EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 16.4.2018
COM(2018) 189 final
BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
über die Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 913/2010 gemäß deren Artikel 23
{SWD(2018) 101 final}
EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 16.4.2018
COM(2018) 189 final
BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
über die Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 913/2010 gemäß deren Artikel 23
{SWD(2018) 101 final}
BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
über die Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 913/2010 gemäß deren Artikel 23
Die Verordnung (EU) Nr. 913/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zur Schaffung eines europäischen Schienennetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr 1 (im Folgenden die „Verordnung“) trat im November 2010 in Kraft.
Die Verabschiedung der Verordnung ist vor dem Hintergrund der langfristigen Strategie der Europäischen Union zu sehen, durch Senkung der Treibhausgasemissionen und die Abkehr von fossilen Brennstoffen (Dekarbonisierung) einen nachhaltigen Verkehr zu fördern. So kommt dem Schienenverkehr im Verkehrsmodell der Zukunft eine zentrale Bedeutung zu. Mit der Ministererklärung 2 und der sektoralen Erklärung 3 von Rotterdam aus dem Jahr 2016 erhielt diese Entwicklung weitere Impulse.
In der Verordnung sind Vorschriften für die Einrichtung und Organisation grenzübergreifender Güterverkehrskorridore (Rail Freight Corridors – RFC) festgelegt, die dazu beitragen sollen, ein europäisches Schienennetz für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr zu schaffen. Die Verordnung fördert die Zusammenarbeit zwischen den zentralen Akteuren des Schienengüterverkehrs (darunter vor allem die für den Schienenverkehr zuständigen Behörden der Mitgliedstaten und die Infrastrukturbetreiber, aber auch Eisenbahnunternehmen und Bahnhofsbetreiber). Insbesondere soll sie die Koordination in den Bereichen Kapazitätsangebot, Verkehrsmanagement sowie Infrastrukturarbeiten und Investitionsplanung verbessern.
Die in der Verordnung vorgesehenen neun ersten RFC (von denen sechs im November 2013 und die letzten drei im November 2015 eingerichtet wurden) sind inzwischen vollständig einsatzfähig. Ein zusätzlicher Schienengüterverkehrskorridor wird derzeit aufgebaut, und ein weiterer wurde von den beteiligten Mitgliedstaaten und Serbien vorgeschlagen.
Nach Artikel 23 der Verordnung muss die Kommission die Anwendung der Verordnung regelmäßig überprüfen und dem Europäischen Parlament und dem Rat erstmals bis zum 10. November 2015 und danach alle drei Jahre einen Bericht übermitteln. Die Kommission legt dem Parlament und dem Rat hiermit ihren ersten Bericht vor. Die Vorlage erfolgt mit einer gewissen Verspätung, da die Kommission die Rückmeldungen der RFC, die erst Ende 2015 eingerichtet wurden, vollständig berücksichtigen wollte und 2016 eine breite Konsultation der Interessenträger (Aufforderung zur Einreichung von Positionspapieren und offene Konsultation) zu den Schienengüterverkehrskorridoren einleitete. Diese Konsultation stieß auf großes Interesse und hatte eine hohe Rücklaufquote mit wichtigen Rückmeldungen zur Anwendung der Verordnung, von denen einige in den vorliegenden Bericht eingingen.
Der vorliegende Bericht enthält die wichtigsten Schlussfolgerungen zur bisherigen Anwendung der Verordnung. Er soll sowohl die wesentlichen positiven Auswirkungen der Verordnung als auch wichtige Herausforderungen und Probleme aufzeigen. Eine detailliertere Analyse der Umsetzung der Schienengüterverkehrskorridore findet sich in der diesem Bericht beigefügten Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen. Beide beruhen daneben zum einen auf direkten Rückmeldungen, die die Kommissionsdienststellen insbesondere bei den RFC-Sitzungen erhielten, zum anderen aber auch auf den verschiedenen Unterlagen und Berichten der RFC sowie auf den Gesprächen, die bei den halbjährlichen Sitzungen der für die RFC zuständigen Arbeitsgruppe des Ausschusses für den einheitlichen europäischen Eisenbahnraum geführt wurden.
Die Umsetzung der RFC hat insgesamt zu einer stärkeren grenzübergreifenden Zusammenarbeit beigetragen, die insbesondere im Bereich des Infrastrukturmanagements vor dem Inkrafttreten der Verordnung noch unzureichend war. Die Verabschiedung der Verordnung war ein ambitionierter Schritt zur Behebung von Schwachstellen bei der grenzübergreifenden Koordinierung. Indirekte Auswirkungen der in der Verordnung vorgesehenen Kooperationsmechanismen wurden ebenfalls festgestellt, wie etwa die Erleichterung betrieblicher Kontakte auf internationaler Ebene, auch bei Fragen außerhalb des Schienengüterverkehrs, oder die Schaffung von Anreizen für die Entwicklung von Koordinationsverfahren und IT-Tools, z. B. im Rahmen von RailNetEurope 4 . Dabei handelt es sich um wichtige Erfolge.
In einigen Bereichen sind jedoch gemischte oder mäßige Ergebnisse festzustellen, darunter etwa die RFC-eigenen Kapazitäten oder die Koordination von Bauarbeiten oder des Verkehrsmanagements. In diesen zentralen Bereichen bedarf es weiterer Fortschritte, um die Qualität und Zuverlässigkeit grenzübergreifender Schienengüterverkehrsdienste zu verbessern und somit die Voraussetzungen für einen wettbewerbsfähigeren Schienengüterverkehr und letztlich die Verkehrsverlagerung auf die Schiene zu schaffen.
In der Praxis verkehren Züge oft nicht nur auf einem einzigen RFC, sondern auch zwischen den einzelnen Korridoren. Daher wurden auf mehreren Ebenen (Mitgliedstaaten, Infrastrukturbetreiber, Eisenbahnunternehmen) innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens Initiativen zur Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Korridoren eingeleitet. Dies zeigt die Tendenz zur Stärkung eines netzbasierten Ansatzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr.
Wenngleich die von den RFC angebotenen Dienste und Kapazitätsprodukte dem Sinn und Zweck der Verordnung entsprechen, deuten Rückmeldungen bzw. eine geringe Marktakzeptanz darauf hin, dass sie sich nicht ausreichend an den Erfordernissen der Schienengüterverkehrskunden orientieren. Darüber hinaus behindern national ausgerichtete Vorschriften und Prozesse einen effizienten und nahtlosen grenzüberschreitenden Güterverkehr oft noch immer.
Viele sektorale Initiativen haben die richtige Zielsetzung, und zahlreiche interessante proaktive Ansätze werden derzeit getestet, darunter Pilotkapazitätsprodukte für den Ad-hoc-Verkehr oder eine stärkere Einbeziehung der Endkunden im Rahmen von Strategiesitzungen. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Dynamik, die mit der gemeinsam mit der Kommission erarbeiteten Ministererklärung von Rotterdam und der während der TEN-V-Tage 2016 unterstützten sektoralen Erklärung von Rotterdam erzeugt wurde.
In bestimmten Fragen wie der Koordination von Bauarbeiten und dem grenzübergreifenden Kapazitätsmanagement bedarf es sicherlich noch weiterer Erfahrungen. Die Verfahren und Instrumente in diesen Bereichen werden derzeit noch entwickelt oder geplant. So befinden sich die RFC noch in einem Anfangsstadium, in dem Erfahrungen durch „Learning by doing“ sowie Versuch und Irrtum gewonnen werden.
Darüber hinaus ist es wichtig, regionale Unterschiede etwa hinsichtlich der Markerwartungen oder der verfügbaren Infrastrukturkapazität zu berücksichtigen. Verallgemeinerungen oder Patentlösungen für eine ambitionierte Umsetzung der RFC sind deshalb nicht möglich. Zudem sind viele Auswirkungen immateriell und daher schwer zu quantifizieren (wie etwa der Wechsel von einem national ausgerichteten zu einem stärker europäisch ausgerichteten Konzept oder eine verbesserte Kommunikation).
Insgesamt ist bei den Beteiligten die Tendenz festzustellen, die Bestimmungen der Verordnung nur im formal erforderlichen Umfang umzusetzen und sich auf ihren engsten Anwendungsbereich zu beschränken. So lassen sich die einzelnen Bestimmungen der Verordnungen auf unterschiedliche – mehr oder weniger ambitionierte – Weise anwenden, was auch die Erreichung der Gesamtziele der Verordnung beeinflusst. Gleichzeitig haben Erweiterungen der RFC sowie die Einrichtung zweier weiterer RFC jedoch gezeigt, dass die Umsetzung der RFC auf starkes Interesse stößt und große Unterstützung erfährt.
Die Verordnung sieht eine spezifische Leitungsstruktur vor und bietet den Beteiligten die Möglichkeit, über den vorgesehenen Mindestumfang der Aufgaben und Zuständigkeiten dieser Leitungsstruktur hinauszugehen. In der Praxis ist ein RFC eine integrierte Betriebsstruktur, die für unterschiedliche, oft einander ergänzende Zwecke genutzt werden kann. Als „Marktinstrument“ kann ein RFC hochwertige, wettbewerbsfähige Dienste für direkte Kunden und Endkunden bieten. Als „Strategie-/Kooperationsinstrument“ besteht seine Rolle darin, die Betriebsbedingungen entlang des Korridors zu verbessern, etwa durch Koordination/Harmonisierung der nationalen Verfahren in vielen Bereichen, aber auch durch Behebung zahlreicher unterschiedlicher Probleme, die den Schienengüterverkehr behindern und z. B. auf grenzübergreifende Fragen und Interoperabilitätsprobleme zurückgehen. Die einzelnen RFC nutzen die verschiedenen Ansätze in unterschiedlichem Maß.
Die RFC basieren auf zwischenstaatlicher und sektoraler Zusammenarbeit. Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass ihr Erfolg in erster Linie davon abhängt, wie ambitioniert die Behörden der Mitgliedstaaten (Exekutivräte) und die Infrastrukturbetreiber (Verwaltungsräte), insbesondere auf hoher Ebene, vorgehen. Zudem betrachteten einige RFC die Bestimmungen der Verordnung als Mindestanforderungen, über die sie hinausgehen mussten, um dem Ziel der Verordnung – einem wettbewerbsfähigeren Schienengüterverkehr – wirklich näherzukommen.
Insgesamt zieht die Kommission zum jetzigen Zeitpunkt die Schlussfolgerung, dass die RFC etwa bei der Einrichtung von Kooperationsmechanismen einige wichtige Erfolge erzielt haben und ein enormes Potenzial aufweisen. Das vollständige Potenzial lässt sich jedoch nur dann erschließen, wenn alle Beteiligten mit einem hohen Einsatz das klare Ziel verfolgen, Änderungen herbeizuführen, etwa durch Änderungen der Denkweise und national ausgerichteter Verfahren.
Festzuhalten ist auch, dass die RFC zwar weiterhin ein zentraler Bestandteil der Strategie der Kommission zur Förderung des Schienengüterverkehrs darstellen, alleine aber nicht alle Probleme des Schienengüterverkehrs lösen können. Die Arbeit der Schienengüterverkehrskorridore ergänzt insbesondere die langjährige Strategie der Kommission zur Förderung der Interoperabilität und Marktöffnung, darunter vor allem die Umsetzung der technischen Säule und der Marktsäule des vierten Eisenbahnpakets, die Infrastrukturentwicklung im Rahmen von TEN-V und der Fazilität „Connecting Europe“, Innovation und Digitalisierung im Zuge der Shift2Rail-Initiative sowie die Arbeiten in damit verbundenen Politikfeldern zum Ausgleich der Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit unterschiedlicher Verkehrsträger.
Nicht zuletzt wird die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs auch durch exogene Faktoren wie die wirtschaftliche Lage insgesamt, industrielle Muster, den Zustand der Infrastruktur und die entsprechenden Investitionen, den Grad eines fairen Wettbewerbs zwischen den einzelnen Verkehrsträgern und die Höhe der gesteckten Ziele im Rahmen nationaler Schienengüterverkehrsstrategien beeinflusst.
Insgesamt gingen somit von der Anwendung der Verordnung wichtige Impulse für die weitere Entwicklung des grenzübergreifenden Schienengüterverkehrs aus. Die Wirksamkeit des RFC-Konzepts hängt weitgehend vom Einsatz der Beteiligten für eine wirksame Umsetzung ab und bedarf dazu auch der Unterstützung auf hoher Ebene. Die Situation des Schienengüterverkehrs in Europa ist noch immer prekär. Im Jahr 2019 wird die Kommission daher eine formale Bewertung der Verordnung vornehmen, bei der sie auch die jüngsten Entwicklungen und laufenden sektoralen Initiativen zur Umsetzung der sektoralen Erklärung von Rotterdam in vollem Umfang berücksichtigen wird.