werden soll, zunächst jeweils nachgewiesen werden, dass die genannten Voraussetzungen in jedem einzelnen Fall tatsächlich gegeben sind.

Wurde definitiv festgestellt und in vollem Umfang nachgewiesen, dass es keine geeignete Alternativlösung gibt und dass zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses vorliegen, so sind alle Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, die zur Wahrung der Gesamtkohärenz des Natura-2000-Netzes erforderlich sind. Die Kommission ist stets über die ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen zu unterrichten.

Artikel 6 Absatz 4 sieht Ausnahmen von der allgemeinen Regel in Artikel 6 Absatz 3 vor. Diese Ausnahmen kommen aber nicht zwangsläufig zur Anwendung. Die zuständige Behörde entscheidet, ob eine Ausnahme von Artikel 6 Absatz 3 eingeräumt werden kann. Artikel 6 Absatz 4 ist in der in der Richtlinie vorgegebenen Reihenfolge anzuwenden, d. h., diese Bestimmung kann erst dann zur Anwendung kommen, wenn die Anforderungen nach Artikel 6 Absatz 3 zufriedenstellend erfüllt wurden.

5.3.   AUSGANGSÜBERLEGUNGEN

5.3.1.   Prüfung von Alternativlösungen

Die erste Verpflichtung des Ausnahmeverfahrens nach Artikel 6 Absatz 4 besteht in der Prüfung, ob für einen Plan oder ein Projekt Alternativlösungen verfügbar sind. Diesbezüglich hat der Gerichtshof klargestellt, dass diese Prüfung formell in den Anwendungsbereich von Artikel 6 Absatz 4 fällt und nicht nach Artikel 6 Absatz 3 vorgenommen wird (Rechtssachen C-441/03, Rn. 15, C-241/08, Rn. 69, und C-142/16, Rn. 72).

In Anbetracht der Notwendigkeit, eine unerwünschte Beschädigung des Natura-2000-Netzes zu vermeiden, sollte eine gründliche Überprüfung und/oder Rücknahme eines Plan- oder Projektvorschlags erwogen werden, wenn festgestellt wird, dass der Plan bzw. das Projekt das fragliche Gebiet beeinträchtigen wird. Daher müssen die zuständigen Behörden die Notwendigkeit des Plans oder Projekts nachweisen. Dabei ist in diesem Stadium auch die Nulloption in Betracht zu ziehen.

Anschließend sollten die zuständigen Behörden die Möglichkeit eines Rückgriffs auf Alternativlösungen prüfen, die besser gewährleisten, dass das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Alle praktikablen Alternativlösungen, mit denen die Ziele des Plans oder Projekts erfüllt werden können, müssen insbesondere im Hinblick auf die Erhaltungsziele, die Integrität des Gebiets und den Beitrag des Gebiets zur globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit ihrer Kosten untersucht werden. Dazu können alternative Standorte (oder ggf. Trassen), andere Größenordnungen, andere Entwicklungspläne und alternative Prozesse gehören.

Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Kosten der bei der Prüfung von Alternativlösungen durchzuführenden Schritte ist festzustellen, dass bei der Wahl von Alternativlösungen nicht allein auf die wirtschaftlichen Kosten solcher Maßnahmen abgestellt werden kann (Rechtssache C-399/14, Rn. 77). Wer ein Projekt beantragt, kann sich also nicht darauf berufen, dass aus Kostengründen keine Alternativlösungen geprüft wurden.

Nach dem Subsidiaritätsprinzip müssen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden die relativen Auswirkungen der verschiedenen Alternativlösungen auf das betreffende Gebiet prüfen. Es sei hervorgehoben, dass die Bezugsparameter für diese Vergleiche Aspekte der Erhaltung und Bewahrung des Gebiets und seiner ökologischen Funktionen vor Beeinträchtigungen beinhalten. In diesem Stadium können daher andere Bewertungskriterien, wie z. B. wirtschaftliche Kriterien, nicht als überwiegende Umweltschutzkriterien verstanden werden.

Die mangelnde Verfügbarkeit von Alternativlösungen ist nachzuweisen, bevor geprüft wird, ob ein Plan oder Projekt aus zwingenden überwiegenden Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich ist (Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Castro Verde, C-239/04, Rn. 36-39).

Die zuständigen einzelstaatlichen Behörden müssen sicherstellen, dass alle praktikablen Alternativlösungen, mit denen die Ziele eines Plans oder Projekts erreicht werden können, mit derselben Sorgfalt geprüft wurden. Diese Prüfung sollte unter Berücksichtigung der Arten und Lebensräume, für die das betreffende Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde, sowie der Erhaltungsziele des Gebiets vorgenommen werden.

5.3.2.   Prüfung der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses

Wenn Alternativlösungen nicht vorhanden sind oder wenn die vorhandenen Lösungen im Hinblick auf die bereits erwähnten Erhaltungsziele der Richtlinie sogar noch stärkere Umweltbeeinträchtigungen für die betreffenden Gebiete zur Folge haben, müssen die zuständigen Behörden prüfen, ob zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art vorliegen, welche die Verwirklichung des zur Debatte stehenden Plans bzw. Projekts erfordern.

Der Begriff der „zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ ist in der Richtlinie nicht definiert. Im zweiten Unterabsatz von Artikel 6 Absatz 4 werden jedoch die Gesundheit des Menschen, die öffentliche Sicherheit und maßgebliche günstige Auswirkungen für die Umwelt als Beispiele für solche Gründe erwähnt. Was „andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ sozialer oder wirtschaftlicher Art anbelangt, wird aus der Formulierung deutlich, dass nur öffentliche Interessen (unabhängig davon, ob sie von öffentlichen oder privaten Körperschaften gefördert werden) gegen die Erhaltungsziele der Richtlinie abgewogen werden können. Folglich können Projekte, die von privaten Körperschaften entwickelt wurden, nur erwogen werden, wenn sie solchen öffentlichen Interessen dienen und ein diesbezüglicher Nachweis erbracht wird.

Der Gerichtshof hat dies in seinem Urteil in der Rechtssache C-182/10, Rn. 75 -78, bestätigt: „Das Interesse, das im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie die Verwirklichung eines Plans oder Projekts rechtfertigen kann, muss zugleich ‚öffentlich‘ und ‚überwiegend‘ sein , d. h., es muss so wichtig sein, dass es gegen das mit der Habitatrichtlinie verfolgte Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen abgewogen werden kann. Bauarbeiten im Hinblick auf die Ansiedlung oder Erweiterung eines Unternehmens erfüllen diese Voraussetzungen grundsätzlich nur in Ausnahmefällen. Es ist nicht auszuschließen , dass dies der Fall ist, wenn ein Projekt, obwohl es privater Natur ist , sowohl seinem Wesen nach als auch aufgrund seines wirtschaftlichen und sozialen Kontextes tatsächlich von überwiegendem öffentlichen Interesse ist und nachgewiesen wird, dass eine Alternativlösung nicht vorhanden ist. In Anbetracht dieser Kriterien kann die bloße Errichtung einer Infrastruktur zur Unterbringung eines Verwaltungszentrums grundsätzlich keinen zwingenden Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie darstellen.“

Hilfreich ist möglicherweise auch die Berücksichtigung anderer Bereiche des EU-Rechts, in denen ähnliche Begriffe vorkommen.

Der Begriff des „zwingenden Erfordernisses“ war vom Gerichtshof als Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs ausgearbeitet worden. Als Bereiche, die zu diesen zwingenden Erfordernissen gehören, die einzelstaatliche Maßnahmen zur Beschränkung des freien Warenverkehrs rechtfertigen können, erkannte der Gerichtshof die öffentliche Gesundheitsvorsorge und den Umweltschutz sowie die Verfolgung legitimer Ziele der Wirtschafts- und Sozialpolitik an.

Außerdem erkennt das EU-Recht den Begriff der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ an, der in Artikel 106 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen im Rahmen der Ausnahme von den Wettbewerbsregeln verwendet wurde, die für die Unternehmen ins Auge gefasst worden sind, die mit derartigen Dienstleistungen betraut sind. In der Mitteilung „Ein Qualitätsrahmen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Europa“ (62) definierte die Kommission Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung als „eine Art von Gemeinwohlverpflichtungen, die so ausgestaltet sind, dass bestimmte Dienstleistungen allen Verbrauchern und Nutzern in einem Mitgliedstaat unabhängig von ihrem Standort in dem betreffenden Mitgliedstaat unter Berücksichtigung der landesspezifischen Gegebenheiten in einer vorgegebenen Qualität zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung gestellt werden“.

In bestimmten Fällen müssen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden in Anbetracht der Struktur der Bestimmung ihre Zustimmung zu den jeweiligen Plänen und Projekten von der Bedingung abhängig machen, dass der Abgleich der Interessen zwischen den Erhaltungszielen für das von diesen Maßnahmen betroffene Gebiet und den genannten zwingenden Gründen zugunsten des letztgenannten Aspekts ausfällt. Dies sollte anhand der folgenden Punkte festgestellt werden:

a)

Für die Umsetzung des Plans oder Projekts müssen zwingende Gründe gegeben sein;

b)

das öffentliche Interesse muss überwiegend sein: Es ist demzufolge klar, dass nicht jede Art von öffentlichem Interesse sozialer oder wirtschaftlicher Art hinreichend ist, insbesondere, wenn es im Gegensatz zum besonderen Gewicht der durch die Richtlinie geschützten Interessen betrachtet wird (siehe z. B. den 4. Erwägungsgrund zum „Naturerbe der Gemeinschaft“);

c)

in diesem Zusammenhang erscheint zudem die Annahme empfehlenswert, dass das öffentliche Interesse nur dann überwiegend sein kann, wenn es ein langfristiges Interesse ist; kurzfristige wirtschaftliche Interessen oder andere Interessen mit nur kurzzeitigen Nutzen für die Gesellschaft fallen offenbar nicht stärker ins Gewicht als die durch die Richtlinie geschützten langfristigen Erhaltungsinteressen.

Ein Beispiel für einen zwingenden Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses ist einem Urteil des Gerichtshofs in einer Rechtssache betreffend eine Großregion (die Region Thessalien in Griechenland) zu entnehmen: „Die Bewässerung und die Trinkwasserversorgung erfüllen grundsätzlich diese Voraussetzungen und können folglich die Verwirklichung eines Vorhabens für die Umleitung von Wasser rechtfertigen, wenn keine Alternativlösung vorhanden ist“ (Rechtssache C-43/10, Rn. 122) (63).

Es ist angemessen, davon auszugehen, dass sich die „zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ auf solche Situationen beziehen, in denen sich in Aussicht genommene Pläne bzw. Projekte als unerlässlich erweisen:

im Rahmen von Handlungen bzw. Politiken, die auf den Schutz von Grundwerten für das Leben der Bürger (Gesundheit, Sicherheit, Umwelt) abzielen;

im Rahmen grundlegender Politiken für Staat und Gesellschaft;

im Rahmen der Durchführung von Tätigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art zur Erbringung bestimmter gemeinwirtschaftlicher Leistungen.

Die zuständigen Behörden müssen die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses eines Plans oder Projekts gegenüber dem Ziel der Erhaltung natürlicher Lebensräume und wild lebender Tiere und Pflanzen abwägen. Sie können einen Plan oder ein Projekt nur dann genehmigen, wenn die zwingenden Gründe für den Plan oder das Projekt stärker wiegen als die Auswirkungen auf die Erhaltungsziele.

Um den Lesern eine genauere Vorstellung davon zu geben, was berechtigterweise als potenziell zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses betrachtet werden könnte, werden auf der folgenden Seite einige Beispiele aus Stellungnahmen der Kommission im Rahmen von Artikel 6 Absatz 4 unter Berücksichtigung der von den Mitgliedstaaten vorgetragenen Begründungen erläutert: http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/opinion_en.htm.

5.4.   ANNAHME VON AUSGLEICHSMASSNAHMEN

5.4.1.   Was ist unter „Ausgleichsmaßnahmen“ zu verstehen und wann sollten sie in Erwägung gezogen werden?

Der Begriff „Ausgleichsmaßnahmen“ ist in der Habitat-Richtlinie nicht definiert. Offenbar wird jedoch wie folgt zwischen Ausgleichs- und Abschwächungsmaßnahmen unterschieden:

Abschwächungsmaßnahmen im weiteren Sinne sind Maßnahmen zur Minimierung oder sogar zur vollständigen Beseitigung der negativen Auswirkungen, die sich aus der Umsetzung eines Plans oder Projekts ergeben können, damit das betroffene Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Diese Maßnahmen werden nach Artikel 6 Absatz 3 berücksichtigt und sind wesentlicher Bestandteil der Spezifikationen eines Plans oder Projekts bzw. Voraussetzung für die Genehmigung eines Plans oder Projekts (siehe Abschnitt 4.6.5);

Ausgleichsmaßnahmen (einschließlich aller damit verbundenen Abschwächungsmaßnahmen) sind projektunabhängig. Sie sollen die negativen Auswirkungen eines Plans oder Projekts so ausgleichen, dass die globale ökologische Kohärenz des Natura-2000-Netzes erhalten bleibt. Sie können ausschließlich im Rahmen von Artikel 6 Absatz 4 berücksichtigt werden.

Gut konzipierte und umgesetzte Abschwächungsmaßnahmen können den Umfang der erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen beschränken, indem sie die verbleibenden auszugleichenden negativen Auswirkungen verringern.

So wird zum Beispiel die Ausweitung des Untertagebaus eines Bergwerks in Bereiche, in denen bisher keine Kohle abgebaut wurde, zu großräumigen Bodenabsenkungen mit den üblichen Folgeerscheinungen (Überflutungen, Anstieg des Grundwasserpegels) führen, was bedeutende Auswirkungen auf alle in dem Gebiet befindlichen Ökosysteme hat. Um die negativen Wirkungen des Projekts auszugleichen, werden anhand ökologischer Kriterien Flächen ausgewählt, auf denen durch Wiederaufforstung oder Umwandlung/Verbesserung bestehender Wälder nicht prioritäre Lebensraumtypen (Buchen- und Eichenwälder) geschaffen werden. Ferner wird die Neuanlage und Verbesserung von Auenwäldern sowie die Renaturierung bzw. Optimierung von Flussläufen erwogen werden, um den Verlust von prioritären Lebensräumen (Erlen- und Eschenwälder an Fließgewässern — Alnion glutinoso-incanae) und nicht prioritären Lebensräumen (Fließgewässer der planaren bis montanen Stufe mit Wasservegetation) auszugleichen. Die Maßnahme wird auch zum Ausgleich der negativen Auswirkungen des Projekts auf die Spezies Lampetra planeri beitragen.

Ausgleichsmaßnahmen sollten zusätzlich zu den Maßnahmen ergriffen werden, die aufgrund der Vorgaben der Habitat-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie oder entsprechend den durch das EU-Recht vorgegebenen Verpflichtungen gängige Praxis sind. Für einen Mitgliedstaat sind beispielsweise die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen nach Artikel 6 Absatz 1 oder der Vorschlag bzw. die Ausweisung eines neuen Gebiets, das als Gebiet von gemeinschaftlichem Interesse bereits verzeichnet ist, „normale“ Maßnahmen. Demnach sollten Ausgleichsmaßnahmen über die normalen bzw. Standard-Maßnahmen hinausgehen, die für die Ausweisung, den Schutz und die Bewirtschaftung von Natura-2000-Gebieten erforderlich sind.

Ein weiteres Beispiel für einen Fall, in dem Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sind, ist eine Hafenerweiterung, durch die ein Vogelrastplatz zerstört und die in dem betroffenen Gebiet befindlichen Lebensräume Schilf und Watt reduziert werden. Die Neuanlage eines Hochwasserrastplatzes sowie von Wattgebieten in Verbindung mit der Wiederherstellung der Lebensräume Schilf und Feuchtwiesen durch wasserbauliche Maßnahmen und mit Umweltschutzmaßnahmen zur Förderung der landwirtschaftlichen Nutzung von Schilfflächen und Feuchtwiesen würde die durch das Projekt verursachten negativen Auswirkungen ausgleichen.

Demzufolge stellen Ausgleichsmaßnahmen kein Mittel dar, um eine Verwirklichung von Plänen oder Projekten unter Umgehung der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung nach Artikel 6 zu ermöglichen. Aus der in Artikel 6 Absatz 4 genannten Reihenfolge ergibt sich eindeutig, dass diese Maßnahmen das letzte Mittel darstellen. Sie kommen nur dann in Betracht, wenn eine negative Auswirkung auf die Integrität eines Natura-2000-Gebiets ungeachtet aller sonstigen Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung der nachteiligen Auswirkungen auf dieses Gebiet mit Gewissheit festgestellt wurde oder nicht ausgeschlossen werden kann und wenn entschieden wurde, dass keine Alternativlösungen möglich sind und das Projekt bzw. der Plan aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses durchgeführt werden sollte.

Ausgleichsmaßnahmen sind für ein Projekt bzw. einen Plan genau bestimmte und zusätzlich zu den üblichen Verpflichtungen nach Maßgabe der Vogelschutzrichtlinie und der Habitat-Richtlinie zu ergreifende Maßnahmen. Mit diesen Maßnahmen soll ein gezielter Ausgleich für die negative Auswirkung eines Plans oder Projekts auf die zu schützenden Arten oder Lebensräume geschaffen werden. Sie kommen als letztes Mittel nur dann zur Anwendung, wenn die anderen in der Richtlinie enthaltenen Schutzvorschriften vollständig berücksichtigt wurden und entschieden wurde, ein Projekt oder einen Plan durchzuführen, obwohl negative Auswirkungen auf die Integrität eines Natura-2000-Gebiets mit Gewissheit festgestellt wurden oder nicht ausgeschlossen werden können.

5.4.2.   „Globale Kohärenz“ des Natura-2000-Netzes

Der Ausdruck „globale Kohärenz“ wird in Artikel 6 Absatz 4 dann gebraucht, wenn aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses ein Plan bzw. Projekt durchgeführt werden darf und Maßnahmen getroffen werden müssen, um den Schaden auszugleichen.

Er kommt auch in Artikel 3 Absatz 1 vor, in dem das Natura-2000-Netz beschrieben wird als „ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete“, das „den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Schutzstatus dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet“ gewährleisten muss. Demnach werden zwei Kriterien unterschieden: Zum einen die Anzahl und der Zustand der fraglichen Arten und Lebensräume und zum anderen die Rolle des Gebiets bei der Gewährleistung einer für das Verbreitungsgebiet angemessenen geografischen Verteilung.

In Artikel 3 Absatz 3 wird festgelegt, dass „die Mitgliedstaaten … sich, wo sie dies für erforderlich halten, bemühen, die ökologische Kohärenz von Natura 2000 durch die Erhaltung und gegebenenfalls die Schaffung der in Artikel 10 genannten Landschaftselemente, die von ausschlaggebender Bedeutung für wildlebende Tiere und Pflanzen sind, zu verbessern.

Artikel 10, der sich etwas allgemeiner der Landnutzungs- und Entwicklungspolitik widmet, sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten werden sich dort, wo sie dies im Rahmen ihrer Landnutzungs- und Entwicklungspolitik, insbesondere zur Verbesserung der ökologischen Kohärenz von Natura 2000, für erforderlich halten, bemühen, die Pflege von Landschaftselementen, die von ausschlaggebender Bedeutung für wildlebende Tiere und Pflanzen sind, zu fördern.

Hierbei handelt es sich um Landschaftselemente, die aufgrund ihrer linearen, fortlaufenden Struktur (z. B. Flüsse mit ihren Ufern …) oder ihrer Vernetzungsfunktion (z. B. Teiche oder Gehölze) für die Wanderung, die geografische Verbreitung und den genetischen Austausch wildlebender Arten wesentlich sind.“

Der Begriff „ökologisch“ wird sowohl in Artikel 3 als auch in Artikel 10 verwendet, um die Art und Weise der Kohärenz zu erklären. Es ist augenfällig, dass der Ausdruck „globale Kohärenz“ in Artikel 6 Absatz 4 in der gleichen Bedeutung benutzt wird.

Die Bedeutung eines Gebiets für die Kohärenz des Netzes ist also von den Erhaltungszielen des Gebiets, von der Anzahl und dem Zustand der in diesem Gebiet vorkommenden Lebensräume und Arten, für die das Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde, und von der Rolle abhängig, die diesem Gebiet bei der Gewährleistung einer dem Verbreitungsgebiet angemessenen geografischen Verteilung der in Frage stehenden Arten und Lebensräume zukommt.

Wenn ein Plan oder Projekt ein Gebiet mit einem seltenen Lebensraumtyp mit nur sehr begrenzter Verbreitung beschädigt, das sehr schwer wiederherzustellen wäre und dieses Gebiet eines von insgesamt nur zehn für diesen Lebensraumtyp ausgewiesenen Gebieten ist, müssen die Ausgleichsmaßnahmen natürlich sehr erheblich sein, wenn sie geeignet sein sollen, die globale Kohärenz des Natura-2000-Netzes zu schützen. Wenn ein Plan oder Projekt hingegen einen verhältnismäßig einfach wiederherzustellenden Lebensraum einer in der gesamten EU weit verbreiteten Art (z. B. Triturus cristatus) beschädigen würde und dieser Lebensraum für die Erhaltung der betroffenen Art nur eine untergeordnete Rolle spielt, kommen Ausgleichsmaßnahmen eher in Betracht; zudem werden die Ausgleichsmaßnahmen dann erheblich weniger aufwendig sein.

In Artikel 6 Absatz 4 wird der „Schutz“ der globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes gefordert. Die Richtlinie unterstellt somit, dass das „ursprüngliche“ Netz kohärent ist. Im Falle von Ausnahmeregelungen muss die Lage so korrigiert werden, dass die Kohärenz vollständig wiederhergestellt wird.

Bei der Umsetzung eines Plans oder Projekts müssen die zum Schutz der globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes festgelegten Ausgleichsmaßnahmen den oben angeführten Kriterien Rechnung tragen. Die beschlossenen Ausgleichsmaßnahmen müssen also die für das jeweilige Gebiet festgelegten Erhaltungsziele berücksichtigen und hinsichtlich der Zahl und des Zustands der durch den Plan/das Projekt beeinträchtigten Lebensräume und Arten vergleichbar sein. Gleichzeitig muss ein ausreichender Ersatz für die Funktion des betreffenden Gebiets in Bezug auf die biogeografische Verteilung der beeinträchtigten Lebensräume und Arten geschaffen werden.

An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass bei der Auswahl eines Gebiets für das Natura-2000-Netz nach der Habitat-Richtlinie die folgenden Aspekte zu berücksichtigen sind:

der Lebensraum/die Lebensräume und die Arten in den auf dem Standard-Datenbogen beschriebenen Dimensionen (Flächen und Populationen),

die Lage des Gebiets in der jeweiligen biogeografischen Region und

die vom Habitatausschuss festgelegten und vom Europäischen Themenzentrum für Biologische Vielfalt bei der Beratung der Kommission zur Aufnahme eines Gebiets in die EU-Liste zugrunde gelegten Auswahlkriterien (64).

Die zuständigen Behörden sollten diese Kriterien bei der Erarbeitung von Ausgleichsmaßahmen berücksichtigen und sicherstellen, dass diese Maßnahmen Eigenschaften aufweisen und Funktionen erfüllen, die mit den für die Auswahl des ursprünglichen Gebiets maßgeblichen Maßnahmen vergleichbar sind.

In der Vogelschutzrichtlinie sind weder biogeografische Regionen noch eine Auswahl auf EU-Ebene vorgesehen. Man könnte jedoch analog davon ausgehen, dass die globale Kohärenz des Natura-2000-Netzes gesichert ist, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

Die Ausgleichsmaßnahme erfüllt die Funktionen, die ursprünglich zur Einstufung des Gebiets nach Artikel 4 Absatz 1 und Absatz 2 der Vogelschutzrichtlinie geführt haben;

die Ausgleichsmaßnahme erfüllt entlang der betreffenden Zugroute der Vögel die gleiche Funktion wie das betroffene Gebiet; und

die Ausgleichsgebiete sind mit Sicherheit für die Vögel zugänglich, die sich gewöhnlich in dem durch das Projekt beeinträchtigten Gebiet aufhalten.

Wird beispielsweise ein im Rahmen der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenes Schutzgebiet, dessen spezifische Funktion in der Bereitstellung von Rastplätzen für Zugvögel auf ihrem Weg nach Norden besteht, durch ein Projekt beeinträchtigt, so sollte die für das betreffende Gebiet vorgeschlagene Ausgleichsmaßnahme eben diese spezifische Funktion betreffen. Demzufolge wäre eine Ausgleichsmaßnahme, die zwar die notwendigen Voraussetzungen als Rastplatz für die betroffenen Vogelarten erfüllt, aber nicht an den Zugrouten liegt bzw. zu weit von den Zugrouten entfernt ist, nicht ausreichend, um die globale Kohärenz des Netzes zu gewährleisten. In diesem Fall sollten durch die Ausgleichsmaßnahme an der Zugroute geeignete Rastplätze geschaffen werden, die für die Vögel, die ansonsten das ursprüngliche, durch das Projekt beeinträchtigte Gebiet als Rastplatz gewählt hätten, auch tatsächlich zugänglich sind.

Um die globale Kohärenz des Natura-2000-Netzes sicherzustellen, sollten die für ein Projekt vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen daher: a) in vergleichbarem Umfang auf die beeinträchtigten Lebensräume und Arten ausgerichtet sein, und b) Funktionen erfüllen, die mit denen vergleichbar sind, die für die Auswahl des ursprünglichen Gebiets entscheidend waren, insbesondere im Hinblick auf eine angemessene geografische Verteilung. Daher würde es nicht ausreichen, dass sich die Ausgleichsmaßnahmen lediglich auf dieselbe biogeografische Region im selben Mitgliedstaat beziehen.

Die Entfernung zwischen dem ursprünglichen Gebiet und dem Standort für die Ausgleichsmaßnahmen stellt — solange sie die Funktionsfähigkeit des Gebiets, seine Rolle in Bezug auf die geografische Verteilung und die ursprünglichen Auswahlgründe nicht beeinträchtigt — nicht zwangsläufig ein Hindernis dar.

5.4.3.   Ziel und allgemeiner Inhalt der Ausgleichsmaßnahmen

Die Ausgleichsmaßnahmen müssen gewährleisten, dass ein Gebiet weiterhin zur Erhaltung eines günstigen Erhaltungszustands von natürlichen Lebensräumen und Habitaten der Arten „innerhalb der betroffenen biogeografischen Region“ beiträgt und somit die Erhaltung der globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes sicherstellt. Daraus ergibt sich:

dass ein Gebiet durch ein Projekt grundsätzlich nicht irreversibel beeinträchtigt werden darf, bevor ein Ausgleich tatsächlich erfolgt ist. Allerdings kann es Situationen geben, in denen es nicht möglich ist, diese Bedingung zu erfüllen. So wird es beispielsweise viele Jahre dauern, bis ein neu angelegtes Waldhabitat die Funktionen des ursprünglichen, durch ein Projekt beeinträchtigten Lebensraums erfüllen kann. Aus diesem Grunde sollten größte Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass bereits vor der Projektdurchführung ein entsprechender Ausgleich vorhanden ist. Sollte dies nicht in vollem Umfang realisierbar sein, so sollten die zuständigen Behörden einen zusätzlichen Ausgleich für die zwischenzeitlich zu verzeichnenden Verluste erwägen;

dass der Ausgleich in Bezug auf das Natura-2000-Netz, zusätzlich zu dem Beitrag erfolgen muss, den der Mitgliedstaat nach den Richtlinien geleistet haben sollte.

Die Mitgliedstaaten sollten den Fällen besondere Aufmerksamkeit schenken, bei denen durch einen Plan bzw. ein Projekt seltene natürliche Lebensraumtypen oder natürliche Lebensräume beeinträchtigt werden, deren ökologische Funktion erst nach langer Zeit wieder hergestellt sein wird.

Die Ausweisung neuer Natura-2000-Gebiete kann zwar Teil eines Ausgleichspakets im Sinne von Artikel 6 Absatz 4 sein; allerdings ist eine Ausweisung ohne begleitende Bewirtschaftungsmaßnahmen allein nicht ausreichend.

Im Sinne der Vogelschutzrichtlinie könnten die Ausgleichsmaßahmen auch beispielsweise Arbeiten zur Verbesserung des ökologischen Werts eines Gebiets umfassen, das bereits ausgewiesen bzw. noch einzustufen ist, sodass die Belastbarkeit der Umwelt oder das Nahrungspotential in der Größenordnung des durch das Projekt verursachten Verlusts in dem betroffenen Gebiet erhöht werden. Dementsprechend kann die Neuanlage eines für die betreffenden Vogelarten vorteilhaften Lebensraumes unter der Voraussetzung akzeptiert werden, dass das angelegte Gebiet zu dem Zeitpunkt zur Verfügung steht, zu dem das betroffene Gebiet seinen ökologischen Wert verliert.

Für die Habitat-Richtlinie könnte der Ausgleich in ähnlicher Weise in der Neuanlage eines vergleichbaren Lebensraums, in der biologischen Verbesserung eines nicht der Norm entsprechenden Lebensraums desselben Typs innerhalb des bestehenden ausgewiesenen Gebiets oder sogar in der Eingliederung eines neuen Gebiets in das Natura-2000-Netz bestehen, das ähnliche Eigenschaften wie das ursprüngliche Gebiet aufweist. Im letztgenannten Fall könnte argumentiert werden, dass das Projekt insgesamt zu einem Nettoverlust bei diesem Lebensraumtyp auf der Ebene des Mitgliedstaats führe. Auf der Ebene der EU würde aber ein neues Gebiet durch Artikel 6 geschützt und somit zu den Zielen der Richtlinie beitragen.

Zum Ausgleich der Beeinträchtigungen eines Natura-2000-Gebiets geeignete bzw. erforderliche (d. h. über die bereits nach den Richtlinien vorgeschriebenen Maßnahmen hinausgehende) Ausgleichsmaßnahmen können Folgendes umfassen:

die Verbesserung von Lebensräumen innerhalb von vorhandenen Gebieten: Verbesserung des verbleibenden Lebensraums in betroffenen Gebiet oder Wiederherstellung des Lebensraums in einem anderen Natura-2000-Gebiet im Verhältnis zum durch den Plan oder das Projekt bedingten Verlust;

die Neuanlage eines Lebensraums in einem neuen oder erweiterten Gebiet, das in das Netz Natura 2000 einzugliedern ist; oder

wie bereits erläutert und in Verbindung mit anderen Maßnahmen: Vorschlag eines neuen Gebiets mit hinreichender Qualität als Schutzgebiet nach der Habitat- bzw. Vogelschutzrichtlinie und Festlegung/Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen in diesem neuen Gebiet.

Zu den Ausgleichsmaßnahmen und den begleitenden Maßnahmen gemäß der gegenwärtigen Praxis in der EU nach der Habitat-Richtlinie zählen ferner:

die Wiederansiedlung von Arten;

Maßnahmen zur Förderung der Erholung und Stärkung des Artenbestands, u. a. Unterstützung der Verbreitung von Beutetierarten;

Landerwerb;

der Erwerb von Rechten;

die Einrichtung von Schongebieten (einschließlich starker Einschränkungen der Landnutzung);

Anreize für bestimmte Wirtschaftstätigkeiten, die wichtige ökologische Funktionen unterstützen;

Verringerung der (sonstigen) Bedrohungen (in der Regel für Arten) durch Maßnahmen in Bezug auf eine Einzelursache oder durch koordinierte Maßnahmen in Bezug auf alle Gefährdungsfaktoren (die z. B. durch sogenannte „space-crowded effects“, d. h. durch eine räumliche Konzentration von Störungswirkungen, entstehen).

Grundsätzlich sollte das Ergebnis der Ausgleichsmaßnahmen in der Regel dann erreicht sein, wenn auf dem betroffenen Gebiet ein Schaden eintritt. Ansonsten könnte unter bestimmten Umständen ein zusätzlicher Ausgleich für die temporären Verluste erforderlich sein.

5.4.4.   Im Zusammenhang mit Ausgleichsmaßnahmen zu berücksichtigende Schlüsselelemente

Ausgleichsmaßnahmen im Sinne von Artikel 6 Absatz 4 müssen alle Aspekte (technischer und/oder rechtlicher oder finanzieller Art) berücksichtigen, die zum Ausgleich der nachteiligen Auswirkungen eines Plans oder Projekts und zur Wahrung der globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes erforderlich sind.

Die folgende Liste bietet einen Überblick über die im Einzelnen zu beachtenden Aspekte:

enge Koordination und Zusammenarbeit zwischen den für Natura 2000 zuständigen Behörden, den Prüfbehörden und den Stellen, die den Plan oder das Projekt beantragen,

Zielsetzungen und Zielvorgaben entsprechend den Erhaltungszielen für das betreffende Gebiet;

Beschreibung der Ausgleichsmaßnahmen in Verbindung mit einer wissenschaftlich fundierten Erläuterung, wie diese Maßnahmen die nachteiligen Auswirkungen des Plans oder Projekts auf die betroffenen Arten und Lebensräume angesichts der Erhaltungsziele des Gebiets ausgleichen und wie die Maßnahmen den Schutz der globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes gewährleisten werden;

Nachweis der technischen Realisierbarkeit der Maßnahmen nach Maßgabe der jeweiligen Erhaltungsziele;

Nachweis der rechtlichen und/oder finanziellen Realisierbarkeit der Maßnahmen nach Maßgabe der zeitlichen Vorgaben;

Untersuchung geeigneter Standorte und Erwerb der erforderlichen Rechte (Kauf, Pacht …) an den für die Ausgleichsmaßnahmen zu nutzenden Flächen;

Erläuterung des Zeitrahmens, in dem die angestrebten Ziele mit den Ausgleichsmaßnahmen voraussichtlich erreicht werden;

Zeitplan für die Umsetzung der Maßnahmen und ihre Koordinierung mit der zeitlichen Planung für die Durchführung des Plans oder Projekts;

Information der Öffentlichkeit und/oder Konsultationsphasen;

spezifische Pläne für die Überwachung und Berichterstattung auf der Grundlage von Fortschrittsindikatoren, die nach den Zielen der Ausgleichsmaßnahmen definiert werden;

das für den betreffenden Zeitraum angenommene Finanzierungsprogramm, um den Erfolg der Maßnahmen zu gewährleisten.

5.5.   KRITERIEN FÜR DIE ERARBEITUNG VON AUSGLEICHSMASSNAHMEN

5.5.1.   Gezielter Ausgleich

Ausgleichsmaßnahmen im Sinne der Habitat-Richtlinie müssen unter Zugrundelegung der Bezugspunkte erarbeitet werden, die im Anschluss an die Beschreibung der Integrität des Gebiets festgelegt wurden, bei dem eine Beeinträchtigung oder Zerstörung zu erwarten ist. Ferner müssen bei der Erarbeitung der Ausgleichsmaßnahmen auch die erheblichen negativen Auswirkungen berücksichtigt werden, die wahrscheinlich nicht durch schadensbegrenzende Maßnahmen ausgeglichen werden können.

Wenn die Integrität des Gebiets beeinträchtigt werden könnte und das tatsächliche Ausmaß des zu erwartenden Schadens ermittelt wurde, müssen die Ausgleichsmaßnahmen gezielt auf diese Auswirkungen ausgerichtet werden, um die Elemente, die zur globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes beitragen, langfristig zu erhalten. Folglich sollten die bestmöglichen Maßnahmen angesichts der jeweiligen Art der erwarteten Auswirkung ausgewählt und Ziele bzw. Zielsetzungen verfolgt werden, die direkt auf die betroffenen Elemente von Natura 2000 ausgerichtet sind. Die Maßnahmen müssen sich eindeutig auf die strukturellen und funktionalen Aspekte der Integrität des Gebiets sowie auf die Lebensraumtypen und Artenpopulationen beziehen, die in diesem Zusammenhang betroffen sind.

Daher müssen die Ausgleichsmaßnahmen ökologische Maßnahmen sein. Aus diesem Grund sind Zahlungen an Einzelpersonen oder Einzahlungen in spezielle Fonds — unabhängig davon, ob diese letztlich für Naturschutzprojekte bestimmt sind — im Sinne der Habitat-Richtlinie keine geeigneten Maßnahmen. Darüber hinaus muss jede sekundäre oder indirekte Maßnahme, die eventuell zur Verbesserung des Ergebnisses der wesentlichen Ausgleichsmaßnahmen insgesamt vorgeschlagen wird, in eindeutigem Bezug zu den Zielen und Zielvorgaben der eigentlichen Ausgleichsmaßnahmen stehen.

Bei der Konzeption von Ausgleichsmaßnahmen für Arten beispielsweise sind die folgenden Faktoren zu beachten:

die beeinträchtigten Arten, die jeweilige Gesamtzahl und der Anteil an der Exemplare an der jeweiligen Gesamtpopulation;

die wichtigsten Funktion(en) der voraussichtlich beeinträchtigten Lebensräume, auf die die zu schützenden Arten angewiesen sind (Nahrungsquelle, Rastplatz usw.);

die erforderlichen Maßnahmen zum Ausgleich der erwarteten Beschädigung der Funktionen der Lebensräume und der dort vorkommenden Arten, um einen Zustand wiederherzustellen, der dem günstigen Erhaltungszustand des beeinträchtigten Gebiets entspricht.

5.5.2.   Wirksamer Ausgleich

Die Realisierbarkeit und Wirksamkeit von Ausgleichsmaßnahmen sind — wie auch das Vorsorgeprinzip und die Einhaltung der guten Praxis — für die Umsetzung von Artikel 6 Absatz 4 der Habitat-Richtlinie von entscheidender Bedeutung. Um die Wirksamkeit der Maßnahmen gewährleisten zu können, muss bei der Bewertung der technischen Realisierbarkeit dem jeweiligen Umfang, den Zeitvorgaben und dem Ort der Ausgleichsmaßnahmen Rechnung getragen werden.

Die Ausgleichsmaßnahmen müssen praktikabel und geeignet sein, die ökologischen Funktionen wiederherzustellen, die zur Gewährleistung der globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes erforderlich sind. Mit Blick auf die Durchführung der Maßnahmen sollte von Anfang an bekannt oder absehbar sein, welcher Zeitaufwand und welche Erhaltungsmaßnahmen erforderlich sind, um das Ergebnis zu verbessern. Diese Einschätzung muss sich auf die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse stützen und durch spezifische Untersuchungen des konkreten Orts ergänzt werden, an dem die Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt werden sollen. Maßnahmen, deren Erfolg nicht hinreichend gewährleistet ist, sollten nicht als Ausgleichsmaßnahme im Sinne von Artikel 6 Absatz 4 in Erwägung gezogen werden. Gemäß dem Vorsorgegrundsatz sollte der zu erwartende Erfolg des Ausgleichsprogramms in die endgültige Entscheidung über die Genehmigung des Plans oder des Projekts einfließen. Bei der Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten des Ausgleichs sind die Maßnahmen mit der größten Wirksamkeit und den höchsten Erfolgsaussichten auszuwählen.

Das Ausgleichsprogramm muss eine umfassende Überwachung der Umsetzung der Maßnahmen vorsehen, um deren Wirksamkeit langfristig gewährleisten zu können. Da diese Überwachungstätigkeit im Rahmen des Natura-2000-Netzes erfolgt, sollte sie mit den gemäß Artikel 11 der Habitat-Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen koordiniert und nach Möglichkeit in diese integriert werden.

Maßnahmen, die sich gemessen an ihrem Beitrag zur Verwirklichung der Ziele in der Praxis als wenig wirksam erweisen, sollten entsprechend geändert werden.

5.5.3.   Technische Machbarkeit

Nach derzeitigem Kenntnisstand ist es höchst unwahrscheinlich, dass die ursprüngliche ökologische Struktur und Funktion eines Gebiets, das durch einen Plan oder ein Projekt beeinträchtigt wurde, wiederhergestellt werden kann. Dies gilt auch für die in diesem Gebiet anzutreffenden Lebensräume und Artenpopulationen. Um die inhärenten Schwierigkeiten zu überwinden, die einem vollen Erfolg im Hinblick auf den ökologischen Zustand entgegenstehen, sind die Ausgleichsmaßnahmen wie folgt zu gestalten:

(1)

sie müssen auf wissenschaftlichen Kriterien und Bewertungen unter Zugrundelegung der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse beruhen und

(2)

die spezifischen Anforderungen der ökologischen Merkmale des Gebiets berücksichtigen, die wiederhergestellt werden sollten (z. B. Boden, Feuchtigkeit, Exposition, bestehende Gefahren und sonstige Bedingungen, die eine erfolgreiche Wiederherstellung behindern können).

Die kritischen Aspekte für die technische Machbarkeit werden für die Entscheidung über den Ort der Ausgleichsmaßahme (räumliche Realisierbarkeit), den geeigneten Zeitplan und den Umfang der Maßnahme ausschlaggebend sein.

Darüber hinaus müssen bei der Auswahl der spezifischen Maßnahmen und bei deren Ausgestaltung die in der Praxis gängigen Verfahren angewandt werden (Neuanlage und Wiederherstellung von Lebensraum, Stärkung der Populationen, Wiederansiedlung von Arten oder sonstige Maßnahmen, die im Rahmen des Ausgleichsprogramms erwogen werden).

5.5.4.   Umfang des Ausgleichs

Der Umfang der Ausgleichsmaßnahmen (der erforderlich ist, um deren Wirksamkeit zu gewährleisten) steht in direktem Zusammenhang mit der Anzahl und der Qualität der möglicherweise beeinträchtigten Elemente des betreffenden Gebiets (d. h. unter anderem dessen Struktur, Funktion und Bedeutung für die globale Kohärenz des Natura-2000-Netzes) sowie mit der erwarteten Wirksamkeit der Maßnahmen.

Folglich wird das Ausgleichsverhältnis am besten fallweise ermittelt und zunächst anhand der Informationen festgelegt, die im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nach Artikel 6 Absatz 3 gewonnen werden. Der Umfang der Ausgleichsmaßnahmen muss die Erhaltung der ökologischen Funktionen des jeweiligen Gebiets gewährleisten. Anschließend muss das Ausgleichsverhältnis nach den Ergebnissen der Überwachung der Wirksamkeit unter Umständen neu definiert werden. Die endgültige Entscheidung hinsichtlich des erforderlichen Umfangs der Ausgleichsmaßnahmen ist zu begründen.

Allgemein wird ein Ausgleichsverhältnis von deutlich über 1:1 als erforderlich betrachtet. Daher sollte eine Relation von 1:1 oder darunter nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sicher nachgewiesen ist, dass die Maßnahmen hinsichtlich der Wiederherstellung der Struktur und der Funktion auch bei dieser Relation in vollem Umfang wirksam sind (beispielsweise, da die Erhaltung der Lebensräume bzw. der Populationen der wichtigsten Arten, die wahrscheinlich durch den Plan oder das Projekt beeinträchtigt werden, nicht gefährdet wird).

5.5.5.   Ort der Ausgleichsmaßnahmen

Der Ort der Ausgleichsmaßnahmen sollte in Gebieten durchgeführt werden, in denen hinsichtlich der Bewahrung der globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes die größte Wirksamkeit erreicht wird. Aus diesem Grunde sollte jede Ausgleichsmaßnahme eine Reihe von Bedingungen erfüllen:

Das für den Ausgleich ausgewählte Gebiet muss in dem betreffenden Mitgliedstaat innerhalb derselben biogeografischen Region (bei nach der Habitat-Richtlinie ausgewiesenen Gebieten) oder innerhalb desselben Verbreitungsgebiets, an derselben Zugroute oder in demselben Überwinterungsgebiet (bei nach der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen Gebieten) liegen. Ferner sollte das Gebiet Funktionen erfüllen, die mit denen vergleichbar sind, die der Auswahl des ursprünglichen Gebiets zugrunde lagen. Dies gilt insbesondere für eine angemessene geografische Verbreitung.

Das für den Ausgleich ausgewählte Gebiet muss über spezifische Merkmale verfügen (bzw. in der Lage sein, diese zu entwickeln), die für die jeweilige ökologische Struktur und die Funktionen typisch und für die bestehenden Lebensräume und Artenpopulationen unabdingbar sind. Diese Forderung bezieht sich auf qualitative Aspekte wie die Einzigartigkeit der beeinträchtigten ökologischen Werte und setzt eine Berücksichtigung der lokalen ökologischen Bedingungen voraus.

Die Ausgleichsmaßnahmen dürfen die Erhaltung der Integrität anderer Natura-2000-Gebiete nicht gefährden, die zur globalen Kohärenz des Netzes beitragen. Werden die Maßnahmen in bestehenden Natura-2000-Gebieten durchgeführt, so müssen sie mit den für die jeweiligen Gebiete festgelegten Erhaltungszielen im Einklang stehen und über die in Artikel 6 Absatz 1 vorgesehenen Erhaltungsmaßnahmen hinausgehen. Bewirtschaftungspläne können eine hilfreiche Orientierung für die sinnvolle Gestaltung von Ausgleichsmaßnahmen sein.

Ferner herrscht allgemeine Übereinstimmung darin, dass die für die Wiederherstellung der gefährdeten ökologischen Werte erforderlichen lokalen Bedingungen möglichst in der Nähe des durch den Plan bzw. durch das Projekt beeinträchtigten Gebiets geschaffen werden sollten. Aus diesem Grund sollte als Ort einer Ausgleichsmaßnahme möglichst ein Gebiet ausgewählt werden, das innerhalb oder in der Nähe des betroffenen Natura-2000-Gebiets liegt und geeignete Bedingungen für eine erfolgreiche Durchführung der Ausgleichsmaßnahme aufweist. Allerdings ist dies nicht in allen Fällen möglich. Daher sollten bei der Auswahl von Orten, die die Anforderungen der Habitat-Richtlinie erfüllen, einige wichtige Gesichtspunkte berücksichtigt werden:

1.

Der Ausgleich erfolgt innerhalb des Natura-2000-Gebiets; dies setzt allerdings voraus, dass innerhalb dieses Gebiets die erforderlichen Elemente gegeben sind, die die Wahrung der ökologischen Kohärenz und der Funktion des Netzes gewährleisten.

2.

Der Ausgleich erfolgt außerhalb des betroffenen Natura 2000-Gebiets, aber innerhalb derselben topografischen oder landschaftlichen Einheit; dies setzt voraus, dass das gewählte Gebiet denselben Beitrag zur ökologischen Struktur und/oder Funktion des Netzes leisten kann wie das ursprüngliche Gebiet. Das neue Gebiet kann sowohl ein anderes Natura-2000-Gebiet als auch ein noch nicht ausgewiesenes Gebiet sein. Im letztgenannten Fall müsste das gewählte Gebiet selbst als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen werden und alle Anforderungen der Naturschutz-Richtlinien erfüllen.

3.

Der Ausgleich erfolgt außerhalb des Natura-2000-Gebiets und innerhalb einer anderen topografischen oder landschaftlichen Einheit; in diesem Fall kann das neue Gebiet ein anderes Natura-2000-Gebiet sein. Finden die Ausgleichsmaßnahmen in einem bisher noch nicht als Natura-2000-Gebiet ausgewiesenen Gebiet statt, so muss dieses Gebiet selbst als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen werden und alle Anforderungen der Naturschutz-Richtlinien erfüllen.

Werden im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen neue Gebiete ausgewiesen, so muss der Kommission dies mitgeteilt werden, bevor die Maßnahmen umgesetzt werden und bevor das betreffende Projekt (nach erfolgter Genehmigung) durchgeführt wird. Die neuen Ausweisungen sollten der Kommission auf den üblichen Wegen und mit den üblichen Verfahren zur Kenntnis gegeben werden (entsprechend dem Prozedere bei GGB-Listen und bei BSG-Einstufungen) und auch für eine Ausweisung nach der Habitat-Richtlinie bzw. der Vogelschutzrichtlinie in Betracht kommen.

Bei Ausgleichsmaßnahmen, die im Rahmen von grenzüberschreitenden Projekten durchgeführt werden, sollten die Mitgliedstaaten bestmöglich zusammenarbeiten und sich abstimmen.

5.5.6.   Zeitliche Gestaltung des Ausgleichs

Über die zeitliche Gestaltung der Ausgleichsmaßnahmen ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Dabei muss der vorgesehene Zeitplan die Kontinuität der ökologischen Prozesse gewährleisten, die wesentliche Voraussetzungen für die Erhaltung der Struktur und der Funktionen sind, die zur globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes beitragen. Dazu muss die Umsetzung des Plans oder Projekts sorgfältig auf die Durchführung der Ausgleichsmaßnahmen abgestimmt werden. Ferner sind Aspekte wie die für die Entwicklung eines Lebensraums und/oder für die Erholung oder Ansiedlung von Artenpopulationen in einem bestimmten Gebiet benötigte Zeit zu beachten.

Zudem sind die folgenden Faktoren und Vorgehensweisen zu berücksichtigen:

Ein Gebiet darf nicht irreversibel beeinträchtigt werden, bevor ein geeigneter Ausgleich zur Verfügung steht.

Das Ergebnis der Ausgleichsmaßnahme sollte zu dem Zeitpunkt erreicht sein, an dem die Beschädigung des betreffenden Gebiets eintritt. Wenn dies nicht möglich ist, könnte unter bestimmten Umständen ein zusätzlicher Ausgleich für die temporären Verluste erforderlich sein.

Verzögerungen sind nur zulässig, wenn sichergestellt ist, dass diese das Ziel („keine Nettoverluste“ für die globale Kohärenz des Natura-2000-Netzes) nicht gefährden.

Unzulässig sind Verzögerungen beispielsweise dann, wenn sie zu Populationsverlusten bei auf dem jeweiligen Gebiet nach Anhang II der Habitat-Richtlinie oder nach Anhang I der Vogelschutzrichtlinie geschützten Arten führen. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den in Anhang II der Habitat-Richtlinie genannten prioritären Arten zu.

Je nachdem, ob die erheblichen negativen Auswirkungen kurz-, mittel- oder langfristig erwartet werden, kann der für die Ausgleichsmaßnahme veranschlagte Zeitraum ggf. entsprechend angepasst werden.

Unter Umständen können spezifische Maßnahmen ratsam sein, um temporäre Verluste auszugleichen, die bis zur Verwirklichung der Erhaltungsziele auftreten können. Alle erforderlichen Vorkehrungen technischer, rechtlicher oder finanzieller Art, die für die Durchführung einer Ausgleichsmaßnahme notwendig sind, müssen vor Beginn der Umsetzung eines Plans oder Projekts abgeschlossen sein, um Beeinträchtigungen der Wirksamkeit der Maßnahmen durch unvorhergesehene Verzögerungen zu vermeiden.

5.5.7.   Langfristige Durchführung

Für Ausgleichsmaßnahmen ist eine solide rechtliche und finanzielle Grundlage erforderlich, um deren langfristige Durchführung und deren Schutz, Überwachung und Instandhaltung gewährleisten zu können, bevor Auswirkungen auf Lebensräume und/oder Arten eintreten. Dazu kommen die folgenden Ansätze in Betracht:

Sicherstellung eines temporären Schutzes, auch wenn der Status eines Gebiets mit Bedeutung für die Gemeinschaft bzw. eines besonderen Schutzgebiets erst später erteilt wird;

Anwendung verbindlicher Durchsetzungsinstrumente auf nationaler Ebene mit dem Ziel, die vollständige Umsetzung und Wirksamkeit der Ausgleichsmaßnahme sicherzustellen (beispielsweise durch Verknüpfung mit einer Haftung im Sinne der UVP-Richtlinie oder der Umwelthaftungsrichtlinie oder die Genehmigung eines Plans oder Projekts unter dem Vorbehalt der Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen zur Durchführung der Ausgleichsmaßnahmen);

Anwendung der erforderlichen Rechtsinstrumente für den Fall, dass ein Erwerb von Land oder Rechten für eine wirksame Durchführung der Maßnahmen entsprechend der guten Praxis für unabdingbar gehalten wird (z. B. Standardverfahren für den obligatorischen Erwerb aus Gründen des Naturschutzes);

Entwicklung von Überwachungsprogrammen, die gewährleisten, dass mit den Ausgleichsmaßnahmen das angestrebte Ziel erreicht und langfristig erhalten wird sowie dass ansonsten Abhilfemaßnahmen getroffen werden; in diesem Zusammenhang sind die jeweiligen Ziele, die zuständigen Stellen und die erforderlichen Ressourcen, Indikatoren und Anforderungen für die Berichterstattung an die Kommission anzugeben. Diese Aufgabe könnte am besten von unabhängigen Stellen wahrgenommen werden, die eigens zu diesem Zweck errichtet werden und eng mit den für Natura 2000 zuständigen Behörden zusammenarbeiten und sich mit diesen abstimmen sollen.

5.6.   WER TRÄGT DIE KOSTEN DER AUSGLEICHSMASSNAHMEN?

Es scheint logisch, dass gemäß dem Verursacherprinzip derjenige für die Kosten der Ausgleichsmaßnahmen aufkommt, der für einen Plan oder ein Projekt verantwortlich ist. Im Falle der Kofinanzierung kann er diese in den Gesamtetat einrechnen, der den staatlichen Behörden vorgelegt wird. In diesem Zusammenhang könnten EU-Mittel beispielsweise zur Kofinanzierung der Ausgleichsmaßnahmen für eine Verkehrsinfrastruktur eingesetzt werden, die Bestandteil der TEN (transeuropäischen Netze) sind und aus den dafür vorgesehenen Mitteln finanziert werden, wenn diese finanzielle Unterstützung mit den Zielen, Vorschriften und Verfahren für die Verwendung der betreffenden EU-Mittel vereinbar ist.

5.7.   UNTERRICHTUNG DER KOMMISSION ÜBER DIE AUSGLEICHSMASSNAHMEN

Die zuständigen einzelstaatlichen Behörden müssen die Kommission über die von ihnen ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen unterrichten. In Artikel 6 Absatz 4 werden weder die Form noch der Zweck der betreffenden Informationen erläutert. Um das Verfahren zu vereinfachen, hat die Kommission jedoch ein Standard-Formblatt (65) entwickelt, auf dem die nach Artikel 6 Absatz 4 erforderlichen Informationen übermittelt werden können. Aufgabe der Kommission ist jedenfalls weder, Ausgleichsmaßnahmen vorzuschlagen noch diese wissenschaftlich zu prüfen.

Anhand dieser Informationen soll die Kommission beurteilen können, wie die nachteiligen Auswirkungen so ausgeglichen werden, dass die für das Gebiet als solches wesentlichen Elemente, die zur globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes beitragen, langfristig erhalten werden. Obwohl für die einzelstaatlichen Behörden lediglich die ausdrückliche Pflicht besteht, die von ihnen ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen zu melden, kann sich auch die Übermittlung bestimmter Elemente als notwendig erweisen, die sich auf die untersuchten Alternativlösungen und die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses beziehen, die die Realisierung des Plans bzw. Projekts erforderten, soweit diese Elemente die Wahl der Ausgleichsmaßnahmen beeinflusst haben.

Die Verpflichtung zur Unterrichtung der Kommission über die ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen nach Artikel 6 Absatz 4 Unterabsatz 1 Satz 2 ist uneingeschränkt in nationales Recht umzusetzen. Ohne eine solche Vorschrift im nationalen Recht, die angemessen detaillierte Bestimmungen zu den ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen enthält, „sind die volle Wirksamkeit von Artikel 6 Absatz 4 Unterabsatz 1 Satz 2 der Richtlinie und die Verwirklichung seiner Zielsetzung nicht gewährleistet“ (Rechtssache C-324/01, Rn. 21).

Zu welchem Zeitpunkt im Planungsprozess muss die Kommission über die Ausgleichsmaßnahmen unterrichtet werden und wer ist dafür zuständig?

Um es der Kommission zu ermöglichen, zusätzliche Informationen über die ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen anzufordern oder selbst Maßnahmen zu ergreifen, wenn sie der Auffassung ist, dass den rechtlichen Anforderungen der Richtlinie nicht ordnungsgemäß nachgekommen wurde, sollten ihr die Ausgleichsmaßnahmen gemeldet werden, bevor diese umgesetzt werden und bevor der bereits genehmigte Plan oder das bereits genehmigte Projekt verwirklicht wird. Daher sollte die Kommission über die Ausgleichsmaßnahmen unterrichtet werden, sobald diese beschlossen wurden, um ihr die Möglichkeit zu geben, in ihrer Funktion als Hüterin der Verträge zu beurteilen, ob die Bestimmungen der Richtlinie ordnungsgemäß angewandt werden.

Aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Aufrechterhaltung der globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes und zur Aktualisierung der Informationen über das Natura-2000-Netz müssen die für das Natura-2000-Netz zuständigen Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten bei diesem Prozess eine wichtige Funktion übernehmen. De Informationen sollten ebenso wie bei der Annahme der Gebietslisten von der jeweiligen einzelstaatlichen Behörde über die Ständige Vertretung des Mitgliedstaats übermittelt werden.

Anhand der Informationen über die Ausgleichsmaßnahmen muss die Kommission beurteilen können, wie die nachteiligen Auswirkungen so ausgeglichen werden, dass die für das Gebiet als solches wesentlichen Elemente, die zur globalen Kohärenz des Natura-2000-Netzes beitragen, langfristig erhalten werden. Es ist jedoch nicht die Aufgabe der Kommission, Ausgleichsmaßnahmen vorzuschlagen.

5.8.   WAS GESCHIEHT MIT GEBIETEN, IN DENEN PRIORITÄRE LEBENSRÄUME UND/ODER PRIORITÄRE ARTEN VORKOMMEN?

Artikel 6 Absatz 4 Unterabsatz 2 sieht eine besondere Behandlung vor, wenn sich ein Plan bzw. Projekt auf ein Gebiet bezieht, in dem prioritäre Lebensräume bestehen und/oder prioritäre Arten vorkommen und durch den Plan bzw. das Projekt beeinträchtigt werden. In diesen Fällen ist die Durchführung solcher Pläne oder Projekte nur dann zu rechtfertigen, wenn die aufgeführten zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder mit überwiegenden günstigen Auswirkungen für die Umwelt zusammenhängen oder die Kommission vor der Genehmigung des Plans bzw. Projekts eine Stellungnahme zur vorgesehenen Maßnahme abgibt.

Anders ausgedrückt, eine Schädigung dieser Gebiete könnte — entgegen den Zielen der Richtlinie — nur dann in Kauf genommen werden, wenn die oben genannten zwingenden Gründe gegeben sind oder wenn eine zusätzliche verfahrensmäßige Gewähr in Form einer unabhängigen Einschätzung durch die Kommission geboten wird.

Daraus ergeben sich einige Fragen betreffend

die Feststellung der betroffenen Gebiete,

die Auslegung der Begriffe Gesundheit des Menschen, öffentliche Sicherheit und maßgebliche günstige Auswirkungen für die Umwelt sowie

Verfahren zur Annahme der Stellungnahme der Kommission und die sich aus dieser Stellungnahme ergebenden Konsequenzen.

5.8.1.

Die betroffenen Gebiete

Der zweite Unterabsatz von Artikel 6 Absatz 4 findet Anwendung, wenn die Verwirklichung eines Plans bzw. Projekts ein Gebiet beeinträchtigen wird, in dem prioritäre Lebensräume bestehen und/oder prioritäre Arten vorkommen. In dieser Hinsicht erscheint es angemessen zu erwägen, dass ein Plan oder ein Projekt, der/das

a)

einen prioritären Lebensraum/eine prioritäre Art in keiner Weise beeinträchtigt bzw.

b)

einen prioritären Lebensraum oder eine prioritäre Art beeinträchtigt, die bei der Auswahl des Gebiets nicht berücksichtigt wurde („unerhebliches Vorkommen“ auf dem Standard-Datenbogen),

de facto kein Grund für die Anwendung von Unterabsatz 2 auf ein Gebiet sein sollte.

Da in der Vogelschutzrichtlinie keine Vogelarten als „prioritär“ aufgeführt sind, ist für Maßnahmen, die zum Ausgleich nachteiliger Auswirkungen auf Vogelpopulationen in Schutzgebieten durchgeführt werden, grundsätzlich keine vorherige Stellungnahme der Kommission erforderlich.

Artikel 6 Absatz 4 Unterabsatz 2 kann so verstanden werden, dass er für alle Gebiete Anwendung findet, in denen prioritäre Lebensräume bestehen und/oder prioritäre Arten vorkommen, sobald diese Lebensräume und Arten in Mitleidenschaft gezogen werden.

5.8.2.   Die Begriffe „Gesundheit des Menschen“, „öffentliche Sicherheit“ und „maßgebliche günstige Auswirkungen für die Umwelt“

Die Gesundheit des Menschen, die öffentliche Sicherheit und maßgebliche günstige Auswirkungen für die Umwelt sind die wichtigsten zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses. Wie auch der Begriff „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ selbst werden diese drei Kategorien nicht ausdrücklich definiert.

Wie in Abschnitt 5.3.2 erläutert, werden im EU-Recht die öffentliche Gesundheit und die öffentliche Sicherheit als Gründe für die Einführung nationaler Maßnahmen zur Beschränkung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie des Niederlassungsrechts anerkannt. Außerdem ist der Schutz der menschlichen Gesundheit eines der Grundziele der EU-Umweltpolitik. In diesem Sinne bilden die maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt eine Kategorie, die den genannten Grundzielen der Umweltpolitik zuzurechnen ist.

Nach dem Subsidiaritätsprinzip müssen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden prüfen, ob diese Voraussetzungen gegeben sind. Natürlich können die betreffenden Gegebenheiten von der Kommission im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung des EU-Rechts geprüft werden.

Was den Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ anbelangt, ist das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-57/89 („Deichanlage in der Leybucht“) von Bedeutung. Dieses Urteil wurde erlassen, bevor Richtlinie 92/43/EWG und damit auch Artikel 6 angenommen wurde. Das Urteil ist unverändert relevant, weil der Ansatz des Gerichtshofs die Abfassung von Artikel 6 beeinflusste. Es ging hierbei um Bauarbeiten zur Deichverstärkung in der an der Nordseeküste gelegenen Leybucht. Diese Arbeiten gingen mit der flächenmäßigen Verkleinerung eines besonderen Schutzgebiets einher. Grundsätzlich legte der Gerichtshof dar, dass es sich bei den Gründen, die eine solche Verkleinerung rechtfertigen, um Gründe des Gemeinwohls handeln muss, die Vorrang vor den mit der maßgeblichen Richtlinie verfolgten Umweltbelangen haben. Im konkreten Fall bestätigte der Gerichtshof, dass die Überschwemmungsgefahr und der Küstenschutz ausreichend gewichtige Gründe seien, die die Maßnahmen zur Eindeichung und zur Verstärkung der Küstenanlagen rechtfertigten, solange sich die Maßnahmen auf das unbedingt notwendige Minimum beschränken.

In seinem Urteil in der Rechtssache (C-43/10, Rn. 128), stellte der Gerichtshof fest: „Wenn ein solches Vorhaben ein GGB als solches beeinträchtigt, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so kann seine Verwirklichung grundsätzlich durch mit der Trinkwasserversorgung zusammenhängende Gründe gerechtfertigt werden. Unter bestimmten Umständen könnte sie durch die maßgeblichen günstigen Auswirkungen gerechtfertigt werden, die die Bewässerung für die Umwelt hat. Hingegen gehört die Bewässerung grundsätzlich nicht zu den Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit, die ein Vorhaben wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende rechtfertigen können.“

In der Rechtssache C-504/14 stellte der Gerichtshof in Randnummer 77 klar: „… grundsätzlich [kann] davon ausgegangen werden, dass eine Plattform, die die Fortbewegung von Behinderten erleichtern soll, aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen … errichtet wurde, …“.

Die einzelstaatlichen Behörden können einen Plan bzw. ein Projekt nur dann genehmigen, wenn das Vorliegen der genannten Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses nachgewiesen werden kann, und dann auch nur in den Grenzen, in denen sich der betreffende Plan bzw. das betreffende Projekt als für die Erfüllung des fraglichen öffentlichen Interesses als notwendig erweist.

5.8.3.   Die Annahme der Stellungnahme der Kommission und ihre Konsequenzen

Im Falle anderer zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses als die Gesundheit des Menschen, die öffentliche Sicherheit und die Auswirkungen für die Umwelt ist eine vorherige Stellungnahme der Kommission vorgeschrieben. In Artikel 6 Absatz 4 Unterabsatz 2 werden das Verfahren und der konkrete Inhalt einer solchen Stellungnahme nicht näher erläutert (66). Deshalb ist erneut auf wirtschaftliche Aspekte und die Ziele dieser Bestimmung zu verweisen.

Die Stellungnahme muss eine Bewertung der möglicherweise durch den Plan bzw. das Projekt beeinträchtigten ökologischen Werte, die Erheblichkeit der vorgebrachten zwingenden Gründe, den Ausgleich der beiden gegensätzlichen Interessen und eine Beurteilung der Ausgleichsmaßnahmen umfassen. Diese Bewertung schließt sowohl eine wissenschaftliche und wirtschaftliche Einschätzung als auch die Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Plans bzw. Projekts im Hinblick auf den vorgebrachten zwingenden Grund ein.

Die Kommission kann beurteilen, ob die Umsetzung eines Plans bzw. Projekts die Anforderungen des EU-Rechts erfüllt und gegebenenfalls die geeigneten rechtlichen Schritte einleiten.

Die Richtlinie gibt zwar keine spezifischen Fristen für die Stellungnahme der Kommission vor. Die Kommission wird sich jedoch nach Kräften bemühen, so schnell wie möglich eine Bewertung vorzunehmen und ihre Stellungnahme vorzulegen.

Bei ihrer Stellungnahme sollte die Kommission die Ausgewogenheit zwischen den jeweils betroffenen ökologischen Werten und den vorgebrachten zwingenden Gründen prüfen und die Ausgleichsmaßnahmen beurteilen.


(1)  http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/fitness_check/action_plan/communication_en.pdf

(2)  Natura 2000 — Gebietsmanagement — Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, Europäische Gemeinschaften, 2000 — ISBN 92-828-8988-2.

(3)  Die Seite http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/caselaw/index_en.htm bietet einen Überblick über die wichtigsten Verfahren im Zusammenhang mit Artikel 6.

(4)  Vermerke der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete (BSG), die Festlegung von Erhaltungszielen für Natura-2000-Gebiete und, die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen für Natura-2000-Gebiete sowie Auslegungsleitfäden der Kommission für die Anwendung von Artikel 6 in verschiedenen Sektoren (siehe http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/guidance_en.htm).

(5)  ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7.

(6)  ABl. L 27 vom 26.1.2010, S. 7. Richtlinie zur Aufhebung der Richtlinie 79/409/EWG.

(7)  Artikel 2 Absatz 1.

(8)  Artikel 2 Absatz 2. Der Begriff des „günstigen Erhaltungszustands“ wird in Artikel 1 Buchstaben e und i definiert und bezieht sich auf den Erhaltungszustand der Tier- und Pflanzenarten bzw. der Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse in ihrem gesamten jeweiligen natürlichen Verbreitungsgebiet in der EU.

(9)  Artikel 2 Absatz 3.

(10)  Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Habitat-Richtlinie umfasst das Natura-2000-Netz auch die von den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 79/409/EWG (Vogelschutzrichtlinie) ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.

(11)  Artikel 7 der Habitat-Richtlinie.

(12)  Mitteilung der Kommission: Lebensversicherung und Naturkapital: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020 (KOM(2011) 244 endg.).

(13)  http://ec.europa.eu/environment/nature/knowledge/ecosystem_assessment/index_en.htm

(14)  Beschluss 82/72/EWG des Rates vom 3. Dezember 1981 über den Abschluss des Übereinkommens zur Erhaltung der europäischen freilebenden Tiere und wildwachsenden Pflanzen und ihrer natürlichen Lebensräume (ABl. L 38 vom 10.2.1982, S. 1).

(15)  Beschluss 93/626/EWG des Rates vom 25. Oktober 1993 über den Abschluss des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (ABl. L 309 vom 13.12.1993, S. 1).

(16)  Nähere Informationen zur Beziehung zwischen den artenbezogenen Vorschriften und zu den gebietsbezogenen Schutzvorschriften der Habitat-Richtlinie sind dem Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem zu entnehmen (siehe http://ec.europa.eu/environment/nature/conservation/species/guidance/pdf/guidance_de.pdf).

(17)  Die Artenschutzvorschriften der Habitat-Richtlinie gelten für bestimmte Arten von gemeinschaftlichem Interesse, nicht aber für Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse. Für Letztere sind ausschließlich die Bestimmungen des Kapitels „Erhaltung natürlicher Lebensräume und der Habitate der Arten“ (Artikel 3-11) anwendbar. Vorkommen dieser Lebensraumtypen außerhalb des Natura-2000-Netzes sind daher nicht durch die Habitat-Richtlinie geschützt.

(18)  https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_7045/de/

(19)  ABl. L 26 vom 28.1.2011, S. 1, in der durch die Richtlinie 2014/52/EU geänderten Fassung (ABl. L 124 vom 25.4.2014, S. 1).

(20)  Eine ähnliche Anforderung gilt für Gebiete, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auf Basis der Kriterien in Anhang III der Habitat-Richtlinie auf der nationalen Liste der vorgeschlagenen GGB geführt werden müssten.

(21)  Durchführungsbeschluss 2011/484/EU der Kommission über den Datenbogen für die Übermittlung von Informationen zu Natura-2000-Gebieten (siehe http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:198:0039:0070:DE:PDF).

(22)  Nähere Informationen sind dem Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungszielen für Natura-2000-Gebiete (2013) (http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/docs/commission_note/commission_note2_DE.pdf) zu entnehmen.

(23)  D. h. alle Arten, für die eine nicht signifikante Populationsgröße oder -dichte bezogen auf die im jeweiligen nationalen Territorium vorkommenden Populationen (Populationsgröße Kategorie D) festgestellt wurde, sowie Lebensraumtypen, für die eine nicht signifikante Repräsentativität (Kategorie D) ermittelt wurde.

(24)  Siehe Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen für Natura-2000-Gebiete (2013) (http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/docs/commission_note/comNote%20conservation%20measures_DE.pdf).

(25)  Nach den Bestimmungen der Gemeinsamen Fischereipolitik einschließlich der Maßnahmen nach Artikel 11 der Verordnung (EU) Nr. 1380/2013.

(26)  Nach dem Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen für Natura-2000-Gebiete (http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/docs/commission_note/comNote%20conservation%20measures_DE.pdf).

(27)  Die Arbeiten im Rahmen der Kartierung und Bewertung von Ökosystemen und Ökosystemdienstleistungen können die Ermittlung der ökologischen Erfordernisse der in Anhang I genannten natürlichen Lebensraumtypen unterstützen (siehe insbesondere 5. MAES-Fachbericht (http://ec.europa.eu/environment/nature/knowledge/ecosystem_assessment/index_en.htm).

(28)  Verordnung (EU) Nr. 1293/2013.

(29)  Financing Natura 2000 — http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/financing/index_en.htm.

(30)  Siehe auch Abschnitt 4.4.1 zum Begriff „Projekt“.

(31)  Rechtssache C-127/02, Rn. 37. Siehe auch Abschnitt 4.3 zum Zusammenhang zwischen den Absätzen 2 und 3 des Artikels 6.

(32)  Siehe auch Rechtssachen C-75/01, C-418/04, C-508/04 und 301/12.

(33)  Klimaprojektionen zufolge besteht das Risiko immer häufigerer und stärkerer extremer Wetterereignisse, die berücksichtigt werden müssen.

(34)  Siehe Leitfaden zum Klimawandel und Natura 2000: http://ec.europa.eu/environment/nature/climatechange/pdf/Guidance%20document.pdf.

(35)  Siehe auch Rechtssachen C-491/08 und C-90/10.

(36)  Im Laufe der Kartierung und Bewertung von Ökosystemen und Ökosystemdienstleistungen (MAES — Mapping and Assessment of Ecosystems and their Services) werden Indikatoren für Ökosysteme entwickelt, die auch zur Bewertung von Verschlechterungen und Störungen herangezogen werden können — siehe insbesondere 5. MAES-Fachbericht (http://ec.europa.eu/environment/nature/knowledge/ecosystem_assessment/index_en.htm).

(37)  Durchführungsbeschluss der Kommission vom 11. Juli 2011 über den Datenbogen für die Übermittlung von Informationen zu Natura-2000-Gebieten (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2011) 4892) (2011/484/EU), ABl. L 198 vom 30.7.2011, S. 39.

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:198:0039:0070:DE:PDF).

(38)  http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/habitatsdirective/docs/Int_Manual_EU28.pdf

(39)  Dieses Verfahren wird in Anhang II in einem vereinfachten Flussdiagramm dargestellt.

(40)  ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1, in der durch Richtlinie 2014/52/EU geänderten Fassung.

(41)  Die Relevanz dieser Definition für die Habitat-Richtlinie wurde auch vom Gerichtshof festgestellt (Rechtssache C-127/02, Rn. 26).

(42)  Solche Eingriffe/Tätigkeiten fallen dann in den Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie, wenn sie mit Änderungen des materiellen Zustands eines Gebiets einhergehen (Rechtssachen C-121/11, Pro-Braine, Rn. 31, C-275/09, Flughafen Brüssel, Rn. 30).

(43)  ABl. L 197 vom 21.7.2001, S. 30.

(44)  Dies gilt unbeschadet der Anwendung der SUP-Richtlinie (Richtlinie 2001/42/EG).

(45)  Einzelheiten zur Einbeziehung der verschiedenen Prüfungsschritte sind auch Abschnitt 3.2 des Leitliniendokuments zur Straffung von UVP-Verfahren für Vorhaben von gemeinsamem Interesse (http:/ec.europa.eu/environment/eia/pdf/PCI_guidance.pdf) zu entnehmen.

(46)  Siehe Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 2011/92/EU, in der durch Richtlinie 2014/52/EU geänderten Fassung.

(47)  Siehe Anhang III der Richtlinie 2011/92/EU in der durch die Richtlinie 2014/52/EU geänderten Fassung.

(48)  Bei Projekten, die nicht der UVP-Richtlinie unterliegen, kann hingegen eine Verträglichkeitsprüfung nach Artikel 6 Absatz 3 erforderlich sein.

(49)  Nach der UVP-Richtlinie können bei der Entscheidung über die Notwendigkeit einer umfassenden UVP-Prüfung jedoch alle Aspekte des Projekts und/oder von Maßnahmen berücksichtigt werden, mit denen erhebliche nachteilige Auswirkungen vermieden oder verhindert werden sollen (Artikel 4 Absatz 5 Buchstabe b der UVP-Richtlinie, in der geänderten Fassung).

(50)  http://www.unece.org/env/eia/welcome.html

(51)  Artikel 7 der Richtlinie 2011/92/EU (in der durch die Richtlinie 2014/52/EU geänderten Fassung) und Artikel 7 der Richtlinie 2001/42/EG.

(52)  Bereits abgeschlossene Pläne und Projekte können im Zusammenhang mit den Absätzen 1 und 2 des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie ebenfalls Fragen aufwerfen, wenn ihre fortdauernde Auswirkungen erhaltungsbezogene Abhilfemaßnahmen oder Ausgleichsmaßnahmen oder Maßnahmen erfordern, durch die eine Verschlechterung des Zustands der Lebensräume und Störungen von Arten verhindert werden sollen.

(53)  Siehe auch Rechtssachen C-239/04 und C-404/09.

(54)  Diese Straffung kann auch nach Artikel 4 Absatz 7 der Wasserrahmenrichtlinie erforderliche Prüfungen betreffen (siehe auch http://ec.europa.eu/environment/eia/pdf/PCI_guidance.pdf).

(55)  Richtlinie 2011/92/EU, in der durch die Richtlinie 2014/52/EU geänderten Fassung.

(56)  Mitteilung der Kommission — Leitlinien der Kommission für die Straffung der Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2014/52/EU geänderten Fassung) (Mitteilung 2016/C 273/01 der Kommission, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:C:2016:273:TOC).

(57)  Siehe auch Rechtssache C-441/17, Rn. 134-144.

(58)  Die Kartierung und Bewertung von Ökosystemen und Ökosystemdienstleistungen kann die Einschätzung von Auswirkungen etwa zur Bestimmung ökologischer Werte und Funktionen des Gebiets, zur Beschreibung von Bedrohungen für Lebensräume und Arten und zur Bewertung der ökologischen Struktur und der Funktionen von Biotopklassen im Hinblick auf die Integrität des Gebiets unterstützen (siehe insbesondere 5. MAES-Fachbericht — http://ec.europa.eu/environment/nature/knowledge/ecosystem_assessment/index_en.htm).

(59)  Erläuterungen bestimmter Begriffe sind dem Interpretation Manual of European Union Habitats — EUR28 (siehe http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/habitatsdirective/index_en.htm#interpretation) zu entnehmen.

(60)  Siehe auch Rechtssache C-142/16, Rn. 33: „Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, dürfen die zuständigen nationalen Behörden die einer Verträglichkeitsprüfung unterzogene Tätigkeit nämlich nur dann genehmigen, wenn sie Gewissheit darüber erlangt haben, dass sie sich nicht nachteilig auf das geschützte Gebiet als solches auswirkt. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt …

(61)  Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu den Gerichten in Umweltfragen. Dieses Übereinkommen wurde im Juni 1998 in Århus (Dänemark) geschlossen. Nach dem Beschluss 2005/370/EG (http://ec.europa.eu/environment/aarhus/legislation.htm) gehört die EU zu den Unterzeichnern dieses Übereinkommens.

(62)  Ein Qualitätsrahmen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Europa, KOM(2011) 900 endgültig, 20.12.2011.

(63)  Dies bedeutet nicht, dass Projekte zur Trinkwasserversorgung und zur Bewässerung immer aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt werden könnten.

(64)  https://biodiversity.eionet.europa.eu/activities/Natura_2000/chapter6

(65)  Siehe http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/guidance_en.htm.

(66)  Das Standard-Formblatt (http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/ guidance_en.htm) deckt die Einholung der Stellungnahme durch die Kommission nach Artikel 6 Absatz 4 Unterabsatz 2 ab.


ANHANG I

Vergleich der Verfahren nach der Verträglichkeitsprüfung (VP), der UVP und der SUP

 

VP

UVP

SUP

Welche Arten von Entwicklungen werden angestrebt?

Ein Plan oder Projekt, das — für sich genommen oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten — ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnte (außer Plänen oder Projekten, die unmittelbar mit dem Erhaltungsmanagement des Gebiets in Zusammenhang stehen).

Alle in Anhang I genannten Projekte.

Bei in Anhang II genannten Projekten ist fallweise zu prüfen oder anhand von Schwellenwerten oder durch von den Mitgliedstaaten (unter Berücksichtigung der Kriterien in Anhang III) festgelegten Kriterien zu entscheiden, ob eine UVP durchgeführt werden muss.

Alle Pläne und Programme sowie Änderungen von Plänen und Programmen,

a)

die von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene vorbereitet und/oder beschlossen werden;

b)

die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen;

c)

die für Land-, Wald-, Fischerei- oder Energiewirtschaft, Verkehrswesen, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Stadt- und Raumplanung oder Landnutzung erstellt wurden und den Rahmen für die Zustimmung zur Entwicklung künftiger in den Anhängen I und II der UVP-Richtlinie genannter Projekte bilden, oder

für die angesichts der wahrscheinlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach den Artikeln 6 oder 7 der Richtlinie 92/43/EWG als erforderlich betrachtet wurde.

Welche Auswirkungen auf die Natur müssen geprüft werden?

Die Prüfung sollte auf der Grundlage der Erhaltungsziele des Gebiets (d. h. in Bezug auf die Arten/Lebensraumtypen, für die das Gebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde) durchgeführt werden.

Außerdem sollte geprüft werden, ob die Auswirkungen das Gebiet als solches beeinträchtigen.

Mittelbare und unmittelbare, nachgeordnete, kumulative, grenzüberschreitende, kurz-, mittel- und langfristige, ständige und vorübergehende, positive und negative erhebliche Auswirkungen auf Populationen und auf die menschliche Gesundheit; biologische Vielfalt unter besonderer Berücksichtigung von nach den Richtlinien 92/43/EWG und 2009/147/EG geschützten Arten und Lebensräumen; Land, Boden, Gewässer, Luft und Klima und Landschaft; Sachgüter, kulturelles Erbe und die Landschaft; Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren.

Mögliche erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt, u. a. auf Aspekte wie biologische Vielfalt, Populationen, menschliche Gesundheit, Fauna, Flora, Boden, Gewässer, Luft, klimatische Faktoren, Sachgüter, kulturelles Erbe einschließlich des architektonischen und archäologischen Erbes, Landschaft und die Zusammenhänge zwischen den genannten Faktoren.

Wer ist für die Prüfung zuständig?

Die zuständige Behörde muss sicherstellen, dass die Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang kann der Projektträger verpflichtet werden, alle erforderlichen Studien durchzuführen und alle erforderlichen Informationen bei der zuständigen Behörde vorzulegen, damit diese eine fundierte Entscheidung treffen kann. In diesem Zusammenhang kann die zuständige Behörde ggf. auch relevante Informationen aus anderen Quellen berücksichtigen.

Der Projektträger legt die erforderlichen Informationen vor, die von der zuständigen Behörde, die über die Genehmigung entscheidet, in Verbindung mit den Ergebnisse der durchgeführten Anhörungen gebührend zu berücksichtigen sind.

Nach der SUP-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten einen erheblichen Ermessensraum bei der Bestimmung der für die SUP zuständigen Behörden. Dies könnten die für einen Plan bzw. ein Programm zuständigen Behörden, aber auch Umweltbehörden, die von Rechts wegen zu Umfang und Detaillierungsgrad der in den Umweltbericht sowie in den Entwurf eines Plans oder Programms und in den begleitenden Umweltbericht aufzunehmenden Informationen anzuhören sind, oder speziell mit der Durchführung des SUP-Verfahrens beauftragte Behörden sein.

Werden die Öffentlichkeit bzw. sonstige Behörden angehört?

Verpflichtend — Anhörung der breiten Öffentlichkeit vor der Genehmigung eines Plans oder Projekts

Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass sich die betroffene Öffentlichkeit, insbesondere NROs im Umweltbereich, frühzeitig und wirksam (bereits bei der Vorabprüfung) in ein Genehmigungsverfahren im Anschluss an eine durchgeführte Verträglichkeitsprüfung einbringen können. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit der Übermittlung von Stellungnahmen, Informationen, Analysen oder Einschätzungen, die als für die beantragte Tätigkeit relevant betrachtet werden.

Verpflichtend — Anhörung vor Genehmigung des beantragten Entwicklungsvorhabens

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die Behörden, die in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich von dem Projekt berührt sein könnten (Umweltbehörden sowie sonstige lokale und regionale Behörden), Stellung zum Genehmigungsantrag nehmen können. Die gleichen Grundsätze gelten für die Anhörung der betroffenen Öffentlichkeit.

Wenn erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt in einem anderen Mitgliedstaat zu erwarten sind, müssen auch die zuständigen Behörden und die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat angehört werden.

Verpflichtend — Anhörung vor Genehmigung des Plans oder Programms

Die Mitgliedstaaten hören die Behörden an, die aufgrund ihrer spezifischen Zuständigkeiten in Umweltbelangen von den Umweltauswirkungen der Durchführung eines Plans/Programms betroffen sein könnten. Die von einem Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit (einschließlich NROs) sollte angehört werden.

Die Behörden und die Öffentlichkeit erhalten in angemessenen zeitlichen Rahmen frühzeitig und wirksam Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf eines Plans oder Programms und zum begleitenden Umweltbericht, bevor der Plan oder das Programm angenommen oder in das Gesetzgebungsverfahren aufgenommen wird.

Wenn erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt in einem anderen Mitgliedstaat zu erwarten sind, müssen auch die zuständigen Behörden und die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat angehört werden.

Wie verbindlich sind die Ergebnisse der Prüfung?

Sie sind verbindlich.

Die zuständigen Behörden können dem Plan oder Projekt erst dann zustimmen, wenn sie sich vergewissert haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird.

Die Ergebnisse der Anhörungen und die im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung eingeholten Angaben sind beim Genehmigungsverfahren gebührend zu berücksichtigen .

Der Genehmigungsbeschluss enthält zumindest eine mit Gründen versehene Schlussfolgerung (d. h. die im Rahmen der UVP getroffene Entscheidung) sowie ggf. die Umweltschutzauflagen, an die der Beschluss geknüpft ist.

Der Umweltbericht und die Stellungnahmen werden bei der Ausarbeitung des Plans oder Programms und vor der Genehmigung bzw. der Aufnahme in das Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt .


ANHANG II

Prüfung von Plänen und Projekten, die sich auf Natura-2000-Gebiete auswirken

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ANHANG III

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