18.10.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 353/6


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Förderung eines Binnenmarkts für Unternehmertum und Innovationen — Unterstützung neuer Geschäftsmodelle zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen und Übergänge“

(Initiativstellungnahme)

(2019/C 353/02)

Berichterstatter: Giuseppe GUERINI

Beschluss des Plenums

24.1.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

4.7.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.7.2019

Plenartagung Nr.

545

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

185/0/6

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Es steht mittlerweile außer Frage, dass eine soziale Marktwirtschaft angestrebt werden muss, in der sich unter intelligentem Einsatz der neuen Technologien die großen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit, dem Klimawandel und der Verringerung der Ungleichheiten bewältigen lassen.

1.2.

Nach Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) kann neben den öffentlichen Einrichtungen auch das Unternehmertum einen aktiven und wichtigen Beitrag dazu leisten. Vor allem all jene Unternehmen der Realwirtschaft, die Werte und Beschäftigung schaffen, ohne spekulative Hebelfinanzierungen dafür einzusetzen.

1.3.

Angesichts der großen Vielfalt an Geschäftsmodellen und Unternehmensformen in Europa ist es wichtig, dass die die Unternehmen, die Wirtschaft und den Binnenmarkt betreffenden Legislativvorschläge nicht vereinheitlicht werden. Ein Pauschalansatz ist abzulehnen; stattdessen sollte auf die „unternehmerische Artenvielfalt“ gesetzt werden.

1.4.

Die EU-Institutionen müssen die Entwicklung der künstlichen Intelligenz und die lautere Nutzung von Big Data unterstützen, und zwar einerseits durch geeignete Regeln, die die Entwicklung dieser Technologien unter Achtung der Rechte des Einzelnen gewährleisten, und andererseits durch koordinierte öffentliche Investitionen auf europäischer und staatlicher Ebene, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU in der Welt zu sichern. Insbesondere sollten auch KMU Zugang zu Big Data und ihrem Potenzial haben.

1.5.

Die neuen Technologien, die künstliche Intelligenz und die Big Data bewirken Umwälzungen in den Produktionsverfahren und der Wirtschaft im Allgemeinen und werden auch den Arbeitsmarkt tief greifend verändern. Diese Veränderungen müssen sich jedoch im Rahmen eines fruchtbaren sozialen Dialogs und unter Wahrung der Rechte und der Lebensqualität der Arbeitnehmer vollziehen.

1.6.

Mit Maßnahmen für einen besseren Zugang der KMU zu Krediten, zum Beispiel der Investitionsoffensive für Europa, dem COSME-Programm oder dem künftigen Programm „InvestEU“ sollten weiterhin KMU und Sozialunternehmen unterstützt werden, die aufgrund von Liquiditätsproblemen und Unterkapitalisierung oft Schwierigkeiten haben. Auch die Entwicklung eines europäischen Risikokapitalmarktes sollte aktiv gefördert werden.

1.7.

Mit Blick auf die notwendige Gewährleistung von Zusammenhalt und sozialer Gerechtigkeit in der zunehmend alternden und schrumpfenden europäischen Bevölkerung wird den sozialwirtschaftlichen Unternehmen und den Unternehmen auf Gegenseitigkeit in Zukunft eine wichtige Rolle zukommen. Größere Anstrengungen sind daher nötig, damit die Rolle dieser Unternehmen gestärkt wird, denn sie geben den Menschen die Möglichkeit, sich zu organisieren und zusammenzuarbeiten, um den ständig wachsenden sozialen Bedürfnissen gerecht zu werden.

1.8.

Der EWSA bekräftigt, dass die Rolle der KMU, der Familienbetriebe, der Unternehmen der Sozialwirtschaft, der Handwerksbetriebe, der kleinen Gewerbetreibenden und der Landwirte bei der Förderung und Verbreitung eines Unternehmergeistes, bei dem der Mensch und die lokale Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen, sowie beim Aufbau eines europäischen Modells für einen inklusiven Binnenmarkt, anerkannt und gefördert werden muss. Darüber hinaus ermöglichen diese Unternehmen breiteren Bevölkerungsgruppen die Aufnahme einer wirtschaftlichen bzw. unternehmerischen Tätigkeit und tragen somit zur Wirtschaftsdemokratie bei.

2.   Hintergrund und Gegenstand der Initiative

2.1.

Mit dieser Initiativstellungnahme soll ein Beitrag für die EU-Organe erarbeitet werden, damit diese im Rahmen der Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für die Entwicklung verschiedenster Unternehmensformen fördern, die für die vor der Gesellschaft stehenden Herausforderungen gewappnet sind.

2.2.

Es steht mittlerweile außer Frage, dass eine soziale Marktwirtschaft angestrebt werden muss, in der sich unter intelligentem Einsatz der neuen Technologien die großen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit, der Eindämmung der schädlichen Auswirkungen des Klimawandels, der Verringerung der Ungleichheiten, den demografischen Spannungen, dem großen Migrationsdruck an den EU-Außengrenzen sowie der Energiewende bewältigen lassen.

2.3.

Nach Ansicht des EWSA kann gerade das Unternehmertum einen wichtigen Beitrag dazu leisten — neben den öffentlichen Einrichtungen natürlich. Die im vorstehenden Absatz angesprochenen großen Veränderungen können nämlich auch unter Nutzung des innovativen Potenzials der unternehmerischen Tätigkeit in all ihren Formen angegangen werden. Einige wirtschaftliche Entwicklungsmodelle und Unternehmensformen übernehmen jedoch bereitwilliger die sozialen Innovationen, die für eine erfolgreiche Umsetzung einer nachhaltigeren und integrativeren Wirtschaft zunehmend unerlässlich sind.

2.4.

Nach Ansicht des EWSA bestehen potenziell erhebliche Konvergenzen zwischen einem Binnenmarkt, der Innovation und neue Formen des Unternehmertums begünstigt, und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen zur Verwirklichung der 17 Nachhaltigkeitsziele: Die für die Aufrechterhaltung des Wohlstands in den EU-Mitgliedstaaten unverzichtbaren Wachstums- und Innovationsziele müssen nämlich nicht nur solide, sondern auch nachhaltig sein.

2.5.

Der EWSA hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe spezifischer Stellungnahmen zu folgenden grundlegenden Themen verabschiedet:

Entwicklung neuer nachhaltiger Wirtschaftsmodelle (1);

die verschiedenen Formen von Unternehmertum (2);

digitaler Wandel (3).

2.6.

Nach Auffassung des EWSA gibt es eine Reihe wirtschaftlicher Ökosysteme, denen der europäische Gesetzgeber besonderes Augenmerk widmen sollte, um die Funktionsweise des Binnenmarktes zu verbessern. Das Wirtschaftssystem in der EU ist vielgestaltig und umfasst multinationale und nationale Unternehmen und unzählige Firmen der lokalen Wirtschaft. Diese Unternehmen agieren häufig in territorialen Produktionsketten, Ballungs- und Großräumen mit dicht besiedelten Stadtgebieten und ländlichen und abgelegenen Gebieten, in denen es nicht immer einfach ist, Wohlstand und soziale Zusammenhalt zu gewährleisten, wenn der Zugang zur technischen Innovation nicht auch in den dezentralen Gebieten durch spezifische Maßnahmen sichergestellt wird.

2.7.

Es muss dafür gesorgt werden, dass die unterschiedlichen Unternehmensformen unter all diesen verschiedenen Rahmenbedingungen koexistieren und sich integrieren können, wobei jedoch jeder dieser Bereiche besondere Aufmerksamkeit in Bezug auf die jeweiligen legislativen Maßnahmen und öffentlichen Investitionen verdient. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die vorgeschlagenen Vorschriften zur rechtlichen und wirtschaftlichen Regulierung von Unternehmen, Wirtschaft und Binnenmarkt nicht vollständig vereinheitlicht sind; ein Pauschalkonzept für alle ist abzulehnen.

3.   Auf dem Weg zu einer neuen europäischen Wirtschaft im Zeichen der Technik, Nachhaltigkeit und Inklusion

3.1.

Es müssen neue Produktionsmuster für Waren und Dienstleistungen auf der Grundlage der digitalen Wirtschaft und der neuen Technologien entwickelt werden, die die Modalitäten der Tätigkeit der europäischen Unternehmen verändern können.

3.2.

Dafür ist es unbedingt erforderlich, dass die EU die Entwicklung der künstlichen Intelligenz angemessen unterstützt, und zwar durch geeignete Regeln, die die Entwicklung dieser Technologie unter Wahrung der Rechte des Einzelnen gewährleisten, und durch koordinierte öffentliche Investitionen auf europäischer und staatlicher Ebene, um im Vergleich zu Akteuren wie den USA und China nicht an Boden zu verlieren.

3.3.

Auch die Erstellung, Verwendung und Speicherung von Big Data sind in Zukunft entscheidende Faktoren für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Marktes, denn die Kapazitäten, Daten zu verarbeiten und in den Dienst der Strategien zur wirtschaftlichen Entwicklung und der Dienstleistungen für den Menschen zu stellen, wachsen stetig. Dabei muss jedoch sichergestellt werden, dass die Erstellung und Verarbeitung dieser Daten unter Achtung der Rechte des Einzelnen, der Grundrechte und der neuen Datenschutz-Grundverordnung erfolgt.

3.4.

Das unternehmerische und wirtschaftliche Gefüge in Europa zeichnet sich durch bestimmte Elemente aus, die es in die Lage versetzen, den digitalen Wandel zu bewältigen: Es ist von der Struktur her ein sich gegenseitig verstärkendes Ökosystem aus vielfältigen internationalen und lokalen Unternehmen, die das Potenzial für eine globale Ausrichtung haben. Um dies zu bewerkstelligen, brauchen wir dringend ein geeintes, vernetztes und von Zusammenhalt und Wettbewerbsfähigkeit geprägtes Europa. Eine positive Erfahrung in dieser Hinsicht sind die Zentren für digitale Innovation (Digital Innovation Hub), die derzeit in vielen lokalen Wirtschaftssystemen eingeführt werden.

3.5.

Die neuen Technologien, die künstliche Intelligenz und die Big Data bewirken große Umwälzungen in den Produktionsverfahren und der Wirtschaft im Allgemeinen und werden auch den Arbeitsmarkt tief greifend verändern. Berufsprofile werden verschwinden, neu entstehen oder tief greifende Veränderungen erfahren. Diese Veränderungen müssen sich im Rahmen eines fruchtbaren sozialen Dialogs und unter Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer vollziehen, die im Hinblick auf ihren Schutz und die Weiterbildung unterstützt werden müssen.

3.6.

Ein weiterer entscheidender Faktor für das Wachstum ist die Steuerpolitik. Die Europäische Kommission hat in dieser Amtszeit umfassende Arbeiten im Bereich Steuern geleistet. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Wirksamkeit und eine angemessene Harmonisierung der Steuervorschriften wesentliche Elemente für die Stärkung des Binnenmarktes bilden. Die auf EU-Ebene geförderten steuerpolitischen Maßnahmen sollten überdies zu spezifischen Instrumenten beitragen, die das Unternehmenswachstum fördern, wie zum Beispiel Investitionen in Forschung und Entwicklung und Zugang zu Finanzkapital durch Kapitalbeteiligungen (Equity).

3.7.

Die europäischen KMU und die Unternehmen der Sozialwirtschaft haben mit strukturellen Problemen zu kämpfen, und es fehlen ihnen geeignete Bedingungen, die ihre Entwicklung begünstigen, obwohl zahlreiche Anstrengungen zu ihrer Förderung unternommen wurden. Darüber hinaus konzentriert sich die KMU-Tätigkeit häufig auf die Produktion mit geringem bis mittlerem technischem Niveau und auf weniger wissensintensive Dienstleistungen, und die KMU haben Schwierigkeiten beim Eintritt in den grenzüberschreitenden Markt. Wie die Kommission richtig anmerkt, sind 99 % aller europäischen Unternehmen KMU, auf die 67 % aller Arbeitsplätze entfallen (4). Aus diesem Grund müssen diese Unternehmen eine angemessene Unterstützung in Form industrie- und steuerpolitischer Maßnahmen erhalten, die auf die gemeinsame Wertschöpfung und nicht so sehr auf die Konzentration von Reichtum ausgerichtet sind, allerdings unter Achtung der Grundsätze des freien Markts und Wettbewerbs.

3.8.

Unter diesem Gesichtspunkt sollten mit Maßnahmen für einen besseren Zugang der KMU zu Krediten, wie zum Beispiel der Investitionsoffensive für Europa mit ihren öffentlichen Bürgschaften, dem COSME-Programm oder dem Programm „InvestEU“, KMU und Sozialunternehmen weiterhin unterstützt werden. Vor diesem Hintergrund sollte die Beteiligung privater Investoren an Start-ups und an kleinen und mittleren Unternehmen besser unterstützt werden. Dazu muss der europäische Markt für Wagnis- bzw. Risikokapital, der sich in der Größe noch grundlegend von dem der USA unterscheidet, weiter ausgebaut werden. Die Förderung privater Investitionen in europäische Unternehmen sollte zudem durch konkrete Maßnahmen flankiert werden, die darauf abzielen, Talente und Kompetenzen aus Drittstaaten in die EU zu holen.

3.9.

Nach Angaben der Weltbank rangiert die Europäische Union (5) im Durchschnitt auf dem 53. Platz der Weltrangliste in Bezug auf die Einfachheit der Aufnahme einer unternehmerischen Tätigkeit und auf dem 29. Platz der Rangliste in Bezug auf die reibungslose Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit. Die Vereinigten Staaten dagegen liegen bei der reibungslosen Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit auf Platz 8. In diesem Zusammenhang betont EWSA, dass unternehmerische Tätigkeiten der Produktion von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen durch eine Vereinfachung der Verwaltungslasten für die europäischen Unternehmer unterstützt und gefördert werden müssen.

3.10.

Heute werden öffentliche Aufträge im Wert von 1,9 Billionen Euro vergeben, was etwa 16 % des BIP in der EU entspricht. In den neuen, 2014 angenommenen Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge (6) und Konzessionen (7) wurde vorgeschlagen, bei den Vergabeverfahren nationaler Behörden soziale und ökologische Aspekte stärker zu berücksichtigen. Dieses Ziel ist jedoch bei weitem noch nicht erreicht, wie die Kommission selbst einräumt. Der EWSA empfiehlt der Kommission, soziale und ökologische Aspekte in diesem für den europäischen Binnenmarkt schon immer so wichtigen Bereich stärker und wirksamer zu berücksichtigen.

3.11.

Aus den wachsenden Herausforderungen auf internationaler Ebene und der Notwendigkeit, Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, ergibt sich für die Sozialunternehmen im aktuellen Kontext eine wichtige Rolle. Größere Anstrengungen sind daher nötig, damit die Existenz und Bedeutung von Unternehmen anerkannt werden, in denen der Wille der Menschen zum Ausdruck kommt, sich autonom zu organisieren, um Antworten auf soziale Bedürfnisse zu geben.

3.12.

In kleinen und sozialen Unternehmen gehen das Handeln und die Motivation stets vom Menschen und nicht vom Kapital aus, denn Letzteres sucht nach Bereichen, die eine Rendite garantieren. Diese Unternehmen, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht, sind über dauerhafte Bindungen fest in die Gemeinschaft vor Ort eingebunden und tragen dort zum Wohlergehen und zum sozialen Zusammenhalt bei. Ein wichtiges Beispiel hierfür sind die belgischen und schwedischen (8) Dienstleistungsschecksysteme für hausarbeitsbezogene Dienstleistungen. Diese Systeme sehen spezifische Steuernachlässe für die Nutzer vor und dienen der Bekämpfung der Schwarzarbeit, wobei sowohl die Erbringer der Dienstleistungen, die einen stärkeren Schutz genießen, als auch der Fiskus profitieren.

3.13.

Die Ortsverbundenheit und Verankerung in der lokalen Gemeinschaft werden zu einem Wettbewerbsfaktor, denn sie sind Quelle von Motivation und schaffen einen sozialen und beziehungsbezogenen Mehrwert. So bieten sozialwirtschaftliche Unternehmen einer größeren Zahl von Menschen die Möglichkeit, eine unternehmerische Tätigkeit aufzunehmen, und tragen so zu einem inklusiven Entwicklungsmodell bei.

3.14.

Ein weiterer wesentlicher Nutzen der Sozialunternehmen liegt mit Sicherheit in ihrem Beitrag zur Wirtschaftsdemokratie, da sie Millionen von Menschen die Möglichkeit bieten, eine wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen und sich entsprechend ihren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Zielen ihre eigene Beschäftigung zu schaffen.

3.15.

Dieses Ziel verfolgen beispielsweise Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften, Stiftungen mit kommunaler Mitträgerschaft oder Sozialunternehmen. Diese Unternehmen finden zunehmend Anerkennung, auch aufgrund der von der Europäischen Kommission 2011 ins Leben gerufenen Initiative für soziales Unternehmertum, die nun durch eine ehrgeizigere und stärker basisverbundene Initiative ergänzt werden könnte.

3.16.

Besonders genannt werden müssen die kleinen kommunalen und regionalen Banken, die Millionen von Menschen eine unersetzliche Chance auf den Zugang zu Krediten bieten. Diese Banken werden durch den von der EU verfolgten Regulierungsansatz, der gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, nach wie vor zu stark benachteiligt. Dabei werden nämlich weltweit agierende Banken und ausschließlich auf lokaler Ebene tätige Institute den gleichen Regeln unterworfen (one size fits all).

4.   Europäische Unternehmen im sozialen und globalen Makroszenario

4.1.

Wir müssen uns der Tatsache bewusst sein, dass sich das globale Umfeld in den nächsten Jahren erheblich verändern wird, insbesondere in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung, die Produktionskapazität und die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Staaten und Kontinente.

4.2.

Bei diesem Wandel wird Europa mit seinen 500 Mio. Einwohnern an zentraler Bedeutung verlieren gegenüber einer Weltbevölkerung, die von derzeit 7,6 Mrd. auf 9,8 Mrd. Menschen im Jahr 2050 steigen wird. Vor allem in neun Ländern wird dieser Zuwachs besonders stark sein (Indien, Nigeria, Kongo, Pakistan, Äthiopien, Tansania, USA, Uganda und Indonesien) (9).

4.3.

Gleichzeitig wird der Anteil älterer Menschen weiter zunehmen. Bis 2050 wird sich die Zahl der über 80-Jährigen von heute 137 Mio. auf über 425 Mio. verdreifachen. Diese Entwicklung wird in Europa besonders ausgeprägt sein, wo das Durchschnittsalter heute bereits bei 40 bis 45 Jahren liegt, während es in den „Schwellenländern“ 25 bis 30 Jahre beträgt.

4.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass angesichts der sich gegenwärtig vollziehenden tief greifenden Veränderungen ein ganzheitlicher Ansatz notwendig ist, bei dem die wirtschaftspolitischen und legislativen EU-Maßnahmen und die Maßnahmen für den sozialen Zusammenhalt und für den Schutz der schwächsten Bevölkerungsgruppen aufeinander abgestimmt werden und ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, benachteiligte Personen und besonders bedürftige Gruppen nicht außen vor bleiben.

4.5.

Neben den Plänen zur industriellen Entwicklung und den wirtschaftspolitischen Maßnahmen stellt sich bei der Schaffung eines Innovation und Unternehmertum begünstigenden Marktes die Herausforderung, den Menschen als den einzigen sicheren Wert, auf den in dieser immer unsicherer werdenden Welt Verlass ist, ins Zentrum zu stellen.

4.6.

Von der Aufwertung des Humankapitals kann das gesamte Wirtschaftsgefüge profitieren, wobei sich bestätigt, dass das wirtschaftliche Verhalten der Menschen und Unternehmen nicht allein auf die Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Dies untermauert die These, dass die Beweggründe für wirtschaftliches Handeln und den Wunsch, unternehmerisch tätig zu werden, weit über das bloße Bedürfnis der Vermögensanhäufung hinausgehen. Damit soll nicht die Bedeutung des wirtschaftlichen Erfolgs geschmälert werden; vielmehr soll der Wert dieses Erfolgs anders gemessen werden.

4.7.

In den letzten Jahrzehnten wurde der Unternehmenserfolg insbesondere bei großen Unternehmen der Digitalwirtschaft vor allem daran gemessen, inwieweit Werte finanziell abgeschöpft werden können (value extraction), und nicht so sehr an der Schaffung von Wert und Beschäftigung durch Arbeit.

4.8.

Schließlich hält der EWSA Investitionen in die Weiterbildung der europäischen Bürger für erforderlich, damit diese die immer neuen Veränderungen in dieser wichtigen Zeit erfolgreich bewältigen können. Von entscheidender Bedeutung sind daher Investitionen in Bildungsprogramme, die die unternehmerische Initiative fördern und schon jungen Menschen Instrumente und Kompetenzen für die Selbstorganisation an die Hand geben, ebenso wie Kenntnisse zur Unterstützung von Initiativgeist, Kreativität und Risikobereitschaft. Gleichzeitig muss durch Schulungs- und Unterstützungsmaßnahmen sichergestellt werden, dass die immer ältere (Stichwort Silver economy) und im Weltmaßstab schrumpfende europäische Bevölkerung eine gute Lebensqualität hat und einen aktiven Beitrag leisten kann.

4.9.

Jede Person muss als wertvoll betrachtet werden — ein Konzept, mit dem Sozialunternehmen im Bereich der Arbeitsmarktintegration erfolgreiche Erfahrungen gemacht haben. Dabei wurden benachteiligte oder aus dem traditionellen Arbeitsmarkt ausgeschlossene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in soliden und wettbewerbsfähigen Unternehmen eingestellt.

Brüssel, den 17. Juli 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 57; ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 33; ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 1 und ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 28.

(2)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 20; ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 1; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 8; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 152; ABl. C 458 vom 19.12.2014, S. 14 und ABl. C 345 vom 13.10.2017, S. 15.

(3)  ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 73; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 102; ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 33; ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 70; ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 6 und ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 131.

(4)  https://ec.europa.eu/growth/smes/business-friendly-environment/performance-review_en

(5)  http://www.doingbusiness.org/content/dam/doingBusiness/media/Annual-Reports/English/DB2019-report_print-version.pdf

(6)  ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65.

(7)  ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 1.

(8)  http://impact-phs.eu/national-practices/sweden-rot-rut-avdrag/

(9)  Vereinte Nationen, revidierte Weltbevölkerungsprognose 2017; https://population.un.org/wpp/Publications/Files/WPP2017_KeyFindings.pdf