10.10.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 367/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Situation von Frauen mit Behinderungen“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des Europäischen Parlaments)

(2018/C 367/04)

Berichterstatterin:

Gunta ANČA

Befassung

Europäisches Parlament, 3.4.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

13.3.2018

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

6.6.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

11.7.2018

Plenartagung Nr.

536

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

187/2/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind nach wie vor mit mehrfacher und intersektioneller Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Behinderung konfrontiert. Frauen mit Behinderungen haben nicht die gleichen Chancen auf eine gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft. Sie sind nur zu oft unter anderem von inklusiver allgemeiner und beruflicher Bildung, Beschäftigung, Zugang zu Armutsbekämpfungsprogrammen, angemessenem Wohnraum und der Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben ausgeschlossen, und ihnen wird durch einige Rechtsvorschriften die Selbstbestimmung über ihr eigenes Leben, einschließlich ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte, verwehrt. Sie werden daran gehindert, ihre Rechte als Bürgerinnen der EU in vollem Umfang auszuüben (1).

1.2.

Mit dieser Stellungnahme wird die EU aufgefordert, zusammen mit all ihren Mitgliedstaaten das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNCRPD) (2), die Empfehlungen in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die die EU im Jahr 2015 vom Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen erhalten hat, und die Allgemeine Bemerkung Nr. 3 dieses Ausschusses zu Artikel 6 der Behindertenrechtskonvention umzusetzen.

1.3.

Der EWSA fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Perspektive von Menschen mit Behinderungen in ihrer künftigen Strategie und ihren künftigen Maßnahmen und Programmen für die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Geschlechterperspektive in ihren Strategien zugunsten von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen, auch in ihrer künftigen europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2020-2030 und in der europäischen Säule sozialer Rechte (3). In der Nachfolgestrategie der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum sollte auch die Perspektive von Frauen mit Behinderungen berücksichtigt werden, da deren wirtschaftliche und soziale Teilhabe von wesentlicher Bedeutung für den Erfolg der wirtschaftlichen und sozialen Gesamtstrategie Europas ist (4).

1.4.

Sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene sollten die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um einen strukturierten Dialog einzurichten, mit einer eigenen und ausreichend ausgestatteten Haushaltslinie, um eine angemessene Konsultation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, einschließlich Frauen, Mädchen und Jungen mit Behinderungen, über ihre Vertretungsorganisationen im Rahmen der Umsetzung und Überwachung der Behindertenrechtskonvention sicherzustellen (5).

1.5.

Die derzeitigen und künftigen Finanzierungsinstrumente der EU, insbesondere die Strukturfonds und der Europäische Sozialfonds, sollten als Schlüsselinstrumente eingesetzt werden, um die Mitgliedstaaten bei der Förderung von Barrierefreiheit und Nichtdiskriminierung in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu unterstützen (6).

1.6.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten im Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen umgehend dem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) beitreten (7). Zu diesen Maßnahmen sollte auch zählen, dass sexuelle und andere Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen unter Strafe gestellt und die Zwangssterilisierung beendet wird (8).

1.7.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu einer barrierefreien Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen sowie zu zugänglichen allgemeinen Gesundheitsdiensten haben. Alle Frauen und Mädchen mit Behinderungen müssen in der Lage sind, ihre Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit auszuüben, indem sie ihre eigenen Entscheidungen, auf Wunsch auch mit Unterstützung, über medizinische und/oder therapeutische Behandlungen treffen. Dazu gehören auch Entscheidungen in Bezug auf den Erhalt ihrer Fruchtbarkeit und ihre reproduktive Autonomie (9).

2.   Einführung

2.1.

Frauen mit Behinderungen stehen noch immer am Rande der Gesellschaft. Die Situation von Frauen mit Behinderungen ist nicht nur schlechter als die von Frauen ohne Behinderungen, sondern auch schlechter als die von Männern mit Behinderungen (10).

2.2.

Der Anteil von Frauen mit Behinderungen liegt bei 16 % der gesamten weiblichen Bevölkerung in Europa. Bei einer weiblichen Bevölkerung von derzeit knapp unter 250 Mio. bedeutet diese Zahl, dass in der Europäischen Union (EU) ca. 40 Mio. Frauen und Mädchen mit Behinderungen leben (11).

2.3.

In Europa und weltweit gibt es immer mehr ältere Menschen, und damit wird auch die Zahl der Menschen mit Behinderungen entsprechend zunehmen. Aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen wird die Zahl der Frauen mit Behinderungen überproportional ansteigen (12).

2.4.

Mit dieser Stellungnahme wird die EU aufgefordert, zusammen mit all ihren Mitgliedstaaten das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNCRPD) (13), die Empfehlungen in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die die EU im Jahr 2015 vom Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen erhalten hat, und die Allgemeine Bemerkung Nr. 3 dieses Ausschusses zu Artikel 6 der Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Für die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention sollten die EU und die Mitgliedstaaten unverzüglich einen Aktionsplan und einen Zeitplan erarbeiten sowie Ressourcen bereitstellen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

Internationaler und europäischer Rechtsrahmen

3.1.

Die EU ist zusammen mit ihren 28 Mitgliedstaaten Vertragspartei der Behindertenrechtskonvention. Sie sind heute durch das Völkerrecht an die Behindertenrechtskonvention gebunden, d. h. sie sind verpflichtet, die dort verankerten Rechte von Menschen mit Behinderungen, auch die von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, gemeinsam zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten mit gutem Beispiel vorangehen, da sie als einzige Organisation der regionalen Integration weltweit Vertragspartei der Behindertenrechtskonvention und in einer einzigartigen Position sind, um europaweit den einheitlichen und gleichen Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderungen sicherzustellen.

3.2.

In Artikel 6 der Behindertenrechtskonvention wird anerkannt, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt sind und dass in dieser Hinsicht Maßnahmen ergriffen werden müssen, um zu gewährleisten, dass sie alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll und gleichberechtigt genießen können. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Sicherung der vollen Entfaltung, der Förderung und der Stärkung der Autonomie der Frauen, um zu garantieren, dass sie die in diesem Übereinkommen genannten Menschenrechte und Grundfreiheiten ausüben und genießen können.

3.3.

Im Jahr 2015 hat die EU wichtige Empfehlungen vom Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen dazu erhalten, wie die Situation von Menschen mit Behinderungen, also auch die der Frauen und Mädchen mit Behinderungen, in der Europäischen Union verbessert werden kann.

3.4.

Im Jahr 2016 nahm der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen seine Allgemeine Bemerkung Nr. 3 zu Artikel 6 der Behindertenrechtskonvention an, in der betont wird, dass ihre Vertragsstaaten, einschließlich der EU, die oben genannten Maßnahmen zur Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen mit Behinderungen ergreifen sollten.

3.5.

Alle Mitgliedstaaten der EU sind außerdem Vertragsstaaten des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, dem umfassendsten internationalen Rechtsinstrument zur Förderung von Gleichberechtigung bei der Anerkennung, dem Genuss und der Ausübung aller Menschenrechte von Frauen im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen und familiären Bereich. Auch Frauen und Mädchen mit Behinderungen sollten von den nationalen Bemühungen zur Umsetzung der Frauenrechtskonvention uneingeschränkt profitieren und darin einbezogen werden.

3.6.

Artikel 10 und Artikel 19 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verpflichten die EU dazu, bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen darauf abzuzielen, Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Artikel 8 AEUV besagt: „Bei allen ihren Tätigkeiten wirkt die Union darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern“.

3.7.

In Artikel 20 und 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird die Diskriminierung aufgrund einer Behinderung verboten und der Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft anerkannt. In der Charta wird auch auf die Gleichheit von Männern und Frauen und auf die Nichtdiskriminierung aus verschiedenen Gründen, einschließlich des Geschlechts, Bezug genommen.

4.   Allgemeine Empfehlungen

4.1.

Im Gegensatz zu den Bestimmungen der Behindertenrechtskonvention, der Frauenrechtskonvention, des AEUV und in der Charta hat die Europäische Union weder die Perspektive von Menschen mit Behinderungen bei all ihren politischen Maßnahmen, Programmen und Strategien zur Gleichstellung der Geschlechter durchgängig berücksichtigt, noch die Geschlechterperspektive in ihre Strategien zugunsten von Menschen mit Behinderungen aufgenommen. Der EU und ihren Mitgliedstaaten fehlt es derzeit an einem soliden Rechtsrahmen, um alle Menschenrechte aller Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu schützen, zu fördern und zu gewährleisten. Der EWSA fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Perspektive von Menschen mit Behinderungen in ihrer künftigen Strategie und ihren künftigen Maßnahmen und Programmen für die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Geschlechterperspektive in ihren Strategien zugunsten von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen, auch in ihrer künftigen europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2020-2030 und in der europäischen Säule sozialer Rechte. In der Nachfolgestrategie der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum sollte auch die Perspektive von Frauen mit Behinderungen berücksichtigt werden, da deren wirtschaftliche und soziale Teilhabe von wesentlicher Bedeutung für den Erfolg der wirtschaftlichen und sozialen Gesamtstrategie Europas ist (14).

4.2.

Organisationen, die Frauen und Mädchen mit Behinderungen vertreten, werden von der EU und ihren Mitgliedstaaten nicht in ausreichendem Maße konsultiert und finanziert. Sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene sollten die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um einen strukturierten Dialog einzurichten, mit einer eigenen und ausreichend ausgestatteten Haushaltslinie, um eine angemessene Konsultation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, einschließlich Frauen, Mädchen und Jungen mit Behinderungen, über ihre Vertretungsorganisationen im Rahmen der Umsetzung und Überwachung der Behindertenrechtskonvention sicherzustellen (15).

4.3.

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind für alle Menschenrechtsorganisationen nach wie vor eher Randfiguren. In die regelmäßigen Berichte, die von den entsprechenden Menschenrechtsvertragsorganen der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten erstellt werden, müssen automatisch Informationen über Frauen mit Behinderungen aufgenommen werden. Diese Praxis sollte auf alle Einrichtungen ausgeweitet werden, die sich sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, einschließlich Vertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen und ihren Familien, Frauen im Allgemeinen und Frauen mit Behinderungen (16).

4.4.

In der EU und ihren Mitgliedstaaten gibt es weder genügend kohärente und vergleichbare Daten und Menschenrechtsindikatoren in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen noch Untersuchungen zur Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in der EU (17). Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die europäischen Agenturen, insbesondere Eurofound, Cedefop, FRA und EIGE, in ihrer Arbeit einen systematischeren Ansatz in Bezug auf Menschen mit Behinderungen und ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft verfolgen. Dabei sollten insbesondere die Lage von Frauen und die Tatsache, dass Intersektionalität zu Formen der Mehrfachdiskriminierung führen kann, berücksichtigt werden. Der EWSA empfiehlt des Weiteren, dass sie dieses Thema eindeutig in ihr Arbeitsprogramm aufnehmen. Sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene sollten Fragen, die Frauen und Mädchen mit Behinderungen betreffen, gemäß den Grundsätzen der Behindertenrechtskonvention in die Erhebung geschlechts- und altersspezifischer Daten und Statistiken sowie in die bestehenden statistischen Datenreihen und Erhebungen aufgenommen werden. Es sollte ein Mechanismus eingerichtet werden, um Fortschritte zu überwachen und die Datenerhebung, Studien und Forschung in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen — einschließlich der am stärksten ausgegrenzten Gruppen der Gesellschaft wie Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten — und die intersektionelle Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind, zu finanzieren, an dem sich auch die Politikplanung orientieren sollte. Bei jedweder Forschung zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen sollte die Geschlechterperspektive berücksichtigt werden, ebenso wie bei der Forschung zu Frauen und Mädchen die Perspektive von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden sollte.

4.5.

Die derzeitigen und künftigen Finanzierungsinstrumente der EU, insbesondere die Strukturfonds und der Europäische Sozialfonds, sollten als Schlüsselinstrumente eingesetzt werden, um die Mitgliedstaaten bei der Förderung von Barrierefreiheit und Nichtdiskriminierung in Bezug auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu unterstützen (18) und um auf Finanzierungsmöglichkeiten für Maßnahmen dieser Art in den Programmen für die Zeit nach 2020 aufmerksam und diese bekannter zu machen. Der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten sollte Behindertenverbänden durch zugängliche Informationen und Unterstützung erleichtert werden.

4.6.

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind in Europa einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von mehrfacher und intersektioneller Diskriminierung zu werden. Die Überschneidung von Rasse, ethnischer oder sozialer Herkunft, Alter, sexueller Ausrichtung, Staatsangehörigkeit, Religion, Geschlecht, Behinderung, Flüchtlings- oder Migrantenstatus usw. hat eine Multiplikatorwirkung, die dazu führt, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen einer verstärkten Diskriminierung ausgesetzt sind (19). Diese Diskriminierung entsteht aus der Art und Weise, wie Menschen ihre Identität konstruieren, indem die großen Unterschiede, die es bei Frauen mit Behinderungen gibt, ignoriert und Frauen mit Behinderungen in allen Bereichen der Gesellschaft über einen Kamm geschoren werden und ihre Realität aus einer ausgrenzenden Perspektive betrachtet wird (20). Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten alle diskriminierenden Rechtsvorschriften, Strategien und Praktiken abschaffen und jedwede Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts oder einer Behinderung sowie intersektionelle Diskriminierung gesetzlich verbieten, u. a. durch den Erlass starker und umfassender EU-Rechtsvorschriften, mit denen Frauen mit Behinderungen vor intersektioneller Diskriminierung in allen Lebensbereichen geschützt werden (21).

4.7.

Die Geschichte sowie Einstellungen und Vorurteile in der Gesellschaft, auch im Familienkreis, haben zu einer negativen Stereotypisierung von Frauen und Mädchen mit Behinderungen geführt und so zu deren sozialer Isolation und Ausgrenzung beigetragen. Von den Medien werden sie fast vollständig ignoriert, und wenn doch über sie berichtet wird, dann werden Frauen mit Behinderungen aus einer asexuellen medizinischen Perspektive betrachtet und ihre Fähigkeiten sowie ihr Beitrag zu ihrem Umfeld werden vernachlässigt (22). Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind sich ihrer Rechte im Rahmen der Behindertenrechtskonvention, der Frauenrechtskonvention und des EU-Rechts nicht ausreichend bewusst. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten eine umfassende Kampagne entwickeln, um auf die Behindertenrechtskonvention und die Frauenrechtskonvention aufmerksam zu machen, für die Situation von Frauen mit Behinderungen zu sensibilisieren und Vorurteile gegenüber Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu bekämpfen (23). Die Medien sollten dazu angehalten werden, Frauen mit Behinderungen anzuhören und einzubeziehen (vorzugsweise Frauen, die von ihren Organisationen benannt wurden), wobei diese auch an Präsentationen und an der Überwachung von Programmen beteiligt werden sollten. Den Behindertenverbänden sollten die erforderlichen finanziellen Mittel für die Aufklärung der Frauen und Mädchen mit Behinderungen und ihrer Familien über ihre Rechte im Rahmen der Behindertenrechtskonvention und für entsprechende Schulungsmaßnahmen bereitgestellt werden.

4.8.

Die EU hat als öffentliche Verwaltung die Verpflichtung, die Behindertenrechtskonvention intern in ihren Organen und Einrichtungen umzusetzen. Die EU sollte sicherstellen, dass Fragen, die Frauen und Mädchen mit Behinderungen betreffen, bei ihren Veranstaltungen und Sitzungen, in ihrer Kommunikation, bei Informationen und Konsultationen sowie bei ihrer Sozialschutz- und Beschäftigungspolitik vollständig einbezogen und berücksichtigt werden, und sie sollte Anstrengungen unternehmen, um sicherzustellen, dass ihre Haushalte geschlechtsspezifischen Fragen Rechnung tragen. Positive Maßnahmen sollten ergriffen werden, um dafür zu sorgen, dass Frauen mit Behinderungen gleichberechtigt zu den Arbeiten und zur Tätigkeit der europäischen Institutionen beitragen können.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.   Gewalt

5.1.1.

Frauen mit Behinderungen sind im Vergleich zu anderen Frauen einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch zu werden. Gewalt kann zwischen Personen oder in Institutionen auftreten und/oder struktureller Natur sein. Institutionelle und/oder strukturelle Gewalt bedeutet jede Form von struktureller Ungleichheit oder institutioneller Diskriminierung, durch die eine Frau physisch oder ideologisch gegenüber anderen Personen in ihrer Familie, ihrem Haushalt oder ihrer Gemeinschaft in einer untergeordneten Stellung gehalten wird (24). In einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2014 wurde geschätzt, dass bei Frauen und Mädchen mit Behinderungen die Gefahr, Opfer von Gewalt und insbesondere häuslicher Gewalt zu werden, drei- bis fünfmal höher ist (25).

5.1.2.

In den EU-Rechtsvorschriften und im nationalen Recht zur Vorbeugung von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch fehlt häufig ein Schwerpunkt auf Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Die EU sollte die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das Thema Behinderung in all ihren Rechtsvorschriften, Maßnahmen und Strategien zur Bekämpfung von Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung durchgängig zu berücksichtigen (26). Gewalt gegen Frauen sollte unter Strafe gestellt werden. Es sollten alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen ergreifen werden, um Frauen und Mädchen mit Behinderungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Wohnung vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch zu schützen und ihnen — unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse einschließlich Hilfsgeräten — den Zugang zur Justiz durch die Bereitstellung geeigneter gemeinschaftsbasierter Hilfe und Unterstützung zu erleichtern, um zu verhindern, dass sie zu Hause isoliert und eingesperrt werden (27).

5.1.3.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten im Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen umgehend dem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) beitreten. Zu diesen Maßnahmen sollte auch zählen, dass sexuelle und andere Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen unter Strafe gestellt und die Zwangssterilisierung beendet wird (28).

5.2.   Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte einschließlich der Achtung von Wohnung und Familie

5.2.1.

Falsche Stereotypisierung im Zusammenhang mit Behinderung und Geschlecht ist eine Form der Diskriminierung, die sich insbesondere auf den Genuss sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte sowie auf das Recht auf Familiengründung auswirkt. Zu schädlichen Stereotypen in Bezug auf Frauen mit Behinderungen gehören, dass diese Frauen asexuell, unfähig, irrational, unkontrolliert und/oder hypersexuell sind (29).

5.2.2.

Die Wahlmöglichkeiten von Frauen mit Behinderungen und insbesondere von Frauen mit psychosozialen oder intellektuellen Behinderungen werden häufig ignoriert, und Entscheidungen werden oftmals stellvertretend von Dritten wie gesetzlichen Vertretern, Dienstleistern, Betreuern und Familienmitgliedern getroffen, wodurch ihre Rechte nach Artikel 12 der Behindertenrechtskonvention verletzt werden (30). Nur allzu oft werden Frauen und Mädchen mit Behinderungen zur Sterilisierung und zum Schwangerschaftsabbruch oder zu anderen Formen der Fertilitätskontrolle gezwungen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass alle Frauen mit Behinderungen in der Lage sind, ihre Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit auszuüben, indem sie ihre eigenen Entscheidungen, auf Wunsch auch mit Unterstützung, über medizinische und/oder therapeutische Behandlungen treffen. Dazu gehören Entscheidungen bezüglich: Erhalt ihrer Fruchtbarkeit, reproduktive Autonomie, das Recht, die Anzahl und den Abstand zwischen den Geburten ihrer Kinder zu wählen, Angelegenheiten, die mit ihrer Sexualität zusammenhängen, sowie ihr Recht, Beziehungen einzugehen. Dies sollte frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt erfolgen. Bei der Zwangssterilisierung und -abtreibung handelt es sich um eine Form der Gewalt gegen Frauen, die im Sinne von Artikel 39 des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt unter Strafe gestellt werden sollte (31).

5.2.3.

Frauen mit Behinderungen wird unter Umständen aufgrund von schädlichen Stereotypen auch der Zugang zu Information, Kommunikation und Aufklärung hinsichtlich ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte vorenthalten, weil man unterstellt, dass sie asexuell sind und daher solche Informationen nicht benötigen wie andere Menschen. Informationen stehen unter Umständen auch nicht in zugänglichen Formaten zur Verfügung. Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und Geräte, einschließlich Mammografiegeräten und gynäkologischen Untersuchungsstühlen, sind für Frauen mit Behinderungen häufig physisch nicht zugänglich (32). Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu einer barrierefreien Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen sowie zu zugänglichen allgemeinen Gesundheitsdiensten wie zahnmedizinischer und augenärztlicher Behandlung und Diensten für die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Vorsorge haben, wozu gynäkologische Beratung, ärztliche Untersuchungen, Familienplanung und individuell angepasste Unterstützung während einer Schwangerschaft zählen.

5.2.4.

Zu den erforderlichen Maßnahmen zählt die Schulung von Fachkräften, vor allem im Gesundheitswesen und im rechtlichen Bereich, um dafür zu sorgen, dass den Frauen und Mädchen mit Behinderungen bei rechtlichen Ermittlungen und Verfahren Gehör geschenkt wird. Diese Maßnahmen sollten in enger Zusammenarbeit mit Vertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen ergriffen werden.

5.3.   Allgemeine und berufliche Bildung

5.3.1.

Schädliche Stereotype in Bezug auf Geschlecht und Behinderung kommen zusammen und fördern so diskriminierende Einstellungen, Konzepte und Praktiken. Dazu gehören Bildungsmaterialien, die falsche Stereotype in Bezug auf Geschlecht und Behinderung fortschreiben, die auf Geschlechterklischees beruhende Aufteilung der Aufgaben in der Familie, die Vorstellung, dass Frauen aufgrund ihre Geschlechts für Pflegeaufgaben prädestiniert sind, die höhere Wertschätzung der Bildung von Jungen im Vergleich zu Mädchen in einigen Bereichen, Kinderehen von Mädchen mit Behinderungen und der Mangel an zugänglichen sanitären Einrichtungen in Schulen, um eine hygienische Menstruation sicherzustellen. Dies führt wiederum zu höheren Analphabetismusquoten, Schulversagen, Unregelmäßigkeiten beim täglichen Schulbesuch, Fehlstunden und vollständigem Schulabbruch (33).

5.3.2.

Aus einer vergleichenden Analyse der EU geht hervor, dass 2011 in der EU nur 27 % der Menschen mit Behinderungen in der Altersgruppe 30–34 über einen Hochschulabschluss oder gleichwertigen Bildungsabschluss verfügten (34). Allerdings stehen für Frauen und Mädchen mit Behinderungen keine spezifischen Daten zur Verfügung. In den europäischen Schulen und in verschiedenen Mitgliedstaaten der EU haben viele Mädchen und Frauen mit Behinderungen keinen Zugang zu inklusiver hochwertiger Bildung im Sinne der Behindertenrechtskonvention. Die Finanzkrise hat sich nachgewiesenermaßen nachteilig auf die Bemühungen um Inklusion in der Bildung ausgewirkt.

5.3.3.

Die Inklusion von Mädchen und Frauen mit Behinderungen in das reguläre Bildungssystem muss dem Paradigma von hochwertiger Bildung, Chancengleichheit, Unterstützung und angemessenen Vorkehrungen (35) sowie universeller Zugänglichkeit in allen Lebensphasen folgen, wobei sicherzustellen ist, dass Frauen mit Behinderungen Zugang zu Weiterbildung als Mittel zur Förderung ihrer persönlichen Unabhängigkeit, der freien Entfaltung der Persönlichkeit und ihrer sozialen Inklusion haben und dauerhaft ihr Recht auf eigene Entscheidungen und ein selbstbestimmtes Leben ausüben. Eltern von Schülern bzw. Studierenden mit Behinderungen sollten die erforderlichen Informationen über die Vorteile des inklusiven regulären Bildungssystems zur Verfügung gestellt werden.

5.3.4.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten die aktuelle Situation bewerten und Maßnahmen ergreifen, um durch eine stärkere Nutzung europäischer Finanzierungsinstrumente allen Schülerinnen und Schülern und Studierenden mit Behinderungen den Zugang zu und Genuss von inklusiver und hochwertiger Bildung im Sinne der Behindertenrechtskonvention zu erleichtern. Außerdem sollten sie beim Verfolgen des Ziels im Bereich allgemeine und berufliche Bildung spezifisch auf Behinderungen ausgerichtete Indikatoren in die Strategie Europa 2020 aufnehmen.

5.3.5.

Einschlägige EU-Verordnungen und Austauschprogramme für Schüler und Studierende (wie Erasmus+) wurden in den letzten Jahren verbessert, indem eine finanzielle Unterstützung für die Mobilität von Schülern und Studierenden mit Behinderungen aufgenommen wurde. In der Praxis jedoch treffen Schüler und Studierende mit Behinderungen auf viele Barrieren, wenn sie versuchen, Zugang zu den nationalen Bildungsdienstleistungen des Ziellandes zu erhalten (Barrieren der Einstellung sowie physische, Kommunikations- und Informationsbarrieren und mangelnde Flexibilität in den Lehrplänen) (36). In den EU-Programmen für Hochschulbildung, Berufsbildung und lebenslanges Lernen sollte die Unterstützung von Frauen mit Behinderungen vorgesehen werden. Das europäische Austauschprogramm für Unternehmerinnen und Unternehmer sollte die finanzielle Unterstützung junger Menschen mit Behinderungen einschließen, was derzeit nicht der Fall ist. Im Zusammenhang mit den Austauschprogrammen für Schüler und Studierende sowie junge Unternehmerinnen und Unternehmer sollten bewährte Verfahren und Herausforderungen ausgetauscht und Schulungen für Fachkräfte aus dem Bildungswesen, die Sozialpartner und die Medien angeboten werden.

5.3.6.

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sollte ein gleichberechtigter Zugang zu den verschiedenen Komponenten der IKT-Infrastruktur und zur Informationsgesellschaft gewährt werden. Bei der Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien sollte wirtschaftlichen Faktoren, dem Schulungsbedarf und Chancengleichheit unabhängig vom Alter Rechnung getragen werden, um von sozialer Ausgrenzung bedrohten oder armutsgefährdeten Frauen und Mädchen mit Behinderungen den Zugang hierzu zu ermöglichen.

5.4.   Beschäftigung

5.4.1.

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist im Allgemeinen nach wie vor viel geringer als die von Männern (46,6 % im Vergleich zu 61,9 %). Auf den Arbeitsmärkten aller Mitgliedstaaten herrscht eine anhaltende und ausgeprägte Geschlechtertrennung. Frauen mit Behinderungen sind jedoch noch viel stärker vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Dem Gleichstellungsindex des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen von 2015 zufolge sind in der EU nur 18,8 % der Frauen mit Behinderungen erwerbstätig. Dagegen sind 28,1 % der Männer mit Behinderungen erwerbstätig. Die hohe Arbeitslosenquote unter Frauen mit Behinderungen ist nicht hinnehmbar und erhöht ihr Armutsrisiko und die Gefahr sozialer Ausgrenzung. Frauen und Mädchen mit Behinderungen haben größere Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, weshalb es ihnen schwerer fällt, ein unabhängiges Leben zu führen. Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind oftmals unterbezahlt. Hindernisse für die Mobilität sowie die größere Abhängigkeit von Familienangehörigen und Pflegepersonen schaffen Hindernisse für ihre aktive Teilhabe an Bildung, am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben der Gemeinschaft (37).

5.4.2.

Angesichts der hohen Zahlen arbeitsloser und nicht erwerbstätiger Frauen mit Behinderungen müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten gezielte Gender-Mainstreaming und positive Maßnahmen für Frauen mit Behinderungen ergreifen, um Berufsbildung, Arbeitsplatzvermittlung, Zugang zu Beschäftigung, Arbeitsplatzerhaltung, Entgeltgerechtigkeit, gleiche Karrierechancen, Anpassungen am Arbeitsplatz sowie die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu fördern. Frauen mit Behinderungen müssen das gleiche Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen wie andere auch haben, einschließlich Chancengleichheit und Entgeltgerechtigkeit (38).

5.4.3.

Unter Berücksichtigung des Instruments für Mikrofinanzierung der EU und des Europäischen Sozialfonds zur Förderung von Beschäftigung und sozialer Inklusion sollten Möglichkeiten für Selbstständigkeit, das Unternehmertum unter Frauen mit Behinderungen, eine ausgewogene Vertretung in der Unternehmensleitung, die Entwicklung sozialer Unternehmen und die Gründung eines eigenen Unternehmens gefördert werden. Frauen mit Behinderungen sollten das gleiche Recht auf finanzielle Unterstützung während des gesamten Lebenszyklus ihres Unternehmens haben und als fähige Unternehmerinnen angesehen werden. In dieser Hinsicht sollten für Unternehmerinnen mit Behinderungen, einschließlich Frauen in ländlichen Gebieten, positive Maßnahmen in Form von zinsgünstigen Darlehen, Mikrokrediten und nicht rückzahlbaren Zuschüssen bereitgestellt werden.

5.4.4.

Die Zunahme der Zahl von Menschen mit Behinderungen wird zu einer höheren Belastung der Pflegepersonen und insbesondere der pflegenden Familienangehörigen führen, bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt, die gezwungen sind, ihre Arbeitszeiten zu verkürzen oder sogar aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, um sich um ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder zu kümmern (39).

5.4.5.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten für ein besseres Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben von Frauen mit Behinderungen und Pflegepersonen von Menschen mit Behinderungen sorgen, mittels wirksamer Maßnahmen, die auf deren besonderen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Zu den möglichen Maßnahmen, die Optionen zur Erreichung dieses Ziels sein können, gehören Entgelttransparenz, Einstellungsverfahren und Sozialbeiträge, flexible Arbeitszeiten oder Teilzeit-Telearbeit, ein Gleichgewicht zwischen behinderungsbedingten Ausgaben im Zusammenhang mit Mutterschaft und der Pflege anderer Personen mit hohem Unterstützungsbedarf sowie die Förderung des universellen Zugangs zu erschwinglichen und hochwertigen Unterstützungsdiensten wie Pflegeheimen oder Pflegediensten für ältere Menschen und andere Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf zu verschiedenen Tageszeiten (40).

5.4.6.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten Frauen mit Behinderungen und die Familien von Menschen mit Behinderungen in ihrem Vorschlag für eine Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige sowie in anderen Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Arbeitnehmer und pflegende Angehörige berücksichtigen (41).

5.4.7.

Frauen mit Behinderungen sind auch bezüglich ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsplatz mit einzigartigen Barrieren konfrontiert, einschließlich sexueller Belästigung, ungleicher Bezahlung sowie dem fehlenden Zugang zu Entschädigung, weil ihre Ansprüche aufgrund diskriminierender Einstellungen abgelehnt werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten auch für sichere und gesunde Arbeitsbedingungen für Frauen mit Behinderungen und Pflegepersonen von Menschen mit Behinderungen sorgen, einschließlich des Schutzes vor Belästigungen und Abhilfe bei Missständen. Belästigung am Arbeitsplatz sollte im Einklang mit der Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG durch wirksame Belästigungsprotokolle vorgebeugt werden (42).

5.5.   Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben

5.5.1.

Die Stimmen von Frauen und Mädchen mit Behinderungen wurden historisch immer zum Verstummen gebracht, und daher sind Frauen und Mädchen mit Behinderungen in öffentlichen Entscheidungsprozessen extrem unterrepräsentiert. In den meisten Mitgliedstaaten der EU führt der Entzug der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderungen zum Verlust ihres Wahlrechts. Barrieren beim Wahlrecht bestehen auch in Form von nicht barrierefreien Abstimmungsverfahren einschließlich unzugänglicher Wahllokale (43). Die EU sollte sicherstellen, dass Frauen mit Behinderungen uneingeschränkt am öffentlichen und politischen Leben und insbesondere an den Europawahlen 2019 teilnehmen können.

5.5.2.

Aufgrund von Machtungleichgewichten und Mehrfachdiskriminierung haben sie geringere Chancen, Organisationen zu gründen bzw. ihnen beizutreten, die ihre Bedürfnisse als Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderungen vertreten können. Die EU sollte Maßnahmen ergreifen, um Frauen mit Behinderungen zu ermutigen, Führungspositionen in öffentlichen Entscheidungsgremien auf allen Ebenen zu übernehmen, und sie zu befähigen, Organisationen und Netzwerke für Frauen mit Behinderungen zu gründen und diesen beizutreten (44). Damit Frauen mit Behinderungen am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sollten entsprechende Schulungs- und Mentoring-Programme aufgesetzt werden.

Brüssel, den 11. Juli 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Allgemeine Bemerkung Nr. 3 (CRPD/C/GC/3), S. 1; Europäisches Behindertenforum, Alternative report to the UNCRPD, S. 57.

(2)  Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

(3)  Abschließende Bemerkungen des Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen zum ersten Bericht der Europäischen Union, Vereinte Nationen (Artikel 6 CRPD/C/EU/CO/1).

(4)  Bericht über Frauen mit Behinderungen, Europäisches Parlament, 14.10.2013, S. 6.

(5)  Siehe Fußnote 3, Absatz 4.3; siehe Fußnote 1, S. 17.

(6)  Siehe Fußnote 4, S. 9.

(7)  Siehe Fußnote 3, Absatz 16.

(8)  Report on ending forced sterilisation against women and girls with disabilities, Europäisches Behindertenforum, 2018, S. 49.

(9)  2nd Manifesto on the Rights of Women and Girls with Disabilities in the EU, Europäisches Behindertenforum, 2011, S. 18 und 34.

(10)  Siehe Fußnote 9, S. 4.

(11)  Ad-hoc-Modul der Arbeitskräfteerhebung der EU über Menschen mit Behinderungen und chronisch Kranke, 2002.

(12)  Siehe Fußnote 4, S. 24.

(13)  Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

(14)  Siehe Fußnote 3, Absatz 6; siehe Fußnote 4, S. 6.

(15)  Siehe Fußnote 3, Absatz 4.3; siehe Fußnote 1, S. 17.

(16)  Siehe Fußnote 9, S. 47.

(17)  Siehe Fußnote 4, S. 16.

(18)  Siehe Fußnote 4, S. 9.

(19)  Siehe Fußnote 1, S. 2.

(20)  Siehe Fußnote 9, S. 52.

(21)  Siehe Fußnote 1, S. 15.

(22)  Siehe Fußnote 9, S. 11.

(23)  Siehe Fußnote 3, Absatz 8.

(24)  Siehe Fußnote 1, S. 8.

(25)  Erhebung über Gewalt gegen Frauen, Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, 2014, S. 186.

(26)  Siehe Fußnote 3, Absatz 16.

(27)  Siehe Fußnote 9, S. 21.

(28)  Siehe Fußnote 3, Absatz 16; siehe Fußnote 8, S. 49.

(29)  Siehe Fußnote 1, S. 10.

(30)  Siehe Fußnote 1, S. 11.

(31)  Report on ending forced sterilisation against women and girls with disabilities, Europäisches Behindertenforum, 2018, S. 49 und 50.

(32)  Siehe Fußnote 1, S. 11; siehe Fußnote 9, S. 34.

(33)  Siehe Fußnote 1, S. 14.

(34)  EU-Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) 2011.

(35)  Siehe Fußnote 9, S. 32.

(36)  Alternative report to the UNCRPD, S. 43.

(37)  Siehe Fußnote 4, S. 7.

(38)  Siehe Fußnote 9, S. 41.

(39)  Siehe Fußnote 9, S. 45; siehe Fußnote 4, S. 6.

(40)  Siehe Fußnote 4, S. 14; siehe Fußnote 9, S. 43.

(41)  Siehe Fußnote 3, Absatz 23.

(42)  Siehe Fußnote 4, S. 25.

(43)  Alternative report to the UNCRPD.

(44)  Siehe Fußnote 1, S. 16.