14.4.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 120/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets“

(COM(2019) 652 final)

(2020/C 120/02)

Berichterstatter:

Petr ZAHRADNÍK

Befassung

Europäische Kommission, 6.2.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

4.2.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.2.2020

Plenartagung Nr.

550

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

129/10/17

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, dass sich die Konjunktur des Euro-Währungsgebiets abschwächt und der Rückgang der Arbeitslosenquote allmählich zum Stillstand kommt. Dies geht mit einer weiteren Zunahme von Risikofaktoren einher, die die Wirtschaftsleistung beeinflussen.

1.2.

Dennoch erachtet der EWSA den Grünen Deal für Europa als wesentliches Element des künftigen Wirtschaftsparadigmas der EU und des Euroraums, der ein Ausgangspunkt für einen grundlegenden Wandel und ein Wendepunkt sein kann. Es wird viel davon abhängen, wie dieser Wandel bewältigt wird: Sein Erfolg kann Europa sowohl in wirtschaftlicher also auch in sozialer Hinsicht qualitativ voranbringen; andererseits könnte sein etwaiges Versagen die Integrität der EU als Ganzes ernsthaft gefährden.

1.3.

Ein wichtiger Parameter für die wirtschaftliche Entwicklung sowohl aus traditioneller Perspektive als auch aus Sicht der neuen Elemente des Grünen Deals für Europa sind die territorialen Divergenzen und Unterschiede innerhalb der EU, die trotz einiger recht erfolgreicher Konvergenzbemühungen der letzten Jahre weiter bestehen.

1.4.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass der Grüne Deal für Europa eine Plattform zur Förderung eines gemeinsamen europäischen Mehrwerts bieten kann, zumal dringender Handlungsbedarf besteht und der Konvergenzprozess beschleunigt werden muss.

1.5.

Der EWSA stellt fest, dass trotz anhaltender Risiken — insbesondere in einigen Mitgliedstaaten — Verbesserungen in Bezug auf den Zustand, die Stabilität und die Funktionsweise des Finanzsektors im Euro-Währungsgebiet zu verzeichnen sind.

1.6.

Der EWSA ist überzeugt, dass Strukturreformen und Investitionen zusammen mit der Umsetzung des Grünen Deals für Europa erheblich zum wirtschaftlichen Wohlstand des Euro-Währungsgebiets beitragen können, auch in den Mitgliedstaaten mit derzeit unterdurchschnittlichem Wachstumspotenzial. Dies kann dem Konvergenzprozess innerhalb des Euroraums und der EU insgesamt zugutekommen.

1.7.

Der EWSA betont, dass die Verwirklichung der Ziele des Grünen Deals für Europa unbedingt eine solide Finanzgrundlage erfordert, die derzeit nicht gänzlich gesichert ist. Besorgniserregend sind insbesondere die unzureichenden Finanzmittel, die für den Fonds und den Mechanismus für einen gerechten Übergang vorgesehen sind. Zu diesem Zweck ist es von grundlegender Bedeutung, weitere nationale öffentliche und private Mittel in den Prozess einzubinden und die erforderlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie für das Erreichen der Ziele des Grünen Deals eingesetzt werden.

1.8.

Der EWSA betont, dass insbesondere mit Blick auf die erwartete Konjunkturabschwächung auch weiterhin eine behutsam-offensive Finanzpolitik erforderlich sein wird. Dabei sollte eine ausgewogene Mischung zwischen der Wirtschaftspolitik und den Säulen, auf denen die WWU beruht, gewährleistet werden. Die Anwendung der „goldenen Regel“ für öffentliche Investitionen würde dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen.

1.9.

Der EWSA empfiehlt, die Aufmerksamkeit stärker auf die Anpassung des Steuersystems an die künftigen Erfordernisse zu richten, sowohl im Hinblick auf ein umweltfreundlicheres Verhalten von Verbrauchern und Erzeugern und die Gewährleistung einer gerechten Besteuerung, damit sich die Einkommens- und Wohlstandsunterschiede nicht weiter vertiefen, als auch um Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuerumgehung zu verhindern.

1.10.

Der EWSA weist darauf hin, dass angesichts der dynamischen Entwicklung neuer Arten von Finanzplattformen die Entwicklung von Finanzinnovationen und die Festlegung von Vorschriften für die Beaufsichtigung und Regulierung der Finanzmärkte miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Seines Erachtens ist die Gewährleistung der Finanzmarktstabilität von größter Bedeutung. Er hat wiederholt auf die Verzögerungen bei der Umsetzung zentraler Elemente hingewiesen, die für die Vollendung der Finanzunion grundlegend sind.

2.   Hintergrund

2.1.

Das Wachstum der Wirtschaftsleistung des Euroraums verlangsamt sich, die Arbeitslosigkeit ist nicht mehr rückläufig, und die Inflation ist trotz eines geringen Anstiegs nach wie vor gering und liegt weiterhin unter dem Inflationsziel.

2.2.

Die Prognosen für 2020 weisen auf eine Zunahme von Risikofaktoren und den daraus resultierenden Unsicherheiten hin. Diese Risiken können in den kommenden Jahren zu einer längeren Phase schwachen Wachstums, niedriger Inflation, niedrigen Lohnwachstums und zunehmender Einkommensungleichheit führen, es sei denn, die Investitionen werden erheblich gesteigert, insbesondere in Wirtschaftszweigen mit hoher Produktivität, in denen das Euro-Währungsgebiet und die EU global wettbewerbsfähig sind.

2.3.

Trotz guter Arbeitsmarktbedingungen war 2018 und 2019 nur ein langsamer, moderater Anstieg der Reallöhne um weniger als 1 % zu verzeichnen. Dieser Anstieg ist jedoch nach wie vor sehr uneinheitlich, und die Verteilung des Wohlstands ist nicht ausgewogen. Das Lohngefälle ist in vielen Fällen sogar größer geworden, und in einigen Ländern sind die Reallöhne immer noch niedriger als vor zehn Jahren. Dies führt zu einer Zunahme der Erwerbsarmut, bei der Menschen zwar erwerbstätig sind, aber nur schwer ein Einkommen erzielen können, das über der Armutsgrenze liegt, und der Gefahr der sozialen Ausgrenzung ausgesetzt sind. Das Wachstum der Reallöhne und die Verringerung der Armut sind wichtig, um den Lebensstandard zu erhöhen und den privaten Verbrauch anzukurbeln, was sich positiv auf Produktion und Wirtschaftswachstum auswirkt.

2.4.

Der hohe Leistungsbilanzüberschuss ging zurück, und die Kluft zwischen den Überschuss- und Defizitländern wurde etwas kleiner, vor allem aufgrund der Abschwächung der Auslandsnachfrage. In einigen Mitgliedstaaten bestehen jedoch nach wie vor übermäßige Überschüsse. Maßnahmen im Bereich der Investitionen und Löhne würden dazu beitragen, das schwache Wachstum im Euro Währungsgebiet wieder anzukurbeln.

2.5.

Der Grüne Deal für Europa ist ein entscheidendes neues, als langfristige Chance wahrgenommenes Element, das sich aber auch kurzfristig auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum auswirken kann. Kurz- und mittelfristig werden dadurch enorme finanzielle Kosten entstehen. Die vorgeschlagenen neuen Instrumente — der Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa und der Fonds für einen gerechten Übergang — werden dabei von großer Bedeutung sein.

2.6.

Die uneinheitliche wirtschaftliche Entwicklung des Euro-Währungsgebiets ist nach wie vor ein Problem. Davon zeugen sowohl die tief greifenden Folgen der letzten Wirtschaftskrise als auch die unterschiedlichen strukturellen Probleme in den Volkswirtschaften, die es unmöglich machen, das wirtschaftliche Potenzial der einzelnen Mitgliedstaaten voll auszuschöpfen. Diese Unterschiede spiegeln sich auch in schwerwiegenden sozialen Folgen wider, insbesondere in anhaltender Armut und sozialer Ausgrenzung. Obwohl es derzeit im Vergleich zu 2012 etwa 5 Mio. weniger Menschen in dieser Kategorie gibt, stellt der EWSA die berechtigte Frage, ob angesichts des erwarteten Wirtschaftsabschwungs nicht die Gefahr besteht, dass sich diese Situation wiederholt. Sind die EU und die Mitgliedstaaten nun besser darauf vorbereitet, einer solchen Bedrohung zu begegnen?

2.7.

Die Lage, Stabilität und Funktionsweise des Finanzsektors im Euro-Währungsgebiet haben sich seit der Krise erheblich verbessert, doch gibt es nach wie vor risikobehaftete Schwachstellen, insbesondere in einigen nationalen Finanzsystemen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA stellt fest, dass sich das Euro-Währungsgebiet noch in einer Phase — sich indes abschwächenden — Wirtschaftswachstums befindet. In dieser Phase muss man sich dessen bewusst sein, dass die WWU auf einer monetären und finanziellen Säule, einer wirtschaftlichen Säule, einer sozialen Säule und einer politischen Säule beruht. Im Einklang mit seinen früheren Stellungnahmen (1) empfiehlt der EWSA, für Ausgleich und Ausgewogenheit zwischen diesen Säulen der WWU zu sorgen; eine Vernachlässigung und Beeinträchtigung dieses Gleichgewichts könnte zu gefährlichen Ungleichheiten führen.

3.2.

Der EWSA ist gleichwohl der Auffassung, dass der Grüne Deal für Europa als grundlegender Parameter für die Durchführung der notwendigen Strukturreformen und die damit einhergehenden Investitionen angesehen werden kann. Eine Symbiose aus dem Grünen Deal für Europa und Strukturreformen kann unter Berücksichtigung der Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung und der Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte die Voraussetzungen für ein langfristig nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Beseitigung negativer sozialer und ökologischer externer Effekte und bestimmter weiterer Ausdrucksformen von Marktversagen erheblich verbessern.

3.3.

Nach Ansicht des EWSA sind diese Reformen von besonderer Bedeutung für diejenigen Mitgliedstaaten, deren Wachstumspotenzial deutlich unter dem Durchschnitt des Euro-Währungsgebiets liegt. Solide und gezielte Investitionen in produktive Branchen werden es ihnen ermöglichen, diese Kluft in den kommenden zehn Jahren zu überbrücken.

3.4.

Der EWSA weist nachdrücklich auf die ernst zu nehmende Warnung hin, dass das Euro-Währungsgebiet ohne entsprechende nachhaltige Investitionen in angemessener Höhe dem Risiko eines längeren Zeitraums mit niedrigem Potenzialwachstum und niedriger Produktivität, niedrigen Löhnen, zunehmenden Ungleichheiten und einer nicht absehbaren Inflation ausgesetzt ist.

3.5.

Der EWSA stellt fest, dass das Euro-Währungsgebiet künftig ein höheres Maß an Verantwortung und Feingefühl für die Auswirkungen der Wirtschaft auf den Klimawandel an den Tag legen muss. Das Ausmaß und die Intensität des Klimawandels gehören derzeit zu den weltweit größten, zudem wohlbekannten und anerkannten Systemrisiken.

3.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass 2020 sehr wahrscheinlich ein Wendepunkt sein wird, an dem es zu einem wirtschaftlichen Paradigmenwechsel und zur Berücksichtigung von Umweltkriterien als feste Bestandteile der Marktentscheidungen kommen wird. Dies wird weitreichende Folgen auch über das Jahr 2020 hinaus haben. Dieser Wendepunkt wird nicht nur für das Funktionieren des Wirtschaftssystems, sondern auch bezüglich der zu erwartenden Leistungen der Wirtschaftspolitik als wesentlich angesehen. Der EWSA warnt davor, dass ein Scheitern der Steuerung dieser Umbruchphase verheerende Auswirkungen auf das gesamte Projekt Europa haben kann. Demnach müssen die verschiedenen Akteure unbedingt zu einem gemeinsamen Verständnis in dieser Frage gelangen, so z. B. die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten, die Mitgliedstaaten untereinander (wobei die erheblichen territorialen Unterschiede zu berücksichtigen sind), die Interessenträger der verschiedenen Bereiche der Zivilgesellschaft usw.

3.7.

Der EWSA sieht daher den Grünen Deal für Europa sowie die Schlüsselinstrumente für seine Umsetzung, insbesondere den Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa und den Fonds für einen gerechten Übergang, als Gelegenheit, auf die bestehenden Herausforderungen und Bedürfnisse zu reagieren; seine Umsetzung wird ein wichtiger Test für die Kohärenz der Interessen sowohl der Mitglieder des Euro-Währungsgebiets als auch der EU sein. Dabei müssen die Mitgliedstaaten nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse verteidigen, sondern auch die Bedürfnisse der anderen Mitgliedstaaten berücksichtigen und sich um einen gemeinsamen Standpunkt bemühen, der für alle Beteiligten von Vorteil ist. Die Auswirkungen auf die einzelnen Teile der Gesellschaft sind auch zu berücksichtigen, und unter anderem ist zu gewährleisten, dass Kosten und Nutzen der Klimapolitik zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der Mitgliedstaaten gerecht verteilt werden.

3.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass die gemeinsamen Mittel des EU-Haushalts zweifellos völlig unzureichend sind, um die enorme Herausforderung im Zusammenhang mit dem Grünen Deal für Europa zu bewältigen. Daher sollte unbedingt über einen neuen Rahmen für die Finanzierung gemeinsamer strategischer Erfordernisse in der EU nachgedacht werden, um auch nationale öffentliche und private Mittel wirksam in diesen Prozess einzubinden. Der EWSA fügt hinzu, dass nicht nur rein „grüne Projekte“ von diesen Mitteln profitieren können. Sie können auch in Bereiche fließen, die einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele des Grünen Deals für Europa leisten können, zum Beispiel in den digitalen Wandel, die Entwicklung netzgebundener Wirtschaftszweige oder in eine intelligente und nachhaltige Verkehrsinfrastruktur.

3.9.

Der EWSA hält es für sehr wichtig, dass die Investitionsstrategien sowohl des Euroraums als auch der gesamten EU in den nächsten zehn Jahren eng miteinander koordiniert und die Interessen aller relevanten Akteure gewahrt werden. Ab 2021 können zwei neue Instrumente — das Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit und das Programm „InvestEU“ (2) — einen erheblichen Beitrag dazu leisten, und zwar in einer wirksamen Kombination mit traditionellen Methoden der Verwaltung der EU-Haushaltsmittel wie etwa der Kohäsionspolitik.

3.10.

Die Wirtschaftskrise von 2008 brachte den Prozess der wirtschaftlichen Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zum Stillstand. Nicht überall kam er während des Aufschwungs wieder in Gang: Eine entsprechende Tendenz ist in Mittel- und Osteuropa zu beobachten, nicht jedoch im Süden. Gleichzeitig haben die erfolgreichsten Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas einige der traditionellen Volkswirtschaften der EU eingeholt oder sogar hinter sich gelassen. Es steht zu erwarten, dass sich dieser Prozess in den kommenden zehn Jahren fortsetzen wird. Die Konvergenz muss jedoch weiter verstärkt werden, da weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In diesem Zusammenhang spricht sich der EWSA für ein nachhaltiges und integratives Wachstum in der EU als Ganzes und für den Abbau sozialer und wirtschaftlicher Ungleichgewichte innerhalb der Mitgliedstaaten und zwischen ihnen aus.

3.11.

Der EWSA legt großen Wert auf die Ausgewogenheit der verschiedenen Komponenten der Wirtschaftspolitik. Insbesondere ist es wichtig, auch finanzpolitische Instrumente einzusetzen, wie das die EZB in den letzten Jahren gefordert hat. Die EZB wird voraussichtlich auch in Zukunft eine wachstumsorientierte, akkommodierende Geldpolitik verfolgen, die nicht nur auf eine Annäherung der Inflation an die Inflationsziele abzielt, sondern auch darauf, weiterhin günstige wachstumsfördernde Rahmenbedingungen zu bieten und gleichzeitig die Finanzstabilität zu gewährleisten. Der EWSA regt außerdem an, die Rolle der EZB als Kreditgeber der letzten Instanz zu verankern.

3.12.

Die Verbesserung der Haushaltsdisziplin in der Vergangenheit ermöglicht in nächster Zukunft den behutsamen Übergang zu einer offensiven Finanzpolitik, wobei die Auswirkungen des realen Konjunkturabschwungs in den kommenden Jahren berücksichtigt werden müssen. Es besteht nunmehr ein erheblicher Spielraum nicht nur für Investitionen, sondern auch für einen weiteren, deutlich verstärkten Einsatz der Strukturpolitik, um das wirtschaftliche Potenzial zu stärken und die verbleibenden Ungleichgewichte und Formen von Marktversagen zu beheben und gleichzeitig faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz zu gewährleisten. Das bedeutet beispielsweise Unterstützung für das Funktionieren leistungsfähiger Institutionen, eine unabhängige und wirksame Justiz, eine qualitativ hochwertige öffentliche Verwaltung, solide Rahmenbedingungen für die Korruptionsbekämpfung, wirksame Steuersysteme, solide Bildungssysteme, marktkonforme Instrumente zur Förderung des Unternehmertums, hohe Standards für die Gewährleistung von Arbeitslosenunterstützung und die Stärkung der Strukturen des sozialen Dialogs, einschließlich Tarifverhandlungen.

3.13.

Der EWSA hält weitere Überlegungen über die Relevanz und Nachhaltigkeit der bestehenden Parameter des Steuersystems für erforderlich. Die Steuern im Euro-Währungsgebiet sind relativ hoch, wobei vor allem der Faktor Arbeit stark besteuert wird, die Umwelt- und die Vermögensteuern im Durchschnitt indes nur einen sehr geringen Teil des gesamten Steueraufkommens ausmachen. Der EWSA weist daher darauf hin, dass neue Besteuerungsformen eingeführt werden müssen, durch die einerseits die steuerliche Belastung der Arbeit verringert wird, während beispielsweise Finanzspekulationen stärker besteuert werden. Er empfiehlt, faire steuerrechtliche Bedingungen einzuführen, insbesondere in Bezug auf neue Formen der digitalen Wirtschaft, in denen das Kapital hauptsächlich dazu genutzt wird, Werte abzuschöpfen (value extraction), anstatt Waren herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen. In Zukunft könnten Umweltsteuern ein wichtiges Instrument sein, um das Verhalten von Verbrauchern und Erzeugern stärker auf die Umwelt auszurichten, ohne die Bedingungen für das Wirtschaftswachstum erheblich zu beeinträchtigen. Gleichzeitig weist der EWSA darauf hin, dass etwaige Änderungen der Steuersysteme die ohnehin schon ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung nicht noch mehr verschärfen dürfen. Der EWSA fordert, die Anstrengungen zur Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuerumgehung (aggressive Steuerplanung) fortzusetzen und zu verstärken, um das Steuersystem effizienter zu machen. Der EWSA stimmt mit der Europäischen Kommission darin überein, dass bei der Festlegung der Parameter für die Steuerpolitik eine engere Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich ist, um faire Bedingungen im Binnenmarkt zu schaffen. Der EWSA unterstützt die Europäische Kommission auch in ihren Bemühungen und Überlegungen, einen Konsens über die GKKB und einen Überblick über die Gewinnverteilung unter den Mitgliedstaaten zu erzielen. Wie bereits in der vorangehenden Stellungnahme (3) und der Veröffentlichung „Steuerwesen — Die Standpunkte der organisierten Zivilgesellschaft“ dargelegt, ist der EWSA der Auffassung, dass Steuerpolitik im Allgemeinen und die Bekämpfung von Steuerbetrug im Besonderen für die nächste Europäische Kommission von vorrangiger Bedeutung bleiben muss. In diesem Sinne befürwortet der EWSA eine Debatte über die schrittweise Umstellung auf die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit und das ordentliche Gesetzgebungsverfahren in Steuerangelegenheiten. Gleichzeitig wird anerkannt, dass alle Mitgliedstaaten jederzeit über ausreichende Möglichkeiten verfügen müssen, um am Entscheidungsprozess teilzunehmen.

3.14.

Der EWSA hat wiederholt festgestellt, dass das Funktionieren des Binnenmarkts nach wie vor unbedingt gefördert und verbessert werden muss und dass es wichtig ist, die erforderlichen Bedingungen für einen fairen Wettbewerb und ein gutes Unternehmensumfeld zu schaffen und zu sichern. Dieses Problem kann durch Aktionen und Maßnahmen im Rahmen des Europäischen Semesters gelöst werden.

3.15.

Der EWSA ist sich der Tatsache bewusst, dass die enormen strukturellen Herausforderungen der europäischen Wirtschaft unvermeidbare soziale Auswirkungen und Folgen haben. Diese Herausforderungen können nur dann erfolgreich bewältigt werden, wenn die nötigen Voraussetzungen geschaffen und garantiert werden, um neue berufliche Fähigkeiten sowie Systeme für den Wechsel zwischen Berufen zu entwickeln, und wenn ein wirksamer und angemessener Sozialschutz gewährleistet wird. Der EWSA hält die europäische Säule sozialer Rechte für eine geeignete Plattform, um dieses Ziel zu erreichen, und befürwortet die Aufnahme ihrer Bestimmungen in die EU-Rechtsvorschriften.

3.16.

Der EWSA verweist auf das Ungleichgewicht zwischen dem Tempo, in dem im Finanzsektor Innovationen eingeführt werden, und der Fähigkeit der Regulierungssysteme, in Form von Regelungen und Schutzbestimmungen darauf zu reagieren. Der traditionelle Kreditsektor scheint dank immer strengerer Vorschriften sehr gut geschützt zu sein, doch verursachen diese Vorschriften hohe Befolgungskosten, während das Unternehmensumfeld häufig flexiblere und zugänglichere Instrumente brauchte. In diesem Sinne bilden die Bankenunion und das Euro-Währungsgebiet ein bedeutendes Ökosystem, von dem indes erwartet wird, dass es über bessere Regulierungssysteme und -vorschriften verfügt, um Investitionen im gesamten Binnenmarkt anzukurbeln und Hindernisse zu beseitigen, damit die Finanzmärkte nicht länger in durch nationale Grenzen stark eingeengt werden.

3.17.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Schaffung einer Finanzunion (einer Bankenunion, die funktional in eine Kapitalmarktunion integriert ist) und einer Wirtschafts- und Währungsunion zum Ende des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts noch immer unvollendet ist. Der EWSA begrüßt die Fortschritte, die insbesondere im Bereich der Wirtschaftsunion erzielt wurden, wobei sich das kontinuierlich verbesserte Instrument des Europäischen Semesters als positiv erwiesen hat. Gleichzeitig stellt er mit Besorgnis fest, dass im Falle der Währungsunion (sowohl aus Sicht einiger Mitgliedstaaten, die noch nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören, als auch im Hinblick auf die Außenvertretung und Verwaltung des Euro-Währungsgebiets), aber auch der Finanzunion in den letzten Monaten keine greifbaren Fortschritte erzielt wurden. Der EWSA begrüßt, dass die Widerstandsfähigkeit und Robustheit des Finanzsektors des Euro-Währungsgebiets zugenommen haben, und unterstützt Maßnahmen zur Beseitigung der verbliebenen Schwächen. Er fordert eine rasche Umsetzung des europäischen Einlagenversicherungssystems (EDIS) und begrüßt die Ankündigung der Europäischen Kommission, den europäischen Aufsichts- und Regelungsrahmen einschließlich der Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche zu verstärken.

3.18.

Im Hinblick auf die Stärkung der politischen Säule der WWU begrüßt der EWSA die Auffassung der Europäischen Kommission bezüglich der Einbindung der Sozialpartner in beschäftigungspolitische und sozioökonomische Reformen. Er hält dies für einen wesentlichen Schritt zur Stärkung der Eigenverantwortung und zur Unterstützung der Umsetzung von Reformen. Vor allem aber ist die Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft insgesamt von entscheidender Bedeutung für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der finanziellen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Säule der WWU.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Nach Ansicht des EWSA ist die Berücksichtigung der ökologischen Dimension und ihrer sozialen Auswirkungen im Wirtschaftssystem und im täglichen Verhalten der Wirtschaftsakteure sowie der Entscheidungsträger und Akteure auf politischer Ebene unabdingbar.

4.2.

Der Grüne Deal muss inhaltlich mit der sozialen Dimension verknüpft werden. Wir müssen einerseits die Herausforderungen des Klimawandels angehen, andererseits aber auch inklusives Wachstum fördern, die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft verbessern, Ungleichheiten verringern, faire Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer schaffen, die Weiterbildungssysteme für Arbeitnehmer ausbauen und die Probleme im Zusammenhang mit Armut und sozialer Ausgrenzung lösen. Der EWSA begrüßt die Einbeziehung der europäischen Säule sozialer Rechte und der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung in das Europäische Semester. Diese Bemühungen müssen jedoch weiter formalisiert werden.

4.3.

Der EWSA nimmt mit großem Interesse den Vorschlag zur Schaffung eines Investitionsplans für ein zukunftsfähiges Europa und eines Fonds für einen gerechten Übergang zur Kenntnis. Er begrüßt die Festlegung der diesbezüglichen Ziele und die in diesem Zusammenhang vorgeschlagenen Maßnahmen wie die Erhöhung der für Klima- und Umweltmaßnahmen aufgewendeten Mittel aus dem EU-Haushalt. Er fügt jedoch hinzu, dass der Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa nicht ausreichen wird. Der Investitionsplan soll Investitionen in Höhe von rund 100 Mrd. EUR pro Jahr ermöglichen, während nach Schätzungen der Europäischen Kommission bis 2030 jährlich rund 260 Mrd. EUR an zusätzlichen Investitionen erforderlich sein werden, um die Klima- und Energieziele der EU zu erreichen. In dieser Hinsicht sollte insbesondere der Fonds für einen gerechten Übergang als Kernstück des Mechanismus für einen gerechten Übergang gestärkt werden. Die künftigen Stellungnahmen des EWSA zu diesen Initiativen werden detailliertere Bewertungen dazu enthalten.

4.4.

Der EWSA schlägt vor, den Grünen Deal für Europa als Plattform für die Förderung des gemeinsamen europäischen Mehrwerts, der gemeinsamen Erfordernisse und Interessen und der gemeinsamen Investitionen zu betrachten, deren Erträge nicht nur für die einzelnen Akteure, sondern für die gesamte EU und den gesamten Euroraum von Nutzen sein wird.

4.5.

Im Hinblick auf die erfolgreiche Umsetzung des Grünen Deals für Europa ist ein ausgewogener Ansatz für die gesamte EU und das Euro-Währungsgebiet sehr wichtig. Der EWSA hält diesen Parameter für ausschlaggebend, um günstige Bedingungen für eine fortschreitende Konvergenz und makroökonomische Stabilität zu gewährleisten.

4.6.

Der EWSA ist sich bewusst, dass unter dem Gesichtspunkt der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen ein umsichtiges und reibungsloses Funktionieren der nationalen fiskalpolitischen Mechanismen sehr wichtig ist. Dazu gehören auf der Einnahmenseite beispielsweise die Fairness und Transparenz der Steuersysteme und die Einhaltung der Steuervorschriften und auf der Ausgabenseite die Festlegung angemessener Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen und die Anwendung von Kriterien zur Festlegung und Messung der Wirksamkeit und Qualität der öffentlichen Ausgaben.

4.7.

Im Hinblick auf eine verbesserte Funktionsweise des Binnenmarkts und seiner Verbindungen zum Europäischen Semester mittels genauer Zielvorgaben in den länderspezifischen Empfehlungen, der Verknüpfung mit dem EU-Haushalt und der konsequenten Einhaltung der sich aus diesen Empfehlungen ergebenden Verpflichtungen empfiehlt der EWSA, den Nutzen dieser Maßnahmen systematisch zu bewerten, um eine Fiskalkapazität zu schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit Europas insgesamt zu stärken und die ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu verbessern.

4.8.

Gegenstand unseres Interesses sollte nicht nur die öffentliche Verschuldung, sondern auch der Schutz des öffentlichen Wohlstands sein. Nicht nur für Klimaschutzmaßnahmen werden erhebliche Ressourcen nötig sein. Nach der Stagnation bei den öffentlichen Investitionen ist es nun von entscheidender Bedeutung, die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur (z. B. im Bereich der Digitalisierung) zu erhöhen, was nicht nur kurzfristig das Wirtschaftswachstum ankurbeln, sondern auch längerfristige Produktionskapazitäten für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft sicherstellen wird. Nach Ansicht der Europäischen Kommission muss die Haushaltspolitik den geldpolitischen Kurs der EZB ergänzen. Mit der Haushaltsregel für öffentliche Investitionen (sog. „goldene Regel“) könnte unter Wahrung der Haushaltsdisziplin ein Anstieg der öffentlichen Investitionen zu diesem Zweck angeregt und weiter stimuliert werden.

4.9.

Um die Flexibilität und Widerstandsfähigkeit des Euro-Währungsgebiets gegenüber wirtschaftlichen Schocks zu erhöhen, sollte ein Instrument eingeführt werden, mit dem die Mitgliedstaaten bei der Bewältigung der Folgen solcher Schocks unterstützt und im Vorfeld besser darauf vorbereitet werden, ihnen standzuhalten. Der EWSA begrüßt daher sowohl das vorgeschlagene Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit (BICC) (4) als auch die Einigung über die Stärkung der Rolle des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Gleichzeitig warnt der EWSA vor der Gefahr, dass das Gleichgewicht zwischen den wichtigsten Säulen (siehe oben), auf denen die WWU beruht, gestört wird. Im Hinblick auf die Steuerung der Stabilisierungsinstrumente unterstützt der EWSA deren Demokratisierung durch eine stärkere Einbeziehung des Europäischen Parlaments und der Sozialpartner im Rahmen der politischen Säule der WWU unter gleichzeitiger Wahrung der Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte und der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung.

Brüssel, den 19. Februar 2020

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 106; ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 32.

(2)  Diese Themen waren unlängst Gegenstand von Stellungnahmen des EWSA: ABl. C 47 vom 11.2.2020, S.106, ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 131, ABl. C 282 vom 20.8.2019, S. 20.

(3)  ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 90.

(4)  Siehe die EWSA-Stellungnahme ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 106.


ANHANG

Die folgende Ziffer der Stellungnahme der Fachgruppe wurde gemäß dem vom Plenum angenommenen Änderungsantrag geändert. Die bisherige Fassung wurde allerdings mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt (Artikel 59 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

3.13.

Der EWSA hält weitere Überlegungen über die Relevanz und Nachhaltigkeit der bestehenden Parameter des Steuersystems für erforderlich. Die Steuern im Euro-Währungsgebiet sind relativ hoch, wobei vor allem der Faktor Arbeit stark besteuert wird, die Umwelt- und die Vermögensteuern im Durchschnitt indes nur einen sehr geringen Teil des gesamten Steueraufkommens ausmachen. Der EWSA weist daher darauf hin, dass neue Besteuerungsformen eingeführt werden müssen, durch die einerseits die steuerliche Belastung der Arbeit verringert wird, während beispielsweise Finanzspekulationen stärker besteuert werden. Er empfiehlt, faire steuerrechtliche Bedingungen einzuführen, insbesondere in Bezug auf neue Formen der digitalen Wirtschaft, in denen das Kapital hauptsächlich dazu genutzt wird, Werte abzuschöpfen (value extraction), anstatt Waren herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen. In Zukunft könnten Umweltsteuern ein wichtiges Instrument sein, um das Verhalten von Verbrauchern und Erzeugern stärker auf die Umwelt auszurichten, ohne die Bedingungen für das Wirtschaftswachstum erheblich zu beeinträchtigen. Gleichzeitig weist der EWSA darauf hin, dass etwaige Änderungen der Steuersysteme die ohnehin schon ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung nicht noch mehr verschärfen dürfen. Der EWSA fordert, die Anstrengungen zur Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuerumgehung (aggressive Steuerplanung) fortzusetzen und zu verstärken, um das Steuersystem effizienter zu machen. Der EWSA stimmt mit der Europäischen Kommission darin überein, dass bei der Festlegung der Parameter für die Steuerpolitik eine engere Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich ist, um faire Bedingungen im Binnenmarkt zu schaffen. Der EWSA unterstützt die Europäische Kommission auch in ihren Bemühungen und Überlegungen, einen Konsens über die GKKB und einen Überblick über die Gewinnverteilung unter den Mitgliedstaaten zu erzielen. Der EWSA unterstützt die Initiative der Kommission zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit und hält es für wichtig, dass diese Initiative schrittweise umgesetzt und ein breiter Konsens über die Bedingungen für die Anwendung dieser Art der Beschlussfassung erzielt wird.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

80

Nein-Stimmen:

48

Enthaltungen:

21