10.3.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 75/97


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung)“

(COM(2016) 465 final)

und zum

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes sowie zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen“

(COM(2016) 466 final)

und zum

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU“

(COM(2016) 467 final)

(2017/C 075/16)

Berichterstatter:

José Antonio MORENO DÍAZ

Mitberichterstatter:

Cristian PÎRVULESCU

Befassung

Rat der Europäischen Union, 7.9.2016

Europäisches Parlament, 12.9.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

22.11.2016

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.12.2016

Plenartagung Nr.

521

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

211/2/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.    Allgemeine Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.1.

Der EWSA hält eine gerechte, wirkungsvolle und effiziente Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) für notwendig; es bedarf der Einführung eines echten gemeinsamen Verfahrens, das zuverlässig, flexibel und effizient ist und den fairen und legalen Zugang in die Europäische Union unter Achtung der Menschenrechte ermöglicht.

1.1.2.

Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt ist der in Artikel 2 des AEUV enthaltene Imperativ: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sollten allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemein sein, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet“.

1.1.3.

Außerdem wird in Artikel 78 des AEUV eine gemeinsame Asylpolitik anvisiert: Es soll ein echtes gemeinsames und verpflichtendes System für alle Mitgliedstaaten geben, um sämtliche einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu harmonisieren oder, falls dies nicht machbar ist, zumindest ein gemeinsames System zur gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten einzuführen. Dadurch würde ein echtes gemeinsames europäisches Asylsystem möglich; anderenfalls wird die sogenannte Sekundärmigration nicht vermieden werden können, bei der sich Menschen, die internationalen Schutz suchen, innerhalb der EU in die Länder begeben, die ihnen die besten Bedingungen bieten.

1.1.4.

In der EU-28 leben rund 510 Mio. Menschen; der Vorschlag der Europäischen Kommission vom Herbst 2015 bezieht sich auf 160 000 Menschen, die internationalen Schutz suchen, also lediglich 0,03 % der EU-Gesamtbevölkerung, während es Drittländer gibt, die Millionen von Menschen, die internationalen Schutz suchen, aufgenommen haben.

1.1.5.

Der EWSA begrüßt in jedem Fall die Nachbesserungen am System, wie die Klarheit der Rechte und Pflichten in Bezug auf den Zugang zum Verfahren, die Ersetzung des Begriffs der Schutzbedürftigkeit durch den Begriff der besonderen Bedürfnisse sowie die diesbezüglichen klaren Bewertungskriterien, die Einführung umfassenderer Garantien für Minderjährige und die Erweiterung des Begriffs der Familie.

1.1.6.

Der EWSA zeigt sich besorgt über die Beschränkung der Grundrechte wie die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die Einschränkung des Rechts Minderjähriger auf Bildung, die Anwendung des Verfahrens für unbegleitete Minderjährige an den Grenzen, das Fehlen von Einzelfallanalysen in Bezug auf die Begriffe sicherer Drittstaat, die Begrenzung der Garantien in den Folgeanträgen und beschleunigten Verfahren, die automatische Überprüfung des Schutzstatus und die geplanten Sanktionen im Zusammenhang mit den Beschränkungen der Aufnahmebedingungen.

1.1.7.

Der EWSA empfiehlt die Angleichung der Schutzstatus, die Abschaffung der Unterschiede zwischen dem Status als Flüchtling und dem subsidiären Schutz hinsichtlich der Dauer der Aufenthaltsgenehmigung, seine Verlängerung und die Beschränkung der Sozialhilfe für Personen, die subsidiären Schutz genießen.

1.2.    Empfehlungen zum Vorschlag für die Verordnung für die Anerkennung

1.2.1.

Der EWSA plädiert für die Einbeziehung der Kriterien des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) für die Bewertung der innerstaatlichen Fluchtalternative, das heißt, die Prüfung der Gelegenheit und die Prüfung der Angemessenheit, wobei die Anwendung dieses Artikel 8 im Fall der staatlichen Verfolgung ausgeschlossen wird.

1.2.2.

Die Beweislast ist laut Rechtsprechung des EuGH gleichermaßen auf den Antragsteller und die Asylbehörde zu verteilen. Dabei muss die Verpflichtung der Asylbehörde zur aktiven Zusammenarbeit mit dem Antragsteller aufrechterhalten werden.

1.2.3.

Der EWSA empfiehlt die Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Beurteilung der Gründe für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling und der restriktiven Anwendung dieser Klauseln, dahingehend, dass Artikel 12 Absatz 6 der Anerkennungsverordnung gestrichen wird, sodass die automatische Anwendung ausschließender Bestimmungen, die dem besonderen Hintergrund des Antragstellers keine Rechnung tragen, vermieden wird.

1.2.4.

Es sollte eine Einzelfallprüfung des internationalen Schutzstatus in den Revisionsverfahren unter Berücksichtigung der besonderen Umstände und von Verfahrensgarantien für die Verfahren gewährleistet werden, die nicht automatisch entschieden werden können.

1.2.5.

In Bezug auf den Flüchtlingsstatus kommt durch jedes neue Verfahren eine zusätzliche Verwaltungslast und ein weiterer Ermessenspielraum hinzu. Befindet sich eine hohe Anzahl Flüchtlinge in einem Land, sind die Verwaltungsbehörden schnell überlastet. Es besteht dann die Gefahr, dass übereilte und möglicherweise willkürliche Entscheidungen gefällt werden. Es ist daher erforderlich, dass die zuständigen Behörden personell angemessen ausgestattet und in Bezug auf die Prüfung und Überprüfung des Flüchtlingsstatus ausreichend geschult sind.

1.2.6.

Es muss unterschieden werden zwischen Aufhebung, Ausschluss, Widerrufung, Nichtverlängerung und Ablauf des Schutzstatus unter Vermeidung von Wiederholungen und Verwirrung bezüglich der jeweils zugrunde liegenden Sachverhalte und Einbeziehung derselben in alle restriktiven Anwendungskriterien.

1.2.7.

Die Einschränkung der Freizügigkeit der Personen, die internationalen Schutz genießen, sollte im Mitgliedstaat abgeschafft werden, da dies gegen Artikel 26 der Genfer Flüchtlingskonvention verstößt.

1.2.8.

Artikel 44 der Anerkennungsverordnung, mit der die Richtlinie über den langfristigen Aufenthalt geändert wird, um mit der Berechnung des Aufenthalts von fünf Jahren neu zu beginnen, wenn sich die Person, die internationalen Schutz genießt, illegal außerhalb des Mitgliedstaats aufhält, der sie anerkannt hat, sollte gestrichen werden, da dies dem Ziel der Europäischen Migrationsagenda vom Mai 2015 entgegenläuft.

1.3.    Empfehlungen zum Vorschlag für eine Verordnung über das gemeinsame Verfahren

1.3.1.

Der EWSA erinnert daran, dass die Regulierung mittels einer Verordnung nicht zu einem Abbau der Schutzstandards führen darf, indem restriktive Anerkennungskriterien und die Beschränkung von Verfahrensrechten und -garantien eingesetzt werden.

1.3.2.

Der EWSA plädiert für die Abschaffung der automatischen Anwendung der Begriffe des sicheren Drittstaats, des ersten Asylstaats und des sicheren Herkunftslands, der Fristverkürzung und empfiehlt die automatisch aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs.

1.3.3.

Die Garantien für eine Einzelfallprüfung nach den Kriterien der Verhältnismäßigkeit, der Notwendigkeit und der Außergewöhnlichkeit in Fällen der Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Inhaftnahme sollten ausgedehnt werden.

1.3.4.

Es bedarf einer Ausweitung der Garantien für die Verwaltungshaft durch klare Festlegung der Dauer und Beschränkung derselben auf begründete Ausnahmefälle.

1.3.5.

Zu streichen ist der Ausschluss vom Recht auf unentgeltliche Rechtsberatung im Fall von Anträgen, die für unbegründet erachtet werden und von Folgeanträgen ohne neues Beweismaterial oder Argumenten, da dadurch das Recht auf effektiven Rechtsbehelf, wie er in Artikel 13 der EMRK vorgesehen ist, verletzt wird.

1.3.6.

Einführung derselben Verfahrensgarantien für ordentliche Verfahren wie für die beschleunigten Verfahren, die Grenzverfahren und die Folgeanträge.

1.3.7.

Vor Beginn des eigentlichen Antragsverfahrens sollte dem Antragsteller Zeit gegeben werden, zur Ruhe zu finden und sich zu erholen.

1.4.    Empfehlungen zum Vorschlag für die Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme

1.4.1.

Es muss zu einem Ansatz mit positiven Anreizen übergegangen werden, um die Sekundärmigration zu verringern, anstatt den Ausschluss, die Reduzierung, die Streichung oder den Ersatz der gewährten Leistungen anzudrohen. Dieser Ansatz ist besonders unverhältnismäßig bei Antragstellern, die keinen Antrag auf internationalen Schutz im Land der ersten irregulären Einreise oder des rechtmäßigen Aufenthalts gestellt haben.

1.4.2.

Für die Regulierung der Aufnahmebedingungen, sowie der Anerkennungsverfahren und -kriterien sollte dasselbe Rechtsinstrument verwendet werden, um Ungleichheiten bei der direkten Anwendung der miteinander in Zusammenhang stehenden Bestimmungen zu vermeiden.

1.4.3.

Unbestimmte Rechtsbegriffe wie „menschenwürdiger Lebensstandard“ oder „Fluchtgefahr“ müssen aufgrund der damit verbundenen schwerwiegenden Folgen und des Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festlegung der Definitionskriterien eingeschränkt bzw. gestrichen werden.

1.4.4.

Gemäß dem Vorschlag für die Dublin-Verordnung müssen weitere Familienmitglieder wie Geschwister oder andere Angehörige miteinbezogen werden.

1.4.5.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt darf den Antragstellern aus sicheren Herkunftsländern nicht verweigert werden, da dies eine Diskriminierung aufgrund der Staatsbürgerschaft darstellen würde.

1.4.6.

Die Auflagen in Bezug auf die Inanspruchnahme der Rechte auf Zugang zu Beschäftigung, Sozialversicherung und Sozialhilfe müssen abgeschafft werden.

1.4.7.

Ebenfalls muss das Rechts von Minderjährigen auf Bildung wie das Recht auf Gesundheit uneingeschränkt gewährleistet werden.

2.   Bemerkungen zur Verordnung für die Anerkennung

2.1.

Der EWSA unterstützt die weitere Harmonisierung der Normen für Asylverfahren, Anerkennung und Schutz auf EU-Ebene. Es bestehen beachtliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Verfahren, die Anerkennungsquoten, den Umfang des gewährten Schutzes und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller und Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde.

2.2.

Aus verschiedenen Gründen haben die Mitgliedstaaten jeweils eigene institutionelle Asylpraktiken entwickelt. Das provoziert die Sekundärmigration und gefährdet die Gleichbehandlung der Antragsteller auf dem Hoheitsgebiet der Union. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten könnten erhebliche Auswirkungen auf die Wahrung der Grundrechte haben, unter anderem die Wahrung der Menschenwürde und die Achtung des Privat- und Familienlebens, die Meinungs- und Informationsfreiheit, das Recht auf Bildung, die freie Berufswahl und das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt, die Freiheit zur Gründung eines Unternehmens, das Recht auf Asyl, Nichtdiskriminierung, Kinderrechte, das Recht auf soziale Sicherheit und Sozialhilfe und Gesundheitsversorgung, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind.

2.3.

Der EWSA begrüßt die Entwicklung des Systems für den Abruf, die Organisation und die Verbreitung von Informationen zur Lage in den Herkunfts- und Transitländern unter der Leitung der Asylagentur der Europäischen Union. Es stellt die Grundlage für eine echte Harmonisierung der Entscheidungen über die Gewährung internationalen Schutzes dar. Es ist jedoch nicht klar, in welchem Umfang die nationalen Behörden die bereitgestellten Informationen berücksichtigen werden und welche Mittel zur Verfügung stehen, um sicherzustellen, dass dies geschieht. Um an dieser Stelle stark voneinander abweichende Entscheidungen zu verhindern, sollte im System einfach und klar angegeben sein, welche Länder als unsicher betrachtet werden.

2.4.

In Bezug auf Artikel 7 zu Akteuren, die Schutz bieten können, ist es wichtig, die Kapazitäten privater Akteure und internationaler Organisationen zur Schutzgewährung richtig einzuschätzen. Aufgrund knapper Mittel und Rechtsunsicherheit ist es für beide Gruppen von Akteuren sehr schwierig, einen wirksamen und langfristigen Schutz sicherzustellen, insbesondere im Bürgerkrieg oder in Fällen schwerer staatlicher Repression.

2.5.

Die Möglichkeit eines Antragstellers, intern Schutz zu erhalten, ist ein relevanter Faktor für die Frage, ob Schutz gewährt wird. Die zuständigen Behörden müssen die gesamte Bandbreite an Risiken berücksichtigen, die eine Binnenvertreibung für die Sicherheit des Einzelnen unter Umständen mit sich bringt. Sichere Gebiete können aus verschiedensten Gründen schnell unsicher werden — militärische Niederlage, Unterstützung und Intervention aus dem Ausland, Sabotage oder Terrorangriffe. Obwohl aus Artikel 8 klar hervorgeht, was mit sicher gemeint ist, unter anderem die Möglichkeit der sicheren Reise und die Verfügbarkeit von Schutz, obliegt es den nationalen Behörden in der EU, die verfügbaren Daten und Fakten auszulegen.

2.6.

Die Begriffsbestimmung von Verfolgungshandlungen in Artikel 9 ist umfassend und folgt Artikel 1 Abschnitt A des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention). Dieser Artikel sollte mit Artikel 10 zu den Verfolgungsgründen und Artikel 6 zu den Akteuren, von denen Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann, so ausgelegt werden, dass Verfolgungshandlungen vonseiten des Staates und nichtstaatlicher Akteure Berücksichtigung finden. Politische Repression und inländische Kriege sind Anzeichen, dass Gewalthandlungen von verschiedenen paramilitärischen Gruppierungen und Bürgerwehren unter dem Schutz staatlicher Behörden, die in der Regel jegliche Beteiligung abstreiten, verübt werden.

2.7.

Der EWSA plädiert bereits seit Langem für eine Harmonisierung in Bezug auf den Inhalt des Schutzes, den Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutz genießen (1). Der Inhalt des Schutzes war bisher ein zweites Schlüsselmotiv für Sekundärbewegungen innerhalb der Union. Der Ausschuss hat bereits darauf hingewiesen, für wie wichtig er die Harmonisierung im Sinne des höchsten, nicht des niedrigsten, Schutzumfangs hält. Der Vorschlag der Kommission enthält eine Reihe positiver Schritte in diese Richtung.

2.8.

Im Hinblick auf Bereitstellung von Informationen, Aufenthaltstitel und Reisedokumente muss noch eine Präzisierung erfolgen. Bemerkenswert ist, dass die Regeln für den Zugang zum Arbeitsmarkt präzisiert wurden und der Umfang des gewährten Schutzes erhöht wurde, zum Beispiel im Bereich der Arbeitsbedingungen, des Rechts auf Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und des Zugangs zu beschäftigungsrelevanten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Dort haben die Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz dieselben Rechte wie die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten. Das ist auch im Hinblick auf die Anerkennung von Qualifikationen, Sozialversicherung, Sozialhilfe und Gesundheitsversorgung der Fall.

2.9.

Der Zugang zu Integrationsmaßnahmen — Sprachkurse, Programme für Staatsbürgerkunde und Integration sowie Berufsbildungsmaßnahmen — ist überaus wichtig für eine erfolgreiche Integration. Maßnahmen, die die Integration erleichtern, sind hochwillkommen und sollten gefördert werden.

2.10.

Gleichzeitig könnte sich der Weg, andere Leistungen wie zum Beispiel die Sozialhilfe an die Bedingung der Teilnahme an Integrationsmaßnahmen zu knüpfen (siehe Artikel 34), als problematisch erweisen; hier sollte mit Bedacht formuliert werden. Integrationsmaßnahmen müssen einfach zugänglich und sinnvoll sein, um die Teilnahme zu erleichtern. Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz könnten von Integrationsmaßnahmen und von Dienstleistungen ausgeschlossen werden, für die die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen erforderlich ist, wie z. B. Sprachunterricht, Bildung und Beschäftigung.

3.   Bemerkungen zum Vorschlag für eine Verordnung über das gemeinsame Verfahren

3.1.

Der EWSA begrüßt diesen Vorschlag und das mit ihm verfolgte Ziel, ein wirklich gemeinsames Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu schaffen, das effizient, fair und ausgewogen ist. Die Wahl des Instruments — eine Verordnung, die unmittelbar in allen Mitgliedstaaten gilt, ist erforderlich, um ein höheres Maß an Harmonisierung und Einheitlichkeit in Bezug auf den Ausgang von Asylverfahren in allen Mitgliedstaaten zu schaffen. Der EWSA hält die Verordnung für einen Schritt in die richtige Richtung, der hilft, die Sekundärmigration zwischen den Mitgliedstaaten einzudämmen und dem Grundsatz der Solidarität gerecht zu werden.

3.2.

Die Verfahren müssen klar und verständlich formuliert sein, und es muss Vorhersehbarkeit gewährleistet werden. Die Beibehaltung der Sechsmonatsfrist für den Zugang von Antragstellern zu dem Verfahren und für den Abschluss der Prüfung der Anträgen im Verwaltungs- und im Rechtsbehelfsverfahren ist angemessen.

3.3.

Was die Ausnahmen angeht, so muss definiert werden, wann ein Antrag als unbegründet und unzulässig gelten kann.

3.4.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich, dass die Asylagentur denjenigen EU-Mitgliedstaaten, denen gleichzeitig eine unverhältnismäßig große Zahl von Anträgen zugeht, Beistand leistet.

3.5.

Der EWSA begrüßt die Festlegung von Verfahrensgarantien zum Schutz der Rechte der Antragsteller. Diesbezüglich hat der Ausschusses stets eine klare Haltung bezogen. Antragsteller, die einen Mitgliedstaat erreichen, befinden sich in einem Zustand besonderer Verwundbarkeit, nachdem fast alle von ihnen große Entfernungen, Entbehrungen und Gefahren überwinden mussten. Es müssen sprachliche, kulturelle und psychologische Barrieren eingeebnet werden, damit eine Anpassung stattfinden und die Zusammenarbeit mit den Behörden gelingen kann. Obwohl die vorgeschlagenen neuen Verfahren klarer formuliert sind, obliegt ihre Umsetzung den Behörden der Mitgliedstaaten. Sollten die Behörden auf Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den neuen Verfahren stoßen, muss geklärt werden, welche Hilfe und Unterstützung bereits stehen.

3.6.

Im Hinblick auf harmonisierte Vorschriften über sichere Staaten unterstützt der EWSA grundsätzlich, schrittweise eine vollständige Harmonisierung anzustreben, indem nationale Listen durch europäische Listen sicherer Herkunftsstaaten oder Benennungen auf Unionsebene binnen fünf Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung ersetzt werden (2).

3.7.

Was das Rechtsbehelfsverfahren angeht, so hat die Europäische Kommission das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf geschaffen: Es gelten ausdrücklich festgelegte Fristen und eine automatisch aufschiebende Wirkung, die bei den Bedingungen für die Ablehnung bei beschleunigten Verfahren, bei Unzulässigkeit aufgrund der Herkunft aus einem ersten Asylstaat und nachfolgendem Antrag, Ablehnungen aufgrund von ausdrücklichem oder stillschweigendem Verzicht und Entscheidungen über einen vorhergehenden Rechtsbehelf ausgeschlossen ist.

3.8.

Der Zeitraum, für den der Schutz gewährt wird, hat direkte Auswirkungen auf die Integrationsperspektiven. Der Zeitraum sollte lang genug sein, damit für Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, Behörden und Arbeitgebern ein entsprechender Anreiz gegeben ist.

4.   Bemerkungen zur Richtlinie zu den Normen für die Aufnahme

4.1.

Der EWSA hat sich aktiv für die Harmonisierung der Aufnahmebedingungen für Bewerber eingesetzt, und zwar nicht nur, um ihre Sekundärmigration zu verringern, sondern in erster Linie um ihre Aussichten auf eine erfolgreiche Integration und den vollen Schutz der Grundrechte zu sichern.

4.2.

Der EWSA unterstützt die Forderung, dass die Mitgliedstaaten über Notfallpläne für die angemessene Aufnahme von Antragstellern in Fällen verfügen müssen, in denen sie mit einer unverhältnismäßig hohe Zahl von Personen, die internationalen Schutz beantragen, konfrontiert sind.

4.3.

Der EWSA unterstützt uneingeschränkt das von der Kommission festgelegte Ziel, die Eigenständigkeit der Antragsteller und ihre etwaigen Integrationsaussichten zu verbessern. Dieses Ziel steht im Einklang mit dem Standpunkt des Ausschusses, der für einen schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Diensten und zu Integrationsprogrammen (z. B. zu Sprachkursen) plädiert. Die Verkürzung der Fristen für den Zugang zum Arbeitsmarkt von höchstens neun Monaten auf höchstens sechs Monate nach Einreichung des Antrags ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung.

Brüssel, den 14. Dezember 2016

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes“ KOM(2009) 551 endgültig/2 — 2009/0164 (COD) (ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 80).

(2)  Die diesbezügliche Position des EWSA wurde in der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erstellung einer gemeinsamen EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten für die Zwecke der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und zur Änderung der Richtlinie 2013/32/EU“ [COM(2015) 452 final] formuliert (ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 82).