24.3.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 93/142


P7_TA(2014)0105

Abschaffung der Genitalverstümmelungen bei Frauen und Mädchen

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6. Februar 2014 zu der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM)“ (2014/2511(RSP))

(2017/C 093/24)

Das Europäische Parlament,

in Kenntnis der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM)“ (COM(2013)0833),

unter Hinweis auf den Bericht des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen mit dem Titel „Female genital mutilation in the European Union and Croatia“ (Verstümmelung weiblicher Genitalien in der Europäischen Union und in Kroatien),

unter Hinweis auf die Resolution Nr. 67/146 der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Verstärkung der weltweiten Bemühungen um die Abschaffung der Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen,

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 14. Juni 2012 zur Ausmerzung der Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen (1),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 5. April 2011 zu den Prioritäten und Grundzügen einer neuen EU-Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (2),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 24. März 2009 zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen in der Europäischen Union (3),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 16. Januar 2008 mit dem Titel „Im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie“ (4),

unter Hinweis auf die Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (5),

unter Hinweis auf die Strategie der Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2010–2015), die am 21. September 2010 vorgelegt wurde,

unter Hinweis auf das „Stockholmer Programm — Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger“ (6),

unter Hinweis auf das Übereinkommen des Europarats vom 12. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbuler Übereinkommen),

gestützt auf Artikel 6 und 7 des EU-Vertrags zur Achtung der Menschenrechte (allgemeine Grundsätze) und Artikel 12 und 13 des EG-Vertrags (Diskriminierungsverbot),

unter Hinweis auf die 1990 angenommene Allgemeine Empfehlung Nr. 14 des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau zur Beschneidung von Mädchen und Frauen,

gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.

in der Erwägung, dass das Parlament den Begriff „Gewalt gegen Frauen“ in seiner Entschließung vom 5. April 2011 zu den Prioritäten und Grundzügen einer neuen EU-Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen als jeglichen Akt geschlechtsbezogener Gewalt definiert, „der zu Schäden oder Leiden physischer, sexueller oder psychologischer Natur führt oder führen kann, wobei auch Androhung von entsprechenden Akten, Zwang oder willkürliche Freiheitsberaubung unabhängig davon, ob sie in der Öffentlichkeit oder in der Privatsphäre erfolgen, eingeschlossen werden (7)“;

B.

in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien eine Form der Gewalt gegen Frauen und Mädchen darstellt, die gegen ihre Grundrechte und die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegten Grundsätze verstößt, und dass die Bekämpfung der Verstümmelung weiblicher Genitalien unbedingt Teil des allgemeinen und einheitlichen Vorgehens zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen werden muss;

C.

in der Erwägung, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2008 alle Verfahren als Verstümmelung weiblicher Genitalien definiert hat, bei denen die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane ohne medizinische Indikation teilweise oder vollständig entfernt werden, darunter die Sunna-Beschneidung oder Klitoridektomie (teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris sowie der Vorhaut), die Exzision (teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris und der äußeren Schamlippen) und die extremste Form der Verstümmelung weiblicher Genitalien, die Infibulation (Verengung der Vaginalöffnung durch die Schaffung einer Abdeckung);

D.

in der Erwägung, dass laut Angaben der WHO schätzungsweise 140 Millionen Kinder, junge Mädchen und Frauen weltweit diese grausame Form der geschlechtsbezogener Gewalt erlitten haben; in der Erwägung, dass laut der WHO die Genitalverstümmelung zumeist an jungen Mädchen vorgenommen wurde, die höchstens 15 Jahre alt waren; in der Erwägung, dass dieser grausame Brauch laut Berichten in 28 afrikanischen Ländern, im Jemen, im Nordirak und in Indonesien üblich ist;

E.

in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien ein brutaler Brauch ist, der nicht nur in Drittstaaten vorkommt, sondern auch Frauen und Mädchen in der EU betrifft, die entweder im Hoheitsgebiet der EU oder vor ihrer Einreise in die EU bzw. während Aufenthalten außerhalb der EU in ihren Heimatländern der Genitalverstümmelung unterworfen werden (8); in der Erwägung, dass laut dem UNHCR jedes Jahr etwa 20 000 Frauen und Mädchen aus Ländern, in denen die Verstümmelung weiblicher Genitalien üblich ist, in der EU Asyl suchen, wobei 9 000 von ihnen möglicherweise bereits verstümmelt wurden (9), und dass Schätzungen zufolge bis zu 500 000 Frauen innerhalb der EU eine Genitalverstümmelung erlitten haben oder diesbezüglich gefährdet sind (10), während diese Straftat immer noch selten bestraft wird;

F.

in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien häufig zu Hause unter schlechten, unhygienischen Bedingungen und meist ohne Betäubung und medizinisches Wissen durchgeführt wird und vielfältige sehr schwere und häufig irreparable Folgen für die physische und psychische Gesundheit der Frauen und Mädchen hat und ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit schadet oder sogar tödlich endet;

G.

in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien eindeutig gegen den Grundwert der Europäischen Union der Gleichstellung von Frauen und Männern verstößt und traditionellen Werten entspricht, laut denen Frauen als Objekte und als Eigentum der Männer angesehen werden; in der Erwägung, dass kulturelle und traditionelle Werte unter keinen Umständen als Vorwand vorgebracht werden sollten, um die Verstümmelung weiblicher Genitalien bei Kindern, jungen Mädchen oder Frauen zu rechtfertigen;

H.

in der Erwägung, dass der Schutz der Rechte des Kindes in zahlreichen Vereinbarungen und Rechtsvorschriften auf einzelstaatlicher, europäischer und internationaler Ebene verankert ist, und in der Erwägung, dass die Gewalt gegen Frauen in Allgemeinen, darunter auch die Gewalt gegen junge Mädchen, auf keinen Fall mit der Achtung kultureller Traditionen oder verschiedener Arten von Initiationsriten gerechtfertigt werden darf;

I.

in der Erwägung, dass jeder Mitgliedstaat laut der Allgemeinen Empfehlung Nr. 14 des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau zur Beschneidung von Mädchen und Frauen und der Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten, in der die Verstümmelung weiblicher Genitalien als eine Form der geschlechtsbezogenen Gewalt anerkannt wird und Mindeststandards für den Schutz festgelegt werden, im Rahmen der internationalen Menschenrechte verpflichtet ist, die Verstümmelung weiblicher Genitalien zu verhindern;

1.

begrüßt die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM)“, in der sie sich verpflichtet, EU-Mittel zu verwenden, um die Verstümmelung weiblicher Genitalien zu verhindern und die Hilfe für die Opfer zu verbessern, etwa indem gefährdete Frauen im Rahmen der Asylvorschriften der EU geschützt werden, und zusammen mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) den internationalen Dialog zu stärken und die Forschung zu fördern, um gefährdete Frauen und Mädchen eindeutig zu identifizieren;

2.

begrüßt das Engagement der Kommission, den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren zum Thema Verstümmelung weiblicher Genitalien zwischen Mitgliedstaaten, nichtstaatlichen Organisationen und Sachverständigen zu erleichtern, und betont, dass die Zivilgesellschaft, auch diejenige in Drittstaaten, weiterhin umfassend an Sensibilisierungskampagnen und an der Entwicklung von Informationsmaterial und Schulungen beteiligt werden muss;

3.

weist darauf hin, dass internationale, europäische und einzelstaatliche Einrichtungen eine entscheidende Rolle dabei spielen, die Verstümmelung weiblicher Genitalien zu verhindern, Frauen und Mädchen zu schützen, Opfer zu identifizieren und Maßnahmen zu ergreifen, um geschlechtsbezogene Gewalt, darunter die Verstümmelung weiblicher Genitalien, zu bekämpfen, und begrüßt das Engagement der EU, weiterhin Maßnahmen zu ergreifen, um die Abschaffung der Verstümmelung weiblicher Genitalien in Ländern, die diese ausüben, zu fördern;

4.

fordert die Kommission erneut auf, unverzüglich einen Vorschlag für einen EU-Rechtsakt vorzulegen, in dem vorbeugende Maßnahmen gegen alle Arten der Gewalt gegen Frauen (darunter die Verstümmelung weiblicher Genitalien) festgelegt werden, und, wie im Stockholmer Programm erwähnt, eine umfassende EU-Strategie zu dem Thema zu unterbreiten, die weitere strukturierte gemeinsame Aktionspläne zur Beseitigung der Verstümmelung weiblicher Genitalien in der EU enthält;

5.

betont, dass sich die Kommission und der EAD gegenüber Drittstaaten, die die Verstümmelung weiblicher Genitalien nicht verurteilen, unnachgiebig zeigen müssen;

6.

fordert die Kommission auf, Daten über die Verstümmelung weiblicher Genitalien in einem vereinheitlichten Verfahren zu erfassen, und ersucht das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen, Demographen und Statistiker in die Entwicklung einer gemeinsamen Methode einzubeziehen und in Übereinstimmung mit der Mitteilung Richtdaten auszuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten miteinander verglichen werden kann;

7.

fordert die Mitgliedstaaten erneut auf, existierende Verfahren, insbesondere die Richtlinie 2012/29/EU und Schulungsmaßnahmen für Sachkundige zum Schutz von Frauen und Mädchen, anzuwenden und Einwohner, die die Straftat der Verstümmelung weiblicher Genitalien begangen haben, zu verfolgen, rechtlich zu belangen und zu bestrafen, auch wenn die Straftat außerhalb der Grenzen des betroffenen Mitgliedstaats begangen wurde, und fordert daher, den Grundsatz der Extraterritorialität in die strafrechtlichen Bestimmungen aller Mitgliedstaaten aufzunehmen, damit die Straftat in allen 28 Mitgliedstaaten in demselben Umfang bestraft werden kann;

8.

fordert die EU und diejenigen Mitgliedstaaten, die das Istanbuler Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen noch nicht ratifiziert haben, auf, das Übereinkommen unverzüglich zu ratifizieren, damit das Engagement der EU den internationalen Standards entspricht, die ein umfassendes und integriertes Vorgehen gegen Gewalt gegen Frauen und die Verstümmelung weiblicher Genitalien fördern;

9.

fordert die Kommission auf, 2016 zum Europäischen Jahr zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen auszurufen;

10.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Europarat, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.


(1)  ABl. C 332 E vom 15.11.2013, S. 87.

(2)  ABl. C 296 E vom 2.10.2012, S. 26.

(3)  ABl. C 117 E vom 6.5.2010, S. 52.

(4)  ABl. C 41 E vom 19.2.2009, S. 24.

(5)  ABl. L 315 vom 14.11.2012, S. 57.

(6)  ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1.

(7)  

Artikel 1 der Erklärung der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1993 über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (A/RES/48/104); Ziffer 113 der Aktionsplattform von Peking der Vereinten Nationen von 1995.

(8)  EIGE, „Female genital mutilation in the European Union and Croatia“ (Verstümmelung weiblicher Genitalien in der Europäischen Union und in Kroatien), 2013.

(9)  Beitrag des UNHCR zur Konsultation der Kommission zur Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen in der EU, 2013.

(10)  Waris Dirie und Corinna Milborn, Schmerzenskinder, Marion von Schröder, Berlin, 2005.