2.3.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 81/181


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme und die Erleichterung des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs über die Nichtzahlung von Straßenbenutzungsgebühren in der Union (Neufassung)“

(COM(2017) 280 final — 2017/0128 (COD))

(2018/C 081/25)

Berichterstatter:

Vitas MAČIULIS

Befassung

Europäisches Parlament, 15.6.2017

Rat der Europäischen Union, 20.6.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 91 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

2.10.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

18.10.2017

Plenartagung Nr.

529

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

183/1/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet ausdrücklich den Vorschlag der Europäischen Kommission vom 31. Mai 2017 über die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme, mit dem die in der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 festgelegten Bestimmungen verbessert werden sollen. Die praktische Anwendung dieser Bestimmungen in den letzten Jahren hat gezeigt, dass viele davon den modernen Anforderungen nicht genügen.

1.2.

Elektronische Mautsysteme sind bereits in 20 Mitgliedstaaten auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene in Betrieb. Allerdings verursacht die geringe Interoperabilität dieser Systeme auf internationaler Ebene erhebliche Einnahmenausfälle für die Mitgliedstaaten sowie zusätzliche Kosten für die direkten Straßenbenutzer. Der EWSA bestärkt die Mitgliedstaaten, ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Entwicklung fortgeschrittener Mautsysteme aktiv fortzusetzen. Aufgrund mangelnder Zusammenarbeit haben die Mitgliedstaaten keine Möglichkeit, einzelne Mautpreller zu ermitteln, deren Fahrzeug in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist.

1.3.

Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass alles unternommen werden muss, um ein einheitliches, auf fortgeschrittener Technik basierendes elektronisches Mautsystem EU-weit einzuführen. Er spricht sich für ein einfaches, flexibles und günstiges System aus, das rasch ausgebaut werden kann, um ein breiteres Spektrum an Nutzern und Straßen abzudecken. Ein derartiges System wäre eine gute Grundlage für die Umsetzung nicht diskriminierender Mautpraktiken, wie sie in der Eurovignetten-Richtlinie vorgesehen sind.

1.4.

Das Bordgerät (On-Board-Unit, OBU), das Schlüsselelement des elektronischen Mautsystems, muss nicht zwangsläufig ein Einzelgerät sein. Es kann aus verschiedenen physisch oder drahtlos miteinander verbundenen Geräten bestehen, u. a. Smartphones und Tablets, die zusammen die Funktionen eines Bordgeräts übernehmen. Der EWSA empfiehlt, die Entwicklung spezieller IT-Anwendungen für diese Zwecke zu fördern, die eine beträchtliche Kostensenkung für die Straßenbenutzer bewirken würden.

1.5.

Einige Mitgliedstaaten verwenden bereits unterschiedliche Technologien zur Erhebung von Straßenmautgebühren, die Übertragung dieser Systeme in ein einheitliches System wäre für sie daher mit erheblichen Kosten verbunden. Der EWSA empfiehlt daher, dass die Europäische Kommission flexible Finanzierungs-, Technologie- und Rechtsinstrumente sucht, um Anreize für die Mitgliedstaaten zu bieten, die verschiedenen bestehenden Lösungen in einem interoperablen System zusammenzuführen. Die Aufnahme einer Liste der in den Mautsystemen mit Bordgeräten verwendeten Technik in den Anhang der Richtlinie würde eine raschere Reaktion auf technologische Entwicklungen ermöglichen und die Vereinheitlichung fördern.

1.6.

Der EWSA befürwortet die Kommissionsinitiative zur Einführung eines einzigen Vertrags mit dem Anbieter des europäischen elektronischen Mautdienstes (EETS) für alle EU-Nutzer. Dies wird zur Umsetzung transparenterer und benutzerfreundlicherer Verfahren beitragen.

1.7.

Damit könnten unbezahlte Mautgebühren unehrlicher und betrügerischer Straßenbenutzer unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dem ihr Fahrzeug registriert ist, einfacher und wirksamer eingetrieben werden. Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Ausweitung der Verträge für die Nutzung des EUCARIS-Systems (Europäisches Fahrzeug- und Führerscheininformationssystem) in Erwägung zu ziehen. In diesem System werden den Ländern bereits die Infrastruktur und die Software für den Austausch von Fahrzeug- und Fahrerlaubnisregisterdaten bereitgestellt, was zur Bekämpfung von Fahrzeugdiebstahl und Zulassungsbetrug beträgt.

1.8.

Die sozialen Aspekte des Kommissionsvorschlags sind ebenfalls sehr wichtig. Im Straßengüterverkehr in der EU sind in erster Linie KMU und Kleinstunternehmen tätig. Die Anwendung elektronischer Mautsysteme auf Pkw ist ein sehr heikles Thema. Lösungen in diesem Bereich sollten daher sehr sorgfältig austariert werden.

2.   Hintergrund und Überblick über bestehende Mautsysteme

2.1.

Im Jahr 2012 wurden in 20 Mitgliedstaaten Straßenbenutzungsgebühren für schwere Nutzfahrzeuge und in 12 Mitgliedstaaten für Pkw erhoben. Das mautpflichtige Straßennetz umfasste ca. 72 000 km, von denen 60 % mit elektronischen Mautsystemen abgedeckt waren, die seit Beginn der 1990er-Jahre auf nationaler oder lokaler Ebene eingeführt wurden und mehr als 20 Mio. Straßenverkehrsteilnehmer betreffen. DSRC-Systeme (Dedicated Short-Range Communications) sind die am häufigsten verwendete Lösung für elektronische Mautsysteme. Seit zehn Jahre werden auch neue Technologien, u. a. satellitenbasierte Systeme, eingesetzt. In der Folge besteht in der EU eine Reihe unterschiedlicher und in den meisten Fällen nicht interoperabler Technologien nebeneinander.

2.2.

Mit der Richtlinie 2004/52/EG sollte dieser Marktfragmentierung durch die Einrichtung eines „europäischen elektronischen Mautdiensts“ (EETS) entgegengewirkt werden. Gemäß dieser Richtlinie sollte der EETS spätestens ab Oktober 2012 für schwere Nutzfahrzeuge und ab Oktober 2014 für alle anderen Fahrzeugtypen zur Verfügung stehen.

2.3.

In der Richtlinie werden drei Technologien für die elektronische Mautabwicklung aufgelistet, um sicherzustellen, dass die unterschiedlichen Mautsysteme technologisch kompatibel sind und somit mit diesem einheitlichen Mautdienst verbunden werden können: Mikrowellentechnik (DSRC), Satellitenortung (GNSS) und Mobilfunk (GSM).

2.4.

Bislang wurden die Bestimmungen der Richtlinie 2004/52/EG auf dem europäischen Mautmarkt noch nicht vollständig umgesetzt. Die Mautsysteme sind nach wie vor unterschiedlich; jeder Mitgliedstaat und jeder Mauterheber verfügt über seinen eigenen Rechtsrahmen, verfolgt seine eigenen Ziele für die Errichtung eines Mautsystems und arbeitet unter spezifischen lokalen Gegebenheiten und Verkehrsbedingungen.

2.5.

In den Empfehlungen in vielen seiner früheren Stellungnahmen (1) hat der EWSA auf die Bedeutung gemeinsamer Normen und grenzüberschreitender Interoperabilität hingewiesen, um einen effizienten grenzüberschreitenden Verkehr und die Entwicklung eines effizienten europäischen elektronischen Mautdienstes (EETS) zu gewährleisten.

2.6.

Die gängigsten Mautsysteme in der EU sind:

2.6.1.

Streckenabhängige Mautsysteme: Die Maut wird auf der Grundlage der vom Fahrzeug zurückgelegten Strecke berechnet und anschließend aufgrund weiterer Fahrzeugparameter (Gesamtgewicht, Anzahl der Achsen, Emissionsklasse usw.) angepasst. Diese Art von System ist in der EU am weitesten verbreitet; es werden verschiedene technische Mittel genutzt, um die Mautgebühren verhältnismäßig, d. h. auf der Grundlage der tatsächlichen Nutzung der Straßeninfrastruktur, zu berechnen.

2.6.2.

Zeitabhängige Mautsysteme bzw. Vignetten: Die Maut wird auf der Grundlage eines bestimmten Zeitraums berechnet und anschließend ebenfalls aufgrund der gleichen oben genannten Fahrzeugparameter angepasst. Derartige Systeme beruhen auf dem Kauf einer Vignette, die zur Nutzung eines bestimmten Straßennetzes für einen bestimmten Zeitraum berechtigt (einen Tag, einen Monat oder ein ganzes Jahr). Die Gebühr wird unabhängig von der tatsächlichen Nutzung der Straßeninfrastruktur entrichtet.

2.6.3.

Zufahrtsbasierte Mautsysteme: Die Maut wird vor allem für die Zufahrt zu innerstädtischen Gebieten und die Nutzung spezifischer Infrastruktur erhoben: der Nutzer errichtet also eine Gebühr für die Straßennutzung in der betreffenden Zone. Mit derartigen Systemen können Verkehr und Verschmutzung in besonders sensiblen innerstädtischen Zonen oder in stark bebauten städtischen Gebieten erheblich verringert werden.

2.7.

In der EU werden in erster Linie zwei Technologien zur elektronischen Mauterhebung in streckenabhängigen Mautsystemen verwendet: das Globale Satellitennavigationssystem (GNSS) und die dedizierte Nahbereichskommunikation (DSRC), d. h. 5,8 GHz-Mikrowellentechnik, die vom Europäischen Komitee für Normung (CEN) entwickelt wurde.

2.7.1.

Die GNSS-Technologie nutzt die über ein Satellitennetz übermittelten Standortdaten des Fahrzeugs und misst die auf der Straße zurückgelegte Strecke zur Berechnung der Mautgebühr. Das Bordgerät ermittelt den Standort des Fahrzeugs und sammelt und verarbeitet die notwendigen Daten ohne Hilfe von straßenseitigen Geräten. Dies ist das praktischste, aber auch das teuerste System.

2.7.2.

Die DSRC-Technologie beruht auf einer zweiseitigen Funkkommunikation zwischen straßenseitiger Ausrüstung und einem Bordgerät im Fahrzeug. Im Zuge einer derartigen Kommunikation wird der Straßenbenutzer (und sein Fahrzeug) durch straßenseitige Infrastruktur für die Gebührenerhebung ermittelt.

2.8.

Die automatische Nummernschilderkennung (Automatic Number Plate Recognition, ANPR) wird für zufahrtsbasierte Mautsysteme verwendet. Dabei werden Videokameras zur Fahrzeugerkennung eingesetzt. Es wird kein Bordgerät benötigt, und die erforderliche straßenseitige Ausrüstung ist preisgünstiger.

2.9.

Die nachstehende Tabelle enthält einen Überblick über die verschiedenen Mautsysteme in den Mitgliedstaaten:

2.9.1.

Streckenabhängige Mautsysteme für schwere Nutzfahrzeuge:

Mautsysteme

Verwendete Technologie

Mitgliedstaat

Freeflow

GNSS mit ANPR und/oder DSRC

Ungarn, Slowakei, Belgien

Freeflow

GNSS mit Infrarot und/oder DSRC

Deutschland

Freeflow

DSRC

Österreich, Tschechische Republik, Polen, Portugal, Vereinigtes Königreich (Dartford Crossing)

Freeflow

ANPR

Vereinigtes Königreich (Dartford Crossing)

Freeflow

ANPR und DSRC OBU

Portugal (A22, …, A25)

Netze mit Mautstationen

DSRC

Kroatien, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Polen, Portugal, Spanien, Vereinigtes Königreich

2.9.2.

Streckenabhängige Mautsysteme für leichte Nutzfahrzeuge:

Mautsysteme

Verwendete Technologie

Mitgliedstaat

Freeflow

DSCR/ANPR

Portugal

Einzelne Abschnitte mit Mautstationen

DSCR/ANPR

Österreich (A 9 Pyhrn-Autobahn, A 10 Tauern-Autobahn, A 11 Karawanken-Autobahn, A 13 Brenner-Autobahn und S 16 Arlberg-Schnellstraße)

Netze mit Mautstationen

DSCR

Kroatien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Polen, Portugal, Spanien

2.9.3.

Zeitabhängige Mautsysteme für schwere Nutzfahrzeuge:

Mautsysteme

Verwendete Technologie

Mitgliedstaat

Vignette

e-Eurovignette

Dänemark, Luxemburg, Niederlande, Schweden

Vignette

Elektronische Vignette

Vereinigtes Königreich, Lettland

Vignette

Aufkleber

Bulgarien, Litauen, Rumänien

2.9.4.

Zeitabhängige Mautsysteme für leichte Nutzfahrzeuge:

Mautsysteme

Verwendete Technologie

Mitgliedstaat

Vignette

Sticker

Österreich, Bulgarien, Tschechische Republik, Ungarn (e-Vignette), Rumänien (Papiervignette), Slowenien, Slowakei

Mautstationen oder Freeflow

DSRC, ANPR — je nach System

Vereinigtes Königreich

2.9.5.

Zufahrtsbasierte Mautsysteme für alle Fahrzeuge (2):

Mautsysteme

Verwendete Technologie

Mitgliedstaat

Zufahrtsgebühr (Kontrollstationen)

ANPR

Schweden (Stockholm)

Zufahrtsgebühr (Vignette)

ANPR

Vereinigtes Königreich („London Congestion Charge“), Mailand (Gebühr für die Umweltzone „Area C“)

3.   Erläuterung der wesentlichen Probleme

3.1.

In ihrer Mitteilung „Einrichtung des europäischen elektronischen Mautdienstes“ von August 2012 (COM(2012) 474 final) hielt die Europäische Kommission ganz klar fest, „dass der EETS nicht eingeführt und der vorgesehene Zeitrahmen nicht eingehalten wurde, ist nicht auf technische Gründe zurückzuführen“. Die Einführung wurde vielmehr „durch den Mangel an Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Interessengruppen behindert“ und durch die begrenzten Anstrengungen der Mitgliedstaaten. In seinem Bericht über eine Strategie für einen europäischen elektronischen Mautdienst und ein Vignettensystem für leichte Privatfahrzeuge in Europa von April 2013 (Dok. A7-0142/2013) nahm das Europäische Parlament den gleichen Standpunkt ein und stimmte der Kommission zu, „dass es bereits die erforderlichen Technologien gibt, um eine Interoperabilität der Mautsysteme realisieren zu können“.

3.2.

Bei den meisten Mautsystemen müssen die Straßenbenutzer Bordgeräte in ihrem Fahrzeug installieren. Manche bieten grenzüberschreitende Interoperabilität, die meisten jedoch nicht. Dies führt zu Kosten und Belastungen für die Straßenbenutzer, da sie ihre Fahrzeuge mit mehreren Bordgeräten ausstatten müssen, um ungehindert die Straßen unterschiedlicher Länder nutzen zu können. Diese Kosten belaufen sich jährlich auf schätzungsweise 334 Mio. EUR und dürften bis 2025 auf knapp unter 300 Mio. EUR sinken.

3.3.

Obwohl eine gewisse grenzüberschreitende Interoperabilität erreicht werden konnte, können in Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Polen, der Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn und dem Vereinigten Königreich nach wie vor nur nationale Bordgeräte zur Zahlung von Mautgebühren verwendet werden. Mit den Rechtsvorschriften für den europäischen elektronischen Mautdienst (EETS) sollte u. a. eine Integration von Bordgeräten mit anderen fahrzeugseitigen Geräten, insbesondere digitalen Fahrtenschreibern, ermöglicht werden. Die Integration mit Fahrtenschreibern hat sich nicht als vielversprechend erwiesen.

3.4.

Das Fehlen grenzüberschreitender Interoperabilität bedeutet auch Kosten für die Behörden, die für die Beschaffung und Wartung nicht benötigter Bordgeräte zuständig sind, die in ihrem Mitgliedstaat, nicht aber im Ausland verwendet werden können. Allein in einem nationalen System, in dem Fahrzeuge per Satellitenortung lokalisiert werden, belaufen sich die einmaligen Kosten der Beschaffung der Bordgeräte jährlich auf 120 Mio. EUR und die Instandhaltungskosten auf 14,5 Mio. EUR (3).

3.5.

Es gibt nach wie vor keinen vollumfänglichen EETS, und bei der Interoperabilität hat es nur geringe Fortschritte gegeben. Für EETS-Anbieter bestehen erhebliche Markteintrittsschranken, wie z. B. diskriminierende Behandlung durch Behörden, lange, änderungsanfällige Verfahren und technische Besonderheiten der lokalen Systeme, die nicht den festgelegten Normen entsprechen. Es wurde nur einige wenige grenzübergreifende Vereinbarungen geschlossen. Hauptursachen hierfür sind:

3.5.1.

In einigen nationalen Märkten verfügt der etablierte Mautsystembetreiber über eine privilegierte Stellung. Dies beeinträchtigt die Umsetzung harmonisierter und nicht diskriminierender Mautpraktiken in der EU.

3.5.2.

Mit den EETS-Rechtsvorschriften wurden selbst Hürden geschaffen, insbesondere die Verpflichtung, dass EETS-Anbieter innerhalb von 24 Monaten in der Lage sein müssen, ihre Dienste in der gesamten EU anzubieten.

3.5.3.

Die nach den EETS-Rechtsvorschriften zugelassenen drei Technologien werden in den einzelnen nationalen Mautsystemen sehr unterschiedlich angewandt, weshalb eine grenzüberschreitende Interoperabilität teuer und schwer zu erreichen ist.

3.6.

Die EETS-Vorschriften enthalten außerdem keine wirksamen Bestimmungen zur Durchsetzung von Mautgebühren für Fahrzeuge, die in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind. In einigen Gebieten entfällt ein beträchtlicher Anteil der Gesamteinnahmen aus Mautsystemen auf den internationalen Verkehr, daher ist die Einschränkung der Möglichkeiten für ausländische Nutzer zur Mauthinterziehung eine beträchtliche Herausforderung. Ein Mitgliedstaat, der mithilfe automatischer Geräte zur Rechtsdurchsetzung einen Rechtsverstoß im Zusammenhang mit Mautgebühren festgestellt hat, kann den Zuwiderhandelnden nicht anhand des Nummernschilds identifizieren, wenn das Fahrzeug im Ausland zugelassen ist. Auf EU-Ebene gibt es keine Rechtsgrundlage für den Austausch von Fahrzeugzulassungsdaten zwischen den Mitgliedstaaten zum Zweck der Rechtsdurchsetzung bei Nichtzahlung von Mautgebühren. Die daraus resultierenden Einnahmenausfälle belaufen sich bei den nationalen, regionalen und lokalen Mautsystemen pro Jahr auf rund 300 Mio. EUR (4).

3.7.

Der Informationsaustausch über Mauthinterziehung auf EU-Ebene muss unbedingt gefördert werden; die Mautbehörden müssen umfassendere Befugnisse erhalten, um Mautpreller zu ermitteln und Vollstreckungsverfahren einzuleiten. In Bezug auf die Vollstreckung sind die Mitgliedstaaten dafür verantwortlich, dass alle Straßenbenutzer gleich behandelt werden und Strafen angemessen angewendet werden.

3.8.

Die Verpflichtung für EETS-Anbieter, alle Fahrzeugarten und alle Mautgebiete in Europa abzudecken, wird als unzumutbar angesehen. Es wäre effizienter, den EETS-Anbietern zu gestatten, auf die Anforderungen ihrer Kunden zu reagieren, statt sie dazu zu zwingen, umfassende, aber teure Dienste anzubieten.

3.9.

Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Änderungen der Interoperabilitätsrichtlinie und der EETS-Entscheidung werden Einsparungen von insgesamt 370 Mio. EUR für die Straßenbenutzer bringen (Gegenwartswert 2016-2025). Das meiste wird den Kraftverkehrsunternehmen, d. h. hauptsächlich KMU, zugutekommen. Straßennetzverwaltungen werden ebenfalls von Einsparungen (48 Mio. EUR Gegenwartswert) profitieren, da die Beschaffung überflüssiger Bordgeräte entfällt, sowie von zusätzlichen Mauteinnahmen (150 Mio. EUR pro Jahr) durch bessere Vorschriften zur grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung. Für EETS-Anbieter werden eine Verringerung des Verwaltungsaufwands im Zusammenhang mit dem Eintritt in nationale Märkte (10 Mio. EUR Gegenwartswert für voraussichtlich 12 EETS-Anbieter) sowie eine Marktexpansion mit zusätzlichen Einnahmen in Höhe von 700 Mio. EUR pro Jahr erwartet (5).

4.   Zentrale Elemente des Kommissionsvorschlags zur Neufassung der Richtlinie 2004/52/EG

4.1.

Die angemessene grenzüberschreitende Durchsetzung soll wie folgt durchgeführt werden:

4.1.1.

Es gilt, einen einfachen automatischen Mechanismus zum Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten einzuführen. Zur Lösung des Problems der grenzübergreifenden Durchsetzung im Falle von Mauthinterziehung werden neue Mechanismen umgesetzt und rechtliche Vereinbarungen ausgearbeitet. Anhand dieser Informationen könnten die Mitgliedstaaten den Fällen nachgehen, in denen nicht gebietsansässige Fahrer der Entrichtung ihrer Mautgebühren nicht nachkommen.

4.1.2.

Dieses System soll alle Arten von Fahrzeugen und elektronischen Mautsystemen, auch Videomaut, umfassen.

4.2.

Die wesentlichen Vorschläge in Bezug auf die genutzte Technik und die Behandlung leichter Nutzfahrzeuge lauten:

4.2.1.

Die Liste der Technik wurde in den Anhang der Richtlinie verlegt. Damit kann auf technologische Fortschritte schneller und effizienter reagiert werden.

4.2.2.

Die Liste selbst bleibt unverändert und kann künftig nur nach eingehenden Tests, Normungsarbeiten usw. geändert werden.

4.2.3.

Die Europäische Kommission schlägt vor, den EETS für schwere Nutzfahrzeuge und für leichte Nutzfahrzeuge zu trennen, damit sie unabhängig voneinander bereitgestellt werden können.

4.2.4.

Es wird eine Ausnahme für EETS-Anbieter für leichte Nutzfahrzeuge geben, um Kunden mit DSRC-Bordgeräten auszustatten.

4.3.

Die Begriffsbestimmungen für den EETS werden vereinheitlicht, und es werden einige Präzisierungen vorgeschlagen:

4.3.1.

Es wird klargestellt, dass der EETS von EETS-Anbietern und nicht von Mauterhebern bereitgestellt wird. EETS-Anbietern wird ein gleichberechtigter Marktzugang auf einer Stufe mit nationalen Mautsystemanbietern garantiert. Dadurch finden die Kunden ein größeres Angebot an Mautdiensteanbietern vor. Die Mitgliedstaaten werden nicht verpflichtet, die EETS-Einführung bis zu einer bestimmten Frist zu gewährleisten.

4.3.2.

Bordgeräte müssen keine Einzelgeräte sein und können mehrere, physisch oder drahtlos miteinander verbundene Geräte umfassen, u. a. bereits im Fahrzeug installierte Geräte wie Navigationssysteme, die über alle Funktionen eines Bordgeräts verfügen. Ein Bordgerät sollte für alle Straßenmautsysteme tauglich sein, und tragbare Geräte wie Smartphones können zusammen mit fest installierten Bordgeräten verwendet werden.

5.   Mögliche Hindernisse für die Umsetzung des Kommissionsvorschlags

5.1.

Die Verwirklichung einer grenzübergreifenden Interoperabilität könnte einen erheblichen Verwaltungsaufwand und beträchtliche Kosten aufgrund rechtlicher, technischer und betrieblicher Unterschiede in den einzelnen nationalen Mautsystemen durch die Nutzung unterschiedlicher Techniken erfordern.

5.2.

Die Europäische Kommission sollte die Möglichkeit der Einrichtung eines Finanzmechanismus zur Bewältigung dieser Probleme in Erwägung ziehen. Die Bereitstellung der erforderlichen Mittel wäre ein Anreiz für die Mitgliedstaaten, die Interoperabilität ihrer nationalen Systeme auf EU-Ebene zu fördern.

5.3.

Es ist wichtig, dass EETS-Dienste parallel zu den nationalen Diensten entwickelt werden können, allerdings könnte es dazu kommen, dass EETS-Anbieter auf die eine oder andere Weise von den lokalen Behörden in den Mitgliedstaaten diskriminiert werden.

5.4.

Die sozialen Aspekte dieses Vorschlags sind ebenfalls sehr wichtig. Im Straßengüterverkehr in der EU sind in erster Linie KMU und Kleinstunternehmen tätig; der Vorschlag sollte sich positiv auf sie auswirken. Die Ausweitung des Geltungsbereichs, d. h. die Anwendung elektronischer Mautsysteme auf Pkw auf einem größeren Teil des Straßennetzes, könnte auf Widerstand seitens der Bürger stoßen; Lösungen in diesem Bereich sollten daher sehr sorgfältig austariert werden.

5.5.

Die Kosten für die Nutzer könnten durch die Förderung von Forschung und Entwicklung für Technik- und Informatiklösungen für elektronische Mautsysteme gesenkt werden. Die Förderung der Innovation in diesem Bereich ist ein entscheidender Aspekt, auf den die Europäische Kommission den Schwerpunkt legen sollte.

Brüssel, den 18. Oktober 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 32 vom 5.2.2004, S. 36.

ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 85.

ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 14.

ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 55.

ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 85.

(2)  Studie „State of the Art of Electronic Road Tolling“, MOVE/D3/2014-259.

(3)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme und die Erleichterung des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs über die Nichtzahlung von Straßenbenutzungsgebühren in der Union (Neufassung) (COM(2017) 280 final).

(4)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme und die Erleichterung des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs über die Nichtzahlung von Straßenbenutzungsgebühren in der Union (Neufassung) (COM(2017) 280 final).

(5)  Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Zusammenfassung der Folgenabschätzung (SWD(2017) 191 final).