6.3.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 67/110


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates für wirksame Maßnahmen zur Integration der Roma in den Mitgliedstaaten

COM(2013) 460 final — 2013/0229 (NLE)

2014/C 67/22

Berichterstatter: Ákos TOPOLÁNSZKY

Die Europäische Kommission beschloss am 26. Juni 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 19 Absatz 1 und 22 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Empfehlung des Rates für wirksame Maßnahmen zur Integration der Roma in den Mitgliedstaaten

COM(2013) 460 final — 2013/0229 (NLE).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 3. Oktober 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 493. Plenartagung am 16./17. Oktober 2013 (Sitzung vom 17. Oktober) mit 135 gegen 4 Stimmen bei 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Empfehlung des Rates und erkennt mit Bedauern die Notwendigkeit des darin enthaltenen Vorschlagspakets an, das auch als eine Art Mindestprogramm für die Umsetzung aufgefasst werden kann.

1.2

Der EWSA stellt mit Bedauern fest, dass – wie auch in der Begründung der Empfehlung festgestellt wird – bei der Verwirklichung der Ziele der Rahmenstrategie auf europäischer Ebene im Hinblick auf die Umsetzung und das politische Engagement auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene ständig ernste Schwierigkeiten auftreten.

1.3

Der EWSA weist auf die Mängel hin, die in den von den Organisationen der Zivilgesellschaft erstellten Dokumenten zur Bewertung der Rahmenstrategie und der nationalen strategischen Programme hervorgehoben werden. Sie müssen auf der Grundlage der von den Betroffenen gemachten Angaben unbedingt ernst genommen und behoben werden, indem innerhalb einer begrenzten Frist wirksame und umfassende politische Lösungen formuliert und umgesetzt werden.

1.4

Der EWSA hält den Teil des Vorschlags über horizontale politische Maßnahmen für oberflächlich und fordert den Rat auf, ihn stärker auszuformulieren, in den vier darin festgelegten Bereichen viel konkretere Anforderungen festzulegen und zugleich ihre Umsetzung zu fördern, indem die erwarteten bewährten Verfahren dargelegt werden.

1.5

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Rat angesichts der in der Begründung des Vorschlags für eine Empfehlung (1) gezogenen Schlüsse und der Verschlechterung der sozioökonomischen Lage aufgrund der Krise, insbesondere auch zur Linderung lebensbedrohender Situationen von Not und extremer Armut und zur Minderung der extremsten Erscheinungen von Diskriminierung, Rassismus und romafeindlichem Verhalten (Antiziganismus), seine Befugnis zur Verabschiedung verbindlicher Rechtsakte nutzen sollte.

1.6

Der EWSA empfiehlt – vor allem im Falle extrem ungünstiger Lebenssituationen – die Festlegung eines präzisen Rahmens für die Durchsetzung der Menschenrechte und die längst überfällige Ausarbeitung der Indikatoren und Benchmarks zur Bewertung derartiger Situationen.

1.7

Der EWSA regt an, neben der Gewährleistung der Finanzierung und einer transparenten Mittelverwendung von Gruppen unabhängiger und mit den nötigen rechtlichen Mitteln und forschungsethischen Instrumenten ausgestatteter Forscher eine Bewertung der Umsetzung der Strategien vornehmen zu lassen.

1.8

Es muss dafür gesorgt werden, dass mittels rechtlicher und anderer Garantieinstrumente die Tätigkeit sowohl der für die Gleichbehandlung zuständigen Behörden, denen bei der Umsetzung der Antidiskriminierungspolitik eine Schlüsselrolle zukommt, als auch der für die Umsetzung der Strategie wesentlichen internationalen Anlaufstellen gestärkt sowie die Zusammenarbeit mit den betroffenen Bevölkerungsgruppen ausgebaut wird.

1.9

Um die Umsetzung der Strategien wirksamer zu gestalten und dem Vertrauensverlust unter den Betroffenen entgegenzuwirken, ist es grundlegend, für eine tatsächliche umfassende Beteiligung der Roma an sämtlichen Maßnahmenbereichen und ihre Einbeziehung in diese zu sorgen. Der EWSA empfiehlt und erwartet eine Ausweitung des konzeptuellen Rahmens der Zusammenarbeit und eine über die bloße Konsultation hinausgehende Konsenskultur und unterbreitet dementsprechende Vorschläge.

1.10

Der EWSA betont, dass die politischen Entscheidungsträger sich von den Besorgnis erregenden rassistischen, von Gewalt geprägten und schwer diskriminierenden Äußerungen über die Roma eindeutig distanzieren müssen und es wichtig ist, rassistische Gewalttätigkeit und Hassreden offen und konsequent aufzudecken und zu überwachen sowie Rechts-, Verwaltungs-, Propagierungs- und Regulierungsinstrumente auszuarbeiten, mit denen diese Phänomene wirksam bekämpft werden können.

2.   Hintergrund

2.1

Am 5. April 2011 nahm die Kommission einen EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 (2) an, mit dem die längst überfällige Möglichkeit geschaffen wird, die auch die Roma betreffende extreme Armut und Segregation mit einem einheitlichen Vorgehen zu bekämpfen. Im Juni 2011 wurde dieses Dokument vom Europäischen Rat gebilligt (3), der die Mitgliedstaaten aufforderte, noch vor Ende 2011 nationale Roma-Integrationsstrategien zu verabschieden.

2.2

Gemäß den Bestimmungen dieses Rahmens erstattet die Europäische Kommission jährlich über den Stand der Umsetzung Bericht. 2012 bewertete sie erstmals die von den Mitgliedstaaten vorgelegten nationalen Strategien (4) und verabschiedete horizontale Schlussfolgerungen. In einem Begleitdokument analysierte sie die Stärken und Schwächen der Strategien der einzelnen Mitgliedstaaten (5).

2.3

Die Roma-Vereinigungen haben die Erarbeitung dieser Strategien sehr aufmerksam mitverfolgt, in zahlreichen Dokumenten ihre Standpunkte bzw. Vorbehalte geäußert und die Strategien auch selbst einer Bewertung unterzogen (6).

2.4

All diese Analysen haben bedeutende Mängel bei den einzelstaatlichen Strategien aufgedeckt. Nach Ansicht der Organisationen der Zivilgesellschaft stellen die horizontalen Inhalte und deren Mängel ein großes Problem dar. Beispiele für diese Mängel sind:

a)

unzureichende Maßnahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung;

b)

der Mangel an einen "uneingeschränkten Zugang" fördernden Maßnahmen;

c)

der Mangel an Maßnahmen zur Anerkennung und Stärkung der Menschenwürde der Roma und der Roma-Gemeinschaft;

d)

der Mangel an Maßnahmen zur Verringerung der Ungleichheiten und besonders schweren Benachteiligungen innerhalb der Roma-Gesellschaft (beispielweise der Mangel an Maßnahmen zur Verringerung der die Roma-Frauen und -Kinder betreffenden besonderen Benachteiligungen);

e)

der Mangel an Maßnahmen zur Mobilisierung und Dynamisierung der Roma, ihrer Gemeinschaften und ihrer Organisationen der Zivilgesellschaft für die Umsetzung der Strategie.

2.5

In den oben genannten Bewertungsdokumenten der Europäischen Kommission wird nicht auf die grundlegenden Mängel der Strategien der Mitgliedstaaten verwiesen. Die zahlreichen sozialen und gesellschaftlichen Benachteiligungen schwerwiegendster Art, die teilweise Menschenrechtsverletzungen darstellen, werden darin weder verboten noch wird dazu aufgerufen, diese einzudämmen oder ihnen ein Ende zu setzen. So werden beispielsweise folgende Menschenrechtsverletzungen nicht stark genug hervorgehoben:

a)

der als Begleiterscheinung der Prostitution auftretende illegale Menschenhandel und das Problem der "Sklavenarbeit";

b)

das grundlegende Recht der Roma-Frauen, über ihren Körper zu verfügen und auf freien Zugang zu Familienplanung sowie die zuweilen auftretenden Fälle von zwangsweise, ohne Einwilligung der Betroffenen durchgeführten Sterilisierungen;

c)

extreme Formen von Not und tiefster Armut, die den Menschenrechten entgegenstehen und die Nichtbefriedigung lebenswichtiger Bedürfnisse (z.B. fehlender Zugang zu gesundheitlich unbedenklichem Trinkwasser oder zu Hygieneinfrastrukturen für diejenigen, die am Ortsrand oder in Kolonien leben usw.);

d)

schließlich unzureichende Rassismusbekämpfungsziele und -maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit des Lebens und der Güter der Roma und der Roma-Gemeinschaften sowie der Wahrung ihrer Rechte sowie zur Stärkung des Schutzes vor rassistischen Übergriffen.

2.6

Der EWSA hat der Rahmenstrategie und den nationalen Strategien zur Integration der Roma zwei Stellungnahmen gewidmet. In der vorherigen Stellungnahme (7), in der es um die Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung und die Integration der Roma geht, wird die Rahmenstrategie begrüßt, wird hinsichtlich der späteren Planung und Umsetzung auf die Notwendigkeit eines dreifachen Ansatzes (eine in Bezug auf Rasse und Ethnie neutrale Integrationspolitik, eine Politik zur Stärkung der Handlungskompetenz derjenigen, die sich selbst als Mitglied einer Roma-Gemeinschaft betrachten, und zur Würdigung der von ihnen erreichten sozialen Eingliederung sowie allgemeine Maßnahmen und Öffentlichkeitsarbeit zur Bekämpfung von Rassismus) hingewiesen und werden weitere Vorschläge unterbreitet.

2.7

In der ergänzenden Stellungnahme (8) macht der EWSA im Zusammenhang mit einer im Jahr 2012 durchgeführten Studie auf das schwindende Vertrauen der Meinungsbildner der Roma-Gemeinschaft aufmerksam, woraufhin er Vorschläge unterbreitet, die insbesondere die Integration der Roma und die Förderung ihrer Einbeziehung betreffen.

3.   Allgemeine Erwägungen

3.1

Angesichts der Situation der Rom, der Auswirkungen der Krise und der so unterschiedlichen Verpflichtungen der einzelnen Mitgliedstaaten erkennt der EWSA – mit Bedauern – die Notwendigkeit der Ratsempfehlung an, deren Ziele er befürwortet; zugleich hält er das darin enthaltene Vorschlagspaket, das auch als eine Art Mindestprogramm für die Umsetzung aufgefasst werden kann, in einigen Fällen für zu oberflächlich und zu wenig operationell, um die im Dokument vorgesehenen Ziele erreichen zu können.

3.2

Der Begründung des Kommissionsvorschlags zufolge soll diese "die Fortschritte beschleunigen, indem das Augenmerk der Mitgliedstaaten auf eine Reihe konkreter Maßnahmen gelenkt wird, die für eine wirksamere Umsetzung ihrer Strategien entscheidend sind". Der EWSA stellt mit Bedauern fest, dass diese Zielsetzung zugleich auch bedeutet, dass bei der Verwirklichung der Ziele der Rahmenstrategie auf europäischer Ebene im Hinblick auf die Umsetzung und das politische Engagement auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene ständig ernste Schwierigkeiten auftreten.

3.3

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass unter Einbeziehung der betroffenen relevanten Organisationen der Roma und der Zivilgesellschaft eine Liste mit Empfehlungen angenommen werden sollte, um nicht den günstigen politischen Moment für die Integration der Roma erneut ungenutzt verstreichen zu lassen, was sowohl die Ziele der Union als auch die Entwicklung der Lebensbedingungen der Betroffenen ernsthaft gefährden würde. Diese Liste sollte im Rahmen einer breit angelegten Konsultation erstellt werden, auf einem wirklich ehrgeizigen und tatsächlich überprüfbaren faktengestützten Bewertungssystem fußen, sich aus ausreichend konkreten und operationellen Elementen zusammensetzen und der Rechenschaftslegung unterzogen werden können.

3.4

Der EWSA hält die im Vorschlag ausgesprochenen politischen Empfehlungen, die seines Erachtens als begrenzte und unbedingt umzusetzende Maßnahmenliste weitgehend zu unterstützen ist, für nützlich. Zugleich stellt er auch fest, dass mit diesen Empfehlungen, von denen manche von zu wenig Ehrgeiz zeugen, ein viel zu eng gefasster Handlungsrahmen gesteckt wird; daher rät er dringend, die Empfehlungsliste weiter auszubauen und durch Kontroll- und Überwachungsinstrumente zu ergänzen.

3.5

Der EWSA hält den Teil des Vorschlags über horizontale politische Maßnahmen für oberflächlich und fordert den Rat auf, ihn stärker auszuformulieren und in den vier darin abgesteckten Bereichen (Antidiskriminierung, Schutz der Roma-Frauen und -Kinder, Verringerung der Armut und soziale Inklusion sowie Stärkung der Gestaltungs- und Entscheidungsmacht der Roma) viel konkretere Anforderungen festzulegen und zugleich in diesem Zusammenhang Hinweise zu den erwarteten vorbildlichen Verfahrensweisen zu geben.

3.6

Der EWSA hält die Argumentation des Dokuments nicht für zufrieden stellend, der zufolge "ein unverbindliches Rechtsinstrument gewählt [wurde], um den Mitgliedstaaten praktische Leitlinien in Bezug auf die Problematik der sozialen Inklusion der Roma an die Hand zu geben, ohne strikte verbindliche Regeln festzulegen", weil "[n]ach den Erkenntnissen der Kommission […] noch immer keine durchgreifenden, angemessenen Maßnahmen ergriffen [wurden], um die sozialen und wirtschaftlichen Probleme eines Großteils der Roma-Bevölkerung in der EU zu lösen." Ohne ein angemessenes und gezieltes Management der jetzigen Krise werden die Roma-Gruppen, die auch besonders von Segregation, Diskriminierung und extremer Armut betroffen sind, unverhältnismäßig stark unter ihren Folgen zu leiden haben, obwohl sie doch bereits jetzt eine unerträgliche und unzumutbare Belastung für sie bedeutet. Daher sind nach Erachten des EWSA auch unter dem Gesichtspunkt der sofortigen und rechtlichen Durchsetzbarkeit wirksame Lösungen und Maßnahmen seitens der Entscheidungsträger erforderlich.

3.7

Deshalb ist der EWSA der Ansicht, dass der Rat angesichts der in der Begründung seiner Empfehlung gezogenen Schlüsse (9), insbesondere auch zur Linderung lebensbedrohender Situationen von Not und extremer Armut und zur Minderung der extremsten Erscheinungen von Diskriminierung, Rassismus und romafeindlichem Verhalten (Antiziganismus), seine Befugnis zur Verabschiedung verbindlicher Rechtsakte nutzen sollte. Deren Notwendigkeit ergibt sich gerade aus den offensichtlichen Mängeln in Rechtsetzung und Rechtsprechung der Mitgliedstaaten (10).

4.   Spezifische Vorschläge

4.1

Der EWSA schlägt den zuständigen Stellen der Europäischen Union vor, ihre unmittelbar mit der Durchsetzung der Grundrechte der Roma und der Minderheitenrechte verbundenen und nicht unter die Methode der offenen Koordinierung fallenden Aufgaben erneut zu bewerten, insbesondere in Bezug auf die vorgenannten Fragen. In diesem Zusammenhang hält es der EWSA für erforderlich:

a)

dass die Union exakt und genau festlegt, auf welche Kriterien sie sich im Rahmen ihrer Befugnisse stützt, um eine Verletzung der von der UNO definierten Menschenrechte der zweiten und dritten Generation festzustellen, und zugleich klarstellt, in welchen Fällen sie bei einer vermuteten Rechtsverletzung innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs ein Rechtsverfahren einleitet;

b)

dass sie diese Minderheiten- und Menschenrechte je nach den Lebenssituationen und sozialen Benachteiligungen, die die Roma überdurchschnittlich stark zu berühren drohen, auslegt und anpasst;

c)

dass sie unter Einbeziehung von Eurostat und mittels Auswertung der EU-Statistiken über Einkommen und Lebensbedingungen (SILC) Einkommens- und Deprivationsindikatoren festlegt, die nicht nur die Schwellenwerte für extreme Armut und Not, sondern auch das Vorhandensein menschenunwürdiger und die Menschenrechte verletzender Bedingungen aufzeigen;

d)

die bislang nur in Ausnahmefällen auf diesen Bereich angewandten Techniken auszuweiten und beispielsweise neben der Analyse der Situation der "armen" Bevölkerung mit einem Einkommen, das 50 und 60 % unter dem medianen Einkommen liegt, auch die Situation der Bevölkerung mit einem Einkommensniveau von 30 % (25 %) zu analysieren oder über die gegenwärtig angewandten "aggregierten" Diskriminierungsindikatoren hinaus die "Messungen der marginalen Diskriminierung" zu verwenden, die dank besonders sensibler Indikatoren (wie Wohnkomfort oder überfüllter Wohnraum) einen besonders schwerwiegenden Rückstand in Form extremer Deprivation aufzeigen.

4.2

Der EWSA schlägt vor, infolge der Überprüfung der Strategien der Pflege der die Grundlage der Identität der Roma bildenden sprachlichen und kulturellen Traditionen und ihrer sozialen und finanziellen Unterstützung Vorrang einzuräumen.

4.3

Nach Ansicht des EWSA ist es für die Verwirklichung der nationalen Strategien zur Integration der Roma unerlässlich, dass die Mitgliedstaaten der Kontrolle der Gesetzgebung und der Rechtsprechung in den angrenzenden Politikbereichen sowie den im Hinblick auf ihre eventuellen Auswirkungen auf die Bekämpfung der Segregation vorzunehmenden Korrekturen besondere Aufmerksamkeit widmen und hierfür wirksame Mechanismen einrichten.

4.4

Zur Förderung der Integration und der materiellen Unabhängigkeit der Roma erwartet der EWSA insbesondere von den Mitgliedstaaten, dass sie eine den Bedürfnissen entsprechende Lösung finden und gezielte Programme zur Förderung von Beschäftigung und Unternehmertum sowie Berufsbildungsprogramme durchführen. Er fordert sie nachdrücklich auf, die Rechtsinstrumente zu stärken, mit denen Unternehmen wirksam dazu motiviert werden können, Roma einzustellen. Für die isoliert lebenden Roma-Gemeinschaften, in denen die Beschäftigungsrate seit langem extrem niedrig und die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt sehr hoch ist, müssen innovative Formen der Beschäftigungspolitik geschaffen werden, z.B. eine ausreichende Menge adäquater temporärer Arbeitsplätze, die durch die öffentliche Hand finanziert werden.

Überwachung und Bewertung

4.5

Der EWSA bedauert, dass die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und die Mitgliedstaaten bislang weder die Basisindikatoren und Benchmarks definieren konnten, die die Grundvoraussetzung für die Bewertung der Strategien und Maßnahmenprogramme bilden, noch die Methodik oder die Anforderungen, die die Grundlage für eine angemessene und unabhängige Datenerhebung und Bestandsaufnahme sind (11). Die aktuellen Überwachungs- und Bewertungspraktiken der Mitgliedstaaten beschränken sich häufig auf ohne wirkliche Bewertungsmethode, eventuell auf der Grundlage von Daten erstellte Berichte und nicht selten führen sie zu nicht fundierten Ergebnissen.

4.6

Der EWSA schlägt vor, die Bewertungsaufgaben im Wege offener Ausschreibungen ausgewählten professionellen und politisch neutralen Forschergruppen und Instituten zu übertragen, deren Unabhängigkeit auch mit Hilfe verschiedener Rechtsinstrumente (z.B. Einführung einer Erklärung über die Vereinbarkeit der Interessen, Regeln über finanzielle Transparenz und eine transparente Mittelverwendung, Kontrolle der wissenschaftlichen Gemeinschaft, Überwachung der Forschungsmethodik usw.) gestärkt werden muss (12).

Politische Empfehlungen

4.7

Über die planbare, transparente und angemessene Finanzierung der für die Gleichbehandlung zuständigen Behörden hinaus muss die rechtliche Situation dieser Institutionen außerdem so gestärkt werden, dass die politischen Machthaber so wenig wie möglich in der Lage sind, auf ihre Arbeitsweise Einfluss zu nehmen, aber dennoch für die Gewährleistung der erforderlichen Bedingungen sorgen. Darüber hinaus müssen die für die Gleichbehandlung zuständigen Behörden über die Anlaufstellen für die Roma hinaus ständige und enge Kontakte zu den einschlägigen die Roma vertretenden Gruppierungen unterhalten.

4.8

Die nationalen Anlaufstellen für die Roma müssen ihre Aufgabe in der Theorie und in der Praxis in voller Transparenz erfüllen. Ihre Tätigkeit ist von entscheidender Bedeutung für die Umsetzung der Rahmenstrategie. Die Rechte der Anlaufstellen wie diejenigen der mit der Planung und Umsetzung der sozialpolitischen Maßnahmen für die Roma beauftragten Regierungsstellen müssen rechtlich garantiert werden, damit sie wie eine Art "Wachhund" der Regierung ihre Meinung zu den Rechtsetzungsverfahren im Zusammenhang mit der auch die Roma betreffenden politischen Maßnahmen der Regierung abgeben können und diese beeinflussen können, damit sich ihre Wirkung nicht gegenseitig abschwächt. Die Anlaufstellen für die Roma haben die Pflicht, die Vereinigungen zur Vertretung der Roma-Zivilgesellschaft zu informieren, was beispielsweise durch die Veröffentlichung von Jahresberichten der unabhängigen mit der Bewertung beauftragten Sachverständigen, deren Inhalt frei von jeglichem politischem Einfluss ist, oder durch die Organisation von Fachkonferenzen geschehen kann.

4.9

Der EWSA hält das in Ziffer 5.1 des Empfehlungsvorschlags genannte Ziel für wenig klar, laut dem die "Mitgliedstaaten […] die Maßnahmen ergreifen [sollten], die für die Anwendung dieser Empfehlung bis spätestens 24 Monate nach der Veröffentlichung erforderlich sind, und der Kommission bis zu diesem Zeitpunkt alle gemäß dieser Empfehlung ergriffenen Maßnahmen mitteilen"; dafür müsste vermieden werden, dass die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur Umsetzung der EU-Rahmenstrategie und ihrer eigenen Verpflichtungen befreit werden können. Der aktuelle Vorschlag ist nämlich inhaltsmäßig nur ein Teil des weiter gefassten Anforderungssystems, das in der EU-Rahmenstrategie in einem umfassenden Rahmen definiert wird und von der Kommission jährlich zu bewerten ist.

Integration und Einbeziehung der Roma

4.10

Zahlreiche Experten und Organisationen der Roma-Zivilgesellschaft sind – teilweise mit der einschlägigen Bewertung durch die Europäische Kommission übereinstimmend – der Meinung, dass sich die Frage der Integration der Roma mit den aktuellen Politiken und Fördermechanismen der Mitgliedstaaten, bei denen nicht immer ein auf die Menschenrechte gestützter Ansatz als Ausgangs- und Anhaltspunkt dient, in bestimmten Fällen nicht ausreichend wirksam behandeln lässt (13). Unterdessen ist leider in mehreren Ländern eine Verstärkung der Ausgrenzung der Roma zu beobachten. Hauptursache hierfür sind die Auswirkungen der ständigen Diskriminierung der Roma, der tief verwurzelte Antiziganismus, dem die für die Durchsetzung des Rechts zuständigen Stellen keine gebührende Aufmerksamkeit schenken. Wie es in der Begründung des Empfehlungsvorschlags heißt, "[besteht] das eigentliche Problem […] darin, dass Diskriminierung und soziale Ausgrenzung, die Roma erleben, eng miteinander verknüpft sind" (14).

4.11

Nach Ansicht des EWSA muss das Hauptziel jeglicher Inklusionspolitik die Beseitigung der wechselseitigen negativen Wirkungsmechanismen sein. In diesem Zusammenhang sind die wichtigsten Instrumente insbesondere die Integration der Roma und die Förderung ihrer Beteiligung sowie die stärkere Selbstbestimmung der Roma-Organisationen und die Entwicklung ihrer Kapazitäten. Dies ist nur im Rahmen einer offenen Kultur der Akzeptanz möglich, bei der sich die Roma-Politik auf diejenigen stützt, die auch tatsächlich betroffen sind, bei der die Roma nicht nur als Begünstigte, sondern auch als gleichwertige Akteure angesehen werden, deren Beteiligung unabdingbar ist. Der frühere paternalistische Ansatz, bei dem die Prozesse von den die gesellschaftliche Mehrheit vertretenden Meinungsbildnern und Entscheidungsträgern definiert wurden, muss geändert und die Roma müssen als verantwortliche Mitglieder anerkannt und akzeptiert werden, die in der Lage und bereit sind, aktiv über ihr Schicksal zu bestimmen.

4.12

Der EWSA verweist auf eine frühere Stellungnahme (15), in der er anhand einer Studie eine große Unzufriedenheit sowie eine gewisse Frustration und Unsicherheit unter vielen Sprechern der Gemeinschaft der Roma und Organisationen der Zivilgesellschaft und ihren Vertretern feststellte. In dieser Stellungnahme des EWSA heißt es, "dass die einschlägigen Organisationen trotz der erklärten Absichten nicht ausreichend in die Konzipierung der Strategien einbezogen, die einschlägigen Beteiligungsmechanismen nicht geschaffen wurden bzw. es nicht gelungen ist, mit den heutigen Prozessen aufgrund der oftmals jahrhundertelangen Erfahrungen der Vertreter der Betroffenen mit Diskriminierung und Segregation in entscheidendem Maße Vertrauen zu schaffen." In einer zur gleichen Zeit durchgeführten Studie kommt die ERPC zu einem ähnlichen Schluss (16).

4.13

Hinsichtlich des veränderten gesellschaftlichen und entscheidungspolitischen Ansatzes betont der EWSA, dass dieser Prozess ohne die Beteiligung der Roma und der mit ihnen zusammenarbeitenden Organisationen der Zivilgesellschaft an der Konzipierung, Umsetzung und Bewertung der Politiken auf allen Ebenen undenkbar ist. Der EWSA hält es für erforderlich, Indikatoren festzulegen, mit deren Hilfe sich auf angemessene Weise messen lässt, wie stark die Roma integriert und beteiligt werden (z.B. Anstellung in der lokalen oder zentralen Verwaltung, Daten über die Beschulung, Prozentsatz der Beteiligung an der Programmumsetzung usw.).

4.14

Der EWSA empfiehlt und erwartet eine Ausweitung des konzeptuellen Rahmens der Zusammenarbeit, eine über die bloße Konsultation hinausgehende Konsenskultur, die Einrichtung von Plattformen für den ständigen Dialog (auch auf lokaler Ebene), die Schaffung geeigneter Organisationsmechanismen für die Beteiligung, eine größere Transparenz der (lokalen) Regierungsentscheidungen und eine Rechtfertigung der Entscheidungen (einschließlich der Meinungsunterschiede und Abstimmungsergebnisse).

4.15

Der EWSA schlägt wie bereits gesagt vor, einen Hilfsfonds (z.B. als Teil des Programms "Europa für Bürgerinnen und Bürger") zu garantieren, der der Integration und stärkeren Selbstbestimmung der Roma und der Entwicklung der Kapazitäten der Organisationen der Zivilgesellschaft der Roma dient. Das operationelle Programm des ESF bzw. die Garantie der technische Hilfe vorsehenden Förderprogramme wäre ebenso wichtig für die Entwicklung der institutionellen Kapazitäten der Roma-Organisationen.

4.16

Die politischen Entscheidungsträger müssen sich von den Besorgnis erregenden rassistischen, von Gewalt geprägten und schwer diskriminierenden Äußerungen über die Roma eindeutig distanzieren und es ist wichtig, rassistische Gewalttätigkeit und Hassreden offen und konsequent aufzudecken und zu überwachen sowie Rechts-, Verwaltungs-, Propagierungs- und Regulierungsinstrumente auszuarbeiten, mit denen diese Phänomene wirksam bekämpft werden können. Die Meinungsbildner und insbesondere die politische und die Medienelite tragen hier eine besondere Verantwortung. Der EWSA schlägt vor, auf einheitliche Weise systematische Nachforschungen über Vorurteile durchzuführen und Rechtsinstrumente zu schaffen, die für den Fall, dass die Ergebnisse eine negative Tendenz aufzeigen, dazu anspornen, bei den einschlägigen öffentlichen Politiken und/oder ihrer Umsetzung Veränderungen vorzunehmen bzw. größere Anstrengungen zu unternehmen.

4.17

Der EWSA weist die Mitgliedstaaten nachdrücklich darauf hin, dass es bei einer seit Generationen bestehenden und alle Lebensbereiche der Betroffenen belastenden Segregation und Diskriminierung nicht ausreicht, auf etwaige oder nur vereinzelte Problembereiche konzentrierte Programme in Form von Projekten durchzuführen, sondern ganz im Gegenteil ein systematischer Ansatz bei der Verwirklichung der Strategieziele erforderlich ist.

Brüssel, den 17. Oktober 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  "…die Mitgliedstaaten zwar rechtlich imstande gewesen wären, tätig zu werden, um die Frage der Roma-Integration anzugehen, die bislang geplanten Maßnahmen aber unzureichend sind. Mangels eines abgestimmten Vorgehens bei der Roma-Integration driften die Mitgliedstaaten immer mehr auseinander."

(2)  COM(2011) 173 final.

(3)  Schlussfolgerungen des Rates zum "EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020".

(4)  COM(2012) 226 final.

(5)  SWD(2012) 133 final.

(6)  Analysis of National Roma Integration Strategies (Analyse der nationalen Strategien zur Integration der Roma), ERPC, März 2012.

(7)  ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 16.

(8)  ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 21.

(9)  "…die Mitgliedstaaten zwar rechtlich imstande gewesen wären, tätig zu werden, um die Frage der Roma-Integration anzugehen, die bislang geplanten Maßnahmen aber unzureichend sind. Mangels eines abgestimmten Vorgehens bei der Roma-Integration driften die Mitgliedstaaten immer mehr auseinander."

(10)  "Die Ziele der vorgeschlagenen Maßnahme können auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden und lassen sich daher besser durch ein EU-weit abgestimmtes Vorgehen als durch einzelstaatliche Initiativen mit variablem Anwendungsbereich, Anspruch und Wirkungsgrad erreichen." 2013/0229 (NLE), Begründung.

(11)  Ziffer 4.4 des Empfehlungsvorschlags.

(12)  Der mit der Bewertung beauftragte Sachverständige muss eine Erklärung über die Vereinbarkeit der Interessen abgeben, aus der hervorgeht, dass er weder für eine Regierung tätig ist, noch öffentliche Gelder verwendet, was die Unabhängigkeit der Bewertungsergebnisse gefährden könnte.

(13)  COM(2012) 226 final, SWD(2012) 133 final, Analysis of National Roma Integration Strategies (Analyse der nationalen Strategien zur Integration der Roma), ERPC, März 2012.

(14)  Die European Roma Policy Coalition (ERPC) empfiehlt, die nationalen Strategien zur Integration der Roma auf ein Kernelement zur Beseitigung des Antiziganismus zu stützen. Eine Schließung der im Hinblick auf Einkommen, Gesundheit und Bildung bestehenden Lücken ist zwar wichtig, doch ist kein Fortschritt möglich, wenn die Beseitigung des Antiziganismus nicht eine Priorität der nationalen Strategien zur Integration der Roma wird. Abschlussanalyse der ERPC.

(15)  ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 21.

(16)  "[…] eine große Mehrheit der Teilnehmer in den verschiedenen Mitgliedstaaten [beschreibt] den Prozess der Konzipierung der NRIS als nicht transparent genug. In den meisten Fällen ist die Beteiligung der Akteure, insbesondere die Einbeziehung der Roma, im Hinblick auf die Umsetzung der NRIS nach wie vor unklar." Analysis of National Roma Integration Strategies (Analyse der nationalen Strategien zur Integration der Roma), ERPC, März 2012.