18.10.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 353/72


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der Beruf des Landwirts angesichts des Rentabilitätsdrucks“

(Initiativstellungnahme)

(2019/C 353/12)

Berichterstatter: Arnold PUECH D’ALISSAC

Beschluss des Plenums

20.2.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

28.6.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

18.7.2019

Plenartagung Nr.

545

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

188/0/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die landwirtschaftlichen Betriebe in der EU stehen in Bezug auf ihre Rentabilität und wirtschaftliche Tragfähigkeit vor einem schwerwiegenden Problem, da das durchschnittliche Einkommen von Landwirten nur 46,5 % des Einkommens in anderen Wirtschaftszweigen beträgt. Ungeachtet der geringen Rentabilität ist die Landwirtschaft der EU als Motor der ländlichen Wirtschaft und als Erzeuger hochwertiger Lebensmittel, die den weltweit höchsten Standards entsprechen, von entscheidender Bedeutung. Ökologische Nachhaltigkeit kann jedoch nicht losgelöst von den gleichermaßen wichtigen wirtschaftlichen, geschäftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten der Landwirtschaft erreicht werden.

1.2.

Der Agrarsektor der EU bietet den Verbrauchern Ernährungssicherheit, während die Belastung durch den Klimawandel und die gesellschaftlichen Erwartungen an die ökologische Nachhaltigkeit zunehmen. Darüber hinaus leistet er einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit und Dynamik der EU auf den internationalen Märkten sowie zu ihrem Handelsüberschuss. Zudem stellt die Landwirtschaft mit über 40 Mio. Beschäftigten in der gesamten Union eine der größten Beschäftigungsquellen dar. In einigen Gebieten ist die Landwirtschaft häufig der einzige Wirtschaftszweig, der für Wachstum und Arbeitsplätze sorgt.

1.3.

Die EU benötigt eine gerechte, transparente, gut funktionierende und ausgewogene Lebensmittelversorgungskette, von der sämtliche Landwirte und andere Interessenträger profitieren, einschließlich Verarbeiter, Einzelhändler und vor allem die Verbraucher. Auf einzelstaatlicher Ebene sollte ein Ansatz in Betracht gezogen werden, nach dem Verhandlungen entgegen dem marktüblichen Machtgefälle geführt werden, indem Wertschöpfungsketten geschaffen werden, innerhalb derer Landwirte ein monatliches Einkommen erzielen, dass dem doppelten Mindestlohn entspricht.

1.4.

Der Agrarsektor der EU erbringt positive öffentliche Dienstleistungen und sorgt für externe Effekte, was jedoch keinerlei Anerkennung durch den Markt erfährt. Eines der bereits erreichten Ziele besteht in der Sicherstellung der Ernährungssicherheit bei gleichzeitiger Einhaltung höchster Produktionsstandards. Jedoch stellen sich nunmehr neue Herausforderungen, wie etwa der Klimawandel, ausgeprägtere Preisschwankungen, unlauterer Wettbewerb durch Produktionssysteme mit niedrigeren Standards, unlautere Handelspraktiken, Landflucht sowie die Alterung der landwirtschaftlichen Bevölkerung, wodurch die Landwirte der EU auf dem internationalen Markt in eine schwierige Lage versetzt werden.

1.5.

Neue Technologien zusammen mit inklusiven Forschungs- und Innovationstätigkeiten sind Teil der Lösung, um den Agrarsektor der EU wettbewerbsfähig zu halten und es den Landwirten in der EU zu ermöglichen, eine direkte und wirksame Antwort auf die Frage der Nachhaltigkeit zu finden.

1.6.

Lebenslange allgemeine und berufliche Bildung sowie die lebenslange Entwicklung von Kompetenzen sind erforderlich, damit die Landwirte in der EU das Potenzial der neuen Technologien vollständig nutzen und innovative Lösungen in ihren Betrieben einsetzen können.

1.7.

Angesichts der zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels, wie etwa veränderte Erntezeiten, frühere oder spätere Fröste sowie Brände, Hochwasser und Dürren, haben die Landwirte eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um einen größeren Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten. Darüber hinaus sollten Umweltmaßnahmen keine Gefahr für die Lebensmittelsicherheit darstellen. Es muss eine gerechte Vergütung der Landwirte für den zusätzlichen Aufwand geben, den Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit und die Eindämmung des Klimawandels häufig mit sich bringen.

1.8.

Eine starke EU ist bestrebt, neben den Zielen des Vertrags von Lissabon gleichermaßen die globalen Ziele des Klimaschutzübereinkommens von Paris und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Diese ehrgeizigen Verpflichtungen müssen durch einen soliden Haushalt und effiziente politische Maßnahmen gestützt werden, damit die Zukunft, die Entwicklung und der Wohlstand der Landwirtschaft und der ländlichen Gebiete gesichert werden kann. Sowohl die europäischen Landwirte als auch die landwirtschaftlichen Genossenschaften benötigen für den kommenden Zeitraum einen soliden GAP-Haushalt.

2.   Einleitung

2.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) will in dieser Stellungnahme auf die wichtige Rolle der europäischen Landwirte und auf ihren Beitrag zur Wirtschaft der EU, zur weltweiten Ernährungssicherheit und zur Belebung der ländlichen Gebiete aufmerksam machen. Häufig erfährt dieser Beitrag jedoch nicht die verdiente Anerkennung, wodurch die neue Generation von der Übernahme des landwirtschaftlichen Familienbetriebs abgeschreckt und die Attraktivität des Wirtschaftszweigs für Neueinsteiger verringert wird.

3.   Die Rolle der Landwirte in der EU

3.1.    Beitrag zur Ernährungssicherheit, zur Versorgung mit gesunden und nahrhaften Lebensmitteln und zur Wirtschaft der Union im Allgemeinen

3.1.1.

Angesichts der steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln und Biomasse setzen sich die Landwirte in der EU, ihre Genossenschaften und ihre Betriebe für die Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung sicherer und hochwertiger Lebensmittel für alle Bürgerinnen und Bürger der Union sowie der Verbraucher weltweit ein. Trotz der zunehmenden Belastung durch den Klimawandel und hoher gesellschaftlicher Erwartungen an die ökologische Nachhaltigkeit bieten sie den Verbrauchern Ernährungssicherheit. Darüber hinaus leistet der europäische Agrarsektor einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit und Dynamik der EU auf den internationalen Märkten. Laut Eurostat (1) entfielen im Jahr 2017 mit einer Bruttowertschöpfung in Höhe von 188,5 Mrd. EUR insgesamt 1,2 % des BIP der Union auf den Agrarsektor, der im selben Zeitraum durch landwirtschaftliche Exporte im Wert von 137 Mrd. EUR zum Handelsüberschuss der Union beitrug.

3.2.    Beschäftigung in ländlichen und benachteiligten Gebieten

3.2.1.

Bei der Lebensmittelkette der EU handelt es sich um einen ihrer größten Wirtschaftszweige, durch den sowohl Wachstum als auch Arbeitsplätze für rund 40 Mio. Menschen geschaffen werden. Rund 10 Mio. Menschen werden direkt durch und in landwirtschaftlichen Betrieben und Genossenschaften beschäftigt. In einigen Gebieten und Regionen stellt die Landwirtschaft gar die einzige Beschäftigungsmöglichkeit dar.

3.3.    Landwirte als Bewahrer von Kulturlandschaften und Landbewirtschafter

3.3.1.

Die Landwirte, landwirtschaftlichen Betriebe und Genossenschaften in der EU bewirtschaften rund 173 Mio. Hektar Land, was in etwa 39 % der Gesamtfläche der EU entspricht. Landwirte und ihre Familienmitglieder erhalten sowohl ländliche Gebiete als auch die biologische Vielfalt, bieten der Gesellschaft durch ihre gewissenhafte Landnutzung und Landschaftspflege viele Vorteile und tragen im Falle extremer Wetterbedingungen aktiv zur Abmilderung der Auswirkungen von Katastrophen größeren Ausmaßes bei. Viele Landwirte sind auch Waldbesitzer und leisten einen erheblichen Beitrag zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Darüber hinaus unterstützen Landwirte den Erhalt und die Wiederherstellung von Kulturlandschaften in den ländlichen Gebieten der EU und stellen somit den Erhalt des Kulturerbes sicher und ermöglichen überdies Synergien mit der Tourismusbranche der EU. Allerdings können die bisherigen Bemühungen der Landwirtschaft nicht darüber hinwegtäuschen, dass zur Erreichung der europäischen wie globalen Biodiversitätsziele, inkl. des Bienen-, Insekten- und Vogelschutzes, noch wesentlich mehr Anstrengungen erforderlich sind und Maßnahmen getroffen werden müssen. Dies steht zum Teil im Konflikt mit den Rentabilitätserfordernissen, weshalb die EU einen stärkeren ökologischen Beitrag der Landwirtschaft zwingend honorieren muss, indem sie der GAP mehr Mittel zuweist.

4.   Wandel des Berufsbilds „Landwirt“

4.1.    Steigende gesellschaftliche Erwartungen an gesunde Ernährung, die Herkunft und Qualität von Lebensmitteln, Auswirkungen auf den Umweltschutz und das Wohlbefinden der Tiere

4.1.1.

Verbrauchern steht eine Vielzahl von Informationen über die täglich von ihnen konsumierten Lebensmittel zur Verfügung. Zudem achten sie stärker auf Herkunft, Qualität und Umweltauswirkungen dieser Lebensmittel. Darüber hinaus wird die Wahl der Verbraucher von der Einhaltung von Tierschutznormen und der Entfernung des Erzeugungsorts der Lebensmittel, einschl. kürzerer Lebensmittelversorgungsketten, bestimmt.

4.1.2.

Um den Erwartungen der Verbraucher gerecht zu werden, haben die Landwirte in der EU mit der Umsetzung von Maßnahmen zur weiteren Verbesserung des Tierschutzes und zur Verringerung negativer Auswirkungen landwirtschaftlicher Tätigkeiten auf die Umwelt und die Bodenqualität unter Beibehaltung einer hohen Produktqualität begonnen. Mit Unterstützung der Behörden und der Wissenschaft investieren die Landwirte in der EU sowohl Energie als auch Ressourcen, um diesem neuen Verbraucherverhalten Rechnung zu tragen.

4.2.    Die Bedeutung von Technik und Innovation in der Landwirtschaft

4.2.1.

Der Agrarsektor der EU befindet sich mit zahlreichen Durchbrüchen — etwa in den Bereichen Genetik, automatischer Fahrzeuge, Roboter, Drohnen, Satellitenbildgebung, Fernerkundung und Massendaten — an der Spitze der technischen und digitalen Revolution. Darüber hinaus übernehmen, entwickeln und nutzen Landwirte seit jeher neue Geschäftsmodelle und Anbaumethoden für landwirtschaftliche Betriebe, einschließlich neuer Techniken und Erzeugungsmethoden, wodurch die Erträge gesteigert und landwirtschaftliche Verfahren besser den veränderten Gegebenheiten angepasst werden können.

4.2.2.

In dieser Hinsicht helfen neue Technologien den Landwirten in der EU, die Ernährungssicherheit zu gewährleisten, während gleichzeitig die weltweit höchsten Standards eingehalten und die Erwartungen der Verbraucher erfüllt werden. In diesem Sinne ermöglichen neue Technologien den Landwirten in der EU eine aktive und wirksame Auseinandersetzung mit der Problematik des Umweltschutzes. Beispielsweise ist die Einschränkung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln nunmehr durch einen Mix von Technologien erreichbar, die den Landwirten in jedem Aspekt der Produktion helfen. Die besten Effekte bei der Einschränkung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und der verbesserten Widerstandsfähigkeit von Pflanzen und Tieren gegenüber Schädlingen, Pilzen und externen Krankheitserregern haben unter anderem neue Zuchttechniken gezeigt.

4.2.3.

Technologien spielen jedoch nicht nur in Verbindung mit der eigentlichen Erzeugung eine Rolle, sondern auch für sämtliche in den Bereichen Rückverfolgbarkeit, Lebensmittelsicherheit, Tierschutz und Klimaschutz ergriffenen Maßnahmen, die die Landwirtschaft der EU auch weiterhin zum weltweit fortschrittlichsten und sichersten Agrarsektor machen.

4.2.4.

Der Zugang zu Finanzmitteln ist für die Landwirte in der EU von entscheidender Bedeutung, um innovative technische Lösungen in ihrem Betrieb umsetzen zu können. Diesbezüglich sollte die durch die zweite Säule der GAP garantierte Subsidiarität auch unter der neuen GAP fortgeführt und gefördert werden. Es gilt zu beachten, dass die Landwirte in der EU nur dann in der Lage sind, die neuesten technischen Entwicklungen in ihren Betrieben umzusetzen, wenn sie einfachen Zugang zu Krediten haben.

5.   Herausforderungen

5.1.    Klimawandel

5.1.1.

Die Landwirte in der EU leisten einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels, der sie zunehmend in Mitleidenschaft zieht, etwa in Form veränderter Erntezeiten, früher oder später Fröste sowie in Form von Bränden, Hochwasser und Dürren. Wirksame Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sind deshalb für die langfristige wirtschaftliche Lebensfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig reduzieren die Landwirte mit nachhaltigen Bewirtschaftungsverfahren die Emissionen sowohl inner- als auch außerbetrieblich, etwa durch die Anwendung neuer Technologien und den effizienteren Einsatz von Anbaukulturen, Stroh, Dung und anderen Abfallprodukten als erneuerbare Energiequellen sowie durch Solarwärme und durch Elektrizität aus Windkraft und anderen Quellen. Aus Nutzpflanzen gewonnene Produkte und tierische Abfallprodukte können entsprechend den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft für die betriebsinterne Herstellung von Biokraftstoffen und erneuerbaren Industriewerkstoffen verwendet werden. Damit werden die Emissionen anderer Wirtschaftszweige gesenkt und die Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen verringert.

5.1.2.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass sowohl das Klimaschutzübereinkommen von Paris als auch die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung bedeutende Zielvorgaben für den Agrarsektor der EU enthalten, die zwischen 2030 und 2050 zu erfüllen sind. Die europäischen Landwirte sind bereit, diese Herausforderungen zu meistern, wenn sie mit den richtigen Werkzeugen ausgestattet werden. Der entsprechende „Werkzeugkoffer“ muss positive und benutzerfreundliche politische Rahmenbedingungen, neue Technologien, Wasserbewirtschaftungsstrategien (d. h. Speicherung und Bewässerung) und einen soliden GAP-Haushalt für den zusätzlichen Aufwand der Landwirte umfassen. Wird den Landwirten eines der vorgenannten Werkzeuge vorenthalten, würde dies die Ernährungssicherheit gefährden und die Qualität der Lebensmittelerzeugung der EU beeinträchtigen.

5.2.    Einkommen in der Landwirtschaft

5.2.1.

Das als Index angegebene landwirtschaftliche Einkommen (2) je Jahresarbeitseinheit in den EU-28 ist im Jahr 2017 gegenüber 2016 um 10,9 % angestiegen. Dies ist jedoch in Relation zu anderen Wirtschaftszweigen zu sehen, in denen das Durchschnittseinkommen wesentlich höher ist. Im Vergleich zu den Durchschnittslöhnen in der Wirtschaft betrug der landwirtschaftliche Unternehmensgewinn je Familienarbeitseinheit im Jahr 2017 lediglich 46,5 %.

5.2.2.

Diese Situation wirkt sich erheblich auf die Entwicklung der allgemeinen Attraktivität des Sektors für externe Akteure, Investoren und Banken aus, wodurch wiederum die Schaffung von Synergien mit anderen Wirtschaftszweigen verhindert und das Problem des Generationswechsels in ländlichen Gebieten weiter verstärkt wird.

5.3.    Preisschwankungen und Entstehung neuer Märkte

5.3.1.

Die realen (deflationierten) Preise für die meisten Haupterzeugnisse stiegen 2017 im Vergleich zum Vorjahr an: Der durchschnittliche Milchpreis stieg im Vergleich zu 2016 sprunghaft um 17,1 % an, der Preis von Schweinen stieg um 8,3 %, der Getreidepreis erhöhte sich um 3,0 %, der Preis von Rindern um 2,2 % und der Preis von Geflügel um 1,0 %. Im Gegensatz dazu setzte sich der Verfall des Preises von Schafen und Ziegen im Jahr 2017 (- 1,4 %) weiter fort. Die positive Preisentwicklung der meisten Agrargüter ist eine Folge des Aufschwungs von 2003. Im Jahr 2008 trat jedoch ein starker Preisverfall ein, der Preisschwankungen auf den internationalen Märkten zur Folge hatte, die sowohl kleine und mittelgroße Landwirtschaftsbetriebe in der EU als auch die Investoren vor große Schwierigkeiten stellte, die erst kurz zuvor in die Landwirtschaft investiert hatten.

5.3.2.

Aufgrund seiner Heterogenität reagierte der Agrarsektor der EU jedoch uneinheitlich auf den Preisschock von 2008: Viele kleine und mittelständische Landwirte konnten ihren Betrieb ausschließlich dank der Direktzahlungen im Rahmen der GAP fortführen; diese Mittel reichten jedoch nicht aus, um die wirtschaftliche Nachhaltigkeit dieser Betriebe sicherzustellen.

Die Haupthandelspartner bezüglich der landwirtschaftlichen Exporte der EU sind die USA (16 % der landwirtschaftlichen Gesamtexporte im Wert von netto 33,3 Mrd. EUR im Jahr 2017). Aufgrund dieser Konzentration der Exporte auf einen einzelnen Markt ist der Agrarsektor der EU von politischen Entscheidungen Dritter abhängig, die zu erheblichen Preisschwankungen führen können (d. h. Exportverbote oder hohe Zölle).

Beim Binnenmarkt der EU handelt es sich um den am weitesten geöffneten und zugänglichsten Markt der Welt, was die EU-Landwirte jedoch mit importierten Agrargütern in Wettbewerb stellt, die anderen Produktionsstandards entsprechen. Bei der Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln aus Drittländern besteht jedoch weiterhin Verbesserungsbedarf, was zu einer Reihe kontroverser Diskussionen über die Qualität und Kennzeichnung von importierten Lebensmitteln führen kann (d. h. mittels neuer Zuchttechniken entwickelte Lebensmittel, der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die Einhaltung von Tierschutznormen usw.). Aufgrund ihrer unterschiedlichen Produktionsstandards sind diese importierten Erzeugnisse auf dem Binnenmarkt äußerst wettbewerbsfähig, wodurch die Landwirte in der EU weiter unter Druck geraten, da sie sich an die weltweit höchsten Produktionsstandards halten.

5.4.    Entvölkerung ländlicher Gebiete und Generationswechsel

5.4.1.

Nach Angaben der Europäischen Kommission sind sieben von zehn (71,5 %) Betriebsleitern der insgesamt 10,5 Mio. landwirtschaftlichen Betriebe in der EU männlich und die Mehrzahl (57,9 %) von ihnen ist 55 Jahre oder älter. Nur einer von zehn Landwirten (10,6 %) ist jünger als 40 Jahre, und dieser Anteil fällt unter den weiblichen Landwirten noch geringer aus (8,6 %).

5.4.2.

Landwirte, Waldeigentümer, landwirtschaftliche Betriebe und landwirtschaftliche Genossenschaften stellen das wirtschaftliche Rückgrat der ländlichen Gebiete der EU dar. Die Überalterung unter den Landwirten führt zu einer allgemeinen Abwanderung der Bevölkerung aus den ländlichen Gebieten (die sogenannte „ländliche Diaspora“) mit direkten Auswirkungen auf das wirtschaftliche und soziale Gefüge dieser Gebiete. Zudem werden neue Generationen aufgrund der geringen Rentabilität der landwirtschaftlichen Tätigkeit und des erschwerten Zugangs zum Land von der Übernahme des Familienbetriebs abgeschreckt.

6.   Die Chancen

6.1.    Digitalisierung und Präzisionslandwirtschaft

6.1.1.

Die Landwirtschaft befindet sich nunmehr im Zeitalter der digitalen Verbesserungen, in dem jedes Gerät, das im Verlauf der verschiedenen landwirtschaftlichen Produktionsschritte Daten erzeugt, in der Lage ist, diese Daten zu Erhebungs-, Verarbeitungs- und Analysezwecken weiterzuleiten. Der Einsatz von Massendaten könnte Landwirte beim Übergang in die Zukunft der Landwirtschaft und somit bei der Verwirklichung ehrgeiziger Ziele unterstützen.

6.1.2.

Landwirtschaftliche Betriebe erzeugen eine Vielzahl unterschiedlicher Daten, die in verschiedene Kategorien einteilbar sind, wie etwa agrarwirtschaftliche Daten, Finanzdaten, Compliance-Daten, Umweltdaten, Maschinendaten, Personaldaten usw. Diese Datensätze stammen wiederum aus einem breiten Spektrum immer leistungsfähigerer und kosteneffizienter Quellen, wie etwa Maschinen, Drohnen, GPS-Geräten, Fernsensoren, Satelliten, Smartphones, und werden zudem von Dienstleistern, Beratungsgremien, Behörden usw. ergänzt. Darüber hinaus erheben weitere Partner entlang der Wertschöpfungskette, z. B. Verarbeitungsunternehmen und Einzelhändler, Supermärkte und Verbrauchergroßmärkte sowie die Werbeagenturen enorme Datenmengen über die Märkte, in denen Landwirte ihre Erzeugnisse verkaufen.

6.1.3.

Die Erhebung und Verwendung von Daten in der Landwirtschaft ist jedoch keinesfalls ein neuartiges Konzept; vielmehr ist dies seit Beginn der Landwirtschaft gängige Praxis. Neu ist jedoch die Möglichkeit, angesichts der Größe und des Umfangs dieser Daten, die darüber hinaus exponentiell zunehmen, einen datenorientierten Agrarsektor zu entwickeln. Eine weitere Neuerung betrifft die auf Betriebsebene verfügbaren Echtzeitinformationen und die für die Erhebung, Speicherung, Verwendung, Verwaltung, Verarbeitung, Kommunikation und das Teilen von Daten verwendete Technologie.

6.1.4.

Das Eigentum an den Daten und das Recht auf Festlegung des Zugangs und der Verwendung der Daten ist unerlässlich für die weitere Beteiligung der Landwirte an der Umsetzung neuer Technologien. Gegenwärtig besteht jedoch kein gemeinsamer Rahmen für eine eindeutige Klärung des Eigentums an Daten. Aus diesem Grund hat sich der Agrarsektor der EU auf einen Verhaltenskodex über das Teilen landwirtschaftlicher Daten auf vertraglicher Grundlage (3) verständigt, in dem das Recht des Datengenerierers auf Entschädigung für die Verwendung der im Rahmen seiner Tätigkeit erzeugten Daten festgelegt ist.

6.1.5.

Digitalisierung und Präzisionslandwirtschaft spielen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zukunft des Agrarsektors der EU. Darüber hinaus wirken sie sich auf den Arbeitsmarkt und die in der Landwirtschaft erforderlichen Kompetenzen aus und definieren die Rolle der Landwirte und die Geschäftsmodelle landwirtschaftlicher Genossenschaften neu.

6.2.    Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an den Klimawandel

6.2.1.

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat der Agrarsektor der EU eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen zur Verbesserung seiner ökologischen Nachhaltigkeit ergriffen. Die GAP sieht strenge und anspruchsvolle Umweltmaßnahmen sowie nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden vor, durch die die Arbeit der Landwirte auf den Feldern verändert und Qualität wirksam mit Nachhaltigkeit verknüpft wird.

6.2.2.

Land- und Forstwirtschaft spielen bei der Eindämmung des Klimawandels eine besondere Rolle, da sie zusammen den einzigen Wirtschaftszweig darstellen, in dem der Treibhausgasgehalt in der Atmosphäre durch Photosynthese verringert wird. Dieser Erfolg des Sektors ist noch immer nicht richtig anerkannt, berechnet bzw. ausgewiesen, und eine bessere Beurteilung des Beitrags von Wäldern sowie von Dauerkulturen und einjährigen Kulturen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen sollte auch weiterhin von der Politik in Betracht gezogen werden.

6.2.3.

Die Landwirte würden es begrüßen, wenn ihre Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel von Gesellschaft und Politik anerkannt würden. Insbesondere die Politik muss sich dessen bewusst sein, dass Umweltmaßnahmen die Lebensmittelsicherheit nicht gefährden sollten und dass Landwirte eine gerechte Vergütung für ihren zusätzlichen Aufwand benötigen, den Maßnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit und zur Eindämmung des Klimawandels häufig mit sich bringen.

6.3.    Mehr Markttransparenz entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette

6.3.1.

Laut dem im März 2017 veröffentlichten Informationsblatt der Kommission beträgt der Anteil an der Wertschöpfung in der Lebensmittelversorgungskette für Landwirte 25 %, für die Lebensmittelverarbeitung 25 % sowie 50 % für den Lebensmitteleinzelhandel und Gastronomiedienstleistungen.

6.3.2.

Die Richtlinie über unlautere Handelspraktiken sollte heute strikt eingehalten werden. Unter den Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette gibt es fortlaufend erhebliche Ungleichgewichte in Bezug auf die Verhandlungsmacht von Landwirten und Verarbeitern von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen. Zu diesen Ungleichgewichten tragen auch die großen Handelsverbände erheblich bei (Supermärkte, Verbrauchergroßmärkte, große Nahrungsmittel- und Verarbeitungskammern, die in ganz Europa tätig sind).

6.3.3.

Die Lebensmittelverarbeitung und der Einzelhandel konnten ihren Anteil an der Wertschöpfung in der Lebensmittelversorgungskette aufgrund der gestiegenen Nachfrage der Verbraucher nach Convenience-Produkten ausbauen. Gleichzeitig ist die Wertschöpfung in der Landwirtschaft seit 2014 rückläufig (- 4 % im Jahr 2016). Dies ist den gestiegenen Betriebsmittelkosten geschuldet, die aufgrund des Wettbewerbs um knappe Ressourcen und der begrenzten Möglichkeiten für Landwirte zur Schaffung eines Mehrwerts am Ausgangsprodukt oder einer angemessenen Vergütung hierfür anfallen.

6.3.4.

Darüber hinaus stellt Oxfam in seiner jüngsten Studie „Ripe for Change“ (2018) die Ungleichheiten in der Lebensmittelversorgungskette heraus, unter anderem anhand von Beispielen aus dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden und Deutschland. Eine eingehende Betrachtung der Untergliederung des Endverbraucherpreises im Vereinigten Königreich zeigt, dass im Jahr 2015 mehr als die Hälfte dieses Preises (52,8 %) auf Supermärkte, 38,5 % auf Händler und Lebensmittelhersteller und lediglich 5,7 % auf Kleinerzeuger und Arbeitnehmer entfielen. Die letzten 3 % des Preises entfielen auf die Betriebsmittelkosten.

6.3.5.

Angesichts des hohen Konzentrationsniveaus des Einzelhandels und der grundlegenden Bedeutung der Wahrung eines gut funktionierenden Binnenmarkts stellen die EU-Rahmenvorschriften, die ein Verbot unlauterer Handelspraktiken sowie Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen in Verbindung mit abschreckenden Sanktionsregelungen einschließen, unter diesen Umständen einen geeigneten Ausgangspunkt dar. Die Fortführung dieser Bemühungen für mehr Markttransparenz ist von wesentlicher Bedeutung, damit die Landwirte einen gerechten Anteil an der Wertschöpfung erhalten. Darüber hinaus wird im Juli 2020 die Verordnung über die Entsendung von Arbeitnehmern mit dem Ziel umgesetzt, transparente und gerechte Geschäfte zwischen Landwirten auf einzelstaatlicher Ebene zu gewährleisten.

6.3.6.

Auf einzelstaatlicher Ebene sollte ein Ansatz in Betracht gezogen werden, nach dem Verhandlungen entgegen dem marktüblichen Machtgefälle geführt werden, indem Wertschöpfungsketten geschaffen werden, innerhalb derer Landwirte ein monatliches Einkommen erzielen, dass dem doppelten Mindestlohn entspricht.

7.   Lösungen

7.1.

Das von den europäischen Verbrauchern so geschätzte System der landwirtschaftlichen Familienbetriebe bedarf einer guten Politik sowie einer fairen und vernünftigen Regulierung in Kombination mit strengen und wirksamen Rechtsvorschriften, die dazu beitragen, die ernsthafte Bedrohung durch extreme Preisschwankungen und das stetig wachsende Kräfteungleichgewicht in der Lieferkette zu verringern. Die Task Force „Agrarmärkte“ ist ein Schritt in diese Richtung, muss allerdings noch weiter gestärkt werden.

7.2.    Anpassung der FuI an die Bedürfnisse von Landwirten, Einbeziehung unterschiedlicher Akteure und direkte Beteiligung der Interessenträger

7.2.1.

Die Beteiligung der Interessenträger ist für die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis von grundlegender Bedeutung. Die Interessen der Landwirte in den Mittelpunkt des Innovationsprozesses zu stellen wird nicht nur dessen Wirkung erheblich beschleunigen, sondern auch die Durchführbarkeit der Forschungs- und Innovationsergebnisse gewährleisten. Zudem wird hierdurch eine bessere Nutzung der für die Forschung gewährten Fördermittel sichergestellt.

7.2.2.

Landwirte, landwirtschaftliche Betriebe, Waldeigentümer und ihre Genossenschaften können, auch mit Hilfe von Regierungsprogrammen, Innovation und Wirtschaftswachstum vorantreiben. Deshalb sollte ihre Teilnahme an Forschungs- und Innovationstätigkeiten in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittel, Forstwirtschaft und Aquakultur von Beginn an gefördert und angeregt werden. Durch ihre Beteiligung in allen Phasen der Vorhaben wird sichergestellt, dass sich Forschung und Innovation stärker an der Nachfrage orientieren, die gegenwärtige Lücke zwischen Wissenschaft und Praxis geschlossen wird und so praktikable Lösungen entwickelt werden. Schlussendlich sollte somit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirte und Erzeuger gefördert werden.

7.3.    Leistungsfähigkeit und Qualität (ökologische/biologische Erzeugnisse, geografische Angaben, Marken und kurze Lebensmittelversorgungsketten)

7.3.1.

Erzeugnisse mit hohem Mehrwert, wie etwa solche mit geografischen Angaben oder aber Bio-Erzeugnisse, stellen für viele Wirtschaftsteilnehmer eine wichtige Einkommensquelle dar, insbesondere für Landwirte. Diese spezifischen Lebensmittelketten sind umso interessanter, wenn sie ohne Zwischenhändler oder Vermittler auskommen. In diesem Fall stellen kurze Lebensmittelketten eine rentable Einkommensquelle für Landwirte und die ländlichen Gemeinschaften dar, in der diese Erzeugnisse hergestellt werden.

7.3.2.

Eingehend betrachtet stellen die kurzen Versorgungsketten der EU eine Alternative zu den konventionellen langen Lebensmittelketten dar, in denen Landwirte und Genossenschaften häufig nur wenig Verhandlungsmacht besitzen und die Verbraucher die Lebensmittel nicht zu einem bekannten Erzeuger oder einer nahen Region zurückverfolgen können. Ein solches Lebensmittelsystem ist von erheblichem Interesse, da es einer Reihe von Bedürfnissen und Chancen Rechnung trägt, was sowohl Landwirten als auch Verbrauchern zugutekommt. Die Entwicklung verschiedener Arten kurzer Lebensmittelversorgungsketten (d. h. Direktvermarktung durch Einzelpersonen oder Erzeugergemeinschaften, Partnerschaften, solidarische Landwirtschaft) ist einer der durch die Gemeinsame Agrarpolitik verfolgten Ansätze zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa. Kurze Lebensmittelversorgungsketten können entlang der gesamten Lebensmittelkette als Motor des Wandels und als Modell für mehr Transparenz, Vertrauen, Gerechtigkeit und Wachstum dienen.

7.3.3.

Eine ausreichende Menge an Lebensmitteln sichert den Unionsbürgern eine gewisse soziale Stabilität in ihrem Leben, zumal mit Blick auf den Teil unseres Planeten, in dem die Lebensmittel knapp sind, was auch als eine der Ursachen von Wirtschaftsmigration nach Europa oder in andere Länder zu sehen ist.

7.4.    Bildung und Entwicklung neuer Kompetenzen für den Primärsektor (verkürzt)

7.4.1.

Nach Angaben von Eurostat verfügte im Jahr 2016 ein Großteil der landwirtschaftlichen Betriebsleiter in der EU, nämlich sieben von zehn (68,3 %), lediglich über praktische landwirtschaftliche Erfahrung. Weniger als jeder Zehnte (9,1 %) hatte eine abgeschlossene landwirtschaftliche Berufsausbildung, während die übrigen Landwirte (22,6 %) lediglich über eine landwirtschaftliche Grundausbildung verfügten.

7.4.2.

Im Primärsektor kommt der Bildung für die Förderung der Modernisierung und den stärkeren Einsatz neuer Technologien eine grundlegende Bedeutung zu.

7.4.3.

Dies ist umso bedeutender in der heutigen Zeit, in der digitale Kompetenzen einen wesentlichen Bestandteil der modernen Betriebsführung darstellen. Derartige Kompetenzen sind in vielen Bereichen erforderlich, und die Landwirtschaft bildet hier keine Ausnahme. Dort steigt der Bedarf an Menschen mit IKT- und digitalen Kompetenzen, während es innerhalb der Wirtschaft und insbesondere in ländlichen Gebieten ein deutliches Kompetenzdefizit gibt.

7.4.4.

Damit die landwirtschaftliche Bevölkerung die Chancen des technologischen und digitalen Wandels vollumfänglich nutzen kann, müssen die digitalen Kompetenzen der Arbeitskräfte ausgebaut werden.

7.4.5.

Dies kann auf Ebene der einzelnen Betriebe oder der Verbände und Genossenschaften sowie im Rahmen des europäischen Systems der allgemeinen und beruflichen Bildung durch Programme für lebenslanges Erlernen digitaler Kompetenzen erfolgen.

Brüssel, den 18. Juli 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Eurostat, Agriculture, forestry and fishery statistics 2018.

(2)  Eurostat, Agriculture, forestry and fishery statistics 2018.

(3)  COPA-COGECA — EU Code of conduct on agricultural data sharing by contractual agreement.