Brüssel, den 29.6.2017

COM(2017) 366 final

2017/0151(NLE)

Vorschlag für einen

BESCHLUSS DES RATES

über den Standpunkt, der im Namen der Europäischen Union auf der sechsten Tagung der Vertragsparteien des Übereinkommens von Aarhus in Bezug auf die die Einhaltung des Übereinkommens betreffende Sache ACCC/C/2008/32 zu vertreten ist


BEGRÜNDUNG

1.KONTEXT DES VORSCHLAGS

(1)Einführung

Im Jahr 1998 unterzeichnete die Europäische Union (EU) das Übereinkommen von Aarhus. Damals wie heute ist es von erheblicher Bedeutung für die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie für die Länder Osteuropas und die postsowjetischen Staaten, die Vertragsparteien des Übereinkommens sind. Hauptziel des Übereinkommens ist es, die Öffentlichkeit bei Umweltangelegenheiten stärker einzubeziehen und ihr auf diese Weise die Möglichkeit zu bieten, einen aktiven Beitrag zu einem besseren Erhalt und Schutz der Umwelt zu leisten.

Die Annahme der Aarhus-Verordnung ergibt sich unmittelbar aus dem Übereinkommen von Aarhus; gleichzeitig trugen die früheren EU-Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten zur Gestaltung des Übereinkommens bei. Daher haben das Übereinkommen von Aarhus und die EU-Vorschriften im Laufe der Jahre gegenseitig eine Verstärkung und Weiterentwicklung bewirkt.

Die Feststellungen des Ausschusses zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens in dieser Sache (ACCC/C/2008/32) stellen für die EU ein Problem dar, da sie nicht der besonderen Rechtsordnung der EU Rechnung tragen.

Die EU unterstützt weiterhin die wichtigen Ziele des Übereinkommens von Aarhus.

(2)Das Übereinkommen von Aarhus

Beim Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten („Übereinkommen von Aarhus“) 1 handelt es sich um ein multilaterales Umweltübereinkommen unter Federführung der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE).

Es gewährleistet das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Informationen, auf die Beteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Dies sind wesentliche Instrumente, die dazu beitragen, wirksame umweltschutzpolitische Maßnahmen zu stärken.

Das Übereinkommen von Aarhus trat 2001 in Kraft und zählt gegenwärtig 47 Vertragsparteien, darunter die EU und ihre Mitgliedstaaten. Die Genehmigung durch die Europäische Gemeinschaft erfolgte am 17. Februar 2005 2 .

Bei Unterzeichnung und Genehmigung des Übereinkommens von Aarhus gab die EU eine Erklärung (im Folgenden „Erklärung der EU“) ab, in der sie die Gremien des Übereinkommens von Aarhus über den institutionellen und rechtlichen Rahmen der Gemeinschaft sowie die Aufteilung der Aufgaben zwischen ihr und ihren Mitgliedstaaten in den Bereichen, die unter das Übereinkommen fallen, unterrichtete. 3

Den Verpflichtungen aus dem Übereinkommen wurde im Hinblick auf die EU-Einrichtungen und Organe insbesondere mit der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft (im Folgenden „Aarhus-Verordnung“) 4 nachgekommen.

(3)Hintergrund der Sache

Der Ausschuss zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens von Aarhus (im Folgenden „Ausschuss“) prüft die Einhaltung des Übereinkommens durch die Vertragsparteien. Am 17. März 2017 gab er seine Feststellungen in der Sache ACCC/C/2008/32 5 bekannt, in der die Nichtregierungsorganisation (NRO) ClientEarth den Zugang zur Justiz auf EU-Ebene bemängelt hatte. Der Ausschuss stellte fest, dass die Vertragsbestimmungen über den Zugang zur Justiz auf EU-Ebene seiner Auslegung nach sowie die Kriterien für den Zugang zu verwaltungsbehördlichen Prüfungsverfahren gemäß der Aarhus-Verordnung gegen das Übereinkommen verstoßen.

(4)Rechtlicher Rahmen

Der Ausschuss kam zu dem Schluss, dass ein Verstoß gegen Artikel 9 Absätze 3 und 4 des Übereinkommens von Aarhus vorliegt. Gemäß Absatz 3 „stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen“. Gemäß Absatz 4 müssen diese Verfahren „angemessenen und effektiven Rechtsschutz“ sicherstellen und „fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer“ sein.

2.DIE PROBLEMSTELLUNG

(1)Die Feststellungen des Ausschusses

Nach Auffassung des Ausschusses gewähren weder die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Auslegung der Vertragsbestimmungen für den Zugang von Personen zu EU-Gerichten im Sinne des Artikels 263 Absatz 4 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) noch die Aarhus-Verordnung, in der eine verwaltungsbehördliche Überprüfung von Umweltrechtsakten der Kommission vorgesehen ist, NRO und Mitgliedern der Öffentlichkeit ausreichend Zugang zu Überprüfungsverfahren.

Der Ausschuss vertrat die Ansicht, dass Artikel 263 Absatz 4 AEUV in Bezug auf Nichtigkeitsklagen von Personen entsprechend der Auslegung des Gerichtshofs insofern zu eng gefasst ist, als er sich auf Rechtsakte mit Verordnungscharakter beschränkt, die die Person unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen. 6

Der Ausschuss fügte hinzu, dass die Aarhus-Verordnung diese Mängel nicht ausgleichen kann, da sie in den folgenden Punkten ebenfalls gegen das Übereinkommen verstößt:

der Aarhus-Überprüfungsmechanismus sollte über NRO hinaus auch für die Öffentlichkeit geöffnet werden;

die Überprüfung sollte sich auch auf allgemeine Rechtsakte erstrecken und nicht nur auf jene, die die klagende Person unmittelbar betreffen;

jeder Verwaltungsakt, der auch nur mit der Umwelt „im Zusammenhang steht“, sollte anfechtbar sein, nicht nur „Verwaltungsakte im Rahmen des Umweltrechts“;

auch Rechtsakte, die nicht rechtsverbindlich sind und keine Außenwirkung haben, sollten ebenfalls überprüft werden können. 7

Des Weiteren vertrat der Ausschuss den Standpunkt, dass die EU-Gerichte in der Rechtsprechung keine neue Richtung eingeschlagen haben, die die Einhaltung des Übereinkommens sicherstellen würde. 8

Schließlich empfahl der Ausschuss, dass die Rechtsprechung des EuGH das Übereinkommen umfassend berücksichtigen sollte oder dass die EU andernfalls die Aarhus-Verordnung ändern oder neue Rechtsvorschriften erlassen sollte. 9

(2)Standpunkt der Kommission zu den Feststellungen

Wie bereits erwähnt, wurden die Gremien des Aarhus-Übereinkommens mit der Erklärung der EU über die Besonderheiten der Rechtsordnung der Union unterrichtet.

Die Erklärung der EU wurde bei den Feststellungen jedoch in keinster Weise berücksichtigt.

Die spezifischen Merkmale des Systems der gerichtlichen Überprüfung sind in der Tat in den EU-Verträgen sorgfältig verankert, sodass alle Unionsbürger Zugang zur Justiz erhalten. Der Zugang zur gerichtlichen Überprüfung von EU-Maßnahmen beschränkt sich nicht auf Klagen unmittelbar vor den Gerichten der EU, sondern kann auch vor einem einzelstaatlichen Gericht erfolgen, das den EuGH mit der Frage der Rechtmäßigkeit befassen kann – in einigen Fällen sogar befassen muss; dieser kann einen Rechtsakt oder eine Handlung der EU für ungültig erklären.

Insbesondere im Hinblick auf Klagen natürlicher oder juristischer Personen gegen umweltrechtliche Maßnahmen der EU vor den EU-Gerichten ist in Artikel 263 Absatz 4 AEUV vorgesehen, dass sie „... gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben“ können.

Die Bedingungen dieser und vorhergehender Bestimmungen wurden durch den EuGH in seiner Rechtsprechung ausgelegt; dabei handelt es sich bei der Rechtssache Plaumann 10 um einen für die Auslegung der Formulierung „individuell betreffend“ richtungweisenden Fall, in dem der EuGH entschieden hat, dass, wer nicht Adressat einer Entscheidung ist, nur dann geltend machen kann, von ihr betroffen zu sein, „wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten“. Der Gerichtshof entwickelte seine Rechtsprechung in der Rechtssache Plaumann im Laufe der Jahre weiter, wendete sie auf bestimmte rechtliche oder sachliche Umstände an und passte sie an, unabhängig davon, wer Klage einreichte. 11

Mit dem Vertrag von Lissabon wurden die Vorschriften zur Klagebefugnis von Privatpersonen im Rahmen der Nichtigkeitsklagen erweitert, indem in Absatz 4 der letzte Satzteil („... sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“) angefügt wurde. Unter diesen Bedingungen muss der Kläger nicht nachweisen, dass die angefochtene Handlung ihn oder sie unmittelbar betrifft.

Der Sekundärgesetzgeber der Union darf die Bestimmungen von Artikel 263 Absatz 4 AEUV nicht ändern und muss die durch die Unionsgerichte entwickelte Rechtsprechung respektieren, die über die ordnungsgemäße Auslegung des Vertrags entscheidet. Auch das Aarhus-Übereinkommen ermöglicht keine Ausnahmen von Artikel 263 Absatz 4 AEUV. 12

Neben der Ausweitung des direkten Zugangs zu EU-Gerichten gemäß Artikel 263 Absatz 4 AEUV übertrug der Vertrag von Lissabon den einzelstaatlichen Gerichten mit Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 EUV eine besonders wichtige Rolle: „Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“ In diesem Sinne ist das System der Vorabentscheidungen des EuGH laut dem Gutachten 2/13 des EuGH zum Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte 13 das Schlüsselelement der Rechtsordnung der EU.

Dies ist besonders relevant im Umweltrecht der EU, in dem gerichtliche und verwaltungsbehördliche Verfahren nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts „im Wesentlichen“ dem Recht der Mitgliedstaaten unterliegen, wie der EuGH in zwei im Jahr 2015 ergangenen Urteilen der Großen Kammer zur Bedeutung des Übereinkommens von Aarhus in der Rechtsordnung der EU ausführte. 14

Nach Auffassung der Kommission erkennen die Feststellungen des Ausschusses weder die zentrale Rolle der einzelstaatlichen Gerichte als ordentliche Gerichte des Unionsrechts 15 , noch das System der Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 267 AEUV als gültigen Rechtsbehelf an.

Entgegen den Feststellungen des Ausschusses bietet die Rechtsordnung der EU ein umfassendes Rechtsbehelfssystem. 16 In der Tat haben auch Einzelpersonen, die die Zulässigkeitskriterien gemäß Artikel 263 Absatz 4 AEUV auch in ihrer erweiterten Form nach dem Vertrag von Lissabon nicht erfüllen, wirksamen Zugang zu den Gerichten und zum gerichtlichen Schutz ihrer Rechte gegen unionsrechtliche Maßnahmen. Je nach Fall können sie sich an die einzelstaatlichen Gerichte wenden und diese ersuchen, den EuGH gemäß Artikel 267 AEUV mit der Vorabentscheidung über die Gültigkeit zu befassen, oder gemäß Artikel 277 AEUV indirekt die Unanwendbarkeit von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung vor den Gerichten der Union geltend machen.

In Bezug auf die verwaltungsbehördliche Überprüfung fordert der Ausschuss die EU zunächst auf, die Überprüfung von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung in Umweltangelegenheiten zuzulassen. Im Übereinkommen von Aarhus ist aber nicht vorgesehen, dass diese Rechtsakte einer verwaltungsbehördlichen Überprüfung unterzogen werden müssen, noch ist klar, in welchem Umfang eine solche Überprüfung dieser besonderen Kategorie von Rechtsakten Sinn ergibt.

Ferner kann Artikel 9 Absatz 3 des Übereinkommens von Aarhus nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass die verwaltungsbehördliche Überprüfung nicht bindender Akte ohne Außenwirkung gefordert würde. Maßnahmen, die lediglich intern innerhalb der Verwaltung rechtliche Wirkung entfalten und aus denen Dritten keine Rechte oder Pflichten erwachsen, stellen keine Entscheidungen dar, die sich negativ auf Dritte auswirken.

In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass die Große Kammer des Gerichtshofs im Jahr 2015 die Ansicht vertrat, dass die Aarhus-Verordnung, die ausschließlich EU-Organe und nur einen der Einzelpersonen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe zur Gewährleistung der Einhaltung des EU-Umweltrechts betrifft, nicht zur Umsetzung der Verpflichtungen, die sich aus Artikel 9 Absatz 3 des Übereinkommens von Aarhus im Hinblick auf einzelstaatliche verwaltungsbehördliche oder gerichtliche Verfahren ergeben, dienen sollte, die nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts im Wesentlichen dem Recht der Mitgliedstaaten unterliegen. Angesichts der Tatsache, dass die Aarhus-Verordnung als EU-Rechtsakt nicht zur Umsetzung von Artikel 9 Absatz 3 des Übereinkommens von Aarhus dienen sollte, kann die Einhaltung dieser Bestimmung innerhalb der Rechtsordnung der EU durch andere Mittel gewährleistet werden als durch eine Änderung der Aarhus-Verordnung, wie sie der Ausschuss in seinen Empfehlungen befürwortet.

(3)Auswirkungen der Feststellungen

Der Ausschuss empfahl, dass die Tagung der Vertragsparteien Leitlinien beschließen soll, denen der Gerichtshof bei der Auslegung des Übereinkommens von Aarhus zu folgen hat.

Allerdings ist es entsprechend den Grundsätzen der Gewaltenteilung und des institutionellen Gleichgewichts nicht möglich, die Feststellungen des Ausschusses mithilfe der Rechtsprechung des EuGH umzusetzen, da die Gerichte in ihrer gerichtlichen Funktion unabhängig sind.

In Bezug auf die Aarhus-Verordnung vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass die Kriterien dafür, wer eine Überprüfung verlangen (ratione personae, persönlicher Geltungsbereich) und was überprüft werden kann (ratione materiae, sachlicher Geltungsbereich), zu eng gefasst sind. Die vom Ausschuss geforderte Ausweitung des Geltungsbereichs würde einer riesigen Anzahl möglicher Kläger Zugang zum Mechanismus der gerichtlichen Überprüfung – und letztlich zum EuGH – gewähren und dies für Rechtsakte, die keine rechtlichen Auswirkungen haben und deren Geltungsbereich weit über Umweltangelegenheiten hinausgeht. 

Sollte die Aarhus-Verordnung zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der verwaltungsbehördlichen Überprüfung geändert werden, würde der Zugang zu den Gerichten der EU entsprechend den Bestimmungen des AEUV und der konsolidierten Rechtsprechung erheblich erweitert. Maßnahmen, die gemäß Artikel 263 Absatz 4 nicht anfechtbar sind, wie z. B. an die Mitgliedstaaten gerichtete Beschlüsse, die ihnen übergangsweise die Möglichkeit einräumen, kostenlos Zertifikate zuzuteilen, würden Gegenstand einer verwaltungsbehördlichen Überprüfung. Auf der anderen Seite könnte laut Gerichtshof ein infolge eines Antrags auf eine verwaltungsbehördliche Überprüfung ergangener Beschluss durch eine Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 263 Absatz 4 AEUV angefochten werden, in deren Rahmen der Kläger ebenfalls durch Antrag auf eine verwaltungsbehördliche Überprüfung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen EU-Maßnahme infrage stellen könnte. 17

Auch der Begriff des Verwaltungsakts „zur Regelung eines Einzelfalls“ (der eine Voraussetzung für die verwaltungsbehördliche Überprüfung gemäß Artikel 10 der Aarhus-Verordnung bildet) wurde vom Gerichtshof bisher so ausgelegt, dass er sich nicht wesentlich von einer anfechtbaren Handlung im Sinne von Artikel 263 Absatz 4 AEUV unterscheidet. 18 Daraus folgt, dass die Ausweitung der Kategorie der Rechtsakte, die für eine verwaltungsbehördliche Überprüfung infrage kommen, diese indirekt auch gemäß Artikel 263 Absatz 4 AEUV anfechtbar machen würde.

Im Wesentlichen würden die EU-Gerichte durch die Änderungen des Sekundärrechts für eine ganz neue Kategorie von Rechtssachen zuständig, in denen die zugrunde liegenden Rechtsakte, die zum Gegenstand einer verwaltungsbehördlichen Überprüfung gemacht würden, gemäß Artikel 263 Absatz 4 AEUV nicht anfechtbar wären. Solche Änderungen könnten das in den Verträgen vorgesehene System des gerichtlichen Rechtsschutzes erheblich aus dem Gleichgewicht bringen.

3.Weitere Schritte im Aarhus-Verfahren

Die Feststellungen des Ausschusses werden der sechsten Tagung der Vertragsparteien des Übereinkommens von Aarhus, die vom 11. bis 14. September 2017 in Budva (Montenegro) stattfindet, zur Billigung vorgelegt, wodurch sie den Status einer offiziellen Auslegung nach dem Übereinkommen von Aarhus erhalten und somit für die Vertragsparteien und die Gremien des Übereinkommens verbindlich gemacht würden.

Die Tagung der Vertragsparteien fasst Beschlüsse in der Regel durch Konsens. Sind alle Bemühungen, einen Konsens zu erreichen, ausgeschöpft, so wird in wesentlichen Punkten mit Dreiviertelmehrheit der auf der Tagung anwesenden und abstimmenden Vertragsparteien beschlossen. 19

4.Fazit

Die Feststellungen des Ausschusses ziehen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des EU-Rechts in Zweifel, die von so grundlegendem Charakter sind, dass es der EU rechtlich unmöglich ist, den Feststellungen zu folgen und sich an diese zu halten.

Im Laufe des Einhaltungsverfahrens hat die EU den Ausschuss um eine zweite Anhörung ersucht, um den institutionellen Rahmen der Union weiter zu erläutern. Der Ausschuss lehnte dieses Ersuchen jedoch ab. Es besteht keine weitere Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Feststellungen des Ausschusses. Zur vollen Wahrung ihrer institutionellen Besonderheiten und der Autonomie der Rechtsordnung der EU bleibt der EU keine andere Wahl, als auf der Tagung der Vertragsparteien gegen die Billigung dieser Feststellungen zu stimmen.

In Anbetracht dieser Erwägungen sollte die EU die Feststellungen in der Sache ACCC/C/2008/32 auf der bevorstehenden Tagung der Vertragsparteien ablehnen.

Der Standpunkt der EU in dieser Frage bedeutet nicht, dass sie sich weniger stark für die Grundsätze und Ziele des Übereinkommens von Aarhus engagiert.

Im Gegensatz zu früheren Feststellungen zur Einhaltung des Übereinkommens erfordert dieser konkrete Fall einen Beschluss des Rates im Sinne von Artikel 218 Absatz 9 AEUV.

2017/0151 (NLE)

Vorschlag für einen

BESCHLUSS DES RATES

über den Standpunkt, der im Namen der Europäischen Union auf der sechsten Tagung der Vertragsparteien des Übereinkommens von Aarhus in Bezug auf die die Einhaltung des Übereinkommens betreffende Sache ACCC/C/2008/32 zu vertreten ist

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 192 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 218 Absatz 9,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)Am 17. Februar 2005 wurde das Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten („Übereinkommen von Aarhus“) 20 im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2005/370/EG des Rates 21 genehmigt.

(2)Die Union kam den Verpflichtungen aus dem Übereinkommen im Hinblick auf ihre Einrichtungen und Organe insbesondere mit der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft („Aarhus-Verordnung“) 22 nach.

(3)Gemäß Artikel 15 des Übereinkommens wurde der Ausschuss zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens von Aarhus eingerichtet, dem die Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen des Übereinkommens durch die Vertragsparteien obliegt.

(4)Am 17. März 2017 gingen bei der Union in der Sache ACCC/C/2008/32 Feststellungen in Bezug auf den Zugang zu den Gerichten auf Ebene der EU ein. 23 Der Ausschuss stellte fest, dass „die betreffende Vertragspartei den Artikel 9 Absätze 3 und 4 des Übereinkommens im Hinblick auf den Zugang der Öffentlichkeit zu den Gerichten nicht einhält, da weder die Aarhus-Verordnung noch die Rechtsprechung des EuGH die Verpflichtungen aus diesen Absätzen umsetzt oder diesen entspricht“ (Rn. 123 der Feststellungen des Ausschusses).

(5)Die Gremien des Übereinkommens von Aarhus wurden durch die Erklärung, die die EU bei Unterzeichnung abgab und bei Genehmigung des Übereinkommens bekräftigte, unterrichtet, dass „die Organe der Gemeinschaft das Übereinkommen im Rahmen ihrer bestehenden und künftigen Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten und im Rahmen anderer einschlägiger Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in dem unter das Übereinkommen fallenden Bereich anwenden werden“.

(6)Die Feststellungen erkennen weder die zentrale Rolle der einzelstaatlichen Gerichte bei der Umsetzung des Artikels 9 Absatz 3 des Übereinkommens von Aarhus noch das System der Vorabentscheidungsverfahren durch den Gerichtshof der Europäischen Union als gültigen Rechtsbehelf an. 24

(7)In den Feststellungen wird der Tagung der Vertragsparteien empfohlen, Maßnahmen zu ergreifen, die eindeutig im Widerspruch zu den fundamentalen Grundsätzen der Rechtsordnung der EU und des Systems der gerichtlichen Überprüfung stehen. Die Feststellungen tragen nicht der besonderen Rechtsordnung der EU Rechnung.

(8)Die EU unterstützt weiterhin in vollem Umfang die wichtigen Ziele des Übereinkommens von Aarhus.

(9)Die Feststellungen werden der sechsten Tagung der Vertragsparteien des Übereinkommens von Aarhus im September 2017 in Budva (Montenegro) vorgelegt, wo sie den Status einer offiziellen Auslegung nach dem Übereinkommen von Aarhus erhalten würden; dies würde sie für die Vertragsparteien und die Gremien des Übereinkommens verbindlich machen —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Auf der sechsten Tagung der Vertragsparteien des Übereinkommens von Aarhus ist im Namen der Europäischen Union in Bezug auf die die Einhaltung des Übereinkommens betreffende Sache ACCC/C/2008/32 der folgende Standpunkt zu vertreten:

Abstimmung gegen die Billigung der Feststellungen.

Artikel 2

Dieser Beschluss tritt am Tag seiner Annahme in Kraft.

Geschehen zu Brüssel am

   Im Namen des Rates

   Der Präsident

(1) Siehe UNECE-Website: http://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/documents/cep43e.pdf
(2) Beschluss 2005/370/EG des Rates (ABl. L 124 vom 17.5.2005, S. 1).
(3) Die Erklärung der EU ist auf der UNECE-Website unter der Überschrift „Declarations and Reservations“ („Erklärungen und Vorbehalte“) einzusehen:  https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=IND&mtdsg_no=XXVII-13&chapter=27&clang=_en
(4) ABl. L 264 vom 25.9.2006, S. 13.
(5) http://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/compliance/C2008-32/Findings/C32_EU_Findings_as_adopted_advance_unedited_version.pdf
(6) Siehe Randnummern 60–84 der Feststellungen.
(7) Siehe Randnummern 85–121 der Feststellungen.
(8) Siehe Randnummern 122–123 und 81–83 der Feststellungen.
(9) Siehe Randnummern 124–126 der Feststellungen.
(10) Rechtssache 25/62, Plaumann / Kommission, ECLI:EU:C:1963:17.
(11) Siehe beispielsweise Rechtssache C-456/13 P, T & L Sugars und Sidul Acúcares / Kommission, ECLI:EU:C:2015:284, Rn. 63; Rechtssache C-583/11 P, Inuit Tapiriit Kanatami u. a. / Parlament und Rat, ECLI:EU:C:2013:625, Rn. 72; Rechtssache C-274/12 P, Telefónica / Kommission, ECLI:EU:C:2013:852, Rn. 46.
(12) Siehe beispielsweise die Rechtssache T-600/15, PAN Europe u.a. / Kommission, in der der Gerichthof urteilte, „dass die von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte, darunter das Übereinkommen von Århus, keinen Vorrang vor dem Primärrecht der Union haben, so dass auf der Grundlage dieses Übereinkommens keine Abweichung von Art. 263 Abs. 4 AEUV zugelassen werden kann“ (Rn. 56 des Beschlusses, ECLI:EU:T:2016:601).
(13) Siehe insbesondere Rn. 198 des Gutachtens 2/13.
(14) Verbundene Rechtssachen C-401/12 P bis C-403/12 P, Rat und Kommission / Vereniging Milieudefensie u. a., ECLI:EU:C:2015:4, Rn. 60; Verbundene Rechtssachen C-404/12 P und C-405/12 P, Rat und Kommission / Stichting Natuur en Milieu u. a., ECLI:EU:C:2015:5, Rn. 52;
(15) Gutachten 1/09, Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems, EU:C:2011:123, Rn. 80.
(16) Siehe beispielsweise Rechtssache C-50/00 P, Unión de Pequeños Agricultores / Rat, ECLI:EU:C:2002:462, Rn. 40, oder verbundene Rechtssachen T-263/04 und T-241/04, EEB u. a. / Kommission, ECLI:EU:T:2005:426, Randnummer 66.
(17) Rechtssache T-177/13, Test BioTech u. a. / Kommission, ECLI:EU:T:2016:736, Rn. 56, zweiter Satz.
(18) Siehe beispielsweise Rechtssache T-19/13, Frank Bold / Kommission, ECLI:EU:T:2015:520, Rn. 38 und 44–45 und Rechtssache T-565/14, EEB / Kommission, ECLI:EU:T:2015:559, Rn. 40–49.
(19) Beschluss I/1 über die Geschäftsordnung (vgl. insbesondere Artikel 35 über die Beschlussfassung), siehe http://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/documents/mop1/ece.mp.pp.2.add.2.e.pdf .
(20) http://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/documents/cep43e.pdf
(21) Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 über den Abschluss des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten im Namen der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 124 vom 17.5.2005, S. 1).
(22) ABl. L 264 vom 25.9.2006, S. 13.
(23) http://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/compliance/C2008-32/Findings/C32_EU_Findings_as_adopted_advance_unedited_version.pdf
(24) Siehe insbesondere Absatz 58 der Feststellungen: „Zwar ist das System der gerichtlichen Überprüfung durch die einzelstaatlichen Gerichte der EU-Mitgliedstaaten, einschließlich der Möglichkeit eines Ersuchens um Vorabentscheidung, ein wesentliches Element, um eine einheitliche Anwendung und ordnungsgemäße Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, jedoch kann auf dieser Grundlage der Öffentlichkeit nicht allgemein der Zugang zu den Gerichten der EU verweigert werden, um dort Beschlüsse, Handlungen und Unterlassungen von Organen und Einrichtungen der EU anzufechten.“