21.3.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 95/10


Leitlinien

vom 19. März 2015

für die formalisierte Risikobewertung zur Ermittlung der angemessenen guten Herstellungspraxis für Arzneiträgerstoffe in Humanarzneimitteln

(Text von Bedeutung für den EWR)

(2015/C 95/02)

Einleitung

Diese Leitlinien stützen sich auf Artikel 47 Absatz 5 der Richtlinie 2001/83/EG (1).

Gemäß Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe f der Richtlinie 2001/83/EG ist der Inhaber einer Herstellungserlaubnis verpflichtet, sicherzustellen, dass die Arzneiträgerstoffe zur Verwendung in Arzneimitteln geeignet sind, indem er ermittelt, welche die angemessene Gute Herstellungspraxis ist. Die angemessene Gute Herstellungspraxis für Humanarzneimittel ist anhand einer formalisierten Risikobewertung im Einklang mit diesen Leitlinien zu ermitteln. Diese Risikobewertung berücksichtigt die Erfordernisse anderer angemessener Qualitätssicherungssysteme sowie die Quelle und den Verwendungszweck der Arzneiträgerstoffe und vergangene Fälle von Qualitätsmängeln. Der Inhaber der Herstellungserlaubnis muss sicherstellen, dass die ermittelte angemessene Gute Herstellungspraxis Anwendung findet. Außerdem muss er die getroffenen Maßnahmen dokumentieren.

Das Verfahren zur Risikobewertung bzw. zum Risikomanagement für den Arzneiträgerstoff sollte Bestandteil des Arzneimittelqualitätssystems des Inhabers der Herstellungserlaubnis sein.

Inhaber einer Herstellungserlaubnis sollten die Unterlagen über die Risikobewertung bzw. das Risikomanagement für die angemessene Gute Herstellungspraxis vor Ort zur Überprüfung durch Kontrolleure der Guten Herstellungspraxis zur Verfügung halten. Um stetige Verbesserungen zu ermöglichen, sollten dem Hersteller der Arzneiträgerstoffe die einschlägigen Informationen der Risikobewertung mitgeteilt werden.

Für Arzneiträgerstoffe zugelassener Humanarzneimittel sollte bis zum 21. März 2016 eine Risikobewertung gemäß diesen Leitlinien durchgeführt werden.

KAPITEL 1 — GELTUNGSBEREICH

1.1.

Diese Leitlinien gelten für die Risikobewertung zur Ermittlung der angemessenen Guten Herstellungspraxis für Arzneiträgerstoffe in Humanarzneimitteln. Gemäß Artikel 1 Absatz 3b der Richtlinie 2001/83/EG ist ein Arzneiträgerstoff definiert als jeder Bestandteil eines Arzneimittels mit Ausnahme des Wirkstoffes und des Verpackungsmaterials.

1.2.

Diese Leitlinien gelten nicht für Stoffe, die zur Stabilisierung von Wirkstoffen hinzugefügt werden, die alleine nicht existieren können.

KAPITEL 2 — BESTIMMUNG DER ANGEMESSENEN GUTEN HERSTELLUNGSPRAXIS ANHAND DER ART UND VERWENDUNG DES ARZNEIMITTELTRÄGERSTOFFES

2.1.

In EudraLex Band 4, Leitlinien für die Gute Herstellungspraxis, Human- und Tierarzneimittel, Teil III: Unterlagen über die Gute Herstellungspraxis, ICH-Leitlinie Q9 über Qualitätsrisikomanagement (ICH Q9) finden sich Grundsätze und Beispiele für Instrumente des Qualitätsrisikomanagements, die auf verschiedene Aspekte der Arzneimittelqualität, einschließlich Arzneiträgerstoffe, anwendbar sind.

2.2.

Diese Grundsätze für das Qualitätsrisikomanagement sollten verwendet werden, um die Risiken für Qualität, Sicherheit und Funktion jedes einzelnen Arzneiträgerstoffes zu ermitteln und das Risiko des betreffenden Arzneiträgerstoffes beispielsweise als gering, mittel oder hoch einzustufen. Hierfür sollten Instrumente für das Qualitätsrisikomanagement, wie die in EudraLex Band 4, Teil III, ICH Q9 aufgelisteten (z. B. Gefahrenanalyse und kritische Kontrollpunkte — HACCP), Anwendung finden.

2.3.

Der Inhaber der Herstellungserlaubnis sollte für jeden einzelnen verwendeten Arzneiträgerstoff von jedem einzelnen Hersteller die Risiken für Qualität, Sicherheit und Funktion jedes einzelnen Arzneiträgerstoffes von dessen Quelle — sei diese tierisch, mineralisch, pflanzlich oder synthetisch usw. — bis zu dessen Aufnahme in das fertige Arzneimittel in seiner Darreichungsform ermitteln. Dabei ist unter anderem Folgendes zu berücksichtigen:

i)

transmissible spongiforme Enzephalopathie;

ii)

das Potenzial viraler Kontamination;

iii)

das Potenzial mikrobiologischer oder endotoxischer/pyrogener Kontamination;

iv)

das allgemeine Potenzial für Verunreinigungen, die aus dem Ausgangsmaterial stammen, wie z. B. Aflatoxine oder Schädlingsbekämpfungsmittel, oder die im Laufe des Verfahrens entstehen, wie z. B. Lösungsmittelrückstände und Katalysatoren;

v)

Sterilitätsgewähr bei als steril bezeichneten Arzneiträgerstoffen;

vi)

das Potenzial für Verunreinigungen aus sonstigen Verfahren, wenn keine spezielle Ausrüstung und/oder Einrichtungen zur Verfügung stehen;

vii)

Umweltkontrolle und Lagerungs-/Transportbedingungen, einschließlich ggf. Kühlkettenmanagement;

viii)

die Komplexität der Lieferkette;

ix)

Arzneiträgerstoffstabilität;

x)

Nachweis einer unbeschädigten Verpackung.

2.4.

Außerdem sollte der Inhaber der Herstellungserlaubnis mit Blick auf Verwendung und Funktion jedes einzelnen Arzneiträgerstoffes Folgendes berücksichtigen:

i)

die Darreichungsform und die Verwendung des Arzneimittels, das den Arzneiträgerstoff enthält;

ii)

die Funktion des Arzneiträgerstoffes in der Rezeptur, z. B. Gleitmittel in Tabletten oder Konservierungsmittel in einer Flüssigrezeptur usw.;

iii)

den Anteil des Arzneiträgerstoffes in der Zusammensetzung des Arzneimittels;

iv)

die tägliche Aufnahme des Arzneiträgerstoffes durch den Patienten;

v)

etwaige bekannte Qualitätsmängel/betrügerische Fälschungen — sei es globaler Art oder auf der Ebene eines örtlichen Unternehmens — im Zusammenhang mit dem Arzneiträgerstoff;

vi)

ob der Arzneiträgerstoff aus einer Zusammensetzung besteht;

vii)

bekannte oder mögliche Auswirkungen auf die kritischen Qualitätsmerkmale des Arzneimittels;

viii)

sonstige festgestellte oder als für die Gewährleistung der Patientensicherheit relevant bekannte Faktoren.

2.5.

Nach Feststellung und Dokumentation des Risikoprofils des Arzneiträgerstoffes sollte der Inhaber der Herstellungserlaubnis diejenigen Elemente gemäß EudraLex Band 4 feststellen und dokumentieren, die seiner Auffassung nach notwendig sind, um die Qualität des Arzneiträgerstoffes zu kontrollieren und aufrechtzuerhalten, z. B. Anhang 1 und/oder Anhang 2; Teil II: Grundlegende Anforderungen an als Ausgangsmaterial verwendete Wirkstoffe.

2.6.

Diese Elemente variieren je nach Quelle, Lieferkette und folgender Verwendung des Arzneiträgerstoffes, doch sollten mindestens die folgenden Elemente eines hohen Niveaus der Guten Herstellungspraxis vom Inhaber der Herstellungserlaubnis berücksichtigt werden:

i)

Einrichtung und Durchführung eines wirksamen Arzneimittelqualitätssystems;

ii)

ausreichendes kompetentes und angemessen qualifiziertes Personal;

iii)

festgelegte Stellenbeschreibungen für Manager und Aufsichtspersonal mit Zuständigkeit für die Herstellungs- und die Qualitätstätigkeiten;

iv)

Schulungsprogramme für das gesamte an der Herstellung und den Qualitätstätigkeiten beteiligte Personal;

v)

Schulungsprogramme in Bezug auf Gesundheit, Hygiene und Schutzkleidung, die für die beabsichtigten Tätigkeiten als notwendig erachtet wird;

vi)

Bereitstellung und Wartung der für die beabsichtigten Tätigkeiten geeigneten Einrichtungen und Ausrüstungen;

vii)

Dokumentationssysteme, die alle Verfahren und Spezifikationen für die verschiedenen Herstellungs- und Qualitätstätigkeiten abdecken;

viii)

Systeme zur Kodierung und Ermittlung von Ausgangsmaterial, Zwischenprodukten und Arzneiträgerstoffen, um eine lückenlose Rückverfolgbarkeit zu ermöglichen;

ix)

Qualifizierungsprogramm für Lieferer;

x)

Qualitätskontrollsystem für den Arzneiträgerstoff und eine für die Chargenfreigabe verantwortliche von der Produktion unabhängige Person;

xi)

Aufbewahrung von Aufzeichnungen über eingehendes Material und Arzneiträgerstoffe und Aufbewahrung der Proben von Arzneiträgerstoffen für die gemäß EudraLex Band 4 Teil II erforderlichen Zeiträume;

xii)

Systeme zur Sicherstellung, dass jegliche an Dritte vergebene Tätigkeiten schriftlichen Verträgen unterliegen;

xiii)

Vorhalten eines wirksamen Systems zur Prüfung von Beschwerden und zum Rückruf von Arzneiträgerstoffen;

xiv)

System für Veränderungs- und Abweichungsmanagement;

xv)

Eigenkontrollprogramm;

xvi)

Umweltkontrollen und Lagerungsbedingungen.

KAPITEL 3 — BESTIMMUNG DES RISIKOPROFILS DES HERSTELLERS DES ARZNEITRÄGERSTOFFES

3.1.

Nach Bestimmung der angemessenen Guten Herstellungspraxis sollte geprüft werden, welche Lücken zwischen der erforderlichen Guten Herstellungspraxis und den Tätigkeiten und Fähigkeiten des Herstellers des Arzneiträgerstoffes bestehen.

3.2.

Daten/Nachweise zur Untermauerung der Lückenanalyse sollten durch Audit oder aus Informationen des Herstellers des Arzneiträgerstoffes erhoben werden.

3.3.

Eine Zertifizierung der Qualitätssysteme und/oder der Guten Herstellungspraxis des Herstellers des Arzneiträgerstoffes und deren Standards sollten erwogen werden, da eine solche Zertifizierung die Anforderungen erfüllen kann.

3.4.

Etwaige Lücken zwischen der erforderlichen Guten Herstellungspraxis und den Tätigkeiten und Fähigkeiten des Herstellers des Arzneiträgerstoffes sollten dokumentiert werden. Außerdem sollte der Inhaber der Herstellungserlaubnis eine weitere Risikobewertung durchführen, um das Risikoprofil des betreffenden Herstellers des Arzneiträgerstoffes zu bestimmen, beispielsweise ein geringes, mittleres oder hohes Risiko. Zu diesem Zweck sollte EudraLex Band 4 Teil III, ICH Q9 verwendet werden. Dazu sollten Instrumente zum Qualitätsrisikomanagement, wie die hier aufgeführten — HACCP usw. — Anwendung finden.

3.5.

Der Inhaber der Herstellungserlaubnis sollte über eine Reihe von Strategien verfügen, die von der Akzeptanz über die Kontrolle bis hin zur Ablehnung der verschiedenen Risikoprofile reichen, und auf deren Grundlage eine Kontrollstrategie, z. B. Audit, Dokumentenrecherche und Tests, eingerichtet werden sollte.

KAPITEL 4 — BESTÄTIGUNG DER ANWENDUNG DER ANGEMESSENEN GUTEN HERSTELLUNGSPRAXIS

4.1.

Sobald die angemessene Gute Herstellungspraxis für den Arzneiträgerstoff und das Risikoprofil des Herstellers des Arzneiträgerstoffes festgelegt worden ist, sollten laufende Risikoüberprüfungen stattfinden, beispielsweise anhand von folgenden Mechanismen:

i)

Anzahl der Mängel im Zusammenhang mit eingegangenen Chargen des Arzneiträgerstoffes;

ii)

Art/Schwere solcher Mängel;

iii)

Überwachung und Trendanalyse der Qualität des Arzneiträgerstoffes;

iv)

Verlust des einschlägigen Qualitätssystems und/oder der Zertifizierung der Guten Herstellungspraxis durch den Hersteller des Arzneiträgerstoffes;

v)

Beobachtung von Trends bei Merkmalen der Arzneimittelqualität je nach Art und Verwendungszweck des Arzneiträgerstoffes;

vi)

beobachtete organisatorische, verfahrenstechnische oder technische Veränderungen beim Hersteller des Arzneiträgerstoffes;

vii)

Audit/Nach-Audit des Herstellers des Arzneiträgerstoffes;

viii)

Fragebogen.

Je nach Ergebnis der Risikoüberprüfung sollte die festgelegte Kontrollstrategie überprüft und bei Bedarf abgeändert werden.


(1)  Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67).