19.8.2016 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 303/109 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 768/2005 des Rates zur Errichtung einer Europäischen Fischereiaufsichtsagentur
[COM(2015) 669 final — 2015/0308 COD],
der
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Ein europäischer Grenz- und Küstenschutz und effiziente Sicherung der Außengrenzen
[COM(2015) 673 final]
und dem
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004, der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 und der Entscheidung 2005/267/EG
[COM(2015) 671 final — 2015/0310 (COD)]
(2016/C 303/15)
Berichterstatter: |
Giuseppe IULIANO |
Mitberichterstatter: |
Cristian PÎRVULESCU |
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 21. Januar bzw. am 4. Februar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 768/2005 des Rates zur Errichtung einer Europäischen Fischereiaufsichtsagentur
[COM(2015) 669 final — 2015/0308 (COD)]
der
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Ein europäischer Grenz- und Küstenschutz und effiziente Sicherung der Außengrenzen
[COM(2015) 673 final]
und dem
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004, der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 und der Entscheidung 2005/267/EG
[COM(2015) 671 final — 2015/0310 (COD)].
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 12. Mai 2016 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 133 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt grundsätzlich die Vorschläge der Kommission zur Änderung der Verordnungen, hat dazu aber eine Reihe von Anmerkungen. |
1.2 |
Die von einigen Mitgliedstaaten veranlassten Grenzschließungen stellen eine ernste Gefährdung der Reisefreiheit dar. Die EU-Organe müssen das Funktionieren des Schengen-Systems gewährleisten. Auf der Plenartagung am 17. Februar 2016 verabschiedete der EWSA eine wichtige Entschließung (1) als Plädoyer für den Schengen-Raum. Darin forderte er den Rat und die Mitgliedstaaten auf, die Ausübung der Freizügigkeit sowie die Konsolidierung und Erweiterung des Schengen-Raums zu garantieren. |
1.3 |
Die Schengen-Vorschriften müssen in allen Mitgliedstaaten auf gleiche Weise angewandt werden, weshalb neue rechtlich verbindliche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Der EWSA ist jedoch nicht einverstanden mit dem Vorschlag der Kommission, systematische und obligatorische Kontrollen an den Außengrenzen des Schengen-Raums für die Bürger der EU durchzuführen, da dies die Ausübung einer der Grundfreiheiten einschränken würde. |
1.4 |
Zur Gewährleistung eines reibungslosen Funktionierens des Schengen-Systems müssen die Außengrenzen — also die gemeinsamen Grenzen — von der EU zusammen mit den Mitgliedstaaten verwaltet werden. Der EWSA war die erste Institution, die die Schaffung einer Europäischen Grenzwache vorgeschlagen hat. |
1.5 |
Der Vorschlag, das Mandat von Frontex durch neue Teams und einen Soforteinsatzpool mit 1 500 Grenzbeamten und Experten zu stärken, muss mit einer Verbesserung der Transparenz über die Steuerung und die Tätigkeiten der Agentur sowie über ihre Rechenschaftspflicht („accountability“) einhergehen. |
1.6 |
Die Zusammenarbeit zwischen der Grenzagentur und den nationalen Behörden muss verbessert werden. Die Agentur sollte das Zentrum für Risikobewertungen ausbauen, wozu sie Verbindungsbeamte in die Mitgliedstaaten entsenden und über ein Mandat zur Bewertung der operativen Kapazitäten und Mittel verfügen könnte. Die EU muss sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten bei den von der Agentur durchgeführten Grenzoperationen zusammenarbeiten. |
1.7 |
Das Recht der Agentur, tätig zu werden, auch wenn ein Mitgliedstaat nicht darum ersucht hat, ist die heikelste der von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen. Der EWSA befürwortet, dass die Kommission über den Einsatz der Agentur an den Außengrenzen entscheiden kann, allerdings nur in dringenden Fällen und nach einem transparenten Verfahren, das die umgehende Information der europäischen Gesetzgeber (Parlament und Rat) gewährleistet. |
1.8 |
Die Koordinierung zwischen den einzelnen Agenturen und Einrichtungen, die für Grenzkontrollen, Bewachung der Küsten, Sicherheit des Seeverkehrs, Seenotrettung, Zoll und Fischerei zuständig sind, muss verbessert werden. Gleichwohl müssen diese Agenturen und Einrichtungen ihr jeweiliges Aufgabengebiet behalten. Deshalb ist der EWSA der Meinung, dass sich die Verordnung auf die Europäische Grenzwache beziehen und der Begriff „Küsten-“ im Titel entfallen sollte (2). |
1.9 |
Die Grenzkontrollen dürfen nicht „militarisiert“ werden. Die Grenzwache darf keinen militärischen Charakter haben, sondern muss den einer Zivilpolizei haben. |
1.10 |
Wenn sich Menschen an den Außengrenzen (seien es See- oder Landgrenzen) in einer für ihre Sicherheit oder ihr Leben bedrohlichen Situation befinden, besteht die vornehmste Pflicht der Grenzwache und der übrigen vor Ort tätigen Einrichtungen darin, diese Personen zu retten und angemessen zu versorgen. Der EWSA weist darauf hin, dass in den letzten Monaten zahlreiche Vertriebene aus nahen Kriegsgebieten an den europäischen Küsten und Grenzen gestorben sind, ohne dass die Behörden die notwendigen Rettungs- und Schutzmaßnahmen eingeleitet hätten. |
1.11 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass der Vorschlag der Kommission zur Verbesserung des Außengrenzmanagements entsprechend den Änderungen am gemeinsamen Asylsystem angepasst werden sollte. Die derzeitige Krise resultiert daraus, dass die EU nicht in der Lage ist, ein gemeinsames Asylsystem zu entwickeln, um den Hunderttausenden Vertriebenen und Asylsuchenden, die unsere Grenzen erreichen, einen angemessenen Schutz zu bieten. Einige Regierungen haben die Vorschläge der Kommission und die Beschlüsse des Rates zur Umsetzung der Umsiedlungs- und Neuansiedlungsprogramme abgelehnt und sich geweigert, die Verpflichtungen gemäß dem Vertrag und dem Völkerrecht zu erfüllen. |
1.12 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Grenzbehörden in vielen Fällen den ausdrücklich im internationalen Asylrecht und im Vertrag verankerten Grundsatz der Nichtzurückweisung nicht beachtet haben. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass das neue integrierte Außengrenzschutzsystem bessere Garantien für die Einhaltung der Menschenrechte bewirken sollte. |
1.13 |
Der EWSA schlägt vor, dass er im Interesse einer Zusammenarbeit mit der Agentur für Grundrechte durch ein Mitglied im Konsultationsforum vertreten wird. Der Ausschuss ist auch der Auffassung, dass die Rolle des Grundrechtsbeauftragten gestärkt werden sollte, damit er von sich aus tätig werden und das vom Bürgerbeauftragten vorgeschlagene Beschwerdeverfahren („complaint mechanism“) ausgestalten kann. |
1.14 |
Der Ausschuss verweist auf die Vernachlässigung und Schutzlosigkeit Tausender von in der EU lebenden unbegleiteten Minderjährigen, die vor kriegerischen Auseinandersetzungen nach Europa geflohen sind, und schlägt der Kommission vor, umgehend Schutzmaßnahmen zu ergreifen. |
2. Hintergrund
2.1 |
Mit der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 wurde die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der EU (Frontex) errichtet. |
2.2 |
In einer früheren Stellungnahme (3) begrüßte der EWSA die Gründung von Frontex und betonte, dass an den Grenzen das Asylrecht (der Grundsatz der Nichtzurückweisung) beachtet und der Schutz der Grundrechte gewährleistet werden müssen. |
2.3 |
Danach wurde mittels der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 ein Mechanismus zur Bildung von „Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke“ (RABIT) eingeführt und die Verordnung (EG) 2007/2004 hinsichtlich dieses Mechanismus und der Regelung der Aufgaben und Befugnisse von eingeladenen Beamten geändert. Mit dieser Änderung der Verordnung kann ein Mitgliedstaat im Rahmen der Agentur die Entsendung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke aus besonders ausgebildeten Experten anderer Mitgliedstaaten in sein eigenes Hoheitsgebiet anfordern. |
2.4 |
Der EWSA sprach sich in einer Stellungnahme (4) für die Aktualisierung der Verordnung aus. Er wies aber auch darauf hin, dass der Schutz der Menschenrechte und des Asylrechts verbessert werden sollte. Darüber hinaus machte er auf das Risiko der „Militarisierung“ der Überwachung und Kontrolle der Außengrenzen aufmerksam. |
2.5 |
Die Richtlinie 2008/115/EG („Rückkehrrichtlinie“) enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger „im Einklang mit den Grundrechten (…), einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind“. |
2.6 |
Die letzte Frontex betreffende Änderung fand im Oktober 2011 statt. Dabei wurden Grenzkontrollen als gemeinsame Aufgabe von EU und Mitgliedstaaten festgelegt und ein integriertes Grenzmanagement eingeführt. Es wurden europäische Grenzschutzteams eingesetzt; dennoch bleibt es Sache des Mitgliedstaats, um Unterstützung durch die Agentur zu ersuchen. Ebenso wurden die Rolle von Frontex in den Rückführungsmaßnahmen gestärkt und das Mandat für den Schutz der Grundrechte verbessert. |
3. Der Vorschlag der Kommission für eine europäische Grenz- und Küstenwache und ein effizienteres Außengrenzmanagement
3.1 |
Der Vorschlag der Kommission zur Einsetzung einer europäischen Grenz- und Küstenwache gehört zu den Maßnahmen, die in der Europäischen Migrationsagenda vorgesehen sind, um das Management und die Sicherheit an den EU-Außengrenzen zu verbessern. Damit wird auf die Notwendigkeit reagiert, die Sicherheitskontrollen an den EU-Außengrenzen entsprechend der Forderung der Innenminister vom 20. November 2015 zu verstärken (5). |
3.2 |
Die Europäische Grenz- und Küstenwache wird sich aus einer aus Frontex hervorgehenden Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache und den für das Grenzmanagement zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zusammensetzen, die auch weiterhin das kontinuierliche Management der Außengrenzen übernehmen werden. |
3.3 |
Die neue Europäische Grenz- und Küstenwache wird über einen Soforteinsatzpool von 1 500 Beamten und Experten, die in weniger als drei Tagen einsatzbereit sind, sowie über einen Bestand an technischer Ausrüstung, eine Überwachungs- und Aufsichtsfunktion, das Recht, tätig zu werden, die Aufgabe der Küstenüberwachung, ein Mandat für die Tätigkeit in Drittländern, den Auftrag zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und eine stärkere Rolle bei der Rückführung verfügen. Ein europäisches Standard-Reisedokument für die Rückkehr soll eine größere Akzeptanz der Rückkehrer seitens der Drittstaaten gewährleisten. |
3.4 |
Die Europäische Kommission hat ein wichtiges Maßnahmenpaket zum Management der EU-Außengrenzen und zum Schutz des Schengen-Raums ohne Binnengrenzen angenommen. Zur Verbesserung der Sicherheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger schlägt die Kommission vor, auf der Grundlage der einschlägigen Datenbanken systematische Kontrollen für alle Personen einzuführen, die in den Schengen-Raum einreisen oder daraus ausreisen. Die Vorschläge werden zu einer wirksameren Migrationssteuerung, zur Verbesserung der inneren Sicherheit der EU und zur Wahrung des Grundsatzes der Freizügigkeit beitragen. |
3.5 |
Die Kommission schlägt eine spezifische Änderung des Schengener Grenzkodex vor, um die Pflicht zu systematischen Kontrollen von EU-Bürgern durch den Abgleich mit bestimmten Datenbanken einzuführen, z. B. dem Schengener Informationssystem, der Interpol-Datenbank für gestohlene und verlorene Reisedokumente und den relevanten nationalen Systemen an den Land-, See- und Luftaußengrenzen. Der Vorschlag bekräftigt auch die Notwendigkeit, bei Zweifeln an der Echtheit des Passes oder an der Identität des Inhabers die biometrischen Daten in den Ausweisen von EU-Bürgern zu überprüfen. Ab dann werden auch Kontrollen beim Verlassen der EU vorgeschrieben sein. |
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 |
Beim Treffen des Europäischen Migrationsforums (6) am 26./27. Januar 2015 diskutierte die von der Kommission und dem EWSA eingeladene Zivilgesellschaft mit den europäischen Institutionen über die humanitäre Notlage im Mittelmeerraum und den parallelen Zustrom von Migranten und Asylsuchenden. Nach den Schlussfolgerungen des Forums ergriff die Kommission eine Reihe von Schritten zur Verbesserung der Asyl- und Grenzpolitik. Der Ausschuss bedauert jedoch, dass die Schlussfolgerungen des Forums seitens des Rates nicht berücksichtigt wurden. Viele der derzeitigen Probleme hätten vermieden werden können, wären seine Empfehlungen umgesetzt worden. |
4.2 |
Die derzeitige Krise führt vor Augen, dass das Modell des Außengrenzmanagements beschränkt und das derzeitige Mandat von Frontex unzureichend ist. In verschiedenen Stellungnahmen (7) hat der EWSA vorgeschlagen, dass die EU die Außengrenzen im Schengen-Raum als gemeinsame Grenzen betrachten und die Verantwortung deshalb von der EU und den Mitgliedstaaten gemeinsam getragen werden sollte. |
4.3 |
Der EWSA war die erste Institution, die die Schaffung einer Europäischen Grenzwache vorgeschlagen hat. Darüber hinaus hat er Vorschläge (8) zum Schutz der Grundrechte im Rahmen der Grenzkontrollen und der Rückkehrpolitik erarbeitet. |
4.4 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die Vorschläge der Kommission zur Verbesserung des Außengrenzmanagements entsprechend den Änderungen am gemeinsamen Asylsystem angepasst werden sollten. Die sehr hohe Zahl von Vertriebenen, die an den Außengrenzen einiger Länder ankommen, übersteigt das Handlungsvermögen und zeigt, dass das Dublin-System nicht geeignet ist, um den massiven Zustrom von Vertriebenen und Asylsuchenden zu bewältigen. Die Verantwortung muss gemeinsam und solidarisch übernommen werden. Der Ausschuss schlägt vor: |
4.4.1 |
dass die EU den Umsiedlungs-Notfallplan und den dauerhaften Umsiedlungsmechanismus im Sinne des Beschlusses des Europäischen Rates vom 22. September 2015 in die Tat umsetzt; |
4.4.2 |
dass die Neuansiedlungsprogramme für den Umzug von Flüchtlingen aus Drittstaaten und deren Aufnahme in die EU in Zusammenarbeit mit den Drittstaaten und dem UNHCR aufgestockt werden und |
4.4.3 |
dass neue Umsiedlungsprogramme innerhalb der EU unter Bereitstellung finanzieller Anreize für mitwirkungswillige Mitgliedstaaten aufgelegt werden. Der Umsiedlungsmechanismus muss dauerhaft und effektiv sein und auf einem Verteilungsschlüssel beruhen. |
4.4.4 |
Bereits mehrfach hat der Ausschuss darauf hingewiesen, dass das Dublin-System durch ein System mit mehr Solidarität innerhalb der EU ersetzt werden muss, das dem Wunsch der Asylbewerber Rechnung trägt und eine Verteilung der Verantwortlichkeiten auf die Mitgliedstaaten gewährleistet (9). |
4.5 |
Der Vorschlag der Kommission stärkt die Rolle der Grenzagentur bei den Rückführungsmaßnahmen. Der Ausschuss erinnert daran: |
4.5.1 |
dass das Verwaltungsverfahren der Ausweisung individueller Natur sein muss und jeder Betroffene das Recht hat, administrative oder rechtliche Einwände den Behörden vorzutragen, und |
4.5.2 |
dass gemäß der Charta Kollektivausweisungen ausdrücklich untersagt sind und es festgelegt ist, dass niemand in einen Staat ausgewiesen, abgeschoben oder dorthin ausgeliefert werden darf, in dem für ihn die ernsthafte Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Das ist das Prinzip der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement). |
4.5.3 |
Der EWSA hat darauf hingewiesen (10), dass die EU die Türkei nicht als „sicheres Land“ im Bereich des Asyls betrachten sollte; auch der UNHCR und verschiedene NGO haben festgestellt, dass das kürzlich zwischen der EU und der Türkei geschlossene Abkommen die Achtung des internationalen Asylrechts nicht uneingeschränkt gewährleistet, weil „Flüchtlinge Schutz, aber keine Zurückweisung brauchen“ (11). Außerdem stellt der Beschluss Mazedoniens zur Schließung der Grenzen für Flüchtlinge eine Verletzung des Asylrechts dar. |
4.6 |
Der EWSA begrüßt, dass mit der Reform der Frontex-Verordnung vom Oktober 2011 das Konsultationsforum und der Grundrechtsbeauftragte eingeführt wurden, und stellt mit Zufriedenheit fest, dass im neuen Verordnungsvorschlag eine Reihe von Anregungen des Ausschusses (12) zum Schutz der Grundrechte an den Außengrenzen berücksichtigt wurden. |
5. Besondere Bemerkungen
5.1 |
Der Ausschuss empfiehlt einen gleichermaßen integrierten und präventiven Ansatz, bei dem es vordringlich um eine sorgfältige Auswertung der Daten über Bewegungen an den Außengrenzen geht und der eine örtliche und zeitliche Prognostizierung eines etwaigen Unterstützungsbedarfs bei den nationalen Behörden ermöglicht. Auch ist es erforderlich, einen Katalog von Leitlinien und Indikatoren auszuarbeiten, die Aufschluss darüber liefern, inwieweit dieses integrierte System seine komplexe Aufgabe erfüllt. Die Erfahrungen mit dem Schengen-System und den Verfahren zu seiner Bewertung sind für den Aufbau eines ähnlichen Systems zur Verwaltung der Informationen und der konkreten Maßnahmen relevant. |
5.2 |
Wenngleich der Ausschuss die Bestimmungen betreffend die verbindlichen Beschlüsse der Agentur und ihr Interventionsrecht für unerlässlich hält, ist er der Ansicht, dass die Union alles Notwendige unternehmen muss, um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten an den Einsätzen der Agentur an den Außengrenzen teilnehmen. Der EWSA ist einverstanden, dass die Kommission über ein Eingreifen der Agentur an den Außengrenzen entscheiden kann, dies jedoch ausschließlich in Notsituationen und im Wege transparenter Verfahren, die eine unmittelbare Benachrichtigung der europäischen Gesetzgeber vorsehen (Parlament und Rat). Dies ist ein Schlüsselelement für den Erfolg eines integrierten und koordinierten Ansatzes für den Grenzschutz, der mit einer größeren Transparenz einhergehen sollte, ebenso wie mit einer besseren Fähigkeit, das Außengrenzmanagement und die entsprechenden Maßnahmen zu erklären. |
5.3 |
Der Ausschuss hält es für erforderlich, die Koordinierung zwischen den zahlreichen Agenturen zu verbessern, die für Küstenwache, Grenzschutz, Zoll, Sicherheit des Seeverkehrs, Such- und Rettungseinsätze auf See, Umweltschutz und Fischerei zuständig sind. Auf diese Weise können Überschneidungen vermieden und Einsparungen — zumindest im Haushalt der EU — erzielt werden. Allerdings müssen die betreffenden Agenturen und Institutionen ihre jeweiligen Aufgaben voll und ganz beibehalten; und es muss vermieden werden, sie einer übergeordneten Struktur zu unterstellen, die der Gewährleistung der Sicherheit dient. |
5.4 |
Der EWSA begrüßt die Bildung einer aus 1 500 Fachkräften (Grenzschutzbeamte) bestehenden Europäischen Grenzwache. Deren Stärke könnte im Laufe der Zeit an die Bedarfslage angepasst werden. In diesem Zusammenhang geht es vor allem um die Schnelligkeit, mit der die Grenzschützer in die Grenzgebiete entsandt werden, und die Art und Weise, wie sie mit ihren Kollegen zusammenarbeiten. |
5.5 |
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ihrer Vorbereitung auf den Einsatz ist die Ausbildung. Der Ausschuss sieht einen Schulungsbedarf bei sowohl den europäischen Grenzschützern als auch ihren Kollegen in den Mitgliedstaaten. Die Agentur sollte eine aktive Rolle bei der Schulung und der Vermittlung bewährter Verfahren zwischen den Grenzschutzbeamten aus allen Mitgliedstaaten einnehmen. Bei der Durchführung von Schulungsprogrammen sollte den Grundrechten ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden, weil es die Grenzschutzbeamten sind, die den ersten Kontakt mit Flüchtlingen und Zuwanderern haben — Menschen, die sich zumeist in einer sehr schwierigen Lage befinden. |
5.6 |
Die Beteiligung der Agentur an Rückführungsmaßnahmen ist zu begrüßen. Mit Blick auf die Aufmerksamkeit, die der Rückführungspolitik künftig gewidmet wird, reicht die Mittelausstattung der Agentur möglicherweise aber nicht aus. Außerdem muss im Text der Mitteilung sowie auf operativer Ebene geklärt werden, welche Rolle die Agentur bei Rückführungsmaßnahmen übernehmen soll, insbesondere wenn sie auf eigene Initiative handelt. Ebenso muss die Agentur sicherstellen, dass sie sich an Rückführungsmaßnahmen beteiligt, bei denen die Grundrechte der betroffenen Personen gewahrt werden (13). |
5.7 |
Die Agentur sollte mit allen beteiligten Behörden zusammenarbeiten, um angemessene Aufnahmebedingungen und die Sicherheit der rückgeführten Personen zu gewährleisten. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Wahrung der Menschenrechte eine unabdingbare Voraussetzung für die Unterzeichnung von Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten ist; er lehnt es ab, dass Mitgliedstaaten oder die EU Vereinbarungen über die Rückführung mit Staaten schließen, die nicht die wesentlichen internationalen Instrumente zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert oder letztere systematisch verletzt haben (14). |
5.8 |
Der Schutz der Grundrechte muss eine Priorität der Agentur sein. Die Grundrechte gelten für alle Menschen, nicht nur für die Unionsbürger. Asylbewerber und Einwanderer stehen unter dem Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (15). Das besondere Augenmerk des Ausschusses gilt der Achtung der Grundrechte bei Einsätzen in Drittstaaten, dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung bei Kontrollen im Zusammenhang mit der Einreise in die Union, Kollektivausweisungen von Zuwanderern und Asylbewerbern in Länder ohne wirksamen Schutz der Menschenrechte und besonders schutzbedürftigen Personen, darunter unbegleiteten Minderjährigen und Frauen. |
5.9 |
Zur Sicherstellung einer gebührenden Berücksichtigung und Förderung der Grundrechte bietet der EWSA der Agentur seine Unterstützung an, indem er am Konsultationsforum für Grundrechte teilnimmt. Der Ausschuss empfiehlt ebenfalls, dass die Agentur unabhängige Bewertungen ihrer Verfahren und Maßnahmen zulässt. Was die interne Organisation der Agentur betrifft, hält der Ausschuss die Benennung eines Grundrechtsbeauftragten für ausreichend, sofern dieser mit einer soliden Arbeitsstruktur sowie umfangreichen Zuständigkeiten und Ressourcen ausgestattet wird. |
5.10 |
Der Ausschuss hält die Einführung eines neuen europäischen Reisedokuments für Drittstaatsangehörige sowie dessen Einsatz bei Rückführungsmaßnahmen für begrüßenswert und notwendig. |
5.11 |
Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Schengener Grenzkodex geändert werden könnte, wobei allerdings Anstrengungen unternommen werden müssen, damit Kontrollen von Unionsbürgern — sei es innerhalb oder außerhalb des Schengen-Raums — zu keiner Einschränkung der Mobilität führen, die zu ihren Grundfreiheiten zählt. Eine allgemeine Einführung derartiger Kontrollen, ganz gleich, ob sie mit fortschrittlicher Technologie oder einfachen Mitteln durchgeführt werden, käme schlussendlich einer Infragestellung des Funktionierens des Schengen-Systems gleich. |
5.12 |
Der Ausschuss bekräftigt in diesem Zusammenhang, dass auf allen Ebenen und bei allen Maßnahmen offen auf die Zivilgesellschaft zugegangen werden muss. Er erinnert daran, dass die Zivilgesellschaft und die Bürger entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich die humanitäre Lage in den Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten und auf deren Staatsgebieten nicht noch weiter verschlimmert hat. Der Ausschuss hält eine Unterstützung der Zivilgesellschaft für vorrangig, da sie sich mit sehr beschränkten Ressourcen darum bemüht, in diesen Notlagen zu helfen. |
Brüssel, den 25. Mai 2016.
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Georges DASSIS
(1) ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 1.
(2) ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 57.
(3) ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 97.
(4) ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 162.
(5) http://www.consilium.europa.eu/es/press/press-releases/2015/11/20-jha-conclusions-counter-terrorism.
(6) http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-european-migration-forum-1.
(7) ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 1, ABl. C 458 vom 19.12.2014, S. 7, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 162.
(8) ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 29.
(9) ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 1.
(10) ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 82.
(11) http://www.unhcr.org/56ec533e9.html.
(12) Siehe Fußnote 8.
(13) Gemäß Artikel 19 der Grundrechtecharta der Europäischen Union sind Kollektivabschiebungen nicht zulässig; außerdem darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.
(14) Siehe Fußnote 8.
(15) Siehe Fußnote 8.