20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische

Investitionsbank — Ein sauberer Planet für alle — Eine Europäische strategische, langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft“

(COM(2018) 773 final)

(2019/C 282/09)

Berichterstatter: Pierre Jean COULON

Mitberichterstatter: Stefan BACK

Befassung

Europäische Kommission, 17.6.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppen

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Verabschiedung auf der Plenartagung

20.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

152/1/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA stimmt der Einschätzung zu, dass der kurz nach 2060 drohende Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 2o C, der über dem im Übereinkommen von Paris definierten Höchstwert liegen würde, schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Lebensbedingungen und die Wirtschaft in Europa haben wird. Der EWSA befürwortet deshalb nachdrücklich die Zielsetzung, die EU bis 2050 in sozial gerechter und wirksamer Weise auf eine klimaneutrale Wirtschaft umzustellen. Ein solcher Wandel ist möglich und von Vorteil für Europa.

1.2.

Umgehendes Klimahandeln ist deshalb unausweichlich. Der EWSA befürwortet die in der Mitteilung formulierten übergeordneten Prioritäten und appelliert an die Mitgliedstaaten, das Ziel zu unterstützen, die Wirtschaft der Europäischen Union bis 2050 klimaneutral zu machen. Er fordert die Unternehmen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und nationalen Wirtschafts- und Sozialräte auf, sich hinter dieses Ziel zu stellen.

1.3.

Der EWSA begrüßt, dass durch die Umsetzung zahlreicher bereits beschlossener Maßnahmen konkrete Verbesserungen zu erwarten stehen. So sollen bis 2030 Emissionssenkungen von 45 % erreicht werden (womit die 40 %-Zusage der EU im Rahmen des Übereinkommens von Paris überboten wird) und bis 2050 von 60 %.

1.4.

Dies reicht indes nicht aus, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Mit Blick auf die bis 2030 prognostizierten Ergebnisse der bereits festgelegten Maßnahmen hält der EWSA fest, dass bei neuen Maßnahmen auf Vorhersehbarkeit geachtet werden muss, um die Planung zu erleichtern und den Verfall von Vermögenswerten zu vermeiden. Er hebt die Bedeutung klarer und zeitnaher Signale für die Unternehmen, insbesondere KMU, hervor.

1.5.

Der EWSA erachtet es aus eben diesen Gründen als dringlich, schleunigst eine Strategie für den Zeitraum nach 2030 aufzustellen, um den Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft bis 2050 abzuschließen.

1.6.

Der EWSA betont, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft auf einem wettbewerbsfähigen, sozial gerechten und multilateralen Ansatz gründen muss. Über den Einsatz geeigneter Instrumente ist die umfassende Einbeziehung und Akzeptanz der Zivilgesellschaft — aller Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Organisationen — sicherzustellen. Dementsprechend müssen bei der Gestaltung und Umsetzung von Kohlenstoffpreissystemen die Auswirkungen auf die Unternehmen und Bürger bedacht werden.

1.7.

Der EWSA unterstreicht die Relevanz des lokalen und regionalen Handelns und der umfassenden Einbeziehung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften.

1.8.

Der EWSA weist auf den maßgebenden Beitrag der Kreislaufwirtschaft, der Bioökonomie, der Digitalisierung und der kollaborativen Wirtschaft zur Verbesserung der Ressourceneffizienz und zur Verringerung der Emissionen hin.

1.9.

Der EWSA schließt sich dem in der Mitteilung vertretenen Argument an, dass Mobilität für das Funktionieren des EU-Binnenmarkts unverzichtbar ist, und erachtet es als wesentlich, Lösungen zu finden, die den CO2-Fußabdruck des Mobilitätssystems einschließlich der Luftfahrt verringern und gleichzeitig der wichtigen Rolle der Mobilität für die EU-Wirtschaft und -Gesellschaft insgesamt wie auch für die Menschen und Unternehmen umfassend Rechnung tragen.

1.10.

Der EWSA teilt die Ansicht, dass Strom so weit wie möglich aus allen verfügbaren und neuen emissionsfreien Quellen erzeugt werden sollte. Stromverbund, Energiespeicherung und Laststeuerung tragen entscheidend zur Sicherung der Versorgung mit zunehmend aus erneuerbaren Energieträgern erzeugter Elektrizität bei.

1.11.

Eine frühzeitige Planung und Festlegung von Zielen ist eine wichtige Voraussetzung für die Gewährleistung von Planungssicherheit für Unternehmen, die Förderung von Forschung und Entwicklung und die Schaffung eines günstigen Umfelds, das es Europa bzw. der europäischen Industrie und der europäischen Wirtschaft im Allgemeinen ermöglicht, Vorreitervorteile zu nutzen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Der EWSA hält in diesem Zusammenhang die Beziehungen zu Drittländern für wichtig, um mehr Länder in eine proaktive Klimastrategie einzubinden, gleiche Ausgangsbedingungen für die europäische Industrie sicherzustellen und Normensetzung zu beeinflussen.

1.12.

Finanzierung ist der Schlüssel zur Umsetzung der geplanten Strategie. Der EWSA bekräftigt in diesem Sinn seine Empfehlungen hinsichtlich der Bereitstellung angemessener Haushaltsmittel für Forschung, Entwicklung und industrielle Nutzung.

1.13.

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass Finanzierung von grundlegender Bedeutung ist. Es geht dabei nicht nur um die Bereitstellung öffentlicher Mittel, weshalb es wichtig ist, Mechanismen zu fördern, die grüne Investitionen unterstützen.

1.14.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Wende hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft nicht ohne weitreichende Forschung und Innovation gelingen wird. Sie erfordert allerlei Arten von Innovation, auch in Bezug auf neue Verhaltensweisen, Geschäftsmodelle, soziale Normen, Prozesse, Techniken, Vermarktung und Technologien.

1.15.

Der EWSA hebt die wichtige Rolle der Bioenergie, der CO2-Abscheidung und -Speicherung und natürlicher CO2-Senken hervor, wie Wälder und viele Landbewirtschaftungsmethoden, die eine stärkere Bindung von CO2 im Boden ermöglichen, bspw. Grün- und Weideland, Torfflächen usw. Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und die Nutzung des Potenzials landwirtschaftlicher Flächen zur Bindung von CO2 sind Teil der Lösung.

1.16.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass Europa einen Anteil von 7 % an der Weltbevölkerung hat, 20 % des globalen BIP erwirtschaftet und für 30 % der hochkarätigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen weltweit verantwortlich zeichnet. Die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft kann nur im Rahmen einer weltweiten Klimaschutzanstrengung gelingen. Nach Meinung des EWSA kann die EU den denkbar konstruktivsten Beitrag dazu leisten, wenn sie dem Rest der Welt vor Augen führt, dass diese Umstellung machbar und zum Nutzen der Gesellschaft ist. Wenn 100 europäische Städte bis 2030 Klimaneutralität erreichen würden, könnte damit gezeigt werden, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft möglich ist und die Lebensqualität hierdurch verbessert werden kann.

1.17.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass Europa einen Sozialpakt für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft benötigt, der zwischen der EU, den Mitgliedstaaten, den Regionen, den Städten, den Sozialpartnern und der organisierten Zivilgesellschaft vereinbart werden muss, um sicherzustellen, dass niemand außen vor bleibt. Zu diesem Zweck sollten der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung angemessen konzipiert und finanziert werden. Die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft ist auch als Chance zu begreifen, die Energiearmut zu beseitigen und die Lebensqualität, die Beschäftigungslage wie auch die soziale Inklusion zu verbessern und für alle Europäer einen gleichberechtigten Zugang zu den grundlegenden Energiedienstleistungen zu gewährleisten.

1.18.

Der EWSA fordert das Europäische Parlament auf, einen unabhängigen EU-Ausschuss für Klimaschutz einzusetzen, der für wissenschaftlich fundierte Bewertungen und strategische Empfehlungen zuständig wäre. Er fordert diejenigen Mitgliedstaaten, in denen es noch keine vergleichbaren Gremien gibt, auf, auf nationaler Ebene solche Ausschüsse einzurichten, die den nationalen Parlamenten und den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten Bericht erstatten.

1.19.

Abschließend bekräftigt der EWSA die dringende Notwendigkeit, einen effizienten Dialog einzurichten, über den konstruktive Beiträge zur Gestaltung der bis 2020 aufzustellenden und vorzulegenden Strategie eingebracht und letztlich eine umfassende Akzeptanz und Unterstützung dieser Strategie erreicht werden können. Er schlägt deshalb vor, einen ständigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern einzurichten, der obligatorischer Bestandteil der Vorbereitung aller wichtigen politischen Entscheidungen und relevanten Rechtsetzungsinitiativen auf EU-, nationaler- und subnationaler Ebene sein sollte. Beiträge zum Dialog und ihre Berücksichtigung sollten öffentlich sichtbar sein. Um die öffentliche Wahrnehmung des Dialogs zu gewährleisten, sollte er der Zuständigkeit eines Kommissionsmitglieds unterstellt werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA sieht den Klimawandel als ernstliche gesellschaftliche Bedrohung an. Die globale Durchschnittstemperatur wird womöglich bis kurz nach 2060 um 2o C ansteigen — was deutlich über der im Übereinkommen von Paris festgelegten Begrenzung der Erderwärmung liegt —, und das wird sich sehr negativ auf die globale Wirtschaft und auf die Lebensbedingungen weltweit auswirken. Aus dem 2018 vorgelegten Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) (1) und der Mitteilung der Kommission „Ein sauberer Planet für alle“ (COM(2018) 773) (im Folgenden „Mitteilung“) wird deutlich, dass dringend gehandelt werden muss, um den Planeten und die Menschen in Europa vor dem Klimawandel zu schützen.

2.2.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft zwar mit Kosten verbunden ist, dass aber auch durch Nicht-Handeln Kosten entstehen. Der Mitteilung zufolge haben wetterbedingte Katastrophen im Jahr 2017 wirtschaftliche Kosten in einer Rekordhöhe von 283 Mrd. EUR verursacht, und Flusshochwasser in Europa könnten jedes Jahr Schäden in Höhe von 112 Mrd. EUR verursachen.

2.3.

Der EWSA befürwortet nachdrücklich die Zielsetzung, die EU bis 2050 durch einen sozial gerechten Übergang und auf kostenwirksame Weise auf eine klimaneutrale Wirtschaft (mit Netto-Treibhausgasemissionen von null) umzustellen. Aus der Mitteilung geht klar hervor, dass ein solcher Wandel möglich und von Vorteil ist. Auch steht er im Einklang mit den globalen Verpflichtungen der EU im Rahmen des Übereinkommens von Paris und der UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG).

2.4.

Der EWSA begrüßt, dass über das Paket „Saubere Energie für alle Europäer“ die EU-Energieziele bis 2030 für den Anteil erneuerbarer Energieträger (von 27 % auf 32 %) wie auch für Energieeffizienz (von 27 % auf 32,5 %) angehoben wurden. Der Mitteilung zufolge führt dies zu Emissionssenkungen von 45 % bis 2030 (womit die 40 %-Zusage der EU im Rahmen des Übereinkommens von Paris überboten wird) und von 60 % bis 2050. Damit kann jedoch nicht bis 2050 Klimaneutralität erreicht werden. Der EWSA stimmt deshalb zu, dass ein Zukunftsentwurf für einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel, wie in der Mitteilung dargelegt, zwingend notwendig ist.

2.5.

Der EWSA unterstreicht gleichzeitig die Bedeutung von Vorhersehbarkeit, da hierdurch die Planung erleichtert und der Verfall von Vermögenswerten vermieden werden kann. In diesem Sinn begrüßt der EWSA die Feststellung in der Mitteilung, dass derzeit keine neuen politischen Maßnahmen in die Wege geleitet und die Zielsetzungen für 2030 nicht geändert werden sollen. Er hebt die Bedeutung klarer und zeitnaher Signale für die Wirtschaft, insbesondere KMU, hervor.

2.6.

Der EWSA stimmt zu, dass Klimaneutralität strukturelle Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft erfordert, von denen alle Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Einrichtungen betroffen sein werden. Deshalb muss die Zivilgesellschaft umfassend eingebunden, mobilisiert und mit dem nötigen Handwerkszeug ausgerüstet werden, um auf die notwendigen Maßnahmen zur Verwirklichung von Klimaneutralität Einfluss nehmen zu können. Der EWSA bekräftigt ferner, dass die Abstimmung der langfristigen Planung auf die Anpassung an den Klimawandel entscheidend für die Sicherstellung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung ist.

2.7.

Der EWSA betont, dass die EU dringend mehr tun und wegweisend vorangehen sollte, um aus ihrem Vorsprung Gewinn zu ziehen.

2.8.

Der EWSA nimmt die Definition von sieben „strategischen Bausteinen“, die Bereiche mit Handlungsbedarf aufzeigen, und den abgesteckten Handlungsrahmen zur Kenntnis.

2.9.

Der EWSA befürwortet den Ansatz, insgesamt zwölf übergeordnete Prioritäten vorzugeben, die als Richtschnur für die Verwirklichung des Nullemissionsziels dienen sollten, und nimmt insbesondere zur Kenntnis, dass die Mitgliedstaaten, Unternehmen und Bürger die möglichen Wege wählen und an die nationalen Gegebenheiten anpassen können, um weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen in allen Wirtschaftszweigen zu erzielen.

2.10.

In diesem Zusammenhang unterstreicht der EWSA insbesondere die Bedeutung der Debatten auf nationaler und subnationaler Ebene sowie auf Ebene der Interessenträger und Bürger als Mittel zur demokratischen Mitgestaltung der verschiedenen Maßnahmen, die den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft sowie die dazugehörigen Verhaltensänderungen fördern. Solche Debatten werden auch dazu beitragen, unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten die Maßnahmen zu ermitteln, die von der Öffentlichkeit mitgetragen werden können, und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Bürgerinnen und Bürger fördern.

2.11.

Der EWSA bedauert, dass nicht klar ist, ob und inwieweit es den Mitgliedstaaten freisteht, die Durchführungsmaßnahmen an ihre jeweilige Situation anzupassen. Es wäre nützlich, wenn diese Frage in den geplanten Konsultationen geklärt würde. Die Umsetzung der Verordnung über das Governance-System der Energieunion ist hierfür ein Lackmustest.

2.12.

Der EWSA weist darauf hin, dass die meisten der in den übergeordneten Prioritäten genannten Aspekte bereits von der Kommission thematisiert wurden bzw. werden und er diese Initiativen unterstützt und Vorschläge unterbreitet hat, darunter die Einrichtung von Kontaktforen und die Hervorhebung der Bedeutung sozialer Aspekte und der Governance.

2.13.

Der EWSA unterstützt die dargelegten Prioritäten und betont, dass diese als Paket zu betrachten sind. Er unterstreicht insbesondere die Bedeutung der Finanzierung, der Rolle der Bürger, Prosumer und Verbraucher wie auch des sozialen Aspekts, da sichergestellt werden muss, dass niemand zurückgelassen wird. Die Bürger werden insbesondere dann zu einem positiven Engagement motiviert, wenn sie an den wirtschaftlichen Vorteilen der Energiewende teilhaben können. Dazu könnten beispielsweise Modelle der Eigentumsbeteiligung an dezentralen Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie — bspw. Solar- und Windenergie — aktiv gefördert werden. Es ist wichtig, die Akzeptanz jedweder Belastungen, wie sie bspw. in Verbindung mit Kohlenstoffpreissystemen entstehen, sicherzustellen.

2.14.

Der EWSA bekräftigt, wie wichtig es ist, Kontakte zwischen behördlichen und nichtstaatlichen Akteuren herzustellen und zu verbessern, und verweist auf seine Vorschläge für ein Bündnis aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft (2).

3.   Notwendigkeit einer echten, übergreifenden EU-Industriepolitik für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft, gestützt durch ambitionierte FuI, einen Sozialpakt und Demokratie

3.1.   Bemerkungen zu den zwölf Prioritäten

3.1.1.

Der EWSA ist sich der entscheidenden Bedeutung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energieträgern für ein klimaneutrales Europa bewusst, die keines Beweises mehr bedarf.

3.1.2.

Elektrizität weist in mehreren Bereichen ein beträchtliches Potenzial als Treiber der Dekarbonisierung auf, etwa bei der Wärme- und Kälteerzeugung (Wärmepumpen, Fernwärme und Fernkälte usw.), synthetischen Kraftstoffen (sog. E-Fuels) und der Elektromobilität. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass 55 % des in der EU erzeugten Stroms bereits aus emissionsneutralen Quellen stammt (25 % aus Kernkraft, 30 % aus Wind-, Wasser- und Solarkraft sowie weiteren erneuerbaren Energieträgern), und teilt die in der Mitteilung vertretene Ansicht, dass der erzeugte Strom so weit wie möglich aus sauberen, klimaneutralen, emissionsfreien Quellen stammen muss.

3.1.3.

Der EWSA setzt sich nachdrücklich für die Entwicklung der dezentralen Erzeugung erneuerbarer Energie, beispielsweise durch Energiegenossenschaften und Prosum, ein. (3) Die Entwicklung intelligenter und flexibler digitaler Systeme zur Steuerung der Nachfrage und des Angebots in einem dezentralisierten, auf erneuerbaren Energien basierenden Stromversorgungssystem mit großem Eigenerzeugungsanteil wird in Zukunft von großer Bedeutung sein. Auch Energiespeicher sind für den großflächigen Einsatz erneuerbarer Energieträger aufgrund der tages- und jahreszeitlichen Erzeugungsschwankungen von entscheidender Bedeutung.

3.1.4.

Der EWSA unterstützt die Entwicklung sauberer Mobilität im Wege alternativer Verkehrsmittel, auch im öffentlichen Verkehr, durch alternative Antriebssysteme für alle Verkehrsarten (u. a. Elektrifizierung, nachhaltiger Wasserstoff, nachhaltiges Gas und nachhaltige Biokraftstoffe, auch für schwere Nutzfahrzeuge, Schiffe und Luftfahrzeuge) sowie über Effizienzsteigerung durch Digitalisierung, Elektrifizierung und kollektive Mobilität. Dadurch wird ein verbessertes und effizienteres Verkehrssystem mit einem kleineren ökologischen Fußabdruck ermöglicht. Der EWSA spricht sich daher für ein neues verkehrspolitisches Weißbuch aus, das das derzeitige Weißbuch ablösen würde. Er verweist auf die begrenzten Emissionssenkungsziele für die nicht unter das EHS fallenden Sektoren, einschließlich des Verkehrs, auf die sich der Europäische Rat im Oktober 2014 (4) geeinigt hatte. Steuern und Abgaben wie auch die Internalisierung externer Kosten sollten als Anreiz für Effizienzverbesserungen dienen, für die Betroffenen annehmbar sein und nicht die Gesamtsteuerbelastung erhöhen.

3.1.5.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass eine wettbewerbsfähige Industrie in der EU und die Kreislaufwirtschaft für die Verringerung der Treibhausgasemissionen von großer Bedeutung sind, u. a. im Wege einer Umstellung auf alternative Kraftstoffe sowie der Abscheidung und Nutzung von CO2. Er plädiert für einen klaren Verweis auf Industrie 4.0, die Digitalisierung und die Entwicklung der kollaborativen Wirtschaft als Voraussetzung für die Verbesserung der Energieeffizienz und Verringerung der Emissionen. (5) Der EWSA betont, dass die Kreislaufwirtschaft ausschlaggebend für die Eindämmung des Klimawandels und den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist. Kreislaufwirtschaftskonzepte wie Maßnahmen zur Verringerung des Primärmaterialeinsatzes, zur Verbesserung der Nutzung bestehender Vermögenswerte und zur Verringerung des Abfallvolumens werden nachweislich maßgebend zur Eindämmung des Klimawandels und zum Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft beitragen (6).

3.1.6.

Die Förderung nachhaltiger Lebensmittelsysteme wird eine Senkung des Treibhausgasausstoßes bewirken, auch durch den Schutz und die Schaffung von mehr CO2-Senken. Der EWSA bekräftigt diesbezüglich, dass die Umweltauswirkungen von Lebensmittelsystemen durch die Förderung einer Ernährung auf der Grundlage einfacher Nährstoffe (7) sowie der Erzeugung und des Verbrauchs saisonaler Lebensmittel verringert werden können. Die Lebensmittelvertriebsketten sollten verkürzt und Produktverpackungen reduziert werden.

3.1.7.

Die europäische Industrie hat ihre Fähigkeit im Bereich der Entwicklung sauberer alternativer Energien unter Beweis gestellt. In einigen Kernsegmenten wie Windkraftanlagen ist die EU-Industrie nach wie vor Marktführer, in anderen Segmenten, bspw. bei der Herstellung von Solarmodulen, hat sie jedoch ihren Vorsprung verloren und musste u. a. aufgrund früherer einzelstaatlicher politischer Fehlentscheidungen die Marktführung abgeben. Nur ca. ein Prozent der weltweiten Lithiumbatterie-Produktionskapazitäten ist derzeit in Europa angesiedelt. Im Interesse einer Vermeidung entsprechender Fehler in neuen Branchen begrüßt der EWSA Initiativen wie den strategischen Aktionsplan für Batterien sowie die praktische Ausgestaltung der Europäischen Batterie-Allianz einschließlich der Entwicklung neuer Technik (8).

3.1.8.

Der EWSA verweist auf die wichtige Funktion der Normensetzung in internationalen Gremien, wo die EU eine Führungsrolle übernehmen kann, die mit entsprechenden Wettbewerbsvorteilen verbunden ist.

3.1.9.

Der EWSA erachtet es ebenfalls als wichtig, die anderen Industriestaaten und Schwellenländer einzubinden und weiterhin eine positive Dynamik zu fördern. Er unterstreicht in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, fairen Wettbewerb und gleiche Ausgangsbedingungen im Verhältnis zu Drittländern sicherzustellen. Dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit muss bei allen einschlägigen politischen Entscheidungen Rechnung getragen werden.

3.1.10.

Der EWSA unterstreicht den enormen Investitionsbedarf und die notwendige grenz- und sektorübergreifende Planungszusammenarbeit im Hinblick auf die Verwirklichung der intelligenten Netze, wozu auch der Einbau intelligenter Zähler und der Ausbau der Energiespeicherkapazitäten gehören, die grundlegende Voraussetzung für eine effiziente Umsetzung bestehender und künftiger Netzpläne und für den Ausgleich der Erzeugungsschwankungen bei alternativen Energien sind.

3.1.11.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) als siebter strategischer Baustein aufgeführt wird und dass hiermit, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, die Möglichkeit steht und fällt, bis 2050 insbesondere durch die Nutzung von Bioenergie und CCS eine klimaneutrale Gesellschaft zu erreichen. Er gibt zu bedenken, dass einer Analyse des Europäischen Rechnungshofs zufolge die bisherige EU-Finanzierung zur Unterstützung von CCS wie das NER-300-Programm „kein erfolgreiches Projekt für die CO2-Abscheidung und -Speicherung hervorgebracht“ hat. Es besteht somit eine große Unsicherheit hinsichtlich der technischen Machbarkeit von CCS, und es gibt Zweifel an der öffentlichen Akzeptanz von CCS.

3.1.12.

Der EWSA hebt die wichtige Rolle natürlicher CO2-Senken hervor, wie Wälder und viele Landbewirtschaftungsmethoden, die eine stärkere Bindung von CO2 im Boden ermöglichen, bspw. Grün- und Weideland, Torfflächen usw.Die nachhaltige Waldbewirtschaftung in Verbindung mit der Verwendung von Holzerzeugnissen, die Kohlenstoff speichern und fossile Materialien und Energiequellen ersetzen, tragen langfristig zur Eindämmung des Klimawandels bei und stärken die Anpassungsfähigkeit der Wälder an die Klimaveränderungen. Es ist wesentlich, dass die Kapazität landwirtschaftlicher Flächen zur Bindung von CO2 genutzt wird. Die Nutzung dieses Potenzials und eine nachhaltige Waldbewirtschaftung sind Teil der Lösung.

3.2.   Die Rahmenbedingungen — ein Überblick

3.2.1.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass der Zugang zu einer angemessenen Finanzierung für den Erfolg der angestrebten Wende unerlässlich ist. Es ist von entscheidender Bedeutung, ausreichende öffentliche wie auch private Investitionen zu mobilisieren. Er bekräftigt deshalb seine Forderung, zu gewährleisten, dass 40 % des Europäischen Fonds für strategische Investitionen und 40 % des EU-Haushalts für die Bekämpfung des Klimawandels bereitgestellt werden und dass alle Ausgaben im Rahmen der EU- und nationalen Haushalte klimaverträglich sind (9) (10). Der EWSA stellt den engen Zusammenhang zwischen der Finanzierung von Forschung und Innovation wie auch der Markteinführung innovativer Lösungen heraus (siehe Ziffern 3.3.5 und 3.3.6).

3.2.2.

Der EWSA begrüßt daher den Aktionsplan der Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums und die sich daraus ergebenden Legislativvorschläge. Er bekräftigt, dass es zum einen wichtig ist, grüne Finanzierung positiv darzustellen, und zum anderen, bei sämtlichen Kennzeichnungen oder Bewertungsvergleichen sektorale und lokale Besonderheiten sowie die Größe der betroffenen Unternehmen zu berücksichtigen. (11)

3.2.3.

Der EWSA erinnert an seine konkreten Vorschläge zur Neuausrichtung der Finanzierung auf nachhaltige Investitionen durch eine „grüne Zweckbindung“ (12), unter Nutzung der quantitativen Lockerung durch die Europäische Zentralbank als Finanzierungsquelle.

3.2.4.

Der EWSA verweist auf die Notwendigkeit, ein Instrumentarium bereitzustellen, das kleinen Akteuren den Zugang zu Finanzierung ermöglicht, damit sichergestellt ist, dass Akteure auf allen Ebenen Zugang zu Klimaschutzfinanzierung haben (13).

3.2.5.

Schließlich betont der EWSA, dass die für die Klima- und Energiewende relevanten Technologien einer ständigen und dynamischen Weiterentwicklung unterliegen. Eine regelmäßige Neubewertung der Mittel und Wege ist daher wesentlich.

3.3.   Forschung und Innovation

3.3.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Wende hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft nicht ohne weitreichende Forschung und Innovation, einschl. sozialer Innovation, gelingen wird, denn sie erfordert allerlei Arten von Innovation, darunter neue Verhaltensweisen, Geschäftsmodelle, soziale Normen, Prozesse, Techniken, Vermarktung und Technologien.

3.3.2.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass Europa einen Anteil von 7 % an der Weltbevölkerung hat, 10 % des globalen Klimagasausstoßes verursacht, 20 % des globalen BIP erwirtschaftet und für 30 % der hochkarätigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen weltweit verantwortlich zeichnet. Die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft kann nur im Rahmen einer weltweiten Klimaschutzanstrengung gelingen. Nach Meinung des EWSA kann die EU den denkbar konstruktivsten Beitrag dazu leisten, wenn sie dem Rest der Welt vor Augen führt, dass diese Umstellung machbar und zum Nutzen der Gesellschaft ist.

3.3.3.

Nach Meinung des EWSA tut Europa sich schwer, seine wissenschaftliche Exzellenz in wertvolle Innovationen umzumünzen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten Forschung und Innovation in allen Wertschöpfungsketten — von der Grundlagenforschung bis zur Markteinführung — besser unterstützen und die Sozial- und Geisteswissenschaften wirksamer hinzuziehen, um besser zu verstehen, auf welcher Grundlage die Endnutzer, einschließlich KMU und Bürger, ihre die Energieversorgung betreffenden Entscheidungen treffen.

3.3.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der EU eine historische Chance gegeben wird, die europäischen Unternehmen, Innovatoren, Arbeitnehmer und Investoren in die Lage zu versetzen, ihre globale Führungsrolle auf den florierenden Märkten der sauberen Energie zu behaupten. Die EU sollte sich in allen Bereichen der sauberen Energie — von der Energieeffizienz bis zur Elektromobilität — ehrgeizigere Ziele setzen, um einen gesunden Binnenmarkt für die europäische Wirtschaft zu schaffen, in dem Innovationen sicher umgesetzt werden können, und sie sollte eine integrierte Industriestrategie ausarbeiten, die darauf ausgerichtet ist, Lösungen für die Nutzung sauberer Energie in die übrige Welt zu exportieren.

3.3.5.

Daher fordert der EWSA die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Europäischen Rat auf, dafür zu sorgen, dass die Energie- und Klimaforschung und -innovation und ggf. die Markteinführung innovativer Lösungen im kommenden mehrjährigen Finanzrahmen angemessen gefördert werden. Er unterstützt daher die Forderung des Europäischen Parlaments, die Mittelausstattung von Horizont Europa für den Programmplanungszeitraum 2021-2027 auf 120 Mrd. EUR zu erhöhen. Er spricht sich ferner dafür aus, Synergien zwischen den EU-Finanzierungsinstrumenten zu ermöglichen, darunter Horizont Europa, die Fazilität „Connecting Europe“, der Innovationsfonds, die Strukturfonds, ITER, das Euratom-Programm für Forschung und Ausbildung, das Erasmus-Programm und die von der Europäischen Investitionsbank und dem Europäischen Investitionsfonds verwalteten Instrumente.

3.3.6.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, Forschungs- und Innovationsaufträge zu lancieren, um Forschung und Innovation besser auf Projekte auszurichten, die auf die gesellschaftlichen Herausforderungen, darunter den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft, abheben. In diesem Sinne fordert der EWSA die Europäische Kommission und den Rat auf, einen spezifischen Auftrag vorzuschlagen, um 100 Städte der EU bis 2030 klimaneutral zu machen. Dies wird den Europäerinnen und Europäern zeigen, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft möglich ist und ihre Lebensqualität hierdurch verbessert werden kann. Gleichzeitig bietet sich dadurch Gelegenheit, mit Städten in der ganzen Welt, angefangen bei der Östlichen Partnerschaft und der Union für den Mittelmeerraum, zusammenzuarbeiten und beispielhaft die europäischen Erfahrungen zu vermitteln.

3.3.7.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag zur Einrichtung eines europäischen Innovationsrates. Aufbauend auf den Erfahrungen mit bereits bestehenden Instrumenten — etwa dem Europäischen Innovations- und Technologieinstitut — hofft der EWSA, dass der europäische Innovationsrat das wichtigste Instrument der EU für die Bereitstellung von geduldigem und risikotolerantem Kapital für jene Innovationen wird, die für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft maßgebend sind. Er kann dazu beitragen, dass nationale Start-up-Unternehmen europäische Marktführer werden und nicht von US-amerikanischen und asiatischen Konkurrenten übernommen werden.

3.3.8.

Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf den maßgebenden Beitrag regionaler und lokaler Gemeinschaften zum Klimaschutz sowie zur Verbesserung von Anpassungsfähigkeit und Resilienz und ihren unmittelbaren Einfluss auf die Perspektiven der lokalen Ebene für einen umfassenden Wandel. Viele Gemeinschaften haben bereits entsprechende Initiativen ergriffen und tragen wirksam zu den notwendigen Lösungen bei. Der EWSA betont die Rolle der Inseln und der Gebiete in äußerster Randlage als potenzielle Innovatoren für EU- und internationale Maßnahmen zur Umstellung auf Klimaneutralität.

3.4.   Gemeinsamer Entwurf eines Sozialpakts für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft

3.4.1.

Der EWSA hält es für erforderlich, dass alle europäischen, nationalen und subnationalen Institutionen Unterstützung für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft aufbauen. Von Kohlearbeitern in vielen EU-Ländern vorgetragene berechtigte Bedenken und die jüngsten gesellschaftlichen Bewegungen in Frankreich haben noch deutlicher gemacht, dass der Übergang zu einer ökologisch nachhaltigeren Gesellschaft auch ein Übergang zu einer demokratischeren und sozial gerechteren Gesellschaft sein muss.

3.4.2.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass Europa einen Sozialpakt für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft benötigt, der zwischen der EU, den Mitgliedstaaten, den Regionen, den Städten, den Sozialpartnern und der organisierten Zivilgesellschaft vereinbart werden muss, um sicherzustellen, dass niemand außen vor bleibt.

3.4.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Union angemessene Finanzmittel zur Verfügung stellen muss, um Arbeitnehmer zu unterstützen, deren Arbeitsplatz infolge des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft bedroht ist. Zu diesem Zweck fordert der EWSA die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat auf, dafür zu sorgen, dass der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung so konzipiert und finanziert werden, dass den Herausforderungen des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft entsprochen werden kann. Hierdurch würde Europa seinen festen Willen bekunden, dass niemand zurückgelassen werden soll.

3.4.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass zwischen den Fähigkeiten, die von Arbeitnehmern in einer klimaneutralen Wirtschaft verlangt werden, und denen, über die ein Großteil der Arbeitnehmer heute verfügt, erhebliche Unterschiede bestehen können. Die Programme im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung müssen angepasst werden, um sicherzustellen, dass die künftigen und derzeitigen Arbeitnehmer und Ausbildungsdienstleister den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft bei ihren Fortbildungsentscheidungen bzw. in ihrem Fortbildungsangebot berücksichtigen können. Dies wird eine raschere Anpassung der Arbeitskräfte in Europa ermöglichen und bei der Entwicklung neuer Talente behilflich sein.

3.4.5.

Der EWSA sieht den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft als Gelegenheit, um Arbeitsplätze für junge Europäerinnen und Europäer — auch junge Erwerbslose — zu schaffen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission daher auf, ein „Grünes Programm ErasmusPro“, das auf ihrem Pilotprojekt ErasmusPro aufbaut, sowie auch andere Programme aufzulegen, die mehr junge Menschen für die Wachstumsbranchen der klimaneutralen Wirtschaft (z. B. nachhaltige Landwirtschaft, Kreislaufwirtschaft, Abfallbewirtschaftung, Energieeffizienz, Erzeugung erneuerbarer Energie) begeistern können, indem sie das Image und die Arbeitsbedingungen dieser Tätigkeitsfelder verbessern.

3.4.6.

Der EWSA sieht den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft als Chance an, die Energiearmut in Europa zu beseitigen und die Lebensqualität, die Beschäftigungslage und die soziale Inklusion zu verbessern. Die EU sollte für alle Europäer einen gleichberechtigten Zugang zu den grundlegenden Energiedienstleistungen gewährleisten. Auf der Grundlage der Befunde der Europäischen Beobachtungsstelle für Energiearmut sollte in Zusammenarbeit mit den Interessenträgern, einschließlich der Verbraucherorganisationen, ein europäischer Aktionsplan zur Beseitigung der Energiearmut ausgearbeitet werden, um sicherzustellen, dass das öffentliche Handeln zunehmend die der Energiearmut zugrunde liegenden Ursachen ins Visier nimmt. Der EWSA betont, dass Linderungsmaßnahmen von Vorbeugungsmaßnahmen abgelöst und so zum Beispiel alte Gebäude saniert und in Netto-Nullenergiegebäude umgebaut werden sollten. Sozialtarife und Energieschecks können nur eine vorübergehende Entlastung darstellen, an deren Stelle nach und nach Mechanismen wie Subventionen für den Umbau von Bestandsgebäuden in Netto-Nullenergiegebäude und den Kauf von Elektroautos treten sollten.

3.4.7.

Der EWSA appelliert an die Mitgliedstaaten, verstärkt die Eigenverantwortung der Bürger und Gemeinschaften für alle lokalen Initiativen zu berücksichtigen und zu fördern, die erforderlich sind, um eine klimaneutrale Wirtschaft zu verwirklichen, darunter auch Initiativen, die auf veränderte Verhaltensweisen und die lokale Erzeugung erneuerbarer Energie abzielen. Unterstützungsmechanismen und Energiemarktreformen sollten die lokalen Gemeinschaften in die Lage versetzen, sich aktiv an der Energieerzeugung zu beteiligen und einen fairen Zugang zum Energiemarkt zu haben. Aktivere Hilfestellung sollten diejenigen Mitgliedstaaten erhalten, denen es an den institutionellen Kapazitäten mangelt.

3.4.8.

Der EWSA begrüßt das Bestreben der Europäischen Kommission, die Zahl der durch Luftverschmutzung verursachten vorzeitigen Todesfälle bis 2030 zu halbieren (2015 gab es in Europa 400 000 vorzeitige Todesfälle). Er ist der Ansicht, dass die EU und all ihre Mitgliedstaaten die Bekämpfung der Luftverunreinigung zu einer hohen politischen Priorität machen sollten. Regulierungsmaßnahmen zur Verringerung der Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen und Kraftwerken sollten verstärkt werden. Die Europäische Kommission sollte die Organisationen der Zivilgesellschaft stärker einbeziehen, und zwar insbesondere Verbände zum Schutz von Kindern und älteren Menschen, da diese Bevölkerungsgruppen am meisten Gefahr laufen, unter der Luftverschmutzung zu leiden und an ihr zu sterben.

3.4.9.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Ausarbeitung eines Sozialpakts für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ein wesentliches Element ist, um ein positives bürgerschaftliches Engagement zugunsten konkreter Maßnahmen für diesen Übergang sicherzustellen.

3.5.   Demokratie und Governance

3.5.1.

Der EWSA stimmt zu, dass die Rolle der Bürgerinnen und Bürger, der regionalen und lokalen Behörden und der Bürgerbeteiligung im Rahmen der Bürgerdialoge wichtig ist. In Anbetracht der enormen Mobilisation junger Menschen appelliert der EWSA an die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten, auch mit den jungen Bürgerinnen und Bürgern in Dialog zu treten.

3.5.2.

Der EWSA begrüßt die Feststellung der Kommission mit Blick auf saubere Mobilität, dass „Verhaltensänderungen von Einzelpersonen und Unternehmen (…) diese Entwicklung untermauern“ müssen. Der EWSA ist überzeugt, dass dies für alle vom Übergang zur klimaneutralen Wirtschaft betroffenen Wirtschaftszweige gilt, einschließlich Energie, Wohnungsbau, Landwirtschaft und Lebensmittel. Der EWSA betont, dass die geplanten weitreichenden Veränderungen, einschließlich Veränderungen des Verhaltens und der Lebensweise, die Akzeptanz der Betroffenen voraussetzen.

3.5.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die bestehenden Verfahren noch nicht ausreichend dafür geeignet sind, die notwendige Akzeptanz seitens der Bürger zu gewährleisten. Er unterstreicht, dass die Europäische Kommission nicht nur darauf abzielen sollte, die Energiewende „sozial tragbar“ zu gestalten, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie auf demokratische und gesellschaftliche Unterstützung zählen kann.

3.5.4.

Der EWSA schlägt auf der Grundlage der Verordnung über das Governance-System der Energieunion vor, einen ständigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern einzurichten, der obligatorischer Bestandteil der Vorbereitung aller wichtigen politischen Entscheidungen und klimaschutzrelevanten EU-Rechtsvorschriften sein sollte. Ein solcher bürgernah geführter Dialog sollte auf Transparenz und Rechenschaftspflicht beruhen. Auch wenn ein Dialog über das Internet notwendig sein mag, muss er durch Versammlungen und direkte Kontakte mit der Öffentlichkeit ergänzt werden. Er sollte angemessen finanziert, personell ausgestattet und der Zuständigkeit eines Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, der diesem Dialog ein Gesicht verleiht, unterstellt werden.

3.5.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten die Gestaltung der Energiepolitik weiter demokratisieren müssen, indem sie Instrumente wie Deliberationsforen nutzen und die Voraussetzungen für die systemische Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung und Durchführung der nationalen Energie- und Klimapläne schaffen.

3.5.6.

Der EWSA erinnert an die Schlüsselrolle der Regionen und lokalen Gebietskörperschaften bei der Umsetzung klima- und energiepolitischer Maßnahmen und bei der Förderung von Verhaltensänderungen, die für deren wirksame Umsetzung erforderlich sind. Er unterstreicht die Initiativen des Bürgermeisterkonvents und ruft die Kommission auf, ähnliche Maßnahmen gutzuheißen und einen ständigen Konsultationsmechanismus auf der Grundlage des Talanoa-Dialogs (14) einzurichten. Dazu gehört auch der vom EWSA geforderte europäische Dialog über nichtstaatliche Klimaschutzmaßnahmen.

3.5.7.

Der EWSA bekräftigt seine Forderung nach der Schaffung eines „Europäischen Energieinformationsdienstes“ innerhalb der Europäischen Umweltagentur, der imstande wäre, einen offenen Zugang zu hochwertigen Daten zu gewährleisten, eine zentrale Eingangsstelle für alle zur Bewertung des Fortschritts der Energieunion erforderlichen Daten zu entwickeln, mit den Interessenträgern die Annahmen für die verschiedenen Szenarien auszuarbeiten, Open-Source-Modelle zum Prüfen der verschiedenen Annahmen bereitzustellen und die Kohärenz zwischen den verschiedenen Projektionen zu prüfen. Seine Arbeit sollte allen Entscheidungsträgern, den Unternehmen und der Öffentlichkeit ohne Einschränkung zur Verfügung stehen.

3.5.8.

Der EWSA fordert das Europäische Parlament auf, einen unabhängigen EU-Ausschuss für Klimaschutz einzusetzen, der für wissenschaftlich fundierte Bewertungen und strategische Empfehlungen zuständig wäre. Er fordert diejenigen Mitgliedstaaten, in denen es noch keine vergleichbaren Gremien gibt, auf, auf nationaler Ebene solche Ausschüsse einzurichten, die den nationalen Parlamenten und den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten Bericht erstatten.

Brüssel, den 20. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Sonderbericht des Weltklimarats über 1,5 °C globale Erwärmung, Oktober 2018.

(2)  EWSA-Stellungnahmen „Bündnis zur Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen des Übereinkommens von Paris“ (ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 20) und „Förderung von Klimaschutzmaßnahmen nichtstaatlicher Akteure“ (ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 35).

(3)  EWSA-Stellungnahme „Änderung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie“ (ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 55).

(4)  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 23./24.10.2014, EUCO 169/14, Punkte I 2.1, 2.2, 2.10-2.13.

(5)  EWSA-Stellungnahmen „Investitionen in eine intelligente, innovative und nachhaltige Industrie“ (ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 70) „Industriepolitik in Richtung 2030“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 16) und „Kollaborative Wirtschaft“ (ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 33).

(6)  Circle Economy and Ecofys report Circular Economy: A key lever in bridging the emissions gap to a 1.5°C pathway.

(7)  EWSA-Stellungnahme „Beitrag der Zivilgesellschaft zur Ausarbeitung einer umfassenden Ernährungspolitik in der EU“ (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 18).

(8)  Presseerklärung von Kommission-Vizepräsident Maroš Šefčovič, April 2019; gemeinsame Pressekonferenz mit Peter Altmaier und Bruno Le Maire, 2. Mai 2019.

(9)  EWSA-Stellungnahme „Europäischer Finanz-Klima-Pakt“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 8).

(10)  EWSA-Stellungnahme „Erleichterung des Zugangs nichtstaatlicher Akteure zur Klimaschutzfinanzierung“ (ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 14).

(11)  EWSA-Stellungnahmen „Aktionsplan für nachhaltige Finanzierung“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 73) und „Nachhaltiges Finanzwesen: Taxonomie und Referenzwerte“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 103).

(12)  EWSA-Stellungnahme „Europäischer Finanz-Klima-Pakt“ (ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 8).

(13)  Siehe Fußnote 10.

(14)  https://unfccc.int/topics/2018-talanoa-dialogue-platform.