16.7.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 240/29


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 im Hinblick auf die Stärkung der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden bei der Betrugsbekämpfung“

(COM(2018) 813 final — 2018/0413 (CNS))

(2019/C 240/07)

Berichterstatter: Krister ANDERSSON

Befassung

Rat der Europäischen Union, 20.12.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 113 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

13.12.2018

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

12.4.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

15.5.2019

Plenartagung Nr.

543

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

212/2/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA unterstützt das Ziel der Kommission, auf der Grundlage klarer Rechtsvorschriften eine vertiefte operative Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden im Bereich des Mehrwertsteuerbetrugs im elektronischen Handel zu etablieren.

1.2.

Aus diesem Grund empfiehlt der EWSA, die Antworten der Behörden auf die ausgefeilten Formen des Mehrwertsteuerbetrugs permanent zu verbessern, und zwar sowohl im Hinblick auf die Durchsetzung der Vorschriften — durch Einsatz geeigneter Technologien wie beispielsweise der künstlichen Intelligenz — als auch hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten nationalen Behörden. Diese Behörden sollten Synergieeffekte nutzen, um eine umfassende und wirksame europäische Antwort auf den Mehrwertsteuerbetrug zu gewährleisten.

1.3.

Gleichzeitig weist der EWSA darauf hin, dass der Vorschlag für die Verbraucher zur Folge hat, dass zusätzliche personenbezogene Daten im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer ausgetauscht und verarbeitet werden. Diese Vorgänge fallen unter die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Der EWSA betont, dass es nur wenige Ausnahmeregelungen und Einschränkungen der Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung geben darf, die sich zudem auf das ausschließliche und genau festgelegte Ziel der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs beschränken müssen. Spezifische Ausnahmen von den allgemeinen und zwingenden Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre müssen von den Strafverfolgungsbehörden sehr eng und sorgfältig ausgelegt werden.

1.4.

In diesem Zusammenhang ist Folgendes besonders zu beachten: a) Der Zweck der Datenverarbeitung darf ausschließlich die Bekämpfung illegaler Praktiken sein. b) Zugriff auf die erhobenen, gespeicherten und ausgetauschten Daten sollten nur Eurofisc-Beamte unter bestimmten Bedingungen und für bekannte und begrenzte Zwecke im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs haben. c) Die Daten können anschließend genutzt werden, um potenzielle Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten.

1.5.

Alle oben genannten Aspekte werden im Vorschlag der Kommission formell berücksichtigt, was zu begrüßen ist. Allerdings fordert der EWSA von der Kommission die Garantie, dass bei der künftigen praktischen Anwendung des Systems im Tagesgeschäft alle in dem Vorschlag verankerten Grundrechtegarantien uneingeschränkt und wirksam umgesetzt werden und somit ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der konsequenten Durchsetzung der Mehrwertsteuervorschriften und der notwendigen Wahrung der Rechte des Einzelnen und der Grundfreiheiten gewährleistet wird.

2.   Inhalt und allgemeiner Hintergrund des Vorschlags der Kommission

2.1.

Der Vorschlag der Kommission zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates enthält Vorschriften dazu, wie die Mitgliedstaaten die von den Zahlungsdienstleistern gemäß Artikel 243b der MwSt.-Richtlinie elektronisch bereitgestellten Aufzeichnungen auf einheitliche Weise erfassen sollen.

2.2.

Der Online-Handel verzeichnet in den letzten Jahren ein spektakuläres Wachstum. Die Verbraucher können nun mit ihrem Computer oder Smartphone ganz einfach zwischen Tausenden von Anbietern, Produkten oder Marken wählen. Diese Möglichkeiten werden jedoch auch von betrügerischen Unternehmen ausgenutzt, um ihre Mehrwertsteuerpflichten zu umgehen.

2.3.

Der Ausfall an Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten für die grenzüberschreitende Lieferung von Waren wurde auf rund 5 Mrd. EUR pro Jahr veranschlagt, wobei neuere Schätzungen von einem noch viel höheren Betrag im Bereich zwischen 7 und 10 Mrd. EUR ausgehen. Daher sollten die Behörden entschlossen vorgehen und sich dabei auf eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den für die Steuerbeitreibung zuständigen Behörden in und außerhalb der EU stützen.

2.4.

Konkret wird mit dem Vorschlag ein neues zentrales elektronisches System für die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Zahlungsinformationen und die weitere Verarbeitung dieser Informationen durch Betrugsbekämpfungsstellen in den Mitgliedstaaten im Rahmen von Eurofisc (dem Netzwerk für den multilateralen Austausch von Frühwarninformationen zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs) geschaffen.

2.5.

Nach einer sorgfältigen und umfassenden Folgenabschätzung erachtet die Kommission ein zentrales europäisches System für die Erhebung und den Austausch von Zahlungsdaten („CESOP“) als den effektivsten Weg, um Steuerbehörden einen vollständigen Überblick zu bieten, die Einhaltung der Mehrwertsteuervorschriften im elektronischen Geschäftsverkehr zu kontrollieren und Mehrwertsteuerbetrug zu bekämpfen. Das System ermöglicht es den Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene gespeicherte Zahlungsinformationen auszutauschen, um so wirksam gegen den Mehrwertsteuerbetrug im elektronischen Geschäftsverkehr vorzugehen.

2.6.

Das CESOP wird in der Lage sein: i) für jeden Zahlungsempfänger alle von den Mitgliedstaaten übermittelten mehrwertsteuerrelevanten Zahlungsinformationen zu aggregieren; ii) einen vollständigen Überblick über die von den Zahlern in der EU an die Zahlungsempfänger geleisteten Zahlungen zu generieren; iii) Mehrfachaufzeichnungen desselben Zahlungsvorgangs zu erkennen; iv) die von den Mitgliedstaaten erhaltenen Informationen zu bereinigen; v) es den Eurofisc-Verbindungsbeamten zu ermöglichen, die Zahlungsdaten mit den ausgetauschten Mehrwertsteuerdaten abzugleichen; vi) die Informationen nur so lange zu speichern, wie die Steuerbehörden für die Mehrwertsteuerkontrollen benötigen.

2.7.

Die Informationen werden für zwei Jahre im CESOP gespeichert, und die Eurofisc-Verbindungsbeamten werden in der Lage sein festzustellen, ob die von einem bestimmten Zahlungsempfänger in einem bestimmten Zeitraum aus allen Mitgliedstaaten erhaltenen Zahlungen 10 000 EUR übersteigen. Nur die Eurofisc-Verbindungsbeamten aus den Mitgliedstaaten könnten auf das System zugreifen, das einzig für Ermittlungen in Verdachtsfällen oder erwiesenen Fällen von Mehrwertsteuerbetrug dient.

2.8.

Die Kommission wird dem Europäischen Parlament und dem Rat alle fünf Jahre über das Funktionieren des neuen Instruments für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden Bericht erstatten.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1.

Der EWSA unterstützt das Ziel der Kommission, auf der Grundlage klarer Rechtsvorschriften eine vertiefte operative Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden im Bereich des MwSt.-Betrugs im elektronischen Handel zu etablieren. Durch die Förderung der gegenseitigen Amtshilfe zwischen den Steuerbehörden werden mehr Finanzmittel sowohl für die nationalen Haushalte als auch für den EU-Haushalt zur Verfügung stehen. Zudem werden gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen geschaffen, die das Steuerrecht einhalten.

3.2.

Die zunehmende Nutzung von Kommunikationstechnologien durch die Marktteilnehmer erfordert eine ständige Aktualisierung der Rechtsvorschriften zur Betrugsbekämpfung, um den verschiedenen Arten der Umgehung von Steuervorschriften und Mehrwertsteuerpflichten Rechnung zu tragen. Aus diesem Grund müssen die Antworten der Behörden auf die ausgefeilten Formen des Mehrwertsteuerbetrugs permanent verbessert werden, und zwar sowohl im Hinblick auf die Durchsetzung der Vorschriften (durch Einsatz geeigneter Technologien) als auch hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten nationalen Behörden. Diese Behörden sollten mit Unterstützung der Kommission zusammenarbeiten, um ein umfassende und wirksame europäische Antwort auf Mehrwertsteuerbetrug im Einklang mit dem in den Verträgen festgelegten Subsidiaritätsprinzip zu gewährleisten.

3.3.

Nach Ansicht des EWSA könnten Investitionen in künstliche Intelligenz zur Aufdeckung von Mehrwertsteuerbetrug sinnvoll sein, um das sich noch im Aufbau befindliche neue System voll funktionsfähig zu machen. Beim Einsatz neuer Technologien und von KI zur Unterstützung der Durchsetzungsbehörden müssen allerdings die Grundrechte des Einzelnen und die einschlägigen EU-Vorschriften wie die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GV) (1) in vollem Umfang gewahrt bzw. eingehalten werden.

3.4.

Angesichts der grenzüberschreitenden Natur des Betrugs und der (durch die Technologie begünstigten) zunehmenden Leichtigkeit, mit der illegale Praktiken schnell entwickelt werden können (z. B. der Leichtigkeit, mit der aus MwSt.-Betrug gewonnenes Kapital verschoben werden kann), ist es erforderlich, dass die Behörden nicht nur in der EU, sondern weltweit enger zusammenarbeiten. Maßnahmen zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs können nur dann erfolgreich sein, wenn die Steuerverwaltungen der Länder im gegenseitigen Vertrauen enger zusammenarbeiten, was den Austausch einschlägiger Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben erfordert.

3.5.

Daher empfiehlt die OECD, die internationale Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Mehrwertsteuer und der Umsatzsteuer zu verstärken, um die Probleme bei der Erhebung der Mehrwertsteuer von gebietsfremden Lieferanten, insbesondere beim B2C-Handel, zu lösen, wie die Kommission in ihrer Folgenabschätzung zu Recht feststellt.

3.6.

Ein Schritt in diese Richtung ist das Abkommen zwischen der EU und Norwegen über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Mehrwertsteuer (Juni 2018), das auch spezifische Instrumente für die Beitreibung von Mehrwertsteuerforderungen umfasst. Der EWSA hofft, dass die EU die internationale Zusammenarbeit bei der Betrugsbekämpfung weiter fördern wird, um den Aktivitäten, die über die Grenzen von Staaten und Kontinenten hinausreichen und dem EU-Haushalt sowie den nationalen Haushalten schaden, wirksame und koordinierte Antworten entgegenzusetzen.

3.7.

Der EWSA betont, dass der Vorschlag für die Verbraucher zur Folge hat, dass zusätzliche personenbezogene Daten im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer auf Behördenebene ausgetauscht und verarbeitet werden, wobei diese Vorgänge unter die kürzlich angenommene Datenschutz-Grundverordnung (DS-GV) fallen, die unlängst mit erheblichen Befolgungskosten für die Unternehmen in der EU europaweit umgesetzt wurde.

3.8.

In der Datenschutz-Grundverordnung werden personenbezogene Daten sehr weit gefasst definiert als alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person, die direkt oder indirekt identifiziert werden kann. Folglich fallen die im Kommissionsvorschlag erfassten Zahlungsinformationen in diesen Anwendungsbereich, und entsprechend gelten die Grundsätze für den Schutz personenbezogener Daten, wie sie in der Charta der Grundrechte niedergelegt sind.

3.9.

Nach Aussage der Kommission sind „Steuern ein wichtiges Ziel des allgemeinen öffentliches Interesses der Union und der Mitgliedstaaten, was im Zusammenhang mit möglichen Beschränkungen der Pflichten und Rechte gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) und mit dem Datenschutz gemäß der Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates (3) anerkannt wurde. Beschränkungen in Bezug auf Datenschutzrechte sind aufgrund der Art und des Umfangs der Informationen, die von Zahlungsdienstleistern stammen, notwendig und sollten auf der Grundlage der spezifischen und vordefinierten Bedingungen gemäß Artikel 243b bis 243d der Richtlinie 2006/112/EG definiert werden.“ (4)

3.10.

Der EWSA betont nachdrücklich, dass es nur wenige Ausnahmeregelungen und Einschränkungen der Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung geben darf, die sich zudem auf das ausschließliche und genau festgelegte Ziel der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs beschränken müssen. Spezifische Ausnahmen von den allgemeinen und zwingenden Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre müssen von den Strafverfolgungsbehörden sehr eng und sorgfältig ausgelegt werden. In diesem Zusammenhang ist Folgendes besonders zu beachten: a) Der Zweck der Datenverarbeitung darf ausschließlich die Bekämpfung illegaler Praktiken sein. b) Zugriff auf die erhobenen, gespeicherten und ausgetauschten Daten sollten nur Eurofisc-Beamte unter bestimmten Bedingungen und für bekannte und begrenzte Zwecke im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs haben. c) Die Daten können anschließend genutzt werden, um potenzielle Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten.

3.11.

Alle oben genannten Aspekte werden im Vorschlag der Kommission formell berücksichtigt, was zu begrüßen ist. Allerdings fordert der EWSA von der Kommission die Garantie, dass bei der künftigen praktischen Anwendung des System im Tagesgeschäft alle in dem Vorschlag verankerten Grundrechtegarantien uneingeschränkt und wirksam umgesetzt werden und somit ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der konsequenten Durchsetzung der Mehrwertsteuervorschriften und der notwendigen Wahrung der Rechte des Einzelnen und der Grundfreiheiten gewährleistet wird.

3.12.

In Bezug auf Letzteres fordert der EWSA, dass die zuständigen nationalen Behörden sorgfältig überwachen und überprüfen, ob die Vorschriften zur Einschränkung der Verwendung von Daten und Informationen im Sinne dieses Vorschlags sowie die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung in der Praxis vollständig eingehalten werden. Der EWSA fordert die Kommission auf, bei der Sammlung von Rückmeldungen der Mitgliedstaaten, die bis Ende 2024 abgeschlossen sein soll, in Zusammenarbeit mit den für den Schutz personenbezogener Daten zuständigen nationalen Behörden und dem Europäischen Datenschutzbeauftragten sorgfältig zu prüfen, ob die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung vollständig eingehalten wurden, und dem Europäischen Parlament und dem Rat gemäß Artikel 59 der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 über das Funktionieren des neuen Instruments für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden Bericht zu erstatten. Sollten Verzerrungen oder Fehlverhalten festgestellt werden, so müssen diese selbstverständlich unverzüglich abgestellt und korrigiert werden.

3.13.

In Bezug auf den Schutz europäischer Unternehmen, die im Bereich des elektronischen Handels tätig sind, sollte das neue System nach Ansicht des EWSA in der Lage sein, Geschäftsgeheimnisse sowohl in der vorläufigen Phase der Überwachung der Datenerhebung als auch bei der Analyse und insbesondere bei der anschließenden (hypothetischen) Strafverfolgung wirksam zu schützen und zu gewährleisten. In dieser Hinsicht könnten die Erfahrungen, die die Europäische Kommission beim Schutz des geistigen Eigentums und der Betriebsgeheimnisse in wettbewerbsrechtlichen Fällen gemacht hat, als Vergleichsmaßstab nützlich sein.

Brüssel, den 15. Mai 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32016R0679

(2)  Datenschutz-Grundverordnung: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32016R0679&from=DE

(3)  https://eur-lex.europa.eu/legal-content/dE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32018R1725&from=dE

(4)  Mehrwertsteuerrichtlinie: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/dE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32006L0112&from=dE