28.6.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 227/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge im Rahmen des Gesamtkonzepts der Union zur Verringerung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007“

(COM(2017) 676 final — 2017/0293 (COD))

(2018/C 227/07)

Berichterstatter:

Dirk BERGRATH

Befassung

Europäisches Parlament, 5.2.2018

Rat, 9.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

24.1.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.2.2018

Plenartagung Nr.

532

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

124/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt grundsätzlich die Vorschläge der Kommission als ausgewogenen Kompromiss zwischen den Zielen der klimaneutralen Mobilität, der Innovationsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie und dem Erhalt qualitativ hochwertiger Beschäftigung.

1.2.

Der EWSA hält insbesondere das für 2025 vorgesehene Zwischenziel von 15 Prozent Emissionsminderung gegenüber dem Jahr 2021 für sehr anspruchsvoll, da die erforderten Veränderungen an Verbrennungsmotoren im technischen Grenzbereich liegen. Der EWSA erwartet von der Kommission eine laufende Überwachung der Typenzulassungen von Neufahrzeugen, um den weiteren Einbau von unzulässigen Motorkomponenten zu vermeiden. Besonders schwierig wird die Erreichung der Reduktionsziele bis 2025 für die leichten Nutzfahrzeuge mit ihren längeren Produktions- und Entwicklungszyklen. Ungeachtet dessen sieht der EWSA die Marktentwicklung zu Null-Emissions-Fahrzeugen und Niedrig-Emissions-Fahrzeugen bzw. Hybriden als Chance.

1.3.

Der EWSA begrüßt die verbesserte Marktüberwachung durch die Messung und Überwachung des realen Kraftstoffverbrauchs auf der Grundlage der Verpflichtung der Hersteller, standardisierte Geräte in neue Fahrzeuge einzubauen.

1.4.

Der Strukturwandel hin zu alternativen Antrieben wird — zusammen mit Digitalisierung, autonomem Fahren und Anderem — mit einschneidenden Veränderungen der automobilen Wertschöpfungsketten verbunden sein. Der EWSA begrüßt die Position der Kommission, die elektromobile Wertschöpfungskette in Europa anzusiedeln („EU Battery Alliance“), fordert aber energischeres Handeln.

1.5.

Von der Geschwindigkeit dieses Strukturwandels hängt die Gefährdung für Arbeitsplätze und Beschäftigung ab. Der EWSA fordert die Kommission auf, diesen Strukturwandel industriepolitisch zu begleiten, da eine vollständige soziale und ökonomische Folgenabschätzung fehlt. Massenentlassungen lehnt der EWSA ab.

1.6.

In der für 2024 angestrebten Zwischenbewertung sollte aus Sicht des EWSA geprüft werden, inwieweit die klima-, innovations- und beschäftigungspolitischen Ziele erreicht wurden. Das hängt wesentlich davon ab, wie sich der Markt für alternative Antriebe bis 2024 entwickelt hat, in welchem Umfang die Ladesäulen aufgebaut sind und inwieweit die Stromnetze für den erkennbaren zusätzlichen Strombedarf um- und aufgerüstet wurden.

1.7.

Der EWSA fordert für die Zwischenbewertung einen Sachstand zur Qualifizierung, Umschulung und Ausbildung der Beschäftigten sowie eine aktualisierte Analyse, in welchen Bereichen (zusätzlicher) Handlungsbedarf besteht, um die Kompetenzen und Qualifikationen der Beschäftigten in der Automobilindustrie für den Strukturwandel weiter zu entwickeln.

1.8.

Der EWSA ist der Ansicht, dass etwaige Zwangsgelder sowohl aus der bestehenden als auch der neugefassten Verordnung dazu verwendet werden sollten, den Sektor und seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Übergang zu kohlenstoffarmen Produkten zu unterstützen. Zusätzliche finanzielle Mittel sollen zur Verfügung gestellt werden, um Beschäftigten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu garantieren.

2.   Einleitung

2.1.

Im Oktober 2014 haben die Staats- und Regierungschefs der EU (1) das verbindliche Ziel aufgestellt, die in der Union verursachten Emissionen bis 2030 in der gesamten Wirtschaft um mindestens 40 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Diese Zielvorgabe beruht auf weltweiten Projektionen, die mit dem mittelfristigen Horizont des Übereinkommens von Paris zum Klimawandel (COP 21) (2) im Einklang stehen. Viele Länder setzen derzeit Maßnahmen für einen emissionsarmen Verkehr um, u. a. in Form von Fahrzeugnormen, oftmals auch in Verbindung mit Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität.

2.2.

In der im Juni 2016 veröffentlichten europäischen Strategie für emissionsarme Mobilität (3) wird als Ziel vorgegeben, dass die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen bis 2050 um mindestens 60 % niedriger als im Jahr 1990 sein und eine klare Tendenz Richtung null aufweisen müssen. In der Strategie wurde deutlich gemacht, dass die Nutzung emissionsarmer/-freier Fahrzeuge gesteigert werden müsste, um bis 2030 einen bedeutenden Marktanteil zu erreichen und die EU konsequent auf den langfristigen Weg einer emissionsfreien Mobilität zu bringen.

2.3.

Als ein erster Schritt war die Strategie Teil eines im Mai 2017 vorgelegten Legislativpakets (4) und wurde mit der ebenfalls im Mai 2017 veröffentlichten Mitteilung „Europa in Bewegung — Agenda für einen sozial verträglichen Übergang zu sauberer, wettbewerbsfähiger und vernetzter Mobilität für alle“ (5) umgesetzt.

2.3.1.

Mit dieser Mitteilung sollen die Verkehrssicherheit verbessert, eine gerechtere Mauterhebung gefördert, CO2-Emissionen, Luftverschmutzung, Verkehrsüberlastung und der Verwaltungsaufwand für Unternehmen verringert, illegale Beschäftigung bekämpft sowie angemessene Bedingungen und Ruhezeiten für die Arbeitnehmer gewährleistet werden.

2.3.2.

In dieser Mitteilung wird präzisiert, dass die EU die besten emissionsarmen, vernetzten und automatisierten Mobilitätslösungen, Ausrüstungen und Fahrzeuge entwickeln, anbieten und herstellen sowie über die modernste unterstützende Infrastruktur verfügen will. Zudem wird betont, dass die EU bei der Ausrichtung kontinuierlicher Veränderungen in der Automobilindustrie weltweit eine Führungsrolle übernehmen und auf den großen, bereits erzielten Fortschritten aufbauen muss.

2.4.

Der Verordnungsvorschlag ist Teil eines umfassenderen Mobilitätspakets (6), das auch nachfrageseitige Maßnahmen zur Unterstützung der in diesem Vorschlag enthaltenen angebotsseitigen Maßnahmen umfasst. Mit der Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge soll der Markt für saubere, energieeffiziente Straßenfahrzeuge gefördert werden. Mit der vorgeschlagenen Änderung (7) wird sichergestellt, dass die Richtlinie alle einschlägigen Vergabepraktiken umfasst und klare, langfristige Marktsignale aussendet; außerdem wird die Anwendung ihrer Bestimmungen vereinfacht und ihre wirksame Nutzung sichergestellt. Darüber hinaus soll der Beitrag des Verkehrssektors zur Verringerung des CO2-Ausstoßes und der Luftschadstoffemissionen ausgebaut sowie die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum des Sektors gefördert werden.

3.   Der Verordnungsvorschlag (8)

3.1.

Die Kommission will mit dem Verordnungsvorschlag die formulierten Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen, die Kraftstoffkosten für den Verbraucher reduzieren, die Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie stärken und zusätzliche Beschäftigung schaffen. Der Weg zur Dekarbonisierung v. a. mittels alternativen Antrieben wird als unumkehrbar charakterisiert.

3.2.

Die Kommission erwartet von dem Vorschlag eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes von ca. 170 Mio. Tonnen in der Zeit von 2020 bis 2030 und damit eine Verbesserung der Luftqualität. Das Bruttoinlandsprodukt soll um bis zu 6,8 Mrd. EUR bis 2030 wachsen, und 70 000 Arbeitsplätze sollen zusätzlich geschaffen werden.

3.3.

Für den Verbraucher erwartet die Kommission durchschnittliche Kosteneinsparungen beim Kauf eines Neuwagens von 600 EUR im Jahr 2025 bzw. 1 500 EUR im Jahr 2030 (betrachtet über den Lebenszyklus des Fahrzeuges). Unionsweit sollen sich die Einsparungen bei den Kraftstoffkosten auf 18 Mrd. EUR pro Jahr summieren, insgesamt 380 Mio. Tonnen Öl in der Zeit von 2020 bis 2040.

3.4.

Kernelemente des Kommissionsvorschlags zur CO2-Emissionsreduzierung von PKW und leichten Nutzfahrzeugen sind:

3.4.1.

Weitere Reduzierung der CO2-Zielwerte um 30 % bis 2030 auf der Basis der Zielwerte für 2021 von 95 g/km für PKW und 147 g/km für leichte Nutzfahrzeuge bis 2021 (NEFZ-Testzyklus). Als Zwischenziel sollen die CO2-Zielwerte um 15 % reduziert werden, damit das Gesamtziel so schnell wie möglich erreicht wird (d. h. auch Investitionssicherheit für die Industrie).

3.4.2.

Ab dem Jahr 2021 basieren die Emissionswerte auf dem WLTP-Zyklus (Worldwide Harmonised Light Vehicle Test Procedure), der seit dem 1.9.2017 Gültigkeit hat. Durch den Wechsel des Testzyklus sind die Ziele für 2025 und 2030 in Prozentangaben gemacht.

3.4.3.

Grundsätzlich ist das Vorhaben technologieoffen. Unterschieden wird zwischen den Fahrzeugen, die keine Emissionen emittieren (zero-emission vehicles — ZEV) und Fahrzeugen die weniger als 50 g CO2/km ausstoßen (low-emission vehicles — LEV) — vor allem Fahrzeuge, die neben dem verbrennungsmotorischen Antrieb zusätzlich einen elektrischen Antrieb haben (plug-in Hybride — PHEV). Für beide Fahrzeugarten ist eine „Benchmark“ von 15 % bis 2025 und 30 % bis 2030 vorgesehen. Hersteller, die diese „Benchmark“ übererfüllen, erhalten einen Bonus auf ihren herstellerspezifischen Zielwert von maximal 5 g/km. Bei der Ermittlung dieses Anteils wird die Emissionsleistung der betreffenden Fahrzeuge berücksichtigt, wobei zero-emission vehicles mehr zählen als low-emission vehicles. Eine Malus-Regelung ist nicht vorgesehen.

3.5.

Berücksichtigung finden weiterhin sogenannte Öko-Innovationen, die sich in den offiziellen Testroutinen nicht widerspiegeln, mit bis zu 7 g CO2/km. Eine Revision dieser Sonderregelung ist für das Jahr 2025 vorgesehen. Ab 2025 sollen erstmals energieeffizientere Klimaanlagen als Öko-Innovationen gelten.

3.6.

Bei Überschreitung der herstellerspezifischen (Zwischen-)Zielwerte ist eine Strafzahlung von 95 EUR pro g CO2/km und Fahrzeug vorgesehen. Das Monitoring der CO2-Emissionen neuzugelassener Fahrzeuge erfolgt durch die Europäische Umweltagentur. Hersteller mit bis zu 1 000 Neuzulassungen im Jahr sind von der Verordnung ausgenommen.

3.7.

Ergänzend zum Entwurf der Verordnung werden zahlreiche Verweise auf ergänzende Aktivitäten, Initiativen und Programmschwerpunkte genannt. Hervorzuheben ist hier das Faktenblatt „Driving Clean Mobility: Europe that defends its industry and workers“. Hier weist die Kommission darauf hin, dass von 2007 bis 2015 375 Mio. EUR in die Batterieforschung investiert wurden — weitere 200 Mio. EUR sollen in den Jahren 2018-2020 aus dem Horizont 2020-Programm fließen. Hier soll insbesondere die nächste Generation von Batterien gefördert und Anfang 2018 ein Fahrplan für eine „EU Battery Alliance“ vorgelegt werden. Ziel ist es, die gesamte Wertschöpfungskette der Batteriefertigung in Europa anzusiedeln (9).

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt grundsätzlich die Vorschläge der Kommission als ausgewogenen Kompromiss zwischen verschiedenen Zielen. Der Vorschlag ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer klimaneutralen Mobilität, während die Innovationsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie gefördert, qualitativ hochwertige Beschäftigung erhalten und ein allmählicher sozialer Übergang auf neue Produktionsstrukturen ermöglicht wird. Das Ziel einer Reduzierung der CO2-Emissionen um 30 Prozent entspricht dem Ziel für den Nicht-ETS-Sektor des EU-Klimaschutzplans 2030.

4.2.

Mit ihrem Vorschlag schlägt die EU ein neues Kapitel der Mobilität auf, das auch von der Bevölkerung zunehmend akzeptiert zu werden scheint. Dieser Mentalitätswechsel wird von den Bürgerinnen und Bürgern gerade auch vor dem Hintergrund der Dieselkrise wahrgenommen. Dazu gehören auch das veränderte Mobilitätsverhalten, die Stärkung des öffentlichen Personenverkehrs und letztlich das Ziel, ganzheitliche und integrierte Verkehrskonzepte zu entwickeln und umzusetzen.

4.3.

Der EWSA hält das für 2025 vorgesehene Zwischenziel von 15 Prozent Emissionsminderung gegenüber dem Jahr 2021 für sehr anspruchsvoll. Dieses erfordert Veränderungen an Verbrennungsmotoren, die im technischen Grenzbereich liegen. Dies gilt insbesondere für die leichten Nutzfahrzeuge mit ihren längeren Produktions- und Entwicklungszyklen. Insofern sollte 2024 eine Bestandsaufnahme erfolgen, auf deren Grundlage entschieden wird, ob die Ziele für 2030 beibehalten werden sollen oder neu definiert werden können. Bei der derzeitigen Entwicklung der Marktaufnahme von ZEV, LEV und PHEV stellt das Zwischenziel eine Herausforderung dar, scheint aber erreichbar.

4.4.

Der EWSA begrüßt die ergänzende Regelung, dass die Marktüberwachung durch die Messung und Überwachung des realen Kraftstoffverbrauchs auf der Grundlage der Verpflichtung der Hersteller, standardisierte Geräte in neue Fahrzeuge einzubauen, gestärkt wird. Diese erhobenen Daten werden nicht allein den Herstellern, sondern auch unabhängigen Dritten zu Auswertungen verfügbar gemacht. Dies könnte ein funktionales Äquivalent zu einer Emissionsmessung im realen Fahrbetrieb sein, die aus Gründen der Vergleichbarkeit der Testergebnisse nicht umsetzbar ist.

4.5.

Der EWSA merkt an, dass der im Verordnungsentwurf gewählte „Tail-pipe“-Ansatz bei allen Vorteilen immer nur begrenzt aussagefähig ist. So fallen bei der Produktion von Fahrzeugen, Batterien und Elektrizität CO2-Emissionen an, die ebenso von Fahrleistung und -verhalten beeinflusst werden. Der EWSA verweist zudem darauf, dass durch andere Verkehrsträger — wie den prognostizierten Anstieg des Flugverkehrs — die Bemühungen der Fahrzeugtechnik konterkariert werden könnten.

4.6.

Der EWSA verweist auf seine Arbeiten zum Strukturwandel in der Automobilindustrie hin zu alternativen (grünen) Antrieben, zur Digitalisierung und Vernetzung und zum autonomen Fahren mit Gefährdungspotenzial für Beschäftigung, aus denen Trends für neue Qualifikationen abgeleitet werden können. Darin empfiehlt der EWSA der Kommission beispielsweise, einen rechtlichen und ordnungspolitischen Rahmen zu schaffen, der eine rasche Nutzung von Förderprogrammen im Umstrukturierungsprozess ermöglicht (10). Zu denken ist hier in erster Linie an die Strukturfonds der EU, wie etwa den Globalisierungsfonds und den Europäischen Sozialfonds (ESF). Vorstellbar sind auch Projekte nach dem Vorbild von Airbus.

4.7.

Die europäische Automobilindustrie hat etwa 2,3 Mio. Beschäftigte im direkten Bereich der Fahrzeugproduktion und einen Anteil von acht Prozent an der gesamten Wertschöpfung. 10 Mio. Arbeitnehmer sind indirekt in dieser hoch innovativen Branche beschäftigt, die 20 Prozent der industriellen Forschung in Europa finanziert.

4.8.

Die EU gehört zu den weltweit größten Herstellern von Kraftfahrzeugen und ist der größte private Investor in Forschung und Entwicklung (FuE). Die Branche ist weltweit führend u. a. auch bei Produktinnovation, Fertigungstechniken, hochwertigem Design und alternativen Antriebsformen. Infolgedessen wurde im Jahr 2016 eines von vier PKW weltweit in europäischen Montagewerken gefertigt und liegt der Anteil der Automobilindustrie am europäischen BIP bei vier Prozent (11).

4.9.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Transformation des Automobilsektors sozial gestalten zu wollen. Der Strukturwandel hin zu alternativen Antrieben wird — zusammen mit Digitalisierung, autonomem Fahren und Anderem — mit einschneidenden Veränderungen der automobilen Wertschöpfungsketten verbunden sein. Zum einen betrifft es die Frage, welche Komponenten von den Herstellern selbst produziert und welche zugekauft werden. Bislang ist die Wertschöpfung von E-Komponenten überwiegend ein Geschäft für die Zulieferer, bei Batteriezellen dominieren noch die asiatischen Produzenten. Daher begrüßt der EWSA die Position der Kommission, die elektromobile Wertschöpfungskette in Europa anzusiedeln (siehe Ziffer 3.7 „EU Battery Alliance“). Offen ist zurzeit noch, wie die nächste Generation von Batteriezellen technologisch aussehen soll und wie sich das Preis-/Leistungsverhältnis im Zeitverlauf entwickeln wird. Hier empfiehlt der EWSA der Kommission eine laufende Beobachtung der Entwicklung.

4.9.1.

Der angestrebte Wandel vom klassischen verbrennungsmotorischen Antriebsstrang hin zu alternativen Antriebssträngen bringt einen Strukturbruch mit sich. Traditionelle Produktionen müssen durch stark veränderte oder neue Produktionen ersetzt werden. Dies betrifft bei rein elektrischen Fahrzeugen den Verbrennungsmotor, das komplexe Getriebe, Auspuff-Anlagen und andere. Hinzu kommen der Elektromotor und die Batterie inklusive der Fertigung von Batteriezellen. Die Anteile der jeweiligen Komponenten haben jedoch deutlich unterschiedliche Anteile an der Wertschöpfung im Fahrzeugbau und damit Auswirkungen auf die Beschäftigung und Qualifikationsanforderungen.

4.9.2.

In einer Studie kommt die FEV (12) zu dem Ergebnis, dass batterieelektrische Autos — als Mittelklasse-Fahrzeuge konzipiert — etwa 16 500 EUR an Herstellkosten verursachen. Die wesentlichen Komponenten sind E-Motoren (800 EUR), Leistungselektronik (1 400 EUR) und die Batterie (6 600 EUR). Allein bei der Batterie, die 40 Prozent der Kosten ausmacht, entfallen 70 Prozent auf die Zellproduktion. E-Fahrzeuge sind deutlich weniger komplex und erfordern für die Produktion in großem Umfang veränderte Qualifikationen der Beschäftigten: Elektrotechnik/Elektronik, Elektrochemie, Beschichtungstechnik, Thermomanagement, Steuerungs- und Regeltechnik im Ingenieursbereich, Umgang mit Hochvolttechnologie und elektrischen Wirkprinzipien sowie Werkstoffverhalten und andere bei der Montage und Reparatur.

4.9.3.

Auch wenn die Kommission von positiven Beschäftigungseffekten ausgeht, bestehen Gefahren. In einer aktuellen Studie (13) werden von Seiten des Fraunhofer IAO die quantitativen Beschäftigungseffekte durch ein Szenario untersucht, das für 2030 einen EV-Anteil von 25 % sowie einen PHEV-Anteil von 15 % umfasst und daher in etwa dem Kommissionsvorschlag entspricht. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass bis 2030 im günstigsten Fall ca. 10-12 % der Arbeitsplätze im Antriebsstrang im Kontext des Technologiewechsels verloren gehen werden. Das wären allein in Deutschland 25 000 bis 30 000 Arbeitsplätze. Je geringer dabei der tatsächliche Anteil von PHEV ausfallen wird, desto stärker wird dieser negative Effekt (bei einem PHEV-Anteil von 5 % liegt der Rückgang bei 15-18 %). Gleiches würde bei einem beschleunigten Ausstieg aus der Diesel-Technologie gelten, die aufgrund der höheren Komplexität gerade bei Zulieferteilen eine um 30-40 % höhere Beschäftigungsbindung aufweist als Otto-Komponenten. Zusätzlich entstehen parallel Beschäftigungsrisiken durch die Effekte aus der Digitalisierung und der verstärkten Lokalisierung von Produktion in den großen Weltregionen.

4.9.4.

Generell ist zu erwarten, dass diese negativen Effekte zeitlich wie räumlich asymmetrisch auftreten werden. Die Endhersteller und große Zulieferer sind eher in der Lage, durch Innovationen und neue Geschäftsmodelle gegenzusteuern als kleine, hoch spezialisierte Komponentenlieferanten. Zudem werden die Arbeitsplätze im Kontext von neuen Technologien und Dienstleistungen eher in urbanen Ballungszentren angesiedelt sein, weniger in peripheren Regionen. Dies muss bei der Ausgestaltung entsprechender Rahmenprogramme Berücksichtigung finden.

4.9.5.

Von der Geschwindigkeit dieses Strukturwandels hängt die Gefährdung für Arbeitsplätze und Beschäftigung ab. Der EWSA begrüßt daher den Vorschlag der Kommission, der jetzt schon Investitionssicherheit für die Industrie mit sich bringt und es ihr erlaubt, schon heute damit zu beginnen, diesen Strukturwandel einzuleiten und vorzubereiten. Der EWSA fordert die Kommission auf, diesen Strukturwandel industriepolitisch zu begleiten, um Verwerfungen bei den Beschäftigten zu vermeiden. Tripartite und bipartite Dialoge sind hierbei von entscheidender Bedeutung.

4.9.6.

Der EWSA stellt fest, dass die ersten Schritte durch die Ankündigungen vereinzelter Hersteller von zusätzlichen Elektrofahrzeugmodellen bis 2025 und ihren geplanten Anteilen an neu zugelassenen Fahrzeugflotten begonnen haben — wenn auch in noch bescheidenem Umfang.

4.10.

Um die dauerhafte und regional ausgeglichene Dekarbonisierung des Verkehrssektors zu unterstützen, plant die Kommission 800 Mio. EUR im Rahmen der Fazilität „Connecting Europe“ für die Einführung interoperabler Ladestationen zur Verfügung zu stellen. Dies sollte erhebliche zusätzliche öffentliche und private Investitionen anstoßen (derzeit sind 200 000 Lade-Punkte in der EU in Betrieb, während 800 000 benötigt werden). Weitere 200 Mio. EUR werden für die Schaffung einer öffentlich-privaten Partnerschaft zur Entwicklung der Batterien der nächsten Generation bereitgestellt. Zu guter Letzt will die Kommission die Einführung alternativer Antriebsstränge durch Zielvorgaben für die öffentlichen Behörden fördern, stärker als bisher ZEV/LEV in ihrer Beschaffung zu berücksichtigen.

4.11.

Der EWSA ist der Ansicht, dass etwaige Zwangsgelder sowohl aus der bestehenden als auch der neugefassten Verordnung dazu verwendet werden sollten, den Sektor und seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Übergang zu kohlenstoffarmen Produkten zu unterstützen. Derzeit ist nur eine Minderheit der Automobilhersteller auf einem guten Weg, die Reduktionsziele für 2021 zu erreichen.

4.12.

Während die verringerte Abhängigkeit von Ölimporten zu begrüßen ist, könnten neue Abhängigkeiten wie der Zugang zu Rohstoffen (Lithium, Kobalt und Nickel aus abgelegenen Gebieten) entstehen. Ebenso erwartet der EWSA, dass eine ausreichende Stromversorgung aus erneuerbaren Energiequellen gewährleistet ist.

4.13.   Zwischenbewertung der Verordnung

4.13.1.

Die Kommission wird 2024 eine Zwischenbewertung der Verordnung vornehmen, um zu überprüfen, ob der eingeschlagene Pfad Wirkung zeigt.

4.13.2.

Da der Strukturwandel vom Verbrennungsmotor hin zu alternativen Antrieben aus heutiger Sicht quantitativ nicht abschätzbar ist, wäre vor allem darauf zu schauen, wie sich der Markt für alternative Antriebe bis 2024 entwickelt hat, in welchem Umfang die Ladesäulen (als restringierende Bedingung) aufgebaut sind und inwieweit die Stromnetze für den erkennbaren zusätzlichen Strombedarf um- und aufgerüstet wurden.

4.13.3.

Der EWSA erwartet von diesem Zwischenstand Informationen dazu, was zur Qualifizierung, Umschulung und Ausbildung der Beschäftigten geschafft wurde. In welchen Bereichen besteht inhaltlich (zusätzlicher) Handlungsbedarf, um die Kompetenzen und Qualifikationen der Beschäftigten in der Automobilindustrie für den Strukturwandel weiter zu entwickeln? Wie weit greifen die angedachten Maßnahmen (siehe Automotive Skills Council), um die Umsetzung der qualifikatorischen Veränderungen zu gewährleisten? In diesem Zusammenhang sieht der EWSA vor allem die Gewerkschaften des Sektors in die Pflicht genommen, industriepolitische, tripartite Dialoge weiter voranzutreiben. Darüber hinaus müssen die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die es den Beschäftigten weiterhin erlauben, auf dem Arbeitsmarkt zu bleiben.

Brüssel, den 14. Februar 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24. Oktober 2014.

(2)  http://unfccc.int/paris_agreement/items/9485.php.

(3)  COM(2016) 501 final.

(4)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 95; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 181; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 188; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 195

(5)  COM(2017) 283 final.

(6)  COM(2017) 675 final, COM(2017) 647 final, COM(2017) 648 final, COM(2017) 652 final, COM(2017) 653 final.

(7)  COM(2017) 653 final.

(8)  Dieses Kapitel basiert auf den Dokumenten: COM(2017) 676 final und Proposal for post2020 CO2 targets for cars and vans (https://ec.europa.eu/clima/policies/transport/vehicles/proposal_en).

(9)  Europäische Kommission: Drive Clean Mobility, Europe that defends its industry and workers.

(10)  Informationsbericht CCMI/148 (Ziffer 1.5).

(11)  Informationsbericht CCMI/148 (Ziffer 2.1).

(12)  Frankfurter Allgemeine Zeitung/FAZ vom 16.12.2016 (FEV = Forschungsgesellschaft für Energietechnik und Verbrennungsmotoren).

(13)  Fraunhofer IAO 2017: ELAB 2.0 — Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigung, Stuttgart (vorläufige Ergebnisse).