12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/82


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine stärkere europäische Industrie bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung. Aktualisierung der Mitteilung zur Industriepolitik“

COM(2012) 582 final

2013/C 327/14

Berichterstatter: Joost VAN IERSEL

Ko-Berichterstatter: Enrico GIBELLIERI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Oktober 2012 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Eine stärkere europäische Industrie bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung. Aktualisierung der Mitteilung zur Industriepolitik

COM(2012) 582 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 18. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) mit 132 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt nachdrücklich die Schwerpunktlegung auf die europäische Industrie (verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungssektor) im Rahmen der Aktualisierung der Mitteilung zur Industriepolitik vom Oktober 2012, einschließlich der Anlagen mit klaren Analysen der industriepolitischen Maßnahmen und Defizite in den Mitgliedstaaten. Viele dieser Elemente stehen im Einklang mit den vom EWSA formulierten Standpunkten (1). Die Nagelprobe wird die eigentliche Umsetzung sein.

1.2

Die Industriepolitik, eine der sieben Leitinitiativen der Europa-2020-Strategie, sollte den Grundstein der EU-Wachstumsinitiative bilden, über die zwar viel geredet wird, ohne dass jedoch konkrete Maßnahmen folgen. Es bedarf einer entsprechenden Mentalität sowie kohärenter Konzepte. Die politische Bedeutung steht außer Frage. Der EWSA fordert die Kommission, den Rat und das Europäische Parlament auf, mehr (kohärente!) Initiativen und Querschnittsmaßnahmen zu ergreifen, um die enorme Herausforderung des Ausbaus der Industrieproduktion in ganz Europa zu bewältigen.

1.3

Der Europäische Rat sollte bei der Aufstellung der industriepolitischen Agenda federführend sein. Die Kommission sollte voll und ganz beteiligt werden. In verschiedenen Ratsformationen – Wettbewerbsfähigkeit, Forschung, Umwelt, Sozialpolitik –, in der Kommission und im Europäischen Parlament ist bei der Festlegung und Förderung hochmoderner Maßnahmen in ganz Europa ein zielgerichtetes und gemeinsames Vorgehen erforderlich.

1.4

Um eine wirksame Strategie für Europa zu werden, müssen die Beschlüsse über industriepolitische Maßnahmen, Fahrpläne und Fristen umfassend verbreitet werden – was gegenwärtig noch ein bedauerliches Manko ist.

1.5

Darüber hinaus muss die EU die 27 nationalen Industriepolitiken und die EU-Industriepolitik optimal aufeinander ausrichten, was einer ganzen Reihe von Untersuchungen zufolge derzeit nicht der Fall ist. Vielfalt ist vorteilhaft, Fragmentierung hingegen nachteilig. Geopolitische Ungleichheiten sollten beseitigt werden.

1.6

Die Verbesserung der allgemeinen Bedingungen bedeutet vor allem die Vollendung des EU-Binnenmarkts im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft auf der Grundlage präziser Bewertungen, Regelungen und Umsetzungen im Unionsgebiet. Öffentliche Investitionen in grenzüberschreitende Infrastrukturen wie Straßen, Schifffahrtswege, See- und Flughäfen sowie Eisenbahnverbindungen müssen im Dienste des Binnenmarkts stehen.

1.7

Industrie und Innovation im Allgemeinen benötigen bei einem Anstieg der Zahl der Arbeitslosen auf 16 Mio., geringem Wachstum und schrumpfenden Haushalten Perspektiven und günstige Bedingungen. Es bedarf eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Haushaltskonsolidierung (Sparmaßnahmen), nationalen Reformprogrammen und Industriepolitik, um Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen anzuregen und damit das Vertrauen zu stärken.

1.8

Jede EU-Initiative sollte die Position Europas als Wettbewerber und Partner im Zuge globaler Entwicklungen stärken. Das sehr ehrgeizige Ziel eines Anteils des Verarbeitenden Gewerbes am BIP von 20 % erfordert umfangreiche Investitionen und substanzielle politische Anpassungen. Die Produktivität muss dringend verbessert werden.

1.9

Intelligente Bedingungen für die Industrie gehen weit über technische Bestimmungen und Anpassungen hinaus. Sie beziehen sich auf das gesamte Umfeld der Industrie, insbesondere eine kohärente und vorhersagbare Klima- und Energiepolitik im Interesse einer wettbewerbsfähigen industriellen Basis. Die Bedingungen sollten herausragende Leistungen begünstigen sowie neu entstehende Industriebranchen fördern.

1.10

Maßnahmen der EU müssen situations- und sektorspezifisch sein und auf Bewertungen der Verhältnisse vor Ort beruhen, die den technischen und wirtschaftlichen Kapazitäten und Herausforderungen am besten gerecht werden. Diese Grundsätze sollten auch bei der Verwirklichung der im Rahmen der Ressourceneffizienz-Leitinitiative festgelegten Ziele angewandt werden. Dabei geht es darum, eine effizientere Nutzung von Rohstoffen zu erreichen und gleichzeitig die Innovation zu fördern und die Widerstandsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken.

1.11

Die Industriepolitik hat eine ausgeprägte soziale Dimension, die alle Gesellschaftsschichten betrifft: Regionen und Kommunen, sämtliche Unternehmen, Arbeitskräfte in sich rasch verändernden Arbeitsplatzstrukturen - Digitalisierung, Roboterisierung, dienstleistungsbezogene Herstellung, IKT – Bildungswesen und Hochschulen, Verbraucher und Bürger. Die Industriepolitik beinhaltet sowohl Umstrukturierung als auch Antizipierung. Sie sollte für eine zeitgemäße allgemeine und berufliche Bildung und Information sorgen und Technologie, Innovation, Kreativität und Unternehmergeist fördern. Des Weiteren muss vorausschauend und angemessen auf den demografischen Wandel reagiert werden.

1.12

In ehrgeizigen Regionen wird die industrielle Leistungsfähigkeit gefördert. Die EU und die Mitgliedstaaten sollten deren Selbstständigkeit fördern, einschließlich Spezialisierung und entsprechender Forschung, Qualifikationen und Clusterbildung. Hier bestehen große Potenziale.

1.13

Initiativen und Projekte sowie erfolgreiche nationale und regionale Methoden, die das Vertrauen der Menschen und sozioökonomischen Akteure stärken, sollten herausgestellt werden. Partnerschaftsabkommen der EU-Mitgliedstaaten und die Vernetzung der Mitgliedstaaten und Regionen sollten ausgeweitet werden. Das jährliche Europäische Semester birgt viele Möglichkeiten für eine kontinuierliche Überwachung.

1.14

Die EU-Industriepolitik sollte ein Prozess geteilter Vorstellungen, Befugnisse und Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten sein, in dem Vertreter von Unternehmen und Gewerkschaften vollwertige Partner sind. In gleichem Maße sollten sich daran ggf. andere Interessenträger wie Bildungswesen, Hochschulen (Forschung), Nichtregierungsorganisationen, Verbraucher und andere beteiligen.

1.15

Trotz der erheblich unterschiedlichen Wirtschaftsleistungen der Mitgliedstaaten sollten alle von den bewährten Methoden und den zugrunde liegenden Positionen und Konzepten profitieren.

1.16

Der EWSA unterbreitet fortlaufend Vorschläge zu einzelnen Branchen und zur Industriepolitik (siehe Anhang). In der vorliegenden Stellungnahme geht es eher um die Kohärenz wichtiger Themen und eine wirksame Steuerung im Zuge der Koordinierung und Feinabstimmung.

2.   Hintergrund

— a)   Auf globaler Ebene

2.1

Der Analyse der Kommission zufolge scheint der Anteil der Arbeitskosten an den gesamten Produktionskosten abzunehmen (2). Produktivität ist ein wichtiger Faktor. Dadurch könnte ein Teil der Produktion nach Europa zurückgeholt werden. Gleichwohl wächst der Wettbewerb in anderen Bereichen wie Verbesserung der Wirtschaftsinfrastruktur in den BRICS-Ländern, Aufwertung des Euros und Energiepreise, die Investitionen im Ausland anregen.

2.2

Darüber ist die EU bei der Innovationsleistung und technologischen Spezialisierung gegenüber den USA und Japan im Rückstand. Europa ist in Industriebranchen mit mittlerem Technologieniveau (medium-high/medium-low technology) stärker vertreten als die USA; die traditionelle Kluft zwischen den beiden Kontinenten im Spitzentechnologie-Segment ist in den letzten Jahren jedoch deutlich größer geworden.

2.3

Das Weiße Haus und der Kongress zeigen im Rahmen einer nationalen Wettbewerbsfähigkeitsstrategie für 2014-2018 ein starkes Engagement für die Wiederbelebung des verarbeitenden Gewerbes (3). Von zentraler Bedeutung sind die Rolle und der Wert des verarbeitenden Gewerbes für die Wirtschaft, Sicherheit und globale Führungsposition der USA.

2.4

Öffentlich-private Partnerschaften verstärken die technologie- und innovationsspezifischen Infrastrukturen. Die Ministerien für Verteidigung, Energie und Handel sind unmittelbar beteiligt, wie auch die Nationale Wissenschaftsstiftung und die NASA, wovon wichtige Impulse für zahlreiche nationale Forschungsinstitute und Hochschulen ausgehen.

2.5

Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung in einem Land, das bis vor Kurzem noch die postindustrielle Wirtschaft propagierte. Die zunehmende Wettbewerbsfähigkeit Chinas und anderer Länder hat wie ein Weckruf gewirkt. Die allgemeine Wahrnehmung ändert sich. Prognosen zufolge wird China bis 2030 die Rolle der wichtigsten Wirtschaftsmacht der Welt übernehmen, während die USA ihre globale Führungsposition beibehalten. Japan und Europa werden weit abgeschlagen folgen (4).

2.6

Die neue Ölexploration und vor allem die Erschließung von Schiefergas werden voraussichtlich zur Energieunabhängigkeit der USA führen. Diese Exploration kommt einer Energierevolution gleich, die eine industrielle Renaissance in den USA sowie geopolitische Kräfteverlagerungen zur Folge haben wird. Umwelt- und Gesundheitsbedenken müssen noch Rechnung getragen werden (5).

2.7

Der Aufstieg Chinas, Brasiliens und Indiens geht weiter. Aber auch Russland ist bereits auf dem Weg. In ihrem Windschatten folgen rasch andere asiatische und südamerikanische Länder. Seit Jahren liegen die Wachstumszahlen in den Schwellenländern weit über dem Durchschnitt, vor allem in Asien. Neu geschaffene Bildungssysteme bringen eine Vielzahl gut ausgebildeter und qualifizierter Techniker und Ingenieure hervor. Gleichzeitig werden riesige Forschungsinstitute eingerichtet. Allgemein verbessert sich die Qualität von Waren und Innovationsprozessen. Schnelle Fortschritte gibt es bei den Verkehrseinrichtungen und Dienstleistungsinfrastrukturen.

2.8

In China entsteht ein Mischsystem aus staatlichem Kapitalismus und Mechanismen des freien Markts (6), das mit der nationalen Kultur und (politischen) Traditionen eng verwoben ist. Die Schaffung von Wohlstand geht weder mit Demokratie und noch mit Menschen- und Arbeitnehmerrechten Hand in Hand. Umwelt- und Gesundheitsbedingungen weisen weiterhin Mängel auf, wenngleich die Qualität der Produktion steigt. Gegenreaktionen sind jedoch nicht ausgeschlossen. Mit Fug und Recht kann aber behauptet werden, dass bestimmte Produktionszweige, die im Einklang mit nationalen Bestrebungen stehen, weiterhin durch kapitalistische Eingriffe des Staats gesteuert werden. Investitionen von Staatsfonds – sowohl im Ausland als auch im Inland – könnten in eine ähnliche Richtung zielen.

2.9

Mehrere Länder profitieren im Allgemeinen von schlankeren Steuerungsstrukturen als die der EU, da sie über ein einziges und maßgebliches Entscheidungszentrum, eine gemeinsame Strategie und vereinbarte Zielvorgaben für den öffentlichen Sektor verfügen.

2.10

Teile Afrikas unterliegen auch einem raschen Wandel. China investiert hier ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Folgen.

2.11

Die globalen Zusammenhänge und geopolitischen Bedingungen verändern sich unaufhörlich. Daten sind von entscheidender Bedeutung, um die Öffentlichkeit und die Politik viel stärker zu sensibilisieren. Der EWSA empfiehlt einen jährlichen EU-Fortschrittsanzeiger für eine Reihe wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen in relevanten Teilen der Welt.

— b)   Europa

2.12

Die eingehenden Untersuchungen der Kommission der europäischen und der länderspezifischen Entwicklungen lassen ein gestiegenes Bewusstsein für die Notwendigkeit des verarbeitenden Gewerbes erkennen.

2.13

Die Situation unterscheidet sich erheblich von Land zu Land: Die Bandbreite reicht von Deutschland, das einen Anteil von 30 % am gesamten verarbeitenden Gewerbe in Europa hat, bis zu – größeren oder kleineren – Ländern mit einem deutlich niedrigeren bzw. sehr geringen Anteil. In einer Reihe von Mitgliedstaaten haben die Industrieinvestitionen in den letzten 20 Jahren beträchtlich abgenommen. In einigen Fällen ist das die Folge weitreichender Umstrukturierungen, in anderen Fällen einer gewissen Vernachlässigung (7).

2.14

Zahlreiche Mitgliedstaaten bemühen sich um bessere Bedingungen – einige offenkundig mit mehr Erfolg als andere. Die Beschäftigung in der Industrie nimmt stetig ab. Darüber hinaus sind im Zuge der gegenwärtigen Krise seit 2008 über 4 Mio. Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verlorengegangen.

2.15

Nichts deutet darauf hin, dass Maßnahmen und Instrumente oder bewährte Methoden Gegenstand der Diskussion unter den Mitgliedstaaten sind. Die einzelstaatlichen industrie- und innovationspolitischen Ansätze beruhen vornehmlich auf nationalen Traditionen und Verfahren und sind durch nationale Rahmenbedingungen und Beziehungen zwischen öffentlichem und privatem Sektor – einschließlich Unternehmen, Forschungsinstitute, Hochschulen und Gewerkschaften – geprägt.

2.16

Folglich sind viele Maßnahmen und die entsprechenden Finanzierungsregelungen vorrangig an nationalen Bedürfnissen ausgerichtet, was dem Binnenmarkt oder den branchen- und grenzübergreifenden Projekten nicht förderlich ist.

2.17

Abgesehen von den großen Erfolgen in einigen Ländern wirkt, wie die Kommission zu Recht feststellt, eine unerwünschte Zersplitterung des Binnenmarkts potenziellen Wachstumsfaktoren entgegen.

2.18

Kreative Vielfalt ist ein großer Pluspunkt in Europa; sie wird aber nur dann für alle Europäer von Vorteil sein, wenn die Konvergenz der gemeinsamen Ziele gewährleistet ist. Es sollte ein optimales Verhältnis zwischen kreativer Vielfalt unter den Mitgliedstaaten einerseits und transparenter und überzeugender Konvergenz andererseits erreicht werden.

2.19

Das Beispiel der USA zeigt, dass eine solche Konvergenz insbesondere für europäische KMU-Netze mit Wachstumspotenzial von Vorteil sein wird.

3.   Europa 2020: Gemeinsame Vision, gemeinsame Zuständigkeiten, gemeinsames Handeln

3.1

Der Binnenmarkt braucht einen neuen Impuls. Obwohl versteckter Protektionismus zunimmt und weiterhin das Risiko der Renationalisierung und Fragmentierung besteht, gelingt es der EU, den Binnenmarkt intakt zu halten und den Grundsatz der offenen Märkte zu bewahren, auch wenn die Umsetzung ein gewisser Schwachpunkt bleibt.

3.2

Die Europa-2020-Strategie, die auf geteilten Zuständigkeiten der EU und der Mitgliedstaaten beruht, sollte als Vorbild dienen. Unter Achtung bestimmter nationaler Ansätze und Methoden stellt sie Instrumente bereit, um die auf der übergeordneten europäischen Ebene gebotenen Vorteile zu nutzen. Die möglichen Vorteile einer solchen gezielten Steuerung wurden bisher systematisch ausgeklammert.

3.3

Außerdem müssen bei der Ausrichtung erfolgreicher Innovationsprozesse und der Schaffung von Arbeitsplätzen gemäß der sich verändernden Verarbeitungs-, Vermarktungs- und Dienstleistungsmuster unbedingt konkrete Ergebnisse erzielt werden.

3.4

Umstrukturierungen müssen bewusst antizipiert werden. Das wird die Akzeptanz von Anpassungen verbessern, die Umschulung und Höherqualifizierung von Arbeitnehmern fördern und zur Eindämmung prekärer Arbeitsverhältnisse beitragen (8).

3.5

Die Kommissionsmitteilung von 2010 führte bereits zu Initiativen wie Horizont 2020, Wettbewerbsfähigkeitstests, industrieller Innovation, Ressourceneffizienz, Kompetenzen und Bildung, dem Zugang zu Finanzierung, dem Zusammenspiel und dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Industrie und Dienstleistungen sowie einem verschärften Bewusstsein für Schwierigkeiten bei internationalen Investitionen und Technologietransfer.

3.6

Es überrascht, dass die Mitgliedstaaten bis vor kurzem nur selten gegenseitige Beurteilungen (peer reviews) vorgenommen haben. Die Kontrollfunktion der Kommission sollte ausgeweitet werden.

3.7

Solche gegenseitigen Beurteilungen würden veraltete Strukturen in den Bereichen Industrie und Beschlussfassung zutage fördern. Sie würden dazu beitragen, die Modernisierung durch den Rückgriff auf erfolgreiche Konzepte zu beschleunigen und könnten als Indikatoren für die europäische Orientierung an "Spitzenleistungen" sowohl für den öffentlichen als auch den privaten Sektor dienen.

3.8

Die Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen enthalten länderspezifische Empfehlungen bezüglich der industriellen Entwicklung (9). Diese länderspezifischen Empfehlungen müssen im Rahmen der nationalen Reformprogramme – von den Mitgliedstaaten und der Kommission als Teil des Europäischen Semesters erörtert – besser berücksichtigt werden.

3.9

Es wäre jedoch ein ernster Fehler, diese Aufgabe nur der Kommission zu überlassen. Sie obliegt vorrangig auch den Ministerien der Mitgliedstaaten, die für jene Politiken zuständig sind, die nicht von Rechtsakten oder Maßnahmen der EU abgedeckt werden. Darüber hinaus müssen diese Ministerien die ordnungsgemäße Umsetzung des EU-Rechts sicherstellen.

3.10

Finanzpolitische Maßnahmen im Euroraum implizieren eine genaue Abstimmung zwischen den europäischen Institutionen und den nationalen Behörden. Es gibt keinen Grund, warum zur Stärkung der Rahmenbedingungen für Industrie, Innovation und Arbeitsplatzschaffung keine vergleichbare Koordinierung auf der Grundlage einer gemeinsamen Vision erreicht werden kann.

3.11

Die Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen können den Mitgliedstaaten auch helfen, zwei- oder dreiseitige Beurteilungen bezüglich industrierelevanter Bereiche vorzunehmen, wie z.B. Kompetenzen und Bildung, Technologie und Innovation, Verwaltungsaufwand, Steuerpolitik und staatlichen Beihilfen. Jedes Land kann daraus – in einer gemeinsamen europäischen Perspektive – leicht Schlüsse im Hinblick auf wünschenswerte nationale Maßnahmen ziehen. Eine gründliche Bewertung der angewandten Maßnahmen sollte in jedem Falle Teil der einzelstaatlichen Programme sein.

3.12

Da diese Entwicklungen von der gesamten Gesellschaft getragen werden müssen, ist es sehr wichtig, dass Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften in diesem Prozess als vollwertige Partner agieren. Das gilt ggf. auch für andere Interessenträger wie Bildungswesen, Nichtregierungsorganisationen und Verbraucher. Konsensbasierte Ansätze machen sich bezahlt. Der soziale Dialog auf nationaler und regionaler Ebene wie auch in den Branchen und Unternehmen ist sehr hilfreich.

4.   Zu behandelnde Themen

4.1   Der EWSA stimmt der Auffassung der Kommission zu, dass Komplementaritäten zwischen den industriepolitischen Interventionen der Mitgliedstaaten und der EU eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg der europäischen Industriepolitik sind. Sie werden die Wirkung der Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten verstärken und viele Möglichkeiten bieten, um den Worten Taten folgen zu lassen.

4.1.1   Ein allgemeines Konzept impliziert ein ganzheitliches und bereichsübergreifendes Vorgehen. Der EWSA unterstreicht im Folgenden miteinander verknüpfte Themen, die er für die Zukunft der europäischen Industriepolitik für entscheidend hält.

4.2   Industrielle Innovation

4.2.1

Industrielle Innovation bedarf einer soliden europäischen Technologiebasis, die durch grenz überschreitende Koordinierung und Kooperation zwischen Forschungsinstituten und Hoch schulen, angewandten Technologien und Unternehmen unterstützt wird.

4.2.2

Schlüssel- und andere Querschnittstechnologien sind für die FuE-Programme der EU und der Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung. Davon werden vielfältige nachgelagerte Branchen sowie öffentliche Politikbereiche in Zusammenhang mit Infrastrukturen und Nachhaltigkeit profitieren. Der EU-Rahmen für die öffentlich-private Zusammenarbeit und Konsultation (vor allem über EU-Technologieplattformen) spielt eine wesentliche Rolle. Die öffentliche Auftragsvergabe sollte auch Anreize für zukunftsweisende Innovationen schaffen.

4.2.3

Technologie ist für die Zukunft von zentraler Bedeutung. Durch die Förderung internationaler (Leuchtturm-)Projekte sollten die Kommission und der Rat "Forschung" eine Führungsrolle bei der Stärkung des Binnenmarkts für Technologie und grenzüberschreitende Vorhaben übernehmen. Erfolgreiche FuE-Tätigkeiten und europäische Patente sollten innovative Investitionen und hochwertige Arbeitsplätze begünstigen.

4.2.4

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der für EU-Finanzmittel für FuE und grenzüberschreitende Projekte. Mit Horizont 2020 sollte den rasch zunehmenden Maßnahmen in anderen Kontinenten Paroli geboten werden. Auch wenn Europa weiterhin gut aufgestellt ist, wird seine traditionelle Führungsposition allmählich schwächer. Die Beschneidung des Budgets für Horizont 2020 ist kontraproduktiv.

4.2.5

Die Schlüsselrolle der Hochschulen und der entsprechenden Innovationsforschung sollte außer Frage stehen. Programme und ihre Verwaltung sollten ggf. angepasst werden.

4.2.6

Jährliche Informationsberichte über öffentliche und private Investitionen in Schlüsseltechnologien sind wünschenswert.

4.2.7

Innovation ist für viele andere Bereiche von Bedeutung, weil sie in Unternehmen und am Arbeitsplatz eine neue Dynamik schafft: Neugestaltung der bestehenden Produktionsmethoden, Notwendigkeit der Umstrukturierung veralteter Arbeitsprozesse, Entwicklung von Wertschöpfungsketten und neuen "Branchen", Aufheben der strikten Trennung zwischen Industrie- und Dienstleistungssektor. Innovation bedeutet Modernisierung und Kreativität in der Gesellschaft, und so sollte sie auch vermittelt werden.

4.2.8

Alle Dienststellen der Kommission betonen, dass Technologie und Innovation als horizontale Priorität zu gelten haben. Es wäre zu begrüßen, wenn nationale Behörden diese Methode übernähmen.

4.3   Kompetenzen und Qualifikationen

4.3.1

Technologie, Innovation, neu gestaltete Herstellungsverfahren, Verbindung von Industrie und Dienstleistungen, neue gesellschaftliche Erfordernisse und Leitbranchen tragen dazu bei, dass geeignete Kompetenzen und Qualifikationen auf allen Ebenen eine zentrale Bedeutung erhalten.

4.3.2

Besonders wichtig ist ein auf allen Ebenen hochmodernes Bildungswesen. Die Aufmerksamkeit der EU für allgemeine, schulische und berufliche Bildung nimmt zu Recht zu, wie dies auch auf nationaler und regionaler Ebene der Fall ist. Bildung ist ein grundlegendes Erfordernis und muss für alle zugänglich sein.

4.3.3

Jede EU-Wachstumsinitiative macht es erforderlich, dass dem gesamten Bildungsspektrum fortlaufend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Angesichts der substanziellen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten wird ein Austausch bewährter Verfahren unabdingbar sein, um insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

4.3.4

Den Interessenträgern kommt eine Schlüsselrolle zu. Gegenstand des sozialen Dialogs auf allen Ebenen – Unternehmen (u.a. mit den Betriebsräten), lokal, regional, national und EU – sollten Bildung, Lehre/duale Bildung, Ausbildung am Arbeitsplatz sowie Fortbildung (lebenslanges Lernen) sein, um das Kompetenzniveau und die Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern und so den Arbeitsmarkterfordernissen zu entsprechen. Die grenzübergreifende Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen sollte die Regel sein, um die internationale Mobilität zu fördern.

4.3.5

Im Einklang mit der OECD sollte die Kommission damit beauftragt werden, peer reviews zu den Bildungssystemen und ihren Ergebnissen in den Mitgliedstaaten durchzuführen. Sie werden nützliche Indikatoren für etwaige Verbesserungen liefern, so wie dies bereits in vielen anderen Bereichen der Fall ist.

4.3.6

Das in Unternehmern und der Gesellschaft erforderliche Kompetenzniveau steigt stetig. Fachliche Bildung und Dienstleistungen für das verarbeitende Gewerbe (von der Geringqualifizierung bis zur Hochschulbildung) haben Priorität. Technische weiterführende Schulen und Berufsbildungssysteme spielen eine wesentliche Rolle.

4.3.7

Hochschulbildung sollte auf den strukturellen Mangel an Wissenschaftlern, Ingenieuren und Mathematikern (Studierenden und Forschern) reagieren und so dem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirken.

4.3.8

Jeder Arbeitnehmer sollte das Recht auf berufliche Bildung haben. Besonders notwendig ist das für Facharbeiter in KMU und Handwerksbetrieben.

4.3.9

Die Schaffung einer nachhaltigen industriellen Beschäftigung, die auf modernen Arbeits-, Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen beruht, ist Teil der für Modernisierungsprozesse in der Industrie erforderlichen Mentalität. Eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit sollte mit guten Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechten Hand in Hand gehen.

4.3.10

Besondere Aufmerksamkeit muss den Auswirkungen der Bevölkerungsalterung in der EU auf das Arbeitskräfteangebot in der Industrie geschenkt werden. Die Arbeitsbedingungen der älteren Arbeitnehmer sowie die Strukturen und Kapazitäten der beruflichen Bildung und des lebenslangen Lernens müssen entsprechend angepasst werden.

4.4   Zugang zur Finanzierung

4.4.1

Der Zugang zur Finanzierung bleibt eine Schwachstelle. Der Industriesektor hat sehr unter der Bankenkrise gelitten. Die Banken sind bei der Kreditvergabe nach wie vor zögerlich. Die Krise hat die Renationalisierung von Geschäftsabläufen begünstigt. Die traditionelle Risikoaversion wird durch strengere internationale Eigenkapitalregelungen und vermutlich auch durch EU-Finanzvorschriften verstärkt. Glücklicherweise werden die Basel-III-Regeln, die die Kreditvergabe erschweren, künftig schrittweise flexibler angewandt.

4.4.2

Die KMU benötigen angemessenere Finanzinstrumente und neue Finanzquellen, wie z.B. Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds. Ein Hauptziel besteht darin, die Risiken u.a. durch Garantieregelungen oder öffentliche Mittel zu verteilen oder zu vermindern. Durch crowd-funding müssen attraktive Perspektiven eröffnet werden.

4.4.3

Gleichzeitig muss die private Finanzierung bzw. die Finanzierung außerhalb des Bankensektors zunehmen. Privatinitiativen in den Mitgliedstaaten sollten herausgestellt werden. Der Unterschied zu den USA spricht für sich: Zwei Drittel der amerikanischen Investitionen werden außerhalb des Finanzsektors finanziert, in Europa hingegen nur ein Drittel. EU- und nationale Rechtsvorschriften sollten den Trend zur mehr privater Finanzierung und privater Beteiligung begünstigen, um insbesondere die Innovation zu fördern.

4.4.4

Subsidiarität bringt auch eine große Vielfalt von Steuerpolitiken wie auch von Subventions- und Kreditsystemen in Europa mit sich. Der EWSA drängt auf eine Bewertung und peer reviews nationaler Instrumente durch die Kommission im Hinblick auf eine effiziente Konvergenz dieser Instrumente.

4.4.5

Die EIB und die Kommission arbeiten an einer neuen Generation unionsweiter Instrumente mit größerer (Hebel-)Wirkung als Darlehen. Die Risikotragfähigkeit der EU-Fonds soll in Verbindung mit der Finanzierungsfähigkeit der EIB zu verschiedenen Möglichkeiten für Konzipierung und Einsatz der Finanzinstrumente für industrielle Zwecke führen.

4.4.6

Revolvierende Fonds, die von der EIB und der Kommission koordiniert und im Rahmen von Horizont 2020 angewandt werden, COSME, der mehrjährige Finanzrahmen und die Regionalpolitik müssen Multiplikatoreffekte erzielen. Es muss insbesondere auf transparente Zuständigkeitsbereiche geachtet werden. Der EWSA unterstreicht, dass an einem soliden und gut verwalteten EU-Haushalt festgehalten werden muss, der mit erfolgreichen (neu) gestalteten nationalen Kreditinstrumenten verzahnt wird. Projektbezogene Anleihen und "grüne" Kredite müssen ausgebaut werden.

4.4.7

Die derzeitigen EU-Vorschriften sind zu strikt und zu bürokratisch. Der EWSA bekräftigt, dass die EU-Instrumente marktorientiert und einfach umzusetzen sein müssen. Sie müssen sich flexibel an die sich rasch verändernden Marktbedingungen für innovative Unternehmen wie auch für kleine, kaum wahrgenommene mikroökonomische Projekte anpassen. Zwischen einer zuverlässigen Steuerung der Instrumente und den Markterfordernissen muss ein neues Gleichgewicht erreicht werden.

4.5   Nachhaltige Entwicklung

4.5.1

Nachhaltige Entwicklung und Ressourceneffizienz werden trotz erheblicher Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in den vor- und nachgelagerten Branchen immer stärker berücksichtigt. Nachhaltige Geschäftsmodelle stärken die Widerstandsfähigkeit der europäischen Unternehmen. Öffentliche und private Akteure müssen sich aufeinander verlassen.

4.5.2

Ein Sonderfall sind der Klimawandel und die CO2-Emissionen. Angesichts des fortbestehenden Risikos der Verlagerung von CO2-Emissionen und des Investitionsschwunds fordert der EWSA eine erneute Bewertung der EU-Politik als Grundlage für einen nachhaltigen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft.

4.5.3

Kosteneffizienz und technische Machbarkeit sind zwecks Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen eine Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der EU. Nur so entstehen Synergien zwischen Umweltschutzzielen und industrieller Leistungsfähigkeit.

4.5.4

Ein technologiebasierter Übergang zu einer emissionsarmen/ressourceneffizienten Wirtschaft sollte auch gegenüber allen Arbeitnehmergenerationen sozial gerecht gestaltet werden.

4.5.5

Die Bevölkerungsalterung führt dazu, dass unter den Verbrauchern der Anteil der Senioren zunimmt, auf deren Konsummuster sich die Industrieproduktion einstellen muss. Das bringt jedoch auch neue Chancen für die Unternehmen mit sich und schafft Raum für Innovationen, beispielsweise in den Bereichen funktionelle Lebensmittel, Umbau von Wohnungen und Wohnhäusern, Anpassungen im Verkehrssektor sowie neue Technologien in der Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege.

4.5.6

Programme und rechtliche Bestimmungen der EU sollten nachhaltige Innovationen zur Folge haben, u.a. entsprechend den Vorgaben der Ressourceneffizienz-Leitinitiative. Angesichts der großen industriellen Interessen in diesem Bereich sind vergleichbare, stabile und vorhersehbare Bedingungen in der ganzen EU von entscheidender Bedeutung. Die Effizienz des "Ökodesigns" (10) und die Einführung von absoluten Obergrenzen für die Verwendung von Rohstoffen für die Industrie sollte ordnungsgemäß überprüft werden.

Überregulierung betrifft auch Innovation und Investitionen und kann zum Verlust von Marktanteilen führen. Die Kommission und der Rat sollten die (energieintensive) Grundstoffindustrie der EU schützen und derartige Wettbewerbsverzerrungen im Vergleich zu Drittstaaten beseitigen.

4.6   Dienstleistungen

4.6.1

Der Dienstleistungssektor macht 70 % der europäischen Wirtschaft aus und beschäftigt die meisten Arbeitskräfte. Er ist mit industriellen Prozessen unauflöslich verknüpft und stärkt deren Grundlage. Die Dienstleistungsrichtlinie ist allerdings bisher nur unvollständig umgesetzt worden. In den meisten Gebieten der EU sind die Unternehmensdienstleistungen weiterhin unzureichend entwickelt.

4.6.2

Das Fehlen eines integrierten Dienstleistungsmarkts – ein bekanntes, aber ignoriertes Problem – wirkt sich negativ auf den Binnenhandel und die Produktivität in Europa aus. In beiden Bereichen sind die USA aufgrund ihres erheblich stärker integrierten Dienstleistungsmarkts führend. Im Falle der Dienstleistungen gibt es weiterhin eine deutliche Bevorzugung des jeweiligen Heimatmarkts (home bias), die durch Hindernisse für grenzüberschreitende Dienstleistungen verstärkt wird. "Weniger Handel bedeutet weniger Wettbewerb: Die EU-Dienstleistungsmärkte sind noch weitgehend nationaler Art, wodurch das Produktivitätswachstum gebremst wird" (11).

4.6.3

Dieser Entwicklungsrückstand behindert eine wettbewerbsfähige IKT-Branche in Europa, erschwert bahnbrechende Initiativen und schafft Hemmnisse für das Produktivitätswachstum. Mithin sollte die EU die Entwicklung eines freien Dienstleistungsmarkts sicherstellen und Unternehmensdienstleistungen und die damit verbundene Schaffung von Arbeitsplätzen in ganz Europa fördern.

4.7   Administrative Hindernisse

4.7.1

Beschwerden über administrative Hindernisse sind an der Tagesordnung. Sie führen jedoch selten zu einer systematischen Neubewertung der nationalen Vorschriften und Bestimmungen; für diese wären Folgenabschätzungen, so wie sie die Kommission für ihre Maßnahmen vornimmt, ebenfalls äußerst wünschenswert. Die Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten ist im Allgemeinen unzureichend. Zahlreiche Versuche zur Gründung von Unternehmen und zur Förderung von KMU scheitern an administrativen Hürden.

4.7.2

Der versteckte Protektionismus nimmt in diesem Bereich zu. Der EWSA drängt auf kontinuierliche und transparente Bewertungen Die Kommission sollte damit beauftragt werden, Nachforschungen anzustellen, und peer reviews sollten im Rat erörtert werden, der entsprechende Ziele und Fristen festlegen sollte.

4.8   Kleine und mittlere Unternehmen

4.8.1

Es gibt sehr viele unterschiedliche, oft nicht vergleichbare Typen von KMU. In einigen Bereichen (z.B. Einzelhandel) stehen sie unter großem Druck. In anderen übernehmen sie jedoch Tätigkeiten von Großunternehmen: Auslagerung, Wertschöpfungsketten usw. Sie sind normalerweise für die Innovation von Produkten und Dienstleistungen von wesentlicher Bedeutung. Aufgrund ihrer Innovationsstärke und ihrer Markterfolge müssen die KMU deutlich integriert und als eine treibende Kraft der EU-Industriepolitik herausgestellt werden.

4.8.2

Aufgrund ihrer Dynamik, Interaktion mit Wertschöpfungsketten und Flexibilität sind KMU häufig Wegbereiter für maßgeschneiderte Lösungen und Erneuerungen, und sind auch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze von Bedeutung. Die KMU sollten in ihren Bemühungen um eine Reduzierung des Einsatzes knapper Ressourcen und Energieträger unterstützt werden. Das wird letztlich zu einer Verringerung der Kosten führen, was ihnen ermöglicht, bessere Leistungen zu erbringen und Arbeitsplätze zu schaffen.

4.8.3

Europa braucht mehr Jungunternehmer. Der "Unternehmergeist" verdient im Bildungswesen (u.a. unternehmerisch ausgerichtete Hochschulen) besondere Aufmerksamkeit. Der EWSA begrüßt den Aktionsplan der Kommission für die unternehmerische Initiative.

4.8.4

Die Zahl der Unternehmensgründungen steigt. Im Vergleich mit den USA zeigt sich aber, dass in Europa zu wenige kleine Unternehmen das Niveau eines soliden Wachstums erreichen. Dies hat sowohl mit den schwachen Finanzbedingungen als auch mit nationalen Hürden im europäischen Markt zu tun.

4.9   Energie

4.9.1

Nationale Energiepolitiken führen zu einer uneinheitlichen Energiemix-Politik in der EU, was sich auf Energiepreise, Technologie, Beziehungen zu Drittstaaten und vor allem den Binnenmarkt auswirkt. Der EWSA drängt auf eine gemeinsame Energiepolitik. Angesichts der weitreichenden wirtschaftlichen Implikationen der Energiefrage kann eine ernstzunehmende Industriepolitik ohne bestimmte gemeinsame europäische Grundsätze nicht Gestalt annehmen.

4.9.2

Der Rat kann sich nicht länger einer strategischen Debatte über langfristige Energieperspektiven und entsprechende Maßnahmen verschließen, d.h. dem wünschenswerten Energiemix in der EU, der fossile Rohstoffe, Kernenergie und erneuerbare Energieträger umfasst. Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen sollten auch Teil dieser Agenda sein.

4.9.3

Beschlüsse sind jetzt umso dringlicher, als die Entwicklung der Schiefergasförderung in den USA die weltweite Energiesituation derzeit völlig verändert.

4.9.4

Die Energiepreise liegen in der EU deutlich höher als im Falle der wichtigsten Handelspartner. Der amerikanische Gaspreis liegt bei 20 % des europäischen Preises. Das hat enorme Folgen für die Chemie- und Stahlindustrie und kann sich auf die nachgelagerte Branchen auswirken. Die Auswirkungen auf Investitionen in Europa und die Notwendigkeit einer koordinierten Reaktion der EU und der Mitgliedstaaten werfen drängende Fragen auf, die zufriedenstellend beantwortet werden müssen.

4.9.5

Die Industrie trägt zu erneuerbaren Energien bei. Aufgrund der hohen Energiekosten ist es aber wesentlich, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wettbewerbsfähigkeit und dem Prozess der Finanzierung neuer Energieträger zu finden, was eine Senkung der Abgaben und bessere Programme zur Förderung der Kosteneffizienz umfassen könnte.

4.10   Außenbeziehungen

4.10.1

Die Außenbeziehungen gehen über die offiziellen Abkommen wie die von der Welthandelsorganisation geschlossenen hinaus. Im Rahmen der Entwicklung der Außendimension der Industriepolitik sollten die EU und die Mitgliedstaaten gemeinsame Standpunkte zu der Frage festlegen, wie bei komplizierten Sachverhalten (insbesondere der Gewährleistung weltweit gleicher Wettbewerbsbedingungen) verfahren werden soll. Da offene Märkte Gegenseitigkeit implizieren, sollte sich die EU ernsthaft mit den konkreten und negativen Verzerrungen beschäftigen, die den Interessen der europäischen Industrie schaden können.

4.10.2

Aus wirtschaftlichen und sicherheitsspezifischen Gründen ist eine reibungslose Energieversorgung unabdingbar. Diese Problematik erfordert ein gesamteuropäisches Vorgehen, insbesondere angesichts der derzeit niedrigen Energiepreise in den USA. Besondere Aufmerksamkeit ist auch den Werkstoffen zu widmen, die für Industrieprozesse von wesentlicher Bedeutung sind.

4.10.3

Internationale Umwelt-, Klima- und Sozialstandards oder entsprechende Branchenabkommen sind für weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen unerlässlich. Sie müssen die Voraussetzungen für den Erhalt von Wertschöpfungsketten im verarbeitenden Gewerbe in Europa schaffen.

4.10.4

Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit, die Rechte des geistigen Eigentums zu schützen. Der Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe im Ausland sollte gewährleistet werden.

4.10.5

Sorgsam ausgehandelte und ausgewogene Freihandelsabkommen – insbesondere mit den USA – sind nachdrücklich zu begrüßen. Eine sorgfältige Überwachung ist in diesem Zusammenhang von grundlegender Bedeutung.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Siehe u.a.: ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 38 – eine Reaktion des EWSA auf die vorhergehende Kommissionsmitteilung zur Industriepolitik von 2010.

(2)  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, SWD(2012) 297 final, S. 10 (Anm. d. Übers.: Deutsche Fassung liegt nicht vor).

(3)  American Manufacturing Competitiveness Act 2012.

(4)  Global Trends: Alternative Worlds, National Security Council, Dezember 2012, Washington.

(5)  US EPA, Study of the Potential Impacts of Hydraulic Fracturing on Drinking Water Resources: Progress Report, Dezember 2012 (http://www2.epa.gov/hfstudy).

(6)  Siehe: State Capitalism, The Economist, Sonderbericht, Januar 2011.

(7)  Industrial Performance Scoreboard and Report on Member States’ Competitiveness, Performance and Policies, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, SWD(2012) 298 final, Teil 1, 2, 3 und 4 (Anm.: Deutsche Fassung liegt nicht vor).

(8)  Siehe auch den Cercas-Bericht des EP.

(9)  Siehe Fußnote 7: Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen, Teile 1-4.

(10)  EU-Richtlinie 2009/125, Oktober 2009.

(11)  "How to build European services markets", John Springford, Centre for European Reform, September 2012, S. 4.