12.9.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 311/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Rückverlagerung von EU-Industrien im Rahmen der Reindustrialisierung“

2014/C 311/03

Berichterstatter: Edgardo Maria IOZIA

Ko-Berichterstatter: José Custódio LEIRIÃO

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. September 2013 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Rückverlagerung von EU-Industrien im Rahmen der Reindustrialisierung.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 8. April 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 498. Plenartagung am 29./30. April 2014 (Sitzung vom 29. April) mit 139 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist davon überzeugt, dass der wirtschaftliche Niedergang in der Europäischen Union nur durch eine Wiederbelebung der Industrie gestoppt werden kann, vor allem der verarbeitenden Industrie, die einer der wichtigsten Faktoren im Produktionsgefüge ist. In der vorliegenden Stellungnahme sollen einige nützliche Instrumente zur Flankierung der Kommissionsinitiative zur Reindustrialisierung der Europäischen Union aufgezeigt und das Thema der Rückverlagerung von Unternehmen, die ihre Tätigkeit in Drittstaaten ausgelagert haben, näher beleuchtet werden. Auch die Europäische Kommission hat Untersuchungen zum Thema Rückverlagerung eingeleitet. Der EWSA begrüßt, dass Eurofound zeitgleich mit der Erarbeitung der vorliegenden Stellungnahme beauftragt wurde, die notwendigen Daten zusammenzustellen, um das Phänomen der Rückverlagerung in seinem vollen Umfang sowie mögliche Lösungsansätze verstehen zu können.

1.2

Der EWSA unterstützt den Vorschlag von Kommissionsvizepräsident Antonio Tajani zur Erarbeitung eines Konzepts zur Reindustrialisierung der Union, um auf diese Weise den Anteil der Industrie am europäischen BIP von derzeit 15,1 % wieder auf mindestens 20 % zu erhöhen. Er schlägt vor, das Projekt auszuweiten und um „Einen europäischen Sozialpakt für eine neue, nachhaltige und wettbewerbsfähige Industrie“ zu erweitern. In ihrer jüngsten Mitteilung (1) hat die Kommission einige Prioritäten aufgestellt, unter anderem:

verstärkte Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in anderen Bereichen, wobei im Interesse einer höheren Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und der EU-Wirtschaft im Allgemeinen der Produktivitätssteigerung bei den Unternehmensdienstleistungen besonderes Augenmerk zu widmen ist;

Maximierung des Binnenmarktpotenzials durch die Entwicklung der notwendigen Infrastrukturen und durch die Schaffung eines stabilen und vereinfachten Rechtsrahmens sowie

entschlossene Umsetzung der Instrumente für die regionale Entwicklung mithilfe nationaler und europäischer Instrumente zur Förderung von Innovation, Qualifikation und Unternehmergeist.

1.3

Der EWSA fordert die Europäische Union auf, einen europäischen Aktionsplan zu diesen Punkten zu erarbeiten, und empfiehlt:

politische Maßnahmen zu erarbeiten, um Innovation und Produktivität zu beschleunigen und dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen;

neue Kreditinstrumente zu schaffen, um den Zugang zu Finanzmitteln zu erleichtern und die erforderlichen Investitionen zu beschleunigen;

Maßnahmen zu fördern, um die Teilhabe der europäischen verarbeitenden Industrie an allen Tätigkeiten der Wertschöpfungskette zu gewährleisten;

Reindustrialisierung und Rückverlagerung in eine nachhaltige europäische Industriepolitik zu integrieren, die auf Investitionen, Technologie, Unternehmertum, Bildung, Innovation, Forschung, Energiepreise, Infrastruktur, Handel usw. ausgerichtet ist;

eine in sich schlüssige, stabile und sichere Rechtsetzung zu gewährleisten;

das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes zu sichern;

für eine Umweltgesetzgebung Sorge zu tragen, die im Einklang mit den Zyklen von Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen der europäischen Industrie steht;

die Infrastruktur zu modernisieren;

wichtige Unternehmensinvestitionen zu finanzieren;

die europäische Energiepolitik zu unterstützen;

zu gewährleisten, dass der Markt in Europa genügend qualifizierte Arbeitsplätze bietet;

den Mangel an Fähigkeiten und Kompetenzen in der verarbeitenden Industrie anzugehen, und

ein System für effizientes Personalmanagement auszuarbeiten, das die berufliche Tätigkeit und die berufliche Qualifizierung sowie die Innovationsfähigkeit fördert und das sich vor allem das schöpferische Potenzial zivilgesellschaftlicher Akteure wie der nationalen und europäischen Verbände von Ingenieuren und Wissenschaftlern zunutze macht.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf:

Industriegebiete und Anlagen, die aufgrund der Verlagerung von Unternehmen der verarbeitenden Industrie ins Ausland ihre Tätigkeiten zurückgefahren haben, neu zu schaffen oder wiederzubeleben;

die Produktionsinstrumente und -verfahren auf den neuesten Stand zu bringen oder zu ersetzen, um den neuen Anforderungen der nachhaltigen Entwicklung zu entsprechen;

ein ausgewogeneres und stabiles Steuersystem zu schaffen, um den Inlandskonsum zu erhöhen und ausländische Direktinvestitionen anzuziehen;

spezifische Informationsstellen einzurichten, die über die Verfahren zur Verlagerung und Rückverlagerung von Unternehmen Auskunft geben.

1.4

Der EWSA misst einer integrierten Industriepolitik, die auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene auf klare Ziele ausgerichtet und in der Lage ist, in allen Branchen der verarbeitenden Industrie Investitionen anzulocken (sowohl im Spitzentechnologie- als auch im Low-Tech-Bereich), grundlegende Bedeutung bei. Diese Politik sollte in erster Linie auf die globale Wertschöpfungskette ausgerichtet sein und sich auch auf Forschungs-, Innovations- und Entwicklungstätigkeiten erstrecken.

1.5

Nach Ansicht des EWSA ist es unabdingbar, ehrgeizige und gleichzeitig bis zum Jahr 2020 realisierbare Ziele für die Reindustrialisierung Europas festzulegen. Einen Beitrag zur Verwirklichung dieser Ziele können Maßnahmen zur Rückverlagerung von seinerzeit ausgelagerten Produktionstätigkeiten leisten.

1.6

Die wichtigsten Gründe für eine Rückverlagerung von Unternehmen aus China in den Westen können wie folgt zusammengefasst werden:

höhere Kosten für das ausgelagerte Geschäft als ursprünglich vorgesehen;

Produktivitätszuwachs, Kostensenkungen und erhöhte Kapazitäten in zahlreichen westlichen Unternehmen als Folge der Durchführung von Programmen zur ständigen Qualitätsförderung;

der Wunsch, Produktion und die Entwicklungsverfahren so anzusiedeln, dass die Zusammenarbeit auf nationaler Ebene erleichtert wird;

die steigende Komplexität der Produkte und die Notwendigkeit, die Verpackungen zu verändern, um den Kundenwünschen Rechnung zu tragen;

geringere Energiekosten in den USA;

umfassendere Wachstumsinitiativen der Regierung in den USA;

der Zwang zur Überproduktion, um die Container zu füllen;

Wartezeiten für Produkte aufgrund unsicherer Auslieferung, nicht gleichbleibender Qualität und Zollformalitäten;

gestiegene Transportkosten aufgrund halb leerer Schiffe;

hohe Lagerbestände, um die Probleme in Bezug auf Transitwaren, Zyklen, Sicherheitsbestände, unsichere Lieferfristen und Qualitätskontrollen zu bewältigen;

Anstieg der zusätzlichen Kosten;

häufigere Mängel als bei lokalen Produkten, zusätzliche Material- und Toleranzprüfungen, mehr unzufriedene Verbraucher;

Verringerung der Kostendifferenz zwischen dem Drittstaat und im Ursprungsland (Arbeits- und Transportkosten);

betriebliche Faktoren wie verringerte betriebliche Flexibilität, Bestellungen, fehlende Flexibilität in Bezug auf den Lieferort, Strafzahlungen für verspätete Bestellungen;

Bestellungen in einer bestimmten Mindesthöhe aufgrund der Abmessungen des Containers;

verzögerte Reaktion auf Kundenanfragen aufgrund der räumlichen Trennung zwischen Produktionsstandort und Entwicklungszentrum;

Produktion und Auslieferung; Auswirkungen auf den Lebenszyklus des Produkts;

höhere Kosten für die Koordinierung der Zulieferkette;

Qualitätsprobleme (geringe Qualität der Produkte);

Verfügbarkeit von Qualifikationen (Mangel an gut ausgebildeten Fachleuten und Facharbeitern im Gastland);

hohe Arbeitslosenquote im Ursprungsland, und

Wechselkursrisiken.

1.7

Die verarbeitende Industrie benötigt robuste und gleichzeitig flexible Zulieferstrukturen, um heute auf dem Markt wettbewerbsfähig zu sein. Die Rückverlagerung von Produktionstätigkeiten ist einer der Wege, über den die Unternehmen diesen Erfordernissen gerecht werden können. Nach Ansicht des EWSA bestehen die wichtigsten Maßnahmen zur Unterstützung des verarbeitenden Gewerbes, das seine Geschäftstätigkeit nach Europa (zurück)verlagern und/oder ausdehnen möchte, darin, ein angemessenes Umfeld für investierende Unternehmen zu schaffen sowie die berufliche Qualifizierung der Arbeitnehmer, wettbewerbsfähige Energiekosten und den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und zu den Märkten zu gewährleisten.

1.8

Die Kommission stellt fest: „Beim Strom nahmen die Endpreise für die Industrie in der EU zwischen 2008 und 2012 im Schnitt pro Jahr um 3,5 % zu, jene für Gas um 1 %. Schätzungen zufolge sind die Strompreise für die Industrie in der EU somit doppelt so hoch wie in den USA und Russland und um 20 % höher als in China, wie aus Angaben der Internationalen Energie-Agentur hervorgeht (2). Bei Gas ist die Preisdifferenz noch größer: In der EU ist Gas für industrielle Abnehmer drei- bis viermal teurer als für die Mitbewerber in den USA, Russland und Indien und kostet um 12 % mehr als in China, aber weniger als in Japan. Die von den Industriekunden tatsächlich bezahlten Preise können in den einzelnen Mitgliedstaaten allerdings sehr unterschiedlich sein (3).“

1.9

Der EWSA hat sich eingehend mit den energieintensiven Industrien in Europa beschäftigt (4) und eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen sowie Empfehlungen vorgelegt, um es diesen Industrien zu ermöglichen, ihre Produktion in Europa fortzusetzen. Er fordert die EU-Institutionen erneut auf, sich um eine gemeinsame Energiepolitik zu bemühen und das Problem der Wettbewerbsfähigkeit bei den Faktoren Kapital und Energie anzugehen. Der EWSA fordert die Sozialpartner auf, ihre Zusammenarbeit auszubauen und einen Entwicklungspakt zu schließen, in dem die Besonderheiten und der Schutz des europäischen Sozialmodells, das die Verwirklichung der im Vertrag von Lissabon festgeschriebenen Ziele im Hinblick auf die soziale Marktwirtschaft gewährleistet, berücksichtigt werden.

1.10

Die Kohärenz zwischen den einzelnen Politikbereichen hat erhebliche Auswirkungen. Zum einen ist die künftige Entwicklung auf den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft ausgerichtet, was eine kohärente Gestaltung von Forschung, Rechtsvorschriften und Förderprogrammen erforderlich macht. Der zweite Gesichtspunkt betrifft die nachhaltige soziale Entwicklung und somit das Verhältnis zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Arbeit, d. h. eine qualifizierte und inklusive Beschäftigung für alle, die imstande ist, eine hochwertige Entwicklung und damit einen Mehrwert im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit zu generieren.

1.11

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass durch ein besseres Verhältnis zwischen Unternehmen und Banken, bei dem der Schwerpunkt auf der Realwirtschaft liegt, fruchtbare Synergien freigesetzt und die Wettbewerbsvorteile, die sich aus ihrer Präsenz auf den ausländischen Märkten ergeben, zum Tragen gebracht würden.

1.12

Die europäischen Unternehmen sollten in erster Linie auf Innovation, Qualität und Zuverlässigkeit sowie die Leistung und Funktionalität ihrer Produkte setzen. Sie müssen ihren ökologischen Fußabdruck berücksichtigen und ihre Produktionsprozesse an der sozialen Verantwortung des Unternehmens ausrichten. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu gewährleisten, ist es allerdings auch erforderlich, die Kosten — insbesondere die Lohn- und Energiekosten — unter Kontrolle zu halten und die zu diesem Zweck nötigen Maßnahmen zu ergreifen.

1.13

Die Umstellung unserer Produktionssysteme, der Infrastrukturen und der Wirtschaft auf Nachhaltigkeit sowie ihre Anpassung an den demografischen Wandel, die Ausbildung der neuen Generationen und die Anpassung der Arbeitnehmer in der EU an die internationale Arbeitsteilung — um all dies auf europäischer Ebene in kohärenter und koordinierter Weise verwirklichen zu können, sind massive Investitionen erforderlich.

1.14

Dass Europa weiterhin ein breit aufgestellter, vielseitiger Produktionsstandort bleibt, ist für den Erhalt von Kompetenzen wichtig, denn sind diese erst einmal verloren, können sie nur schwer wieder aufgebaut werden. Das besondere fertigungstechnische Können bestimmter Branchen kann, im gesamtwirtschaftlichen Kontext gesehen, bedeutende Impulse für die Entwicklung neuer Produkte liefern.

1.15

Die Kapazitäten Europas in Forschung und Innovation, die eine nachhaltige, stabile und langfristige Entwicklung gewährleisten, müssen ausgebaut und aufrechterhalten werden. Dazu ist eine intelligente, wirksame und effiziente Regulierung erforderlich, um die besten Rahmenbedingungen zu schaffen, die technologische Führungsrolle zu behaupten, hochwertige Arbeitsplätze im Bereich Forschung und Innovation und im verarbeitenden Gewerbe zu schaffen sowie Sicherheit und Nachhaltigkeit zu fördern (5).

Unternehmen, die eine Rückverlagerung erwägen, sollten wissen, was genau sie anstreben und wie sie ihre Ziele innerhalb der EU verwirklichen können. Sie müssen Zugang zu verlässlichen Daten, Informationen und Beratung haben, um einen Überblick über die Vor- und Nachteile einschließlich der realen Kosten zu bekommen. Die Vertretungen der EU und der Mitgliedstaaten in wichtigen Drittländern sollten wie auch die lokalen und regionalen Behörden ihre Hilfe für Unternehmen ausbauen. Es gilt zu prüfen, ob das gleiche Ziel auch innerhalb der Europäischen Union erreicht werden kann.

1.16

Die wichtigsten Gründe für eine Rückverlagerung werden in Ziffer 1.6 aufgeführt.

1.17

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission den Prozess der Rückverlagerung von Unternehmen in ihre Industrieagenda aufgenommen hat, da sie dazu beitragen kann, die industrielle Tätigkeit zu beleben, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die verarbeitende Industrie künftig zum Motor Europas zu machen. Die unlängst mit Eurofound getroffene Vereinbarung ist ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung.

2.   Einleitung

2.1

„Wir können nicht weiterhin einfach dabei zusehen, wie unsere Industrie aus der EU abwandert. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Unsere Industrie kann Wachstum und Arbeitsplätze schaffen. Heute haben wir deutlich gemacht, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit wir in Europa in Zukunft auf eine nachhaltige Industrie bauen können, in der die notwendigen Investitionen in neue Technologien getätigt werden und wieder ein Klima der Zuversicht und des Unternehmergeists herrscht. Wenn wir zusammenarbeiten und das Vertrauen wiederherstellen, können wir die Industrie zurück in die EU bringen (6).“

2.2

In den letzten Jahren ist eine zunehmende Produktionsverlagerung aus Europa in Drittstaaten und eine zunehmende Deindustrialisierung zu beobachten, die dazu führte, dass der Anteil der Industrie am europäischen BIP in nur wenigen Jahren von 20 % auf 15 % gesunken ist. In der EU sind seit 2008 3,5 Millionen Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verloren gegangen.

2.3

Die Verlagerung (offshoring) von Unternehmen, d. h. die Entscheidung, die eigene Produktion in Drittländer zu verlegen, ist spätestens seit den siebziger Jahren eine der am weitesten verbreiteten Strategien der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in den wichtigsten westlichen Industriestaaten. Häufig werden derartige Entscheidungen der Unternehmensleitung von einer Auslagerung gewerblicher Tätigkeiten (d. h. outsourcing) begleitet, die zur Entstehung wirtschaftlicher Gebilde wie „global factory“, „internationale Lieferkette“ und „globale Produktionskette“ (im Nachhinein auch „globale Wertschöpfungskette“ genannt) führt (7).

2.4

Die „Verlagerung von Vermögen“ aus den Ländern der OECD in große, bevölkerungsreiche Länder mit mittleren Einkommen erfolgt in erster Linie nach China und Indien, doch auch andere Staaten wie Brasilien und Südafrika spielen hier eine Rolle. In den weltweit führenden Industrienationen einschließlich der Vereinigten Staaten und der EU (Deutschland, Italien, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Spanien und die Niederlande) ist seit 1990 ein signifikanter Rückgang des verarbeitenden Gewerbes zu verzeichnen. Seit 1987 ist im privaten Sektor der USA der Anteil der verarbeitenden Industrie an der Beschäftigung von 21 % auf weniger als 11 % zurückgegangen (8).

2.5

„Die Politik der Euroländer zur Krisenbewältigung muss überprüft werden, da sie zu einer Verschlechterung der ohnehin komplizierten Situation führen kann.“ "Wenn die Ursache für die Krise in wachsenden Unterschieden zwischen den Volkswirtschaften der Eurozone liegt, sollte der straffe Sparkurs korrigiert werden. Nur mit Sparpolitik kann das Problem der unzureichenden europäischen Wettbewerbsfähigkeit nicht gelöst werden, im Gegenteil — sie kann zu einer Verschlechterung der Lage führen (9).

2.6

Das Andauern der Wirtschafts- und Schuldenkrise in einigen in hohem Maße vom verarbeitenden Gewerbe geprägten Ländern hat zu einer weiteren Schwächung sekundärer Industriezweige geführt. Die insbesondere für energieintensive Branchen (beispielsweise die Stahlindustrie) hohen Energiekosten haben sich auf Investitionen abschreckend ausgewirkt und in einigen Fällen zur Verlagerung von Unternehmen geführt.

2.7

Die Europäische Union sollte sich auf die Nutzung von Spitzen- und Automatisierungstechnologien konzentrieren. Weitere Aspekte, wie die saubere und hochspezialisierte Produktion, Investitionen in intelligente Netze, Energieeffizienz und nachhaltige Mobilität sind für die Zukunft der Industrie in Europa und die Chancen, kurzfristig neue Arbeitsplätze zu schaffen, ausschlaggebend.

3.   Europäische Industriepolitik und Reindustrialisierung

3.1

Die aktuelle Industriepolitik der Europäischen Union zielt darauf ab, den geltenden Rechtsrahmen zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken, damit diese ihre Rolle als Triebkraft für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung in Europa behaupten können. Artikel 173 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bildet die Rechtsgrundlage der EU-Industriepolitik.

Unter Reindustrialisierung versteht man eine Reihe von Initiativen und Programmen zur Unterstützung der wirtschaftlich-produktiven Entwicklung in Regionen, die von Krisen in der Industrie sowie sozioökonomischen und ökologischen Krisen betroffen sind. Europa ist heute mehr denn je darauf angewiesen, dass seine Realwirtschaft durch eine neue Phase der Reindustrialisierung den Wirtschafts- und Beschäftigungsaufschwung vorantreibt. Von der Industrie gehen dabei wichtige Impulse aus. Schätzungen zufolge ziehen 100 neue Arbeitsplätze in der Industrie die Schaffung ebenso vieler Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftszweigen nach sich (10). In ihrer am 22. Januar 2014 vorgelegten Mitteilung „Für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie“ fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, die zentrale Bedeutung der Industrie für die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Wirtschaftswachstum anzuerkennen und Anliegen in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in allen Politikbereichen systematisch zu berücksichtigen (11).

3.2

2012 hatte die Kommission eine Strategie zur Reindustrialisierung Europas auf den Weg gebracht mit dem Ziel, den Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der europäischen Wirtschaft bis 2020 von 15 % auf 20 % des BIP zu erhöhen. Diese Initiative beruht auf vier Säulen: mehr Investitionen in Innovation, Aus- und Weiterbildung gemäß den Anforderungen der Industrie, Erleichterung des Zugangs zu Kapital und verbesserter Zugang zu den Märkten (12).

3.3

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die Europäische Union eine gemeinsame Strategie erarbeiten sollte — eine europäische Industriepolitik, mit deren Hilfe die zur Stärkung der gesamten Produktionskette strategisch wichtigen Branchen ermittelt werden, ganz gleich, ob es sich dabei im Einzelnen um die Produktion von Endprodukten oder Halbfabrikaten handelt. Der EWSA hat eine Stellungnahme (13) zur Kommissionsmitteilung über den Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie (14) vorgelegt, in der konkrete und dringend erforderliche Maßnahmen zur Unterstützung eines der Eckpfeiler der verarbeitenden Industrie aufgeführt werden: hochwertige Ausgangsprodukte, die den nachgelagerten Industrien einen echten Mehrwert bringen, insbesondere dem Maschinenbau, der elektronischen und technischen Industrie, der feinmechanischen Industrie, der Automobilindustrie, dem Baugewerbe, dem Schiffbau — um nur die wichtigsten zu nennen.

3.4

In zahlreichen Stellungnahmen zum industriellen Wandel hat der EWSA Lösungsansätze und -wege herausgearbeitet, die der europäischen Industrie zu der ihr gebührenden Stellung verhelfen sollen. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass eine Wiederbelebung der Industrie für die Wirtschaftsentwicklung, Wachstum und Wohlstand und damit für das Fundament des europäischen Sozialmodells ausschlaggebend ist.

3.5

„Die Industrieproduktion ist nach wie vor der Motor des Wirtschaftswachstums: In den Regionen, in denen ihr relativer Anteil zugenommen hat, ist auch das BIP stärker gestiegen. Der Grund dafür ist, dass die verarbeitende Industrie über die Innovation von Produkten und Verfahren auch eine Produktivitätssteigerung in anderen Branchen auslöst: Die Digitalisierung der Dienstleistungen wäre ohne das Industrieprodukt Computer niemals möglich gewesen. Gerade die Fertigungsindustrie ist es, in der Forschung und Entwicklung, die die Grundlage der Innovation sind, eine konkrete Gestalt annehmen“ (15)  (16).

3.6

Die EU-Fördermittel für diesen Zweck wurden erhöht. Das Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 wurde von 54 auf 80 Mrd. EUR aufgestockt. In den europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) stehen den Mitgliedstaaten mindestens 100 Mrd. EUR zur Verfügung, um im Einklang mit den Prioritäten der EU-Industriepolitik Investitionen in Innovation zu finanzieren. Das COSME-Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für KMU 2014-2020 ist mit einem Haushalt von 2,3 Mrd. EUR ausgestattet. SPIRE (Sustainable Process Industry through Resource and Energy Efficiency) ist eine neue öffentlich-private Partnerschaft, die im Dezember 2013 im Rahmen von Horizont 2020 unterzeichnet wurde und insgesamt mit EU-Mitteln in Höhe von 900 Mio. EUR für die kommenden sieben Jahre ausgestattet ist (17).

3.7

„Nanotechnologie, Mikro- und Nanoelektronik, einschließlich Halbleiter, fortgeschrittene Werkstoffe, Biotechnologie und Photonik, computergesteuerte Fertigungsanlagen und 3D-Druck erleben ein spektakuläres Wachstum in der EU. Die Beherrschung dieser Technologien öffnet zugleich auch das Tor für den Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft, die weniger Kohlendioxid emittiert (18).“

3.8

Im Entwurf des „Berichts über die Reindustrialisierung Europas zwecks der Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit“ (19) unterstreicht das Europäische Parlament, dass „die zukünftige industrielle Stärke Europas in einer Strategie zur Erneuerung der Industrie für ein nachhaltiges Europa (RISE) liegt, durch die technologische, unternehmerische und soziale Innovation mit dem Ziel einer dritten industriellen Revolution, einschließlich einer CO2-armen Modernisierungsoffensive, vorangetrieben wird“.

3.9

Europa kann uns eine gemeinsame Zukunft als moderner Industriestandort bieten — dies setzt allerdings eine echte Modernisierungsoffensive auf mindestens fünf Ebenen voraus: mehr Innovation in Technik und Produktivität mit Investitionen in Forschung und Wettbewerbsfähigkeit; Verkürzung der Bearbeitungsfristen, mehr Transparenz und Flexibilität der öffentlichen Verwaltungen; Erleichterungen für KMU; Verbesserung der IT-Infrastrukturen und angemessener Verkehrsinfrastrukturen (Fazilität „Connecting Europe“, Ten-T, Ten-E, digitale Agenda); Umlauf von verfügbarem Kapital, das als Hebel eingesetzt werden kann, um private Ressourcen in Anschlag zu bringen und anzuziehen und auch mittelfristigen Investitionszielen gewidmet ist.

4.   Rückverlagerung von Unternehmen

4.1

Die Rückverlagerung von Unternehmen (reshoring) ist eine auf Freiwilligkeit beruhende Unternehmensstrategie zur teilweisen oder vollständigen Rückführung einer zuvor verlagerten (insourcing oder outsourcing) Produktionstätigkeit zurück in das Ursprungsland (Back-shoring) bzw. in die Region des Ursprungslandes (20). Das Offshoring bezeichnet die teilweise oder vollständige Verlagerung der Produktionstätigkeit eines Unternehmens aus einem europäischen Land in ein Drittland.

4.2

In den vergangenen Jahren war branchenübergreifend die Tendenz zur Standortverlagerung von Teilen der Wertschöpfungskette zu beobachten, zunächst hin zu den aufstrebenden Märkten, später größtenteils wegen der Lohnkostenvorteile und der Nähe zu den Rohstoffen. Diese Tendenz hat dazu geführt, dass die EU mit ihren 500 Millionen Einwohnern heute zu einem riesigen Absatzmarkt für Industrieerzeugnisse aus Drittstaaten geworden ist. Aber welche Faktoren veranlassen die Unternehmen zur Rückkehr? Auf nationaler und europäischer Ebene dürfte die Teilrückverlagerung dieser Unternehmen nicht zu unterschätzende Vorteile bieten, Stichworte: Schaffung von Arbeitsplätzen, Bremsung des Abflusses von Know-how, Stärkung der Herkunftsbezeichnung „made in“. In Anbetracht der vielschichtigen Dynamik und der Hauptgründe für Unternehmensverlagerungen oder -rückverlagerungen müssen die Vor- und Nachteile auf nationaler Ebene, aber auch in Bezug auf die jeweiligen Unternehmen eingehend untersucht werden.

4.3

Der Prozess der Unternehmensverlagerungen von Europa nach Asien setzt sich fort. Im Zeitraum 2007-2009 haben ca. 40 % der Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten eine Verlagerung ihrer Produktion vorgenommen, insbesondere die Unternehmen mit hohem Energieverbrauch. Allerdings gibt es Länder in Mittel- und Osteuropa, in denen die industrielle Fertigung immer noch einen stattlichen Anteil am Wirtschaftsgeschehen ausmacht.

4.4

Die andauernde Krise hat dazu geführt, dass die europäischen Unternehmen sehr zurückhaltend geworden sind und es vermeiden, weitere Investitionen ins Auge zu fassen oder die derzeitigen Zulieferer zu wechseln.

4.5

Verschiedene Faktoren wirken sich in der Europäischen Union negativ auf den Prozess der Rückverlagerung aus, unter anderem:

der sehr starke Euro;

die geringe Produktivität;

die höheren Sozialkosten im Vergleich zu anderen Ländern, in denen die Lohnkosten sehr viel niedriger sind und es keinen Sozialschutz gibt;

steigende Energiekosten, und

das Fehlen positiver Lösungsansätze.

Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, spezifische Initiativen ins Leben zu rufen, um die Wiederansiedlung von Unternehmen in besonders benachteiligten Gebieten zu fördern.

4.6

Die Tendenz zum Reshoring in den Vereinigten Staaten

4.6.1

US-amerikanische Unternehmen holen die Produktionstätigkeiten zunehmend wieder in ihr Heimatland zurück. Dieser Wandel hat damit zu tun, dass China nach Jahren schneller Lohnsteigerungen sowie aufgrund weiterer Faktoren als Zentrum der Niedriglohnproduktion Wettbewerbsvorteile eingebüßt hat. Einer der Faktoren, die die Rückverlagerung von Unternehmen in die USA gefördert haben, war die Senkung der dortigen Energiepreise.

4.6.2

In China angesiedelte Gründe für diesen jüngsten Trend sind steigende Kosten für Arbeit und Energie, die Auswirkungen auf die Innovation, der Diebstahl geistigen Eigentums sowie der stärkere Einsatz von Analysetechniken zur Erfassung der Gesamtkosten unter Einrechnung sämtlicher Kosten und Risiken. Durch Ermittlung der Gesamtbetriebskosten gelingt es den Wirtschaftssachverständigen nunmehr, die tatsächlichen Kosten für das verlagerte Geschäft zu ermitteln.

4.6.3

Die Industriebranchen, um die es im Zusammenhang mit den Rückverlagerungen geht, sind Werkzeugmacher und Zulieferer der Automobilindustrie, Rohmetallgewinnung, Maschinenbau, Metallwaren, Automatisierungstechnik, medizinischer und wissenschaftlicher Instrumentebau, Gesundheit, Computer und Elektronik, Chemieprodukte, Plastik, Verpackungen usw.

4.6.4

Die Rückverlagerung spielt für alle Fertigungsunternehmen bei ihren Entscheidungen eine Rolle. Bei einer umfassenden Analyse der Kosten gelangen viele Unternehmen zu dem Schluss, dass steigende Arbeitskosten und „verborgenen Kosten“ der Auslagerungen den Wettbewerbsvorteil letztlich oft aufgezehrt haben.

4.6.5

Es gibt eine Initiative der US-Regierung und verschiedener amerikanischer Verbände, die ein „Made in America, Again“ als neue Marke einführen wollen, um die Kunden für amerikanische Produkte und Geräte zu gewinnen. Unter dem Motto „Reshore now“ setzt sich eine weitere nationale Initiative für die Rückkehr der Unternehmen nach Amerika ein (21).

4.6.6

Zurückverlagerte Unternehmen können für gewöhnlich ihre Lagerhaltung um 50 % senken, und es gibt sogar Beispiele für eine Verringerung um das Drei- bis Sechsfache. Die Gründe für die kleineren Lager sind: bessere Zahlungsbedingungen, kleinere Lagerbestände, kürzere und sicherere Lieferfristen.

4.6.7

In der Umfrage des MIT wurden die Unternehmen auch nach Maßnahmen der Regierung gefragt, die den Ausschlag geben könnten. Die US-amerikanischen Unternehmen nennen als die wichtigsten fünf Maßnahmen, die die Regierung der Vereinigten Staaten zur Stimulierung des Reshoring von Unternehmen ergreifen könnte, in der Reihenfolge ihrer Bedeutung:

1.

Steuersenkungen (68,3 %);

2.

Steuererleichterungen (65,9 %);

3.

FuE-Anreize (60,0 %);

4.

bessere Schulungs-/Bildungsmaßnahmen für erforderliche Kompetenzen (43,8 %);

5.

bessere Infrastruktur (38,0 %).

4.6.8

Gemäß der „Boston Consulting Group“ sind die drei wichtigsten Faktoren für eine Rückverlagerungsentscheidung (i) die Arbeitskosten, (ii) die Nähe zu den Kunden und (iii) die Produktqualität. Als weitere Faktoren werden qualifizierte Arbeitskräfte, Transportkosten, Lieferfristen und die unkomplizierte Abwicklung von Geschäften angegeben. Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Vereinigten Staaten im Begriff sind, das Niedriglohnland unter den Industrieländern zu werden, sodass sie als Standort immer attraktiver werden.

4.7

Welche Ergebnisse bezüglich der Rückverlagerung lassen sich aus Studien oder Umfragen in der EU ablesen? Es gibt nur wenige Studien oder Umfragen zur Rückverlagerung nach Europa. Aus einer Studie über die Unternehmensauslagerung deutscher Unternehmen geht hervor, dass ein Sechstel bis ein Viertel dieser Unternehmen innerhalb von vier Jahren zurückgekehrt ist; französische IT-Unternehmen, die Produktionsabläufe ausgelagert haben, beklagen unvorhergesehene Kosten sowie Qualitäts- und Logistikprobleme. Eine Studie von Produktionsunternehmen in Großbritannien, die in den Jahren 2008-2009 ausgelagert haben, ergab, dass 14 % diesen Schritt bereits wieder rückgängig gemacht haben (22). In der Mitteilung der Europäischen Kommission COM(2010) 614 zum Thema Eine integrierte Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung — Vorrang für Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit taucht dieser Gedanke auf, wird aber nicht explizit als Reshoring bezeichnet.

5.   Die Ergebnisse der öffentlichen Anhörungen in Brüssel und Bergamo

5.1

Bei den öffentlichen Anhörungen des EWSA in Brüssel und in Bergamo wurden Erfahrungen mit Unternehmensauslagerungen und -rückführungen erörtert und mögliche Zukunftsszenarien für verschiedene Industriebranchen des verarbeitenden Gewerbes im Rahmen einer Reindustrialisierung Europas durchgespielt.

5.2

Die Weltwirtschaft wird im Wesentlichen durch die Kräfte des Marktes gesteuert, die unternehmerische Entscheidungen über eine Auslagerung und/oder eine Rückverlagerung der Produktion sehr stark beeinflussen.

5.3

Aber wie aus der britischen Studie hervorgeht, ist es bei der Auslagerung nicht immer der Niedriglohnaspekt, der den Erfolg bringt. Die Struktur der Wertschöpfungs- und Lieferketten ist wesentlich für diesen Erfolg mitverantwortlich. Auch wenn die Kosten der Hauptgrund bleiben, rühren diese jedoch nicht ausschließlich von den Arbeitskosten her, sondern auch von den Kosten für Logistik und Management. Die Studie bestätigt die drei Hauptgründe für die Rückkehr von Unternehmen: hinter den Erwartungen zurückbleibende Kosteneinsparungen (50 %), Qualitätsprobleme (43 %) und die Nähe zu den Märkten (36 %). Zu den weiteren Gründen gehören die Kapazität, enge Lieferfristen einzuhalten, erreichbare und verlässliche Lieferanten, und der Schutz des geistigen Eigentums.

5.4

Der Zugang zum Markt und den Kunden ist und bleibt einer der ausschlaggebenden Faktoren für die Entscheidung. In einigen Branchen gibt es geografische Barrieren für die Belieferung auswärtiger Märkte, darunter lokale Erfordernisse, aus denen sich die Notwendigkeit einer Auslagerungsstrategie für die eigene Produktion ergibt, um auf den jeweiligen Absatzmärkten präsent zu sein.

5.5

Der Zugang zu Infrastruktur, Energie und Transport ist von grundlegender Bedeutung für die Unternehmen. Heute gibt es Länder, die in Sachen moderner Infrastruktur und Zugänglichkeit mit den europäischen Ländern konkurrieren können. Künftige Investitionen in diesen Bereich müssen ernsthaft ins Auge gefasst werden.

5.6

Berufsbildung und Bildung an sich spielen eine wichtige Rolle, die nicht unterschätzt werden darf. Die Entwicklungsländer haben stark in die Bildung investiert, sodass junge Menschen dort mit jungen Menschen in Europa konkurrieren können. Letztere wandern aufgrund fehlender Aussichten auf qualifizierte Arbeitsplätze in Europa aus. Der EWSA erarbeitet zurzeit eine Stellungnahme zum Verhältnis zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung und den Unternehmen.

5.7

Der EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund) hat am 7. November 2013 den „Investment plan for good jobs and a sustainable future“ verabschiedet, mit dem das Ziel verfolgt wird, das Wachstum in Europa wiederanzukurbeln, bis zu 11 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen und multinationale Unternehmen zu Werksverlagerungen nach Europa zu bewegen, wo es eine dynamische Nachfrage gibt.

5.8

Die KMU sind von Auslagerungen der Großunternehmen indirekt betroffen, weil sie mit einem Auftragsrückgang für Zulieferprodukte konfrontiert sind. So hat der Automobilsektor z. B. seine Produktion in die Schwellenländer vor allem deshalb ausgelagert, um der wachsenden Nachfrage auf diesen Märkten nachzukommen. Der Automobilsektor geht von Arbeitsplatzverlusten in Höhe von 70  000-80  000 Arbeitsplätzen aus.

5.9

Die metallverarbeitende Industrie geht von einer stark anziehenden Nachfrage aus, die bis 2025 zu zwei Drittel aus den Schwellenländern kommen wird. Aus diesem Grund muss die Branche globale Kontakte knüpfen und ihre Präsenz auf den Märkten sichern. Die europäische Metall- und ingenieurtechnische Industrie lagert zunehmend in Entwicklungsmärkte aus, was nicht nur Kostengründe hat, sondern auch damit zusammenhängt, dass die Nachfrage durch eine Strategie des Vor-Ort-Seins („in country for country“) bedient und die Belieferung der Verarbeitungsbetriebe und Verbraucher vor Ort mit Produkten und Dienstleistungen sichergestellt werden soll.

5.10

Die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung in Bergamo lauten wie folgt (23):

die Unternehmensverlagerung geht durchaus weiter;

Rückverlagerung und Annäherung an den ursprünglichen Standort (back- and nearshoring) sind zwei Möglichkeiten, aber nicht die einzigen;

die aufgrund von Rückverlagerungen entstehenden Arbeitsplätze sind nicht immer identisch mit denen, die zuvor ins Ausland verlagert wurden (unterschiedliche Zahl, unterschiedliches Stellenprofil);

die Unternehmer müssen die Gesamtherstellungskosten (Total cost of sourcing) berücksichtigen, nicht nur die Arbeitskosten (Investitionen in das Betriebskapital, Prüfung defekter Teile);

die Gewerkschaften müssen die Arbeitskosten pro Stück und nicht pro Stunde berechnen (Produkt-/Prozessinnovation, Arbeitsorganisation), und

die politischen Entscheidungsträger müssen alle Faktoren berücksichtigen, die sich auf die Geschäftstätigkeit auswirken.

Brüssel, den 29. April 2014.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2014) 14 final.

(2)  Diese Preise sind nicht um qualitätsbedingte Unterschiede bereinigt, wobei die Stromversorgung in der EU zuverlässiger ist und seltener ausfällt als in den genannten Ländern.

(3)  COM(2014) 14 final.

(4)  ces1857-2011_ac_de.doc

(5)  INT/451 — Forschung und Entwicklung als Triebfeder für Wettbewerbsfähigkeit — ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 1.

(6)  Kommissionsmitglied Antonio Tajani: Neue industrielle Revolution für eine Rückkehr der Industrie nach Europa,10. Oktober 2012.

(7)  Bericht des Forschungsinstituts für angewandte Wirtschaftsanalyse zum Thema Internationalisierung, Nr. 3/2013, S. 57.

(8)  William T. Gavin: The Mechanics Behind Manufacturing Job Losses, in: Economic Synopses, 2013, Nr. 20.

(9)  Lectio Magistralis. London school of Economics. 3. Dezember 2013.

(10)  http://www.labanconota.it/finanza/globalizzazione-delocalizzazione-reindustrializzazione.html

(11)  http://ec.europa.eu/enterprise/initiatives/mission-growth/index_en.htm

(12)  Eine stärkere europäische Industrie bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung Aktualisierung der Mitteilung zur Industriepolitik — COM(2012) 582 final vom 10. Oktober 2012.

(13)  Verabschiedung steht noch aus. CCMI/117 — Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie.

(14)  COM(2013) 407 final.

(15)  Die Industrie als Motor für Reichtum? Die positive Antwort der europäischen Regionen (Scenari industriali — Forschungszentrum der Confindustria, Juni 2011).

(16)  Kapitel 4 — A „manufacturing imperative“ in the EU: the role of industrial policy. Europäischer Wettbewerbsbericht 2013, Towards Knowledge Driven Reindustrialisation.

(17)  http://ec.europa.eu/research/press/2013/pdf/ppp/spire_factsheet.pdf

(18)  Kapitel 5. EU production and trade based on key enabling technologies. Europäischer Wettbewerbsbericht 2013, Towards Knowledge Driven Reindustrialisation.

(19)  Berichterstatter: Reinhard Bütikofer PR\936863IT.doc PE510.843v01-00 2013/2006(INI).

(20)  Uni-Club MoRe Back-reshoring Research Group.

(21)  http://www.reshorenow.org

(22)  Leibl, P., Morefield, R. and Pfeiffer, R. (2011), „A study of the effects of backshoring in the EU“, Proceedings of the 13th International Conference of American Society of Business and Behavioural Sciences http://asbbs.org/files/2010/ASBBS_%20Proceedings_13th_Intl_Meeting.pdf

(23)  Uni-Club MoRe Back-reshoring Research Group.