6.3.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 67/83


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union

(COM(2013) 404 final — 2013/0185 (COD))

und der Mitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union C(2013) 3440

2014/C 67/16

Berichterstatterin: Reine-Claude MADER

Das Europäische Parlament beschloss am 1. Juli 2013 und der Rat am 8. Juli 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union

COM(2013) 404 final — 2013/0185 (COD).

Die Europäische Kommission beschloss am 8. Mai 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

C(2013) 3440.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 2. Oktober 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 493. Plenartagung am 16./17. Oktober 2013 (Sitzung vom 16. Oktober) mit 133 Stimmen gegen 1 Stimme bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Allgemeine Schlussfolgerungen

1.1.1

Das Fehlen geeigneter einzelstaatlicher Vorschriften über Schadensersatzklagen bzw. vielmehr ihre Unterschiedlichkeit führt zu einer Ungleichbehandlung der durch Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht Geschädigten, aber auch der für diese Verstöße Verantwortlichen.

1.1.2

Dadurch erhalten möglicherweise Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil, die gegen Artikel 101 und 102 AEUV verstoßen, aber ihren Gesellschaftssitz nicht in einem Mitgliedstaat mit entsprechenden Rechtsvorschriften haben oder dort tätig sind.

1.1.3

Diese Unterschiede bei den Haftungsregelungen beeinträchtigen den Wettbewerb und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts.

1.1.4

Der Ausschuss begrüßt daher die Vorschläge der Kommission, durch die der Zugang zu den Gerichten erleichtert und den Geschädigten die Möglichkeit gegeben werden soll, Schadensersatz geltend zu machen.

1.1.5

Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass in dem Vorschlag zu stark die Interessen derjenigen Unternehmen vertreten werden, die Kronzeugenprogramme in Anspruch nehmen, und die Interessen der Geschädigten dabei zu kurz kommen. Einige Bestimmungen des Richtlinienvorschlags beeinträchtigen die Ansprüche der Geschädigten, da von der Grundidee ausgegangen wird, dass Unternehmen, die eine Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen, nachhaltig vor Schadensersatzklagen geschützt werden müssen.

1.1.6

Überdies ist es notwendig, den Richtlinienvorschlag und die Empfehlung der Kommission "Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten" (1) aufeinander abzustimmen, denn in beiden Dokumenten ist vorgesehen, dass alle Mitgliedstaaten über nationale Rechtsinstrumente in Form von Sammelklagen - insbesondere zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen - verfügen sollten.

1.2   Empfehlungen zum Richtlinienvorschlag

1.2.1

Der EWSA begrüßt den Richtlinienvorschlag über Schadensersatzklagen im Bereich des Wettbewerbsrechts.

1.2.2

Nach Ansicht des Ausschusses ist der Zugang zu den Beweismitteln ein entscheidender Faktor für die Ausübung der Rechtsmittel. Er befürwortet daher die von der Kommission vorgeschlagenen Bestimmungen, wonach unter gerichtlicher Kontrolle ein angemessener Zugang zu den für die Klage relevanten und erforderlichen Informationen gewährt werden soll.

1.2.3

Überdies unterstützt er, ebenso wie die Kommission, die Kronzeugenprogramme, dank derer zahlreiche Verstöße aufgedeckt werden können. Seiner Ansicht nach dürfen kooperationswillige Unternehmen nicht abgeschreckt werden, wobei allerdings diese Kronzeugenprogramme die Unternehmen nicht über das strikt notwendige Maß hinaus schützen dürfen. Insbesondere dürfen an solchen Programmen teilnehmende Unternehmen nicht von der Zahlung von Schadensersatz an die Geschädigten befreit werden.

1.2.4

Der EWSA begrüßt die Bestimmung, der zufolge eine bestandskräftige Entscheidung einer einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörde oder Beschwerdeinstanz von dem mit der Schadensersatzklage befassten Gericht nicht infrage gestellt werden darf.

1.2.5

Er unterstützt auch die Vorschläge der Kommission bezüglich des Beginns der Verjährungsfrist, die die in der Stellungnahme des Ausschusses zum Weißbuch vorgebrachten Empfehlungen des Ausschusses aufgreifen, sowie die Vorschriften über die Hemmung der Frist im Falle der Eröffnung eines Verfahrens durch eine nationale Wettbewerbsbehörde.

1.2.6

Der EWSA nimmt den Grundsatz der gesamtschuldnerischen Haftung und die Modalitäten bei Inanspruchnahme des Kronzeugenprogramms zur Kenntnis. Er wirft jedoch die Frage nach der praktischen Umsetzung dieser Bestimmungen auf, insbesondere da sich der genaue Grad der Verantwortung der einzelnen Unternehmen nur schwer genau feststellen lässt.

1.2.7

Der Ausschuss hält es für unerlässlich, Situationen, in denen eine ungerechtfertigte Bereicherung möglich ist, zu vermeiden. Der Ausschuss befürwortet folglich die Bestimmungen bezüglich der Schadensabwälzung, die sicherstellen, dass die Entschädigung auch an die Person ausgezahlt wird, die tatsächlich einen Schaden erlitten hat, und die Möglichkeiten der Verbraucher und Kleinunternehmen, Schadensersatz zu erhalten, erheblich verbessern.

1.2.8

Der EWSA teilt die Sichtweise der Kommission, dass Regelungen zur außergerichtlichen Streitbeilegung sinnvoll sein können, sofern die Verfahren die nötige Qualität aufweisen und auf Unabhängigkeit und Freiwilligkeit basieren. Ferner betont der Ausschuss, dass alternative Streitbeilegungsverfahren nur dann eine glaubwürdige Lösung für die Geschädigten sein können, wenn wirksame Rechtsmittel, insbesondere die Möglichkeit von Sammelklagen, bestehen.

1.2.9

Es ist notwendig, den Richtlinienvorschlag und die Empfehlung der Kommission zu Sammelklagen aufeinander abzustimmen, denn in beiden Dokumenten sind für alle Mitgliedstaaten nationale kollektive Rechtsinstrumente in Form von Sammelklagen - insbesondere zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen - vorgesehen.

In dieser Frage bedauert der Ausschuss, dass die Einführung einer Sammelklage im Wettbewerbsrecht, die für die Verbraucher ein wirksames Instrument hätte sein können, abgekoppelt und zu einer Empfehlung abgeschwächt wurde: die Mitgliedstaaten werden lediglich dazu ermuntert, nicht bindende Verfahren des kollektiven Rechtschutzes einzuführen.

1.3   Empfehlungen zur Mitteilung

1.3.1

Der EWSA begrüßt die Mitteilung zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Geschädigten von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht.

1.3.2

Seiner Ansicht nach ist der Anspruch auf Ersatz des gesamten durch wettbewerbswidrige Praktiken entstandenen Schadens ein Grundrecht, wobei die Schadensersatzklage die Rechtsdurchsetzung durch die staatlichen Stellen und nationalen Wettbewerbsbehörden sinnvoll ergänzt.

1.3.3

Schließlich teilt der Ausschuss die Bewertung der Kommission bezüglich der Schwierigkeiten bei der Quantifizierung des Schadens. Er ist der Auffassung, dass die im "Praktischen Leitfaden" enthaltenen Orientierungen eine nützliche Hilfe für die Gerichte und Parteien bieten, wobei die Unabhängigkeit des einzelstaatlichen Gerichts bezüglich des bestehenden nationalen Rechts gewahrt wird.

2.   Vorschläge der Europäischen Kommission

2.1   Der Richtlinienvorschlag

2.1.1

Die Europäische Kommission legte am 11. Juni 2013 nach einem sehr umfangreichen Konsultationsverfahren (2) ihren Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union vor.

2.1.2

Ziel der Kommission ist es, die volle Wirksamkeit der Artikel 101 und 102 AEUV und der nationalen Rechtsvorschriften im Bereich des Wettbewerbsrechts dadurch zu gewährleisten, dass jeder – Verbraucher, Unternehmen oder Behörden – vor Gericht den Ersatz eines (wie auch immer gearteten) Schadens verlangen kann, der ihm durch eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsbestimmungen entstanden ist.

2.1.3

Nach Ansicht der Kommission sollten behördliche und private Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts miteinander kombiniert werden und einander ergänzen, um die Wettbewerbsvorschriften wirksam durchzusetzen.

2.1.4

Sie betont, dass es derzeit zahlreiche Hindernisse gibt und keine Rechtssicherheit herrscht, was vor allem auf die Unterschiede zwischen den Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten zurückzuführen ist; dadurch wird die Wirksamkeit des Rechts und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigt.

2.1.5

Um die zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede beim gerichtlichen Schutz der im Vertrag garantierten Rechte auszugleichen und angesichts der Tatsache, dass es in einigen Ländern keinen wirksamen Rechtsrahmen für den Schadensersatz für die durch Verstöße gegen Art. 101 und 102 Geschädigten gibt, schlägt die Kommission gemeinsame Vorschriften mit dem Ziel vor:

den Zugang zu den Beweismitteln unter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Kronzeugenregelungen und der entsprechenden Transaktionen, deren Bedeutung die Kommission betont, zu verbessern;

zu gewährleisten, dass Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden, bei denen ein Verstoß festgestellt wird, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten automatisch als Beweis für den Rechtsverstoß gelten;

Verjährungsvorschriften zu erlassen, um zu vermeiden, dass die Fristen verstreichen, bevor die Geschädigten Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Ansprüche hatten;

das Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung der Unternehmen einführen, dabei allerdings die Vergünstigungen der Kronzeugenregelung beibehalten, um die positive Wirkung der Kooperation zu erhalten;

Vorschriften über die Berücksichtigung der Schadensabwälzung festzulegen;

die widerlegbare Vermutung einzuführen, dass Kartelle Schäden verursachen;

die Inanspruchnahme der einvernehmlichen Streitbeilegungsverfahren zu fördern, indem die Verjährungsfristen in dieser Phase ausgesetzt werden.

2.2   Die Mitteilung

2.2.1

In der Mitteilung wird festgestellt, dass Artikel 101 und 102 AEUV der öffentlichen Ordnung zuzurechnen sind und Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt verhindern sollen. Sie schaffen auch Rechte und Pflichten für Unternehmen und Verbraucher, die nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützt sind.

2.2.2

Anschließend werden die Schwierigkeiten der Ermittlung des Schadensumfangs bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht dargelegt - eine Aufgabe, die den nationalen Gerichten zufällt. Diese können sich dabei aber auf einen von den Kommissionsdienststellen erarbeiteten praktischen Leitfaden stützen.

2.2.3

Zur Ergänzung des Richtlinienvorschlags hat die Kommission ihrer Mitteilung einen praktischen Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs beigefügt.

2.2.4

Dieser Praktische Leitfaden ist rein informativ und für einzelstaatliche Gerichte oder Parteien nicht rechtsverbindlich. Er soll den nationalen Gerichten und den Parteien Informationen über die bestehenden Schadensermittlungsmethoden und -techniken zur Verfügung stellen.

3.   Allgemeine Bemerkungen zu dem Richtlinienvorschlag

3.1

In seiner Stellungnahme zum Weißbuch über Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts hatte der EWSA die Notwendigkeit von Maßnahmen betont, um die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Geschädigten zu verbessern, damit sie ihren Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens geltend machen können. Er begrüßt daher den Vorschlag, der zur Beseitigung der festgestellten Hindernisse beitragen wird.

3.2

Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Schadensersatzklage mit den Durchsetzungsmaßnahmen der öffentlichen Einrichtungen und nationalen Wettbewerbsbehörden einhergehen. Die Klagemöglichkeit wird sich aufgrund ihrer abschreckenden Wirkung positiv niederschlagen.

3.3

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Erhebung von Schadensersatzklagen ein Grundrecht der Geschädigten - dies können Verbraucher und/oder Unternehmen sein - ist und zur vollständigen Entschädigung des durch wettbewerbswidrige Praktiken entstandenen Schadens führen muss.

3.4

Das Recht, Ersatz für den entstandenen Schaden zu fordern, wurde seit 2001 mehrfach bekräftigt: laut EuGH muss es jedermann gestattet sein, Ersatz für einen solchen, ihm entstandenen Schaden zu verlangen (3). In Artikel 47 der Charta der Grundrechte ist außerdem das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei Verletzung unionsrechtlich gewährleisteter Rechte verankert.

3.5

Der Ausschuss ist ebenso wie die Kommission der Auffassung, dass Kronzeugenprogramme zur Aufdeckung zahlreicher Verstöße beitragen und dass kooperationswillige Unternehmen nicht abgeschreckt werden dürfen. Gleichwohl vertritt er die Ansicht, dass die Kronzeugenprogramme den Unternehmen nicht absoluten Schutz gewähren und das Recht auf Schadensersatz nicht beeinträchtigt dürfen.

3.6

Er hat zur Kenntnis genommen, dass der Richtlinienvorschlag durch eine Empfehlung ergänzt wird. Darin werden Mitgliedstaaten aufgefordert, kollektive Verfahren anzunehmen, um den Bürgern wirksamen Zugang zum Recht zu gewährleisten. Der Ausschuss bedauert, dass im Vorschlag nicht die Einführung einer Sammelklage erwogen wird - dem einzigen Verfahren, das einen umfassend wirksamen Rechtsbehelf sicherstellen kann - und dass der Zugang zu einem kollektiven Rechtsbehelf nur noch als nicht bindende Empfehlung vorgeschlagen wird. Der EWSA fordert die Kommission deshalb auf, Rechtsvorschriften für diesen Bereich zu erlassen.

3.7

Schließlich teilt der Ausschuss die Einschätzung der Kommission bezüglich der Schwierigkeiten bei der Schadensquantifizierung. Er ist der Auffassung, dass die im "Praktischen Leitfaden" enthaltenen Orientierungen eine nützliche Hilfe für die Gerichte und Parteien bieten, wobei eine gewisse Ermessensfreiheit bezüglich der bestehenden einzelstaatlichen Verfahren gewahrt wird.

4.   Besondere Bemerkungen zum Richtlinienvorschlag

4.1   Zugang zu Beweismitteln

4.1.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Zugang zu Beweismitteln für die Untersuchung des Sachverhalts von grundlegender Bedeutung ist.

4.1.2

Er hält es ebenso für notwendig, den Zugang der Geschädigten zu den Beweismitteln so zu gestalten, dass sie die für ihre Schadensersatzklagen erforderlichen einschlägigen Informationen erhalten können.

4.1.3

Er ist gleichwohl der Auffassung, dass dieser Zugang unter der Kontrolle der Gerichte bleiben und die Offenlegung verhältnismäßig sein muss, um den Schutz der Rechte der Parteien zu gewährleisten.

4.1.4

Im Richtlinienentwurf wird wie in Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (4) ein Rahmen für die Offenlegung von Beweismitteln aufgestellt; dabei soll sichergestellt werden, dass in allen Mitgliedstaaten ein effektiver Zugang zu einem Mindestmaß an Beweisen gewährleistet ist, die Kläger und/oder Beklagte zur Begründung ihres Anspruchs auf Schadensersatz und/oder ihrer Verteidigungsmittel benötigen.

4.1.5

Dieser Rahmen verringert die Rechtsunsicherheit, die mit dem Urteil in der Rechtssache Pfleiderer (5) verursacht worden war. Diesem Urteil zufolge oblag es - in Ermangelung von EU-Rechtsvorschriften über den Zugang zu Informationen, die eine nationale Behörde im Rahmen eines Kronzeugenprogramms erhalten hat - dem einzelstaatlichen Gericht, auf Einzelfallbasis und auf der Grundlage einzelstaatlicher Rechtsvorschriften die Bedingungen dafür festzulegen, ob Akten im Rahmen eines Kronzeugenprogramms offenzulegen sind oder nicht.

4.1.6

Schließlich ist in Artikel 6 des Richtlinienvorschlags ein absoluter Schutz für Kronzeugenunternehmenserklärungen und Vergleichsausführungen vorgesehen.

4.1.7

Geplant ist auch ein vorübergehender Schutz bis zum Ende des Verfahrens für Unterlagen, die die Parteien eigens für das behördliche Durchsetzungsverfahren ausgearbeitet haben (z.B. Antworten der Parteien auf Auskunftsverlangen der Wettbewerbsbehörde, Mitteilung der Beschwerdepunkte).

4.1.8

Der EWSA begrüßt, dass die Nichtbefolgung oder Verweigerung einer Offenlegungsanordnung oder die Unterdrückung bzw. Vernichtung von Beweismitteln mit Sanktionen belegt werden, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.

4.1.9

Dies betrifft im konkreten Fall die Unternehmen, die Gegenstand eines von einer Wettbewerbsbehörde angestrengten Verfahrens bezüglich der einem Schadensersatzklageverfahren zugrundeliegenden Tatbestände (objektive Anhaltspunkte) sind und/oder die wussten oder hätten wissen müssen, dass das einzelstaatliche Gericht befasst war oder befasst werden würde.

4.2   Wirkung einzelstaatlicher Entscheidungen: Der EWSA begrüßt die Bestimmung, der zufolge eine bestandskräftige Entscheidung einer einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörde oder eines Rechtsbehelfsgerichts von einzelstaatlichen Gerichten in Schadensersatzklageverfahren nicht infrage gestellt werden darf.

4.3   Verjährung

4.3.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass zum Schutz der Rechte der Geschädigten unbedingt Regeln zur Berechnung der Verjährungsfristen festgelegt werden müssen.

4.3.2

Er unterstützt die Vorschläge der Kommission bezüglich des Beginns der Verjährungsfrist, die die in der Stellungnahme des Ausschusses zum Weißbuch vorgebrachten Empfehlungen des Ausschusses aufgreifen, sowie die Vorschriften über die Hemmung der Frist im Falle der Eröffnung eines Verfahrens durch eine Wettbewerbsbehörde. Diese Bestimmungen gewährleisten das Recht des Geschädigten auf wirksamen Rechtsbehelf. Er ist gleichwohl der Auffassung, dass die Frist, nach der die Hemmung endet, auf zwei Jahre nach dem Zeitpunkt, an dem die Feststellungsentscheidung bestandskräftig geworden ist, ausgedehnt werden sollte.

4.4   Haftung

4.4.1

Der EWSA nimmt den Grundsatz der gesamtschuldnerischen Haftung zur Kenntnis, der nicht infrage gestellt werden kann.

4.4.2

Er wirft die Frage auf, welche Modalitäten vorgesehen sind für den Fall, dass eines der Unternehmen an einem Kronzeugenprogramm teilnimmt, insbesondere mit Blick auf die Schwierigkeiten, die Haftung eines jeden einzelnen Unternehmens zu belegen und festzulegen sowie ihren Beitrag unter Berücksichtigung ihrer Finanzkraft zu bewerten.

4.5   Schadensabwälzung

4.5.1

Der EWSA begrüßt, dass im Richtlinienvorschlag Bestimmungen über die Abwälzung des Schadens aufgrund betrügerischer Praktiken vorgesehen sind. Er hält es für unerlässlich, dass Situationen, in denen eine ungerechtfertigte Bereicherung möglich ist, vermieden werden.

4.5.2

Er ist der Auffassung, dass die in Artikel 13 festgeschriebene Vermutung bezüglich der mittelbaren Abnehmer ein wichtiges Mittel ist um sicherzustellen, dass die Entschädigung auch an diejenige Person ausgezahlt wird, die tatsächlich einen Schaden erlitten hat, und dass sie die Möglichkeiten der Verbraucher und Kleinunternehmen, Schadensersatz zu erhalten, erheblich verbessert.

4.5.3

Der Ausschuss unterstützt den in Artikel 2 definierten Grundsatz des vollständigen Schadensersatzes, der in Artikel 14 bekräftigt wird.

4.6   Ermittlung des Schadensumfangs

4.6.1

Der EWSA unterstützt die Schadensvermutung im Falle von Kartellen, da sie ein Hindernis für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen beseitigt, wobei die Rechte des zuwiderhandelnden Unternehmens gewahrt bleiben.

4.6.2

Er ist der Auffassung, dass die Erbringung von Beweismitteln ausreichend vereinfacht werden muss, damit sie kein Hindernis für das Einlegen von Schadensersatzklagen darstellt, da es stets schwierig ist, in Wettbewerbsrechtssachen Beweise zu erbringen.

4.6.3

Der EWSA begrüßt den von der Kommission im Anhang beigefügten "Praktischen Leitfaden", da er insbesondere für die Parteien eine gewisse Sicherheit bei der Ermittlung des Schadensersatzes bietet.

4.7   Einvernehmliche Streitbeilegung

4.7.1

Der EWSA nimmt die Bewertung der Kommission bezüglich der Vorteile der einvernehmlichen Streitbeilegung zur Kenntnis, die eine gerechte und kostengünstigere Lösung ermöglicht. Er begrüßt die vorgeschlagenen Bestimmungen über die Hemmung der Verjährungsfrist sowie die Auswirkungen der einvernehmlichen Streitbeilegung auf Gerichtsverfahren, die Anreize für die Nutzung dieses Verfahrens bieten.

4.7.2

Er macht indes darauf aufmerksam, dass die Unterstützung für die einvernehmliche Streitbeilegung voraussetzt, dass die Verfahren qualitativ hochwertig, unabhängig und freiwillig bleiben und sie keinesfalls den gerichtlichen Rechtsbehelf behindern.

4.7.3

Ferner betont der Ausschuss seine bereits in der Stellungnahme zum Weißbuch vorgebrachte Auffassung, dass alternative Streitbeilegungsverfahren nur dann eine glaubwürdige Lösung für die Geschädigten sein können, wenn wirksame Möglichkeiten des gerichtlichen Rechtsbehelfs - insbesondere Sammelklagen - bestehen.

4.8   Bewertung: Der Ausschuss unterstützt die Politik der Bewertung durch die Kommission, damit die entsprechenden Lehren gezogen und ggf. die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden können.

5.   Bemerkungen zur Mitteilung

5.1

Durch Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht Geschädigte, die Schadensersatzansprüche stellen, stoßen mitunter auf zahlreiche Hindernisse aufgrund unterschiedlicher einzelstaatlicher Vorschriften und Verfahren zur Ermittlung des Schadensumfangs.

5.2

Das Recht auf wirksamen Rechtsbehelf darf nicht durch unverhältnismäßige Hürden eingeschränkt werden, die die ohnehin schwierige Ermittlung des Schadensumfangs in Wettbewerbssachen zusätzlich erschweren: es ist nämlich unmöglich exakt festzustellen, wie sich die Bedingungen und Verhaltensweisen der Marktakteure in einem zuwiderhandlungsfreien Szenario entwickelt hätten. Es kann lediglich ein wahrscheinliches Szenario erstellt werden.

5.3

Der EWSA ist daher der Auffassung, dass der Praktische Leitfaden ein nützliches Hilfsmittel für die einzelstaatlichen Gerichte bietet, deren Unabhängigkeit durch den rein informativen Charakter des Leitfadens, der keine rechtsverbindliche Wirkung besitzt, gewahrt wird.

5.4

Die Ermittlung des Schadensumfangs angesichts der spezifischen Umstände eines jeden Falls erfolgt nach Maßgabe des anwendbaren Rechts.

5.5

Das befasste Gericht muss außerdem die verfügbaren Daten, die involvierten Kosten und die benötigte Zeit sowie ihre Verhältnismäßigkeit in Bezug auf den Wert des vom Geschädigten erhobenen Schadensersatzanspruchs berücksichtigen.

Brüssel, den 16. Oktober 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. L 201 vom 26.7.2013, S. 60.

(2)  Konsultationen über das Grünbuch von 2005 und das Weißbuch von 2008.

(3)  Rechtssache C-453/99 (Courage/Crehan) und verbundene Rechtssachen C-295 - 298/04 (Manfredi, Cannito, Tricarico und Murgolo).

(4)  ABl. L 195 vom 2.6.2004, S. 16.

(5)  Rechtssache C-360/09.