EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 11.7.2017
COM(2017) 373 final
BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
Erstprüfung des Anwendungsbereichs der Durchsetzungsverordnung
EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 11.7.2017
COM(2017) 373 final
BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
Erstprüfung des Anwendungsbereichs der Durchsetzungsverordnung
BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
Erstprüfung des Anwendungsbereichs der Durchsetzungsverordnung
Mit der am 15. Mai 2014 vom Europäischen Parlament und vom Rat erlassenen Durchsetzungsverordnung 1 erhielt die Europäische Union einen Rechtsrahmen, der er ihr ermöglicht, ihre Rechte im Zusammenhang mit internationalen Handelsübereinkünften schnell und effektiv sowie im Einklang mit dem Vertrag von Lissabon und ihren internationalen Verpflichtungen durchzusetzen und zu verteidigen.
Die Durchsetzungsverordnung gewährleistet, dass die Europäische Union ihre Rechte im Rahmen internationaler Handelsübereinkünfte durch den Erlass handelspolitischer Maßnahmen durchsetzen und verteidigen kann,
―durch die nach einer Entscheidung über Handelsstreitigkeiten im Rahmen derartiger Übereinkünfte Zugeständnisse oder sonstige Verpflichtungen aus dem WTO-Übereinkommen oder anderen internationalen Handelsübereinkünften – einschließlich regionaler und bilateraler Übereinkünfte – ausgesetzt werden und
―durch die das Gleichgewicht von Zugeständnissen oder sonstigen Verpflichtungen wiederhergestellt wird, indem die Union in Reaktion auf Schutzmaßnahmen eines anderen WTO-Mitglieds ihre Rechte nach dem WTO-Übereinkommen über Schutzmaßnahmen oder den Schutzklauseln in anderen internationalen Handelsübereinkünften ausübt oder indem sie in Reaktion auf Änderungen von Zugeständnissen durch ein WTO-Mitglied ihr Recht nach Artikel XXVIII GATT 1994 wahrnimmt.
Die Durchsetzungsverordnung befugt die Kommission, derartige handelspolitische Maßnahmen in Form von Durchführungsrechtsakten im Bereich des Warenhandels – durch die Einführung oder Erhöhung von Zöllen auf Warenein- oder -ausfuhren oder entsprechender mengenmäßiger Beschränkungen – sowie im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge zu erlassen. Die Durchsetzungsverordnung befugt die Kommission jedoch nicht, derartige handelspolitische Maßnahmen in Form von Durchführungsrechtsakten im Bereich der Dienstleistungen oder des geistigen Eigentums zu erlassen.
Nach der Durchsetzungsverordnung ist die Kommission gehalten, den Anwendungsbereich der handelspolitischen Maßnahmen, die sie durch Durchführungsrechtsakte erlassen darf, zu überprüfen. 2 Die Überprüfung durch die Kommission muss in zwei Stufen erfolgen.
Spätestens drei Jahre nach dem ersten Erlass eines Durchführungsrechtsakts oder spätestens am 18. Juli 2019, je nachdem, was der frühere Zeitpunkt ist, muss die Kommission den Anwendungsbereich der Durchsetzungsverordnung – insbesondere hinsichtlich der handelspolitischen Maßnahmen, die erlassen werden können – sowie ihre Durchführung überprüfen und dem Europäischen Parlament und dem Rat Bericht über ihre Erkenntnisse erstatten. Die Kommission wird eine abschließende Überprüfung vornehmen und den beiden gesetzgebenden Organen innerhalb der vereinbarten Frist Bericht erstatten.
Bis zum 18. Juli 2017 muss die Kommission überprüfen, ob zusätzliche handelspolitische Maßnahmen im Bereich Dienstleistungen ins Auge zu fassen sind; außerdem muss sie u. a. eine Reihe von in Artikel 10 Absatz 2 aufgeführten Aspekten der Durchsetzungsverordnung überprüfen und ihre erste Bewertung dem Europäischen Parlament und dem Rat vorlegen. Die Kommission hat eine solche Erstprüfung vorgenommen; ihre Bewertung wird im Folgenden dargelegt.
In ihrer Erstprüfung der Durchsetzungsverordnung hat die Kommission Folgendes bewertet: i) die internationalen Entwicklungen in Bezug auf die Aussetzung sonstiger Verpflichtungen im Rahmen des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS), ii) die Entwicklungen innerhalb der Europäischen Union in Bezug auf die Annahme gemeinsamer Regeln im Bereich Dienstleistungen, iii) die Wirksamkeit möglicher zusätzlicher handelspolitischer Maßnahmen als Mittel zur Durchsetzung der Rechte der Union im Rahmen internationaler Handelsübereinkünfte, iv) die verfügbaren Mechanismen zur Sicherstellung der praktischen Anwendung, in einheitlicher und effizienter Art und Weise, von möglichen zusätzlichen handelspolitischen Maßnahmen im Bereich Dienstleistungen und v) die Auswirkungen auf Dienstleister, die zum Zeitpunkt des Erlasses von Durchführungsrechtsakten gemäß der Verordnung in der Union ansässig sind.
Auf der Grundlage ihrer Erstbewertung beabsichtigt die Kommission derzeit nicht, eine Ausweitung der Befugnisse nach der Durchsetzungsverordnung, also den Erlass handelspolitischer Maßnahmen im Bereich Dienstleistungen, vorzuschlagen, da sie seit Inkrafttreten der Durchsetzungsverordnung am 15. Mai 2014 keine neuen Entwicklungen beobachtet hat, die eine solche Ausweitung der Befugnisse erforderlich machen würden.
Zum Ersten hat die Kommission keine neuen Entwicklungen auf internationaler Ebene in Bezug auf die Aussetzung von Zugeständnissen oder sonstiger Verpflichtungen im Rahmen des GATS beobachtet. Insbesondere hat die Kommission geprüft, ob ein WTO-Mitglied beim Streitbeilegungsgremium (Dispute Settlement Body – „DSB“) der WTO die Erlaubnis zum Erlass von Gegenmaßnahmen im Bereich Dienstleistungen eingeholt hat. Bis zum 15. Mai 2014 hatten WTO-Mitglieder beim DSB die Erlaubnis zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen in fünf Streitfällen eingeholt: Kolumbien – Textilien, Indien – Landwirtschaftliche Erzeugnisse, USA – Thunfisch II (Mexiko), USA – Ursprungslandkennzeichnung (Mexiko), und USA – Ursprungslandkennzeichnung (Kanada). Keiner dieser Anträge beim DSB auf Erlaubnis zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen wurde von der EU gestellt und keiner dieser Anträge betraf den Handel mit Dienstleistungen nach dem GATS.
Zum Zweiten konnte die Kommission keine neuen Entwicklungen innerhalb der Europäischen Union in Bezug auf die Annahme gemeinsamer Regeln im Bereich Dienstleistungen erkennen, die Anlass zur Änderung der Schlussfolgerung böten, dass es beim derzeitigen Stand der Entwicklung des Rechts der Europäischen Union angebracht ist, sich hinsichtlich der Befugnis der Kommission zur Annahme handelspolitischer Maßnahmen nach der Durchsetzungsverordnung auf andere Bereiche als die Dienstleistungen zu konzentrieren.
Am 16. Mai 2017 erstattete der Gerichtshof der Europäischen Union sein Gutachten in der Frage, ob die Europäische Union über die ausschließliche Zuständigkeit für die Unterzeichnung und den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Singapur verfügt. Der Gerichtshof erklärte, dass die Europäische Union über die ausschließliche Zuständigkeit unter anderem in Bezug auf die Teile des Abkommens verfügt, die den Marktzugang für Waren und Dienstleistungen (einschließlich aller Verkehrsdienstleistungen) betreffen.
Ungeachtet dieser wichtigen Klarstellung durch den Gerichtshof und ungeachtet des Erlasses gemeinsamer Vorschriften für bestimmte Dienstleistungssektoren 3 durch die Europäische Union, ist festzustellen, dass die von den Mitgliedstaaten erlassenen Regeln nach wie vor in zahlreichen Wirtschaftszweigen gelten, und zwar unabhängig davon, ob sie auf europäischer Ebene harmonisiert sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: bestimmte Vorschriften auf Ebene der Mitgliedstaaten machen das Erbringen von Dienstleistungen in einem bestimmten Sektor weiterhin von einem nationalen Genehmigungssystem abhängig, das auf Lizenzen, Genehmigungen oder Zulassungen beruht. Das Nebeneinander von gemeinsamen Vorschriften sowie Regeln und Genehmigungssystemen der Mitgliedstaaten in den Dienstleistungssektoren ist noch immer ein wichtiger Faktor, wenn es um die Frage geht, ob der Kommission im Rahmen der Durchsetzungsverordnung die Befugnis zum Erlass handelspolitischer Maßnahmen im Bereich Dienstleistungen erteilt werden sollte.
Zum Dritten hat die Kommission aufgrund der inhärenten Merkmale, die die Erbringung von Dienstleistungen (einschließlich der Durchsetzbarkeit von Beschränkungen) kennzeichnen, keine neuen Entwicklungen beobachtet, was mögliche praktische Beschränkungen der Durchführbarkeit und Wirksamkeit handelspolitischer Maßnahmen im Bereich Dienstleistungen anbelangt. Es waren auch keine neuen Entwicklungen bei den Bedingungen, insbesondere beim Rechtsrahmen nach dem AEUV, erkennbar, die für die Lage der in der Union ansässigen Dienstleister relevant wären, falls Durchführungsrechtsakte auf sie angewendet würden.
Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Die Erstbewertung der Kommission ergab, dass seit Inkrafttreten der Durchsetzungsverordnung und bis auf Weiteres keine internationale, europäische oder sonstige wesentliche Entwicklung eine Änderung an einem Ansatz rechtfertigen kann, der die Ausweitung der Befugnisse der Kommission zum Erlass handelspolitischer Maßnahmen nach der Durchsetzungsverordnung auf den Bereich Dienstleistungen vorsieht.
Dessen ungeachtet wird die Kommission weiterhin alle relevanten Entwicklungen beobachten, um den Anwendungsbereich der Durchsetzungsverordnung überprüfen und dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 18. Juli 2019 einen Bericht vorlegen zu können; dabei werden auch ihre Erfahrungen mit der Ausarbeitung und Anwendung handelspolitischer Maßnahmen, mit denen Zugeständnisse oder sonstige Verpflichtungen aus internationalen Handelsübereinkünften ausgesetzt oder angepasst werden, einfließen.
Die Kommission unterstreicht die wachsende Bedeutung der Dienstleistungen für die Wirtschaft von heute. Dienstleistungen werden zunehmend grenzüberschreitend gehandelt und stehen in einer engen Wechselbeziehung zum traditionellen produzierenden Gewerbe und zu den Investitionen. Entsprechend steigt auch die Zahl der Streitbeilegungsverfahren im Bereich der Dienstleistungen bei der WTO. Das Ergreifen von Gegenmaßnahmen im Bereich Dienstleistungen bleibt somit eine Option.
Die Kommission bekräftigt außerdem, dass die Handelspolitik der EU die Stellung Europas in den globalen Lieferketten stärken muss, indem sie alle Wirtschaftstätigkeiten, durch die europäische Unternehmen einen Wert schöpfen und verkaufen – einschließlich der Dienstleistungen – unterstützt. Darum hat die Europäische Union eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen über ein Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen und über internationale Handelsübereinkünfte mit einer starken Dienstleistungskomponente übernommen.
Diesbezüglich hält die Kommission fest, dass, sollte es sich für die Europäische Union als notwendig erweisen, handelspolitische Maßnahmen zu ergreifen, die nicht unter die Durchsetzungsverordnung fallen (auch im Bereich des Handels mit Dienstleistungen), die Kommission Vorschläge für Rechtsakte nach Artikel 207 AEUV unterbreiten oder auf sonstige anwendbare Verfahren zurückgreifen kann.