15.1.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 14/67


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Die soziale Dimension der Fischerei“

(Sondierungsstellungnahme)

(2020/C 14/09)

Berichterstatter: Gabriel SARRÓ IPARRAGUIRRE

Befassung

Europäische Kommission, 27.3.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

14.5.2019

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

4.9.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung am

25.9.2019

Plenartagung Nr.

546

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

137/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit muss auch eine ökologische und eine soziale Dimension beinhalten (1). Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) betrachtet es als wesentlich, die Fischereipolitik nicht nur aus einer umweltpolitischen Perspektive heraus zu entwickeln, sondern auch die globale Bedeutung der Fischerei, ihre Auswirkungen auf die übrige Wirtschaft und ihre Rolle für die Sicherheit des Seeverkehrs und bei der Versorgung mit gesunden und bekömmlichen Lebensmitteln und der Eindämmung der Abwanderung der Bevölkerung in benachteiligten Gebieten zu berücksichtigen (2). Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der handwerklichen Fischerei und die Notwendigkeit unternehmensfreundlicher Rahmenbedingungen, die es diesem Wirtschaftszweig ermöglichen, nachhaltig zu wirtschaften und Arbeitsplätze bereitzustellen, die besonders für viele Küstenorte wichtig sind. Zur Verwirklichung der Gleichstellung der Frauen müssen ihre Rolle und ihr Beitrag besser anerkannt werden.

1.2.

Der EWSA empfiehlt, regulatorische Kohärenz zwischen den Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Meeresschätze und den Vorschriften über Sicherheit und Arbeitsbedingungen auf See mittels Folgenabschätzungen in Bezug auf: a) die Beschäftigung, b) die Löhne, c) den Bau und die Seetüchtigkeit der Fischereifahrzeuge, d) angemessene Lebens- und Arbeitsbedingungen und e) die Qualifizierung und die Zertifizierung der Fischer sicherzustellen. Zudem fordert er im Sinne einer ganzheitlichen Steuerung des Sektors eine bessere Koordinierung zwischen den verschiedenen Ressorts und Dienststellen der Behörden auf allen Ebenen.

1.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, im Rahmen ihres Arbeitsprogramms einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Übernahme des Übereinkommens der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten in den gemeinschaftlichen Besitzstand auszuarbeiten und auf diese Weise harmonisierte Normen für die Ausbildung und Zertifizierung sowie mehr Seeverkehrssicherheit im Fischereisektor zu garantieren.

1.4.

Der EWSA fordert alle Institutionen und die Sozialpartner auf, das Image der Fischerei als Berufs- und Beschäftigungsmöglichkeit für Inhaber von fischereilichen Berufsabschlüssen und sonstige Besatzungsmitglieder zu fördern sowie die soziale Benachteiligung und die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen in vielen Fischereigemeinden und Hafenstädten anzugehen.

1.5.

Der EWSA ersucht die Europäische Kommission, die erforderlichen Änderungen an der Grundverordnung über die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) vorzuschlagen, damit hinsichtlich der Verbesserungen der Lebensbedingungen und der Sicherheit an Bord der Fischereifahrzeuge bei der Berechnung der Fangkapazität nicht die Tonnage und Maschinenleistung berücksichtigt werden (3).

1.6.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, das Übereinkommen Nr. 188 der IAO zu ratifizieren, die erforderlichen Maßnahmen für seine ordnungsgemäße Umsetzung in nationales Recht und Anwendung zu ergreifen und die Kontrollbefugnis und sowie die Befugnis zur Ausstellung von Bescheinigungen angesichts der in einigen Ländern bestehenden Probleme bei der Koordinierung dieser Befugnisse gegebenenfalls an Klassifizierungsgesellschaften zu delegieren.

1.7.

Der EWSA erinnert die Mitgliedstaaten daran, wie wichtig es ist, die Richtlinie (EU) 2017/159 des Rates (4), mit der das Übereinkommen Nr. 188 der IAO in den Besitzstand der Union übernommen wird, bis zum 15. November 2019 in innerstaatliches Recht umzusetzen. Er fordert die Kommission ferner auf, so bald wie möglich einen Vorschlag für eine ergänzende Richtlinie vorzulegen, die Kontrollvorschriften und Durchführungsbestimmungen enthält, wie dies für die Seeschifffahrt bereits geschehen ist, um ein harmonisiertes Inspektionssystem zu schaffen.

1.8.

Der EWSA empfiehlt, die Kohärenz zwischen der Fischerei- und Handelspolitik zu verbessern. Folglich darf Ländern, die mit illegaler Fischerei und schwerem Missbrauch von Arbeitskräften in Verbindung gebracht werden, kein präferenzieller Zugang zum Gemeinschaftsmarkt gewährt werden. In diesem Zusammenhang dürfen für aus diesen Ländern stammende Erzeugnisse auch keine Zollpräferenzen wie beispielsweise autonome Kontingente gewährt werden.

2.   Einleitung und Hintergrund

2.1.

Die Fischerei ist eine traditionelle Erwerbstätigkeit von großer kultureller Bedeutung und fungiert in vielen Küstengemeinden der Europäischen Union auch als wichtige Quelle für Nahrungsmittel, Beschäftigung, Handel, wirtschaftliches Wohlergehen und Freizeitgestaltung. Die dringende Notwendigkeit einer Regeneration der Fischbestände und der Umweltressourcen ist nicht zu bestreiten, doch wie der EWSA bereits in früheren Stellungnahmen betont hat, lag der Schwerpunkt der internationalen Bemühungen über viele Jahre hinweg auf der Sicherstellung der ökologischen Nachhaltigkeit und wurde den wirtschaftlichen Aspekten wenig, den sozialen Aspekten kaum und der Sicherheit des Seeverkehrs geringe Beachtung geschenkt.

2.2.

Dennoch — und dem ständigen technologischen Fortschritt zum Trotz — gilt die Fischerei aufgrund von Faktoren wie Wetterbedingungen, körperlicher Anstrengung und einem Arbeitsumfeld, das konstant in Bewegung ist, nach wie vor als eine sehr risikoreiche Tätigkeit. Dies wiederum stützt sich auf statistische Daten, die belegen, dass die Fischerei im Vergleich zu anderen Sektoren eine gefährliche Beschäftigung ist. Insbesondere sind in der Europäischen Union laut den von der EMSA veröffentlichten Arbeitsunfallstatistiken (5) im maritimen Sektor zwischen 2011 und 2017 fast 120 Fischereifahrzeuge auf See verloren gegangen. 2016 war ein besonders katastrophales Jahr, in dem 525 Unfälle und Vorkommnisse gemeldet wurden, bei denen 55 Fischer auf See ums Leben kamen, 30 schwerverletzt und 184 verletzt wurden und 14 Schiffe verloren gingen. Dies zeigt, dass es immer noch viele Fischer gibt, die bei ihrer Arbeit auf See, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und die Gesellschaft mit Lebensmitteln versorgen, schwer verletzt werden oder sogar ihr Leben verlieren.

2.3.

Ungeachtet dessen wird im Bericht der EMSA hervorgehoben, dass 63 % der Unfälle an Bord von Fischereifahrzeugen auf menschliches Versagen zurückzuführen waren und sich in den meisten Fällen (65 %) während Fangeinsätzen ereigneten. Diese Daten zeigen, wie wichtig Ausbildung und Qualifizierung der Besatzungen im gesamten Fischereisektor und nicht nur auf Schiffen mit einer Länge von 24 Metern oder mehr sind. Selbstständige Fischer und Eigner kleiner Fischereifahrzeuge, die mit ihrer Besatzung an Bord arbeiten, sollten ebenfalls Zugang zu Ausbildung haben, und zwar nicht nur als Fischer, sondern auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht.

2.4.

Die Gesamtbeschäftigung in der EU-Flotte, ausgedrückt in Vollzeitäquivalenten, ist seit 2008 durchschnittlich um 1,3 % jährlich zurückgegangen (6), was teilweise durch den Kapazitätsabbau bedingt ist. Den EU-Erweiterungen zum Trotz belief sich die Anzahl der EU-Schiffe im Jahr 2018 auf 81 644, d. h. 22 203 weniger als im Jahr 1996, von denen nur 65 400 weiterhin in Betrieb sind.

2.5.

Der Durchschnittslohn pro Vollzeitäquivalent ist dagegen jährlich um 2,7 % gestiegen. Was die Wirtschaftsleistung der EU-Flotte betrifft, wurden 2016 weiterhin Rekord-Nettogewinne in Höhe von 1,3 Mrd. EUR erzielt (7). Diese guten Ergebnisse sind in erster Linie auf die wettbewerbsfähigen Erstverkaufspreise, die niedrigen Kraftstoffpreise, die Verbesserung der Betriebsleistung der Schiffe und das Wachstum einiger wichtiger Fischbestände zurückzuführen. Es muss jedoch präzisiert werden, dass den Daten zufolge die Flotten von fünf Mitgliedstaaten 2016 Nettoverluste verzeichneten (Kroatien, Zypern, Finnland, Litauen und Malta). Die Daten weisen zudem für 2016 Nettogewinne in Höhe von 132 Mio. EUR für die Küstenflotte aus, was gegenüber 2015 eine deutliche Steigerung ist (+ 36 %). Gleichzeitig verzeichnete dieses Flottensegment jedoch 2016 in sieben Mitgliedstaaten Nettoverluste.

2.6.

Trotz dieses positiven Trends, der guten Sozialvereinbarungen und der Bemühungen um bessere Löhne und Lebensbedingungen an Bord, Komfort und Telekommunikation ist die Fischerei für jüngere Menschen immer noch unattraktiv. Da die Tätigkeit in einer feindlichen Umwelt stattfindet, die Besatzungsmitglieder ihre Tätigkeit nur schwer mit einem Familienleben vereinbaren können und es zudem nicht gelungen ist, diese Verbesserungen zu kommunizieren, ist es nicht einmal während der Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre gelungen, jüngere Menschen für den Sektor zu gewinnen. Der Beruf des Fischers wird von vielen potenziellen Unternehmern, die ihren eigenen Betrieb haben wollen, gar nicht ergriffen; in manchen Ländern haben Eigner kleiner Fischereifahrzeuge keinen Zugang zur Frühverrentung, selbst wenn sie unter den gleichen schweren Bedingungen wie ihre Angestellten arbeiten. Soziale Probleme beschränken sich nicht nur auf die Bedingungen an Bord. Die Lebensbedingungen an Land müssen ebenfalls verbessert werden. Einigen Studien zufolge haben Fischereigemeinden und Hafenstädte oftmals mit einer hohen Armutsrate, einem Mangel an öffentlichen Dienstleistungen und schlechten Lebensbedingungen zu kämpfen. Die Rolle von Frauen, insbesondere von mithelfenden Ehefrauen, für das Wohlergehen der Branche wird ebenfalls unterschätzt. Diese sozialen Aspekte müssen eingehender untersucht werden.

2.7.

Aus den genannten Gründen fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, die erforderlichen Maßnahmen nicht nur zur Gewährleistung der Sicherheit im Seeverkehr und zur Sicherstellung angemessener Arbeitsbedingungen, sondern auch zur Gewinnung qualifizierter Arbeitskräfte — was für das Überleben und die Entwicklung eines für Europa strategischen Sektors von grundlegender Bedeutung ist — voranzutreiben, zu vermitteln und vorzuschlagen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA spricht sich für eine umfassende und verantwortungsvolle Gemeinsame Fischereipolitik aus. Deshalb müssen die Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Meeresschätze entsprechend kohärent sein und dürfen keinesfalls zulasten angemessener Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord der Fischereifahrzeuge, der Sicherheit auf See, der Ausbildung und der Qualifizierung der Fischer gehen. Auch wenn sich die vom Meer ausgehenden Gefahren nicht beseitigen lassen, ist es durch entschlossenes Handeln der zuständigen Behörden zur Regulierung des Fischereisektors und Erhöhung der Sicherheit in diesem Sektor möglich, die Unfallrisiken zu reduzieren und die Bedingungen an Bord zu verbessern.

3.2.

Der EWSA erinnert alle Mitgliedstaaten und die Europäische Union daran, dass sie das Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS) unterzeichnet haben, das für die Flaggenstaaten die Verpflichtung vorsieht, die Sicherheit im Seeverkehr mittels ihrer nationalen Rechtsvorschriften auf der Grundlage international vereinbarter Normen zu gewährleisten. Die Flaggenstaaten können natürlich auch eigene Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit auf See ergreifen. Die Mitgliedstaaten haben zwar ihre Verpflichtung zur Regelung der sozialen Dimension des Seeverkehrs sehr ernst genommen (zum Teil auch dank der Legislativmaßnahmen der Europäischen Union), doch ist die Zahl der Ratifizierungen internationaler Übereinkommen über die Sicherheit und die Arbeitsbedingungen in der Seefischerei weiterhin sehr gering.

3.3.

Aus diesem Grund gilt es nach Ansicht des EWSA, die Anwendung der bestehenden internationalen Rechtsinstrumente weiter zu fördern, u. a. des Übereinkommens Nr. 188 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), das die sozialen Bedingungen an Bord der Fischereifahrzeuge regelt, des FAO-Übereinkommens über Hafenstaatmaßnahmen zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, unregulierten und undokumentierten Fischerei (IUU-Fischerei), des Übereinkommens von Kapstadt über die Sicherheit von Fischereifahrzeugen und des internationalen Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten, 1995 (STCW-F) der IMO.

3.4.

Der EWSA erinnert daran, dass es wichtig ist, die soziale Verantwortung entlang der Wertschöpfungskette des Fischereisektors zu garantieren, und betrachtet das europäische Modell des sozialen Dialogs als Maßstab für die Gewährleistung angemessener Arbeitsbedingungen im Fischereisektor. In diesem Zusammenhang begrüßt er, dass die europäischen Sozialpartner gemäß Artikel 155 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Richtlinie (EU) 2017/159 ausgehandelt und vorgeschlagen haben, mit der das Übereinkommen Nr. 188 der IAO in Unionsrecht umgesetzt wurde.

3.4.1.

Der Ausschuss bedauert es jedoch, dass der Geltungsbereich der Richtlinie aufgrund der fehlenden Zuständigkeit der Sozialpartner für die Aushandlung dieses Punktes nicht auf selbstständige Fischer ausgedehnt werden konnte. Deshalb und aufgrund der großen Anzahl der selbstständigen Fischer in der EU ist es notwendig, dass die Mitgliedstaaten das Übereinkommen Nr. 188 ratifizieren.

3.4.2.

Zudem fordert der Ausschuss die Kommission auf, das Verfahren zur Regelung der sozialen Aspekte der Fischerei mittels eines Vorschlags für eine ergänzende Richtlinie zu komplettieren, die Kontrollvorschriften und Durchführungsbestimmungen enthält, um ein auf dem Gleichbehandlungsgrundsatz basierendes Inspektionssystem für die verschiedenen europäischen Gewässer und Flotten hinsichtlich der Auslegung und Anwendung der Rechtsnorm zu gewährleisten.

3.5.

Eine unlängst veröffentlichte Studie des Europäischen Parlaments zur Ausbildung der Fischer (8) zeigt, dass das Fehlen gemeinsamer Vorschriften für die Ausbildung und Zertifizierung der Fischer in der EU (9) ein Risiko für die Sicherheit der Fischer selbst, aber auch für andere Nutzer der EU-Gewässer darstellt. Dieser Mangel an Rechtsvorschriften kann durch die Anwendung des STCW-F-Übereinkommens behoben werden. Deshalb fordert der EWSA die Kommission auf, Verfahren für die Umsetzung des STCW-F-Übereinkommens in Unionsrecht einzuleiten, um die Sicherheit für die Fischerei auf See zu verbessern, die gemeinhin als einer der gefährlichsten Berufe gilt.

3.6.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die Ausbildung in nautischen und fischereilichen Berufen zu fördern, um so die Professionalisierung des Sektors voranzutreiben und das Kompetenzniveau zur Förderung einer hochwertigen Beschäftigung zu verbessern. In diesem Sinne sollte bei der beruflichen Bildung auf Empirismus und praktische Erprobung gesetzt werden, ohne das hohe Niveau an Kompetenz und Eignung zu vernachlässigen, das Fachkräfte in maritimen Berufen benötigen. Dabei sollte der Schwerpunkt auf Modelle wie die duale Berufsausbildung gelegt werden. Zu diesem Zweck fordert der Ausschuss, stärker auf den EMFF zurückzugreifen, die Förderzwecke auszuweiten und die Mitheranziehung des ESF zur ergänzenden Finanzierung der Ausbildung unter besonderer Berücksichtigung der handwerklichen Fischerei zu genehmigen.

3.7.

Der EWSA erinnert daran, dass die Übernahme des Übereinkommens in den Besitzstand der EU zahlreiche Vorteile für den Sektor mit sich bringen würde, da es dadurch möglich wäre, die Freizügigkeit von Arbeitnehmern mittels Ausstellung eines Befähigungsnachweises mit Gültigkeit in der gesamten EU (was aktuell nicht der Fall ist) zu gewährleisten, den Fischern die wechselnde Ausübung der Fischerei und anderer meeresbezogener Tätigkeiten zu erleichtern und harmonisierte Ausbildungsprogramme in der EU zu entwickeln. Für die ordnungsgemäße Anwendung des Übereinkommens bedarf es jedoch immer noch der Ausarbeitung europäischer Leitlinien für ärztliche Untersuchungen der Fischer zur Bescheinigung ihrer beruflichen Eignung. Dieser Leitlinien bedarf es auch für die Erfüllung der Bestimmungen in Artikel 10 des Übereinkommens Nr. 188 über die Arbeit im Fischereisektor, wonach kein Fischer ohne gültige ärztliche Bescheinigung an Bord eines Fischereifahrzeugs arbeiten darf. Vor diesem Hintergrund wird der Ausschuss für den sozialen Dialog in der Seefischerei 2019/2020 Leitlinien für die ärztliche Untersuchung der Fischer ausarbeiten.

3.8.

Entsprechend den obigen Darlegungen erachtet der EWSA es als Priorität, dass die Behörden und zentralen Akteure mit dem Sektor in den Bereichen Ausbildung und Beschäftigung zusammenarbeiten, um den Beruf des Fischers attraktiver zu machen und Talente und junge Menschen für diese Branche zu gewinnen, die über 150 000 Arbeitnehmer an Bord von Fischereifahrzeugen beschäftigt. Dies ist notwendig, um dem Mangel an Besatzungsmitgliedern entgegenzuwirken, der die Existenzfähigkeit des Sektors gefährdet und aktuell als das größte Problem gilt, dem die europäische Fischereiflotte gegenübersteht. Die Industrie weist darauf hin, dass ohne kurz- und mittelfristige Lösungen viele Schiffe im Hafen bleiben müssen. Deshalb ist es erforderlich, strategische Programme im sozialen Bereich einzuleiten, um zum einen europäische Arbeitskräfte für den Fischereisektor zu gewinnen und zum anderen die Einstellung ausländischer Arbeitskräfte zu vereinfachen. Der EWSA empfiehlt, Berufswege im See- und Fischereisektor zu fördern und die Fischerei als einen achtbaren Beruf zu präsentieren, der jungen Menschen zahlreiche Möglichkeiten bietet.

3.9.

Die Vernachlässigung der sozialen Förderung des Fischereisektors hat in der EU zu einem geringeren Interesse an diesem Beruf geführt. Dies wiederum hat dazu beigetragen, dass in den Gewässern der EU vermehrt Wanderarbeiter (Fischer aus Nicht-EWR-Ländern) beschäftigt werden, die in bestimmten Fällen und Ländern leicht Opfer missbräuchlicher Arbeitsbedingungen werden können (10). Die Besonderheiten des Fischereisektors, in dem die Beschäftigung über einen längeren Zeitraum hinweg auf See stattfindet, führen dazu, dass in diesem Sektor tätige Wanderarbeiter besonders gefährdet sind.

3.10.

Zur Lösung dieses Problems und in Übereinstimmung mit der Entschließung der IAO, die im Jahr 2017 im Rahmen des Dreiertreffens zu Themen im Zusammenhang mit Wanderarbeitern im Fischereisektor angenommen wurde (11), erachtet es der EWSA als erforderlich, allgemeine Grundsätze und praktische Leitlinien für faire Dienstleistungen im Hinblick auf den Arbeitsmarkt im Fischereisektor zu entwickeln. Dazu gehören: a) ausreichende und angemessene Informationen für die Eigner von Fischereifahrzeugen und in Bezug auf (grenzüberschreitende) Arbeitsmarktdienstleistungen; b) Musterverträge für (grenzüberschreitende) Arbeitsmarktdienstleistungen im Fischereisektor; c) ausreichende und angemessene Informationen für Fischer, die eine Beschäftigung an Bord von (ausländischen) Fischereifahrzeugen suchen, und d) Beschwerdeverfahren. Vor diesem Hintergrund wird der Ausschuss für den sozialen Dialog in der Seefischerei 2019/2020 Leitlinien für die Einstellung von Wanderarbeitern als Fischer zu angemessenen Beschäftigungsbedingungen ausarbeiten.

3.11.

Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zudem auf, das Übereinkommen Nr. 188 der IAO zu ratifizieren, anzuwenden und durchzusetzen. Ferner ruft er die Europäische Kommission dazu auf, Daten und Statistiken zur Situation der im Fischereisektor tätigen Wanderarbeiter in Europa zu erheben.

3.12.

Gemäß Artikel 22 der GFP-Grundverordnung bemühen sich die Mitgliedstaaten um ein stabiles und dauerhaftes Gleichgewicht zwischen der Fangkapazität ihrer Flotten und ihren Fangmöglichkeiten. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Fangkapazität ihrer Flotten zu keinem Zeitpunkt die mit Blick auf Tonnage (Raumgehalt in BRT) und kW (Maschinenleistung) festgelegten Kapazitätsobergrenzen übersteigt. Die europäischen Sozialpartner haben mittels einer kürzlich durchgeführten, von der EU kofinanzierten Studie (12) zu den sozialen Auswirkungen dieser Obergrenzen darauf hingewiesen, dass sich die Begrenzung der Tonnage negativ auf die Sicherheit, den Komfort der Fischer und die Fischqualität auswirkt, da Anstrengungen zur Verbesserung der Sicherheit, des Komforts und der Qualität auf den Schiffen dadurch untergraben werden, dass zusätzliche Kubikmeter beispielsweise auf Kosten des Frachtraum-, Maschinenraum- oder Kraftstofftankvolumens gehen.

3.13.

Aus den im vorstehenden Absatz genannten Gründen empfiehlt der EWSA der Europäischen Kommission, alternative Lösungen für die Messung der Fangkapazität zu finden und sich dabei an Norwegen oder Island zu orientieren, wo man die Schiffsbereiche für Ruhe, Komfort und Freizeitgestaltung aus der Berechnung auf der Grundlage bestimmter Faktoren wie der zugewiesenen Fangquote oder der Größe des Schiffes ausgeschlossen hat. In diesem Sinne müsste ergänzend eine Erhöhung der Schiffstonnage zugelassen werden, wenn das zusätzliche Volumen zur Verbesserung der Sicherheit und des Komforts der Besatzungen nötig ist.

3.14.

Der EWSA weist ferner darauf hin, dass sowohl das Übereinkommen Nr. 188 als auch die Richtlinie (EU) 2017/159 gesetzlich vorschreiben, dass neue (ab dem 15. November 2019 gebaute) Fischereifahrzeuge mehr Platz für die Unterbringung von Besatzungsmitgliedern an Bord bieten müssen. Auch aus einer kürzlich in Frankreich durchgeführten Studie geht hervor, dass sich die Arbeitszeiten verlängert und die Ruhezeiten verkürzt haben, was für die Fischer ein erhöhtes Gesundheitsrisiko sowie erhöhte Arbeitsrisiken zur Folge hat. Ähnliche Ergebnisse, die eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bestätigen, wurden auch von der Universität Wageningen in den Niederlanden und vom Technologiezentrum für die maritime Wertschöpfungskette und Nahrungsmittel, AZTI, in Spanien veröffentlicht.

3.15.

Der EWSA hebt hervor, dass die Anlandepflicht eine Erweiterung der Räumlichkeiten für die Lagerung von Beifängen erfordert, die nicht mehr ins Meer zurückgeworfen werden dürfen, und aufgrund des fehlenden Lagerraums für die Zielarten zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch sowie zu Zusatzkosten für die Entladung, das Sortieren von Hand, das Wiegen und die Verarbeitung führt (13). Er weist zudem darauf hin, dass dies die Sicherheit an Bord und die Stabilität des Schiffes gefährdet, da hierdurch die Stapelung der Kisten im Laderaum sowohl im Hinblick auf die Anzahl als auch auf die Höhe zunimmt, was wiederum die Gefahr birgt, dass hängende Lasten herunterfallen.

3.16.

Hinzu kommt, dass untermaßige Fische nicht für den unmittelbaren menschlichen Verzehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Dies führt zu großen Mengen an Fischabfällen, insbesondere in den südlichen Mitgliedstaaten der EU, die keine Fischmehlfabriken haben, sowie zu Einkommensverlusten der Fischer, die für diese Fänge einen unangemessen niedrigen Preis erhalten.

3.17.

Hier wird die Rechtskollision zwischen Artikel 15 der GFP zur Anlandepflicht und dem Übereinkommen Nr. 188, insbesondere im Hinblick auf die Vorschriften in Bezug auf die Ruhezeiten (Artikel 14), deutlich. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, eine Folgenabschätzung einzuleiten und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, um die rechtlichen Inkohärenzen zwischen den unterschiedlichen von der EU angenommenen Rechtsinstrumenten zu beseitigen, unter denen die Fischer leiden.

3.18.

Das Durchschnittsalter der europäischen Flotte beträgt 23 Jahre, jedoch mit Ausnahmefällen wie Spanien, wo es immer noch mehr als 2 500 Schiffe gibt, die über 40 Jahre alt sind. Die meisten dieser Schiffe sind klein und dienen der handwerklichen Fischerei. Mit dem Ziel der Gewährleistung der Sicherheit und besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord erachtet der EWSA es für notwendig, einen Plan für die Erneuerung und Modernisierung der Flotte auszuarbeiten. Dieser Plan könnte durch die Entwicklung von Finanzinstrumenten und mit der Unterstützung der Europäischen Investitionsbank (EIB) realisiert werden, um so den Fischereiunternehmen den Zugang zu Finanzierungen zu erleichtern. Andererseits wäre es wünschenswert, wenn im Rahmen des zukünftigen Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) Beihilfen zur Erneuerung und Modernisierung der Flotte berücksichtigt würden, ohne dass dabei die Fangkapazität erhöht wird.

3.19.

Abschließend nimmt der EWSA auf die Handelspolitik der Europäischen Union Bezug. Derzeit stammen über 60 % des Fisches, der auf dem Gemeinschaftsmarkt verzehrt wird, aus Drittländern. Viele dieser Importe von Fischereierzeugnissen unterliegen Handelsabkommen, in deren Rahmen insbesondere Entwicklungsländern Zollpräferenzen gewährt werden (Allgemeines Präferenzsystem, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen usw.). In einigen Fällen werden diese Präferenzen mit Drittländern ausgehandelt, die die Standards für soziale und ökologische Nachhaltigkeit, die den europäischen Erzeugern durch die EU-Bestimmungen auferlegt werden, nicht erfüllen (14). Dies führt zu einem unlauteren Wettbewerb und Wettbewerbsnachteilen für die europäischen Unternehmen. Die Anstrengungen der EU zur nachhaltigen und sozial verantwortlichen Bereitstellung von Meereserzeugnissen sind daher mit der Einfuhr von Erzeugnissen aus bestimmten Ländern, in denen Nachhaltigkeit und Sozialverantwortung keine oder nur eine geringe Rolle spielen, nicht vereinbar.

3.20.

Die EU muss ihre Handelspolitik nutzen, um durchzusetzen, dass für europäische und nicht-europäische Marktteilnehmer die gleichen Vorschriften im Hinblick auf die ökologische und soziale Nachhaltigkeit gelten, und darf auf dem Binnenmarkt nur Produkte zulassen, die diesen Vorschriften entsprechen. Anderenfalls würde die EU der internationalen Gemeinschaft das falsche Signal senden, dass sie diejenigen belohnt, die sich weniger für die Nachhaltigkeit der Fischbestände und eine faire Behandlung der Menschen einsetzen.

3.21.

Der EWSA empfiehlt, die Kohärenz zwischen der Fischerei- und Handelspolitik zu verbessern. Folglich darf Ländern, die mit illegaler Fischerei (IUUF) und schwerem Missbrauch von Arbeitskräften in Verbindung gebracht werden, kein präferenzieller Zugang zum Gemeinschaftsmarkt gewährt werden — das Gegenteil sollte der Fall sein. Ebenso sollten die autonomen Zollkontingente nicht für Erzeugnisse aus Ländern gelten, die sich an der illegalen Fischerei (IUUF) beteiligen (beispielsweise Thailand, das von der Europäischen Kommission mit einer gelben Karte verwarnt wurde). Der EWSA schlägt vor, diese Instrumente nur dann einzusetzen, wenn eine ausreichende Belieferung unserer Märkte mit europäischen Erzeugnissen nicht möglich ist, und nicht, um nicht nachhaltige Erzeugnisse zu noch geringeren Preisen zu importieren. Dieses Zollinstrument bewirkt zudem, dass die Preise der Erzeuger aus der EU noch stärker unter Druck geraten.

3.22.

Menschen mit einer unzureichenden Zufuhr an Omega 3 und anderen Nährstoffen Zugang zu Fisch zu angemessenen Preisen zu verschaffen, sollte als eine sozialpolitische Maßnahme angesehen werden, die sich auch unmittelbar auf die Kosten des Gesundheitswesens auswirkt. In vielen EU-Staaten besteht in der Esskultur bei Fischereierzeugnissen noch Verbesserungsbedarf auf dem Weg zu einer abwechslungsreichen und gesunden Ernährung.

Brüssel, den 25. September 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Stellungnahme des EWSA „Für eine nachhaltige Zukunft Europas auf die Menschen hören (Sibiu und darüber hinaus)“ (ABl. C 228 vom 5.7.2019, S. 37).

(2)  Stellungnahme des EWSA „Fischereiaufsicht“ (ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 118).

(3)  Stellungnahme des EWSA „Europäischer Meeres- und Fischereifonds“, ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 104.

(4)  ABl. L 25 vom 31.1.2017, S. 12.

(5)  http://www.emsa.europa.eu/emsa-documents/latest/item/3156-annual-overview-of-marine-casualties-and-incidents-2017.html.

(6)  https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-research-reports/2018-annual-economic-report-eu-fishing-fleet-stecf-18-07.

(7)  https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-research-reports/2018-annual-economic-report-eu-fishing-fleet-stecf-18-07.

(8)  http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2018/617484/IPOL_STU(2018)617484_EN.pdf.

(9)  Die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen enthält zwar zwingende Anforderungen für die Binnenfischerei, doch für die Meeresfischerei wurden noch keine Anforderungen festgelegt.

(10)  Stellungnahme des EWSA „Mehrjahresplan für Grundfischbestände in der Nordsee“(ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 109).

(11)  https://www.ilo.org/sector/activities/sectoral-meetings/WCMS_552794/lang–en/index.htm.

(12)  http://www.chil.me/download-file/4bd3f613-0ecc-455b-a6ec-60262363eb24/analysis-on-gross-tonnage-and-propulsion-power-ceilings.

(13)  Stellungnahme des EWSA „Anlandeverpflichtung“ (ABl. C 311 vom 12.9.2014, S. 68)

(14)  Stellungnahme des EWSA „Fischereiaufsicht“ (ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 118).