27.6.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/78


P8_TA(2016)0444

Der Fall des in China inhaftierten Verlegers Gui Minhai

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. November 2016 zu dem Fall des in China inhaftierten Verlegers Gui Minhai (2016/2990(RSP))

(2018/C 224/11)

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Lage in China, insbesondere jene vom 4. Februar 2016 zu dem Fall der verschollenen Buchverleger aus Hongkong (1), vom 16. Dezember 2015 zu den Beziehungen zwischen der EU und China (2) und vom 13. März 2014 zu den Prioritäten der EU für die 25. Tagung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen (3),

unter Hinweis auf die Erklärung der Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) vom 7. Januar 2016 zu dem Verschwinden von Personen, die dem Verlagshaus „Mighty Current“ in Hongkong nahestehen,

unter Hinweis auf den 18. Jahresbericht der Europäischen Kommission und des Europäischen Auswärtigen Dienstes vom April 2016 zum Sonderverwaltungsgebiet Hongkong,

unter Hinweis auf den 1995 eingeleiteten Dialog zwischen der EU und China über Menschenrechte und auf die 34. Gesprächsrunde am 30. November und 1. Dezember 2015 in Peking,

unter Hinweis auf die Erklärung des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 16. Februar 2016,

unter Hinweis auf die gemeinsame Mitteilung der Europäischen Kommission und des EAD an das Europäische Parlament und den Rat vom 22. Juni 2016 mit dem Titel „Elemente für eine neue China-Strategie der EU“,

unter Hinweis auf das Grundgesetz (Basic Law) des Sonderverwaltungsgebiets Hongkong der Volksrepublik China, insbesondere auf die Artikel zu den individuellen Freiheitsrechten und zur Pressefreiheit, sowie auf die Hongkonger Grundrechtecharta (Hong Kong Bill of Rights Ordinance),

unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966,

unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,

unter Hinweis auf die Verabschiedung des neuen Gesetzes über die nationale Sicherheit durch den Ständigen Ausschuss des chinesischen Nationalen Volkskongresses am 1. Juli 2015, die Verabschiedung des neuen Gesetzes über die Regulierung ausländischer nichtstaatlicher Organisationen durch den chinesischen Nationalen Volkskongress am 28. April 2016 und die Verabschiedung des neuen Gesetzes über Cybersicherheit am 7. November 2016,

gestützt auf Artikel 135 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A.

in der Erwägung, dass Gui Minhai, ein Buchverleger und Miteigentümer eines Verlagshauses und einer Buchhandlung, in der Peking-kritische literarische Werke verkauft wurden, am 17. Oktober 2015 in Pattaya (Thailand) spurlos verschwunden ist;

B.

in der Erwägung, dass zwischen Oktober und Dezember 2015 vier weitere in Hongkong wohnhafte Mitarbeiter derselben Buchhandlung (Lui Bo, Zhang Zhiping, Lam Wing-Kee und Lee Bo) ebenfalls verschwunden sind;

C.

in der Erwägung, dass Gui Minhai schwedischer Staatsbürger chinesischer Herkunft und somit Unionsbürger ist;

D.

in der Erwägung, dass Gui Minhai bei einem Auftritt in einer chinesischen Fernsehsendung am 17. Januar 2016 offenbar erklärt hat, er sei freiwillig nach Festlandchina zurückgekehrt, um sich dort einem Gerichtsverfahren wegen eines angeblichen Vergehens im Zusammenhang mit einem Autounfall im Jahr 2003 zu stellen; in der Erwägung, dass schwerwiegende Gründe dafür sprechen, dass sein Fernsehauftritt inszeniert war und er dabei von einem Manuskript ablesen musste;

E.

in der Erwägung, dass Gui Minhai seit über einem Jahr in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt ist und dass nicht bekannt ist, wo er sich derzeit befindet, in der Erwägung, dass Gui Minhai der einzige Buchhändler der Gruppe ist, der immer noch in Haft ist;

F.

in der Erwägung, dass die schwedische Regierung die chinesischen Staatsorgane um uneingeschränkte Unterstützung bei der Wahrung der Rechte ihrer Staatsbürger sowie der anderen „Verschwundenen“ ersucht hat; in der Erwägung, dass weder Gui Minhais Angehörige noch die schwedische Regierung darüber informiert wurden, was ihm offiziell zur Last gelegt wird oder wo er offiziell inhaftiert ist;

G.

in der Erwägung, dass Lui Bo und Zhang Zhiping am 4. März bzw. 8. März 2016 aus ihrer Haft in Festlandchina entlassen wurden und nach Hongkong zurückkehren durften; in der Erwägung, dass sie die Polizei gebeten haben, ihre Fälle nicht weiterzuverfolgen, und noch am Tag ihrer Ankunft erneut nach Festlandchina zurückgekehrt sind; in der Erwägung, dass Lee Bo am 24. März 2016 nach Hongkong zurückgekehrt ist und bestreitet, entführt worden zu sein; in der Erwägung, dass Lam Wing-Kee am 16. Juni 2016 nach Hongkong zurückgekehrt ist;

H.

in der Erwägung, dass Lam Wing-Kee, einer der Buchverleger, im Juni 2016 zwecks Abschluss der Untersuchungen über sein Verschwinden nach Hongkong zurückgekehrt ist, jedoch anstatt anschließend nach Festlandchina zurückzukehren den Medien mitgeteilt hat, er sei durch chinesische Sicherheitsdienste entführt, in Isolationshaft gehalten und gezwungen worden, vor Fernsehkameras Verbrechen zuzugeben, die er nicht begangen hatte;

I.

in der Erwägung, dass in Hongkong die Rede-, Meinungs- und Publikationsfreiheit geachtet und geschützt werden; in der Erwägung, dass die Veröffentlichung von Inhalten, die sich kritisch mit der chinesischen Führung auseinandersetzen, in Hongkong legal ist, auch wenn sie in Festlandchina verboten sind; in der Erwägung, dass Hongkong gemäß dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ Autonomie gegenüber Peking genießt, was die Freiheitsrechte anbelangt, wie sie in Artikel 27 des Grundgesetzes von Hongkong verankert sind;

J.

in der Erwägung, dass die Kommission und der EAD den Fall der fünf Buchverleger im Jahresbericht 2015 zum Sonderverwaltungsgebiet Hongkong als größte Herausforderung für das Grundgesetz von Hongkong und den Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ seit der Rückkehr Hongkongs zur Volksrepublik China im Jahr 1997 bezeichnet haben; in der Erwägung, dass nur Strafverfolgungsbehörden in Hongkong rechtlich befugt sind, das Gesetz in Hongkong durchzusetzen;

K.

in der Erwägung, dass der Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter seine ernste Sorge über übereinstimmende Berichte aus unterschiedlichen Quellen zum Ausdruck gebracht hat, wonach es nach wie vor die Praxis der gesetzwidrigen Inhaftierung an unbekannten und inoffiziellen Orten, den sogenannten „schwarzen Gefängnissen“, gibt; in der Erwägung, dass der Ausschuss außerdem seine ernste Sorge über übereinstimmende Berichte zum Ausdruck gebracht hat, die darauf hindeuten, dass Folter und Misshandlung immer noch gängige Praxis im Strafrechtsystem sind, das allzu häufig auf Geständnisse als Grundlage für Schuldsprüche zurückgreift;

L.

in der Erwägung, dass China den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert hat; in der Erwägung, dass China das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen weder unterzeichnet noch ratifiziert hat;

M.

in der Erwägung, dass auf dem 17. Gipfeltreffen EU-China vom 29. Juni 2015 die bilateralen Beziehungen auf eine neue Stufe gehoben wurden und dass sich die EU in ihrem strategischen Rahmen für Menschenrechte und Demokratie dazu verpflichtet hat, die Menschenrechte in den Mittelpunkt ihrer Beziehungen mit allen Drittstaaten einschließlich ihrer strategischen Partner zu stellen; in der Erwägung, dass es in der Abschlusserklärung des 18. Gipfeltreffens EU-China vom 12./13. Juli 2016 hieß, es werde noch vor Ende 2016 eine weitere Runde des Menschenrechtsdialogs zwischen der EU und China geben;

1.

bringt seine ernste Sorge darüber zum Ausdruck, dass es keine Informationen über Gui Minhais derzeitigen Aufenthaltsort gibt; fordert die sofortige Bekanntgabe detaillierter Informationen über seinen derzeitigen Aufenthaltsort, und fordert, dass er umgehend und unversehrt freigelassen wird und sich öffentlich äußern darf;

2.

stellt mit Besorgnis fest, dass die festlandchinesischen Strafverfolgungsbehörden angeblich in Hongkong tätig sind; erinnert die chinesischen Staatsorgane daran, dass alle Maßnahmen ihrer Strafverfolgungsbehörden in Hongkong nicht mit dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ vereinbar wären;

3.

legt den zuständigen staatlichen Stellen in Thailand, China und Hongkong nahe, die Umstände des Verschwindens im Einklang mit rechtsstaatlichen Grundsätzen aufzuklären;

4.

verurteilt aufs Schärfste alle Fälle von Menschenrechtsverletzungen, insbesondere willkürliche Festnahmen, illegale Auslieferungen, erzwungene Geständnisse, geheime Inhaftierung, Haft ohne Kontakt zur Außenwelt und Verstöße gegen die Publikations- und Meinungsfreiheit; weist darauf hin, dass die Unabhängigkeit von Buchverlegern, Journalisten und Bloggern gewährleistet sein muss; fordert ein sofortiges Ende der Menschenrechtsverletzungen und der politischen Einschüchterung;

5.

verurteilt die Beschränkungen und die Kriminalisierung der Meinungsfreiheit und beklagt, dass diese immer mehr beschnitten wird; fordert die chinesische Regierung auf, den freien Informationsfluss nicht länger unter anderem durch Beschränkungen der Internetnutzung zu behindern;

6.

äußert seine Besorgnis über das am 7. November 2016 verabschiedete neue Gesetz über Cybersicherheit, mit dem die Zensur und Überwachung des Internets verschärft und institutionalisiert würden, sowie über das verabschiedete Gesetz über nationale Sicherheit und den Entwurf eines Gesetzes zur Terrorismusbekämpfung; weist darauf hin, dass diese Gesetze nach Befürchtungen von reformorientierten chinesischen Juristen und Personen, die sich für die Bürgerrechte einsetzen, die freie Meinungsäußerung weiter einschränken und der Selbstzensur weiter Vorschub leisten werden;

7.

fordert China auf, friedvolle Regierungskritiker, Menschen, die sich aktiv gegen Korruption einsetzen, sowie Rechtsanwälte und Journalisten freizulassen bzw. sämtliche Anklagepunkte gegen sie fallenzulassen;

8.

ist besorgt über das bevorstehende Inkrafttreten des neuen Gesetzes über die Regulierung ausländischer nichtstaatlicher Organisationen am 1. Januar 2017, da man damit die Aktivitäten der chinesischen Zivilgesellschaft drastisch einengen und die Vereinigungs- und Meinungsfreiheit in China erheblich einschränken würde, unter anderem, indem ausländischen nichtstaatlichen Organisationen, die nicht beim chinesischen Ministerium für öffentliche Sicherheit registriert sind, verboten und den Abteilungen für öffentliche Sicherheit in den Provinzen untersagt wird, chinesische Personen oder Organisationen finanziell zu unterstützen, und chinesischen Gruppen untersagt wird, im Namen nicht registrierter ausländischer nichtstaatlicher Organisationen, wozu auch Organisationen mit Sitz in Honkong oder Macau gehören, oder mit Genehmigung dieser Organisationen „tätig zu werden“; fordert die chinesischen Staatsorgane auf, für ein sicheres und faires Umfeld und transparente Prozesse zu sorgen, die es nichtstaatlichen Organisationen ermöglichen, in China frei und effektiv tätig zu sein;

9.

unterstützt das Engagement der Europäischen Union zur Stärkung der Demokratie, wozu die Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz, die Grundrechte und Grundfreiheiten, Transparenz sowie Informations- und Meinungsfreiheit in Hongkong gehören;

10.

fordert China auf, unverzüglich den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu ratifizieren und das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

11.

hebt das Engagement der Europäischen Union zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, der Unabhängigkeit der Justiz und der Grundrechte und Grundfreiheiten, insbesondere der Transparenz sowie der Redefreiheit und der freien Meinungsäußerung, in all den Ländern hervor, mit denen sie bilaterale Beziehungen unterhält; vertritt die Ansicht, dass ein sinnvoller und offener Menschenrechtsdialog auf der Grundlage gegenseitiger Achtung verwirklicht werden muss; vertritt die Ansicht, dass starke und dauerhafte Beziehungen zwischen der EU und China eine echte Plattform für einen reifen, sinnvollen und offenen Menschenrechtsdialog auf der Grundlage gegenseitiger Achtung bieten müssen;

12.

verweist mit Nachdruck darauf, dass Handels- und Wirtschaftsbeziehungen für die Förderung unseres Wohlstands wichtig sind; verweist darauf, dass sich diese Beziehungen nur in einem Klima guten Glaubens und gegenseitigen Vertrauens weiterentwickeln können; betont, dass die Achtung der Menschenrechte und die Transparenz Teil moderner Handelsabkommen sind;

13.

legt den zuständigen EU-Organen nahe, rasch zu handeln und den Fall von Gui Minhai auf die Tagesordnung des nächsten Menschenrechtsdialogs zwischen der EU und China zu setzen;

14.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Regierung und dem Parlament der Volksrepublik China und dem Verwaltungschef und der Gesetzgebenden Versammlung des Sonderverwaltungsgebiets Hongkong zu übermitteln.

(1)  Angenommene Texte, P8_TA(2016)0045.

(2)  Angenommene Texte, P8_TA(2015)0458.

(3)  Angenommene Texte, P7_TA(2014)0252.