21.4.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 125/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bedrohungen und Hindernisse für den Binnenmarkt“

(Initiativstellungnahme)

(2017/C 125/01)

Berichterstatter:

Oliver RÖPKE

Beschluss des Plenums

21.1.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

13.1.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung am

25.1.2017

Plenartagung Nr.

522

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

166/62/8

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Binnenmarkt ist eine große Errungenschaft und stellt ein Kernstück des europäischen Integrationsprozesses dar. Er sollte den Eckpfeiler des Wohlstands in Europa bilden. Die Einführung des Euros und das Schengener Abkommen waren entscheidende Weichenstellungen für die Vollendung des Binnenmarkts. Beide sind jedoch — teilweise aus kurzsichtigen nationalen Interessen — zunehmend unter Druck geraten und werden von einem nicht unerheblichen Teil der Bürger zunehmend infrage gestellt, teilweise aufgrund realer Anliegen der europäischen Bürgerinnen und Bürger.

1.2.

Der EWSA hat sich immer dafür ausgesprochen, den freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und Personenverkehr zu stärken und die notwendige Ausgewogenheit zwischen Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik herzustellen. Der Weg der wirtschaftlichen und sozialen Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten muss konsequent weitergegangen werden.

1.3.

Für die Weiterentwicklung des Binnenmarkts müssen unnötige Hindernisse beseitigt werden, um Wachstum, Beschäftigung, langfristigen Wohlstand und eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft zu gewährleisten. Dies betrifft insbesondere Markthindernisse wie die unzureichende Anerkennung von Qualifikationen und Diplomen, technische Beschränkungen vor Ort, regulatorische Hindernisse aufgrund verschiedener nationaler Rechtsvorschriften oder die ungenügende Koordinierung von E-Government-Lösungen auf EU-Ebene.

1.4.

Der EWSA ist darüber besorgt, dass der EU-Binnenmarkt seit der Finanzkrise kaum gewachsen ist. Im Euroraum ist die Konjunktur zwischen 2008 und 2015 sogar um 1,6 % zurückgegangen. Im Gegensatz dazu haben andere Wirtschaftsräume wie die USA, Australien oder Japan die EU in puncto Binnennachfrage und Wachstum weit hinter sich gelassen. Deshalb sind energische Anstrengungen notwendig, um Europa wieder näher an die politischen Ziele der EU-2020-Strategie zu bringen.

1.5.

Der EWSA betont einmal mehr die Wichtigkeit der grenzüberschreitenden Mobilität für Unternehmen und Arbeitnehmer. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Unterstützung für die Prinzipien des Binnenmarkts bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung deutlich nachlässt. Ein Grund dafür ist das zunehmende Risiko fortgesetzter unlauterer und rechtswidriger Praktiken bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Ein hohes Missbrauchsrisiko unterminiert das Vertrauen der Arbeitnehmer und der redlichen Unternehmen in den Binnenmarkt enorm.

1.6.

Diesen Tendenzen muss entschlossen entgegengewirkt werden; ein fairer Wettbewerb muss auch im Interesse der Unternehmen sichergestellt werden. Ein funktionierender Binnenmarkt setzt die Einhaltung europäischer und nationaler Rechtsvorschriften bei grenzüberschreitenden Aktivitäten voraus. Aus diesem Grund unterstützt eine Mehrheit der EWSA-Mitglieder alle Bemühungen, um die Forderung von Präsident Juncker, dass in der EU gleiche Arbeit am gleichen Ort gleich vergütet werden sollte, auch in der Praxis umzusetzen.

1.7.

Der Binnenmarkt hat zwar eine feste soziale Basis, die auf dem AEUV und dem Sekundärrecht der EU fußt, doch sollte über ein besseres Gleichgewicht von marktwirtschaftlichen Freiheiten und grundlegenden sozialen Rechten im Primärrecht nachgedacht werden, um das Unbehagen vieler Menschen aufzugreifen, die ihre sozialen Interessen und Anforderungen im Binnenmarkt zunehmend nicht ausreichend gewährleistet bzw. berücksichtigt sehen.

1.8.

Grundsätzlich begrüßt der EWSA, wenn EU-Recht auf seine Effizienz geprüft wird. Diese Initiative könnte eine wichtige Rolle bei der Reduzierung unnötiger Verwaltungslasten spielen, die aufgrund unterschiedlicher nationaler oder regionaler Vorschriften für denselben Anwendungsbereich zur Anwendung kommen. Gerade im Interesse von KMU sollten deshalb harmonisierte Rechtsvorschriften auf ihre Notwendigkeit geprüft werden. Der EWSA bekräftigt aber seinen Standpunkt, dass hohe Verbraucherschutzstandards keine unnötige Belastung darstellen.

1.9.

Der EWSA unterstreicht seine Ansicht, dass der digitale Binnenmarkt angesichts seines enormen Wachstumspotenzials zu den politischen Prioritäten gehören sollte. Bestehende Rechtsunsicherheiten in den Bereichen Beschäftigung, Wirtschaft und Verbraucher müssen rasch untersucht und ausgeräumt werden. Die Kommission sollte einen klaren Rechtsrahmen für neue Formen des Wirtschaftens und neue Geschäftsmodelle im Binnenmarkt einschließlich der Formen der Sharing Economy anwenden, um Regelungslücken zu schließen. Dabei müssen die geltenden Rechtsvorschriften im vollen Umfang respektiert und insbesondere die Rechte der Verbraucher und Arbeitnehmer sowie ein fairer Wettbewerb gewährleistet werden.

1.10.

Die Schaffung einer Kapitalmarktunion muss ebenfalls mit hoher Priorität weiterverfolgt werden, da die damit verbundene effizientere Kapitalzuweisung positive Auswirkungen sowohl für die Wirtschaft und die Beschäftigung als auch für die Verbraucher bringen kann. Eine Reihe aktueller Entwicklungen wie der Ausgang des Brexit-Referendums dürfen die Verwirklichung dieser Pläne nicht grundlos verzögern oder in Gefahr bringen.

1.11.

Der EWSA bekräftigt seine Auffassung, dass Regelungslücken in der Steuerpolitik zu unfairem Wettbewerb im Binnenmarkt führen. Er unterstützt deshalb die Arbeiten für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage, länderbezogene Berichte sowie die laufenden Bemühungen, gegen Steuervermeidung und Steueroasen vorzugehen. Darüber hinaus könnte die Einführung eines gemeinsamen Mindestkörperschaftssteuersatzes eine sinnvolle Ergänzung dieser Initiativen darstellen und den Wettstreit um den niedrigsten Steuersatz beenden.

1.12.

Öffentliche Dienstleistungen, auch als Dienstleistungen von allgemeinem Interesse bezeichnet, spielen im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft eine tragende Rolle und sind für die Bevölkerung von essenzieller Bedeutung. Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind Teil der gemeinsamen EU-Werte, die bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts zum Tragen kommen.

1.13.

Bei den „Grundsätzen und Bedingungen“, die die EU für diese Dienstleistungen festsetzen kann, ist ebendiesem Stellenwert des sozialen und territorialen Zusammenhalts Rechnung zu tragen. Der EWSA erinnert im Zusammenhang mit den geplanten Reformen bei der Dienstleistungsrichtlinie an das Protokoll Nr. 26 des EU-Vertrags zu den Diensten von allgemeinem Interesse, wonach den nationalen, regionalen und lokalen Behörden der Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum bei den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse eingeräumt wird.

1.14.

Im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe bedarf es verschiedener Maßnahmen gegen unlautere Praktiken, die Angebote unter ein faires Niveau drücken, die auf nationaler Ebene geltenden und praktizierten Mindestlohnanforderungen mitunter nicht beachten und schlussendlich häufig in hohen Kostenüberschreitungen münden. Insbesondere muss Transparenz über den Bestbieterpreis und die entsprechenden Leistungen und die später möglicherweise anfallenden Kostenüberschreitungen geschaffen werden. Das Ziel muss die Durchsetzung des Bestbieterprinzips gegenüber dem Billigstbieterprinzip sein.

2.   Herausforderungen für den Binnenmarkt

2.1.

Die europäische Integration muss das Ziel verfolgen, die notwendige Ausgewogenheit zwischen Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik herzustellen. Der freie Waren-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und Personenverkehr muss ergänzt werden durch die Beachtung grundlegender sozialer Rechte, die durch die Charta der Grundrechte Bestandteil der EU-Verträge geworden sind. Die grundlegenden sozialen Rechte müssen im Binnenmarkt in der Praxis durchgesetzt werden. Gleichzeitig müssen unnötige, im Binnenmarkt immer noch vorhandene Hindernisse beseitigt werden, um langfristigen Wohlstand und eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft zu gewährleisten.

2.2.

Der EWSA hat wiederholt darauf hingewiesen — unlängst in seiner Stellungnahme „Ausbau des Binnenmarkts“ (1) —, dass der Binnenmarkt ein Kernstück des europäischen Integrationsprozesses ist. Er kann unmittelbar spürbaren Nutzen schaffen und den europäischen Volkswirtschaften nachhaltiges Wachstum bringen.

2.3.

Der Binnenmarkt ist eine große Errungenschaft und sollte den Eckpfeiler des Wohlstandes in Europa bilden. Die Einführung des Euros im Euro-Raum und das Schengener Abkommen waren entscheidende Weichenstellungen zur Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarkts. Beide sind aber heftig unter Druck geraten, was zeigt, wie unterschiedlich die Interessen der EU-Mitgliedstaaten sind. In gewissem Umfang finden Beschlussfassung und Aufsicht nach wie vor auf einzelstaatlicher Ebene statt.

2.4.

Der EWSA stellt fest, dass erhebliche Markthindernisse fortbestehen in Form: unzureichender Anerkennung von Qualifikationen und Diplomen, uneinheitlichen Lehrplänen, technischer Beschränkungen vor Ort, regulatorischer Hindernisse hauptsächlich im Zuge der Fragmentierung des Binnenmarkts aufgrund verschiedener nationaler Rechtsvorschriften, von Verwaltungslasten wie die Einhaltung der nationalen Steuer- und Zollvorschriften oder fehlender elektronischer Behördendienste und einer ungenügenden Koordinierung der E-Government-Lösungen auf EU-Ebene.

2.5.

Die Kommission strebt eine vollständige Harmonisierung in einigen Bereichen an, was zu einer Absenkung des bestehenden Schutzniveaus in einigen Mitgliedstaaten führen könnte. Der EWSA betont, dass er sich in mehreren Stellungnahmen gegen diese Maßnahmen ausgesprochen hat. Eine vollständige Harmonisierung, wo sie von der Kommission angestrebt wird, muss unter Wahrung des bereits bestehenden Schutzniveaus erreicht werden.

2.6.

Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedstaaten haben immer mehr das Gefühl, dass Europa wenig für den Schutz von Sozialstandards und Einkommen bzw. zur Gewährleistung von Steuergerechtigkeit und fairer Sozialabgaben unternimmt. Der Binnenmarkt hat eine feste soziale Dimension, die auf dem AEUV und dem Sekundärrecht der EU fußt, aber es sollte ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen marktwirtschaftlichen Freiheiten und grundlegenden sozialen Rechten angestrebt werden.

2.7.

Die im Rahmen der europäischen Säule sozialer Rechte vorgeschlagenen Maßnahmen sollten die Gründungsprinzipien der Union widerspiegeln und auf der Überzeugung aufbauen, dass die wirtschaftliche Entwicklung zu mehr sozialem Fortschritt und Zusammenhalt führen muss, und dass die Sozialpolitik zum einen dem Aufbau geeigneter Sicherheitsnetze im Einklang mit europäischen Werten dient, gleichzeitig aber auch als produktiver Faktor betrachtet werden muss.

2.8.

Trotz vieler Erfolge der Kohäsionspolitik der EU sind wir von einer echten wirtschaftlichen und sozialen Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten noch weit entfernt, und es bestehen große Unterschiede bei Arbeitsentgelten und Sozialstandards. Das derzeit in einigen Mitgliedstaaten bestehende niedrigere Lohnniveau ist auf die historische Entwicklung und die natürliche Vielfalt des umfangreichen innereuropäischen Markts zurückzuführen und ist Ausdruck des örtlichen Produktivitätsniveaus sowie zahlreicher anderer Faktoren einschließlich der Interessen von Investoren. Dessen ungeachtet sollte dem Sozialdumping mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, das definiert werden sollte als eine unlautere, rechtswidrige Praktik, sich auf dem Gebiet des Arbeitsentgelts oder der Zahlung der Sozial- und Krankenversicherung nicht an die Vorschriften zu halten und sich somit einen unfairen Vorteil gegenüber Wettbewerbern zu verschaffen (2).

2.9.

Seit dem Beginn der Finanzkrise, d. h. in der Zeit von 2008 bis 2015, betrug das Wachstum des EU-Binnenmarkts 0,4 %, was fast einem realen Nullwachstum entspricht. Im Euro-Raum ist der Binnenmarkt sogar um 1,6 % geschrumpft. Die meisten anderen Wirtschaftsräume haben die Europäische Union weit hinter sich gelassen, was die Binnennachfrage betrifft (z. B. USA +8,8 %, Australien +17,9 %, Japan +3,8 %) (3). Maßnahmen zur Belebung der Nachfrage im Binnenmarkt wie die Investitionsoffensive für Europa mit dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen haben bisher noch nicht die nötige Wirkung gehabt.

2.10.

Der EWSA befürchtet, dass die beschäftigungs- und sozialpolitischen Ziele der Strategie Europa 2020 für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum verfehlt werden (4). Der Konjunkturrückgang, die langsame Durchführung sinnvoller Strukturreformen und die Nachfrageschwäche im Binnenmarkt haben bislang zu gegenteiligen Effekten geführt: So ist die Beschäftigungsquote von 70,3 % im Jahr 2008 auf 69,2 % im Jahr 2014 gesunken. Im Jahr 2020 sollte sie eigentlich bei 75 % liegen. Anstatt die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung Betroffenen bis 2020 um 20 Millionen zu verringern, ist sie 2014 um 4,9 Millionen gestiegen. Ende 2015 waren in der Europäischen Union zudem über sechs Millionen mehr Menschen arbeitslos als vor der Krise.

2.11.

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Strategie Europa 2020 ist die Bildung. Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass der Anteil derjenigen, die ihre Schul- oder Berufsausbildung vorzeitig abbrechen, von 14,2 % im Jahr 2008 auf 11 % zurückgegangen ist. Auch der Anteil tertiärer Bildungsabschlüsse hat sich zwischen 2008 und 2015 von 31,3 % auf 38,7 % verbessert. Der EWSA begrüßt die Kompetenzstrategie der Europäischen Kommission und weist darauf hin, dass ein hohes Qualifikationsniveau unerlässlich ist, um Unternehmen anzuziehen und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

2.12.

Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die Europäische Union zu verlassen, ist eine große Herausforderung für den EU-Binnenmarkt. Der EWSA empfiehlt, die künftigen Verhandlungen auf der Grundlage der Wahrung sämtlicher Grundprinzipien und -werte des Binnenmarkts zu führen.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.    Selbstständigkeit und Mobilität der Arbeitskräfte im Binnenmarkt

3.1.1.

Die Mobilität von Arbeitskräften ist wichtig sowohl für die Unternehmen, die dadurch qualifizierte Arbeitskräfte finden können, als auch für die Arbeitnehmer, die dadurch die Chance auf einen guten Arbeitsplatz und den Zugang zu neuen Kompetenzen und guten Arbeitsbedingungen haben. Es bestehen aber nach wie vor Hindernisse.

3.1.2.

In der Studie über Hindernisse und Kosten (5) wird darauf hingewiesen, dass neben Kosteneinsparungen für Verwaltungsdienste, Bürger und Unternehmen eine besondere große Wirkung von interoperablen E-Government-Diensten auf die Arbeitskräftemobilität zu erwarten ist. Eine bessere Anerkennung von Berufsabschlüssen ist von entscheidender Bedeutung für Arbeitnehmer, die jenseits der Grenze tätig sein wollen.

3.1.3.

Der EWSA hat bereits in seiner Stellungnahme zum Thema „Missbrauch des Statuts der Selbstständigkeit“ (6) darauf hingewiesen, dass Scheinselbstständigkeit zu Hinterziehung von Sozialabgaben über Steuerhinterziehung und arbeitsrechtlichen Missbrauch bis hin zu illegaler Beschäftigung führen kann und daher beseitigt werden muss. In dieser Hinsicht begrüßt der EWSA die bereits errichtete Europäische Plattform gegen nicht angemeldete Erwerbstätigkeit als einen Schritt in die richtige Richtung (7).

3.1.4.

Ziel dieser Plattform ist die Prävention und Abschreckung von nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit durch eine bessere Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Durchsetzungsbehörden (z. B. Arbeitsaufsichts-, Steuer- oder Sozialversicherungsbehörden). Diese Zusammenarbeit umfasst den Austausch bewährter Verfahrensweisen bei Präventions- und Abschreckungsmaßnahmen, mit gemeinsamen Grundsätzen für die Inspektion von Arbeitgebern, die Förderung von Mitarbeiteraustausch und gemeinsamen Schulungen sowie die Erleichterung gemeinsamer Kontrollmaßnahmen.

3.1.5.

Zahlreiche Arbeitskräfte werden heute als „selbstständige Dienstleistungserbringer“ statt wie früher als Arbeitnehmer beschäftigt. Diese Personen verfügen über keinen Arbeitsvertrag, weil sie im Rahmen ihrer selbstständigen Tätigkeit auf eigene Rechnung tätig werden. Das nationale Arbeitsrecht muss in einem solchen Arbeitsverhältnis meist nicht eingehalten werden. Die Bewertung, ob eine selbstständige Tätigkeit oder ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, muss anhand verbindlicher und klarer Kriterien erfolgen. Aus diesem Grund hat der EWSA auch den Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter als „nicht ausgereift“ kritisiert (8). Gerade Mikrounternehmen, KMU und echte Selbstständige geraten dadurch unter Druck.

3.2.    Binnenmarkt und die Entsendung von Arbeitnehmern

3.2.1.

In der Richtlinie von 1996 wird der EU-rechtliche Rahmen festgelegt, der für ein angemessenes und gerechtes Gleichgewicht zwischen den Zielen der Förderung und Erleichterung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen, des Schutzes entsandter Arbeitnehmer und der Gewährleistung gleicher Ausgangsbedingungen für gebietsfremde und gebietsansässige Wirtschaftsteilnehmer sorgen sollte.

3.2.2.

Mit der Durchsetzungsrichtlinie von 2014 (9) werden, in Ergänzung der Richtlinie 96/71/EG neue und verbesserte Instrumente zur Bekämpfung und Ahndung von Umgehung, Betrug und Missbrauch bereitgestellt, was zu einem wirksameren, komplexen Rahmen für die Entsendung von Arbeitnehmern beiträgt.

3.2.3.

Der EWSA hat unlängst eine gesonderte Stellungnahme zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine gezielte Überprüfung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern verabschiedet, in der er sich zu den wichtigsten Änderungen und Vorschlägen (10) auf der Grundlage der von Kommissionspräsident Juncker in seinen politischen Leitlinien für die nächste Kommission gestellten Forderung äußert: „In unserer Union muss dieselbe Arbeit, die am selben Ort geleistet wird, gleich entlohnt werden (11)“.

3.2.4.

Der EWSA hat die Kommission in seiner Stellungnahme zum Thema „Gerechtere Arbeitskräftemobilität in der EU“ (12) nachdrücklich aufgefordert, gegen unlautere Praktiken, die zu Sozialdumping führen, vorzugehen. Dieses Problem wird immer dringlicher, da Beispiele aus der Praxis in den Mitgliedstaaten zeigen, dass das Risiko von Lohn- und Sozialdumping bei einem grenzüberschreitenden Bezug extrem ansteigt. Im Jahr 2015 haben Kontrollen der BUAK in Österreich (13) ergeben, dass bei 7 238 kontrollierten inländischen Unternehmen in 38 Fällen ein Verdacht auf Unterentlohnung von Arbeitnehmern gemäß dem Gesetz gegen die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping (LSDB) festgestellt wurde. Dies entspricht einem Prozentsatz an Verdachtsfällen von 0,53 %. Im gleichen Zeitraum wurden 1 481 in Österreich aktive Unternehmen, die ihren Sitz aber in anderen EU-Ländern haben, geprüft, wobei sich in 398 Fällen ein Verdacht auf Unterentlohnung der Arbeitnehmer, also Lohndumping, ergeben hat. Dies entspricht einem Prozentsatz von 26,87 %.

3.2.5.

Bei grenzüberschreitend tätigen ausländischen Firmen mit entsandten Arbeitnehmern ist die Wahrscheinlichkeit von Lohndumping 50 Mal höher als bei lokalen Anbietern. Dies ist ein Alarmsignal für das (Nicht-)Funktionieren des Binnenmarkts. Das hohe Missbrauchsrisiko unterminiert das Vertrauen der europäischen Arbeitnehmer in den Binnenmarkt enorm.

3.2.6.

Ein weiteres Problem ist die Scheinentsendung von Arbeitnehmern. Wie problematisch behördlich beziehungsweise von öffentlichen Stellen ausgestellte Bestätigungen, Bescheinigungen oder Ähnliches sind, zeigen die Erfahrungen mit den Scheinentsendungen, also den Missbrauch durch falsche A1-Entsendebescheinigungen. Für Mikrounternehmen, KMU und Facharbeitskräfte wird es dadurch zunehmend schwieriger, gegenüber unlauter agierenden Mitbewerbern zu bestehen. Die Scheinentsendung von Arbeitnehmern muss daher beseitigt werden.

3.2.7.

Die Kommission hat unlängst eine Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vorgeschlagen. Der EWSA wird dazu eine gesonderte Stellungnahme verabschieden im Einklang mit dem Ersuchen der Europäischen Kommission, die die Entwicklung eines modernisierten Systems der Koordinierung der sozialen Sicherheit erwartet, das der sozioökonomischen Realität in den Mitgliedstaaten gerecht wird und die Grundsätze des EU-Rechts insbesondere in Bezug auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung wahrt.

3.2.8.

Der EWSA nimmt den Vorschlag bezüglich des Dienstleistungspasses (oder Dienstleistungspersonalausweises) zur Kenntnis, der dafür sorgen soll, dass im Herkunftsmitgliedstaat bereits vorlegte Informationen und Unterlagen dank der Einrichtung eines gemeinsames elektronisches Dokumentenverzeichnisses nicht mehr erneut angefordert werden müssen. Der EWSA spricht sich gegen jedwede Aufweichung des Bestimmungslandprinzips aus. Er wird dazu eine gesonderte Stellungnahme abgeben.

3.3.    REFIT und Bessere Rechtsetzung

3.3.1.

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn EU-Recht auf seine Effizienz überprüft wird. Eine interinstitutionelle Vereinbarung zwischen Kommission, Rat und EU-Parlament kann dabei ein nützliches Übereinkommen darstellen, um das Ziel eines einfacheren und effizienteren EU-Rechts leichter zu erreichen. Bei der Zusammenarbeit ist jedoch darauf zu achten, dass EU-Rechtsnormen mit gesellschafts- oder wirtschaftspolitischem Nutzen gesichert und nicht infrage gestellt werden.

3.3.2.

KMU sind davon ebenso betroffen wie Verbraucher und Arbeitnehmer. Gemäß dem Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ ist es besonders wichtig, unnötige Belastungen für KMU zu vermeiden. Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts setzt eine Verbraucherschutzpolitik auf der Grundlage eines hohen Schutzniveaus gemäß Artikel 169 AEUV voraus.

3.3.3.

REFIT könnte auch eine wichtige Rolle bei der Reduzierung von Verwaltungslasten spielen, die aufgrund unterschiedlicher regionaler Vorschriften für denselben Anwendungsbereich zur Anwendung kommen. Harmonisierte Rechtsvorschriften könnten zu bedeutenden Kosteneinsparungen führen und das Wachstum in den EU-Regionen durch die Beseitigung dieser Barrieren fördern. Sie sollten daher auf ihre Machbarkeit überprüft werden.

3.3.4.

Bei zahlreichen Legislativakten, die im Rahmen des REFIT-Programms zum Bürokratieabbau überprüft werden sollen, handelt es sich um Rechtsnormen, die Arbeitnehmer- sowie Verbraucherstandards absichern und dadurch einen hohen gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Nutzen haben. Der EWSA bekräftigt seinen Standpunkt, dass hohe Verbraucherschutzstandards keine unnötige Belastung sind.

3.3.5.

Der EWSA verweist auf seine Stellungnahme vom 14. Dezember 2014 (14) und wiederholt seine Auffassung, dass eine intelligente Regulierung nicht davon entbindet, die Vorschriften in Bezug auf den Schutz von Bürgern, Verbrauchern und Arbeitnehmern wie auch die Standards für die Gleichstellung von Männern und Frauen oder die Umweltschutzvorschriften einzuhalten. Das Prinzip „Vorfahrt für KMU“ darf zudem nicht darauf hinauslaufen, dass Kleinstunternehmen und KMU von der Anwendung der Rechtsvorschriften ausgenommen werden, ihren Interessen und Bedürfnissen muss vielmehr Rechnung getragen werden.

3.3.6.

Absolut unverständlich ist die Weigerung der Kommission, die geplante Gesetzesinitiative zu den Friseuren nicht weiterzuverfolgen, obwohl es dazu eine Vereinbarung der europäischen Sozialpartner gibt. Das Vorgehen der Kommission widerspricht den Prinzipien und Werten des sozialen Dialogs sowie dem Grundsatz der Repräsentativität und ist äußerst kurzsichtig, denn eine mangelnde Regulierung im Bereich der Gesundheit am Arbeitsplatz kann zu Erkrankungen von Arbeitnehmern und damit auch zu erheblichen Kosten sowohl für Unternehmen als auch den öffentlichen Sektor führen.

3.3.7.

Der EWSA verweist auf die gemeinsame Erklärung der europäischen Sozialpartner über einen Neubeginn für den sozialen Dialog auf der Grundlage der Ergebnisse der thematischen Gruppen, in der die Interaktion zwischen dem sozialen Dialog der EU und dem Ansatz der besseren Rechtsetzung angesprochen wird.

3.3.8.

Der EWSA begrüßt die Aufnahme der Beratungen in der neu geschaffenen REFIT-Plattform. Neben dem Ziel, unternehmerische Aktivitäten zu erleichtern und die Standards für Arbeitnehmer zu gewährleisten, müssen sowohl die Kommission, als auch die Experten der Plattform sicherstellen, dass das Verbraucherrechteniveau bei den Arbeiten an einer Vereinfachung des EU-Rechts gewahrt bleibt.

3.4.    Digitale Wirtschaft, neue Formen des Wirtschaftens und neue Geschäftsmodelle

3.4.1.

Der digitale Binnenmarkt sollte angesichts der bei einer Vollendung des Binnenmarkts in diesem Bereich zu erwartenden Vorteile zu den Prioritäten gehören. Das potenzielle BIP-Wachstum aufgrund der Vollendung des digitalen Binnenmarkts wird auf 415 Mrd. EUR jährlich veranschlagt (15).

3.4.2.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass bestehende Rechtsunsicherheiten in den Bereichen Beschäftigung, Wirtschaft und Verbraucher untersucht und ausgeräumt werden müssen. Dabei ist auf die Sicherung der bestehenden Arbeits-, Sozial- und Verbraucherschutzstandards sowie eines zuverlässigen Rechtsrahmens für die Wirtschaft zu achten. Im digitalen Binnenmarkt sollte es keine unterschiedlichen Regeln für die „digitale Welt“ und für die „nicht-digitale Welt“ geben. Die Kommission sollte Rechtsvorschriften vorsehen, die sowohl für den digitalen als auch für den nicht-digitalen Binnenmarkt eingesetzt werden können.

3.4.3.

In seiner Stellungnahme zu „Ungerechtfertigtem Geoblocking“ (16) begrüßte der EWSA den Vorschlag für eine Verordnung über Maßnahmen gegen Geoblocking als einen für Unternehmen und Verbraucher unverzichtbaren Bestandteil der Strategie für den digitalen Binnenmarkt. Indes wird damit nur ein kleiner Schritt, nicht aber eine Kehrtwende vollzogen. Der Praxis des Geoblocking, also der Diskriminierung von Konsumenten beim Zugang zu Online-Dienstleistungen aufgrund des Wohnsitzes beziehungsweise ihrer geografischen Internetadresse oder der Staatsangehörigkeit, muss ein Ende gesetzt werden. Auch das Weiterleiten von Verbrauchern auf eine lokale Internetseite mit höheren Preisen stellt eine Diskriminierung im Binnenmarkt dar. Der EWSA wird sich mit den Schlussfolgerungen befassen, auf die sich der Rat (Wettbewerbsfähigkeit) im November 2016 bezüglich einer allgemeinen Ausrichtung zu dem vorgeschlagenen Text geeinigt hat, und betont, dass zwischen Preisdiskriminierung und Preisdifferenzierung unterschieden werden muss.

3.4.4.

In Bereichen wie Geoblocking, grenzüberschreitende Paketzustellung, grenzüberschreitende Versicherungen, Urheberrechtslizenzen und Finanzmärkte ist zu berücksichtigen, dass hauptsächlich die Europäische Union und die Mitgliedstaaten für die Beseitigung von Hindernissen des grenzüberschreitenden Handels und für die Gewährleistung eines besseren Funktionierens des Marktes verantwortlich sind.

3.4.5.

Der freie Datenverkehr bedingt eine Stärkung des Schutzes personenbezogener Daten und der Privatsphäre. Dies wird in Zukunft von grundlegender Bedeutung sein, da es einer kohärenten Politik bezüglich der Massendaten (Big Data), der Dienste wie Cloud-Computing und des Internets der Dinge bedarf.

3.4.6.

Die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft schafft neue Geschäftsmodelle und eröffnet neue Chancen, bedeutet aber auch neue Herausforderungen. Im EWSA wurden über dieses neue Phänomen tiefgreifende Diskussionen geführt, die in eine Reihe von Stellungnahmen mündeten (17).

3.4.7.

Die Kommission sollte auch ihren Vorschlag zur Schaffung eines zentralen digitalen Zugangstors weiterentwickeln und dies ein wirklich wirksames Instrument werden lassen.

3.4.8.

Soziales Unternehmertum und partizipative Wirtschaft sind für den sozialen Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung, um den Unionsbürgern ein wirksameres und nachhaltigeres Wirtschaftswachstum gewährleisten zu können. Der EWSA fordert die Europäische Kommission erneut auf, eine ganze Reihe von unerlässlichen politischen Maßnahmen zu ergreifen, um die verschiedenen Formen und Modalitäten der Sharing Economy auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten zu unterstützen und einzuführen sowie dazu beizutragen, dass diese Vertrauen und Glaubwürdigkeit erlangen (18).

3.5.    Die Schaffung eines Kapitalbinnenmarkts

3.5.1.

Die Kommission legte 2015 einen Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion vor. Für den EWSA (19) muss die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität in der EU zu den Prioritäten der Kapitalmarktunion gehören. Sie muss eine bessere und effizientere Kapitalzuweisung bewirken, die sich sowohl auf Investitionen und Wachstum als auch auf Beschäftigung und für die Verbraucher positiv auswirkt. Der EWSA brachte gleichzeitig seine Besorgnis darüber zum Ausdruck (20), dass es viel Zeit brauchen wird, um das angestrebte Endergebnis zu erzielen. Diese Besorgnis ist angesichts einer Reihe aktueller Ereignisse wie dem Ausgang des Brexit-Referendums und weiterer in Ziffer 2 genannten Entwicklungen noch größer geworden.

3.5.2.

Der Aktionsplan umfasst mindestens 33 Maßnahmen in verschiedenen Bereichen, die kurz- und mittelfristig umgesetzt werden sollen. Mit einigen dieser Maßnahmen können zusätzliche Finanzierungsmittel, insbesondere für KMU und Haushalte, mobilisiert werden. Nach Ansicht des EWSA (21) kommt es darauf an, diese Vorschläge kurzfristig umzusetzen, wobei den Grundsätzen der Sicherheit, Transparenz und Durchsetzung („enforcement“) Rechnung zu tragen ist. Aus den gleichen Gründen, d. h. der Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität, hat der Ausschuss wiederholt betont (22), dass das Schattenbanksystem angegangen und reguliert werden muss.

3.5.3.

Die Regulierung der Finanzmärkte in der EU und ihre Durchsetzung hat nicht ausgereicht, um spekulative Transaktionen, Überschuldung und eine unverantwortliche Risikobereitschaft zu verhindern, die zu der Finanzkrise mit gravierenden Folgen für die gesamte Gesellschaft führten. Der EWSA erinnert die Kommission an die Vorlage eines Vorschlags zur Überschuldung privater Haushalte.

3.6.    Steuerpolitik

3.6.1.

Wie der EWSA bereits 2012 in seinem Bericht zu den „Obstacles to the European Single Market“ festgestellt hat, führen Regelungslücken in der Steuerpolitik zu unfairem Wettbewerb. Die von der Europäischen Kommission angekündigten Arbeiten an einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage sind zu begrüßen. Der EWSA hat für dieses Thema eine Studiengruppe eingesetzt. Um den „Wettlauf nach unten“ im Bereich der Körperschaftsteuer zu beenden und um eine fairere Steuerpolitik zu verwirklichen, könnte auch die Einführung eines Mindestkörperschaftsteuersatzes erwogen werden.

3.6.2.

Der Austausch von Steuerinformationen zwischen den Mitgliedstaaten und rechtliche Maßnahmen, um den am häufigsten verwendeten Methoden der Steuervermeidung einen Riegel vorzuschieben, sind zu begrüßen. Eine wesentliche Forderung dabei ist, eine länderweise Berichtspflicht für grenzüberschreitend tätige Unternehmen einzuführen, ohne dadurch unnötigen Verwaltungsaufwand zu schaffen.

3.6.3.

Es ist auch notwendig, gegen Steueroasen vorzugehen. In einer Anhörung im Europäischen Parlament sprach sich der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz für weltweite Maßnahmen zur Bekämpfung solcher Steuerhinterziehungssysteme aus (23). Der französische Wissenschaftler Gabriel Zucman geht davon aus, dass sich weltweit ein Finanzvermögen von rund 5 800 Mrd. EUR in Steueroasen befindet, 80 % davon unversteuert (24). Die Kommission empfiehlt nun, bezüglich Steueroasen Maßnahmen auf internationaler Ebene zu ergreifen.

3.6.4.

In einem ersten Schritt muss sichergestellt werden, dass Amtshilfeabkommen und der automatische Informationsaustausch der einzelnen Länder umgesetzt werden. Bei multinationalen Konzernen ist eine internationale Vernetzung der Steuerprüfungen zu erwägen. Im Falle von Vermögens- und Kapitaltransfers in Länder, die als Steueroasen eingestuft sind, ist eine Meldepflicht durch die Finanzinstitute, die den Transfer vornehmen, ein möglicher Ansatzpunkt (25).

3.7.    Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Dienstleistungsrichtlinie

3.7.1.

Der EWSA hat bereits in seiner Stellungnahme zu den Hindernissen am Binnenmarkt aus dem Jahr 2012 auf bestehende Barrieren im Dienstleistungsbereich hingewiesen. Die Kommission hat festgestellt, dass viele Mitgliedstaaten der Verpflichtung nicht nachkommen, der EU-Behörde regulatorische Maßnahmen mitzuteilen. Vor diesem Hintergrund ist es für die Kommission schwierig zu beurteilen, ob eine neue Regelung gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.

3.7.2.

Die Kommission plant daher eine Reform des Mitteilungsverfahrens, das nun auch zusätzlich für Dienstleistungen gelten soll, die derzeit nicht unter den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie fallen. Die Kommission muss dafür Sorge tragen, dass durch die Gestaltung der Vorschläge nicht die Souveränität oder das demokratische Prinzip der Mitgliedstaaten infrage gestellt werden.

3.7.3.

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse spielen im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft eine tragende Rolle. Die Verfügbarkeit von Wohnraum-, Wasser- und Energieversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung, öffentlicher Nahverkehr, Gesundheit, Soziales, Jugend und Familie, Kultur und Kommunikation sind für die Bevölkerung von essenzieller Bedeutung. Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind Teil der gemeinsamen EU-Werte und tragen zur Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts bei. Bei den „Grundsätzen und Bedingungen“ ist ebendiesem Stellenwert des sozialen und territorialen Zusammenhalts Rechnung zu tragen.

3.7.4.

Der EWSA erinnert im Zusammenhang mit den geplanten Reformen bei der Dienstleistungsrichtlinie an das Protokoll Nr. 26 des EU-Vertrags zu den Diensten von allgemeinem Interesse, d. h. an die rechtsverbindliche Auslegung von Art. 14 AEUV: Je nach den kulturellen, sozialen und geografischen Unterschieden verfügen die nationalen, regionalen und lokalen Behörden der Mitgliedstaaten über einen Ermessensspielraum bei den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Hinsichtlich dieser Dienste, die entsprechend den Bedürfnissen der Nutzer zur Verfügung gestellt werden müssen, ist ein hohes Maß an Qualität, Sicherheit, Bezahlbarkeit und Gleichbehandlung ebenso zu gewährleisten wie die Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte bei gleichzeitiger Sicherstellung der entsprechenden Effizienz und einer ordnungsgemäßen Verwaltung.

3.8.    Öffentliche Auftragsvergabe

3.8.1.

Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen fehlt es an einer statistischen Erfassung, aus der die tatsächlichen Kosten im Vergleich zu den vom Bestbieter im Angebot gelegten Kosten hervorgehen. Häufig kommt es zu erheblichen Kostenüberschreitungen (26).

3.8.2.

Immer wieder gewinnen unlauter agierende Bieter, die ihre Angebote unter einen fairen Preis drücken und Subunternehmer einsetzen. Häufig kommt es später zu Folgekosten, die den Preis des zweit- oder drittbesten Mitbieters übersteigen.

3.8.3.

Um diese Praxis einzudämmen, bedarf es mehrerer Maßnahmen: die Einführung eines elektronischen Vergabeverfahrens sollte eine statistische Erhebung ermöglichen, mithilfe derer sich Niedrigangebote ausmachen lassen und die Verantwortlichen zu korrektem Verhalten angehalten werden. Im Rahmen des statistischen Überblicks müssen der Bestbieterpreis und die später anfallenden tatsächlichen Kosten zentral erfasst werden, um bezüglich möglicher Kostenüberschreitungen für Transparenz zu sorgen. Angebote zu Preisen, die unter dem Mindestlohn und den sozialen Mindestnormen gemäß den jeweiligen nationalen Vorschriften und Gepflogenheiten liegen, müssen von der Ausschreibung ausgeschlossen werden, um einen möglichen Wettlauf um die Senkung von Kosten und Qualitätsstandards zu vermeiden.

Brüssel, den 25. Januar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 1.

(2)  Social dumping: political catchphrase or threat to labour standards? — Magdalena Bernaciak, Arbeitspapier 2012, Europäisches Gewerkschaftsinstitut.

(3)  Europäische Kommission, GD ECFIN, Datenbank AMECO (annual macroeconomic database).

(4)  Mitteilung der Europäischen Kommission: Europa 2020 — Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, vom 3. März 2010, COM(2010) 2020 final.

(5)  „Reducing costs and barriers for businesses in the Single Market“, Studie für den IMCO-Ausschuss des EP, GD Interne Politikbereiche.

(6)  ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 14.

(7)  Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung einer Europäischen Plattform zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Prävention und Abschreckung von nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit, COM(2014) 221 final.

(8)  ABl. C 458 vom 19.12.2014, S. 19.

(9)  Richtlinie 2014/67/EU Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung“) (ABl. L 159 vom 28.5.2014, S. 11).

(10)  ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 81.

(11)  Eröffnungsrede auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments vom 15. Juli 2014 in Straßburg.

(12)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 11.

(13)  Österreichische Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse, Jahresstatistik 2015.

(14)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 66.

(15)  Studie „Reducing Costs and Barriers for Businesses in the Single Market“.

(16)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 93.

(17)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 57, ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 28, ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 36, ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 86, ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 50.

(18)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 36.

(19)  ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17 (Ziffern 1.2, 1.3 und 1.7).

(20)  ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17 (Ziffer 1.12).

(21)  ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 1 (Ziffern 1.2, 1.6 und 1.7).

(22)  ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17 (Ziffer 1.9 und 3.8); ABl. C 251 vom 31.7.2015, S. 33 (Ziffer 4.2).

(23)  Siehe European Parliament newsroom, Referenz 20161114STO51063 vom 17.11.2016.

(24)  Vgl. Steueroasen: wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird, Gabriel Zucman, 2014, Suhrkamp-Verlag.

(25)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 93.

(26)  Berliner Flughafen, Skylink Flughafen Wien oder Stuttgarter Bahnhof.