19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/138


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Gemeinsamen Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik

[JOIN(2015) 50 final]

(2016/C 303/20)

Berichterstatter:

Andrzej ADAMCZYK

Mitberichterstatter:

Gintaras MORKIS

Die Europäische Kommission beschloss am 18. November 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik

[JOIN(2015) 50 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 162 gegen 15 Stimmen bei 21 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Annahme der Gemeinsamen Mitteilung zur Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik durch die Hohe Vertreterin und die Europäische Kommission und nimmt zur Kenntnis, dass in der Überprüfung viele der Empfehlungen enthalten sind, die vom EWSA in seiner Stellungnahme zum gemeinsamen Diskussionspapier Eine neue Europäische Nachbarschaftspolitik  (1) vorgeschlagen wurden, was dem Bestreben Rechnung trägt, die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) neu zu definieren, um diese wirksamer zu gestalten.

1.2

Das Bedürfnis, die Europäische Nachbarschaftspolitik zu überarbeiten, ist einerseits das Ergebnis des fehlgeschlagenen für alle gleichen Universalkonzepts, und andererseits eine Folge daraus, dass die relative Einheitlichkeit zwischen der südlichen und der östlichen Nachbarschaft fortlaufend schwindet und sich allmählich auflöst.

1.3

In der neuen ENP sollte anerkannt werden, dass der Ursprung der dramatischen Entwicklungen in diesen Regionen sowohl bei dem externen Druck als auch der internen Instabilität liegt, verbunden mit Armut, Ungleichheit, fehlenden Möglichkeiten, Korruption, politischer und religiöser Radikalisierung sowie gewalttätigem Extremismus.

1.4

Zweck der Überarbeitung der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist es, diese flexibel genug zu gestalten, damit eine Beteiligung der Länder sichergestellt werden kann, die nicht alle Anforderungen in Bezug auf die wirtschaftliche Integration oder Ausrichtung am Besitzstand der Gemeinschaft erfüllen können oder wollen. In diesem Sinne orientiert sich die neue Europäische Nachbarschaftspolitik am Prinzip der Inklusivität.

1.5

Um die Schäden zu begrenzen, die aus den dramatischen Entwicklungen in der Nachbarschaft resultieren, wird der Stabilisierung in der Mitteilung ein neuer Stellenwert verliehen, und ein neues Konzept der Differenzierung festgelegt.

1.6

Durch den auf die Stabilisierung gelegten Schwerpunkt ergibt sich auch die Erklärung, warum die Frage der internen und externen Sicherheit eine so große Rolle in der Mitteilung spielt. Obwohl die der EU zur Verfügung stehenden Instrumente begrenzt sind, sollte die derzeitige reaktive Einstellung durch eine proaktive Strategie der dynamischen diplomatischen Bemühungen mit dem Ziel ersetzt werden, Konflikten vorzubeugen und friedliche Lösungen für die eingefrorenen Konflikte zu finden.

1.7

Der EWSA betont die Bedeutung wirtschaftlicher Entwicklung als wichtigster Voraussetzung für ein stabiles und sicheres Umfeld in den Nachbarländern der EU. Die EU sollte die ENP-Partner konsistent wirtschaftlich unterstützen und die Bedingungen und die Motivation für die Fortführung von Reformen auf lange Sicht verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit steigern und die Vorschriften für Unternehmen modernisieren.

1.8

Es liegt ferner auf der Hand, dass begleitend zur wirtschaftlichen Entwicklung auch die soziale und die ökologische Dimension gestärkt werden muss, da nur durch das Zusammenspiel dieser drei Faktoren echte Fortschritte, Stabilität und sozialer Frieden gewährleistet werden können.

1.9

Dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss ist klar, dass die neue Arbeitsmethode der Differenzierung dem Sinn für politischen Realismus, den zunehmenden politischen Diskrepanzen zwischen Partnerländern und ihren unterschiedlichen Erwartungen entspricht. Aber selbst wenn nicht alle wirtschaftlichen Kriterien erfüllt werden können, darf die EU keine Kompromisse in Bezug auf die grundlegenden europäischen Werte eingehen, wozu auch die soziale Dimension, die Einhaltung der universellen Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit gehören. Es ist bedauerlich, dass der Grundsatz, die IAO-Arbeitsnormen zu achten, in der Mitteilung nicht als Eckpfeiler für gesunde Arbeitsbeziehungen erwähnt wird.

1.10

Die Rolle einer organisierten Zivilgesellschaft und der unabhängige soziale und zivile Dialog werden nicht genügend betont. Die Ziele der Europäischen Nachbarschaftspolitik, einschließlich der Stabilisierung, werden ohne eine erhebliche Beteiligung unabhängiger Organisationen der Zivilgesellschaft nie erreicht werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die europäische Integration zu aller erst ein Friedensprojekt ist, dessen Erfolg im ureigenen Interesse der Zivilgesellschaft liegt.

1.11

In der Mitteilung findet sich jedoch weder ein Hinweis auf die in den ENP-Ländern bestehenden Defizite beim sozialen und zivilen Dialog noch auf die dortigen Verstöße gegen die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.

1.12

In der Mitteilung wird anscheinend aufgrund ihres sinkenden Potenzials ein eher defensiver Ansatz empfohlen, der die ehrgeizigen Bestrebungen der Europäischen Nachbarschaftspolitik einschränken soll. Die EU sieht sich sowohl in der südlichen als auch in der östlichen Nachbarschaft tatsächlich mit störenden, und manchmal sogar dramatischen Entwicklungen konfrontiert. Mangelnde Vorstellungskraft ist jedoch nicht hilfreich, um einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Der EWSA empfiehlt für die Europäische Nachbarschaftspolitik eine neue, gewagte, dynamische Agenda, einschließlich der Aussicht auf einen Beitritt zur EU für bestimmte Partnerländer (insbesondere im Osten), die dieses Ziel verfolgen und willens und in der Lage sind, die Anforderungen zu erfüllen.

1.13

Der EWSA begrüßt die Absicht, bessere Kommunikation und Bewerbung der EU-Maßnahmen ins Zentrum der neuen ENP zu stellen, um die Beweggründe für die EU-Politik und die positiven Auswirkungen des konkreten Handelns der EU besser zu vermitteln. Genauso wichtig ist es aber, die Gefahren einzudämmen, die sich aus im Widerspruch zur Realität, zu den EU-Werten und den ENP-Zielen stehenden Falsch- und Desinformation und Propaganda ergeben.

1.14

Es muss betont werden, dass die ENP sowohl im Süden als auch im Osten durch externe Faktoren unterminiert wird. Der so genannte „Islamische Staat“ (IS) versucht, u. a. die südlichen Nachbarländer durch Terrorismus und Krieg zu destabilisieren. Die russische Diplomatie und das militärische Eingreifen Russlands zielen direkt auf die ENP und insbesondere die Östliche Partnerschaft ab. Außerdem stärkt diese militärische Intervention im Süden das autoritäre Regime in Syrien.

2.   Notwendigkeit einer neuen, überarbeiteten Europäischen Nachbarschaftspolitik

2.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Überarbeitung der Europäischen Nachbarschaftspolitik durch die Kommission mit dem Bestreben, die Ziele und das allgemeine Konzept der Europäischen Nachbarschaftspolitik nach den dramatischen Entwicklungen in den Nachbarschaftsländern der EU neu zu definieren.

2.2

Grundlage für die Beziehungen der EU zu ihren Nachbarschaftsländern ist Artikel 8 Absatz 1 EUV, welcher besagt, dass die Union besondere Beziehungen zu den Ländern in ihrer Nachbarschaft entwickeln soll, um einen Raum des Wohlstands und der guten Nachbarschaft zu schaffen, der auf den Werten der Union aufbaut und sich durch enge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zusammenarbeit auszeichnet.

2.3

Ursprünglich waren die Ziele der Europäischen Nachbarschaftspolitik durchaus ehrgeizig, und die allgemeine Zielvorgabe bestand darin, mit den südlichen und östlichen Nachbarn der EU die engstmögliche politische Assoziierung und das größtmögliche Maß an wirtschaftlicher Integration zu erreichen.

2.4

Eine der Folgen der wirtschaftlichen Integration ist ein potenziell besserer Zugang zum Binnenmarkt der EU, was aber mit schwierigen politischen, wirtschaftlichen und institutionellen Reformen einhergehen muss, sowie dem Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte.

2.5

Seit 2003–2004, als die Europäische Nachbarschaftspolitik geplant wurde, hat sich die Nachbarschaft dramatisch verändert, und das ursprüngliche, für alle gleiche Universalkonzept hat sich als vollkommen unwirksam erwiesen.

2.6

Seit 2014 besteht durch die aggressive Politik der aktuellen russischen Präsidialverwaltung und -regierung ein starker Einfluss auf die östliche Nachbarschaft, insbesondere durch den Krieg in der Ukraine und (teilweise erfolgreiche) politische Manöver, um die östlichen Nachbarn der EU der Eurasischen Wirtschaftsunion näherzubringen, die von Russland dominiert wird.

2.7

In Anerkennung der Tatsache, dass jedes Land das Recht hat, seine politische Zukunft selbst zu bestimmen, ist darauf hinzuweisen, dass die gegenwärtige russische Verwaltung ihre eigene Nachbarschaftspolitik aufbauen möchte, welche sich nicht mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik vereinbaren lässt, und sie möchte als globaler Akteur wahrgenommen werden, sowie als Instanz von ähnlicher Bedeutung wie die EU.

2.8

Obwohl die konstruktive Zusammenarbeit der EU mit Russland potenziell für beide Seiten vorteilhaft sein könnte, scheint es unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zukunft die Möglichkeit bestehen wird, den Interessenkonflikt in der östlichen Nachbarschaft zu vermeiden, sollte sich die aggressive und subversive Einstellung Russlands nicht ändern. Die jüngsten Entwicklungen in Syrien zeigen, dass dies auch für die südlichen Nachbarländer gelten könnte.

2.9

In der südlichen Nachbarschaft bedeuten der Krieg in Syrien, Konflikte in Libyen, das Aufkommen des IS, kontroverse politische Entwicklungen in einigen Ländern der Region und andere bewaffnete Konflikte im Mittleren Osten, dass die große Hoffnung auf Frieden und demokratische Veränderungen in Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling schwindet, zumindest im Hinblick auf die nahe Zukunft.

2.10

Alle diese negativen Entwicklungen und zunehmenden Diskrepanzen in vielen Bereichen zwischen verschiedenen Ländern, sowohl in der südlichen als auch in der östlichen Nachbarschaft, erfordern die Festlegung neuer Prioritäten, ein neues Konzept, neue Arbeitsmethoden und eine pro-aktivere und wirksamere EU-Diplomatie. Diese Mitteilung ergibt sich als Folge dieser Herausforderungen.

3.   Stabilisierung — ein neuer Stellenwert

3.1

Die Kommission schloss sich der Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in Bezug auf die Notwendigkeit an, Stabilität, erhöhte Sicherheit, Flexibilität und Differenzierung, sowie größere gemeinsame Verantwortung zu Schwerpunkten der überarbeiteten Europäischen Nachbarschaftspolitik zu machen. Die Stabilisierung wurde gemäß der Überprüfung als dringendste Herausforderung in vielen Teilen der Nachbarschaft identifiziert, und daher folgt die Empfehlung, dass sie den höchsten politischen Stellenwert in der neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik einnehmen sollte.

3.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Überzeugung, dass diese Empfehlung gut begründet ist, weil jüngste Entwicklungen den Nachweis liefern, dass es der EU nur teilweise gelungen ist, Stabilität, Wohlstand und Sicherheit in der Nachbarschaft zu fördern.

3.3

Zudem ist äußerst klar, dass Bedrohungen für die Stabilität in der Nachbarschaft nicht nur bedeutende Hindernisse für den demokratischen Übergang und für den von der EU geforderten Reformprozess darstellen können, sondern auch negative Auswirkungen auf die EU selbst, sowie auf Länder haben, deren Wandel aufgrund der Europäischen Nachbarschaftspolitik erfolgreich verläuft.

3.4

Die Konfliktprävention und die Konfliktbewältigung sollten deutlich gestärkt werden, insbesondere da viele eingefrorene Konflikte weiterhin eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität in der südlichen und auch in der östlichen Nachbarschaft darstellen. Um eine positive Rolle bei friedlichen Lösungen einzunehmen, sollte Europa einerseits unparteiisch bleiben, und andererseits den Opfern helfen, die den meisten Schutz bedürfen und die der größten Gefahr ausgesetzt sind.

3.5

Außerdem ist offensichtlich, dass die Instabilität nicht nur eine Folge externen Drucks ist. Wie in der gemeinsamen Mitteilung richtig erkannt, besteht eine Verbindung zwischen Instabilität und Armut, Ungleichheit, fehlenden Möglichkeiten sowie Korruption, die alle zu einer erhöhten Anfälligkeit für Radikalisierung beitragen können. Dem Dokument fehlt jedoch das Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen und sozialen Dimension. Die wichtige Rolle der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherung für die Stabilität wird unterschätzt.

4.   Differenzierung

4.1

Die neue Europäische Nachbarschaftspolitik wurde so konzipiert, dass sie verschiedenen Erwartungen, Bestrebungen und Interessen der Partnerländer Rechnung trägt, sowie der Lage, die sich aus verschiedenen Entwicklungen ergibt, insbesondere denen der Ländern in der Nachbarschaft der EU.

4.2

„Die EU wird weiterhin mit Partnerregierungen, Bürgern und zivilgesellschaftlichen Akteuren in Fragen der Menschenrechte und der Demokratie […] zusammenarbeiten“, diese Erklärung erfolgte in der gemeinsamen Mitteilung. Dabei hat sie bei weitem keinen grundlegenden Charakter, sondern entspricht dem neuen Sinn für politischen Realismus und der Bereitschaft, die beständige Förderung der europäischen Werte, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, in abgeschwächter Form fortzusetzen.

4.3

In der Mitteilung werden die Übereinkommen und Empfehlungen der IAO nicht erwähnt. Die Achtung der IAO-Arbeitsnormen stellt jedoch eine minimale Anforderung dar, die unbedingt erfüllt werden muss. Dieser Grundsatz darf durch die Differenzierung keine Schwächung erfahren.

4.4

In der Mitteilung wird erklärt, „dass sich daraus unterschiedliche Beziehungsmuster ergeben werden, die eine größere Eigenverantwortung auf beiden Seiten ermöglichen. Die EU ist bereit, die Möglichkeit zu erörtern, neue Prioritäten für die Partnerschaften festzulegen, um die jeweiligen Beziehungen stärker auf einvernehmlich vereinbarte gemeinsame Interessen auszurichten“. Dies kennzeichnet nicht nur einen veränderten Sprachgebrauch, sondern auch die Abkehr von einem eher „normativen Konzept“, dessen Schwerpunkt auf der Umsetzung europäischer Werte in Partnerländern liegt.

4.5

Die Änderung der Strategie kann teilweise aus dem Wunsch heraus entstanden sein, die Illusion zu beseitigen, dass alle Völker die demokratischen Normen der EU annehmen möchten, und nur repressive Regimes sie davon abhalten. Der EWSA vertritt nichtsdestoweniger die Auffassung, dass Kompromisse bei den universellen Menschenrechten oder den demokratischen Werten undenkbar sind.

4.6

Fakt ist auch, dass einige Partnerländer äußerten, die Europäische Nachbarschaftspolitik sei zu regulatorisch und die Besonderheiten und die Erwartungen der Partnerländer fänden keine ausreichende Berücksichtigung.

4.7

Das als Anreiz gedachte Konzept „mehr für mehr“ hat sich nur teilweise als effizient erwiesen. In Ländern, in denen sich lokale Eliten dem Wandel durch die Bestrebungen der EU widersetzten, konnte das Konzept nicht greifen. Zudem vermittelte das Konzept „mehr für mehr“ manchmal den Eindruck, dafür zu bezahlen, dass die Werte der EU geachtet werden. Die einzige Möglichkeit sicherzustellen, dass die Werte der EU geachtet werden, besteht jedoch darin, dass Menschen und Gesellschaften von deren universeller Bedeutung überzeugt sind und sie als ihre eigenen annehmen. Es ist nicht wirksam, Werte im Gegenzug für Projekte zu kaufen. Diesbezüglich begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Erklärung, dass „die EU nach wirksameren Möglichkeiten suchen [wird], um die Partner von der Notwendigkeit grundlegender Reformen zu überzeugen. Dazu zählt u. a. die Zusammenarbeit mit zivilen, wirtschaftlichen und sozialen Akteuren“.

4.8

Unter Berücksichtigung des neuen differenzierten Ansatzes dürfen wir das Konzept „mehr für mehr“ trotzdem nicht zu einem „mehr für weniger“ werden lassen, nur zum Zweck der Stabilisierung in der Nachbarschaft als neuem vorrangigem Ziel. Das Konzept der Auflagengebundenheit zur Umsetzung der „maßgeschneiderten“ Politik als Bestandteil der Europäischen Nachbarschaftspolitik muss weiter ausgearbeitet werden.

4.9

Es bleibt abzuwarten, ob das neue differenzierte Konzept in der Praxis nicht nur den stufenweisen Niedergang der Europäischen Nachbarschaftspolitik und einen reibungslosen Übergang zu einem rein bilateralen Ansatz bedeutet.

4.10

Dabei ist auch hervorzuheben, dass die neue „gemeinsame Eigenverantwortung“, was weniger Bevormundung und mehr aufrichtige Partnerschaft bedeutet, in Kombination mit der Differenzierung nicht zu einer wählerischen Politik führen darf, bei der sich die Partnerländer nur jene Bestandteile der Partnerschaft aussuchen können, die für ihre Regierungen zweckdienlich sind.

4.11

Die Differenzierung wird sich auch auf die Art der Berichterstattung über die Fortschritte der Partnerländer auswirken. Entwickelt werden soll ein neues Bewertungsmodell, dessen Schwerpunkt auf spezifischen, mit den Partnern vereinbarten Zielen liegt. Der EWSA findet es bedauerlich, dass die derzeitige transparente Erarbeitung von Fortschrittsberichten, die vom Format her für alle Länder gleich sind und gleichzeitig vorgelegt werden, durch eine Reihe unterschiedlicher Berichte zu den einzelnen Ländern, deren Format noch festzulegen ist, ersetzt werden soll.

5.   Rolle der organisierten Zivilgesellschaft

5.1

Die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft oder der soziale oder zivile Dialog findet in der Mitteilung nicht genügend Berücksichtigung. Es besteht lediglich ein ungenauer Verweis auf die Notwendigkeit, die Zivilgesellschaft, einschließlich der sozialen Partner, verstärkt einzubeziehen, und die „EU sollte daher ihre Sensibilisierungsmaßnahmen auf Akteure der Zivilgesellschaft im weitesten Sinne, einschließlich der Sozialpartner, ausweiten“.

5.2

Ein eindeutiges Defizit des zivilen und sozialen Dialogs ist in fast allen Ländern vorhanden, sowohl in der südlichen als auch in der östlichen Nachbarschaft, obwohl es mit Tunesien und Georgien beispielsweise auch Länder gibt, bei denen diesbezüglich beträchtliche Fortschritte erzielt wurden.

5.3

In der Mitteilung wird für den Geltungsbereich der Europäischen Nachbarschaftspolitik nicht die Verletzung der Vereinigungsfreiheit erwähnt, und auch nicht das Recht auf freie Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervereinigung, sowie auf die Bildung von Nichtregierungsorganisationen. Zudem mangelt es an einer Vision, wie den Nachbarschaftsländern ein Umfeld zur Verfügung gestellt werden kann, das ihnen die Beteiligung an der Politikgestaltung, Programmplanung, Umsetzung, Überwachung und Evaluierung der politischen Maßnahmen der öffentlichen Hand ermöglicht.

5.4

In der Mitteilung werden die Reform der öffentlichen Verwaltung und die Einhaltung der Verpflichtungen hervorgehoben, die die Partner gemäß Europäischer Nachbarschaftspolitik in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter eingehen, aber die Rolle der Zivilgesellschaft wird diesbezüglich nicht erwähnt.

5.5

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich verpflichtet, mit seinen Partnerorganisationen in den Ländern der europäischen Nachbarschaft mit dem klaren Ziel zusammenzuarbeiten, die Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik gemeinsam zu überwachen und die Auswirkungen des Konzepts der Differenzierung zu beobachten.

6.   Migration und Mobilität

6.1

Obwohl die Strategie der EU und konkrete Maßnahmen hinsichtlich Migration und Mobilität kein spezifischer Bestandteil der Europäischen Nachbarschaftspolitik sind, ist die Zusammenarbeit mit Partnerländern diesbezüglich von entscheidender Bedeutung.

6.2

Eine Lösung zur anhaltenden Flüchtlingskrise muss Teil einer größeren Strategie der EU sein, aber die effiziente und wirksame Umsetzung der Agenda für Migration und Mobilität im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik kann hierbei eine große Rolle spielen.

6.3

Wie in der Mitteilung sehr richtig angemerkt, „ist die Bewältigung der Ursachen von irregulärer Migration und Zwangsvertreibungen von zentraler Bedeutung für die Stabilisierung der Nachbarschaft“. Dies steht jedoch nicht in besonderem Einklang mit dem Konzept der Differenzierung, was eine weniger ehrgeizige Einstellung in Bezug auf die Verurteilung systematischer Verletzungen der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte durch einige Regierungen der Partnerländer bedeuten kann, selbst wenn dies die Hauptursache für die Instabilität darstellt.

6.4

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss weist zudem darauf hin, dass Initiativen für Erleichterungen bei der Erteilung von Visa als eines der wichtigsten Instrumente im Hinblick auf eine engere Zusammenarbeit mit den Nachbarschaftsländern im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik betrachtet werden sollten. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt Pläne zur Erleichterung bei der Erteilung von Visa nachdrücklich, und warnt davor, dass die Auflösung des Schengen-Raums diese aufs Spiel setzen könnte.

6.5

„Die EU wird weiterhin für ein faires und realistisches Bild der Migration eintreten, mit Nachdruck alle Ausprägungen und Erscheinungsformen von Rassismus und Diskriminierung bekämpfen und den interkulturellen Dialog, die kulturelle Vielfalt und das gegenseitige Verständnis fördern“, diese Erklärung aus der Mitteilung wird auch durch den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet.

7.   Wirtschaftliche Entwicklung als Mittel zur Stabilisierung

7.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Anstrengungen, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, die Wirtschaft in den Partnerländern zu unterstützen, und die Aussichten für die lokale Bevölkerung als wichtigste Voraussetzung für ein stabiles und sicheres Umfeld in der Nachbarschaft der EU zu verbessern. Alle Nachbarschaftsländer haben wirtschaftliche Probleme, aber die Art dieser Probleme ist sehr unterschiedlich, sowohl in Bezug auf ihre Ursachen, wie auch im Hinblick auf ihr Ausmaß und ihre Auswirkungen auf die Stabilität. Daher erfordern unter anderem ihre wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede für die künftige Entwicklung der Beziehungen mit Nachbarschaftsländern den Aspekt der Differenzierung. Für eine weitere Zusammenarbeit sind Reformen in der öffentlichen Verwaltung, in den Rechtssystemen und im Sicherheitssektor sowie bei der Bekämpfung der Korruption und der organisierten Kriminalität von vorrangiger Bedeutung. Fortschritte in diesem Bereich sind von entscheidender Bedeutung für die Stabilität, aber es bedarf auch eines sicheren und stabilen Umfelds, um einen Erfolg zu gewährleisten.

7.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt, dass die Notwendigkeit einbezogen wurde, die Assoziierungsabkommen und die vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen, die bereits unterzeichnet wurden, zusammen mit den Reformen in den Nachbarschaftsländern vollständig und wirksam umzusetzen. Um jedoch Vorteile aus den vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen zu ziehen, müssen die Partnerländer einen schwierigen Prozess der grundlegenden Modernisierung von Produktion und Dienstleistungen durchlaufen. Die Mitteilung ist diesbezüglich eindeutig, da sie eine Erklärung zur Unterstützung durch die EU beim Kapazitätsaufbau enthält, um die Herausforderungen der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen zu bewältigen.

7.3

Das Ziel des völlig freien Handels zwischen der EU und den Nachbarschaftsländern, die eine engere Zusammenarbeit anstreben, sollte nicht aufgegeben werden. Die Möglichkeit des Zugangs zum EU-Markt bietet eine Motivation für die Nachbarschaftsländer, um wirtschaftliche Reformen zu verfolgen sowie Produktion und Unternehmen zu modernisieren. Selbst die Unterzeichnerstaaten der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen haben aufgrund der instabilen politischen und wirtschaftlichen Lage, die für Investitionen nicht förderlich ist, Schwierigkeiten bei der Modernisierung ihrer Wirtschaft. Der Zugang zum EU-Markt und anderen internationalen Märkten steht in direktem Bezug zu den Themen Beschäftigung und Aussichten der Jugend, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Die gefestigte Stellung der Oligarchen und die Korruption stellen ein Hindernis für wirtschaftliche Reformen dar. Die EU sollte mehr Druck ausüben und von allen möglichen Maßnahmen Gebrauch machen, um die Situation zu verbessern und somit die Möglichkeit zu schaffen, dass der Anreiz geboten ist, in die Länder Investitionskapital fließen zu lassen, in denen ein gesundes wirtschaftliches Umfeld besteht.

7.4

Klar ist ebenso, dass die Umsetzung der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen große soziale Herausforderungen mit sich bringt. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, alle Interessenträger, insbesondere soziale Partner, in den Prozess einzubeziehen. Interne Beratungsgruppen und Plattformen der Zivilgesellschaft können dabei eine positive Rolle spielen und sollten in alle Aspekte der Umsetzung der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen (DCFTA) einbezogen werden.

7.5

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss stellt mit Zufriedenheit fest, dass der Frage der allgemeinen und beruflichen Bildung (insbesondere für die Jugend) in der Mitteilung tatsächlich die angemessene Beachtung zukommt. Wahrscheinlich wird die Unterstützung für primäre und sekundäre Bildungssysteme in den Ländern aufgestockt, in denen der größte Bedarf besteht, und was den Umfang und die Finanzierung angeht, werden vermehrt Möglichkeiten für die Nachbarschaftsländer bestehen, an Erasmus+ teilzunehmen. Auch andere Maßnahmen für die Kompetenzentwicklung der Jugend werden zur Anwendung kommen, damit der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird.

7.6

Der Aufbau von Verkehrsverbindungen mit Nachbarschaftsländern kann weiter zur Stärkung ihrer Wirtschaft beitragen. Die Bestimmungen, dass die EU die wichtigen transeuropäischen Netze in den östlichen Partnerländern erweitern und Investitionen zusammen mit den internationalen Finanzinstituten und anderen Partnern fördern, sowie maßgebliche Pläne für ein Europa-Mittelmeer-Netz erarbeiten sollte, sind äußerst begrüßenswert. Dieses Vorhaben ist auch für die Organisationen der Zivilgesellschaft von großer Bedeutung, die aktiv in die Umsetzung eingebunden werden sollten.

7.7

Hinsichtlich der Energieversorgung ist die EU von Nachbarschaftsländern abhängig. Daher sind gemeinsame Energieprojekte für beide Parteien gleichermaßen wichtig und notwendig. Die Themen Energieeinsparung, Energieeffizienz und Emissionsreduktion sind von besonderer Bedeutung, ebenso wie Projekte im Bereich der erneuerbaren Energie. Die Notwendigkeit eines verstärkten Energiedialogs der EU mit den Nachbarschaftsländern im Bereich der Energieversorgungssicherheit, der Energiemarktreformen und der Förderung einer nachhaltigen Energiewirtschaft, mit dem Ziel eine belastbare Energieunion mit einer ehrgeizigen Klimapolitik als zentralem Schwerpunkt aufzubauen, wird in der gemeinsamen Mitteilung zurecht betont.

7.8

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission auf Folgendes hinweist: „Da in vielen Partnerländern ein Großteil der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt ist, sollte die EU weiterhin nachhaltige und inklusive Maßnahmen und Investitionen zur Modernisierung dieses Sektors sowie ggf. die Diversifizierung hin zu anderen einkommensschaffenden Tätigkeiten im ländlichen Raum unterstützen“. In diesem Zusammenhang sollte jedoch betont werden, dass die Harmonisierung im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung in Folge der Umsetzung des DCFTA nicht zu einer Verschlechterung der Qualität landwirtschaftlicher Produkte oder zu einer Aushöhlung arbeitsrechtlicher Normen führen darf.

8.   Die Sicherheitsdimension

8.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Hervorhebung der Sicherheitsdimension in der gemeinsamen Mitteilung. Die Belastbarkeit der Partner in Bezug auf externe und interne Bedrohungen zu stärken, sowie die Modernisierung zugunsten einer langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Stabilität zu fördern, ist von entscheidender Bedeutung.

8.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die gemäß Europäischer Nachbarschaftspolitik aufgeführten Sicherheitsprioritäten, die der Terrorismusbekämpfung, der Prävention einer Radikalisierung und organisierter Kriminalität, der Korruptionseindämmung und der Bekämpfung der Cyberkriminalität eine zentrale Bedeutung zukommen lassen. Die zentrale Aufgabe dieser Prioritäten, die Sicherheit sowohl in den Nachbarschaftsländern als auch in der EU selbst zu erhöhen, sollte unterstrichen werden.

8.3

Hervorgehoben werden sollte aber auch die Tatsache, dass nicht nur terroristische und kriminelle Vereinigungen eine Bedrohung für die Stabilität der Nachbarschaftsländer darstellen, sondern auch bestimmte Regierungen, die das Völkerrecht missachten und Konflikte und Krisen in der Region der europäischen Nachbarschaft provozieren.

8.4

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Initiative, der Zusammenarbeit in Bezug auf Angelegenheiten der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) neuen Schwung zu verleihen, insbesondere unter Hinweis auf die Möglichkeit, zur praktischen Umsetzung der geteilten Verantwortung und der Sicherheitsinteressen von GSVP-Missionen und GSVP-Operationen Gebrauch zu machen, wenn nötig auch von EU-eigenen Gefechtsverbänden. Die GSVP-Instrumente und die diplomatischen Bemühungen sollten jedoch nicht nur als Reaktion auf Krisen zur Anwendung kommen, sondern auch als politisches Mittel zur Krisenvorsorge dienen. Die EU sollte die Notwendigkeit für ein umfangreicheres Engagement bei der Konfliktprävention und der diplomatischen Vermittlung zwischen potenziellen Konfliktparteien — Ländern oder nichtstaatlichen Akteuren — betonen.

9.   Regionale Dimension

9.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die in der gemeinsamen Mitteilung vertretene Position, den bestehenden Hauptaufbau der regionalen Zusammenarbeit beizubehalten, d. h. die Stärkung der östlichen Partnerschaftsprogramme und die regionale Zusammenarbeit in der südlichen Nachbarschaft. Dabei sollte aber betont werden, dass sich in den letzten Jahren innerhalb der bestehenden regionalen Rahmen erhebliche Abweichungen und Ungleichheiten entwickelt haben. Die Empfehlung einer eindeutigeren Unterscheidung zwischen den Partnern in der europäischen Nachbarschaft, zwischen denen, die gegenüber der EU bereits ein höheres Integrationsniveau erreicht haben (durch Assoziierungsabkommen und vertiefte und umfassende Freihandelsabkommen) oder dies vorhaben, und den übrigen Ländern, könnte vielversprechend sein.

9.2

Unklar bleibt, wie eine weitere engere Zusammenarbeit mit diesen Partnerländern, die bei der Umsetzung der Assoziierungsabkommen und der vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen Erfolge verzeichnen und europäische Bestrebungen haben, durch die neue Europäische Nachbarschaftspolitik gefördert werden soll. Der EWSA weist erneut darauf hin, dass den Ländern der Östlichen Partnerschaft eine eindeutige Perspektive für einen EU-Beitritt angeboten werden sollte. Dies würde nicht nur ihre Regierungen hinsichtlich der Bemühungen mobilisieren und motivieren, ihre Länder einem Wandel zu unterziehen und ihre Rechtsvorschriften auf den Besitzstand der Gemeinschaft auszurichten, sondern die organisierte Zivilgesellschaft auch darin bestärken, zu diesen Bemühungen beizutragen. Dies würde den Bürgern der Partnerländer auch die europäischen Werte und die europäische Identität näherbringen.

9.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet die Idee eines thematischen Rahmens, der die allgemeine Entwicklung in Richtung eigens zusammengestellter Initiativen und Projekte für interessierte Parteien aus der südlichen und östlichen Nachbarschaft fördern sollte. Der Vorschlag scheint aber zu breit gefasst, und ihm mangelt es offensichtlich an einem klaren Ziel. Foren für Gespräche zu Themen wie etwa Migration, Energie und Sicherheit sind der erste Schritt zu einer intensiveren Zusammenarbeit im Hinblick auf die zuvor genannten Herausforderungen. Die EU sollte die spezifischen Ergebnisse, die sie durch diese thematischen Rahmen erreichen möchte, klarer formulieren.

9.4

Berücksichtigt werden sollte auch, dass einige Nachbarn von Nachbarn (insbesondere Russland) eingeladen wurden, Teil der Europäischen Nachbarschaftspolitik zu sein, diese Gelegenheit aber nie wahrgenommen haben. Daher sollten die thematischen Plattformen ausnahmslos für spezifische zweckgebundene Ziele zur Anwendung kommen, und nicht dafür, Dritten die Möglichkeit zu bieten, ihre eigenen Ziele auf Kosten der Grundsätze der Europäischen Nachbarschaftspolitik voranzutreiben. Das in der Mitteilung beschriebene Modell einer Zusammenarbeit mit den „Nachbarn der Nachbarn“ ist viel zu unpräzise, so dass eine solche Zusammenarbeit jeweils aufmerksam beobachtet werden muss, um etwaigen Missbrauch durch Dritte auszuschließen, die versuchen könnten, die Interessen der Partnerländer, der EU oder der ENP selbst zu unterlaufen. Die Beteiligung anderer Akteure über die Nachbarschaft hinaus (oder Nachbarn von Nachbarn) und eine Zusammenarbeit mit diesen sollte auf der Grundlage einer wohlwollenden und souveränen Entscheidung der Partnerländer erfolgen, damit neue Akteure in deren Zusammenarbeit mit der EU einbezogen werden.

10.   Flexibilität der Finanzierungsinstrumente

10.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Initiative, „über den weiteren Ausbau ihrer Zusammenarbeit mit großen internationalen Finanzinstitutionen und über die Nachbarschaftsinvestitionsfazilität (NIF) beträchtliche zusätzliche Mittel zu mobilisieren“, und die Halbzeitüberprüfung der externen EU-Finanzinstrumente im Jahr 2017. Klar betont werden sollte, dass gestiegene Bedürfnisse und Herausforderungen in der EU-Nachbarschaft nicht nur eine wirksamere Neuverteilung der zugewiesenen 15 Milliarden EUR über das Europäische Nachbarschaftsinstrument (ENI) im Zeitraum von 2014-2020 erfordern, sondern auch erhebliche zusätzliche Mittel.

10.2

Der EWSA befürwortet die Vorschläge zur Verwendung eines „Flexibilitätspolsters“ im Rahmen des ENI, um im Falle unvorhergesehenen Bedarfs eine dringende Zuteilung von Mitteln vornehmen zu können, und die Anpassung der Haushaltsordnungen, sodass nicht verwendete Finanzmittel in das nächste Jahr übertragen werden können.

10.3

Wir sind jedoch der Auffassung, dass der primäre Schwerpunkt der Europäischen Nachbarschaftspolitik auf der Verbesserung der bestehenden Finanzinstrumente liegen sollte, anstatt neue Finanzierungsstrukturen oder „Treuhandfonds“ in den Vordergrund zu rücken. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Partnerländern sollte eine größere Transparenz von Ausgaben und Rechenschaftspflicht zur Folge haben. Dies umfasst die Fähigkeit, schneller auf die sich verändernde politische und sicherheitspolitische Lage vor Ort reagieren zu können, damit Finanzmittel umgeleitet werden, um sie dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden. Die EU sollte außerdem einen klaren Ansatz für Fälle beschließen, in denen Partner nicht den Weg einer stärkeren Integration wählen, und Anreize für die Achtung grundlegender Werte und für weitere zentrale Reformen schaffen.

10.4

Die EU und die Mitgliedstaaten sollten Möglichkeiten untersuchen, die gemeinsame Programmplanung im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik zu erweitern. Für die Mitgliedstaaten und sonstige Interessenträger muss eine höhere Transparenz der Programmplanung und der Berichterstattung zu den Ergebnissen erreicht werden. Organisationen der Zivilgesellschaft können hier eine wichtige Rolle spielen.

11.   Sichtbarkeit, Kommunikations- und Kontaktarbeit

11.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Entschlossenheit, die Sichtbarkeit der EU-Strategien zu verbessern, und eine wirksamere Kommunikation der neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik zu fördern. In der Mitteilung wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es „mit einer aufgewerteten ‚Public Diplomacy‘ möglich sein [wird], die Logik der EU-Politik und die positiven Effekte konkreter EU-Maßnahmen besser darzustellen“. Genauso wichtig ist es, dass der Schaden nicht übersehen wird, der aus den Fehlinformationen, Desinformationen und der Propaganda resultiert, die im Gegensatz zu den EU-Werten und den Grundsätzen der Europäischen Nachbarschaftspolitik stehen.

11.2

Die EU sollte geeignete Instrumente und Bezugspunkte finden, um Herausforderungen bei der Kommunikation in den Partnerländern und in der EU zu bewältigen. Die vom Europäischen Auswärtigen Dienst eingerichtete EU East StratCom Task Force ist nur der allererste Schritt bei der vermehrten Sensibilisierung unter den Bürgern der EU-Partner und Nachbarschaftsländer in Bezug auf feindselige und Unruhe stiftende Diskurse in der öffentlichen Kommunikation. Der Europäische Auswärtige Dienst sollte nicht von seinen Verpflichtungen zurückweichen, die strategische Kommunikation der EU weiter zu stärken.

11.3

Die Herausforderungen der Migration sollten sowohl in der Region der europäischen Nachbarschaft als auch in der EU den höchsten Stellenwert einnehmen, was die strategische Kommunikation und Öffentlichkeits-Diplomatie betrifft. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten zur Kenntnis nehmen, dass Fehlkommunikation zur Migrations- und Flüchtlingspolitik sehr viel Schaden hinsichtlich des folgerichtigen Vertrauens der Mitgliedstaaten und der Partnerländer anrichten kann, und sogar in Bezug auf die Stabilität der EU.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Gemeinsamen Konsultationspapier „Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik“, ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 91.