19.8.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 271/30


Stellungnahme des Ausschusses der Regionen — Die künftige EU-Politik im Bereich Justiz und Inneres

2014/C 271/06

Berichterstatterin:

Lotta Håkansson Harju (SPE/SE), Mitglied des Gemeinderats von Järfälla

Referenzdokumente

Ein offenes und sicheres Europa: Praktische Umsetzung

KOM(2014) 154 final

Die EU-Justizagenda für 2020 — Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union

KOM(2014) 144 final

I.   POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

DER AUSSCHUSS DER REGIONEN

Allgemeine Empfehlungen

1.

begrüßt die Absicht der Kommission, die bisherigen Fortschritte im Bereich Justiz und Inneres durch eine korrekte Umsetzung und eine effektive Weiterverfolgung (Monitoring) zu konsolidieren. Gleichzeitig unterstreicht der Ausschuss, dass diese Konsolidierung in weitere, den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechende Rechtsetzungsmaßnahmen münden kann, um bestehende Lücken zu schließen und es der EU zu ermöglichen, flexibel auf neue globale Herausforderungen zu reagieren;

2.

betont, dass das stärkere Engagement für die Grundrechte, zu dem sich die EU verpflichtet hat, seinen konkreten Niederschlag auf allen Ebenen finden muss. Die EU muss, gestützt auf ihre Grundrechtecharta, ihre Tätigkeiten in diesem Bereich fortführen und weiterentwickeln, damit sie ein offener, sicherer Raum bleibt, der auf der gemeinsamen Achtung der Grundrechte fußt;

3.

begrüßt, dass die Europäische Kommission einen Rahmen entwickelt hat, um systembedingten Gefahren für das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten zu begegnen, denn der Rechtsstaat mitsamt dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz ist eine Voraussetzung für die Anwendung und Achtung der Grundrechte in der EU (1);

4.

verweist darauf, dass die Grundrechtecharta der EU sowohl grundlegende und für alle Menschen geltende Rechte als auch spezifische Rechte der Unionsbürger umfasst. Die Verwirklichung beider Kategorien von Rechten für den Einzelnen erfordert ein weitgehendes Zusammenwirken mehrerer Ebenen, bei dem den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften eine wichtige, aktive und vorausblickende Rolle zukommt;

5.

unterstreicht, dass es die örtliche Gemeinschaft ist, in der das Fundament für eine inklusive Gesellschaft mit einer wirklichen Achtung der Grundrechte gelegt wird, also für eine Gesellschaft, die von Gleichberechtigung, Vielfalt und dem Eintreten für die am stärksten Schutzbedürftigen geprägt ist. Zugleich ist es auch die lokale und regionale Ebene, auf der Herausforderungen in den Bereichen Justiz und Inneres am deutlichsten zutage treten und deren Effekte für den Einzelnen am spürbarsten sind;

6.

befürwortet den Vorschlag der Kommission, weitere Rechtssetzungsmaßnahmen anzunehmen, die den Bürgern das Leben erleichtern und das Wachstum fördern, vorausgesetzt, sie überschneiden sich nicht mit anderen, sind wirksam und tragen so weit wie möglich zur Angleichung und Vereinfachung der geltenden Rechtvorschriften bei. Eine bessere Rechtsetzung erleichtert die Geschäftsbeziehungen, bringt Erleichterungen im Alltag der Bürger und trägt dadurch zum Wirtschaftswachstum bei;

7.

empfiehlt der Europäischen Kommission, sich auf konkrete und sachorientierte Legislativvorschläge zu konzentrieren, die — vor allem in einer Zeit zunehmender wirtschaftlicher und sozialer Probleme — unmittelbare positive Auswirkungen auf die Bürger haben und ihnen ganz konkret bei der Bewältigung der Schwierigkeiten, denen sie sich infolge der Wirtschaftskrise oft gegenübersehen, helfen würden. Diese Probleme treten vor allem in rückständigeren grenzübergreifenden Regionen auf, wo die Bürger es schwerer haben, ihren wirtschaftlichen und sozialen Tätigkeiten nachzugehen;

8.

hält folglich eine gemeinsame und dezidierte Arbeit und eine gemeinsame Wahrnehmung der Verantwortung auf allen Ebenen für erforderlich, damit die Grundrechte sämtlicher Einwohner uneingeschränkt gewahrt werden. Die Grundrechtearbeit ist als ein langfristig angelegter, kontinuierlicher Prozess zu verstehen. Eine gemeinsame Sichtweise dessen, wie sie durchgeführt werden soll, muss auf lokaler, regionaler, nationaler und EU-Ebene verankert sein. Funktioniert die Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen nicht richtig, droht dies extremistischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Kräften in die Hände zu spielen und die positive Entwicklung der EU insgesamt zu konterkarieren;

9.

hebt die zentrale Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in den Politikbereichen Justiz und Inneres hervor. Sie tragen eine maßgebliche Verantwortung für die Durchführung verschiedener Teile der gegenwärtigen einzelstaatlichen und europäischen Rechtsvorschriften; sie konzipieren und erproben neue politische Lösungsansätze; sie unterstützen die Menschen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte, und sie tragen Informationen und Erfahrungen zusammen, die für die Weiterentwicklung dieser Politikbereiche nötig sind. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften können somit in der Politikentwicklung, von der Planung und Durchführung bis zur Weiterverfolgung und Bewertung, einen großen Beitrag leisten;

10.

bekräftigt, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften folglich unentbehrliche Partner bei der Ausgestaltung und Durchführung von Maßnahmen im Bereich Justiz und Inneres sind. Daher fordert er die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat auf, die Kommunen und Regionen als vollwertige Partner in diesen Politikbereichen anzusehen und es ihnen möglich zu machen, ihren Teil der Verantwortung wahrzunehmen;

11.

ist der Ansicht, dass die Politik im Bereich Justiz und Inneres auf die übrigen Politikbereiche der EU abgestimmt werden sollte. Er verweist auf die Notwendigkeit einer besseren Koordinierung von Fragen, die justiz- und innenpolitische Aspekte berühren, auf der einen Seite und der Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik der EU auf der anderen, um die Achtung der Rechte auf allen Gebieten zu stärken und sie untereinander einheitlicher zu machen. Die Politik im Bereich Justiz und Inneres sollte mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen koordiniert werden, die im Rahmen der europäischen Struktur- und Investitionsfonds insbesondere in rückständigeren Regionen und vor allem in den Bereichen Ausbildung und Beschäftigung durchgeführt werden. Er teilt auch die Ansicht der Kommission, dass die Politik im Bereich Justiz und Inneres in die übergreifende Außenpolitik der EU auf eine Weise integriert werden muss, die einen verstärkten Dialog und eine engere Zusammenarbeit mit Drittländern ermöglicht und Synergien mit anderen EU-Politikbereichen schafft (2);

Für ein stärkeres Europas der Rechte

12.

plädiert für ein aktives Engagement der Behörden aller Ebenen zum Schutz und zur Förderung der Grundrechte und Grundfreiheiten aller Menschen. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften haben aufgrund ihrer Nähe zu den Bürgern eine besonders große Verantwortung für die Schaffung eines besseren Grundrechtebewusstseins;

13.

unterstreicht, dass die Grundrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen gelten, ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Hautfarbe, ethnischen oder sozialen Herkunft, besonderer genetischer Merkmale, ihrer Sprache, Religion oder Überzeugungen, politischen oder sonstigen Anschauungen, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, ihres Vermögens, ihrer Abstammung, Behinderungen, ihres Alters oder ihrer sexuellen Ausrichtung; darüber hinaus bedürfen „schutzbedürftige Gruppen“ wie Kinder, Migranten ohne Dokumente und Asylsuchende stets der besonderen Aufmerksamkeit bei der Planung, Umsetzung, Weiterverfolgung und Auswertung von Maßnahmen;

14.

meint, dass eine strategische Kommunikation über die Verantwortung aller Ebenen für Achtung, Schutz, Verwirklichung und Förderung der Grundrechte, für die Erfüllung gemeinsamer internationaler Verpflichtungen sowie über die langfristigen Gewinne durch die Aufnahme von Asylanten und Flüchtlingen maßgeblich dazu beiträgt, dem Anwachsen von Extremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in vielen Mitgliedsländern der EU Einhalt zu gebieten;

15.

sieht in Erfahrungen mit der praktischen Umsetzung der Grundrechte einen ganz wesentlichen Faktor für die Heranbildung eines europäischen Raums des Rechts, in dem die Grundrechte, die Vielfalt und die Zusammenarbeit geachtet und gefördert werden. Aus diesem Grunde begrüßt der Ausschuss der Regionen den Leitfaden im Internet, der von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte entwickelt wurde und den Beamten der lokalen, regionalen und nationalen Behörden hilft, ihre Arbeit im Alltag durch einen Mehrebenenansatz besser auf den Schutz und die Förderung der Grundrechte auszurichten (3). Der Ausschuss der Regionen fordert die Kommission auf, weitere Ressourcen für die Entwicklung, Aktualisierung und Verbreitung praktischer Werkzeuge dieser Art einzusetzen, die den Beamten und den Mandatsträgern der verschiedenen Regierungsebenen helfen;

16.

meint, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften aufgrund ihrer zentralen Rolle, ihrer großen Kapazität und ihren Erfahrungen ein Forum für den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren zwischen den lokalen und regionalen Behörden, den Akteuren der Zivilgesellschaft und den übrigen Verwaltungsebenen (nationale, europäische und internationale Ebene) benötigen. Der Ausschuss der Regionen regt daher an, dass die EU dies mit gezielten Maßnahmen oder Programmen weiter unterstützen sollte.

17.

plädiert dafür, dass der Jahresbericht zur EU-Grundrechtecharta Angaben darüber enthalten sollte, wie die Charta auf lokaler und regionaler Ebene umgesetzt wird. Dadurch würden diejenigen Bereiche beleuchtet, in denen die lokalen und regionalen Behörden größere Anstrengungen unternehmen und die Kommunikation zwischen den Ebenen verbessern müssten;

18.

ist der Ansicht, dass die Grundrechte nicht nur den Bereich Justiz und Inneres betreffen, sondern eigentlich alle Generaldirektionen. Zur Stärkung ihrer Rolle und zur Verbesserung des horizontalen Charakters sollten Grundrechtsangelegenheiten nach Meinung des Ausschusses durch die für Recht und Inneres zuständigen Kommissionsmitglieder mit sämtlichen Generaldirektionen der Europäischen Kommission abgestimmt werden;

19.

regt an, diese Koordinierung folgendermaßen auszurichten: bessere Abstimmung der Zuständigkeiten der Generaldirektionen zur Vermeidung von Zielkonflikten, Überwachung der Umsetzung der Grundrechte, Durchführung von rechts- und geschlechtsspezifischen Analysen, Datenerhebung, Aufforderung der Mitgliedstaaten zur Ratifizierung und Umsetzung zentraler internationaler und regionaler Rechtsinstrumente, Konsultation der verschiedenen Interessenträger sowie Überwachung der korrekten Anwendung der Terminologie und einer guten Kommunikation. Diese Koordinierung sollte in enger Zusammenarbeit mit der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte entwickelt werden;

20.

ist der Auffassung, dass die Kooperation in Grundrechtsfragen wesentlich erleichtert würde, wenn die in der Charta zugesicherten Rechte in den Mitgliedstaaten direkt anwendbar wären;

21.

ist der Auffassung, dass sich die Unionsbürger ihrer besonderen Rechte in anderen EU-Ländern besser bewusst sein sollten. Die Anwendung der Richtlinie über die Freizügigkeit von Personen ist von zentraler Bedeutung für die Gewährleistung des Rechts der Unionsbürger und ihrer Familien, sich über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg frei bewegen und niederlassen zu können;

22.

meint, dass das Recht auf Freizügigkeit stärker ins Bewusstsein gerückt werden müsste. Die Kommission verweist auf die häufigen praktischen und rechtlichen Probleme der Unionsbürger, wenn sie von Rechten, die sie in ihrem Heimatland genießen, in einem anderen Land der EU Gebrauch machen wollen (4). Gleichzeitig müssen aber auch solche Probleme, die sich aus der Freizügigkeit in den jeweiligen Kommunen und/oder Regionen ergeben, besser gelöst werden. Auch hier könnten zielgerichtete Maßnahmen und Programme eingesetzt werden;

Für ein Europa der Rechte und der Solidarität in Migrations- und Asylfragen

23.

unterstreicht, dass die EU mehr für die Umsetzung einer europäischen Asyl- und Migrationspolitik unternehmen sollte, die auf den Grundrechten, der Solidarität, dem gegenseitigen Vertrauen sowie der gemeinsam getragenen Verantwortung zwischen Mitgliedstaaten und lokalen und regionalen Gebietskörperschaften fußt;

24.

tritt dafür ein, dass die EU auch künftig ein Zufluchtsort für Menschen bleiben muss, die vor Verfolgung fliehen oder schutzbedürftig sind. Die Notwendigkeit einer geregelten Aufnahme von Migranten und die Unversehrtheit der Außengrenzen dürfen niemals über das Recht gestellt werden, internationalen Schutz zu suchen. Der Ausschuss der Regionen erinnert daran, dass die Kontrolle und Überwachung der Land- und Seegrenzen nicht den grundlegenden Verpflichtungen zur Rettung von Menschenleben und der Wahrung der Menschenrechte im Wege stehen dürfen;

25.

meint, dass eine eingespielte Zusammenarbeit und ein Vertrauensverhältnis zwischen lokaler, regionaler, staatlicher und europäischer Ebene in Bezug auf die Verteilung von Ressourcen und Verantwortung eine unbedingte Voraussetzung für eine langfristig funktionierende, gleichberechtigte Aufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen sind. Diese Zusammenarbeit ist heute in entscheidenden Aspekten mangelhaft, wodurch das Heimischwerden von Zuwanderern behindert und tendenziell fremdenfeindlichen Kräften in die Hände gespielt wird; es besteht grundlegend derselbe Bedarf nach wirkungsvoller Zusammenarbeit bei der Aufnahme anderer Kategorien von Migranten;

26.

appelliert an alle Regierungsebenen in der EU, die Verantwortung für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen gemeinsam zu tragen, und fordert mehr interregionale Zusammenarbeit, Koordinierung und Solidarität im Wege von Mechanismen, die für eine Umverteilung zwischen Mitgliedstaaten, Regionen sowie Städten und Gemeinden sorgen, bei der strukturelle Begrenzungen, Ressourcen und sonstige relevante Faktoren berücksichtigt werden. Gegenwärtig ist der einzelne Staat für die Asyl- und Flüchtlingspolitik verantwortlich und trägt damit auch die wirtschaftliche Verantwortung für die Aufnahme. Tatsächlich ist die Aufnahme sowohl von Land zu Land als auch innerhalb der Staaten ungleichmäßig, sodass manche Gebietskörperschaften eine größere Last als andere tragen, indem sie einen großen Teil der Zuwanderer aufnehmen. Der Ausschuss gibt zu bedenken, dass die Europäische Union auf die besonderen Probleme der Regionen Europas Rücksicht nehmen muss, die Zugangstor für Migranten sind, für die Leistungen und Dienste erbracht werden müssen, die vielfach über die Möglichkeiten einzelner Regionen hinausgehen. Deshalb sollte ein spezifisches Finanzinstrument aufgelegt werden, das in erster Linie für die Aufnahme- und Transitregionen bestimmt ist;

27.

nimmt mit Sorge zur Kenntnis, dass das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes und der Aktionsplan für unbegleitete Minderjährige (2010-2014) nicht in allen EU-Mitgliedstaaten bei der Aufnahme von Migranten-, Flüchtlings- und Asylbewerberkindern sowie bei unbegleiteten Minderjährigen eingehalten werden; betont, wie wichtig die wechselseitige Unterstützung zwischen Kommunen und Regionen ist, um die Einhaltung dieser Bestimmungen für sowohl Jungen als auch Mädchen zu gewährleisten;- gibt zu bedenken, dass der Aktionsplan 2014 ausläuft, und fordert die Kommission auf, die notwendigen Schritte zu seiner Verlängerung einzuleiten;

28.

moniert, dass Artikel 80 AEUV bislang nicht genutzt worden ist, um Maßnahmen der Solidarität und der gerechten Verteilung der Verantwortung in Bezug auf Freizügigkeit zu verwirklichen. Verpflichtungen bezüglich der Verbringung und Rückführung beruhten auf völliger Freiwilligkeit — in manchen Fällen haben Städte sogar selbst die Initiative übernommen, um diese Verpflichtungen in die Praxis umzusetzen;

29.

hält die ungleiche Verteilung von Asylsuchenden und Flüchtlingen zwischen Staaten, Regionen und innerhalb der Regionen angesichts des Mangels an Arbeitsplätzen, Wohnraum usw. für eine große Herausforderung für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften. Gleiches gilt für den Mangel an Vorausplanung und die Möglichkeit, sich rechtzeitig auf die Aufnahme einzustellen. Provisorische Lösungen führen oft zu negativen sozialen Auswirkungen, was wiederum die Chancen der Betroffenen mindert, sich das Rüstzeug für den Einstieg in den Integrationsprozess anzueignen;

30.

vertritt daher die Auffassung, dass es an der Zeit ist, genauer herauszuarbeiten, was unter einer gemeinsamen Verantwortung und Solidarität im Asylbereich zu verstehen ist. Klar ist, dass die Staaten, Regionen und Kommunen ausgehend von ihren besonderen Voraussetzungen und Wünschen eine jeweils eigene Vorstellung davon haben, was unter einer angemessenen Lastenteilung bzw. Solidarität zu verstehen ist. Dabei geht es um ein breites Spektrum von Fragen, angefangen von der Zahl der direkt eintreffenden Asylsuchenden und der Zahl der zu behandelnden Asylanträge bis hin zu finanzieller Situation, Wohnungsmangel, frühere Aufnahme, Bevölkerungsdichte usw. Außerdem spielt auch die kurz- und langfristige Perspektive hinein;

31.

unterstreicht, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und Mitgliedstaaten bewährte Verfahren bei der Bearbeitung der Fälle von Asylsuchenden und Flüchtlingen, Integrationspolitiken und der Verhinderung der irregulären Zuwanderung untereinander austauschen müssen. Dadurch könnte eine Bottom-up-Lösung zur Behebung der Diskrepanz zwischen Mitgliedstaaten und Regionen bezüglich der Bedingungen, unter denen Asylsuchende, Flüchtlinge oder irreguläre Zuwanderer bei der Erstankunft aufgenommen werden, und bei der Effizienz und Schnelligkeit, mit der die Anträge und Dossiers bearbeitet werden, in Gang gesetzt werden. Kleine Städte und Gemeinden haben nicht genügend Mittel, um einen großen Zustrom von Migranten zu bewältigen; vor diesem Hintergrund betont der Ausschuss, wie wichtig Solidarität zwischen den Städten und Gemeinden ist, und fordert eine Stärkung von Frontex für eine wirksamere und effizient konsolidierte und optimierte Zusammenarbeit zwischen nationalen Grenzbehörden und den Schutz sowohl der Zuwanderer als auch der EU-Außengrenzen;

32.

schlägt als konstruktive Maßnahme bezüglich dieser Diskussionen über die Lastenteilung vor, dass mit einer Forschungsstudie geklärt wird, wie die Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen geteilte Verantwortung und Solidarität sehen und welche Auswirkungen verschiedene Definitionen in verschiedenen Szenarien haben würden. In einer solchen Studie wäre auch zu klären, wie eine ausgeglichenere Verteilung von Asylanten und Flüchtlingen zwischen Kommunen, Regionen und Staaten in der EU verwirklicht werden könnte;

33.

sieht es ferner als wichtig an, dass die EU diese neuen Zuwanderer als Ressource begreift und nutzt. Eine erfolgreiche Integrationsarbeit zur Bewältigung der Vielfalt auf lokaler und regionaler Ebene fördert das Wachstum, eröffnet mehr Chancen für Lernen und Unternehmertum, trägt dazu bei, den künftigen Bedarf an Arbeitskräften zu decken, und sichert zudem auch die Finanzierung des Sozialstaats in der Zukunft. Damit dieser politische Ansatz erfolgreich sein kann, muss in Bildung und Arbeitsplätze für Migranten investiert werden, sodass sie auf dem Arbeitsmarkt der EU Fuß fassen können, wie auch in Schulungen im Umgang mit der kulturellen Vielfalt, um Veränderungen in der Einstellung der Bevölkerung und eine Verbesserung der sozialen Beziehungen herbeizuführen;

34.

betont die Notwendigkeit, Betrug und Missbrauch durch einen EU-weiten Ansatz anzugehen;

35.

verweist darauf, dass die niedrige Geburtenrate in vielen Mitgliedstaaten und der anstehende Generationswechsel dazu führen werden, dass mehr Menschen im arbeitsfähigen Alter gebraucht werden. Die Aufnahme von Asylanten und Flüchtlingen ist demzufolge nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine große Chance für die EU-Länder.- Die EU muss ganz einfach eine glaubhafte Antwort auf das demographische Problem finden, das auf die Union zukommt;

36.

macht auf die begrenzten Fortschritte bei der Verabschiedung von Gesetzen zur Regelung der legalen Zuwanderung aufmerksam, mit der Folge, dass der migrationspolitische Rahmen der EU sehr lückenhaft ist. Der Ausschuss begrüßt daher die Priorisierung einer übergreifenden Migrationsstrategie und misst einer ausgewogenen, echten Partnerschaft mit den Herkunfts- und Transitländern bei der Organisierung der Aufnahme von Migranten unter Wahrung ihrer Rechte eine große Bedeutung bei;

37.

vertritt die Auffassung, dass die organisierte Kriminalität auch auf der lokalen Ebene durch soziale und erzieherische Initiativen bekämpft werden muss. Dies kann geschehen, indem den Menschen in Gebieten, in denen die organisierte Kriminalität tonangebend ist, vor Augen gehalten wird, dass ein anderes Entwicklungsmodell auf der Grundlage von Transparenz, Teilhabe und Demokratie möglich ist, und eine erzieherische Unterstützung vor allem für junge Menschen gewährt wird, die Gefahr laufen, in die Fänge der illegalen Strukturen zu gelangen, und indem die Gewinne des organisierten Verbrechens beschlagnahmt und einer Nutzung durch soziale Projekte, lokale Akteure und die Zivilgesellschaft zugeführt werden. Die europäischen, nationalen, regionalen und öffentlichen Behörden tragen eine entscheidende Verantwortung für die Zusammenarbeit bei derartigen Initiativen;

38.

teilt die Ansicht der Kommission, dass in einer gut geregelten Zuwanderungspolitik auch Maßnahmen zur Zurückdrängung der irregulären Zuwanderung vorgesehen sein müssen (5). Zugleich darf aber die irreguläre Zuwanderung und die Hilfe für irreguläre Zuwanderer nicht kriminalisiert werden, wobei ganz besonders auf potenzielle Opfer von Menschenhandel zu achten ist. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften müssen mit der Situation klarkommen, die sie vor Ort vorfinden, und mit Blick auf die Grundrechte muss das unter anderem heißen, dass sie auch irregulären Zuwanderern Dienste anbieten müssen;

39.

meint, dass Vertreter der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften die Möglichkeit bekommen müssen, Strukturen für den Erfahrungsaustausch aufzubauen und Erfahrungen über bewährte Vorgehensweisen in Sachen Beschäftigung, Bildung und soziale Teilhabe auszutauschen, um die lokale Dimension der Integrationspolitik stärker sichtbar zu machen. Ein Forum für den Erfahrungsaustausch ist eine Voraussetzung für die Schaffung einer dynamischen Integrationspolitik in der Union, die die Rechte der Migranten garantiert. Langfristig würde ein solches Forum dazu beitragen, integrationspolitische Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten abzubauen;

Ein sicheres Europa

40.

ist der Auffassung, dass zur Lösung der Probleme, die die Sicherheit der Menschen beeinträchtigen und Grundrechte gefährden — darunter z. B. organisierte Kriminalität und insbesondere Menschenhandel, Drogenhandel, sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen — vorbeugende Maßnahmen ebenso wichtig wie strafrechtliche Sanktionen sind. Er erinnert die Kommission an die entscheidende Rolle der lokalen und regionalen Akteure bei der Entwicklung von Strategien zur Kriminalitätsprävention und zur Wahrnehmung der Verantwortung für das anhaltende Wohlbefinden der Opfer;

41.

ist der Auffassung, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften eine wichtigere Rolle im Kampf gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität spielen sollten, denn im Nahumfeld begangene Verbrechen sind immer öfter auf die Machenschaften der internationalen organisierten Kriminalität zurückzuführen, und gerade die örtlichen Gemeinschaften sind die ersten Opfer krimineller Organisationen, die die gesellschaftlichen Strukturen destabilisieren; stimmt der Kommission darin zu, dass sichere und zuverlässige Netze aufgebaut werden müssen, damit Privatpersonen und Unternehmen umfassend das Potenzial des Internet nutzen können. Deshalb muss die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit dem bei Europol angesiedelten Europäischen Zentrum zur Bekämpfung der Cyberkriminalität (EC3) auch auf die regionale und lokale Ebene ausgedehnt werden, um so bereits auf den Verwaltungsebenen, die den Bürgern am nächsten sind, den Kampf gegen die Computerkriminalität zu verstärken;

42.

ist der Auffassung, dass die Korruption ein besonders wichtiges Thema für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und ihre Bürger ist. Der Ausschuss der Regionen wird sich auch weiterhin für den Kampf gegen die Korruption auf allen Ebenen und für den Schutz der finanziellen Interessen der EU u. a. durch die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit den anderen EU-Institutionen, dem Europarat und anderen Organisationen einsetzen;

43.

unterstützt die Strategie der EU zur Bekämpfung des Menschenhandels. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften können in hohem Maße zur erfolgreichen Durchführung der Strategie beitragen und aufgrund ihrer örtlichen Verankerung Anzeichen dafür erkennen, ob jemand Opfer des Menschenhandels geworden ist. Der Ausschuss hat deshalb dafür plädiert, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zu Leitlinien für die Identifizierung von Opfern und den Schutz von Minderjährigen beitragen sollten, um diese zu schützen und ihr anhaltendes Wohlbefinden zu sichern, gerade auch im Fall von Minderjährigen;

44.

betont, dass Kommunen und Regionalbehörden wichtige Partner für den Kapazitätsaufbau in den Herkunftsländern sind. Die grenzübergreifende internationale Zusammenarbeit zwischen Aufnahmekommunen von Migranten oder Asylbewerbern und deren Heimatkommunen sollte verbessert und erheblich ausgebaut werden. Die lokale Ebene spielt bei der Konzipierung und Durchführung von Aufnahme- und Rückkehrprogrammen eine wichtige Rolle.

Brüssel, den 25. Juni 2014.

Der Präsident des Ausschusses der Regionen

Ramón Luis VALCÁRCEL SISO


(1)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat „Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“KOM(2014) 158 final, 11. März 2014.

(2)  Mitteilung: Ein offenes und sicheres Europa — Praktische Umsetzung, KOM(2014)154 final.

(3)  http://fra.europa.eu/en/joinedup/home.

(4)  Auf dem Weg zu einem wahrhaft europäischen Raum des Rechts: Stärkung von Vertrauen, Freizügigkeit und Wachstum, KOM(2014) 144 final.

(5)  Ein offenes und sicheres Europa: Praktische Umsetzung KOM(2014) 154 final.