5.4.2016 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 120/4 |
Entschließung zu den Bedrohungen für den grenzfreien Schengen-Raum der EU
(2016/C 120/02)
DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN
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in Anbetracht der aktuellen außergewöhnlichen Migrationssituation; |
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unter Hinweis auf das in Artikel 3 EUV und Artikel 67 AEUV festgeschriebene Ziel, den Bürgerinnen und Bürgern der Union einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen zu bieten; |
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unter Hinweis auf das in Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta verankerte Recht auf Asyl sowie auf die einschlägigen nationalen und internationalen Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten; |
1. |
verweist darauf, dass das Schengener Übereinkommen über den freien Personenverkehr, das gegenwärtig 26 Länder, darunter 22 EU-Mitgliedstaaten, umfasst, eine der erfolgreichsten Säulen im Aufbau der Europäischen Union darstellt. Das in die EU-Verträge aufgenommene Schengener Übereinkommen ist untrennbar mit dem Binnenmarkt verknüpft und ein wesentlicher Bestandteil der vier Freiheiten — des freien Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital — innerhalb der Europäischen Union; |
2. |
weist darauf hin, dass diese Freiheiten und die Abschaffung der Binnengrenzen zentrale Errungenschaften der europäischen Integration sind, die nicht nur erhebliche wirtschaftliche, soziale und territoriale Auswirkungen, sondern für die EU und ihre Bürger auch einen hohen symbolischen Wert haben, da sie unmittelbar mit dem Projekt einer noch engeren Union der Völker Europas verbunden sind; |
3. |
betont, dass offene Binnengrenzen das Rückgrat der europäischen Wirtschaft sind. Da sich der Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten wertmäßig auf 2 800 Mrd. EUR beläuft und 1,7 Mio. Grenzgänger sowie jährlich 57 Mio. grenzüberschreitende Straßenverkehrsbewegungen umfasst, betont der AdR, dass sich eine Änderung der Voraussetzungen für Mobilität und Austausch innerhalb des Schengen-Raums erheblich auf Beschäftigung und Investitionen in vielen europäischen Ländern auswirken würde; unterstreicht, dass ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts von dem angemessenen und gemeinsamen Schutz der Außengrenzen des Gebiets abhängt; |
4. |
betont, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in der gesamten Europäischen Union vom Wegfall der Binnengrenzen profitieren, was die wirtschaftliche Entwicklung, den sozialen und kulturellen Austausch, die grenzübergreifende Zusammenarbeit und insbesondere die Umsetzung der europäischen Programme für die territoriale Zusammenarbeit und der Europäischen Verbünde für territoriale Zusammenarbeit angeht; |
5. |
unterstreicht, dass die Anwendung der Einschränkungsklauseln des Übereinkommens von Schengen und die sich daraus ergebende Beschränkung der Freizügigkeit besonders negative Folgen für die wichtigsten Ziele grenzübergreifender Kooperationsprojekte haben könnte; |
6. |
erkennt die gewaltige Herausforderung für die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie für ihre Regionen, Städte und Gemeinden an, die aus der großen Zahl der internationalen Schutz benötigenden Flüchtlinge sowie der Wirtschaftsmigranten, die eine irreguläre Einreise in die EU anstreben, resultiert; hält es erneut für notwendig, sicherzustellen, dass die Einreise in die EU legal erfolgt und ein striktes, rasches und wirksames Registrierungsverfahren unter Einhaltung der EU-Charta der Grundrechte umfasst; betont außerdem, dass mehr Mittel für die Sicherung der EU-Außengrenzen und die Gewährleistung einer rechtlich geordneten Einreise der Menschen in die EU bereitgestellt werden müssen; stellt ferner fest, dass es umfassender Anstrengungen und Reformen bedarf, um sicherzustellen, dass die in Europa ankommenden Migranten eine Arbeit aufnehmen und sich integrieren können; unterstreicht, dass die Kontrollen an den Außengrenzen des Schengen-Raumes im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber Flüchtlingen sowie der EU-Grundrechtecharta — einschließlich des Rechts auf Wahrung der menschlichen Würde und des Diskriminierungsverbots — durchgeführt werden müssen; |
7. |
stellt fest, dass die aktuellen Probleme im Schengen-System teilweise auf einen Mangel an Koordinierung und Mitteln zur Bewältigung der großen Zahl der ankommenden Flüchtlinge und Migranten, auf das Fehlen einer angemessenen politischen Botschaft in Bezug auf die legale Einreise über Grenzübergänge sowie auf die unzureichende Einbeziehung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zurückzuführen sind; |
8. |
betont, dass der Schutz der Werte des Schengener Übereinkommens und die Wahrung der Stabilität des Schengen-Raums oberste Priorität haben; außerdem ist es nötig, die Kontrolle über die EU-Außengrenzen wiederherzustellen und die Grenzmanagementkapazitäten zu verstärken; betont, dass unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden müssen, um ein System aufzubauen, mit dem die Bewegungen der irregulären Migranten im Schengen-Raum verfolgt werden können, damit diese nicht aus dem Blickfeld der zuständigen Stellen verschwinden; stellt fest, dass die Rückführung der Asylsuchenden, deren Antrag abgelehnt wurde, sowie ihre Wiederaufnahme in ihren Herkunftsländern beschleunigt werden sollten; |
9. |
betont, dass diese Herausforderung gemeinsame Lösungen auf der Grundlage der gegenseitigen Zusammenarbeit zwischen sämtlichen Regierungs- und Verwaltungsebenen erfordert, denn unkoordinierte politische Antworten wirken sich gravierend auf andere Mitgliedstaaten und ihre Regionen und Städte aus, verschärfen die Gesamtprobleme und erschüttern das Vertrauen der Bürger, das bereits stark strapaziert wurde; unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass Schuldzuweisungen an einzelne Länder oder Institutionen wegen der gegenwärtigen Situation und das Androhen des Ausschlusses von Mitgliedern des Schengen-Raums nicht zu einer dauerhaften Lösung beitragen und einen gefährlichen Präzedenzfall mit langfristig extrem schädlichen Folgen für das Projekt Europa schaffen könnten; stellt darüber hinaus fest, dass der Ausschluss eines Mitgliedstaats derzeit im Schengener Übereinkommen nicht vorgesehen ist; |
10. |
äußert seine tiefe Besorgnis über die fortdauernden Schwierigkeiten bei der Durchführung gemeinsam vereinbarter Bestimmungen gemäß den EU-Verträgen, was den Schutz der Außengrenzen, verstärkte Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Menschenhandels, wirksame Rückkehrmaßnahmen, gemeinsame Standards für die Aufnahme und Registrierung von Flüchtlingen und Asylsuchenden sowie die Umsetzung einer gemeinsamen Migrationspolitik angeht; |
11. |
ist überzeugt, dass die Gefährdung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Erfolgs von Schengen durch die dauerhafte Wiedereinführung von Grenzkontrollen nicht die Antwort auf den Wunsch der EU-Bürger nach mehr Sicherheit und Schutz ihres Lebensstandards sein kann; hält es zugleich für äußerst wichtig, den Bürgern unmittelbare, praktische und verantwortungsvolle Antworten zu geben; |
12. |
ruft daher die EU-Mitgliedstaaten sowie die Organe und Einrichtungen der EU auf, rasch eine konstruktive Haltung einzunehmen, der Versuchung, vereinfachende Lösungen zu versprechen, zu widerstehen und die Risiken und Vorteile aller Vorschläge sorgfältig zu analysieren; betont, dass es unbedingt erforderlich ist, eng mit den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zusammenzuarbeiten und den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, wie sich die Wiedereinführung von Grenzen auf ihren Alltag auswirkt, um die Glaubwürdigkeit der EU in dieser Krise wiederherzustellen; stellt in diesem Zusammenhang fest, dass befristete Grenzkontrollen nach den klar definierten, im Schengener Grenzkodex (SGK) festgelegten Bedingungen nicht unbegrenzt verlängert werden können und dass ihre Verlängerung für eine Dauer von höchstens zwei Jahren nur in Ausnahmefällen zulässig ist, wenn das Funktionieren des Raumes ohne Binnengrenzen durch anhaltende schwere Mängel bei der Kontrolle der Außengrenzen gefährdet wird; |
13. |
betont, dass dringend ein gemeinsames, nachhaltiges und ehrgeiziges europäisches Konzept entwickelt werden muss, um das Grenzmanagement an den Außengrenzen Europas insbesondere durch die Einrichtung von Hotspots in Drittstaaten zu gewährleisten, um die Sicherheit des inneren Schengen-Raums zu wahren, die Freizügigkeit zu gewährleisten und eine ernsthafte Glaubwürdigkeitskrise der EU zu verhindern; ruft daher alle Beteiligten auf, klare Fahrpläne und Zeitpläne für kurz- und langfristige Lösungen aufzustellen, und betont dabei die Notwendigkeit, klarzustellen, was geteilte Verantwortung und auf Solidarität basierende Maßnahmen bedeuten, wobei den Erwartungen, den Bedürfnissen und der Integrationsfähigkeit der einzelnen Länder, Regionen und lokalen Gebietskörperschaften sowie der Migranten Rechnung zu tragen ist; |
14. |
unterstützt in diesem Zusammenhang die Erstellung einer gemeinsamen EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten, die gemäß den Kriterien der Asylverfahrensrichtlinie und unter uneingeschränkter Wahrung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung eine beschleunigte Bearbeitung der Asylanträge von Bürgern als „sicher“ geltender Länder ermöglicht, anstelle nicht miteinander abgestimmter nationaler Listen, die die Gefahr mit sich bringen, dass eine Art Wettlauf um die niedrigsten Anerkennungsraten einsetzt; |
15. |
beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Präsidenten des Europäischen Rates zu übermitteln. |
Brüssel, den 11. Februar 2016
Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen
Markku MARKKULA