24.3.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 93/53


P7_TA(2014)0068

Migrantinnen ohne Ausweispapiere in der Europäischen Union

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. Februar 2014 zu Migrantinnen ohne Ausweispapiere in der Europäischen Union (2013/2115(INI))

(2017/C 093/10)

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, insbesondere die Artikel 24 und 28,

unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW),

unter Hinweis auf den Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen an die Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 23. Juli 2013 mit dem Titel „Violence against women migrant workers“ (Gewalt gegenüber Wanderarbeitnehmerinnen),

unter Hinweis auf Artikel 12 des Internationalen Pakts der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte,

unter Hinweis auf die Allgemeine Empfehlung Nr. 26 des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau vom 5. Dezember 2008 zu Wanderarbeitnehmerinnen,

unter Hinweis auf die Internationale Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen,

unter Hinweis auf die Allgemeine Bemerkung Nr. 2 des Ausschusses der Vereinten Nationen zu Wanderarbeitnehmern über die Rechte von Wanderarbeitnehmern mit irregulärem Status und ihren Familienangehörigen,

unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK),

unter Hinweis auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt,

unter Hinweis auf das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte,

unter Hinweis auf die Auslegung der Artikel 13 und 17 der Europäischen Sozialcharta durch den Europäischen Ausschuss für soziale Rechte,

unter Hinweis auf die Artikel 79, 153 und 168 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere die Artikel 1, 14, 31, 35 und 47,

unter Hinweis auf das „Stockholmer Programm — Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger“ (1),

unter Hinweis auf die Richtlinie 2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt (2),

unter Hinweis auf die Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (3),

unter Hinweis auf die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (4),

unter Hinweis auf die Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren (5),

unter Hinweis auf den Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte von 2011 mit dem Titel „Die Grundrechte von Migranten in einer irregulären Situation in der Europäischen Union“,

unter Hinweis auf die Leitlinien der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte von 2012 mit dem Titel „Apprehension of migrants in an irregular situation — fundamental rights considerations“ (Aufgriff von Migranten in einer irregulären Situation — grundrechtliche Erwägungen),

unter Hinweis auf das europäische Forschungsprojekt „Clandestino“ und das Projekt „Undocumented Worker Transitions“ (Übergänge von Beschäftigten ohne Ausweispapiere), welche beide von der Kommission im Rahmen des Sechsten Rahmenprogramms im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration finanziert werden,

unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 17. Juni 2013 mit dem Titel „Vierter Jahresbericht über Einwanderung und Asyl (2012)“ (COM(2013)0422),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 8. März 2011 zu dem Abbau gesundheitlicher Ungleichheiten in der EU (6),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 4. Juli 2013 mit dem Titel „Auswirkungen der Krise auf den Zugang von schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen zu Leistungen der Fürsorge“ (7),

gestützt auf Artikel 48 seiner Geschäftsordnung,

in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter und der Stellungnahme des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (A7-0001/2014),

A.

in der Erwägung, dass der Begriff „Migrant ohne Ausweispapiere“ als Drittstaatsangehöriger definiert wird, dessen Anwesenheit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in diesen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllt (8) und dessen Aufdeckung durch die Einwanderungsbehörden zu einer Rückführungsentscheidung oder Ausweisung führen würde;

B.

in der Erwägung, dass die durch militärische Konflikte verursachte und durch weltweite humanitäre Krisen verschärfte komplexe Situation dazu beiträgt, dass Flüchtlingsströme anwachsen, zu denen zahlreiche Frauen und Kinder ohne Ausweispapiere gehören;

C.

in der Erwägung, dass ein Mitgliedstaat befugt ist, selbst über seine Einwanderungspolitik zu entscheiden; in der Erwägung, dass jedoch im Einklang mit dem EU-Recht und dem Völkerrecht, an die die Mitgliedstaaten gebunden sind, die Grundrechte der Einwanderer zu schützen und zu garantieren sind;

D.

in der Erwägung, dass Migranten ohne Ausweispapiere häufig über keine finanziellen Mittel verfügen, was sie der Gefahr von Mangelernährung und der Verschlechterung ihres Gesundheitszustands aussetzt und sie dazu zwingt, nach inakzeptablen Lösungen für ihre Existenzsicherung zu suchen; in der Erwägung, dass Frauen zudem oft in Begleitung von Kindern sind, für die sie Sorge tragen müssen, wodurch sie zusätzlich zur Suche nach Möglichkeiten der Sicherung ihres Überlebens und ihres Lebensunterhaltes gezwungen sind;

E.

in der Erwägung, dass Migranten ohne Ausweispapiere aufgrund ihres Rechtsstatus oftmals der Zugang zu angemessenem Wohnraum, grundlegenden Gesundheitsdienstleistungen, Notfallversorgung und Schulbildung verwehrt wird; in der Erwägung, dass ihr Rechtsstatus ohne Ausweispapiere zur Folge hat, dass sie keinen Schutz gegen Ausbeutung am Arbeitsplatz oder körperlichen und seelischen Missbrauch haben; in der Erwägung, dass ihnen durch ihren Rechtsstatus der Zugang zur Justiz verwehrt bleibt;

F.

in der Erwägung, dass Migrantinnen ohne Ausweispapiere und ihre Angehörigen durch die sich aus ihrem Rechtsstatus ergebenden Risiken besonders gefährdet sind, da sie im Vergleich zu Männern in größerem Maße den Gefahren des körperlichen, sexuellen und seelischen Missbrauchs, schlechten Arbeitsbedingungen, der Ausbeutung der Arbeitskraft durch Arbeitgeber und einer doppelten Diskriminierung aufgrund der Rasse und des Geschlechts ausgesetzt sind;

G.

in der Erwägung, dass Migrantinnen ohne Ausweispapiere besonders gefährdet sein können, Opfer von Menschenhändlern zu werden;

H.

in der Erwägung, dass Migranten ohne Ausweispapiere begrenzten Zugang zum sozialen Wohnungsbau haben und weiter abhängig vom privaten Wohnungsmarkt bleiben; in der Erwägung, dass Migrantinnen ohne Ausweispapiere dem größten Risiko ausgesetzt sind, Opfer von Missbrauch in Form von körperlicher oder sexueller Gewalt durch private Vermieter zu werden;

I.

in der Erwägung, dass Migrantinnen ohne Ausweispapiere mit größerer Wahrscheinlichkeit Opfer von Gewalt und Missbrauch, auch sexueller Art, werden und potenzielle Opfer von sexueller Ausbeutung und des Menschenhandels allgemein sind; in der Erwägung, dass für den Zugang zu staatlichen Frauenhäusern die Vorlage eines legalen Ausweisdokuments oder einer Aufenthaltsgenehmigung erforderlich ist, und in der Erwägung, dass Opfer somit oftmals keine andere Wahl haben, als in einer Missbrauchssituation zu verbleiben oder auf die Straße zu fliehen; in der Erwägung, dass sie eine Abschiebung riskieren, wenn sie die Polizei kontaktieren;

J.

in der Erwägung, dass die geschlechtsspezifischen Stereotype in Migrantengemeinschaften tiefer verwurzelt sind und dass Migrantinnen häufiger Opfer der vielfältigen Formen von Gewalt gegenüber Frauen werden, darunter insbesondere Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, sogenannte „Verbrechen im Namen der Ehre“, Misshandlungen durch nahestehende Personen, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und sogar Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung;

K.

in der Erwägung, dass in den Mitgliedstaaten große Unterschiede bestehen, was den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen für irreguläre Migranten sowie die den Gesundheitsdienstleistern auferlegten Verpflichtungen unter anderem zur Meldung von Migranten ohne Ausweispapiere anbelangt;

L.

in der Erwägung, dass Frauen ohne Ausweispapiere aufgrund der dringenden medizinischen Bedürfnisse im Laufe ihres Lebens in unverhältnismäßigem Maße Gefahr laufen, extrem hohe Rechnungen für Krankenhausbehandlungen in Ländern zu erhalten, in denen sie kein Recht auf eine bezuschusste Behandlung haben; in der Erwägung, dass zahlreiche Frauen ohne Ausweispapiere aus Angst vor derlei Rechnungen ihre Kinder ohne jegliche medizinische Versorgung zu Hause gebären;

M.

in der Erwägung, dass der Zugang zu grundlegendsten Gesundheitsdienstleistungen, wie beispielsweise zur Notfallversorgung, für Migranten ohne Ausweispapiere aufgrund der Ausweispflicht, der hohen Behandlungskosten und der Angst, entdeckt und den Behörden gemeldet zu werden, stark eingeschränkt, wenn nicht gar unmöglich ist; in der Erwägung, dass Migrantinnen ohne Ausweispapiere einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind, da sie keine geschlechtsspezifische Gesundheitsversorgung, wie beispielsweise vor, während und nach der Geburt, erhalten; in der Erwägung, dass einigen Migranten ohne Ausweispapiere ihre Ansprüche auf Gesundheitsversorgung in ihrem Bestimmungsland nicht einmal bekannt sind;

N.

in der Erwägung, dass Migrantinnen ohne Ausweispapiere aus Angst, entdeckt und den Behörden gemeldet zu werden, in Missbrauchssituationen keine Hilfe suchen, nicht einmal bei nichtstaatlichen Organisationen, die auf die rechtliche Beratung für Zuwanderer spezialisiert sind; in der Erwägung, dass diese Migranten folglich ihre Rechte nicht kennen und nicht für deren Garantie eintreten können; in der Erwägung, dass es für Organisationen der Zivilgesellschaft aus ebendiesem Grund schwierig ist, Hilfe und Unterstützung anzubieten;

O.

in der Erwägung, dass die Prostitutionsmärkte und die Prostitutionsbranche in der EU massiv zur Gefährdung von eingewanderten Frauen und Mädchen beitragen, und in der Erwägung, dass viele Prostituierte keine Ausweispapiere besitzen, was zusätzlich zum Missbrauch und zur Gefährdung der Frauen in dieser Branche beiträgt, die ohnehin davon geprägt ist;

P.

in der Erwägung, dass Migrantenkinder, darunter Mädchen, aus Familien ohne Ausweispapiere nicht zur Schule gehen dürfen, da die Angst besteht, entdeckt zu werden, und die für die Anmeldung erforderlichen offiziellen Dokumente nicht vorgelegt werden können; in der Erwägung, dass der Zugang zur höheren und universitären Bildung und zur Ausbildung für junge Frauen ohne Ausweispapiere wesentlich erschwert ist;

Q.

in der Erwägung, dass der steigende Bedarf an Arbeitskräften in den Bereichen Hausarbeit und Pflege eine hohe Zahl von Migrantinnen anzieht, von denen viele keine Ausweispapiere haben; in der Erwägung, dass die Frauen ohne Ausweispapiere, die in diesem Bereich arbeiten, besonders von schlechter Bezahlung, seelischem Missbrauch, Zurückhaltung von Arbeitslohn und Reisepässen und zum Teil sogar von körperlichem Missbrauch durch ihre Arbeitgeber bedroht sind; in der Erwägung, dass Frauen ohne Ausweispapiere in der Regel keine Rechtsmittel einlegen;

R.

in der Erwägung, dass erwerbstätige Migrantinnen ohne Ausweispapiere aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Isolation, ihres Unwissens über ihre Grundrechte und ihrer Angst vor einer Abschiebung kaum eine Möglichkeit haben, gerechte Arbeitsbedingungen und eine gerechte Bezahlung zu fordern;

S.

in der Erwägung, dass sich Migranten ohne Ausweispapiere in einem rechtlichen Schwebezustand befinden (9);

T.

in der Erwägung, dass Migrantinnen ohne Ausweispapiere bei Festnahmen und in Haftanstalten besonders von körperlichem, seelischem und sexuellem Missbrauch bedroht sind;

Empfehlungen

1.

weist darauf hin, dass sowohl in Äußerungen internationaler Organisationen wie der Parlamentarischen Versammlung des Europarats als auch in den internationalen Menschenrechtsinstrumenten der Vereinten Nationen und im EU-Recht wiederholt die Notwendigkeit, die Grundrechte von Migranten ohne Ausweispapiere zu schützen, betont wurde; verweist in diesem Zusammenhang auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, in dem die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität bzw. des Migranten-, Flüchtlings- oder eines anderen Status untersagt wird;

2.

weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam und solidarisch für die Einwanderungspolitik und die Steuerung der Migrationsströme verantwortlich sind;

3.

hebt hervor, dass lesbische, bisexuelle und transsexuelle Migranten ohne Ausweispapiere Opfer einer doppelten Diskriminierung sind und dass ihre prekäre Lage als Ausländer ohne Ausweispapiere ihre schwierige Situation noch verschärft;

4.

betont, dass die Einwanderung ein hochaktuelles Thema ist und dass ein gemeinsamer Rechtsrahmen für migrationspolitische Maßnahmen erforderlich ist, um Migranten und potenzielle Opfer, insbesondere Frauen und Kinder, für die verschiedene Formen der organisierten Kriminalität im Zusammenhang mit der Migration und der Menschenhandel eine Gefahr darstellen, zu schützen;

5.

verurteilt die Tatsache, dass viele Migrantinnen in ihrem Herkunftsland mit dem Versprechen getäuscht wurden, sie würden in einem Industrieland einen Arbeitsvertrag erhalten, und dass einige sogar entführt werden, um von Netzen organisierter Kriminalität und von Menschenhändlern sexuell ausgebeutet zu werden; fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Anstrengungen zur Bekämpfung dieses unmenschlichen Missbrauchs zu intensivieren;

6.

legt den Mitgliedstaaten nahe, die Beihilfe-Richtlinie in einer Weise umzusetzen, bei der die Möglichkeit für Migranten ohne Ausweispapiere, Wohnraum auf dem freien Markt anzumieten, nicht eingeschränkt wird, damit das Risiko von Ausbeutung bzw. Missbrauch verringert wird;

7.

weist auf Artikel 8 der EMRK hin, welcher sich auf die Achtung der körperlichen Unversehrtheit eines Menschen bezieht, und fordert daher die Mitgliedstaaten auf, bei Migranten ohne Ausweispapiere in besonders prekären Situationen darauf zu verzichten, für den Zugang zu staatlichen Schutzeinrichtungen Ausweisdokumente zu verlangen, und dabei insbesondere die spezifischen Bedürfnisse von Schwangeren, Frauen mit Kleinkindern und Frauen, die andere Personen betreuen, zu berücksichtigen;

8.

fordert nachdrücklich dazu auf, der besonderen Schutzbedürftigkeit von Menschen mit besonderen Bedürfnissen wie Kindern und Jugendlichen, älteren Menschen, Menschen mit Behinderungen, Leseunkundigen, Angehörigen von Minderheiten, Einwanderern, die in ihren Herkunftsländern wegen ihrer Weltanschauung, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer körperlichen Merkmale usw. verfolgt werden, und Frauen, die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sind, Rechnung zu tragen;

9.

weist darauf hin, dass das Recht auf Gesundheitsfürsorge ein grundlegendes Menschenrecht ist, und legt den Mitgliedstaaten folglich nahe, ihre Gesundheitspolitik von der Einwanderungskontrolle zu trennen und demzufolge die Angehörigen des Gesundheitswesens von der Pflicht zu entbinden, Migranten ohne Ausweispapiere zu melden; legt den Mitgliedstaaten zudem nahe, eine auf geschlechtsspezifische Bedürfnisse abgestimmte, geeignete Versorgung und Hilfe sicherzustellen; fordert die Mitgliedstaaten ferner auf, Beamte, die mit Migrantinnen ohne Ausweispapiere in Kontakt kommen, speziell für geschlechtsspezifische Fragen zu schulen, und Schulen von der Pflicht zu entbinden, Kinder von Migranten ohne Ausweispapiere zu melden;

10.

fordert die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass Frauen ohne Ausweispapiere eine angemessene psychologische, medizinische und rechtliche Unterstützung erhalten;

11.

weist darauf hin, dass die in der Richtlinie zum Opferschutz festgelegten Rechte nicht vom Aufenthaltsstatus des Opfers abhängig sind (10); fordert die Mitgliedstaaten daher nachdrücklich auf, die Verfolgung von Gewalt gegen Migrantinnen ohne Ausweispapiere von der Einwanderungskontrolle abzukoppeln, damit die Opfer Straftaten auf sichere Weise zur Anzeige bringen können;

12.

verurteilt sämtliche Formen der Gewalt, des Menschenhandels, des Missbrauchs und der Diskriminierung von Frauen ohne Ausweispapiere; betont, dass der Zugang zu entsprechenden Hilfsangeboten gewährleistet sein muss, ohne dass befürchtet werden muss, dass dies sofort aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach sich zieht;

13.

fordert die Umsetzung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation Nr. 29 über Zwangsarbeit; fordert, der besonderen Situation von Frauen in Zwangsarbeit — zu der nicht nur Zwangsprostitution, sondern alle unfreiwilligen Arbeiten, auch im häuslichen Bereich, gehören — Rechnung zu tragen und betroffene Migrantinnen ohne Ausweispapiere zu schützen;

14.

fordert die Mitgliedstaaten auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit sich Prostitution und Zwangsarbeit unter den Migrantinnen nicht verbreiten;

15.

fordert die Mitgliedstaaten auf, die ordnungsgemäße Umsetzung des Schutzes gemäß Artikel 6 der Richtlinie über Sanktionen gegen Arbeitgeber sicherzustellen, gemäß dem die Mitgliedstaaten Mechanismen zur Verfügung stellen müssen, die es Wanderarbeitnehmern ohne Ausweispapiere ermöglichen, für alle ausstehenden Vergütungen einen Anspruch gegen den Arbeitgeber geltend zu machen; fordert, dass die Mitgliedstaaten, die nichtstaatlichen Organisationen und alle weiteren Organisationen der Zivilgesellschaft, die mit Migranten ohne Ausweispapiere arbeiten, Sensibilisierungskampagnen durchführen, in denen Migranten ohne Ausweispapiere über dieses Recht aufgeklärt werden;

16.

fordert die Mitgliedstaaten auf, diskriminierende Praktiken abzuschaffen, gegen Schwarzarbeit und Ausbeutung von Arbeitskräften vorzugehen, unter anderem durch arbeitsrechtliche Kontrollen, und Zugang zu grundlegenden Gesundheitsleistungen zu ermöglichen;

17.

fordert die Mitgliedstaaten auf, für Polizeidienste und andere staatliche Dienststellen, die möglicherweise Migrantinnen ohne Ausweispapiere betreuen müssen, angemessene Schulungen zu geschlechtsspezifischer Gewalt und sexueller Ausbeutung vorzusehen, deren Opfer diese Frauen sein können;

18.

empfiehlt der Kommission daher nachdrücklich, im Rahmen einer künftigen Überarbeitung der Richtlinie über Sanktionen gegen Arbeitgeber den möglichen Rückgriff auf Mechanismen, die es irregulären Migranten ermöglichen, eine anonyme und förmliche Beschwerde gegen einen ausbeuterischen Arbeitgeber einzulegen, einzuführen;

19.

fordert alle Mitgliedstaaten mit Nachdruck auf, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) zu ratifizieren und seine Bestimmungen korrekt umzusetzen, insbesondere Artikel 59, der eindeutig besagt, dass die Vertragsparteien die notwendigen Maßnahmen ergreifen sollten, um Abschiebungsverfahren auszusetzen und/oder um im Falle einer Scheidung einen eigenen Aufenthaltstitel für diejenigen Migrantinnen auszustellen, deren Aufenthaltsstatus von ihrem Ehemann abhängig ist;

20.

empfiehlt den Mitgliedstaaten, Lösungen zu finden, damit der Wert der Arbeit von Frauen anerkannt wird, die einen wertvollen Beitrag zum Wohle der aufnehmenden Gesellschaft leisten;

21.

fordert die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass allen Migrantinnen, auch Migrantinnen ohne Ausweispapiere, die Opfer von Missbrauch und geschlechtsbezogener Gewalt geworden sind — darunter Migrantinnen, die durch Prostitution ausgebeutet werden –, Schutz und Hilfe gewährt und anerkannt wird, dass in ihrem Fall besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer sie aus humanitären Gründen Asyl oder eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten;

22.

fordert die Mitgliedstaaten auf, die Rückführungsrichtlinie vollständig umzusetzen und gemäß den Anforderungen der Richtlinie eine Bescheinigung über den Aufschub der Rückführung auszustellen, damit sich die Betroffenen nicht in einem rechtlichen Schwebezustand befinden;

23.

hebt hervor, dass Daten über die spezifischen Erfahrungen von Frauen ohne Ausweispapiere gesammelt werden müssen, und betont nachdrücklich, dass es zuverlässiger, korrekter, aktueller und vergleichbarer Daten über die geschlechtsspezifische Schutzbedürftigkeit von Frauen ohne Ausweispapiere und ihren mangelnden Zugang zur Justiz und zu Dienstleistungen in der EU bedarf, um die Entwicklung und Verwaltung kohärenter staatlicher Maßnahmen zu fördern;

24.

fordert die Kommission auf, die Rückführungsrichtlinie im Rahmen ihrer Evaluierung im Hinblick auf den stärkeren Schutz der Grundrechte inhaftierter Migranten zu überarbeiten;

25.

betont, dass die Aspekte der Aufdeckung im Rahmen der Vollstreckung des Einwanderungsrechts niemals die menschliche Würde und die Grundrechte verletzen oder Frauen einer erhöhten Gefahr von Gewalt und Missbrauch aussetzen dürfen; fordert die Kommission daher auf, die Rückführungsrichtlinie zu ändern, damit die Menschenrechte von irregulären Migranten, insbesondere von schwangeren Frauen und von Kindern, gewahrt werden;

26.

weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten gemäß der Rückführungsrichtlinie dazu verpflichtet sind, in Haft genommenen Drittstaatsangehörigen eine menschenwürdige Behandlung unter uneingeschränkter Achtung ihrer grundlegenden Menschenrechte zu gewähren; bedauert, dass von Gewalt gegen Frauen in Haftanstalten berichtet wurde; fordert die Mitgliedstaaten daher auf, sämtlichen Hinweisen auf körperlichen Missbrauch gegenüber Häftlingen nachzugehen;

27.

besteht darauf, dass die Mitgliedstaaten jedem Hinweis auf menschenunwürdige Behandlung oder Nötigung von Migrantinnen ohne Ausweispapiere nachgehen;

28.

fordert die Mitgliedstaaten auf, enger mit nichtstaatlichen Organisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, zusammenzuarbeiten, um Alternativen zu Haftanstalten zu finden, und sich dafür einzusetzen, dass Migrantinnen ohne Ausweispapiere keine Angst davor haben müssen, mit denjenigen, die sie unterstützen sollen, in Kontakt zu treten;

29.

fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass die im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes festgelegten Normen weiterhin im Mittelpunkt aller Maßnahmen im Zusammenhang mit den Rechten von Kindern stehen, und fordert die Mitgliedstaaten daher auf, die Inhaftierung von Kindern aufgrund ihres aufenthaltsrechtlichen Status vollumfänglich und umgehend zu unterlassen, Kinder vor Verletzungen im Rahmen der Migrationspolitik und der entsprechenden Verfahren zu schützen und Alternativen zur Inhaftierung anzuwenden, sodass die Kinder bei ihren Familienangehörigen und/oder ihrem Vormund bleiben können;

30.

fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, durch verstärkte und integrierte Forschung die Lücken in Bezug auf verlässliche Daten und vorhandenes Wissen über Zahl und Situation von Personen ohne Ausweispapiere in der EU zu schließen, das Augenmerk der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) auf die Situation von Frauen ohne Ausweispapiere zu richten und den Frauen in dieser Kategorie bei der Umsetzung der Inklusionsziele der Strategie Europa 2020 stärker als bisher Rechnung zu tragen;

31.

fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, EU-weite Sensibilisierungskampagnen zu entwickeln, um Migrantinnen ohne Ausweispapiere über ihre Rechte aufzuklären;

32.

fordert, dass bei der Prävention der Einwanderung durch Entwicklungshilfe zugunsten der Herkunftsländer der Migrantinnen/Migranten der Fokus auf die Bildung von Frauen und auf Frauenrechte gelegt wird;

33.

fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, genügend weibliche Bezugspersonen, weibliches Betreuungspersonal, Beamtinnen, Gutachterinnen und andere Bedienstete zur Verfügung zu stellen; fordert derartige Maßnahmen aus Respekt vor anderen Religionen und Kulturen und aufgrund der Notwendigkeit, vor Diskriminierung zu schützen;

o

o o

34.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.


(1)  ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1.

(2)  ABl. L 328 vom 5.12.2002, S. 17.

(3)  ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24.

(4)  ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98.

(5)  ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 19.

(6)  ABl. C 199 E vom 7.7.2012, S. 25.

(7)  Angenommene Texte, P7_TA(2013)0328.

(8)  

Artikel 3 der Richtlinie 2008/115/EG.

(9)  Migranten ohne Ausweispapiere werden festgenommen und von den Einwanderungsbehörden identifiziert. Die Behörden treffen einen Rückführungsbeschluss, der aufgeschobenen wird. Sie händigen den Betroffenen jedoch keine Dokumente aus, die diesen Aufschub des Rückführungsbeschlusses belegen.

(10)  Erwägung 10 der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten.