Brüssel, den 9.4.2018

COM(2018) 172 final

BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

über die Auswirkungen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU auf den Konjunkturzyklus

{SWD(2018) 89 final}


BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

über die Auswirkungen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU auf den Konjunkturzyklus

1.    Einleitung

1.Die Kommission ist nach Artikel 502 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates 1 verpflichtet, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob die in der genannten Verordnung und in der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates 2 festgelegten risikoempfindlichen regulatorischen Anforderungen eine ungewollte prozyklische Wirkung haben, indem sie die inhärente Beziehung zwischen Finanzsystem und Realwirtschaft verstärken und dadurch den realen Konjunkturzyklus potenzieren.

2.Werden solche prozyklischen Auswirkungen festgestellt, muss die Kommission einen Vorschlag für geeignete Korrekturmaßnahmen vorlegen. Im vorliegenden Bericht soll untersucht werden, ob es Belege dafür gibt, dass die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU zu etwaigen prozyklischen Auswirkungen von Eigenmittelanforderungen beitragen.

3.Die Kommission hat bereits 2010 und 2012 ähnliche Berichte über die Prozyklizität von Eigenmittelanforderungen erstellt. 3 Der vorliegende dritte Bericht ist der erste, der im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 erfolgt. Er stützt sich auf einen einschlägigen Bericht der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA), der Beiträge des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Behörden der EU-Mitgliedstaaten enthält. 4 Der Bericht basiert ferner auf einer umfassenderen Auswertung der Fachliteratur.

4.Zwischen Gesetzgebern und Wissenschaftlern besteht ein breiter Konsens darüber, dass das Finanzsystem naturgemäß instabil und mit Risiken behaftet ist, die bei ihrem Eintreten für die Realwirtschaft schwerwiegende Folgen haben können. Erfahrungen aus der Vergangenheit bestätigen dies. Die globale Finanzkrise, die vor zehn Jahren ausbrach, führte dies erneut deutlich vor Augen. Vorschriften für den Finanzsektor und makroprudenzielle Maßnahmen sollen dieser finanziellen Instabilität entgegenwirken und das Systemrisiko begrenzen. Unter Berücksichtigung der aus der Krise gezogenen Lehren gilt im Allgemeinen, dass eine hinreichend hohe Eigenkapitalausstattung, insbesondere bei Banken, die Wahrscheinlichkeit systembedingter Finanzkrisen verringert und ihre Kosten im Falle eines Ausbruchs reduziert.

5.Eigenmittelanforderungen, die eine ausreichende Kapitalausstattung gewährleisten sollen, könnten jedoch selbst zu einer Quelle der Instabilität werden, da der in der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU eingebettete risikobasierte Ansatz impliziert, dass die Eigenmittelanforderungen bei einem Konjunkturaufschwung gelockert und bei einem Konjunkturabschwung verschärft werden. Diese prozyklische Wirkung von Eigenmittelanforderungen birgt die Gefahr eines erheblichen externen Effekts des Finanzsystems, welcher die Finanzstabilität gefährden kann, weswegen sich die Gesetzgeber damit beschäftigen.

6.Im Bericht wird untersucht, ob Eigenmittelanforderungen prozyklisch wirken, und wenn ja, ob sie die Höhe des Kapitals, das die Banken tatsächlich halten oder halten wollen, beeinflussen.

2.    Methodik

7.Die Frage der Prozyklizität von Eigenmittelanforderungen ist in erster Linie eine empirische Frage. Auch wenn es Belege für kurzfristige negative Auswirkungen gibt, so ergeben die jüngsten Auswertungen der Fachliteratur nur begrenzte und nicht ganz eindeutige Beweise für die langfristigen Auswirkungen, die Änderungen an den Eigenmittelanforderungen auf den Umfang oder die Zunahme der Bankkreditvergabe haben. Um der Fragestellung weiter auf den Grund zu gehen, werden im Bericht der EBA die Belege für eine prozyklische Wirkung der jüngsten Rechtsakte zu den Eigenmittelanforderungen an Banken auf Unionsebene geprüft. Der EBA-Bericht stützt sich dabei auf Informationen aus öffentlichen Quellen sowie auf einschlägige Daten, die von den zuständigen nationalen Behörden erhoben wurden. Die untersuchten empirischen Daten umfassen aggregierte Daten und Mikrodaten zu der Frage, ob die Eigenmittelanforderungen der Bank die Entwicklung der Gesamtkonjunktur widerspiegeln, sowie Regressionsanalysen.

8.Die von der EBA verwendeten Daten beziehen sich hauptsächlich auf den Zeitraum 2008-2015, der die Dauer der weltweiten Finanzkrise und ihrer Nachwirkungen abdeckt. Zusätzlich zu den aggregierten Statistiken und Erhebungsdaten stützt sich die EBA auf eine Stichprobe von 144 Banken, die in 13 Ländern der EU und des EWR tätig sind und auf die rund 95 % der Gesamtaktiva des EU-Bankensektors entfallen. Die Stichprobe umfasst Banken mit unterschiedlichen Betriebsgrößen: von international tätigen systemrelevanten Banken bis hin zu solchen, die nur im Inland tätig sind. Ferner umfasst sie Banken mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen, darunter Privatkundenbanken und Geschäftsbanken, Universalbanken sowie eine Reihe von Banken mit spezielleren Tätigkeiten, z. B. die Emission gedeckter Schuldverschreibungen oder Investmentbanking.

3.    Wesentliche Erkenntnisse

9.Die Eigenkapitalquoten des EU-Bankensektors haben sich seit der erstmaligen Einführung risikoempfindlicher Eigenmittelanforderungen signifikant erhöht. Mit der Anwendung der in der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU festgelegten Eigenmittelanforderungen hat sich dieser Anstieg seit 2014 noch beschleunigt. Die signifikante Kapitalerhöhung wurde in erster Linie durch verschärfte Anforderungen an das harte Kernkapital der Banken und nicht durch die Zyklizität der auf dem internen Rating basierenden Risikoparameter, insbesondere der Ausfallwahrscheinlichkeit und der Verlustquote bei Ausfall, vorangetrieben. Im Stichprobenzeitraum, in dem die meisten Mitgliedstaaten einen schweren Konjunkturabschwung verzeichneten, blieben diese Risikoparameter relativ stabil. Dies lässt sich durch eine aktive Umschichtung der Portfolios seitens der Banken erklären. Insgesamt haben sich die Eigenkapitalquoten schneller erhöht als es die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestquoten erfordert hätten, was ein Zeichen dafür sein könnte, dass Banken in unsicheren Zeiten über zusätzlichen Handlungsspielraum in ihren Kapitalpuffern verfügen möchten.

10.Während sich die gesetzlich vorgeschriebenen und die insgesamt vorhandenen Kapitalpuffer erhöht haben, sind die Gesamtbestände der risikogewichteten Aktiva der europäischen Banken seit 2008 rückläufig, auch wenn seit 2014 wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen ist. Diese Entwicklung war auch bei den Kreditportfolios erkennbar. So ging insbesondere die Zahl der Kredite von Banken des Euro-Währungsgebiets an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften infolge der weltweiten Finanzkrise zurück, da die schwache Gesamtnachfrage auch die Kreditnachfrage gedrosselt hat. Eine gewisse Erholung war erst gegen Ende des Stichprobenzeitraums erkennbar. Die risikogewichteten Aktiva sind stärker zurückgegangen als die für die Verschuldungsquote definierten Risikopositionen, was auf eine Umschichtung der Bankenportfolios hindeutet. Die Entwicklung der risikogewichteten Positionen hing weitgehend mit den Tendenzen beim Kreditrisiko – der wichtigsten Unterkategorie – zusammen.

11.Diverse alternative Regressionsspezifikationen bestätigen, dass die zu beobachtenden zyklischen Schwankungen bei der Eigenkapitalausstattung von Banken nicht auf Änderungen der Risikoparameter, sondern vielmehr auf Änderungen bei den Risikopositionen, insbesondere der Forderungshöhe bei Ausfall, zurückzuführen waren. Zwar gibt es eine gewisse prozyklische Wirkung der Makroökonomie auf die Bankvariablen, insbesondere auf das erforderliche Mindestkapital, doch besteht in dieser Hinsicht kein deutlicher Unterschied zwischen risikobasierten und standardisierten Ansätzen. Diese Ergebnisse werden durch eine Analyse auf Portfolio-Ebene und durch Erhebungen über die Bankkreditvergabe weitgehend bekräftigt.

12.Es scheint, als ob seit 2008 bei der Gestaltung des Bankkreditangebots weniger die geänderten Eigenmittelanforderungen, sondern vielmehr krisenbedingte Auswirkungen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Zwar gibt es gewisse Belege für einen strukturellen Bruch in der Regulierung, der durch den mit der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU eingeleiteten Übergang zum Basel-III-Rahmen bedingt ist und die Interaktion zwischen Bankenkapital, Kreditgewährung und Realwirtschaft beeinflusst hat. Trotzdem ist es schwierig, die durch Niveauveränderungen ausgelösten Effekte von einer etwaigen länger andauernden prozyklischen Wirkung der mit der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU eingeführten regulatorischen Anforderungen zu unterscheiden.

13.Die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen sind mit der nötigen Vorsicht zu behandeln. Dies ist zum Teil auf den geringen Stichprobenumfang sowie auf das Fehlen einer detaillierten Datenaufschlüsselung zurückzuführen. Zudem liegt die Einführung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU im Vergleich zur üblichen Dauer eines Finanzzyklus noch nicht weit genug zurück. Der untersuchte Zeitraum war gekennzeichnet durch starke Schwankungen in der realwirtschaftlichen Aktivität, erhebliche krisenbedingte finanzielle Verluste, öffentliche Finanzspritzen und starke regulatorische Impulse zur Erhöhung der Kapitalpuffer, die mit dem Übergang zu den Basel-III-konformen Mindesteigenmittelanforderungen, der bis 2019 abgeschlossen sein soll, ihren Höhepunkt fanden.

14.Ausführlichere empirische Ergebnisse enthält die diesem Bericht beigefügte Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen. Alles in allem geht aus der verfügbaren Datenlage keine signifikante prozyklische Wirkung des in der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU festgelegten Rechtsrahmens hervor.

4.    Massnahmen gegen die Prozyklizität

15.Die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und die Richtlinie 2013/36/EU sehen eine Reihe von Maßnahmen vor, die darauf abzielen, die Prozyklizität bei der Bankkreditvergabe abzuschwächen, darunter eine Verschärfung der Eigenmittelanforderungen, antizyklische Puffer und Kapitalerhaltungspuffer, die Einführung einer Verschuldungsquote und die Verringerung der Abhängigkeit von Rating-Agenturen bei aufsichtsrechtlichen Anforderungen und Stresstests. Am 23. November 2016 nahm die Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Eigenkapitalvorschriften an, der eine Eingliederung der übrigen Elemente des im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht 5 vereinbarten regulatorischen Rahmens vorsah. Am 20. September 2017 legte die Kommission einen Vorschlag zur Überarbeitung des Finanzaufsichtssystems der Union mit einer Reihe gezielter Verbesserungen vor. Sie sprach sich für gezielte Anpassungen bei der Zusammensetzung und Organisation des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken und bei dessen Koordinierung mit den Organen und Einrichtungen der Union aus. 6 Im Folgenden werden einige der wichtigsten Maßnahmen zur Abschwächung der prozyklischen Auswirkungen zusammengefasst.

4.1    Anwendung der in der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und der Richtlinie 2013/36/EU festgelegten Eigenmittelanforderungen

16.Da die Verringerung des Kreditvolumens in international tätigen Banken als Reaktion auf die Aufsichtsanforderungen der nationalen Aufsichtsbehörden in anderen Rechtskreisen als dem des Herkunftsmitgliedstaats erfolgen könnte, dürfte die vollständige Umsetzung des einheitlichen Regelwerks zu einem Abbau von Regulierungsarbitrage führen. Eine solche vollständige Umsetzung könnte insbesondere die prozyklischen Effekte von Kapitalabschottungsmaßnahmen („Ring-fencing“) und eines asymmetrischen Kreditabbaus in den „Aufnahmeländern“ abschwächen, d. h. wenn international tätige Banken ihre Kreditvergabe in Ländern außerhalb ihres eigenen Rechtskreises übermäßig einschränken. Dies wird durch die verschiedenen Säulen der Bankenunion unterstützt, die gemeinsame Abwicklungs- und Einlagenversicherungsbestimmungen umfassen.

4.2    Kapitalerhaltungspuffer und antizyklischer Kapitalpuffer

17.Eine zentrale Regulierungsmaßnahme gegen die empfundene Prozyklizität der Bankkreditvergabe ist die Einführung eines Kapitalerhaltungspuffers und eines antizyklischen Kapitalpuffers. Diese zusätzlichen Puffer, die in wirtschaftlich guten Zeiten gebildet werden, können bei einem Konjunkturabschwung aufgelöst werden, damit Banken ihre Verluste geordnet, d. h. in einer Weise auffangen können, die keine kostspielige, potenziell rezessionsverschärfende Kreditverteuerung nach sich zieht. Sie dürften sowohl die zurzeit fehlende Reagibilität der Aufsichtsanforderungen auf die Akkumulierung von Risiken auf der Makro-Ebene als auch deren Zyklizität abschwächen. Da die einzelnen Märkte eine sehr unterschiedliche Dynamik aufweisen können, werden die Puffer auf nationaler Ebene bestimmt. Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken hat gemeinsame Leitlinien für die Festlegung der Quoten des antizyklischen Kapitalpuffers ausgearbeitet. 7

18.Da sich viele Mitgliedstaaten noch immer von dem Rezessionsschock der weltweiten Finanzkrise erholen, liegen die Quoten des antizyklischen Kapitalpuffers derzeit nur in einigen wenigen Ländern über 0 Prozent. Auch Kapitalerhaltungspuffer wurden gebildet, doch gibt es bis dato noch keine Erfahrungen mit der Auflösung solcher Puffer. Was die sektorbezogenen Finanzstabilitätsrisiken, etwa im Zusammenhang mit Immobilien, angeht, so wirkt sich der antizyklische Kapitalpuffer zudem auf alle Risikopositionen gegenüber Unternehmen und Risikopositionen aus dem Mengengeschäft aus und kann derzeit nicht auf branchenbezogene Risikopositionen ausgerichtet werden. In Basel und in der Union werden derzeit die Vorteile erörtert, die eine Einführung sektorspezifischer Puffer hätte, um dem zyklischen Charakter bestimmter spezifischer Risiken Rechnung zu tragen und gewisse Neigungen zur Untätigkeit, die mit dem breiten Anwendungsbereich des antizyklischen Kapitalpuffers zusammenhängen, zu vermeiden.

4.3    Risikogewichte für bestimmte Risikopositionen und sonstige Aufsichtsmaßnahmen

19.Die geltenden Vorschriften sehen spezifische makroprudenzielle Maßnahmen vor, um Risiken im Zusammenhang mit bestimmten Risikopositionen, z. B. Immobilien, zu begegnen. Dies kann in Form von Anforderungen an Risikogewichte geschehen. Insbesondere können die zuständigen Behörden nach Artikel 124 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 auf der Grundlage von Erwägungen in Bezug auf die Finanzmarktstabilität ein höheres Risikogewicht ansetzen oder strengere Kriterien für Risikopositionen anwenden, die durch Immobilien besichert sind. Ebenso räumt Artikel 164 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 den zuständigen Behörden die Möglichkeit ein, auf der Grundlage von Erwägungen in Bezug auf die Finanzmarktstabilität höhere Mindestwerte bei der risikopositionsgewichteten Verlustquote bei Ausfall für durch Immobilien im Hoheitsgebiet ihres Landes besicherte Risikopositionen anzusetzen. Nach Artikel 458 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 können die Behörden Risikogewichte zur Bekämpfung von Spekulationsblasen in der Wohnimmobilien- und Gewerbeimmobilienbranche anpassen oder Maßnahmen wie etwa die Anpassung der Höhe der Eigenmittel oder des Kapitalerhaltungspuffers ergreifen, was sich auf das Eigenkapital der Banken auswirkt.

20.Der EU-Rechtsrahmen umfasst darüber hinaus Maßnahmen, die die Auswirkungen zyklischer Risiken auf die Banken abschwächen sollen. Dazu gehören die Bestimmungen in den Artikeln 181 und 182 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 zu den Risikoparametern für bestimmte Bonitätsstufen oder -pools, wonach die Banken Schätzungen verwenden müssen, die für einen Konjunkturabschwung angemessen sind, wenn sie konservativer sind als der langfristige Durchschnitt. Den Banken wird empfohlen, interne Ratingmodelle zu verwenden, damit bei der Berechnung der Eigenmittelanforderungen für das Kreditrisiko ein konjunkturunabhängiger Ansatz („Through-the-cycle“) gewählt wird. Auch können die Aufsichtsbehörden konjunkturelle Risiken für institutsspezifische Eigenmittelanforderungen nach der Säule 2 berücksichtigen.

21.Darüber hinaus wirken sich andere rechtliche Anforderungen, z. B. die Standards für das Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch (IRRBB) oder der Rechnungslegungsstandard IFRS 9, auf das vorgeschriebene Eigenkapital aus. Neben dem Prozess der aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung der EU können auch die Abwicklungsvorschriften und Anforderungen an die Verlustabsorptionsfähigkeit, wie die Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (MREL) und die Schwellenwerte für die Gesamtverlustabsorptionsfähigkeit (TLAC) von global systemrelevanten Banken Auswirkungen auf die Eigenmittelanforderungen haben.

4.4    Verschuldungsquote

22.Die Verschuldungsquote ist eine zusätzliche, nicht risikobasierte Eigenmittelanforderung, die die risikobasierten Eigenmittelanforderungen ergänzen soll. In der Union wird die Verschuldungsquote im Einklang mit den Anforderungen von Basel III umgesetzt, d. h. die Verschuldungsquote wird berechnet, indem das Kernkapital durch die durchschnittlichen konsolidierten Gesamtvermögenswerte der Bank (Summe der Risikopositionen aller Vermögenswerte und der außerbilanziellen Posten) geteilt wird, wobei von den Banken eine Verschuldungsquote von über 3 % erwartet wird. Dies würde zur Beschränkung einer exzessiven Kreditvergabe der Banken in einer Aufschwungphase beitragen, wenn Banken den Impuls haben, ihre Bilanzen ohne entsprechende Eigenkapitalerhöhung aufzublähen.

23.In der theoretischen wie auch der empirischen Literatur wird der Zusammenhang zwischen prozyklischer Verschuldung und finanzieller Instabilität hervorgehoben. Empirisch betrachtet hat sich die aggregierte Verschuldung des Bankensektors in fast allen Mitgliedstaaten prozyklisch verhalten und ist in Zeiten eines Kreditbooms tendenziell zurückgegangen und in Zeiten eines Konjunkturabschwungs tendenziell gestiegen. Eine feste Obergrenze für die Verschuldungsquote würde daher der Prozyklizität der Bankenverschuldung in einer Aufschwungphase entgegenwirken. Außerdem würde eine solche Obergrenze die prozyklische Wirkung risikogewichteter Eigenmittelanforderungen begrenzen. Auf diese Weise würde sichergestellt, dass sich das Kapital proportional zum Gesamtrisiko bewegt, während die aggregierten Risikogewichte und die risikogewichteten Eigenmittelanforderungen im Laufe der Zeit je nach Konjunkturphase schwanken können.

4.5    Bonitätseinstufungen

24.Bonitätseinstufungen, die von speziellen Ratingagenturen oder über interne Ratingmodelle ermittelt werden, spielen bei der Bestimmung der tatsächlichen Eigenkapitalhöhe von Banken ebenfalls eine wichtige Rolle. Externe Ratings sind eng mit dem Konjunkturzyklus korreliert, weshalb auch die an externe Ratings geknüpften Eigenmittelanforderungen zumindest in Bezug auf einzelne Risikopositionen einem klaren zyklischen Muster folgen. In der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 wird deshalb die Verwendung interner Ratings gefördert, und die Bestimmungen über die Verwendungsmöglichkeiten externer Ratings werden darin verschärft. Banken, die einen auf internen Ratings basierenden Ansatz verwenden, benötigen dafür unabhängige Risikobewertungskapazitäten, zudem werden sie dadurch zu einer besseren Steuerung ihres Kreditrisikos angeregt. Ein konjunkturunabhängiger Ansatz könnte dazu beitragen, die Auswirkungen auf die Eigenmittelanforderungen abzufedern.

4.6    Stresstests

25.Der Stresstest kann als weiteres, wenn auch indirektes Instrument betrachtet werden, mit dem sich ungerechtfertigte prozyklische Maßnahmen von Kreditinstituten zur Einhaltung der Eigenmittelanforderungen in finanziell angespannten Zeiten verhindern lassen. Gleich nach der Krise wurden zur Bewertung des Kapitalbedarfs einzelner Banken mikroprudenzielle Stresstests durchgeführt. Solche Stresstests sind hilfreich, um Angaben darüber zu liefern, wie Puffer festgelegt werden können, auch über die Mindestanforderungen hinaus. Dank des Prozesses der aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung der EU ist es möglich, die Ergebnisse von Stresstests für die Ausarbeitung von Aufsichtsmaßnahmen, u. a. Eigenmittelanforderungen, heranzuziehen.

5.    Schlussfolgerung

26.Zwar wird in der Fachliteratur eine durch die Eigenmittelanforderungen ausgelöste prozyklische Wirkung als potenzielle Gefahrenquelle anerkannt, doch sind die empirischen Belege für das tatsächliche Ausmaß dieser Prozyklizität für die Banken in der Union nicht eindeutig. Es gibt keinen Beleg dafür, dass der derzeitige Rechtsrahmen eine starke prozyklische Wirkung hat, die den nichtfinanziellen Sektor der Wirtschaft beeinträchtigen würde. Dieses Ergebnis könnte darauf zurückzuführen sein, dass die verfügbaren Daten keinen ganzen Konjunkturzyklus abdecken und keine genaueren Daten verfügbar sind, mit denen sich das Verhalten verschiedener Arten von Banken unterscheiden ließe. Ein weiterer Grund könnte sein, dass es schwierig ist, durch Portfolioumschichtungen ausgelöste Effekte zu kontrollieren, bei der Kreditvergabe angebotsseitige Effekte von nachfrageseitigen Effekten zu trennen und die Auswirkungen anderer Reformen, die nach der Krise durchgeführt wurden, von den Auswirkungen politischer Sondermaßnahmen zu unterscheiden.

27.Aufgrund der dürftigen Beweislage für das Vorliegen prozyklischer Effekte, die durch die Bestimmungen der Richtlinie 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 ausgelöst wurden, gibt es zu diesem Zeitpunkt keinen Anlass, wesentliche Änderungen am geltenden Regulierungsrahmen für die Eigenkapitalausstattung von Banken vorzuschlagen. Durch die in den letzten Jahren erzielten höheren Eigenkapitalquoten dürften die prozyklischen Auswirkungen eines eintretenden Verlusts künftig schwächer ausfallen. Der finanzielle Rechtsrahmen der Union umfasst bereits verschiedene Instrumente für den Umgang mit prozyklischen Auswirkungen. Dazu gehören der Kapitalerhaltungspuffer, der antizyklische Kapitalpuffer, die Verschuldungsquote, Anpassungen an den Risikogewichten für bestimmte Risikopositionen und andere Aufsichtsmaßnahmen.

28.Für die Zukunft gilt, dass die Auswirkungen der regulatorischen Eigenmittelanforderungen der Union auf den Konjunkturzyklus regelmäßig überwacht und die Wirksamkeit und Effizienz sowie die möglichen Auswirkungen antizyklischer Instrumente eingehender untersucht werden sollten. Es wird darauf ankommen, kontinuierlich Belege für etwaige prozyklische Verzerrungen, die sich aus verschärften Eigenmittelanforderungen ergeben, zu sammeln. Konkrete Vorschläge zur Änderung der derzeitigen Struktur sollten sich auf entsprechende Belege stützen.

(1)      Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1).
(2)      Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 338).
(3)      SEC(2010) 754, COM(2012) 400.
(4)      EBA-Bericht nach Artikel 502 der CRR vom 22. Dezember 2016 (EBA-Op-2016-24): https://www.eba.europa.eu/documents/10180/1701905/Report+on+the+Cyclicality+of+Capital+Requirements+%28EBA-Op-2016-24%29.pdf.
(5)       http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-16-3840_en.htm  
(6)       http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-17-3322_en.htm
(7)       Empfehlung (ESRB/2014/1) .