9.3.2020 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 76/206 |
P8_TA(2018)0227
Libyen
Empfehlung des Europäischen Parlaments vom 30. Mai 2018 an den Rat, die Kommission und die Vizepräsidentin der Kommission und Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zu Libyen (2018/2017(INI))
(2020/C 76/25)
Das Europäische Parlament,
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unter Hinweis auf die Resolution 2259 (2015) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und die daran anschließenden Resolutionen, |
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unter Hinweis auf das politische Abkommen mit Libyen, |
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unter Hinweis auf den Bericht des Generalsekretärs vom 22. August 2017 über die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen, |
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unter Hinweis auf die Resolution 1973 (2011) und alle folgenden Resolutionen, einschließlich der Resolution 2380 (2017), des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, |
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unter Hinweis auf den Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen gemäß Resolution 2312 (2016) des Sicherheitsrates, |
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unter Hinweis auf die Erklärung des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 14. November 2017 zu dem Leiden der Migranten in Libyen, das als abscheulicher Frevel auf dem Gewissen der Menschheit lastet, |
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unter Hinweis auf den Bericht des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom April 2018 mit dem Titel „Abuse Behind Bars: Arbitrary and unlawful detention in Libya“ (Missbrauch hinter Gittern: Willkürliche und unrechtmäßige Inhaftierung in Libyen), |
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unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 18. September 2014 (1), vom 15. Januar 2015 (2) und vom 4. Februar 2016 (3) zur Lage in Libyen, |
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unter Hinweis auf die Erklärung der Ko-Präsidenten der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU vom 20. Dezember 2017 zur Lage der Migranten in Libyen, |
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unter Hinweis auf die Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, |
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unter Hinweis auf den Gesamtansatz der EU für Migration und Mobilität, |
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unter Hinweis auf die gemeinsame Mitteilung der Kommission und der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik vom 25. Januar 2017 mit dem Titel „Migration über die zentrale Mittelmeerroute – Ströme steuern, Leben retten“ (JOIN(2017)0004), |
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unter Hinweis auf die Erklärung von Malta vom 3. Februar 2017, |
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unter Hinweis auf die gemeinsame Strategie Afrika–EU und den dazugehörigen Aktionsplan, |
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unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung zur Lage der Migranten in Libyen, die auf dem Gipfeltreffen Afrikanische Union – Europäische Union 2017 vereinbart wurde, und die Einrichtung einer trilateralen hochrangigen AU-EU-VN Taskforce, |
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unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 17. Juli 2017 zu Libyen, |
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unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 19. Oktober 2017, |
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gestützt auf Artikel 113 seiner Geschäftsordnung, |
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unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (A8-0159/2018), |
A. |
in der Erwägung, dass die Lage in Libyen höchst fragil ist und das Land mit einer Reihe komplexer und miteinander verwobener Herausforderungen im Hinblick auf die politische Stabilität, die wirtschaftliche Entwicklung und Sicherheit konfrontiert ist; |
B. |
in der Erwägung, dass die Krise in Libyen weitreichende Folgen für die Bevölkerung Libyens und auch für die gesamte angrenzende Region und die EU hat und es daher sehr wichtig und im Interesse der libyschen Bevölkerung sowie der Nachbarländer wie auch der Region südlich der Sahara und des Mittelmeerraums ist, die politische Stabilität Libyens sicherzustellen, da diese von grundlegender Bedeutung ist, um die wirtschaftliche und soziale Situation des Landes zu verbessern; |
C. |
in der Erwägung, dass die Stabilität im Süden Libyens angesichts der fragilen Lage in seinen Nachbarländern und der Gefahr dschihadistischer Aufstände, die eine Bedrohung für die geschwächten Regierungen in der Sahel- und Sahara-Region darstellen, ein besonderes Anliegen ist; |
D. |
in der Erwägung, dass die EU ihre diplomatischen Bemühungen und ihren großen finanziellen Beitrag zur Konsolidierung der Sicherheit und der sozioökonomischen Lage in Libyen offensiver kommunizieren sollte; |
E. |
in der Erwägung, dass der Konflikt in Libyen nur mithilfe eines einheitlichen, umfassenden und integrativen Ansatzes gelöst werden kann, in den alle internationalen Akteure und Interessenträger einbezogen werden, darunter auch Vertreter der verschiedenen lokalen Gemeinschaften, Stammesoberhäupter und Aktivisten der Zivilgesellschaft, und indem die Eigenverantwortlichkeit Libyens für den Friedensprozess und seine Einbeziehung in die diplomatischen Bemühungen sichergestellt werden; |
F. |
in der Erwägung, dass das Libysche Politische Abkommen und der Aktionsplan der Vereinten Nationen für Libyen gegenwärtig den einzigen praktikablen Rahmen für eine Lösung der Krise darstellen; |
G. |
in der Erwägung, dass die EU durch ihre diplomatische Bemühungen und ihre konkreten Hilfeleistungen Libyen auf seinem politischen Weg zu einem stabilen, funktionsfähigen Land begleitet und die Vermittlungsbemühungen der VN in dieser Hinsicht unterstützt; |
H. |
in der Erwägung, dass es von größter Wichtigkeit ist, dass alle Mitgliedstaaten mit einer Stimme sprechen und dabei die Vermittlungsbemühungen der EU stärken und mit Nachdruck auf die zentrale Bedeutung der Vereinten Nationen und des Aktionsplans der Vereinten Nationen verweisen; in der Erwägung, dass eigene Initiativen einzelner Mitgliedstaaten in jedem Fall nur dann zu begrüßen sind, wenn sie sich innerhalb des europäischen Rahmens bewegen und uneingeschränkt im Einklang mit der EU-Außenpolitik stehen; |
I. |
in der Erwägung, dass die Maßnahmen der EU im Bereich der Migration insoweit erfolgreich waren, als die Zahl der Migranten Ende 2017 gegenüber 2016 um ein Drittel zurückgegangen ist und die Zahlen für die ersten Monate des Jahres 2018 um 50 % unter den entsprechenden Vorjahreszahlen liegen; |
J. |
in der Erwägung, dass Libyen ein bedeutendes Transitland und Ausgangspunkt für Migranten, insbesondere aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara, ist, die versuchen, nach Europa zu gelangen; in der Erwägung, dass Tausende Migranten und Flüchtlinge auf der Flucht vor der Gewalt in Libyen bei dem Versuch, Europa über das Mittelmeer zu erreichen, ums Leben kamen; |
K. |
in der Erwägung, dass die Migranten mit am meisten unter den Sicherheitsproblemen in Libyen leiden, da sie oft Gewalt, willkürlicher Inhaftierung durch nichtstaatliche Akteure, Erpressung und Entführung zum Zweck der Lösegelderpressung oder Ausbeutung ausgesetzt sind; |
L. |
in der Erwägung, dass viele Migranten, insbesondere aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara, von unterschiedlichen bewaffneten Gruppen in dem Land willkürlich festgehalten werden; |
M. |
in der Erwägung, dass die Rückführung durch Niger nach Libyen von 132 Sudanesen, die vom UNHCR Unterstützung erhielten, Anlass zu größter Sorge gibt; |
N. |
in der Erwägung, dass das Problem der Binnenvertriebenen weiterhin besteht; in der Erwägung, dass diese Menschen oftmals kritischen Bedrohungen ausgesetzt sind, wie die Durchquerung von Konfliktgebieten, Landminen und Blindgänger und die Gewalt der verschiedenen Milizen; |
O. |
in der Erwägung, dass Libyen zum Transitland für den Menschenhandel geworden ist; in der Erwägung, dass Libyen weiterhin hunderttausende Migranten und Asylsuchende aus verschiedenen Ländern aufnimmt, von denen viele unter erbärmlichen Bedingungen leben und somit für Schleuser eine Beute darstellen; in der Erwägung, dass es Hinweise darauf gibt, dass in Libyen Sklaverei betrieben wird; |
P. |
in der Erwägung, dass der Alltag der einfachen Menschen in Libyen von immer schwierigeren Lebensumständen geprägt ist, die durch eine Liquiditätskrise, Wasserunterbrechungen und häufige Stromausfälle weiter erschwert werden, und dass sich das Gesundheitssystem des Landes außerdem in einem allgemein katastrophalen Zustand befindet; |
Q. |
in der Erwägung, dass das politische Klima in Libyen von einem tiefen Misstrauen zwischen den politischen und militärischen Hauptakteuren aus den unterschiedlichen Regionen geprägt ist; |
R. |
in der Erwägung, dass die international anerkannte Regierung der nationalen Einheit zu ihrer eigenen Sicherheit immer stärker auf verschiedene Milizen zurückgreifen muss; in der Erwägung, dass diese Milizen inzwischen enormen Einfluss auf die staatlichen Institutionen in Tripolis erlangt haben und dadurch die laufenden Bemühungen der Vereinten Nationen gefährden, in dem Land einen zuverlässigen politischen Rahmen zu schaffen; |
S. |
in der Erwägung, dass Länder wie die Türkei, Katar, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) einen erheblichen Einfluss auf die verschiedenen Konfliktparteien haben; |
T. |
in der Erwägung, dass die subnationalen Identitäten der verschiedenen libyschen Gemeinschaften, Stämme oder ethnischen Gruppen seit jeher das tief verwurzelte soziokulturelle Gefüge Libyens bilden und eine grundlegende Rolle in den gesellschaftlichen und politischen Dynamiken sowie in Bezug auf die Sicherheitsfragen des Landes spielen; in der Erwägung, dass die libysche Gesellschaft über starke Traditionen der informellen Beilegung von Konflikten zwischen Städten, Stämmen und ethnischen Gemeinschaften verfügt; |
U. |
in der Erwägung, dass in dem Land derzeit ein klarer und allgemein geltender Rechtsrahmen für das Wahlsystem fehlt; in der Erwägung, dass bislang keine Verfassung verabschiedet wurde, wodurch dem Land der Rechtsrahmen fehlt, der notwendig wäre, um Neuwahlen abzuhalten; in der Erwägung, dass das aktuell vorherrschende Klima der Straflosigkeit, der weit verbreiteten Gesetzlosigkeit und der Korruption sowie die Rolle der bewaffneten Gruppen und die Spannungen zwischen den Stämmen und Regionen Libyens mit dazu beitragen, das ohnehin schon geringe Vertrauen in die öffentlichen Einrichtungen und staatlichen Stellen weiter zu untergraben; |
V. |
in der Erwägung, dass außergerichtliche Hinrichtungen, Folter, willkürliche Inhaftierung und unterschiedslose Angriffe auf Wohngebiete und die Infrastruktur in Libyen kontinuierlich zunehmen sowie Hassreden und Anstiftungen zu Gewalt eine steigende Tendenz aufweisen; |
W. |
in der Erwägung, dass die salafistische Extremistengruppe der Madchalisten sowohl im Osten als auch im Westen Libyens zunehmend an Stärke und Bedeutung gewinnt; in der Erwägung, dass sich die Madchalisten gegen Wahlen wehren und bestrebt sind, den Status quo aufrechtzuerhalten, dass sie jede Form der Demokratie ablehnen und schwer bewaffnet sind und daher ein konkretes Risiko in Bezug auf weiteren Extremismus und weitere Gewalt in dem Land darstellen; |
X. |
in der Erwägung, dass der Zusammenbruch des Strafrechtssystems die Zahl der nicht geahndeten Straftaten im Land steigen lässt und dadurch der Schutz der Opfer und ihr Zugang zu Gerichten geschwächt wird; in der Erwägung, dass in einigen Regionen selbst dann, wenn Straftaten bei der Polizei angezeigt wurden, wenig unternommen wird, um unverzügliche, gründliche, wirksame, unparteiische und unabhängige Ermittlungen einzuleiten und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen; in der Erwägung, dass in Libyen seit 2011 kein Straftäter, der einer bewaffneten Gruppierung angehört, rechtskräftig verurteilt wurde; |
Y. |
in der Erwägung, dass sich die Spirale der Gewalt in Libyen durch eine übergreifende Straflosigkeit bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen immer weiter fortsetzt; in der Erwägung, dass die fehlende Rechtsstaatlichkeit, solange sie nicht angemessen angegangen wird, das Versprechen auf friedliche Koexistenz und die Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus für die Bevölkerung zu einer leeren Formel macht; |
Z. |
in der Erwägung, dass Dutzende von politischen und Menschenrechtsaktivisten, Medienvertretern und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens entführt oder bedroht wurden; in der Erwägung, dass den Vereinten Nationen Berichte über willkürliche Festnahmen und Folter sowie Misshandlungen durch beide Seiten zugegangen sind; |
AA. |
in der Erwägung, dass die Eskalation der Angriffe auf Angehörige des Justizwesens, lokale Organisationen der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsverteidiger und Medienschaffende – sowie auch auf Flüchtlinge und Migranten – die Menschenrechtssituation der gesamten Zivilbevölkerung im libyschen Staatsgebiet in einem rasanten Tempo verschlechtert hat; in der Erwägung, dass die fehlende Rechtsstaatlichkeit und Straflosigkeit bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Folter, willkürlicher Inhaftierung, außergerichtlicher Hinrichtungen und unterschiedsloser Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur die Spirale der Gewalt in dem Land weiter anheizen; |
AB. |
in der Erwägung, dass die Durchlässigkeit der libyschen Grenzen den illegalen grenzüberschreitenden Handel begünstigt; in der Erwägung, dass die Ausbreitung bewaffneter Gruppen in den Grenzgebieten die Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Banden um die Kontrolle über die Ressourcen jenseits der Grenzen und den Zugriff darauf weiter verschärft haben; in der Erwägung, dass die sogenannten „ausländischen Kämpfer“, die in das Land kommen, und die verschiedenen kriminellen Netzwerke weiterhin von der unkontrollierten Verbreitung von Waffen profitieren; |
AC. |
in der Erwägung, dass die politische Unsicherheit und Instabilität Libyen zu einem Nährboden für die Aktivitäten extremistischer Gruppen gemacht haben; in der Erwägung, dass die Region Fessan strukturell instabil und seit jeher Durchgangsgebiet nach Europa für Flüchtlinge und Migranten sowie für den Schmuggel von Erdöl, Gold, Waffen und Drogen und für den Menschenhandel ist; in der Erwägung, dass diese Region von ethnischen Spannungen und Stammesfehden, die sich nach dem Sturz Gaddafis verstärkt haben, sowie vom Ringen um die Kontrolle über die Ressourcen des Landes geprägt ist; in der Erwägung, dass die Stabilisierung des Fessan für die Stabilisierung des ganzen Landes von entscheidender Bedeutung ist; |
AD. |
in Erwägung der Bedeutung der lokalen libyschen Behörden für die Konfliktprävention und die Bereitstellung der grundlegenden öffentlichen Versorgungsleistungen für die Bevölkerung; |
AE. |
in der Erwägung, dass die Stadt Darna seit dem 7. Mai 2018 Ziel von an Stärke gewinnenden Boden-, Luft- und Artillerieangriffen war; in der Erwägung, dass dabei zahlreiche Zivilisten getötet wurden, der Zugang zu Hilfe und medizinischer Versorgung stark eingeschränkt wurde und die humanitäre Lage dramatisch ist; |
AF. |
in der Erwägung, dass eine offizielle Delegation des Europäischen Parlaments vom 20. bis 23. Mai 2018 eine Reise nach Libyen unternommen hat; |
1. |
empfiehlt dem Rat, der Kommission und der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik,
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2. |
beauftragt seinen Präsidenten, diese Empfehlung dem Rat, der Kommission und der Vizepräsidentin der Kommission / Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik sowie – zur Information – der libyschen Regierung der nationalen Einheit zu übermitteln. |
(1) ABl. C 234 vom 28.6.2016, S. 30.